15.01.2019, 02:45
"Wenn wir sie mit Abenteuern nicht austricksen können, fällt mir auf die Schnelle leider auch nichts Gescheiteres mehr ein." Elians Mundwinkel zuckten unwillkürlich, während er sich die Kameraden vorstellte, wie sie sich die Haare über seiner Karte rauften. "Aber wer weiß, vielleicht müssen sie irgendwann mal etwas im Dschungel verstecken, und da wäre es doch gut, wenn der eine oder andere von ihnen 'ne Karte lesen kann? Außerdem, Karten sind einfach. Wie Bilder, die Vögel vom Land gezeichnet haben."
Er war zuversichtlich, dass Aspen das schon alles hinkriegen und gut machen würde. Und dass die Beschäftigung den Älteren vielleicht ein klein wenig von der Trennung ablenken würde, das auch. Für Elian stand außer Frage, dass Aspen sich an ihn noch eine ganze Zeitlang erinnern würde. Das Problem war, dass alles Erinnern mit der Zeit schwächer wurde und dass Erinnerungen immer weniger der Realität entsprachen, je älter sie waren. Er erinnerte sich nicht mehr an Mutters Gesicht, das hatte er Aspen gegenüber nie gebeichtet, aber es war die Wahrheit. Er war zu klein gewesen, als Charlene auf die Welt kam und Mutter starb, um sich an alles zu erinnern, und mit jedem Jahr das vorbei ging, wurde der kleine Schatz geliebter Erinnerungen an Mama kleiner und blasser. Wenn Mutter heute noch leben würde, wäre sie vermutlich nicht dieselbe Frau, die ihm abends Geschichten vorgelesen hatte. Oder... nicht NUR. Erwachsene veränderten sich nicht ganz so schnell wie junge Leute.
Aspen war jetzt viel älter als Elian damals, aber Vater hatte etwas gesagt von wegen, wenn Elian wieder käme, wäre er hoffentlich ein gestandener Mann geworden. Wie lange dauerte es, bis man ein gestandener Mann war? Länger, als Aspen sich an ihn würde erinnern können? Und selbst wenn Aspen sich so lange an ihn erinnerte... was, wenn Elian sich zu sehr veränderte in der Zeit? Oder Aspen? Was, wenn er den erwachsenen Aspen nicht mehr mochte, oder der den erwachsenen Elian nicht mehr mochte? Oder wenn die erwachsene Charlene ihn hasste, weil er sie so lange allein gelassen hatte? Was dann?!
Elian behielt diese Bedenken vorsorglich für sich. Sie würden niemandem helfen und diese letzten paar Stunden, die er noch mit seinen Geschwistern hatte, nur überschatten. Er würde eben viel schreiben müssen, all seine Gedankengänge mitteilen, und hoffen, dass sie einander irgendwie wieder erkannten, wenn sie sich dann endlich wiedersahen.
Früher einmal hätte die Aussicht auf neue Abenteuer ihn aufgeregt gestimmt. Er wäre Feuer und Flamme gewesen beim Gedanken, auf ein Schiff zu steigen und bis über den Horizont hinaus zu segeln. Aber... er hatte das hier nicht gewollt. Abenteuer ohne Freunde waren nur halb so schön, wenn überhaupt.
"Ich schreibe euch auch," beschloss er also laut. "Ich schreibe euch alles was mir passiert, jeden Tag von jeder Woche, dann verpasst ihr auf keinen Fall irgendwas." Er reckte das Kinn entschlossen vor, merkte gar nicht, wie seine Miene zu einem trotzigen Kämpfergesicht wurde. "Den ollen Offizier will ich mal sehen, der mir das verbietet."