24.08.2018, 20:54
Es gab gewisse Gesten, die Scortias gerne hatte und eine davon war, wenn ihm jemand den er mochte, durch die Haare wuschelte. Und genau das tat Rayon gerade, was zur Folge hatte, dass Scortias den Smutje breit angrinste. Es war eine Art von Geborgenheit, die der Schiffsjunge in dem Moment verspürte. Generell war er recht selbstständig, was die harte Zeit auf den Straßen von Aelinos ihn zwangsläufig gelehrt hatte, aber Zuneigungen dieser Art hatte er, nach dem Tod seiner Eltern vor fünf Jahren, keine bekommen. Erst mit seinem Eintritt in der Crew von Feuerbart ergaben sich ab und an Situationen, in denen Cornelis ihm zeigte, dass sich jemand um den Zwölfjährigen sorgte und kümmerte. Vielleicht war das auch der Grund, wieso der Junge sich auf einem Schiff Zuhause fühlte.
Seitdem Scortias auf der Sphinx war, hatte er sich nach und nach gewisse Crewmitglieder heraus gepickt, denen er etwas mehr Vertrauen schenkte, als anderen. Und unter diesen Leuten zählte definitiv auch Rayon. Zumal er viel mit dem Schiffskoch zutun hatte, arbeitete er ja oft mit ihm in der Küche. Er half dabei das Essen vorzubereiten, das benutzte Geschirr abzuspülen und auch neue Lebensmittel aus dem Frachtraum in die Kombüse zu schaffen. Demnach kannte Rayon ihn, neben Cornelis natürlich, wohl auf der Sphinx am besten, obwohl sie privatere Gespräche bisher noch vermieden hatten.
An dem Holzschnitzerstand auf dem Markt erzählte Scortias Rayon, was für unglaubliche Geschichten er von den Seeleuten in der Taverne in Aelinos mitbekommen hatte. Er war wieder total überwältigt davon, als ihm nach und nach diese wilden Erzählungen der Leute einfiel. Das dabei einige Holzfiguren zum Opfer seiner Begeisterung wurden und umfielen, dafür entschuldigte er sich sofort bei dem Verkäufer und stellte sie auch nebenher geschwind wieder auf. Mit zusammengezogenen Augenbrauen sah er den Smutje an, der meinte, dass es nur den Unterschied gab, dass der Kraken wirklich existierte. Aber sollte das etwas heißen, dass die anderen Geschichten nicht stimmten? Scortias wollte nicht glauben, dass es Märchen gewesen sind, die er da zu hören bekommen hatte. Wieso sollten die anderen Geschichten denn nicht wahr sein, wenn es auch den Kraken gab und wieso sollten die anderen Seeleute, die das alles erzählten, weniger vertrauenswürdig sein, als der Bekannte von Rayon?
“Woher willst Du denn wissen, dass es keine nackten Frauen gibt, die Seefahrer fressen? Und dass es keinen so großen Hai gibt?“ fragte Scortias dann neugierig.
Diese Geschichten waren immer so aufregend gewesen und Rayon schien gerade alle Illusionen und Träume von dem Schiffsjungen zunichte zu machen. Klar hatte er auch sehr große Angst, dass sie wirklich mal eines dieser Wesen begegnen würden, aber irgendwo war doch auch ein gewisser Reiz daran. Kichernd hatte Scortias Ryaon auf die Schulter geboxt. Natürlich nicht feste, rein freundschaftlich halt. Kurz dachte der Zwölfjährige, dass der Smutje durch und durch Koch sei, wenn seine Absicht darin bestand, den Kraken zu dünsten, oder braten, oder einzukochen. Wie auch immer man einen Kraken auch zubereitete. Doch das war nicht wirklich die Absicht von dem großen Dunkelhäutigen, weswegen er zur See fuhr. Da hatte der Junge ihn wohl falsch verstanden. Der Erklärung hörte der Schiffsjunge gebannt zu und nickte verstehend. Seine Augen heftete er auf den Lippen von Rayon, denn er auch wenn Seeleute keine Angst haben sollten, Scortias hatte noch sehr viel davon. Klar war er auch mutig, schon alleine dass er sich überhaupt noch auf ein Schiff traute, nach all dem was die Leute so über komische Meeresbewohner erzählten, aber dennoch war da noch eine gewisse Angst, wirklich mal auf eines der Wesen zu stoßen.
In seinen Gedanken passierte dann genau so etwas. Scortias hatte eine sehr ausgeprägte Fantasie und die sorgte gerade dafür, dass er vor seinem innerem Augen sah, wie ein Kraken das Schiff, auf dem er sich befand, in die Tiefe zog. Instinktiv hatte er sich an das erste auf dem Schiff fest geklammert, was er erreichen konnte, aber in Wirklichkeit war es nur Rayons Arm gewesen. Der Koch löste sich wieder aus der Umklammerung und legte Scortias einen Arm um die Schultern. Der Junge spürte, wie er sanft an den großen Körper gedrückt wurde und sah wieder auf die Schnitzereien vor sich. Einige von denen sahen wirklich sehr gut aus, doch Rayon machte den Jungen dann auf eine ganz besondere Figur aufmerksam. Feuerbart. Sofort sah er begeistert zu dem Koch auf und grinste breit.
„Die muss ich haben.“ sagte er aufgeregt und sofort arbeite das kleine Gehirn an einem Plan, wie er die am besten klauen könnte. Problem war nur, das die Figur recht mittig auf dem Tisch stand.
Bevor er jedoch den Plan zu Ende Gedacht hatte, fiel ihm das Gold ein, dass er der alten Dame entwendet hatte. Aber konnte er davon etwas nehmen? Schließlich war das doch für die Sphinx gedacht. Er war in seinem innerem hin und her gerissen. Also sah Scortias fragend zu Rayon auf. Sein Gesichtsausdruck etwas zerknautscht, weil er sich halt unsicher war.
“Meinst Du, es ist okay, wenn ich sie von dem Gold kaufe? Weil, ... das ist ja eigentlich für das Schiff gedacht.“
Mit seiner linken Hand klopfte er auf seine Tasche, in der er die Beute der alten Dame hatte, um Rayon damit zu verstehen zugeben, von welchem Gold er da sprach. Wäre doch total klasse so eine Figur zu haben, mit der er auch mal unter Deck etwas spielen konnte, wenn er nicht gerade arbeitete. Noch besser wäre es natürlich, wenn er dazu auch eine weitere Figur hätte, denn sein Held würde ja einen Gegner brauchen. Aber da würde er auf dem Schiff schon irgendetwas anderes finden, da war er sich sicher. Und wenn es nur eine alte Tomate war. Die blutete dann wenigstens rot, wenn sein 'Holzcornelis' sie aufspießte.
Als er sich so zu der Figur beugte, spürte Scortias einen kleinen Ruck an der Hose. Sofort schnellte seine Hand zur Hosentasche. Der Beutel mit dem Gold war noch da, aber er sah, wie einer der Jungen sich aus dem Staub machte und in der Menge der Leute verschwand. Verdammt … sie hatten ihn dabei gesehen, wie er bei der alten Frau war. Und aus Erfahrung wusste er, dass die nicht locker ließen, bis sie den Goldsack zurück hatten.
“Kannst Du den nehmen?“ fragte Scortias Rayon und nickte zu seiner Tasche hinunter. “Aber pass gut drauf auf.“
[Mit Rayon auf dem Markt | bei einem Händler für Holzutensilien und -figuren]