30.01.2019, 22:01
„Vielen Dank!“ Elian beschloss kurzerhand, die Gratulation auch auf seinen Geburtstag zu beziehen, den Rhys vergessen zu haben schien, der Elian aber ohnehin nicht so wichtig war. Klar, man wurde nur einmal 20, aber… egal. Rhys war wieder da, und sie würden das begießen, und dann versuchen gemeinsam eine Heuer zu finden, und wenn die Marine sie nicht gemeinsam einschiffen wollte, konnten sie ja vielleicht beide austreten und sich ein nettes Handelsschiff suchen? Wenn Rhys da mitmachen würde? Oder es in der nächsten Rotation wieder versuchen, so schnell würden sie jedenfalls nicht aufgeben. Sie waren jung, sie hatten ihr ganzes Leben vor sich, und er würde verdammt sein wenn er jetzt nicht langsam mal anfing, für dieses Leben seine eigenen Entscheidungen zu treffen – nicht nur im unmittelbaren, kleinen Rahmen wie bisher, sondern auch in den großen Dingen. Zum Beispiel darin, wer sein Arbeitgeber war und mit wem zusammen er segelte.
Rhys sah wieder so aus, als würde er sich Sorgen machen, aber in seiner Euphorie bekam es Elian gar nicht richtig mit. Und dann nahmen sie beide ihre Instrumente hoch und der Alltag wich mitsamt seinen Sorgen und Problemen der Musik.
Elian brauchte eine Weile, bis er sich die Melodie vollständig abgeschaut hatte, aber dann gelang sie ihm fast augenblicklich. Es war ein leichtes Stück, mit einer inhärent natürlichen Tonfolge, und vielen Repetitionen… und doch war es eine schöne, leicht wehmütige Melodie, die von den beiden Violinen erklang. Nach einer Weile war Elian sicher genug für die Hauptstimme, ließ sogar unterschwellig eine zweite Saite als Begleitung anklingen, und überließ es Rhys, mit spontaner Variation aus dem simplen Lied ein Kunstwerk zu machen.
Das plötzliche Klopfen unterbrach das Zusammenspiel an einer unpassenden Stelle. „Oh, das darf doch nicht wahr sein, ich hab seit sechs Wochen kein Instrument in dieser Stube gespielt und jetzt…“ Für Elian war klar, wer das war: Myers, ein besonders strebsamer Kadett, der auch außerhalb der Regeln Ruhezeiten durchzusetzen versuchte und letztlich allergisch auf alles zu sein schien, das auch nur ansatzweise Spass machen könnte. Elian war sich der Ironie durchaus bewusst, dass er Myers so sah wie Rhys‘ Freunde vermutlich ihn sahen, aber die Tatsache blieb bestehen, dass es gerade Nachmittag war, sich ohnehin nur ein Bruchteil der Kadetten in der Kaserne aufhielten und dass es keine Vorschrift gab, die ihm zu dieser Uhrzeit das Spielen seiner Geige oder Besuch auf seiner Stube untersagt hätte.
„Verdammt, Myers, es ist fünf Uhr!“ Er legte sein Instrument und den Bogen neben Rhys aufs Bett und stand auf, um sich seiner ‚Nemesis‘ (zumindest in diesem Bereich) zu stellen. „Wenn wir dich so beim Lernen stören, dann geh in die Bibliothek, wie jeder normale Student! Zapfenstreich ist in vier Stunden!“
Er öffnete die Tür, erwartete Myers irgendwo auf Brusthöhe und musste seinen Blick dann erst korrigieren, um dem Schrank von einem Kerl, der sich vor ihm aufgebaut hatte, in die Augen sehen zu können. Elian war es gewohnt, dass alle Welt zu ihm aufsah, aber dieser junge Offizier überragte ihn dennoch um einige Handbreit – und war vor allem ein Stückchen breiter als der Arzt. Er schien den kompletten Türrahmen auszufüllen.
„Verzeihung, ich habe Ihr Klopfen genauso verwechselt wie Sie augenscheinlich meine Tür.“ Elian verschränkte die Arme. „Kann ich irgendwie helfen? Suchen Sie jemanden auf diesem Flur?“