20.02.2019, 02:45
Elian richtete seinen Blick eher zweifelnd nach oben. Er war als Kind regelmäßig von seinem Zimmer über die Dachrinne in den väterlichen Garten hinunter geklettert, hatte sich dabei aber nahezu genauso regelmäßig den Hosenboden zerrissen oder war unsanft darauf gelandet. Sicher, die Marineausbildung hatte ein Übriges getan und er war nicht unbegabt darin, in der Takelage eines größeren Schiffs herum zu kraxeln. Die Höhe machte ihm also nichts aus. Er machte sich eher Sorgen, ob er würde mithalten können.
Andererseits… was war denn die Alternative? Die Wahl hier schien eigentlich ziemlich einfach! Wenn er sich zwischen sicherem Tod am Galgen und Überleben in Freiheit entscheiden musste, dann nahm er das Risiko von Blutverlust, zusätzlichen Schmerzen und im schlimmsten Fall einem gebrochenen Genick gerne in Kauf!
„Zerbrecht euch mal nicht meinen Kopf,“ versicherte er sich selbst ebenso wie seinen Gefährten. „Ist nicht das erste Mal, dass ich Fersengeld gebe, und wird sicherlich nicht das letzte Mal sein.“
Hoffe ich jedenfalls. Er nahm sich im Stillen vor, dass er den Letzten machen würde. Auf die Art und Weise mussten sie ihn notfalls zurücklassen, wenn er einen Fehltritt tat, ohne viel Zeit mit sinnlosen Diskussionen zu verschwenden. Oder am Ende sinnlos Helden spielen, um mir weiterzuhelfen. Während er so dachte, wanderte sein Blick wie von selbst auf Aspen. Aspen… früher einmal hättest du dir lieber die Haut abziehen lassen, bevor du mich zurücklässt und dich selbst rettest... Ich kann nur beten, dass die Jahre dich selbstsüchtiger gemacht haben. Oder wenigstens klüger. Wohl eher nicht. Nichts konnte seinen Bruder verderben, Elian war leider felsenfest davon überzeugt. Ja, gut, Aspen war bei Vater in die Lehre gegangen, während Elian seine Zeit auf der Akademie und diversen Schiffen verbracht hatte. Und wenn Vater eines gekonnt hatte, dann, auf seine eigenen Interessen zu schauen. Vielleicht war ja doch ein kleines Bisschen davon hängen geblieben? Genug zum Überleben? Oh, bitte, Göttin.. Aber nein. Nein, Aspen hatte schon als Bengel nichts mit ihrem Vater gemein gehabt. Er war immer besser gewesen als alle anderen. Nichts konnte sich daran geändert haben, egal, wie viel Zeit verstrichen war. Ein wunderschöner Gedanke, aber leider gleichzeitig auch extrem unpraktisch in der aktuellen Situation.
Dieser Gedankengang wurde abrupt beendet, als hinter ihnen eine Stimme erklang. Im ersten Moment löste sie in Elian nur einen erneuten Panikschub aus. Er versteifte sich wie ein verschrecktes Kaninchen, bereits im Begriff, los zu rennen, egal wohin. Die Marineuniform, die er aus dem Augenwinkel erspähen konnte, half nicht wirklich, aber dann sah er, dass der Soldat keine Waffe gezogen hatte.
Irgendetwas stimmte nicht. Elian wusste nicht wieso, aber sein Herz schlug mit einem Mal schmerzhaft schnell und die Gasse verschwamm vor seinen Augen. Blut rauschte in seinen Ohren und übertönte den genauen Wortlaut dessen, was der Uniformierte gesagt hatte. Was passiert hier? Vermutlich hatte er sich den Kopf angeschlagen, als er mit dem Kind im Arm gestrauchelt war, richtig? Er halluzinierte Dinge, die nicht da waren, das war die einzige Erklärung. Stimmen von Toten.
Elian blinzelte, drehte sich um, aber er bekam das Gesicht des Fremden gar nicht erst zu sehen. Aspen hatte sich bereits auf ihn gestürzt und die beiden waren für den nächsten Moment ein Knäuel aus Armen und Beiden.
Normalerweise wäre Elian sofort dazwischen gegangen oder hätte Aspen bei der Prügelei geholfen, oder wäre in irgendeiner anderen Form effizient oder hilfreich gewesen. Stattdessen stand er da wie angewurzelt und starrte auf die Szene vor sich. Er versuchte, dieses offensichtliche Trugbild mit der Realität in Einklang zu bringen und scheiterte.
Es kann nicht sein. Das hier kann einfach nicht echt sein.
(Scortias, Farley, Taranis und Aspen | In den Gassen)