08.11.2018, 16:52
Sie ließ die blauen Augen noch einen Moment geschlossen. Ein Moment, in dem die Schwarzhaarige vollkommen schwieg – ganz so, als spüre sie noch dem Gefühl nach, das er ihr gerade geschenkt hatte. Lucien ahnte nichts von ihrer inneren Aufgewühltheit und doch reichte ihm das, was er auf ihrem Gesicht las, völlig. Immerhin war das kein Ausdruck, den er nach so einem Kuss noch nie gesehen hätte. Vielleicht hatte sie kurz – für einen Herzschlag – überlegt, sich dem zu entziehen, sich zu wehren. Aber letzten Endes hatte sie es genossen, hatte ihn erwidert... mit einer Vorsicht, die er Shanaya gar nicht zugetraut hätte. Ganz so unwillig, wie sie sich die ganze Zeit gab, war sie also doch nicht. Und vor allem nicht so selbstsicher.
Als sie ihn schließlich wieder ansah, neigte der Dunkelhaarige mit einem amüsierten Schmunzeln auf den Lippen den Kopf. In seinen Augen lag ein wissender Ausdruck.
„Mal sehen. Ich lasse mit mir verhandeln.“
Also wenn es das war, was sie wollte... widerstreben würde ihm das jedenfalls nicht. Ihre Lippen waren genauso warm und weich, wie er es sich vorgestellt hatte. Das Gefühl, sie zu küssen, genauso berauschend, wie er es sich wünschte. Und alles in ihm verlangte nach mehr. Nach dem Rausch der Berührung, der Illusion von Zuneigung, der Ablenkung, dem Vergessen. Und Ablenkung bot Shanaya ihm mehr als genug – auch wenn er sich ziemlich sicher war, dass sie ihn kastrieren würde, sollte er irgendetwas versuchen, das ihr nicht passte.
Der Dunkelhaarige grinste munter und als hätte er ihre nächsten Worte als ernsthafte Warnung aufgefasst, verschränkte er, seinen Anstand demonstrierend, die Arme am Hinterkopf und wartete mit unschuldiger Geduld, bis sie ihre Stiefel angezogen hatte und sich wieder aufrichtete. Ihm war danach, die seinen ebenfalls kurz auszuziehen und das Wasser auszukippen, doch Lucien wusste, dass es ohnehin nichts bringen würde. Die Sohlen waren durchnässt, die Stoffhose vollgesogen und raus laufen würde überhaupt nichts. Also fand er sich damit ab, die nächste Zeit kühle Füße zu haben. Auch nicht der schlimmste Gedanke, bei diesem Wetter.
„Und falls wir unterwegs noch mal einen Obstbaum sehen, können wir ja unseren Proviant wieder aufstocken. Meiner treibt gerade Richtung Meer.“
Ein vielsagend amüsierter Seitenblick galt der Schwarzhaarigen neben ihm und er ließ gelassen die Arme wieder sinken, als sie den Weg am Bach entlang stromaufwärts einschlugen.