02.02.2019, 18:13
Eine GAZELLE? Elian spürte die Hitze auf seinem Gesicht und war sich nicht sicher, ob sie nur vom schnellen Laufen kam. Wenn ich nicht sicher wüsste dass er nicht zu Schmeicheleien neigt…
Seine Füße landeten hart auf dem Kies, nachdem er über die Mauer gesprungen war, und wenig später stand Rhys neben ihm, in etwa so verschwitzt und außer Atem wie er sich fühlte. „Wir haben jedenfalls verdammtes Glück, dass du nicht die ‚meisten Leute‘ bist.“
Für Elian waren sehr viele widerstreitende Gefühle mit dem Bordell verbunden. Immer wenn er nur die Außenfassade sah, stach es durch seine Leibesmitte wie von tausend Nadeln und er hätte sehr viel dafür gegeben, wenn er der Laterne genauso leicht die Nase hätte brechen können wie Fred. Sicher, er hätte sie Angus brechen können – aber einem Mann für die Fehltritte eines anderen, die streng genommen keine waren, etwas zu brechen, war weder gerecht noch angebracht. Außerdem, was konnte Angus – oder Rhys selbst – dafür, dass Elian sich von Margaret und den anderen jungen Frauen hier bedroht fühlte? Sie hatten ihm nie etwas getan, und es war nicht so, als ob Rhys mit ihnen Gedichte diskutiert hätte (als ob sie sich dafür interessiert hätten, pah). Oder mit Elian andere Dinge getan hätte (LÄCHERLICH!). Alles war so, wie es sein sollte… und doch frustrierte dieses Haus Elian wie kein anderes. Gefühle waren selten rational, aber sie waren in der Lage irgendwie erklärbar. Dieses war es nicht.
Und doch hatte er hier die anspruchsvollsten Stunden seiner jungen Arztkarriere verlebt. Angst, Erschöpfung, Freude, Hoffnung, Trauer… sogar ein gewisses „Zuhause“-Gefühl, sobald er durch die Tür in den Salon trat, für das er sich immens schämte... sie alle zerrten an ihm.
Jetzt kam eine neue Emotion hinzu. Er hatte die Laterne von sich aus nie als Zufluchtsmöglichkeit gesehen, aber genau das war sie. Und das bedeutete, dass die Leute in diesem Haus seine Freunde waren. Oder zumindest so etwas wie Verbündete, wenn er in der Marine keine hatte. Es war… besorgniserregend. Wird wirklich Zeit, dass ich von dieser Insel runter komme.
Sie saßen an dem Tisch, rührten in ihren Teetassen, schweigend zunächst. Das leise Scheppern von Rhys‘ Löffel entging Elian nicht, und als er die in Zorn oder Angst geballte Faust seines Freundes auf der Tischplatte sah, konnte er nicht anders, er legte seine eigene Hand darauf, wie um ihn… ja, was? Zu trösten? Zu beschwichtigen? Vielleicht auch nur, weil er selbst diese Berührung jetzt brauchte. Die Ruhe, die er jedes Mal empfand, wenn er Rhys‘ Wärme spürte.
Die Frage traf ihn dann doch unvorbereitet. Erpressung… woher kommt diese ganze kriminelle Energie? Was um alles in der Welt ist auf See mit ihm passiert?! Nein, er hatte gesagt er würde nicht fragen. Also würde er nicht fragen, ehe Rhys nicht bereit dazu war, zu reden.
„Hör zu…“ Ich mag den Gedanken nicht, dass du in Schwierigkeiten gerätst. Ich will dir vertrauen, aber das hier ist… sicher dass es nicht zu weit geht? Nein, alles keine guten Antworten. „Du weißt, wie sehr ich dich-- ich meine, wie gern ich dich habe und welch hohe Stücke ich auf deinen Charakter halte, also nimm das hier um Himmelswillen nicht als Kritik, aber…“ Er atmete tief durch. „Erstens, ich kenne natürlich das ganze Bild nicht, also mag es sein, dass Fred verdient hat, was auch immer du dir vorstellst, aber zu kriminellen Maßnahmen zu greifen ist etwas… harsch als erste Reaktion, finde ich. Wir haben uns beide über sein Verhalten erschreckt und vielleicht überreagiert, aber bisher ist nichts vorgefallen was wir nicht wieder… hinbiegen könnten.“ Die gebrochene Nase nicht eingerechnet, ich hoffe sie bleibt lebenslang schief. „Ich bin bei dir, was auch immer du entscheidest, aber bitte… denke einfach darüber nach, ob das was du planst, die Lage für uns verbessert oder verschlechtert, vor allem falls Fred, du und ich nicht die einzigen Beteiligten in dieser Geschichte bleiben.“