18.08.2018, 13:28
Der Arzt des Vertrauens
22. März 1822 am Morgen auf der Sphinx
Scortias Bartholomew & Gregory Scovell
Die erste Nacht auf der Sphinx ließ den zwölfjährigen Schiffsjungen nicht wirklich zur Ruhe kommen. Er lag in einer Hängematte und hörte dem Knacken und Knarren des Schiffes zu, dass sich mit den Wellen hin und her bewegte. Normalerweise fand Scortias es schön, wenn das Schiff ihn sanft in den Schlaf wiegte, so wie ein Baby in der Wiege, aber es war am Vortag einfach zu viel passiert und seine Gedanken kreisten genau um diese Ereignisse. Wie er mit Cornelis alleine am Strand gesessen hatte, als der Captain den Hirsch aus dem Wald mitgebracht hatte und Scortias ihn häutete. Wie er danach im Meer baden war und Angst vor Haien bekommen hatte und dann, als Trevor, Rayon und Kaladar auftauchten und endlich Aussicht auf Rettung aufloderte. Und da war dann dieser Schockmoment, als Feuerbart Trevor geschlagen hatte, in dem Scortias wirklich Angst hatte, dass sie entweder doch auf der Insel zurück gelassen werden, oder sogar von den Piraten getötet wurden. Zum Glück war alles gut ausgegangen, was vielleicht auch an der Reaktion von Trevor gelegen hatte, der keinesfalls auf einen Gegenschlag aus war, sondern seine blutige Nase gefeiert hatte. Somit hatte sich die ganze Situation wieder entspannt und sie setzten den Weg weiter zur Sphinx fort.
Schon gestern sollte Scortias zum Schiffsarzt, denn er und auch Cornelis sollten einer Grunduntersuchung unterzogen werden, damit sie nicht irgendwelche Krankheiten an Bord brachten. Durch den Zwischenfall mit Trevor und dem Captain, musste allerdings erst einmal die Nase des lustigen Blonden verarztet werden. Und auch durch die Gespräche zwischen Van der Meer und den Kapitänen der Sphinx hatte sich das alles so lange verzögert, dass sie die Untersuchung auf den Morgen des nächsten Tages geschoben hatten. Erst, als es schon zum Morgen dämmerte, hatte Scortias es endlich geschafft in den Schlaf zu finden. Dementsprechend unausgeschlafen torkelte der Zwölfjährige auch in den, mit Vorhängen abgetrennten, Bereich des Schiffsarztes, nachdem Cornellis ihn geweckt hatte. Der Junge schob seinen Kopf an einen der Laken vorbei, bevor er es beiseite schob, um hindurch zu gehen. Hinter sich schloss er es wieder, die Augen aber nicht von dem dunkelhaarigen Mann abgewendet, der vermutlich schon auf den Jungen wartete. Mit den Händen rieb Scortias sich die Augen, als er dann zu dem Mann an den Tisch trat und davor stehen blieb.
"Guten Morgen." murmelte er verschlafen, unterdrückte sich ein Gähnen und stellte sich dann vor. "Ich bin Scortias."
In der Nacht war es etwas kühler gewesen, weswegen er ein verdrecktes, weißes Oberteil an hatte, das an dem Kragen mittig zur Brust eingerissen und noch mindestens zwei Nummern zu groß für ihn war. Es hing etwas seitlich an seinem Körper und drohte über seine Schulter zu gleiten. Die Ärmel rutschen immer wieder über Scortias' Hände, die er jedes Mal, wenn das passierte, zurück zum Oberarm schob. Der einstige Schiffsjunge der Onyx trug eine braune Wildlederhose, die ihn schon durch so einige Abenteuer begleitet hatte und bereits viel zu kurz war. Seine zahnstocherdünnen Waden schauten aus den Beinlöchern heraus. Und dann hatte er diese Fellboots an, die ihm an kalten Tagen die Füße wärmten. Seine Haare standen recht zerzaust von seinem Kopf ab, war er ja gerade erst aus der Hängematte geschubst worden. Das Herz des Jungen pochte etwas wilder vor Aufregung, denn er hatte keine Ahnung was der Mann nun mit ihm anstellen würde. In dem Kinderheim hatten die Ärzte immer diese großen Spritzen dabei, die so sehr weh taten, wenn sie einen damit pieksten. Und sie schoben einem diese Holzstäbchen immer so weit in den Rachen, dass er würgen musste. Er mochte keine Untersuchung. Und dann stand da ja immer noch die Frage im Raum, ob er überhaupt gesund war und sie ihn mitnehmen würden. Was, wenn nicht? Dann musste er wieder zurück auf die Insel und für immer da bleiben.