30.01.2019, 23:11
Komm zu den Piraten, haben sie gesagt. Bei uns gibt es noch Kameradschaft, haben sie gesagt. WIR LASSEN NIEMALS JEMANDEN ZURÜCK, HABEN SIE GESAGT!
Um fair zu bleiben: Nein, niemand hatte genau diese Worte verwendet, aber sie waren impliziert gewesen. Tanis konnte auch nicht von der Hand weisen, dass er noch nicht lange genug bei der Crew der Morgenlord war, um wirklich vermisst zu werden, aber er nahm doch an, dass es nicht zu viel verlangt war, dass jemandem auffiel, wenn das verdammte Schiff ohne ihn ablegte, nur weil er sich um ZWEI STUNDEN im Bordell verspätet hatte. Konnte man ihm seine Ausdauer wirklich zum Vorwurf machen? Vermutlich. An Bord der Morgenlord hatte er zur jüngeren Besatzung gehört. Den alten Säcken war das Salz vermutlich schon in den Schwanz gekrochen und hatte dort alles zugekrustet.
Tanis stapfte fluchend durch die Stadt, von dem Treiben nicht wirklich aufgeheitert. Er hatte seinen Geigenkasten auf dem Rücken, ein wenig Geld in der Tasche – nicht ansatzweise die Heuer, die er verdient hatte, verdammte Scheiße – und Wut im Bauch. Und ein Ziel: Er wusste von einem weiteren Piratenschiff, das vor Anker lag. Die Hermes würde ihn hoffentlich mitnehmen und dann brauchte er sich die nächsten paar Monate wieder keine Gedanken um so einen Schwachsinn zu machen, während er versuchte, sich mit der nächsten austauschbaren Crew anzufreunden, deren Tod oder Leben ihm so sehr am Arsch vorbei gehen würde, wie der von Straßenhunden.
Tatsächlich taten ihm die Straßenhunde meistens Leid. Er gab ihnen Futter. Aber er wünschte ja auch den Besatzungsmitgliedern in aller Regel nicht den Tod, es würde also schon irgendwie stimmen.
Er wurde bei seinem Weg allerdings von einem Tumult aufgehalten, der seinen Ursprung am Marktplatz zu haben schien. Tanis runzelte die Stirn, lauschte auf das Pfeifenkonzert, die Schreie, bis er ganz klar heraus hören konnte, worum es ging: Montrose, der Vatermörder, war gesichtet worden. Es war nicht der Montrose, der Tanis in seinen Träumen heimsuchte, auch wenn auch Elian als Vatermörder gesucht wurde. Die Absurdität der Anschuldigung machte Tanis immer wieder stutzig und er hatte eine ganz gute Vorstellung davon, dass er vermutlich Aspen Montrose für diese Situation danken konnte.
Elian – SEIN ELIAN – auf der Flucht. Als Mörder. Deserteur. Es war unvorstellbar was der Mann gerade durchmachte und Tanis hatte nicht die geringste Möglichkeit ihm zu helfen.
Wenn es nach ihm ginge konnte Aspen Montrose also ruhig am Galgen baumeln. Das Problem daran war nur…er erinnerte sich daran, wie Elian von seinem großen Bruder gesprochen hatte. ELIAN würde es ganz und gar nicht gut finden, wenn sein Bruder am Strick hing.
Ich schätze, auf dem verdammten Kahn ist Platz für zwei….wenn er nicht ohnehin schon mit denen unterwegs ist. Und vielleicht kann ich ihn unterwegs von Board stoßen, dann muss Elian von seinem Tod nie erfahren. Ein wunderbarer Kompromiss für alle Beteiligten.
Er folgte der Aufregung und sah dann einen Großteil der Soldaten in Richtung des Flusses laufen. Etwas trieb dort….Fässer vielleicht… Ein anderer Soldat allerdings machte sich auf den Weg in die Gassen. Sah nach einem intelligenten Mann aus.
Tanis folgte ihm und als sie allein in der Gasse waren, kam er auf ihn zugelaufen. „Verzeihen Sie, Sir, ich suche gerade –„
Der Mann drehte sich kurz zu ihm um und wandte dann den Blick wieder ab. „Keine Zeit! Verdammt, wenn Menschen einfach nicht auf die Warnsignale hö-„
Er gurgelte die letzten Worte. Tanis war an ihn herangetreten, hatte ihm von hinten das Messer über die Kehle gezogen und zerrte ihn dann in einen Hauseingang. Es bereitete ihm etwas Mühe dafür zu sorgen, dass nicht zu viel Blut auf die Uniform geriet, aber dafür passte das gute Stück auch nahezu.
Als Wache verkleidet, den Geigenkoffer wieder über der Schulter, schritt er möglichst leise in die Gasse hinein. Die anderen Soldaten waren noch auf Fassjagd, aber vermutlich nicht mehr lange. Die Fässer kamen wohl aus dieser Richtung, dann wäre der logische Fluchtweg….
Er hastete durch die Gassen zu einer der Kreuzungen und sah dann dort drei Männer und ein Kind stehen. Die langen blonden Haaren entsprachen dem Steckbild und das Gesicht erinnerte ihn auf unangenehme Weise an Elian. Wundervoll. Vielleicht würde er ihn doch nicht über Board werfen. Vielleicht würde er ihn erstechen. Weitab von Zeugen.
Die anderen beiden Männer sah er gerade nur von hinten, aber was machte ein Komplize mehr oder weniger aus?
„Lektion Nr. 1, Montrose. Man spaziert nicht an Plätzen mit seinem eigenen Steckbrief auf und ab. Sollte kein schwer zu befolgender Rat sein.“ Er kam näher und schüttelte sich dabei. Das Blut, das in den Kragen gesickert war, verspannte seinen Hals. Ach, was man nicht alles für alte Freunde tat. „Wenn es deinen Bruder nicht traurig machen würde, würde ich mir gebrannte Nüsse für die Hinrichtung besorgen. Gibt es für euch drei andere auch Steckbriefe oder müssen wir uns nur für eine Visage was überlegen?“
[Aspen, Elian, Farley, Scorpio | in den Gassen]