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Say goodbye to yesterday
Crewmitglied der Sphinx
für 0 Gold gesucht
dabei seit Feb 2016
#1
Say goodbye to yesterday
bespielt von    Liam Casey   Skadi Nordskov
07.05.1822
Say goodbye to yesterday
And the battle's raging
But we're gaining ground
So many years I fought alone
I don't know, how
Got the past replaying
But you numb the shout
And all this constant inner fight
It starts to calm

Nacht des 07. Mai 1822
Skadi Nordskov & Liam Casey


Es hätte auch alles bloß ein böser Traum sein können. Ein Traum, der etliche Nächte zurück lag, einen aber noch immer nicht losgelassen hatte. Es hätte tatsächlich ein Traum sein können, hätte ihn der Schmerz in seinem rechten Arm nicht bei jeder größeren Bewegung daran erinnert, dass es keiner war. Im Gegensatz zu einem Großteil der anderen vermutlich hatte es ihn nicht in das Dorf gezogen. Nicht einmal der Gedanke, all das Geschehene mit einem guten Tropfen Alkohol ein wenig in Vergessenheit zu rücken, hatte ihn in die Taverne gelockt. Stattdessen war er in der Abenddämmerung aufgebrochen, um ein wenig mit sich selbst allein zu sein, zu laufen, ohne ein wirkliches Ziel vor Augen zu haben und einen Augenblick den Trubel vergessen zu können, den der begrenzte Raum der Sphinx mit sich brachte. Irgendwann war er umgekehrt, doch statt zum Schiff zurückzukehren, hatte er sich auf halbem Weg – man konnte das Schiff am Horizont ankern sehen – im Sand niedergelassen. Ein kleines Lagerfeuer erhellte die Nacht um ihn herum, knisterte, während die Funken im Takt der Wellen durch die Nacht tanzten. Ein tiefer Atemzug löste sich aus seiner Kehle, ehe er sich langsam rücklings in den Sand gleiten ließ und gen Himmel spähte.
Es fühlte sich an, als wäre sie bereits um die ganze Insel gelaufen. Ihr Kopf pochte vor aufkeimenden Gedanken, die sie in einem weiteren Sprint zu ersticken versuchte. All diese Barrieren in ihrem Inneren - Skadi fühlte sich immer mehr, als würde es binnen weniger Tage einfach aus ihr heraus platzen und in einer schwarzen Lache vor Enriques Füße spülen. Er ignorierte sie noch immer. Mehr sogar als vor den Ereignissen des Überfalls. So kam es ihr vor. und selbst Liam war unauffindbar, nachdem sie sich aus ihrem Loch getraut und die anderen vom Schiff, aber nicht in die Stadt begleitet hatte. Unwirsch wischte sie sich die verbliebenen Tränen aus dem Gesicht, als ein Lichtschein in ihrem Augenwinkel aufblitzte. Übervorsichtig war sie in einen der naheliegende Büsche gehechtet. Nur um festzustellen, dass der Lockenkopf am Fuße des Feuers hockte. Tief in Gedanken versunken und ungewöhnlich melancholisch. „Hier bist du also, halb die ganze Insel nach dir abgesucht.“ Ein mattes Lächeln zeichnete sich auf ihren Lippen ab, während sie sich auf ihn zubewegte und neben ihm in den Sand gleiten ließ. „Alles... okay?“
Er bekam den genauen Gedanken, der ihn seither wachhielt, gar nicht mal richtig gefasst. Vielleicht war es das gewöhnliche Chaos, das einen heimsuchte, wenn einem bewusst wurde, dass man es zum gesuchten Verbrecher geschafft hatte. Vielleicht war es das Bewusstsein, dass er sich von der Freiheit, die er so sehr genoss, vorerst verabschieden konnte. Misstrauen war nicht unbedingt seine Stärke, aber den meisten Menschen auf dieser Welt war Kopfgeld weitaus wichtiger als das Leben dahinter. Vielleicht fehlte ihm auch einfach die Stimme an seiner Seite, die über diese untypischen Sorgen lachte und ihm versicherte, dass sich nichts ändern würde. Ein Geräusch hinter ihm hätte ihn aufschrecken lassen sollen. Aber bis ihm das in den Sinn gekommen war, hatte die Person ihr Versteck bereits wieder verlassen. Er sah auf, ohne den Kopf zu bewegen und ein Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab, als er die rundliche Nase im Schein des Feuers erkannte. „Das wusste ich nicht, tut mir leid. Ich hatte nicht vor, mich zu verstecken.“, versicherte er Skadi, die ähnlich erschöpft aussah, wie er sich fühlte. Vermutlich hatte sie die letzten Nachte ebenso wenig Schlaf gefunden wie er. Liam richtete sich auf und ein kurzes nachdenkliches Runzeln blitzte über seine Stirn, ehe er sachte mit der linken Schulter zuckte. „War schon mal besser.“, schmunzelte er wahrheitsgemäß, ehe er ihre Miene musterte. „Ein bisschen Heimweh schätze ich. Mehr nicht. Was ist mit dir? Du siehst erschöpft aus.“ Einen Teil ihrer Sorgen kannte er, teilte er.
