02.05.2019, 22:05
Selten brachte sie solch ein Kompliment zum Schmunzeln Zu einem, das nicht wie üblich amüsiert wirkte oder gar abwertend, weil sie völlig anderer Auffassung war. Skadis Lippen und Mundwinkel strahlten einen Stolz aus, der Wärme über ihre Züge brachte. Ganz gleich ob der Musiker sie mit einem Wesen verglich, dessen Namen sie nie zuvor gehört hatte. Irgendwann käme sie noch dazu, ihn nach der genauen Bedeutung dahinter zu fragen. Allerdings ahnte sie, dass der Ursprung einem Schauermärchen gleich käme – denn nicht anders hatte sie sich dort unten vor den Kindern gezeigt und ihnen mehr als nachdrücklich eine Lektion fürs Leben erteilt.
“Wir werden sehen… vielleicht versuche ich es mal mit unserem Blauauge.“ Diese Anspielung hatte sich vollkommen selbstständig auf ihre Lippen gelegt und war ausgesprochen, noch bevor die Nordskov darüber nachgedacht hatte. Ja, es wäre äußerst interessant zu wissen, wie die Herrschaften der Sphinx bei einer solchen Darbietung reagiert hätten. Ob es einen von ihnen direkt dazu verleitet hätte, mit seinem Schwert auf sie loszugehen… oder wie Liam gerade vollkommen richtig anmerkte, sich mit seinem Urin auf ihr ergoss.
Erst jetzt bemerkte sie wieder das Brennen in ihren Nasenflügeln, das sie vor lauter Euphorie vollkommen ignoriert hatte. Rümpfte die runde Spitze, kaum dass der hohe Körper des Lockenkopfes an ihr vorbei schritt und sie ihm mit geschürzten Lippen folgte. An und für sich waren Dreck und Schmutz nichts, was sie sonderlich störte. Doch dieser Geruch nach Furcht kitzelte wie Benzin unangenehm in ihrer Nase. Zu gern wäre sie einfach in einen See gesprungen oder über eine große Fläche Moos gerollt. Doch hier gab es außer Dunkelheit, Staub und Erde aus längst vergangenen Zeiten nichts, womit sie sich rein waschen konnte. Wortwörtlich.
Während der Dunkelhaarige bereits ins Geheimversteck hinab stieg, beobachtete die Jägerin ihn eine Weile von der Luke aus. Hockte mit grübelnder Miene am Rand der Öffnung und bettete das Kinn auf die Knie. Die ganzen letzten Tage hatte ihr Leben eine schiere 360° Wendung angenommen, die sie so nie für möglich gehalten hatte. Nicht nur, dass ihre Offenbarung an Enrique eigentlich keine Neuheit für ihn gewesen war, auch entdeckte sie Seiten an sich, die sie nach dem Tod ihrer Familie als ausgestorben geglaubt hatte. Wieso schaffte es dann ein Mensch wie Liam, dessen Miene wie kleine Glühwürmchen im Dunkeln leuchteten, Stück für Stück die kleinen Bruchstücke ihres vergangenen Ichs aus der Tiefe zu ziehen? Kurz kniff Skadi die braunen Augenpaare zu kleinen Schatten zusammen und seufzte. Sie würde es wohl nie verstehen, wenn sie so recht darüber nachdachte. Womöglich war es auch ganz gut so, wenn sie die Dinge einfach geschehen ließ. Ändern konnte sie umhin nichts – schon gar keine Menschen, erst Recht nicht sich selbst. Die Wölfin in ihr würde den richtigen Weg einschlagen, wenn es an der Zeit war. Sie ließ es gern auf den Versuch ankommen.
Raschelnd erhob sich die Jägerin somit wieder zur vollen Größe und beobachtete mit einem halben Grinsen auf dem braun gebrannten Gesicht, den verzweifelten Versuch des Lockenkopfes, so viel Gold und Schmuck wie möglich in seine viel zu kleine Tasche zu stopfen. Sengend heiß schoss jäh eine Idee durch ihren Kopf. Eine Alternative die nicht nur praktisch für ihn, sondern ebenso für sie werden könnte. In fließenden Bewegungen öffnete sie das lederne Bustier um ihre Brust. Löste behände die Laschen und Verschlüsse an der Vorderseite, die daraufhin leise unter ihren Fingerspitzen klimperten. Kurz darauf glitt das grüne Kleid von ihren Schultern. Streifte wie ein Schutzschild über ihre Hüften und entblößte die zerschundene Leinenhose, die sie darunter trug.
“Hey Liam… schau mal ob du daraus irgendwie einen Rucksack basteln kannst.“, rief sie ihm über die Luke gebeugt nach unten, hielt bereits den gefärbten Leinenstoff in den Händen. Ließ ihn dann – prüfend ob er nicht zufällig direkt unter ihr stand – wie ein Kanonengeschoss in die Tiefe fallen. Erst als sie den dumpfen Aufprall vernahm, warf sie sich das verzierte Lederbustier über die Schultern, verschloss die erste Lasche lose und kletterte ins Versteck hinab.
“Hast du schon irgendetwas interessantes entdeckt?“
Kraftvoll stieß sie sich von der Leiter ab und landete wie eine Katze auf dem Steinboden, während sie bereits über die Schulter zu Liam blickte. Zumindest sein Beutel sprach dafür, dass er vielleicht nicht unbedingt seine Bücher, aber reichlich Gold und Silber eingesteckt hatte.
“Ich glaube ich habe irgendwo ein paar Karten und Siegel entdeckt. Wer weiß wofür die mal nützlich sein könnten.“
Nur für einen kurzen Moment behielten die dunklen Bernsteine das Gesicht ihres Begleiters im Blick, ehe sich der dunkle Haarschopf in alle Richtungen wandte und bereits mit den Augen das tat, was sie einen Herzschlag später mit Händen und Füßen nachholte. Immer wieder hob sie eines der schweren Kissen in die Höhe in der Hoffnung, dass sie auf etwas besonders Wertvolles stoßen würde. Doch die Schatulle, die ihr vorhin noch aus dem Augenwinkel entgegen gelächelt hatte, blieb gut getarnt vor ihr versteckt. Dass ihr Busen immer wieder in ihrer Bewegung hinter dem lasch sitzenden Leder hervorblitzte, störte die Nordskov allerdings genauso wenig wie damals, als sie auf Enriques Anmerkung hin ihren einengenden Verband abgenommen hatte. Sie empfand Nacktheit nicht als etwas, wofür sie sich schämen musste. Und sie fand es albern so zu tun, als gäbe es etwas, das sie vor aller Augen geheim halten musste – selbst wenn es auf dem Marineschiff tatsächlich notwendig gewesen war, um zu überleben.
“Ach Mist… die waren hier doch irgendwo.“ Vollkommen von der Suche eingenommen, drehte sie sich langsam um sich selbst. Begutachtete die Kisten und Ablageflächen und erkannte endlich auf einem schief hängenden Regalboden das kleine Kästchen, dessen dunkle Holzverkleidung edel und unheimlich mystisch wirkte.
“Bingo!“ Breit grinsend steuerte sie auf Liam zu, dessen breite Schultern das Regal bis zuletzt vor ihren Blicken verborgen gehalten hatte, umfasste seine Schulter sanft, aber fest mit einer Hand und streckte sich auf ihm abstützend zu der Holzbox hinauf. “Hab ich dich endlich.“
[In einem Tunnel unter der Erde | direkt bei Liam]