01.05.2019, 00:51
Erst, als er den Mund wieder geöffnet hatte, um weiterzureden, machte er sich Gedanken darüber, was Skadi gerade gesagt hatte, um seine Annahme auszumerzen. Etwa in der Mitte seines Satzes wurde er plötzlich langsamer mit seinen Worten, strauchelte und taxierte das Gesicht der jungen Frau mit schmalen Augen und einem skeptischen Blick, den er auch beibehielt, nachdem er geendet hatte. Und Skadi hatte nichts besseres zu tun, als eben genau so dreinzublicken, wie Stimme und Wortwahl zuvor noch ein Hauch von Interpretationsfreiheit gelassen hatten. In seinen Mundwinkeln zuckte es, doch er senkte schnell wieder den Blick zurück zum Saum ihres Kleides. Ausnahmsweise hatte er nämlich nicht vergessen, was er hatte tun wollen.
Als er sich schließlich wieder an seinem eigenen Brotlaib festhielt, während Skadi ihr neues Outfit prüfte, folgt er ihr kauend mit dem Blick. Auch, wenn es keine große Kunst gewesen war, schien die Kurzhaarige tatsächlich verzückt von ihrer wiedererlangten Bewegungsfreiheit. Dankbar nahm sie seine vorherige Wortwahl auf, die Liam mit einem Lächeln und einem edlen Kopfnicken entgegennahm. Himmel, dieses steife Gehabe hatte etwas, wenn man es aus Spaß tat, war ihm jedoch unvorstellbar als Alltagsplänkelei. Wäre er in anderen – adligen – Kreisen auf die Welt gekommen, wäre er wohl früher oder später wegen mangelnder Manieren auf der Gosse gelandet und das obwohl er ganz offensichtlich noch zu den besser erzogenen Menschen gehörte. Mit zufrieden verrichteter Arbeit war er bereit, sich nun der Kinder anzunehmen. Im Gegensatz zu Skadi hatte er zwar noch einen beachtlichen Teil seines Mittagessens in der Hand, aber er rechnete auch nicht damit, dass die Zwerge sich direkt im Eingang der Gasse blicken lassen würden. Bevor sie sich ein Bild von der Lage machen konnten, machte es sowieso keinen Sinn, irgendwelche Vorkehrungen zu treffen – er würde also noch genug Zeit haben, sein Bort zu ende zu essen. Sollten sie widererwarten doch zeitnah auf die Scharr Diebe treffen, wusste er aber auch Prioritäten zu setzen. Kaum hatte er auf die Gasse zugesteuert, hörte er Skadis Stimme hinter sich. Einen wirklichen Plan hatte er nicht und eigentlich war er auch eher der spontane Typ, wenn es darum ging, solche Angelegenheiten zu klären.
„Ich bin eher der spontane Typ.“, ging er schließlich auf ihre Zweideutigkeit ein, klang dabei aber nicht einmal annähernd so verrucht wie sie zuvor. Dennoch hörte man ihm an, dass ihm durchaus bewusst war, dass man seine Aussage verstehen konnte, wie man wollte. „Aber was die Kinder betrifft, würde ich sagen, wir warten mal ab, was sich so ergibt. Wenn wir Pech haben, fehlt uns die Möglichkeit, wirklich an sie heranzukommen, weil gut betuchte Eltern über sie wachen.“
Überlegend legte sich sein Finger über seine Lippen, als auch er aufgegessen hatte. Inzwischen waren sie bereits wieder ins Zwielicht der Gasse getaucht und Liam hatte automatisch die Stimme gesenkt. Anfänglich machte nichts den Anschein, dass sich hier irgendjemand anders als sie befand. Erst, als sie die geschäftige Straße weit in ihrem Rücken gelassen hatten, waren leise Stimmen hörbar, die gedämpft an ihre Ohren drangen. Und wenn man genau hinhörte, konnten es gut möglich wirklich Kinderstimmen sein. Liam hielt inne und hob die Hand, um Skadis Aufmerksamkeit zu schüren. Einige Meter weiter schien sich die Gasse in zwei Richtungen zu teilen.
„Ich glaube jedenfalls nicht, dass wir uns an so einem Ort Sorgen um irgendwelche Eltern machen müssen.“, flüsterte er mit einem Grinsen und die kindliche Vorfreude funkelte wieder in seinen Augen auf, als er sein Gesicht Skadi zuwandte.
Langsam nährte er sich der Ecke. Die Stimmen schienen von links zu kommen, doch bei einem flüchtigen Blick um die Mauer herum, konnte er niemanden sehen. Stattdessen schien dort eine Art Kanal zu sein. Ein kleines Geländer markierte den Rand, rechts schien eine kleine Treppe hinab zu führen. Liams Augenbrauen schoben sich nachdenklich zusammen, seine Lippen zierte ein zufriedenes Lächeln.
„Scheint, als hätten wir ihr Geheimversteck gefunden.“