05.11.2018, 21:00
Mit einem festen Knoten band Amy sich die Ärmel ihres Mantels um die Hüfte, damit ihre Jacke beim Gehen nicht zu Boden fiel und sie diese möglicherweise verlor. Zwar streifte ein Stück davon immer noch am Grund und fing Staub auf, aber solange sie nicht ganz herab fiel sollte es sie nicht stören. Für ihren Geschmack war es viel zu warm. Normalerweise bevorzugte sie es ja, eher bedeckt um die Gegend zu streifen, aber bei solchen Temperaturen wäre das wohl kaum möglich, sodass sie nicht nur ihren Mantel ausgezogen hatte, sondern auch die Ärmel ihres weißen, lockeren Oberteils bis zu den Ellenbogen hoch krempelte. Ihren Hut hatte sie jedoch anbehalten, denn dieser bot ihr überraschend guten Sonnenschutz, damit sie sich nicht die ganze Zeit die Hand vor Augen halten musste, nur, damit sie sehen konnte wo sie ihre Füße hinsetzte. Ihrer Ratte Red schien das Wetter jedoch zu gefallen, und dass, obwohl er normalerweise überhaupt kein Freund von hohen Temperaturen und der Sonne war. Statt sich also in ihrer Jackentasche zu verkriechen, war er den ganzen Weg von ihren Arm zu ihrer Schulter hinauf geklettert, und hatte es sogar geschafft ihren Hut für sich zu beanspruchen. Amy konnte ab und zu spüren wie er auf ihren Kopf hin und her flitzte, und versuchte einen gemütlichen Platz zu finden. Der einzige Grund, warum man sie deshalb wohl nicht schief anstarrte, war, dass Reds weißer Pelz perfekt zu der gleichfarbigen, langen Feder an der Seite des braunschwarzen Hutes passte. Schaute man nicht genau hin, würde man wohl kaum eine Ratte auf ihren Kopf vermuten. Amy selbst war zu beschäftigt, als dass es sie stören würde das helle Geräusch von Reds eiligen Schritten die ganze Zeit im Ohr zu haben. Mîlui war eine interessante Insel. Sie fühlte sich fremd hier. Natürlich war sie nicht immer auf Estero geblieben, sie war nicht der Typ dafür, ihr ganzes Leben im selben Dorf oder in der selben Stadt zu verbringen, und hatte schon einige Inseln gesehen. Doch da sie ihre Heimat eher als flaches Land kannte, war es fast schon erschreckend das hohe Gebirge Mîluis zu sehen. Das war wenigstens mal etwas anderes.
Bevor sie jedoch weiter das unbekannte Land bewundern konnte, flitzten zwei Gestalten so knapp und eilig an ihr vorbei, dass sie einen kalten Windhauch an ihren Armen spüren konnte. Überrascht kam sie instinktiv zum Stillstand, und erwartete bereits, angerempelt zu werden, doch als sie sich umdrehte und den zwei Blitzen hinterher blickte, bemerkte sie, dass es sich dabei nur um zwei Kinder gehandelt hatte. Die es anscheinend sehr eilig hatten. Ohne noch einen Blick über die Schulter zu werfen, oder aus Höflichkeit heraus sich für den beinahe Aufprall zu entschuldigen, rannten sie einfach weiter bis sie irgendwann außer Sichtweite gerieten. Amy blickte ihnen mit erhobener Braue hinterher, und ging unbewusst rückwärts weiter, während Red sich nun in ihr Sichtfeld drängelte und sich von der Vorderseite des Hutes hinab beugte. Die Rothaarige konnte seine zuckende Schnauze erkennen, und selbst er schien überrascht von dem plötzlichen Auftauchen der Kinder gewesen zu sein. Bevor die Kriminelle ihn jedoch versichern konnte, dass alles in Ordnung war, stieß sie plötzlich mit den Rücken gegen etwas Festes, und ihr blieben die Worte vor Überraschung in der Kehle stecken. Automatisch schnappte sie nach Luft, als Red auf ihren Hut die Balance verlor. Doch bevor die Albino Ratte mit einem schrillen Quietschen zu Boden fallen konnte, fing Amy ihn glücklicherweise mit beiden Händen auf, sodass Red weich landete. Die Ratte, nun vollkommen wach, flitzte ein paar Runden auf ihren Handflächen und schien sichtlich auf Hochtouren zu sein. Ein sachtes Kichern drang aus ihrer Kehle bevor sie sich endlich umdrehte um zu sehen, gegen was sie da gelaufen war. Statt eine Wand vor sich zu sehen, wie sie es erwartet hatte, erkannte sie jedoch die Gestalt eines fremden, recht kräftigen Mannes vor ihr. Ihre Braue zuckte in die Höhe.
"Oh, Entschul... Heilige Scheiße, was ist mit ihrem Auge falsch?" rutschte es ihr einfach so heraus, und die geplante Entschuldigung für ihre Achtlosigkeit war dahin, als sie einen Blick in das Gesicht ihres Gegenübers warf. Die Narbe war ihr selbstverständlich sofort ins Auge gesprungen, und sie konnte diese Frage nicht zurück halten, als sie schamlos in dessen merkwürdig weißes Auge starrte. Hatte er sich einmal eine Klinge quer über das Gesicht gezogen, oder warum war es so entstellt? Red hatte sie mittlerweile vergessen, den sie immer noch mit beiden Händen vor der Brust hielt. Die Ratte hatte sich auf die Hinterbeine erhoben und die Schnauze in die Luft gestreckt, schnupperte neugierig an den Fremden vor sich. Erst, als sie den Mann vor ihr eine Weile angestarrt hatte, bemerkte sie dessen Begleitung, und warf auch diesen Fremden einen musternden Blick zu. Na der sah wenigstens etwas freundlicher aus, so ganz ohne riesiger Narbe in der Visage.
[Brunnenplatz || Trifft auf Ryan und Liam]