03.05.2019, 06:32
Trevor war bereits auf halbem Weg zu dem Spitzhut, als die Alleshändlerin den Namen seiner Mutter aussprach. Er lief auch noch ein paar Schritte weiter, dann fiel Gregs Pinzette in die Schüssel mit den blutigen Glasstücken und bei Trevor fiel der Groschen. Er hielt ruckartig an, fuhr herum, belastete den falschen Fuß, taumelte, stolperte, fing sich an etwas ab und brachte einen ganzen Turm erstaunlich ordentlich gefaltete Kleidung zum Einsturz. Er starrte einen Moment auf das Chaos, dann hob er den Blick und sah zu Lissa mit dem gefaltetem Papier in der Hand. Er setzte zu einem „Ich hab Talent, stimmt‘s?“ an, oder zu einem „Nix passiert, mir geht‘s gut“, vielleicht sogar zu einem „Entschuldigung“, aber was stattdessen herauskam, war:
„Was?“
Er hatte sich verhört, oder. Er hatte sich schon öfter verhört, in dem Wirtshaus im Hafen von Rhofala, auf dem Markt in Calbota, einmal sogar an Deck eines fremden Schiffes, mit dem Ellhan irgendein Geschäft hatte abwickeln wollen, zu dem es dann nie gekommen war.
Er riss seinen Blick von dem Brief los, um kurz zu seinem Bruder hinüberzusehen. Greg war kreidebleich. Trevors Augen wurden groß.
„Ja“, sagte er hastig, „ja, das sagt mir was, das sagt uns was, sie ist, also ich meine, so heißt, das ist der Name von –“ Er hielt inne, um Luft zu holen und so was ähnliches wie Ordnung in seine Gedanken zu bringen. „Was er gesagt hat.“ Er zeigte auf Gregory, weil das gerade am einfachsten war. „Unsere Tante.“
Und mehr als das, obwohl sie nie auf dieselbe Art seine Mutter gewesen war wie Felicita. Sie hatte nie seine Hosen geflickt, ihn nie nach einer Erkundungstour draußen im Gewitter gesundgepflegt und auch nie die Scheren von den Krabben in seinem Essen entfernt, als er noch ganz klein gewesen war und Angst vor ihnen hatte. Und trotzdem war Aranne der Grund, warum er hier stand, hunderte Meilen von zu Hause entfernt mit einer Donnerbüchse und einem Entermesser am Gürtel, einer Augenklappe auf der Stirn und der Tätowierung einer Sanduhr auf seinem rechten Arm. Und das hier war ihr erstes Lebenszeichen in Jahren.
„Ist der von ihr?!“ Er stand plötzlich wieder vor Lissa, ohne sich wirklich erinnern zu können, wie er dort hingekommen war. „Es ist ein Brief, ja?“
Er griff danach, bemerkte, wie seine Hand zitterte und zog sie sofort zurück, griff erneut danach, sah das Blut an seinen Fingern und drehte sich weg.
„Er sieht aber ganz schön alt aus, oder Greg? Aber vielleicht hat sie ihn ja nur auf altem Papier geschrieben oder was auch immer, ist ja nicht so, dass Schiffe in Briefpapier schwimmen würden, oder, oder es ist eben ein alter Brief, kann ja auch sein, macht aber nichts, oder? Oder Greg? Hauptsache– Aber bei allen Welten, es sind ja auch schon fünf Jahre.“
Er stoppte zum Luftholen, über seinen eigenen Monolog überrascht, aber Reden half ihm immer, wenn er keine Ahnung hatte, was er eigentlich sagen sollte. Er machte ein paar Schritte in Gregs Richtung, ohne wirklich auf ihn zu achten, und drehte sich wieder zu Lissa um.
„Und er ist für uns? Der Brief? Für Gregory und Trevor? Woher weißt du das, wenn du gar nicht reingeguckt hast? Du hast nicht reingeguckt, ich hab dich beobachtet. Also die meiste Zeit zumindest, oder hast du ihn vorher gelesen? Kannst du lesen? Kannst du ihn vorlesen?“
[ An Lissas Stand || bei Lissa und Gregory ]