02.12.2018, 22:12
Überlegend wog der Lockenkopf den Kopf zur Seite und dachte über den Widerspruch seines Gegenübers nach. Klar, bei zielsuchenden Pfeilen gab es keine Herausforderung mehr, es sei denn, man musste sich vorher drei Mal auf einem Bein hüpfend im Kreis drehen und dabei rückwärts ein Gedicht aufsagen (und zwar jedes Mal ein anderes!), damit es funktionierte. Aber – so sehr er das Abenteuer auch liebte – musste es immer eine Herausforderung sein? In manchen Situationen wäre es mit Sicherheit einfach mal angenehm, wenn nicht Wind und die Bewegungen seines Gegenübers über das eigene Leben entschieden. Traf man, überlebte man selbst, verfehlte man, musste man wohl selbst dran glauben. Aber solche knappen Situationen gehörten wohl oder übel zum Leben dazu, da hatte Ryan unweigerlich recht. Das brauchte er ihm aber nicht nochmal sagen.
Die Paste war ohnehin viel interessanter als die utopische Erfindung von zielsuchenden Pfeilen. Neugierig folgte er der Ausführung des Diebes und nickte schließlich anerkennend wie überzeugt.
„Sehr edel. Muss ich mir merken und mal ausprobieren.“
Mit Bögen kannte sich Liam tatsächlich nicht aus. Er war eher der Säbel-Typ und auch das bloß, weil es einem eben des öfteren das Leben rettete in dieser Welt, wenn man damit umzugehen wusste. Am liebsten war es ihm dann doch ohne Konfrontation, wenn er einfach in den Schatten verschwinden konnte, um sich aus der Affäre zu ziehen. Wenn man es genau betrachtete, war er, seit er Talin zugesagt hatte, ihr bei der Suche nach ihrem Bruder zu helfen, verhältnismäßig und ungesund oft in irgendwelche Zwischenfälle verwickelt worden. Aber mit dieser bunten Truppe, machte es fast schon Spaß, sich irgendwo durchzukämpfen. Jedenfalls dann, wenn die Gegner flohen und man nicht gezwungen war, ihnen den Todesstoß zu verpassen. Unbewusst rief er sich ins Gedächtnis, wie viele er die letzten Wochen erwischt hatte und kam auf genau einen, der ihm unglücklicher Weise in die Klinge gelaufen war. Dann aber drängten sich die Erinnerung an die explodierende Morgenwind zurück in sein Gedächtnis und er verwarf den Gedanken möglichst schnell. Aber gerade noch rechtzeitig, um das Ende von Ryans Aussage mitzubekommen und sich das, was er zuvor womöglich gesagt hatte, soweit zusammenzudichten. Seide also.
„Naja. Jeder hat so seine Vorlieben und irgendwo gibt es mit Sicherheit auch eine Kultur, in der man sein Nutztier ehelichen darf.“, überlegte er und verzog die Miene teils angewidert, teils belustigt, während er angedeutet mit der Schulter zuckte.
„Ich wurde zuhause unterrichtet.“, antwortete er auf die Frage des Diebes hin einfach. Das klang zwar hochtrabender, als es eigentlich war, aber das bemerkte Liam gar nicht.
Er hatte keine Privatlehrer gehabt, die ihm zuhause sämtliche Dinge beigebracht hatten, dazu hatten sie viel zu wenig Geld gehabt. Seine Eltern waren ebenso kreativ gewesen wie er und von ihnen hatte er nicht nur Lesen, Schreiben und Zeichnen gelernt, sondern auch ein paar Handwerkskünste und eben das Spielen von Instrumenten. Seine Mutter hatte beispielsweise mit Vorliebe kleinere Schmuckstücke hergestellt, solange es noch möglich gewesen und sie die nötige Feinfühligkeit besessen hatte. Von ihr hatte er gelernt, wie man Leder gerbte. Sein Vater hingegen hatte ihm gezeigt, wie man Steine schliff, damit seine Mutter sie weiter verwenden konnte.
„Meine Eltern haben stets das getan, was sie interessiert hatte. Und das haben sie an mich weitergegeben.“