11.07.2018, 11:05
"Die Nachricht, in der ich dir schrieb, daß es mir gut geht und daß du dir keine Sorgen zu machen brauchst."
Hätten dem nicht 14 Jahre gegenteiligen Glaubens entgegen gestanden, dieser Satz hätte gereicht, Enrique voll und ganz zu überzeugen, kam er doch in dem Tonfall, in dem Cornelis mit ihm häufig über das Ende des freundlichen alten Herrn der Seepferdchen gesprochen hatte und auch ein einziges Mal etwas von den Problemen unter dem neuen Capitán erwähnte, als es zuviel geworden war.
So aber sickerte der Satz nur langsam in das Bewusstsein des 26-Jährigen.
"Die Nachricht, in der ich dir schrieb, daß es mir gut geht und daß du dir keine Sorgen zu machen brauchst."
...dir schrieb... Cornelis hatte geschrieben..?
"Warum..?"
Warum hatte er sie dann nicht erhalten? Das Wort war ein leises, kaum verständliches wispern.
"Die Nachricht, in der ich dir schrieb, daß es mir gut geht und daß du dir keine Sorgen zu machen brauchst."
...keine Sorgen zu machen brauchst... Die hatte er sich bestimmt trotzdem gemacht...
"Das ist nicht fair!"
Auch das war nur ein leises und halb ersticktes Flüstern.
Nicht fair... Aber was war schon fair? Das Leben bestimmt nicht.
Beide rangen sie eine Weile für sich mit ihrer Vergangenheit, der eine Schritt rückwärts durch sie hindurch, der andere versuchte verzweifelt sie in einen neuen Bezug zu setzen.
Wie sehr wünschte er sich, dass er solch eine Nachricht erhalten hätte, das er auf ein Wiedersehen hätte hoffen, ihn hätte suchen können!
Was wenn dem aber so ist?, regte sich leise das erste zaghafte bisschen Hoffnung.
Was wenn er tatsächlich solch einen Brief nicht erhalten hätte? Was wenn Cornelis tatsächlich noch lebte? Könnte er dann nicht auch hier sein? Wieder und wieder drehte und wendete er diese Fragen in seinem Kopf, kämpfte gegen das Gefühlschaos, die Angst noch einmal betrogen zu werden, der davor, dann noch einmal all den Schmerz aushalten zu müssen, das Misstrauen, dass sich über die Zeit so tief eingenistet hatte, dass es zu einer grundlegenden Einstellung geworden war, die Wut auf alle, die daran Schuld waren, dass er, die Situation und anderes so war, wie das alles jetzt nun mal war, an, bemühte sich der Hoffnung nicht den Wind aus den Segeln zu nehmen während eine andere Wut die Frage aufbrachte, warum er diesem Mann vertrauen sollte, wenn der ihn wahrscheinlich doch wieder allein lassen würde, falls er es denn überhaupt war—
"Sir? Kann ich helfen?"
Die Frage riss ihn aus seinen Gedanken. Und obwohl es sein alter Freund war der diese Worte sprach mischten sich weitere Stimmen dazu: Seine Eigene. Die von Personal, von Kadetten, Menschen auf der Straße, Fähnrichen und andere aus 14 Jahren seines Lebens. Am Ende war es die von Gaskel, die am deutlichsten zu ihm durchdrang. Immerhin hatte er Zehn Jahre davon bei der Marine verbracht. Und damit griffen die Reflexe der letzten Zeit. Er strafte seine Haltung ruckhaft, sein Gesicht verschloss sich und auch eine leicht schroffe Anweisung schoss ihm, wie er sie sich für solche Fälle, als Offizier, angewöhnt hatte, über die Lippen:
"Das ist ni— Agh—!"
Jedenfalls der erst Teil, bis sein Körper ihn mehr als rüde unterbrach. Jetzt, ohne die Wut, die jeglichen Schmerz der vorherigen Bewegungen ausgefiltert hatte, bahnte dieser sich, ausgelöst durch das plötzliche Aufrichten und verstärkt durch die vorherige Reizung, seinen Weg in den, durch die Situation, ungeschützt offenliegenden Geist des ehemaligen Offiziers, ließ ihn Sterne sehen und schickte ihn, was Schock und Verzweiflung vorher nicht geschafft hatten, in die Knie.
Er blinzelte irritiert, als der Schmerz sich schließlich zu ein dumpfen, regelmäßigen Stechen verringert hatte, er sich an diesem vorbei besann, wo er war und ihm dämmerte, dass ihn hier niemand so ansprechen würde.
Und warum sollte ausgerechnet ein berühmt-berüchtigter Piratenkapitän jetzt damit anfangen?
"Was?"
Fragend suchte er den Blick dieses Mannes. Und auch wenn die Situation jetzt andersherum war, so hatten sich diese Worte doch damals so sehr in sein Gedächtnis gebrannt, so oft hatte er sie wiederholt, dass diese Erinnerung sich ungewollt einstellte und er war so verwirrt, dass er für einen Moment wieder das Gefühl hatte der kleiner Junge zu sein, der er damals war.