02.12.2018, 22:10
Hatte sie gerade noch die Szenerie hinter ihm beobachtet, stand sie nun in einer Umarmung, die ihr jegliches Blut aus den Gliedmaßen pumpte. Wie versteinerte stand sie vor ihm, unterdrückte den erstbesten Impuls, der sich durch ihre Schockstarre bohrte und Enrique heftig von sich stoßen wollte. War diese Situation eben noch voller Leichtigkeit gewesen, verpuffte die gespielte Glückseligkeit und hinterließ einen bitteren Geschmack auf Skadis Zunge. Sie ahnte woher diese Reaktion kam. Hörte es ihm Tonfall seiner Worte, spürte es an seinem vor Adrenalin pochendem Herzen. Doch sie konnte ihm nichts davon erwidern. Ganz davon abgesehen, dass diese Worte nicht ihr galten, fühlte sie sich seltsam fehl am Platz. Sicherlich hatten sie in den letzten Tagen mit einem Alltag begonnen, der für sie beide ungewohnt, aber erfrischend war, doch gehörte die Nordskov bei weitem nicht zu der Sorte Mensch, die gut mit Emotionen und dieser Form von körperlicher Zuwendung umgehen konnte.
Ein Seufzen verließ daher ihre Lippen, als die bemalte Stirn gegen seine Schulter glitt und die Jägerin ihren Augen eine kurze Auszeit gönnte. Überspielen würde sie diese Situation nicht, denn das bedeutete zu tun, als wäre es ihr egal. Doch noch weniger wollte sie ihn vor den Kopf stoßen - etwas das ihr unter anderen Umständen mit anderen Beteiligten vollkommen egal gewesen wäre.
"Passt schon. Immerhin muss ich auf dich aufpassen."
Sie versuchte einen neckenden Unterton hinzuzufügen und sog tief die warme Luft in ihre Lungen. Roch den Stoff seiner Kleidung und die Haut darunter. Es erinnerte sie ein wenig an längst vergangene Zeiten, an ihren Vater, ihre Brüder... Ein Seufzen durchfuhr ihren Körper, zog den dunklen Haarschopf erneut in die Höhe und richtete den wachsamen Blick aus braunen Augenpaaren auf das glatt rasierte Gesicht neben sich.
"Ich nehme dich dennoch beim Wort.", fügte sie matt lächelnd hinzu und knuffte ihm mit der flachen Hand gegen die Brust. Jede Faser seines Körpers sprühte Unbehagen aus - jedoch nicht der plötzlichen Nähe wegen, die ihr selbst dieses unangenehm drückende Gefühl in die Kehle pflanzte. Es war wohl eher die Tatsache, dass er befürchtete, sie könne seine Reaktion falsch verstehen. Sie womöglich als Bevormundung betrachten oder gar glauben, er sähe mehr in ihr, als sie in ihm. Doch Skadi wusste um seine Vergangenheit - selbst wenn er ihr erst vor einigen Tagen davon erzählt hatte. Sie sah seine Worte und Taten wie sie waren. Nicht mehr und nicht weniger.
Außerdem vergaß er wohl, wie viel wichtiger er für sie war. Dass alles was er tat nicht in dem Maß bemessen wurde, wie sie es mit fremden Menschen tat. Doch irgendwann würde er es herausfinden. In den nächsten Tagen, vielleicht auch Wochen. Je nachdem wie gut seine Beobachtungsgabe war.
"Richtig... WENN es überhaupt irgendetwas damit zu tun hat. Andernfalls gehen wir das Risiko ein uns unnötig in Gefahr zu bringen. Vielmehr dich als mich, wenn wir mal ehrlich sind."
Sie konnte das Grinsen auf seinen Zügen nicht teilen. Wirkte ungewohnt ernst und verschlossen. Enrique musste oder sollte viel mehr verstehen, dass das hier keine spaßige Sache war, die man mal ausprobieren konnte. Sie hatten die Explosion auf der Morgenwind mit mehr Glück als Verstand überlebt. Ganz sicher würde sie nicht riskieren, dass der Dunkelhaarige sich so leichtfertig auf dem Silbertablett präsentierte.
"Und ich kann nicht jeden töten, der dir an den Kragen will.", raunte sie ihm leise entgegen. Auch wenn sie es zweifellos versuchen würde. Soviel stand für sie zum jetzigen Zeitpunkt fest.
Mit einem Seufzen folgte sie ihm dennoch in die eingeschlagene Richtung, umfasste sein Handgelenk jedoch mit harter Entschlossenheit.
"Wenn ich also sage, dass wir verschwinden, dann verschwinden wir auch. Verstanden?"
Der eiserne Blick, mit dem die dunkelbraunen Augenpaare ihn musterten, ließ ihm kaum eine andere Wahl als dem zuzustimmen. Er war vielleicht einst ihr Befehlshaber gewesen, doch sie waren nicht mehr auf der Morgenwind. Nicht mehr auf unterschiedlichen Positionen und von jenen beobachtet, die sie abgrundtief hassten.
"Ansonsten muss ich dich bestrafen."
Und da war es wieder. Dieses anrüchige Grinsen, das dieser Unterhaltung plötzlich jegliche Ernsthaftigkeit entzog. Auch wenn sie jedes Wort so meinte.
[Zwischen den Buden auf dem Marktplatz | dann auf dem Weg in Richtung des Tumults um Trevor, Gregory und Cornelis | unmittelbar bei Enrique ]