11.11.2018, 22:37
Jeder ihrer Schritte wurde von einem klackernden Geräusch begleitet, das Skadi jedes Mal aufs Neue die Nackenhaare aufstellte. Diese Schuhe waren so unsagbar laut. Mit kleinen Absätzen aus Holz, die gleich einem Trommelstock auf den Untergrund hinab sausten und Hallo, hier bin ich! in die Welt hinaus posaunten. Als Jägerin hatte sie sich lautlos im Unterholz bewegen müssen. Hatte die Freiheit ihrer Zehen und die Verletzlichkeit ihrer Fußsohlen geschickt genutzt, um sich auf dem unebenen Untergrund zurecht zu finden und mit der Geräuschkulisse des Waldes zu verschmelzen. Doch seitdem sie bei der Marine war, glich sie vielmehr einer Axt, die sich lauthals ankündigte und mit voller Kraft zuschlug. Immer mehr sehnte sie sich den Tag herbei, an dem sie Enrique reinen Wein einschenken konnte und sich in bequemere Kleidung schälen konnte. Eine, die nicht bei jeder weit ausholenden Geste an den Armen spannte und ihre Beweglichkeit einschränkte.
Mit einem genervten Brummen zog sich Skadi im Gehen die Stiefel von den Beinen und warf sich das Leder schwungvoll über die Schulter.
"Na wenn das so ist, sollten wir recht schnell damit fertig werden.", entgegnete Skadi mit einem kurzen Blick zurück auf den kurzen Haarschopf hinter sich, der mit weiten Schritten aufzuholen begann.
Und auch wenn sie keinerlei Miene verzog, waren ihr die kleinen Details dieser Unterhaltung nicht entgangen. Scortias war also eine Seele ohne Heimat. Das erklärte zumindest seine für ein Kind absolut untypische Vorsicht. Normalerweise hätte Skadi ein solches Verhalten auf eine straffe Erziehung oder schlechte Erfahrung zurückgeführt. Doch diese Information fügte sich wesentlich nahtloser in das Gesamtgebilde ein, als jede ihrer eigenen Überlegungen.
Während Scortias eilig zurückeilte, um den Beutel mitsamt Speer seines Captains aufzusammeln, dachte Skadi nicht einmal daran stehen zu bleiben. Vielmehr verlangsamte sie ihren Schritt und musterte den Jungen eine Weile, ehe sie sich wieder herum wandte. Es war fast schon niedlich, wie ernst er seine Aufgabe als "Diener" nahm. Ganz gleich aus welchen Gründen er das wichtige Hab und Gut aufklaubte, ließ es absolut keinen Zweifel daran, dass sich der kleine Bengel dem Rothaarigen verpflichtet fühlte. Und wie weit diese Loyalität ging, würde sich noch herausstellen.
Mit einem ansteigende Staccato pochten Scortias Schritte gegen Skadis Trommelfell. Sie selbst war bereits an der Tür zum Vorraum angekommen und ließ bereits ihre Stiefel geräuschvoll gegen die Wand gleiten.
"Du brauchst gleich beide Hände, also solltest du den Beutel vor dem Lagerraum lieber abstellen.", fügte Skadi eindringlich mit einem letzten Blick in das Knabenhafte Gesicht an und glitt dann durch die geöffnete Tür ins Innere des Achterdecks.
Die angestaute Luft drückte sich wie ein widerlicher Teppich in ihr Gesicht, kaum dass das Tageslicht in ihrem Rücken verschwand und nur noch diffuses Licht ihre Netzhaut erreichte. Es brauchte einige Sekunden, ehe sie sich daran gewöhnte und ohne Umschweife auf den Lagerraum zusteuerte. Wenigstens fühlten sich ihre Füße auf dem Holzboden nun frei und luftig an.
"Es ist übrigens bemerkenswert, dass du es aus einem Waisenhaus auf ein Piratenschiff geschafft hast." Mit einem beherzten Griff zog Skadi die Holztür zurück und durchschritt mit einem prüfenden Blick ins Innere die Schwelle.
"Versteh mich nicht falsch, aber in den meisten Fällen schafft es kein Kind entweder leben dort heraus oder es verendet am Ende in einer grauenvollen Familie, die sich nur einen kostenlosen Diener halten wollte." Skadis Miene verfinsterte sich für einige Herzschläge, kaum dass die bitteren Worte ihre Lippen verließen.
"Du musst unheimliches Glück gehabt haben...", fügte sie leise hinzu, wandte sich nach links und nahm sich eine unweit entfernte Kiste mit wirsch aufeinander geworfenen Netzen
"Die Netznadeln liegen auf dem Brett gegenüber...", wies sie Scortias an und hob bereits die Kiste auf ihre Hüfte, "... und bitte nimm noch zwei von den aufgerollten Seilen mit. Die brauchen wir zum Flicken."
Mit einem letzten prüfenden Blick auf den kleinen, drahtigen Körper wandte sich Skadi zur Tür herum und verschwand auf das Hauptdeck. Ignorierte dabei die anderen Gestalten, die an ihr vorbeimarschierten oder sie auf ihrem Weg beobachteten und ließ sich dann wenige Schritt entfernt in der Nähe der Reling auf den Boden nieder.
Beherzt griff sie nach den oben aufliegenden Maschen, zog das erste Netz vorsichtig heraus und begann die in sich verworrenen Maschen auseinander zu lösen. Was für ein Chaos!