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Kapitel 5 - Melodie des Frühlings
Crewmitglied der Sphinx
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dabei seit Feb 2016
Er hatte mit nichts Speziellem gerechnet. Mit einem Stück Papier eben, einem Vertrag vielleicht, irgendeinem Geheimnis, dass für irgendwen in der Ersten Welt unheimlich viel Bedeutung hatte, für ihn aber vollkommen wertlos war. Als er die Lederschatulle geöffnet hatte und sie zur Seite kippte, um den Inhalt hervorzulocken, zog er die Hand erschrocken zurück. Eine eisige Kälte war ihm über die Finger geflossen wie frisches Gletscherwasser in bergigen Höhen, welches sich unwirklich blau schimmernd erbarmungslos einen Weg durch Eis und Felsen bahnte. Aus Reflex hatte er die Öffnung des ledernden Behältnisses wieder nach oben gedreht, als wolle er verhindern, noch mehr dieses eigenartigen Inhalts zu verschütten. Eigenartiger Weise aber waren weder seine Finger noch der Boden feucht. Nur die klirrende Kälte hielt seine Hand noch immer in ihrem Griff und ließ ihn erschaudern. Was auch immer er da gefunden hatte – es war definitiv keine gewöhnliche Schriftrolle. Das rege Treiben auf dem Brunnenplatz wenige Meter von ihm entfernt hatte er komplett ausgeblendet. Abermals riskierte er einen kurzen Blick in das Behältnis. Die eisige Luft schlug ihm abermals entgegen, doch er konnte – abgesehen von der Pergamentrolle nichts anderes darin erkennen. Als er das Papier herausholte, dämmerte es ihm, dass nicht die Lederschatulle, sondern das Papier selbst Ursprung dieser eigenartigen Kälte zu sein schien. Es fühlte sich schon fast unangenehm kalt an zwischen den Fingern. So geheimnisvoll sie von außen allerdings wirkte, so schweigsam war das, was auf ihr abgebildet war. Auch bei genauerem Hinsehen konnte er nicht mehr als das kleine Symbol eines Kompasses darauf finden, der ihm nicht mehr sagte, als die richtige Ausrichtung des leeren Blatt Papiers. Aber auch eingenordet blieb eine leere Karte ähnlich nutzlos wie ein Buch ohne Buchstaben.

Ehe er sich allerdings weiter daran machen konnte, dem Geheimnis auf die Spur zu kommen – irgendetwas musste da ja sein! – hörte er Schritte hinter sich, die näher zu kommen schienen. Er wandte den Kopf nicht herum, hatte aber mit Sicherheit nicht vor, dieses spannende Fundstück direkt wieder von irgendeinem Dieb abjagen zu lassen. Mit ruhigen Bewegungen rollte er die Karte wieder so zusammen, dass sie zumindest in die Schatulle passte und schloss das Lederbehältnis leiste, um keinen Verdacht zu erregen. Erst, als die Schritte recht dicht hinter ihm waren, sah er auf und wandte sich langsam um. Langsam, um genug Zeit zu haben, den kleinen Schatz mit einer unauffälligen Bewegung hinten in seinen Hosenbund zu stecken und es hinter seinem Leinenhemd zu verbergen. Mit der anderen Hand machte er sich bereit, nach seinem Dolch zu greifen, wenn es denn nötig war.

In diesem Moment hatte er eigentlich mit Ryan gerechnet, wenn er ehrlich zu sich selbst war. Oder dem alten Kauz, der sein Hab und Gut suchte. Es war aber weder der eine noch der andere. Die Haltung des Lockenkopfs entspannte sich allerdings ziemlich schnell wieder, als er erkannte, wer da vor ihm stand. Und obwohl er das Gesicht des Blondschopfes erkannte und wusste, dass es keinen Grund zur Sorge gab, starrte er der Gestalt noch einige Sekunden länger stumm entgegen, als gäbe es gewaltige Zweifel daran, dass es sich dabei wirklich um Skadi handelte. Aber auch bei längerer Betrachtung und trotz der nicht ganz passenden Erscheinung kam er zu selbigem Schluss.

„Ska- Skadi?“

Seine Stimme deutete dennoch mehr auf eine Frage hin als auf eine richtige Begrüßung, während die Überraschung wohl deutlich und ehrlich in seinem Gesicht stand – begleitet von einem erfreuten Lächeln allerdings, während er sie abermals von oben nach unten musterte. Auf eine freundliche, aber durchaus positiv überraschte Art und Weise und nicht auf die gierige, habgierige Art, die die meisten Männer praktizierten. Er war deutlich überrascht davon, sie so anzutreffen. Bislang hatte er sie lediglich in ‚Kaladar‘-Klamotten zu Gesicht bekommen. Nichts, was ihn groß kümmerte, doch er musste gestehen, dass dieser Anblick durchaus etwas für sich hatte. Für den Moment hatte er sogar das eisige Leder in seinem Rücken vergessen. Jetzt, wo er allerdings genauer hinsah, fiel ihm nicht nur das figurbetonte ungewohnte Kleid an ihr auf, sondern auch die Schnitte und Kratzer an den Armen. Sein Lächeln verblasste etwas und seine Stirn zog sich leicht besorgt in Falten.

„Was ist passiert?“

In just dem Moment erklang hinter ihnen vom Brunnenplatz her ein Schuss, der den festlichen Trubel scharf durchschnitt. Liam zuckte zusammen und wirbelte herum. Der Schuss war zwar nah, aber nicht in unmittelbarer Nähe. Das Treiben auf dem Brunnenplatz, den er von seinem Standpunkt aus sehen konnte, hatte allerdings innegehalten. Der Lockenkopf zählte die Indizien zusammen, wandte sich wieder um und brachte auch die letzte Distanz, die zwischen Skadi und ihm gelegen hatte, hinter sich.

„Hast du was damit zu tun?“, fragte er letztlich mit einem schiefen Grinsen bei ihrem Anblick. „Komm, wir bringen uns erstmal aus der Schussbahn.“ Jetzt, wo er unmittelbar vor ihr stand, fiel ihm aber auch auf, dass ihr Gesicht etwas gerötet wirkte. Ganz so, als hätte sie geweint. Diese Annahme allerdings passte nicht ganz zu dem Bild, was sie jetzt darstellte: vielleicht ein wenig erschöpft, aber so selbstbewusst und standhaft wie immer. „Ist… alles okay?“


{ Skadi | Seitengasse am Brunnenplatz}
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