Seine Entschuldigung schnitt sich ungewohnt schmerzhaft in ihre Brust. Diese Lethargie stand ihm überhaupt nicht. Fast schnaubend presste die Nordskov die vollen Lippen aufeinander und schob mit beiden Händen ihre Fußsohlen zusammen. Hatte sie dem Rumoren in ihrem Bauch entkommen wolle, schürte der Lockenkopf es geradezu. „Sind wir doch alle irgendwie.“ Was nicht einmal gelogen war. Die Nächte waren für alle, vor allem für die Verletzten hart gewesen. Skadi hatte da wohl, mit Ausnahme weniger Blessuren, eine große Ausnahme gespielt. Was sie allerdings zu seinem Heimweh sagen sollte... nun, es wäre nichts produktives, um es in Silben und vollen Sätzen heraus zu lassen. Womöglich destruktiver, als sie beabsichtigte. Somit blieb es hinter verschlossenen Lippen, wenngleich ihre Augen bei seinen Worten seltsam zu flackern begannen.
Vermutlich hatte sie Recht. Sie hatten nur unterschiedliche Arten und Weisen, damit umzugehen. Sie brauchten alle Zeit, um mit der neuen Situation umzugehen und zu verstehen, was es für die Zukunft bedeuten würde. Am Ende würde sich tatsächlich gar nichts ändern und all die Sorgen, die sie nun belasteten, wären umsonst gewesen. Liam stimmte ihr hörbar, wenn auch wortlos zu und schließlich versanken sie in Schweigen. Sein Blick verlor sich für einen Sekundenbruchteil im Schein des Feuers, ehe er Skadis Züge wieder von der Seite musterte. Da war mehr, als sie zugeben wollte, aber es überraschte ihn nicht. Sie wollte stark sein, sich vermutlich selbst etwas vormachen. Ohne ein weiteres Wort hob er die linke Hand und umschloss damit die Finger der Jüngeren. Sie mussten nicht reden, wenn sie nicht wollten. Aber sie sollte wissen, dass sie nicht allein war. „Sag mal…“, begann er schließlich nach einer weiteren Pause und bemüht um den üblichen Humor in seiner Stimme. „Wie wird man so ein Kopfgeld eigentlich wieder los? Nur rein aus Interesse versteht sich. Immerhin zählen wir jetzt vermutlich auch endlich zu den ‚bösen Jungs‘ wie es sich für Piraten gehört.“
Die Stille fühlte sich so unfassbar unangenehm an, dass Skadi nahezu erleichtert aufatmete, als Liams Fingerkuppen über ihren Handrücken fuhren. Auf seine Frage hin blinzelte sie erst irritiert. Umfasste dann sein Handgelenk mit den Fingern ihrer Linken und lehnte sich mit zusammengezogenen Augenbrauen voraus. „Ich glaube kaum, dass noch jemand von denen lebt, die dein Gesicht beschreiben könnten.“ Dafür hatte sie gesorgt. Wie sie es schon immer tat. Für jeden, der ihr wichtig war. „Wenn doch... würde ihr dir empfehlen an meiner Seite zu bleiben. Erhöht zumindest drastisch deine Überlebenschancen.“ Fast schon beiläufig zuckte die Dunkelhaarige mit den Schultern, wenngleich sie es durchaus ernst damit meinte.
