04.11.2018, 16:19
Sie kam also von Yvenes. Einer Insel auf der anderen Seite der Ersten Welt – so weit weg von Kelekuna, vom Herzogtum Brancion und Luciens – damaliger – kleiner Welt, dass es ein Ding der Unmöglichkeit sein sollte, sich jemals zu begegnen. Wenn es Talin nicht geben würde, dann wären sie sich wahrscheinlich auch nie begegnet und sein Horizont wäre so klein geblieben, wie er als Kind gewesen war, bevor sie beide den Beschluss gefasst hatten, dem zu entfliehen. Und irgendwo auf der anderen Seite der Landkarte hatte Shanaya den gleichen Entschluss gefasst. Unheimlich, wie das Leben manchmal so spielte.
Der Dunkelhaarige schüttelte darüber nur den Kopf, doch als die junge Frau neben ihm nach ein paar spielerischen Hieben mit dem Degen fortfuhr, hielt er verblüfft inne, wurde ein wenig langsamer, ehe er sich besann und rasch wieder zu ihr auf schloss.
„Aspen? Du meinst, du solltest unseren Zimmermann heiraten?“
Man merkte ihm den Unglauben deutlich an und doch konnte Lucien nicht verhindern, dass sich ein kleines, sehr belustigtes Schmunzeln auf seine Lippen stahl. Er hatte noch keine Chance gehabt, den Carpenter genauer kennen zu lernen, doch er wusste um ihre Abneigung gegen ihn. Immerhin war die gestern sehr deutlich geworden. Möglicherweise hatte er jetzt eine Begründung für ihre intensiven Gefühle in dieser Richtung. Darüber hinaus hatte Shanaya nun seine Neugier geweckt, mehr darüber zu erfahren. Wie es dazu gekommen war, zum Beispiel.
Doch als sie beide kurz nacheinander aus dem Unterholz traten, musste das Fragespiel einen Moment warten. Vor ihnen öffnete sich – wie erwartet – ein breiter, aber flacher Bachlauf, der sich durch den Dschungel schlängelte und sich unmittelbar vor ihnen in einem Wasserfall ein paar größere Felsen hinab stürzte. Das Wasser wirkte klar, sauber, doch der Grund, der sich zwischen den Steinen gesammelt hatte, sah eher nach Schlamm als nach Sand aus. Möglicherweise waren sie also noch nicht am Ende ihrer Suche angekommen.
Lucien biss in seine letzte Obsthälfte, hielt das Stück mit den Zähnen fest, damit er die Hände frei hatte und kniete sich ans Ufer, stützte sich mit der Linken auf dem Boden ab und tauchte die Rechte ins Wasser, das zwar kühler als Körpertemperatur war, aber nicht wirklich kalt. Und die Strömung war zu schwach. Bedauernd schüttelte er den Kopf, zog die Hand zurück und griff nach der Sternfrucht, die halb in seinem Mund hing, um im gleichen Augenblick wieder davon abzubeißen.
Wie vermutet: Zu warm und zu langsam. Damit konnten sie zwar zur Not, wenn sie es ordentlich abkochten, die Vorräte der Sphinx auffüllen, aber für die Feldflaschen war das Wasser zu schmutzig.
„Wir sind noch zu nah am Meer. Aber wenn wir stromaufwärts gehen, finden wir vielleicht die Quelle.“
Erst jetzt hob der junge Mann den Blick zu seiner Begleiterin und stellte fest, dass sie gerade dabei war, sich die Stiefel auszuziehen. Unwillkürlich erschien das amüsierte Schmunzeln auf seinen Lippen und der Hauch eines anzüglichen Leuchtens blitzte in den tiefgrünen Augen auf.
„Und was wird das? Gehst du jetzt schwimmen?“
Ihm war klar, dass der Bach dafür viel zu flach war, aber die neckende Bemerkung konnte er sich dennoch nicht verkneifen.