05.10.2018, 12:02
Die vorherigen Sekunden, die schier eine Ewigkeit still standen, waren nichts im Gegensatz zu denen die noch folgen sollten. Doch Aspen blieb genau dieser eine Moment während einer Umarmung, indem es dem Umarmenden gegönnt war sich fallen zu lassen, das große Glück nicht nur zu sehen und es wahrzunehmen, sondern es auch zu fühlen. Das hier war sein Elli. Ein großer Mann, dessen Knochen ihn bei der Umarmung nicht mehr in jedes Körperteil stießen, sondern dessen Körpermasse der seinen standhielt. Der Montrose genoss das Gefühl der Wiedererkennung, des Ankommens – auch wenn es ihm viel zu schnell und noch rabiater als in seinen schlimmsten Träumen genommen wurde.
Er war noch nicht soweit, dass er die Augen freiwillig geöffnet hätte. Die Begrüßung war für ihn noch lange nicht vorbei, steckte er doch noch immer in dem langen Zeitkontingent, dass seine Wahrnehmung ihm zur Verfügung stellte: Die Sekunden glichen einer Ewigkeit. Doch dieses gefühlte Heil wurde jäh von einem hysterischen Kreischen unterbrochen, dass ihn zurück in die Realität reißen sollte. „...Vatermörder!“, schrillte es über den Platz und durch seine Ohren hinein in jede Faser seines plötzlich angespannten und verkrampften Körpers. Nein, wie... was? Er hatte sich selbst darauf getrimmt bei diesem Wort das Weite zu suchen, hatte es tagsüber häufig genug aufgesagt, sodass er sogar beim Träumen des Wortes hellwach aufschreckte. Doch hier... jetzt... Aspen riss die Augen auf und realisierte im selben Moment, dass dies kein Traum gewesen sein könnte. Er müsste weg. Sie müssten weg. Und im besten Fall so schnell, dass das Geschrei der Frau bereits in seinen Ohren verklang, bis die Wachen kamen.
Auch wenn es ihm nicht gelang Elian von sich wegzustoßen – er musste ihn weiter am Oberarm umklammern, damit er nicht verschwand – vergrößerte Aspen doch den Abstand zwischen sich, sah ihm in die Augen, so bekümmert und hilflos, da der Montrose genau wusste, dass sie selbst daran Schuld waren – sie waren zu auffällig gewesen. Kurz darauf versuchte sich der Blondschopf zu fassen, die Erinnerungen an all seine Pläne zurück in das Gedächtnis zu rufen. Wieso waren sie genau hier...? Ja, weil sie näher an den ganzen kleinen Gassen dran waren, die ihnen bereits durch vorherige Landgänge bekannt waren. Und weil es hier voll war. Voller als am Rand des Schauplatzes. Sie hatten sich hier hin platziert, weil die Voraussetzungen optimal waren.
Und genau dies war der Moment – der eine Augenblick im Stillstand der Zeit – in der die Hilflosigkeit aus seinen Zügen wieder verschwand. Er war auf einem Marineschiff gewesen, hatte einen Stützpunkt der Marine freiwillig betreten und heile wieder verlassen – dieser Marktplatz voller menschlichem Gesocks, das er damals nicht einmal mit der Kneifzange angefasst hätte, war im Gegensatz dazu nichts.
Während sich seine Züge verfinsterten, warf er einen Blick zu Farley, war kurz in der Überlegung ihn mit einem Kinnhaken zu Boden zu schlagen – doch die hysterische Frau stand so nahe, dass sie sein Gespräch mit ihm wahrscheinlich wörtlich verstanden hatte. Also griff er nur nach dem Kindheitsfreund und stürmte los: Elian zog er mit sich, als würde er ihn nie wieder loslassen wollen, Farleys Ärmel entglitt ihm jedoch nach einigen Metern aus der Hand. Der Rotschopf würde ihnen folgen können. Das wusste er. Wenn hier nur einer lebend heraus käme, dann wäre es weder Aspen, noch Elian. Die Frau ließ Aspen hinter sich schreien, sie sollte die Wachen, die Aspen noch nicht sehen konnte zwischen den Menschenmassen, ruhig zu sich locken. Er würde mitten durch stürmen, hin zu Kells Thron, an dem die Menschen sich immer dichter drängten.
Kaum einige Meter gegangen, wurde es schwieriger sich durchzudrängen. Waren die Zuschauer zuerst noch vor ihnen zur Seite gesprungen aus Furcht, hatten die Menschen weiter vorne nur die Hälfte mitbekommen von dem ganzen Tumult. Bei jedem Schritt überlegte Aspen, wie er die Aufmerksamkeit los werden könnte.. Doch mit seiner Körpergröße wäre der Weg über den Boden nicht möglich. Was wäre denn besser als ein Vatermörder...? Im Laufschritt durch die Massen griff er wahllos nach den Taschen und den typischen Geldbeuteln am Gürtel, erwischte immer wieder eine und warf sie absichtlich langsam einem anderen Zuschauer zu. Es waren nicht viele, immerhin konzentrierte er sich auf die Flucht, doch es waren genug, dass die Leute hinter ihm kreischend aufeinander los gingen um sich ihr wertvollstes Gut zurückzuholen – ein Mob von links nach rechts, der aufeinander los ging. Waren es doch mehrere gewesen? Oder... Aspen konnte sich nicht zu Elian umdrehen, doch er vermutete, dass sein kleines Brüderchen gar nicht mehr so klein und unschuldig war.
Während das Geschrei der hysterischen Frau bereits längst hinter ihnen verschwand, brach direkt hinter ihnen der Kampf um das wertvolle Gold aus. Jetzt konnten sie verschwinden. Die Gassen rückten immer näher, die Zuschauer lichteten sich ein wenig.. Und dann sah er die Wachen in noch einiger Entfernung. Sie liefen direkt auf den Platz zu, an dem die hysterische Frau hatte stehen müssen. Sie hatten also alle drei eine Chance.
Nun müssten sie die Wachen, die sich doch auf sie konzentrierten, nur noch in den Gassen abschütteln. Zu ihrem Glück begannen hier bereits die Stände aufzublühen und der Rand des Platzes war erreicht. Aspen entschied sich für die schmale Einbuchtung weiter vorne, die neben dem Haus mit den gelben Blumen, auf das er nun zustürmte. Sie müssten zwischen den Gassen verschwinden.
(Elian, Farley, Marktplatz - nähe Rayon und Scorti)