09.12.2018, 21:49
Zu sagen, dass alles schnell ging und verwirrend war, wäre noch eine maßlose Untertreibung gewesen. Vor einer Minute noch hatten sie gemütlich nebeneinander in der Menge gestanden und darüber gefrotzelt, ob Aspen es nicht doch einmal mit dem vermeintlich unbesiegbaren Kämpfer aufnehmen sollte. Und plötzlich verloren sie den Rotschopf aus den Augen, weil jemand nahezu in sie hineinstolperte. Farley hatte dem Mann ebenso wie Aspen zunächst nicht sonderlich viel Beachtung geschenkt. Doch als der Name seines Freundes fiel, und die beiden Männer sich plötzlich in inniger Umarmung wiederfanden, konnte er nicht umhin den anderen genauer zu mustern. Da er Aspen schon kaum erkannt hatte als erwachsenen Mann war es kaum verwunderlich, dass es einen Moment brauchte, bis der junge Dieb realisierte, wen sie da vor sich hatten. Wahnsinn – erst einen Jugendfreund wiedergefunden, jetzt den eigenen Bruder. Aspen war wirklich ein Glückpilz vor dem Herren, wenn er sich nicht selbst in Schwie... Farley verfluchte sich einen Moment später dafür, auch nur an das Wort gedacht zu haben. Ein Schrei, Tumult und während der Braunhaarige begann sich hektisch nach einer cleveren Fluchtmöglichkeit umzusehen, hatte Aspen ihn auch schon am Arm gepackt und schleifte ihn mit sich. Farley hatte nicht einmal die Möglichkeit, sich darüber Gedanken zu machen, was dieses Wiedersehen für die beiden Brüder bedeutete und wie er selbst in dieses Bild passte. Sein Kopf war stattdessen damit beschäftigt, seine Gliedmaßen so zu koordinieren, dass sie Schritt halten konnten – und er nicht wie ein plumper Sack einfach lang auf den Boden des Platzes stürzte.Die Menge allerdings war immer noch dicht – und selbst drei ausgewachsene Kerle, die hektischen Fußes unterwegs waren und wenig Rücksicht auf die nahmen, die ihnen in die Quere kamen, schienen die Menschen nicht zu schrecken. Irgendwann verlor Farley erst Aspens Arm, dann den Blondschopf selbst aus den Augen. Das letzte, was der Dieb von den beiden Brüdern mitbekam, war wie Aspens Kopf in einer Seitengasse verschwand.
Der Dieb fluchte lautlos und wagte nur kurz einen Blick zurückzuwerfen. Was er sah, gefiel Farley gar nicht. Mehr Soldaten als ihm lieb waren, waren auf sie aufmerksam geworden. Zwar folgten sie vorrangig Aspen, dessen Bild ja weithin sichtbar von den Plakaten prangte, allerdings war er an der Seite seines Freundes von so einigen Leuten gesehen worden. Farley hatte keine Lust herauszufinden, ob man ihn ebenfalls wieder in eine Zelle stecken wollte oder nicht. Der junge Mann gab es also auf den Brüdern folgen zu wollen, sondern duckte sich weg und schlich sich einige Meter in eine andere Richtung davon. Das Ziel war klar: möglichst viel Abstand zwischen sich und die bringen, die ihn und seine Begleiter fassen wollten. Obwohl er groß gewachsen war, schob sich der junge Dieb erstaunlich geschickt durch die Menge und wagte es nach kurzer Zeit sogar wieder aufzutauchen – natürlich nicht, ohne sich zu vergewissern, dass dies möglichst ungefährlich war. Wenn es nicht so heiß gewesen wäre, hätte er sich einen Umhang oder zumindest eine Jacke mit Kapuze besorgt, die er tief über sein Gesicht und die braunroten Haare hätte ziehen können. Allerdings war bei dieser Hitze ein Mann mit derartiger Bekleidung viel zu auffällig – man hätte sofort gesehen, dass er etwas zu verbergen hatte. Ihm blieb also nur, sobald wie möglich ebenfalls in einer Seitengasse zu verschwinden.
