01.09.2018, 15:15
Ihr Bogen lag immer noch sicher zwischen den langen, schlanken Fingern und erzitterte sobald sie sich zur Seite wandte. Skadi traute dieser Ruhe nicht, ganz gleich wie Trevor und Rayon es damit hielten, indem sie sich ausschließlich auf den kleinen Jungen fokussierten. Ihre Nervenenden begannen mit jedem Atemzug erneut zu kribbeln. Brannten sich beinahe unangenehm in ihre Muskeln, ehe sie von ihrer Umgebung abließ und die dunklen Augenpaare auf den Schiffsbrüchigen richtete. Nie im Leben hatte dieser selbstständig einen Hirsch erlegt. Womit auch? Sie konnte an ihm weder einen Bogen noch eine Pistole erkennen und mit bloßen Händen hatte er solch ein robustes und starkes Tier wohl kaum erlegt. Die Vermutung war also nahe liegend, dass er definitiv in Begleitung auf dieser Insel war. Doch von der war absolut nichts zu sehen. Kurzweilig schoben sich die dichten Augenbrauen zusammen, während sie den verschiedenen Erzählungen lauschte und Trevors Gefuchtel beobachtete. Die fröhliche Stimmung, die allmählich zwischen den jungen Männern aufkeimte, konnte sie nicht teilen, wandte den dunklen, kurz geschnittenen Haarschopf zu Rayon herum, der sie ohne mit der Wimper zu zucken als "Piraten" outete. Ein leises Seufzen glitt über ihre Lippen. Zum einen war sie weder das noch ein ehemaliger Marinesoldat und zum zweiten empfand sie diese Situation definitiv nicht als "harmlos" genug, um mit der Tür ins Haus zu fallen. Schon gar nicht, wenn der kleine Schiffsjunge urplötzlich mit der Wahrheit heraus rückte und sich ihre Muskeln schlagartig anspannten. Erneut wandten sich die dunklen Augenpaar in Richtung Wald und Dünen. Der Ausdruck auf ihren Zügen wirkte skeptisch, fast schon streng. Die langen Finger umfassten das massive Holz ihres alten Bogens wie einen Schraubstock - wenn das hier eskalierte, wäre sie bereit blitzschnell zu reagieren. Vielleicht mochte sie nach all den Jahren auf dem Marineschiff nicht mehr so reaktionsschnell wie früher sein, doch das Gedächtnis ihrer Muskulatur war immer noch stark ausgeprägt.
Ein letztes Mal blickte Skadi zur Seite auf die kleine Truppe zurück, musterte den jungen Scortias, der ihnen mit aller Mühe versicherte, dass sein Begleiter ein guter Mensch war, vor dem weder er noch sie sich zu fürchten brauchten. Doch DAS entschied sie lieber selbst. Kinder ließen sich nur all zu leicht von falschen Versprechen und dem kleinsten Funkten Zuwendung blenden, ganz davon abgesehen, dass ihre Loyalität bei weitem bereitwilliger verteilt wurde, als bei jedem Erwachsenen, den sie kannte. Mit einem Schnauben wandte sie sich also wieder ab, musterte den hellen Sand, der in der Ferne zu einem grell leuchtenden Brei verschwamm und urplötzlich von einer dunklen Silhouette unterbrochen wurde. Da war sie also, Scortias heimliche Begleitung. Ein Hüne, wie Skadi mit zusammengepressten Lippen erkannte und die Augen verengte. Selbst wenn sie bereits seit Wochen hier waren, hatte dieser Muskelberg ausreichend Kraftreserven, um sie mit einem gezielten Schlag zu Boden zu schmettern. Auf einen Zweikampf würde es die Nordskov also nicht anlegen. Nicht wenn sie auf so offener Flur stand und außer ihrem Bogen und einer Hand voll Sand nichts zu ihrer Verteidigung parat hatte. Ihre einzige Stärke ihm gegenüber war ihre Beweglichkeit. Und der kleine Junge, dem er augenscheinlich so viel Vertrauen entgegen brachte, dass er ihn als Vorhut ins Ungewisse schickte.
Trevors lautes Gebrüll entlockte Skadi einen mehr als genervten Laut. Nicht nur, weil er sich dann für JEDEN weiteren versteckten Komplizen in die Schussbahn manövrierte, sondern auch, weil er gedankenlos ihre Identität offenbarte. Da hätte er ihnen doch gleich eine Zielscheibe um die Brust hängen können! Gott... dieser Kerl war definitiv nicht dafür gemacht, Geheimnisse für sich zu behalten. Mochte sein Äußeres noch so attraktiv sein, machte es seine unruhige und unkontrollierte Art zunichte.
