01.05.2019, 20:00
Liam folgte ihr wortlos, mimte ihre Bewegungen wie selbstverständlich und verhielt sich so leise, dass Skadi ein zwei Mal vom Pfad absah, um nach ihm zu sehen. Es war erstaunlich wie gut er sich ihrem Tempo anpasste. Ihre letzten Unternehmungen mit Trevor waren nämlich alles andere als „erfolgreich“ gewesen. Der Trampel hatte jegliche Pfade verlassen und ihr eine unnötige Hetzjagd aufgezwungen, die darin gipfelte, dass sie ihm nur noch einen Stein an den Kopf warf, damit er nicht blindlings in eine Schlingfalle hinein tappte. Eine Gesellschaft wie Liam war somit eine willkommene Abwechslung. Denn ganz offensichtlich war der Musiker jemand, mit dem man arbeiten konnte. Der von allein sehr gut verstand, dass ihre Vorsicht in diesem Moment angebracht war und handelte entsprechend. Das legte die Hoffnung nahe, dass sie im Fall der Fälle ein gutes Team bilden würden.
Je weiter sie voran durch die Dunkelheit auf das Licht zusteuerten, desto klarer wurden die Worte, die an ihr Ohr drangen. Skadi verstand nur Bruchstücke der Unterhaltung, versuchte den Tonuswechsel zu zählen und daran abzulesen, wie viele Kinder sich in dem kleinen Kabuff am Ende des Ganges befanden. Doch die wenigen Worte, die sie in sich aufnahm, reichten vollkommen aus, um die Geschichte des bösen Kapuzenmannes bildlich vor Augen zu haben. Kurz blinzelte sie zu dem Lockenkopf hinüber, der ihr gegenüber auf der anderen Seite des Ganges hockte. Schüttelte grinsend den kurz geschnittenen Schopf und erhielt daraufhin prompt ein abwehrendes Schulterzucken. So viel also dazu, dass Ryan mit einem blauen Auge davon kommen würde. Irgendwie schollt sie sich immer noch für diese unbedachte Aussage und biss sich jäh auf die Unterlippe. Noch einmal sollte ihr dieser Fehler nicht unterlaufen. Auch wenn Liam dabei fast in Tränen ausgebrochen war. Vor Lachen.
Wie eine Katze schlich sie nun dem Älteren hinterher. Grinste angesichts des offensichtlichen Missmuts der Jungen über ihre Ausbeute und blieb auf der anderen Seite der Luke stehen. Schob vorsichtig ihre funkelnden Augenpaare über den Rand und bemaß den schummrig ausgeleuchteten Raum unter sich. Zahllose Kissen und Kisten türmten sich zu allen Seiten. Der Schatz, der ein Stockwerk tiefer schlummerte, musste sich über Monate angehäuft haben. Skadi mochte sich nicht ausmalen auf wie vielen Streifzügen die Bande unschuldige Passanten bestohlen haben mussten. Ob das wirklich nötig war? Zumindest bezweifelte sie es in Ansätzen, wenn sie so der Unterhaltung lauschte, die in ein Glucksen übergegangen war. Erst im zweiten Schritt erspähten die aufgeweckten Bernsteine die fünf Kindsköpfe. Einer von ihnen stand direkt unter ihr, zwei weitere lümmelte sich gemütlich auf einem der hohen Kissenberge, während die anderen drei um eine Kiste voller Schmuck herum lungerten und gierig darin herumzuwühlen begannen. Und nicht einer von ihnen hatte sie bisher bemerkt. Prüfend hob Skadi den dunklen Haarschopf und erkannte just in dem Moment, als sich ihre und Liams Blicke trafen, dass er wohl denselben Gedanken hegte wie sie. Ein zuversichtliches Grinsen umspielte ihre Mundwinkel, ließ das Funkeln in ihren Augen erneut aufblitzen und wie ein Lauffeuer durch ihren schmalen Körper fahren. Fast beiläufig rieb sie die Finger der rechten Hand über den staubigen Boden. Fuhr sich mit Zeige- und Mittelfinger wie bei einem Ritual über Stirn und Kinn und hinterließ eine dunkle Spur auf der braun gebrannten Haut. Tat selbiges über ihren Augen, die nun bedrohlich dunkel wirkten. Wenn sie diesen Kindern schon eine Heidenangst einjagen sollte, dann so richtig. Entfernte sogar das Band von ihrem Kopf und zerzauste die dunklen Strähnen zu einer wilden Mähne, ehe sie sich voraus beugte und ohne zu zögern auf dem Musiker mit beiden Händen von der Innenseite seiner Wangen nach unten zu den Ohrlämpchen dunkle Staubmale hinterließ. Lautlos formte sie das böse Knurren und Fauchen eines Tieres. Musterte ein letztes Mal das Antlitz ihres Begleiters, bevor sie sich mit einem ohrenbetäubenden Lärm durch die Luke hinab stürzte.
Wie zu erwarten erstarrten die Kinder augenblicklich in ihrer Bewegung. Hoben verwirrt blinzelnd die Köpfe, während sich Skadi mit aufgerissenen Augen bereits auf einen stürzte und ihn wie ein tollwütiger Schatten laut knurrend mit den Armen umschlang. Schrillend stieß der Schrei des Jungen durch den Raum – auch wenn Skadi nichts anderes tat als ihren Kopf in seiner Halsbeuge zu vergraben und fest mit Nase und leicht geöffneten Lippen dagegen zu drücken. Doch es reichte, damit er panisch zu strampeln begann und glaubte, er würde alsbald sterben. Während einer bereits Reiß aus nahm, standen die anderen unsicher auf ihrem Posten.
[In einem Tunnel unter der Erde | erst direkt vor Liam, dann eine Etage tiefer bei 5 Kinderdieben]