Es fühlte sich gut an, nicht allein zu sein. Es war ein bisschen Normalität zwischen all den offenen Fragen. Vielleicht war er diesbezüglich tatsächlich einfach zu wenig abgehärtet. Vielleicht war er aber auch der einzige, der sich Gedanken darum machen musste, seine Liebsten nicht in Gefahr zu bringen, indem er ihnen einen unüberlegten Besuch abstattete. Nicht, dass das in den letzten Jahren oft vorgekommen wäre – aber nun hatte man ihm theoretisch die Möglichkeit genommen. Skadis Versuch, ihm die Sorge zu nehmen, nahm er mit einem Lächeln zur Kenntnis, ehe er -möglichst unauffällig – den Kopf senkte und einen Punkt im Sand begutachtete. Jetzt war vermutlich nicht der richtige Zeitpunkt, ihr zu offenbaren, dass er davon abgesehen hatte, seinen Gegnern gänzlich den Garaus zu machen. Vielleicht würde er es irgendwann mal beiläufig erwähnen, damit sie Bescheid wusste. Aber gerade wollte er ihrem sorgenvollen Gesicht nicht noch mehr Kummer bereiten. Als sie fortfuhr, wurde das Lächeln auf seinen Zügen wärmer. Dass sie besser auf ihn aufpassen konnte als er, war kein Geheimnis. Und der Gedanke, dass ihr offenbar tatsächlich etwas an seinem Wohlergehen lag, fühlte sich im Augenblick unheimlich tröstlich an. Wie ein Stück der Heimat, die im gerade so unfassbar fern schien. Trotzdem hinterließ es einen bitteren Beigeschmack. Dankbar strich er mit dem Daumen über ihren Handrücken. „Nicht, dass mir der Gedanke nicht behagen würde…“, versicherte er ihr mit einem leisen Schmunzeln in der Stimme, ehe er ernster wurde. „Aber hast du nicht schon genug, auf die du aufpassen musst?“ Vielleicht verstand sie, worauf er hinauswollte. Nicht nur, dass sie auf sich selbst achten musste, nein, sie hatte sich auch Enrique angenommen. Und Liam entging nicht, wie leichtfertig der ehemalige Offizier mit ihrem Pflichtbewusstsein spielte.
Für einen Moment zeichnete sich auf ihren Zügen völliges Unverständnis ab. Nicht nur, dass Liam da auf irgendwelche anderen Leute auf der Sphinx anspielte, auch tunkte er damit ihren Kopf in ein Fettnäpfchen, das ihr just die Brust zuschnürte. Als hätte er ihr einen Stich verpasst, löste sie ihre Finger von ihm. Ließ sich langsam in den Sand zurück gleiten und stützte sich mit der freien Hand im Rücken ab. „Muss ich das? Habe nicht den Eindruck, als wollte das irgendeiner.“ Das von euch klebte förmlich an ihrer Zungenspitze. Blieb jedoch unausgesprochen, während der dunkle Schopf in den Nacken glitt und die Augen auf den Sternenhimmel richtete.
