08.11.2018, 21:00
Zum gefühlt einmillionsten Mal hielt Lucien einen Ast davon ab, ihm ins Gesicht zu schlagen. Der Dschungel war dichter geworden, umso weiter sie ins Innere der Insel vordrangen, sodass er ganz selbstverständlich ebenfalls zur Klinge gegriffen hatte, um ihnen einen Weg hindurch zu bahnen. Wo das nicht ging, hatten sie Umwege finden müssen. Streckenabschnitte, die ihm sichtlich zu schaffen gemacht und sie ein, zwei Mal zu einer kurzen Pause gezwungen hatten. Seiner Laune hatte das allerdings keinen Abbruch getan.
Doch auch wenn sein Atem schwerer ging und sein Körper mit Schweiß überzogen war, entging auch Lucien nicht, dass sich das Dickicht inzwischen wieder lichtete und der Bewuchs sich veränderte. Der Untergrund war felsiger geworden und als er den Blick nach vorn richtete, erahnte er zwischen den Bäumen und Farnen eine freie Fläche.
Als die beiden Piraten schließlich durch die letzten Sträucher brachen und intuitiv stehen blieben, erhob sich vor ihnen eine dunkle Felswand wie ein halbrunder Baldachin über einen kleinen, türkisblauen See. So unendlich klar, dass man den Grund sehen konnte – selbst dort, wo er tief genug zu sein schien, um darin nicht einmal mehr stehen zu können. Seerosen säumten das Ufer, Rankenpflanzen räkelten sich von der Kante der Felswand und rechter Hand, von tiefgrünem Moos bewachsen, plätscherte ein kleiner, kristallklarer Wasserfall von oben herab in das Steinbecken.
Von einem Moment auf den nächsten spürte der Dunkelhaarige die Hitze und den Durst... und der Ort, den sie gefunden hatten, lockte geradezu, zu bleiben und beides zu stillen. Das und noch mehr. Unwillkürlich warf Lucien seiner Begleiterin einen Blick zu. Der unverfälschten Freude auf ihren Zügen begegnete er mit einem gut gelaunten Schmunzeln, folgte aber deutlich langsamer, als sie mit zügigen Schritten zum Ufer lief. Nur ein, zwei Meter von ihr entfernt lehnte Lucien seine Machete gegen einen etwa hüfthoch aus der Bergwand hervor ragenden Felsen, der direkt an den See grenzte und warf dann einen Blick über die Schulter zu ihr hinüber. Ein freches Grinsen erschien auf seinen Lippen.
„Gut, dann warte ich einfach noch ein bisschen ab, wie es dir bekommt...“
Als ob. Ganz offensichtlich trieb sie beide dieses Mal ganz genau der gleiche Gedanke, denn wieder war Shanaya dabei, ihre Stiefel auszuziehen und er würde mit Sicherheit nicht daneben stehen und zusehen, wie sie sich erfrischte. Noch während er sprach hatte er deshalb ein Bein gegen den Felsen gestützt und die Schnüre seines Stiefels geöffnet. Der zweite folgte gleich danach, gerade als die Schwarzhaarige seine Vermutung bestätigte, nun wirklich schwimmen gehen zu wollen.
Die Stiefel wage in die Nähe der Machete schubsend, richtete Lucien sich auf, sah erneut zu seiner Begleiterin hinüber. Vollkommen unschuldig tauchte sie ihre Feldflasche ins Wasser, hob dabei nicht einmal den Blick und doch erahnte er ein vorfreudiges Lächeln auf ihren Lippen. In den grünen Augen blitzte es hintergründig. Er zog das Leinenhemd von seiner Hüfte, das er ohnehin nicht getragen hatte, warf es beiläufig auf den Stein neben sich und öffnete dann die schlichte Metallschnalle seines Gürtels.
„Also ich finde, hier ist Platz genug für uns beide.“
In jeder einzelnen Silbe hörte man das amüsierte Grinsen, das er nur halb unterdrückte – bevor er seine Hose öffnete und blank zog. Nun konnte sie gern so unschuldig tun, wie sie wollte. Er für seinen Teil sehnte sich nach der Erfrischung. Es konnte eigentlich gar nicht schnell genug gehen.
Vollkommen nackt – seine Kleidung ließ er an dem Felsen zurück – trat er neben Shanaya ans Ufer, schätzte nur mit einem kurzen Blick den Boden unter der spiegelglatten Oberfläche ein und watete dann langsam in den kühlen, türkisblauen See. Als es ihm kaum bis zu den Oberschenkeln reichte, drehte er sich zu der Schwarzhaarigen um und warf ihr einen herausfordernden Blick zu. Jetzt war sie am Zug.