21.11.2018, 12:11
Shanaya fuhr mit dem Finger über die Seiten ihres Buches, verzog die Lippen zu einem nachdenklichen Ausdruck. Ihre Augen huschten über die Worte, die kleinen Zeichnungen. Es fehlten noch Details, noch längst nicht hatte die junge Frau alles zusammen, was sie brauchte. Der kleine Ausflug hatte dabei geholfen... allerdings fehlten noch die anderen Teile der Insel. Eine Herausforderung, die sie angehen würde, sobald sie sich eine kleine Auszeit auf dem Fest gegönnt hatte. Nur ein paar Stunden, bevor sie sich wieder an die Arbeit machte. Und diesen Abend, einen Moment ohne Ablenkung. Sie hatte sich nicht weiter um den fremden Schatten gekümmert, sich nur auf ihre Notizen konzentriert. Aber dieser Moment schien ihr nicht gegönnt.
Die Stimme erklang erneut und auch, wenn Shanaya sich nicht wirklich dafür interessierte, hob sie noch einmal den blauen Blick an, beobachtete das Schauspiel, das sich ihr bot. Das Wesen mit Hut und Mantel schien etwas kleines zu jagen. Vielleicht den imaginären Freund, mit dem es eben gesprochen hatte? Ein Freund, der ziemlich laut fiepen konnte. Im spärlichen Licht der Laternen erkannte sie nicht unbedingt viel, aber genug, um eine Augenbraue leicht anzuheben. Das Hutwesen kam in ihre Richtung, sodass Shanaya leicht den Kopf anhob, skeptisch die Bewegungen beobachtete. Sie zögerte, ob sie einen Satz vom Fass runter machen sollte, um sich in Sicherheit zu bringen, aber noch bevor sie diesem Gedanken nachgehen konnte, lag die Fremde – zumindest hatte es eine weibliche Stimme – ihr zu Füßen. In den Händen hielt sie einen weißen Fellball. Eine Ratte. Sie musste an die erste Begegnung mit Sineca denken, an die kleine Wunde, die die Katze ihr zugefügt hatte. Wie oft hatten Ratten sie gebissen? Oft genug, und trotzdem ruhten die blauen Augen einen Moment auf dem weißen Pelz. Ratten hatten sie genug auf der Sphinx, nur keine weiße. Aber sie hatte auch nicht das Bedürfnis, einen weiteren Nager mit an Bord zu nehmen. Trotzdem galt dem Tier mehr Aufmerksamkeit als dem Menschen, der vor ihr auf dem Boden hockte. Erst nach einigen, langen Herzschlägen richteten sich die blauen Augen auf die Fremde, ein amüsiertes Grinsen auf den Lippen. Sie hatte irgendetwas gesagt, aber die Schwarzhaarige hatte einfach nicht zugehört. Da war die Ratte interessanter.
„Wenn du schonmal da unten bist, kannst du mir auch gleich die Füße küssen.“
Wie die Fremde zuckte sie nun mit den Schultern. Niemand konnte ihr vorwerfen, dass sie auf die Fremde herabsah... in diesem Fall blieb ihr Nichts anderes übrig. Und da die meisten sich von solch einem Kommentar pikiert auf und davon machen würden... vielleicht klappte es bei der Hutträgerin mit der Ratte ja genauso.