12.02.2019, 19:10
Ihr Plan wäre mit Sicherheit aufgegangen, hätte Liam sich nicht davon ablenken lassen, zwei oder drei bekannte Gesichter auf der anderen Seite des Platzes erspäht zu haben. Im Endeffekt allerdings ging alles viel zu schnell, um wirklich einen Schuldigen ausfindig machen zu können, weshalb ihnen die Rothaarige entkam. Noch bevor die Wachen, die – ganz wie beabsichtigt – auf sie zugesteuert waren, bei ihnen angekommen waren, hatte eine eigenartige Prozession die Sicht zu ihnen versperrt. Als Liam den Kopf herumgewendet hatte, um die beiden Soldaten wieder ins Auge fassen zu können, hatte er stattdessen den blonden Schopf Talins geglaubt, erspäht zu haben und bei ihr ein unbekannter Mann. Nicht, weil er sich sorgte, sondern mehr aus Neugier hatte er den Hals gereckt und dabei seine eigentliche Aufgabe vielleicht ein wenig vernachlässigt. Im nächsten Augenblick hatte Ryan bereits ein Knie in den verbliebenen Kronjuwelen und die Diebin war geradewegs tiefer in die Gasse hinein verschwunden. Dem Lockenkopf blieb nichts anderes, als ihr überrascht hinterherzublinzeln.
„Eindeutiger Frauen-Schachzug.“, bedauerte er Ryans Kriegsverletzung mit einem Ton, der davon sprach, dass er das Gefühl durchaus nachvollziehen konnte. Aus irgendeinem Grund konnte er dabei nicht anders, als Skadis grinsendes Gesicht vor Augen zu haben.
Sein eigentlicher Plan wäre nun gewesen, die Drecksarbeit anderen zu überlassen. Wenn sie auch Ryans Geld nicht zurückbekommen hatten, so sollte sie es auf jeden Fall nicht ganz so einfach gemacht bekommen, hier weiter ihr Unwesen zu treiben. Zum Glück hatte ihr Auftritt nur allzu perfekt in die Geschichte gepasst, die er zuvor gesponnen und die Ryan so gekonnt untermalt hatte. Die Soldaten würden mit Sicherheit genug Grund haben, zu verhindern, eine Geisteskranke nicht zu lange alleine durch ihre Stadt irren zu lassen. Dementsprechend drehte er sich bereits mit einem möglichst verzweifelten Blick zurück zum Platz, um die Soldaten dort in Empfang zu nehmen, als er mitten in der Bewegung innehielt und überrascht feststellte, dass Ryan bereits losgelaufen war, um das Ganze selbst in die Hand zu nehmen. Dabei verfehlte er (ob gewollt oder ungewollt) nur knapp einen eigenartig gefärbten Papagei, dessen Worte er nur noch am Rande mitbekommen hatte. Respekt für seine Redekunst.
„Er hat dich beim Wort genommen, huw?“, entgegnete er anerkennend an den Vogel gewandt, ehe er sich wieder gen Soldaten wandte, die ziemlich auf sich warten ließen.
Er brauchte einen Moment, bis er die beiden Männer wieder erblickt hatte, die augenscheinlich einen großen Bogen um irgendetwas gemacht hatten, denn nun kamen sie aus einer anderen Richtung. Liam erklärte ihnen möglichst aufgeregt den Umstand seiner erkrankten Schwester Astrid, dass sein Bruder ihr bereits hinterher geeilt war und sie in ihrem Wahn unberechenbar handelte und durchaus dazu neigte, andere zu verletzen. Seinen Bruder beispielsweise hätte sie vor einigen Jahren mit dem Messer im Gesicht erwischt. Wie erwartet nahmen auch sie die Verfolgung durch die Gasse auf, holten noch einmal ein wenig ungehalten mit dem Fuß nach dem Vogel aus und ließen Liam allein zurück. Ihn störte das keineswegs, er hatte immerhin noch eine weitere ‚Mission‘, der er sich annehmen konnte. Selbst, wenn es ebenfalls Ryans Idee gewesen war, Kindern die Süßigkeiten zu klauen. Als er sich wieder dem Platz zuwandte, um dieses Mal den Weg zu nehmen, mit dem sich die Kinder aus dem Staub gemacht hatten, fiel ihm ein älterer, gebrechlich wirkender Mann auf, der nicht unbedingt weit entfernt von ihm am Boden kauerte.
„Kann man dir helfen, alter Mann?“, fragte er kurzerhand und blickte zu ihm hinab.
Seine Kritzeleien würden mit Sicherheit ohnehin den gesamten Fluchtweg der Zwerge spicken. Da änderten ein paar Minuten auch nichts mehr.