09.07.2018, 17:35
Cornelis sah den Arm, der ausholte - doch er rührte sich nicht. Hätte sein alter Freund das gebraucht, um das Wiedersehen zu verarbeiten, dann hätte er den Schlag mit Freuden in Kauf genommen. Doch anstatt zuzuschlagen, fauchte Enrique ihn erneut an, wandte sich dann von ihm ab und lehnte sich an der Pinasse an. Für Cornelis schien es so, als bräuchte der junge Mann die Stütze aufgrund des Schockes oder der Verwirrung. Daß er auch physisch verletzt war, war für ihn nicht ersichtlich.
Ein dumpfer Schmerz breitete sich immer weiter in Cornelis´ Brust aus. Er war tatsächlich tot für Enrique und dieser konnte offenbar nicht begreifen, daß er noch leben sollte. Oder wollte er gar, daß er nicht von den Toten auferstand? Er wandte den Blick ab, hielt ihn gesenkt auf die Planken des Decks und seine Augen brannten von unterdrückten Tränen. Immer wieder und wieder flogen die Bilder seiner Jugend an seinem inneren Auge vorbei. All ihre Begegnungen - all ihre Freude - und auch die heftigen Auseinandersetzungen zwischen diesem zornigen Knaben und ihm, die nie ihre Freundschaft zu trüben vermocht hatten, da die Versöhnungen danach nur um so herzlicher ausgefallen waren.
Als Enrique dann die Frage nach der Nachricht stellte, hob er nicht den Blick und sagte nur mit heiserer Stimme: "Die Nachricht, in der ich dir schrieb, daß es mir gut geht und daß du dir keine Sorgen zu machen brauchst."
Dann kehrten sich seine Gedanken wieder ab von der Gegenwart und kehrten in die Vergangenheit zurück, in ihre gemeinsame Vergangenheit, an die er so oft gedacht hatte in den letzten 14 Jahren, bis sie schließlich an ihrer ersten Begegnung hängen blieben. Da hob er seinen Blick und sah wieder zu Enrique - und da dieser bis jetzt noch nicht reagiert hatte, erhob er sich langsam und ging ein wenig auf ihn zu, bis er vielleicht zwei Meter hinter ihm stand.
Seine Stimme war noch immer heiser, als er leise sagte: "Sir? Kann ich helfen?" Es waren die ersten Worte, die Cornelis damals von Enrique gehört hatte. Und es war die Hoffnung darauf, daß Enrique begreifen würde, daß er nicht jeden einzelnen Wortwechsel erwähnt hätte, hätte er jemandem davon erzählt. Es war die Hoffnung darauf, daß diese vier einfachen Worte es Enrique ermöglichen könnten zu erkennen, daß er es tatsächlich war.