Das hatte er durchaus auch vor, denn nur wenige Meter trennten den jungen Mann von einer ebensolchen. Doch grad, als er einen erneuten Blick hinter sich warf, um sich zu vergewissern, dass ihn von den Soldaten niemand erspäht hatte, prallte eine junge Frau gegen ihn. Sie schluchzte und krallte sich hilfesuchend an seinem Hemd fest. Im Tumult war auch die Menge in Bewegung geraten, offenbar war sie nicht so standfest wie das getrennte Dreigespann. Viel Zeit über ihre Beweggründe nachzudenken hatte er jedoch nicht. Einem Reflex folgend packte der Dieb sie und sie „dankte“ es ihm, in dem sie ihre Finger nur noch ein wenig mehr in seine Oberarme krallte und ihn lächelnd ansah. „Passt besser auf, Teuerste, hier ist einiges an Gesindel unterwegs.“ Farley versteckte die Tatsache, dass er innerlich vor Ungeduld platzte und sie am liebsten dorthin zurückgeschubst hätte, woher sie gekommen war. Er hatte keine Zeit sich aufhalten zu lassen und schon gar keine Zeit den heldenhaften Retter zu spielen, der er nicht einmal war. Aber das hätte Aufmerksamkeit auf sich gezogen – ungute Aufmerksamkeit vieler Menschen – und die konnte er nun wirklich nicht gebrauchen. Also blieb die Charme-Variante, die nur die Aufmerksamkeit eines Menschen erregen würde. Farley stellte das Mädchen wieder auf die Füße und widerstand dem Drang, ihr dabei den kargen Geldbeutel zu stiebitzen, den sie an ihrem Gürtel hängen hatte. Stattdessen lächelte er sein süßestes Lächeln, zog die Frau die letzten Meter bis zur Gasse mit sich (ein Paar würde sicher keiner der Soldaten suchen) und verschwand dann schließlich in den beruhigend schützenden Schatten der Häuser. Die verdutzte Dame ließ er ohne weiteres Zögern zurück.
Der junge Dieb nahm stattdessen die Beine in die Hand und lief schnellen Schrittes durch die engen Gänge, die so unangenehm rochen wie er sich fühlte – Sport war einfach keine gute Idee bei diesen Temperaturen. Während er ein, zweimal abbog in der Hoffnung auf der richtigen Spur zu sein, fragte er sich, ob es nicht besser gewesen wäre auf dem Schiff zu bleiben. Allerdings hätte er dann nicht so viel Geld machen können, um seine Schuld zu begleichen. Das wäre eine noch weniger angenehme Situation gewesen. Wahrscheinlich hätte er bei dieser Masse an Menschen dreimal mehr Börsen stehlen können, als er gebraucht hätte – wenn Aspen nicht dabei gewesen wäre. Oder sie dem Bruder seines Freundes nicht begegnet werden. Wer wusste das schon. Farley wusste nicht mehr, ob er richtig war. Einzig, dass die Richtung etwa stimmen musste, darüber bestand kein Zweifel. Doch seine Zuversicht schwand mit jedem Meter und er überlegte schon, ob er nicht vernünftigerweise zur Sphinx zurückkehren sollte, als er Stimmen vernahm, die ihm bekannt vorkamen. Eine Hausecke später sah er die beiden Männer – und den kleinen Jungen, der ebenfalls mit ihnen reiste. Und der Aspen und seinem Bruder (wie war noch sein Name gewesen?), Frauenkleider hinhielt. Aber wozu sollte er sich eigentlich noch wundern.
„Ich kann mir nicht vorstellen, dass die euch viel nützen – aber wenn ihr sie anziehen wollt, dann beeilt euch. Lange wird es nicht mehr dauern, bevor sie anfangen die Gassen zu durchsuchen. “
keuchte er, doch ein wenig außer Atem von der kleinen Flucht und warf einen prüfenden Blick über seine Schulter. Die leichte Hektik darin, würde Scortias und ihrem neuen Begleiter wohl kaum aufgefallen sein. Aspen dagegen vielleicht – allerdings hatte dieser wohl im Moment andere Sorgen.
[In den Gassen | Aspen, Elian und Scortias]