25.04.2019, 18:04
Er musste die Fremde wohl aus ihren Gedanken aufgeschreckt haben, den sie zuckte erst zusammen und machte dann eine regelrechte Fluchtbewegung. Sie erinnerte ihn an eine Straßenkatze, scheu und in ständiger Erwartung von Steinwürfen, oder vielleicht an einen Schmetterling, der sich auf den Rand einer Blüte setzte, aber bereit war, beim kleinsten Windhauch wieder fort zu schweben.
Elian hob beschwichtigend die Hand mit seiner Geige, als wolle er ihr zeigen, dass er keine Waffen trug - auch wenn das klar sein müsste - und wartete auf ihre Antwort. Ihr gehetzter Blick in die Runde verstärkte den Eindruck eines Mädchens, das sich vor etwas fürchtete. Vielleicht vor ihm. Er war immerhin ein fremder Mann, der sie unverhofft angesprochen hatte, und trug für seinen Landgang diesmal nur eine zivile Jacke, so dass sie auch die Abzeichen der Marine nicht beruhigen konnten.
Die Art, wie sie offenbar Für und Wider von Flucht oder weiterem Zuhören abwog, ließ ihn schmunzeln. Mal bewegte sie sich wieder leicht vorwärts, dann wieder zurück, vor und zurück, ein Stück Treibholz direkt am Strand, nie ganz auf dem Sand und nie vollkommen im Wasser.
"The Parting Glass?" Er musste tatsächlich kurz überlegen. "Das ist... Jahre her... Moment." Er summte die Melodie leise vor sich hin, murmelte ein paar Zeilen, die ihm wieder einfielen. "Ja... doch, ich denke, das bekomme ich hin, solange du den Text übernimmst."
Er hob die Geige wieder ans Kinn und zupfte den Chorus einmal probeweise an, ehe er den Bogen ansetzte und eine kurze Einleitung spielte. Diesmal schloss er die Augen nicht, weil er sich in der Musik verlieren wollte, sondern um sich auf die nötigen Fingergriffe zu konzentrieren. Erst als er ans Ende der ersten Strophe kam, wagte er es, freier zu werden. Der Refrain kam sicher und gelöst, bereits voller Sehnsucht nach den Freunden, von denen sich der Sprecher des Lieds trennte, und doch auch voller Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen. Es war ein schönes Lied, er wunderte sich über sich selbst, dass er es noch nicht öfter gespielt hatte. Nach einer zweiten Strophe wiederholte er die erste, hauptsächlich weil es ein Wunsch gewesen war, und traute sich dabei wieder in eine Improvisation.
Zwei und dann eine dritte Saiten schwangen in vorsichtiger Harmonie, die Illusion eines vollen End-Akkords. Jetzt fehlte Rhys besonders, denn Mehrstimmigkeit fiel ihm allein doch immer schwieriger als das Harmonisieren mit einem zweiten Spieler.