01.09.2018, 21:33
Während der junge Mann, der ihn so frech angerempelt hatte, noch zurücktaumelte, besann Aspen sich nach der Routinereaktion bereits wieder auf Farley und den kräftigen Mann, der weiter vorne auf seinem Podest auftauchte. Seine Hand fuhr dabei einmal über die Hosentaschen, in denen für Diebe nichts zu finden war, an die sich dennoch niemand wagen sollte.
„...Wie ich es nach den Plakaten vermutet...“, führte er seinen Satz, dieses Mal weitaus genervter als zuvor, fort und versuchte sich erneut an einem aussagekräftigem Satz, doch kaum war er ein Wort weiter gekommen, zog der freche Kautz wieder die Aufmerksamkeit auf sich.
Es waren nicht einmal wenige Sekunden vergangen seit der kleinen Rempelei. Kell weiter vorne war kaum einen Schritt weiter gegangen, da fing sich der Dunkelhaarige wieder und schien, zumindest aus Aspens Augenwinkelbewertung, keine Anstalten zu machen sich weiter durch die Menge zu schlängeln. Gerade wollte der Montrose sich abermals zur Seite drehen, die unangenehme Nähe zwischen sich und dem Fremden auszuweiten und ihn unsanft mit dem Arm beiseite schieben, wie es so mancher mit ungeliebten Insekten tat, da fiel sein eigener Name.
Weniger war es der Name an sich, der ihn aufhorchen ließ. Seit er Denken konnte war dieses nichtsagende Wörtchen damit besetzt, dass er die Ohren spitzte, den Kopf wandte. Erst seit dem verhängnisvollem Tag vor wenigen Monaten, als sich sein ganzes Leben abrupt änderte, schlich sich mit diesen fünf Buchstaben eine gewisse Furcht in ihm ein: Anstatt sich zu wenden, verfiel er in eine Starre, gab nicht zu erkennen, dass er sich angesprochen fühlte – laut dem Gesetz dürfte dieser 'Aspen' nämlich überhaupt nicht mehr auf offener Straße gerufen werden können.
Doch dieses Mal überfiel den jungen Montrose keine eingeübte Starre, kein ausdrucksloser Zug legte sich auf sein Gesicht. Dieses Mal war es nämlich keine unbekannte Stimme die ihn rief und dabei zwischen Erkennen, Erstaunen und Unglauben schwankte. Er durfte reagieren. So reagieren wie er es in frühsten Kindheitserinnerungen immer getan hatte. Nur leider steckte er in diesem Moment nicht in einer dieser Erinnerungen fest, wie die Gestalt von Farley neben ihm es vermuten ließe, sondern er befand sich im Hier und Jetzt: Auf offener Straße, mitten im Gedränge, gesucht und nicht gefunden.
„Elli..?, verließ leise seine Lippen, noch bevor er den jungen Mann mit den Augen fixieren konnte. Zu seinem Glück, denn als er ihn endlich ins Visier nahm, verengten sich Aspens Augen skeptisch, beinahe misstrauisch.
Sein Gehör täuschte ihn nicht, niemals. Er hatte Elian gehört und erkannt, doch zwischen all den fremden Gesichtern und Gestalten in der Menge, dieser junge Kautz, der so unachtsam versuchte sich durchzudrängen... Rein optisch hatte dieser Mann nichts mit seinem kleinem Elli-Brüderchen zu tun.
War er dem Erstarren zuvor entkommen, so verkrampften sich just in diesem Moment all seine Muskeln, die Stirn kraus, die Schultern gestrafft, als wollte er Abstand gewinnen, anstatt sich wie zuvor zu schmälern. Der hochgewachsene und dunkelhaarige Mann hatte im ersten Moment nichts mit der bekannten Gestalt des Bruder zu tun: Das altbekannte Gefühl, dass er seinen Bruder selbst zu Beginn der Selbstständigkeit beschützen musste, wurde von dieser Figur nicht in ihm geweckt. Dabei hatte Aspen immer gedacht, dass es angeboren war.
Doch er wollte nicht lügen. Mit jedem kritischen Wimpernschlag fügte sich das kindliche Gesicht seines Bruders in die gealterten Züge des Mannes ein, bis sie nach und nach übereinstimmten – oder wollte er nur, dass es passte?
Hätte jemand die Zeit zwischen dem Fallen seines Namens und dem erkennendem Blitzen in Aspens Augen gemessen, so hätte die Uhr nicht einmal zwei ganze Sekunden anschlagen können. Diese zwei Sekunden kamen Aspen einfach nur so unendlich lang vor, bevor er begriff, dass dies wirklich kein willkürlich ausgewählter Fremder, sondern sein Bruder war.
Den Arm, der in seiner Scheuchbewegung seitdem verharrte, hob er nun zu einer Umarmung an: Keine schwungvolle Begrüßung, sondern eine Prüfung seiner eigenen Sinne. Er musste Elian berühren, den Arm um ihn legen, damit er begreifen konnte, dass er dieses Gesicht ein weiteres Mal ohne Stäbe zwischen ihnen, oder einem Strick um seinen Hals, sehen durfte.
(Markt/Schauplatz, Farley und Elian)