Mit einem fast schon dankbaren Ausdruck auf den Zügen, wandte sich die Nordskov dann zu Rayon herum, der das Ruder mit etwas mehr Ruhe und Professionalität herum riss. Zumindest auf einen ihrer Begleiter konnte sie sich im Ernstfall verlassen - wobei Trevor dieses altbekannte Kaliber von "das Glück ist mit den Dummen" war und jede gefährliche Situation um Haares Breite überstand. Nur langsam lockerten sich Skadis Muskeln und brannten unter ihrer Haut. Die langen Finger an ihrem Bogen zitterten kurz, kaum dass sie das dunkle Holz demonstrativ in die Höhe hob und in einer langsamen, fließenden Bewegung über ihren Oberkörper gleiten ließ. Der fremde "Captain" sollte sehen, dass sie vielleicht die kleinste und schmalste Partei in dieser Runde war - ausgenommen von Scortias - doch definitiv nicht die wehrloseste.
Und während sie ihren Blick zwischen der kleinen Gruppe und dem Neuankömmling hin und her gleiten ließ, hielt sie sich lieber verdeckt im Hintergrund. Grübelte, ob ihr der Hüne irgendwie bekannt vorkam weil sie ihn schon einmal gesehen hatte oder er aussah wie jeder zweite Hinz und Kunz, der der Marine in den letzten Jahren ins Netz gegangen war.
„Das ist Captain Cornelis ‚Feuerbart‘ van der Meer.“
Skadi verengte urplötzlich die dunklen Augen bei der Erwähnung dieses Namens. Sie hatte ihn schon einmal gehört, als ihr Vater vor vielen Jahren von einem Mann gesprochen hatte, dem er auf einem seiner Streifzüge begegnet war. Ob ihre Bekanntschaft guter oder schlechter Natur war, konnte die Nordskov kaum mehr sagen . Sie vermutete allerdings letzteres, da sie in einem ordentlichen Saufgelage auseinander gegangen waren.
Deutlich entspannter lehnte sich die Dunkelhaarige also im Stand zurück und verschränkte abwartend die Arme. Diese Unterhaltung konnte noch interessant werden.
Auf Trevors empörte Rede zum Thema Meuterei entglitt ihr sogar ein Schmunzeln, das sich deutlich in den Mundwinkeln abzeichnete. Sie konnte dem jungen Mann in diesem Punkt kaum widersprechen. Ihre Sippe hatte es ähnlich mit seinen Führungspositionen gehalten. Loyalität war das A und O in einer Gruppe Gesetzloser. Und wer sich gegen die Obersten auflehnte, sollte plausible Gründe dafür vorweisen können. Alles andere endete tödlich.
"Haie...mit bloßen Händen...", entgegnete Skadi sarkastisch und schüttelte kurz den Kopf. Diese blühende Fantasie und Faszination war ja herzallerliebst. Beinahe wäre ihr sogar ein abschätziger Kommentar zu dem "nicht notwendigen Degen" über die Lippen gehuscht, doch sie verkniff sich die " Zahnstocher" Anspielung und richtete ihren Blick auf Rayon. Seine Skepsis war für das bloße Auge kaum zu erkennen, schon gar nicht für einen unruhigen Geist wie Trevor. Doch Skadi glaubte für einen Sekundenbruchteil die dunklen Schatten in seinen Augen zu erkennen, die ähnlich ihrer eigenen waren. Sicherlich machte sie sich selbst wenig Gedanken um die Crew und die Captains der Sphinx - doch auch sie stellte sich die Frage, ob diese Konstellation gut gehen würde. Doch wenn zwei ehemalige Marinesoldaten - einer davon sogar ein OFFIZIER! - bis zum nächsten Landgang mitreisen konnten, wäre ein vertriebener Captain und sein Schiffsjunge das kleinere Übel.
Rayons Antwort untermauerte ihre Meinung. Und es amüsierte sie, dass er den Jungen als ausschlaggebendes Argument für ihre Mitnahme anführte. Sie hatte den Schiffskoch also richtig eingeschätzt - er wusste sehr genau wie er mit dieser Situation umzugehen hatte.
Womöglich aus diesem und jedem anderen Grund wandte sich die Nordskov ab und steuerte auf das offene Feuer zu. Je länger sie hier herum standen, desto später kamen sie auf das Schiff zurück. Und dank Trevor würde es ohnehin ein Kraftakt werden, den Weg wiederzufinden, von dem sie eigentlich gekommen waren. Mit beherzten Griffen in den weichen Sand löschte sie das flackernde Feuer und vergrub die heißen Kohlen. Eine reine Vorsichtsmaßnahme.
"Brauchst du Hilfe beim Tragen?" Diese Frage richtete sie direkt an Scortias, der immernoch neben Feuerbart stand und sich der Situation zwischen den Männern kaum entzogen hatte. Mit einem letzten Schritt zur Seite, blieb Skadi dicht neben den wenigen Überbleibseln der beiden Gestrandeten stehen. Wandte ihre wachsamen Augen nur kurz auf das Bündel hinab.