25.04.2019, 08:48
Eigentlich konnte er nur darüber schmunzeln, wie schwer der jungen Frau allein die Wahl des frühen Mittagessens fiel. Er selbst hätte sich wohl mit allem begnügt. Besonders was Essen anging, war er nicht unbedingt wählerisch. Es gab eben, was greifbar war – oder was der Geldbeutel eben hergab. Dem Luxus also, hier eine gewaltige Auswahl an heimischen und fremden Speisen gewann er nicht die Qual der Wahl ab, sondern die Möglichkeit, von vielem probieren zu können, solange es der finanzielle Zustand zuließ. Skadi setzte da andere Prioritäten. Der Lockenkopf allerdings hatte keinen Grund, ihr die Wahl zu nehmen. Sollte sie ruhig etwas aussuchen, was sie ansprach; er war mit allem zufrieden.
„Dafür sind doch all die Stände da. Damit man möglichst viel probieren kann. Da ist ‚satt‘ eher ein Hindernis.“, warf er amüsiert einen anderen Blickwinkel der Dinge ein, machte aber weiterhin keine Anstalten, sie von ihrem Auswahlverfahren abzuhalten.
Anfangs folgte er ihren Bewegungen mit den Augen, während er langsam die Straße hinunterschlenderte und die Arme hinter dem Kopf verschränkte. Wie ein stöbernder Hund kreiste sie um ihn herum und besah sich die Angebote der umgebenden Essensstände, ohne eine Entscheidung zu treffen. Ja, manchmal war Auswahl eben doch eher hinderlich als förderlich, doch Liam hatte Zeit. Irgendwann wanderte sein Blick selbst über die vielen Stände, die zwischen zubereiteten Leckereien, ganz gleich ob süß oder herzhaft, Handarbeit und andere Dinge unter die Leute brachten. Ein paar Schritte entfernt von einem kleinen Ständchen mit Tonerzeugnissen blieb er stehen und fixierte eine flatternde Ecke eines vermeintlichen Flugblattes, welches harmlos am Boden lag. Irgendetwas allerdings machte ihn stutzig daran. Während Skadi wieder zur anderen Seite pendelte, bewegte er sich auf das Stück Papier zu und hob es auf. Es war kein Flugblatt und auch keines der Blätter, von dem ihm Aspens Gesicht entgegenstarrte, sondern eine Zeichnung von einer Waldlichtung mit einem gewaltigen Berg im Hintergrund, die er recht schnell als seine eigene erkannte. Nach einem kurzen Plausch mit dem Standinhaber des Tonstandes hatte er auch alle Informationen, die er benötigte und wandte sich wieder gen Straßenmitte. Überrascht stellte er fest, dass Skadi sich offenbar inzwischen entschieden hatte, denn in dem Moment, in dem er selbst wieder mitten auf dem Weg stand, drehte sie sich mit dampfendem gefülltem Brot entgegen. Dass er kurz zuvor einen recht reizenden Anblick verpasst hatte, ahnte er nicht im Geringsten. Als sie ihm das Brot entgegenstreckte, nahm er es dankbar entgegen und schnupperte daran.
„Der Nachtisch geht dann auf mich. Danke.“, beschloss er und suchte nach einer Brothaltung, die die Füllung so gut es ging im Mantel halten würde, während er den ersten Biss nahm. Die wiedergefundene Zeichnung hatte er noch immer zwischen zwei Finger geklemmt. Eine kurze Pause mischte sich in ihre Gespräche, während sie beide ihr erstandenes Essen genossen, ehe Liam schluckte und wieder die Stimme erhob. „Sag mal, wie stehst du eigentlich zu Kindern?“
Fragend fixierte er seine Begleiterin und bemerkte nicht, dass man seine Frage auch durchaus falsch verstehen konnte. Viel Zeit bis zu einer näheren Erklärung ließ er sich allerdings auch nicht, bis er mit dem Kopf in die grobe Richtung des Tonstandes deutete, hinter dem sich wenige Meter weiter hinten bereits wieder eine Gasse zwischen den Häusern entlang zog.
„Irgendwo dahinten müsste eine Gruppe darauf warten, die Ohren langgezogen zu bekommen. Die haben mir vorhin meinen Seesack zerschnitten und waren offenbar nicht sonderlich erfreut über ihre Beute. Scheint, als wären sie durch diese Gasse verschwunden. Jedenfalls wenn man dem Tonmann glauben kann.“
Er löste die Hand mit der Zeichnung von seinem gefüllten Brot, um Skadi zu zeigen, wie er auf diesen Verdacht kam.
„Nicht, dass es noch viel gewesen wäre, aber so eine kleine Lektion… Und wer weiß, was sie sonst noch so stibitzt haben.“
Ein Lächeln, dem man durchaus Vorfreude zuschreiben konnte, zierte seine Lippen, ehe er einen weiteren Biss der Speise in seiner Hand nahm.