06.04.2019, 19:00
„Oh“, meinte Sylas mit einem kühlen Ton, als er hinter sich nicht nur eine Stimme vernahm, sondern auch die Worte ziemlich deutlich an sein Ohr drangen. „Es scheint, als könnten wir uns die Suche nach deinem Bruder sparen. Immerhin kommt er dir gerade heldenhaft zur Rettung.“ Dabei gab es hier eigentlich nicht viel zu retten, was aber in Augen anderer durchaus anders wirken konnte. Das einzige was er hier gerade wollte, war eine Antwort. Nicht mehr und nicht weniger. Langsam wandte sich Sylas der Stimme zu, die seine Unterhaltung mit der jungen Frau unterbrochen hatte, aber ohne der Aufforderung sich von ihr zu entfernen nachzukommen. Langsam ließ er seinen Blick musternd über den jungen Mann wandern. „Eine große Klappe scheint offenbar in eurer Familie zu liegen“, stellte Sylas humorlos fest und warf der jungen Frau schräg neben sich einen kurzen Blick aus den Augenwinkel zu. Natürlich hatte der junge Mann eine Waffe in der Hand und war somit im ersten Moment im Vorteil, Sylas wusste allerdings von den Nachteilen einer Schußwaffe, so besaß er doch selbst eine. Somit war die Nähe zu der jungen Frau zum aktuellen Zeitpunkt nicht mehr ihr gewidmet, sondern einzig und alleine seines Schutzes. Solange er dafür sorgte, dass sie in seiner Nähe verblieb, war das Risiko, dass der junge Mann einen nervösen Finger bekam, relativ gering. Welcher Bruder ging schon freiwillig das Risiko ein seine eigene Schwester zu treffen? Es war reine Kalkulation ohne Gewissheit, dass die Rechnung am Ende auch aufgehen würde.
„Dann sollten sich seine Drei vielleicht mit meinen zusammentun“, entgegnete er nur trocken der dunkelhaarigen jungen Frau, welche hinter dem Bruder auftauchte und der Ansicht war, sich an diesem Wortwechsel zu beteiligen. „Ansonsten ... unschöne Sache.“ Sein Blick verharrte einen kurzen Moment auf dem Gesicht der jungen Frau, ehe er wieder zu dem Bruder wanderte. „Weißt du eigentlich, auf wen du da gerade zielst?“, kam es fragend und vollkommen ruhig über seine Lippen, aber in dem Tonfall wie er die Frage gestellt hatte, war offensichtlich, dass er darauf keine wirkliche Antwort erwartete. „Du zielst auf den Mann, der deine Schwester vor großem Unheil bewahrt hat, nachdem sie sich leichtsinnig in Gefahr gebracht hat.“ Kurz und trocken lachte Sylas auf, schüttelte dabei langsam den Kopf und verschränkte anschließend locker die Arme vor seinem Oberkörper. „Ich hab keine Ahnung wie lange ihr schon hier seid, aber dennoch sollte in eurem Kopf eine Glocke bei dem Namen Thomas Morrigan läuten. Ein Schläger mit zu viel Einfluss und zu vielen Rechten hier. Hat die unschöne Angewohnheit die Leute erst grün und blau zu prügeln, ehe er sie der Obrigkeit übergibt und“, Sylas machte eine Pause und deutete mit einem leichten Nicken des Kopfes in die Richtung der jungen Frau hinter sich. „Frauen droht weitaus schlimmeres.“ Er verlagerte sein Gewicht auf einen Fuß, während er aufmerksam seine Umfeld im Auge behielt und jederzeit bereit war zu reagieren. Es war der Überlebensinstinkt in ihm, der ihm so viele Male das Leben gerettet hatte und von dem so manch einer schon gesagt hatte, dass er damit jedem Raubtier Konkurrenz machen würde. „Deine Schwester hat sich nicht nur mit ihm angelegt, sondern ihn auch verletzt. Kam dann zu mir und erzählte mir, dass ich derjenige wäre, den sie gesucht hätte und mich ihren angezettelten Ärger hat austragen lassen“, erzählte Sylas ruhigen Tonfalls weiter. „Somit ist es letzten Endes mir zu verdanken, dass deine Schwester jetzt nicht von seinen Handlangern geschändet in irgendeinem dunklen, dreckigen Loch liegt.“ Wieder legte Sylas eine Pause ein, damit das eben von ihm gesagte seine Wirkung entfalten konnte und den Anwesenden hoffentlich klar wurde, und ganz besonders der jungen Frau, in was für einer Situation sie sich vor wenigen Minuten wahrhaftig befunden hatte. Vermutlich war es ihr zu diesem Zeitpunkt nicht klar gewesen, doch jetzt sollte es ihr hoffentlich klar geworden sein.
Es war schließlich das Tippen an seinem Arm, welches ihn dazu brachte seinen Blick wieder direkt auf die junge Frau zu richten und den Bruder für einen Moment aus den Augen zu lassen. „Kleine“, meinte er und drehte die Augen nach oben. „Wenn ich vorgehabt hätte dir weh zu tun, dann hätte ich es schon längst getan.“ Und das war die absolute Wahrheit. Sylas machte nicht wirklich einen Unterschied zwischen Mann und Frau, wenn auch man durchaus sagen konnte, dass Frauen durchaus etwas mehr Spielraum besaßen. Aber sie besaßen nicht Narrenfreiheit, nur weil sie Obenrum etwas zu bieten hatten. Wer sich mit ihm anlegte, der musste die Konsequenzen tragen. Männlein, wie auch Weiblein.
„Das einzige was ich gerade von deiner Schwester hier wissen wollte ist, warum sie ausgerechnet mich angesprochen hat und woher sie mich offenbar kennt. Nicht mehr und nicht weniger und du“, richtete er sich wieder an den Bruder, der unvermindert mit der Waffe auf ihn zeigte. „Kannst dich jetzt entscheiden, ob du das Ding in deiner Hand wegsteckst oder ob du weiter auf den Mann zielst, dem du das unbeschadete Leben deiner Schwester zu verdanken hast und der dank ihr jetzt ein ziemlich großes Problem auf dieser ziemlich beschissenen Insel hat.“ Er hatte in den vergangenen Monaten öfters mal für kleineren Ärger gesorgt und somit war sein Gesicht auf dieser Insel für so manche kein unbekanntes. Es würde vielleicht ein Weilchen dauern, ehe man ihn mit diesem Vorfall in Verbindung brachte, aber dieses Weilchen würde ihm ehrlich gesagt auch nicht viel helfen. Er hatte in den letzten Monaten keine Möglichkeit gefunden von diesem Ort weg zu kommen und dann würde er es auch nicht in einem Weilchen hinbekommen. Weder hatte er Bock darauf in einem dunklen Loch zu verschimmeln, noch hatte er vor auf dieser Insel am Galgen zu enden. Für ihn gab es nur einen passenden Ort um zu sterben und der war das Deck eines Schiffes.
[Nahe Brunnenplatz | In einer Seitengasse | Mit Talin, Lucien und Shanaya]