14.12.2018, 20:21
Auf Luciens Antwort, die vor Ironie nur so triefte, hatte Shanaya ein Schnaufen kaum unterdrücken können. Hätte sie seinen Kommentar ernst genommen hätte sie ihn ins nächste Hafenbecken werfen müssen – so war es in diesem Moment nur an ihr, seinen vorherigen Blick mit genau dem gleichen Ausdruck zu erwidern. Aber sie beließ es dabei. Sie glaubte zwar nicht daran, dass er sich diesen Namen in der nächsten Zeit verkneifen konnte – aber die Hoffnung starb ja zuletzt.
Die Miene des Mannes wurde wieder ernster - hatte er etwa eben ein wenig bessere Laune gehabt? Sie selbst blieb aufmerksam, auch wenn die blauen Augen auf die Tafel gerichtet waren. Lucien sagte zuerst Nichts, ließ ihr einen Moment zu überlegen, ob sie die Gefahr einging, den nächsten Tag wirklich mit Kopfschmerzen zu verbringen – oder ob sie irgendeinen guten Grund finden konnte, sich etwas ohne Alkohol zu bestellen. Aber sie kam nicht einmal wirklich dazu, sich darüber Gedanken zu machen, der Wirt funkte ihr dazwischen und bekam auf seine Worte hin nur eine erhobene Augenbraue als Antwort. Dem war eine große Laus über die Leber gelaufen, aber gut... Shanaya setzte zu einer Antwort an, erwiderte kurz Luciens Blick, ehe dieser an ihrer Stelle antwortete. Seine ersten Worte galten jedoch ihr, womit die Schwarzhaarige lächeln musste, die Skepsis ihr aber deutlich ins Gesicht geschrieben stand, während sie nickte. Und wieder machte er ihr einen Strich durch die Rechnung, bestellte, bevor sie es konnte. Einen Moment dauerte es, bis sie verstanden hatte. Verwirrung legte sich in die blauen Augen, die sie nun wieder auf Lucien gerichtet hatte. Zuerst hatte sie geglaubt, sie müsse sich nun mit einem Krug Grog herum schlagen. Aber sie bekam den Apfelsaft. Den heißen Apfelsaft. Wenn Schnee gelegen hätte – in Ordnung. Aber... bei diesem Wetter? Aber sie musste ihm ja beinahe dankbar sein, immerhin hatte er ihr so erspart, dass sie ihm lallend in den Armen hing, ihm ihre Lebensgeschichte erzählte und dann ins Bett getragen werden wollte. Also vielleicht sollte sie sich einfach mit dem Apfelsaft zufrieden geben.
„Reicht es für mehr nicht mehr?“
Sie grinste dem Mann vielsagend entgegen, konnte sich einen Kommentar dazu jedoch nicht verkneifen. Der Wirt jedenfalls wandte sich um, warf ihr vorher noch einen prüfenden Blick zu und machte sich dann, das Bestellte zu ihnen zu holen.
„Ich bin mir trotzdem nicht sicher, ob ich dich dafür loben sollte, dass du mich nicht abfüllen willst. Noch zumindest.“
Der Wirt kam zurück, knallte ihnen die zwei Krüge hin und verlangte eine Bezahlung, die die junge Frau jedoch schon nicht mehr mitbekam, einen Herzschlag überlegend, ob sie ihm jetzt einfach den Grog wegschnappen sollte. Vielleicht verriet ihm ihr skeptischer Blick in seine Richtung etwas, aber schließlich griff sie mit einem leisen Seufzen nach dem dampfenden Krug und wandte sich um, stieß den Dunkelhaarigen locker mit der Schulter gegen den Arm.
„Hauptsache du liegst nicht gleich betrunken in einer Gasse.“
Sie trat zwei Schritte zur Seite, machte den anderen Platz und nutzte diesen kurzen Moment, um über Luciens Frage nachzudenken. Was diesen jemand hier auf diese Insel führen sollte.
Eine unglaublich schwierige Frage. Und das nicht, weil die Antwort so schwer zu finden war. Ihre Eltern wären der Grund, diesen Hohlkopf von Brüllaffen her zu locken. Und... wenn auch nur einer von diesen dreien wüsste, dass sie auf dieser Insel war... Dann wäre sie selbst vermutlich die Antwort auf Luciens Frage. Sie wartete bis der Mann wieder gleichauf mit ihr war, schwenkte den Krug leicht hin und her, während ihr heller Blick sich wieder fest auf seine Augen richtete. Es war eine schwierige Frage, weil sie nicht wusste, was sie ihm verraten sollte. Ein leises Seufzen, ehe sie zu einer Antwort ansetzte.
„Ihn würde Dummheit auf diese Insel führen, die Versuchung, irgendeinen Profit aus dem Geschäft seiner Eltern zu ziehen. Meiner Eltern.“
Für einen Atemzug verfing ihr Blick sich an dem Krug in ihrer Hand, richtete sich aber schnell wieder auf Luciens grüne Augen.
„Mein Bruder ist oft da zu finden, wo unsere Eltern sind. Es würde mich nicht wundern, wenn er auch als gesuchter Pirat hier unterwegs wäre, um den Ruhm unserer Familie auszunutzen.“
Ihr Lächeln blieb ehrlich, wurde jedoch ein wenig schräger.