Der Ausdruck, den er auf ihren Zügen weckte, war für ihn im ersten Augenblick schwer zu lesen. Als sie aber schließlich recht entschlossen ihre Hand aus seinem Griff löste, ahnte er, dass es keine Erkenntnis gewesen war, die er da gesehen hatte. Liam zog die Hand zurück und bettete sie wieder in seinem Schoß. Die Finger der Rechten kribbelten noch immer dumpf und unangenehm seit jener Nacht. Es war nicht seine Absicht gewesen, sie abzuweisen. Er sorgte sich lediglich um sie. Weil sie eben das, was sie aussprach, im Bezug auf Enrique nicht wahrhaben wollte. Aber selbst der Lockenschopf hatte anhand ihrer Reaktion verstanden, dass es nicht unbedingt das erbaulichste Thema war. Er wäre allerdings nicht Liam gewesen, hätte er nicht noch mehr dazu zu sagen gehabt. „Ich will nicht, dass du denkst, ich würde deine Gesellschaft nur genießen, weil du mir im Ernstfall den Arsch retten kannst, Skadi.“, begann er schließlich und spähte in die Richtung, in der sich das Licht des Dorfes erahnen ließ. „Und ich will auch nicht, dass du denkst, du müsstest mir derlei Angebote machen, um mich in deiner Nähe zu halten.“ Ein kurzes Zucken huschte über seine Mundwinkel, ein flüchtiger Blick in ihre Richtung, ehe er wieder gen Meer spähte. „Mir liegt was an dir. Nicht an deiner Vergangenheit oder deinen Fähigkeiten.“
Sie versuchte krampfhaft den Blick nicht vom Sternenhimmel anzuwenden. Schluckte für einen kurzen Moment, als Liam die Stimme erhob. Wieso musste er jetzt davon reden? Wieso mussten immer alle direkt so theatralisch werden? Nichts was sie tat oder sagte war dazu da, um irgendetwas zu beweisen. Oder um jemanden an sich zu binden, von dem sie zum einen wusste, dass es nicht funktionieren würde, und zum anderen selbst nicht wollte, dass er es tat. Nie hatte sie sich als Käfig für einen Vogel gesehen, der in die Wildnis gehörte. Und doch senkte sich langsam der Blick auf diesen Exoten, der ihr weder gänzlich in noch aus dem Kopf ging. Skadi musterte Liam schweigend. Versucht beherrscht, um sich den Knoten in ihrem Hals nicht anmerken zu lassen. Wieso sagte er auf einmal sowas? Und wieso fegt es jegliche Antwort aus ihrem Kopf und trieb diesen Schwall Hitze zurück in ihren Körper? Mit einem Seufzen kippte die Nordskov wieder voraus und zog einen brennenden Zweig aus dem Feuer. Offensichtlich um sich der unangenehmen Schwere dieses Gesprächs zu entziehen.
Vielleicht hatte er den bitteren Ausdruck in ihren Worten auch falsch verstanden. Das allerdings änderte nichts daran, dass es ihm wichtig war, dass sie wusste, was er ihr gerade offenbart hatte. Auf eine Antwort hatte er es gar nicht abgesehen. Es bedurfte keiner Antwort, selbst wenn es bedeutete, dass seine Worte viel Platz für Interpretationen ihrerseits behielten. Zum Glück machte er sich darüber keine Gedanken, denn sonst wäre vermutlich doch eine Antwort nötig gewesen. Irgendetwas, was ihm sagte, dass sie ihn richtig verstanden hatte. Dass er Zeit mit ihr verbrachte, weil er es gerne tat und nicht, weil er sich irgendeinen Vorteil daraus erhoffte. So funktionierte Freundschaft bei ihm. Bedingungslos. Weil man den anderen eben gernhatte. Weil er nicht damit gerechnet hatte, dass Skadi etwas entgegnete, kam ihm die Stille auch nicht schwerer vor als zuvor ohne sie. Vielleicht hatte sie in seinem Rücken auch mit den Augen gerollt über all die Worte, die er machte. Als er den Blick allerdings wieder herumwandte, wirkte sie eher nachdenklich als genervt. Liam rieb sich mit der freien Hand kurz die Augen, müde, aber wissend, dass er in dieser Nacht vermutlich auch nicht mehr Schlaf bekommen würde als die Nächte zuvor. Schließlich lehnte er sich zur Seite und zog seinen Seesack heran, mit dem er vorhin aufgebrochen war, kramte eine Flasche heraus und entkorkte sie. „Magst du einen Schluck?“, bot er Skadi den Rum an, um die Schwere etwas zu vertreiben. Außerdem brachte der Alkohol das Stechen in seinem Oberarm zum Schweigen.  
Irgendwie war sie froh darum, seine Gedanken nicht lesen zu können. Bereits jetzt machte sie sein Verhalten vollkommen konfus. Worte hätten daran kaum mehr etwas verbessern können. Und die Nordskov konnte auf jene ohnehin gerade gut verzichten. Es reichte vollkommen zu wissen, dass es ihm halbwegs gut ging und seine Verletzung sich nicht entzündete. Nur für einen Sekundenbruchteil tanzte das dunkle Augenpaar an den oberen Rand ihrer Lider. Dann schüttelte sie schwach, aber deutlich erkennbar den Kopf. Nach diesem einen Abend war ihr nicht mehr nach Alkohol, ganz gleich wie leicht er all das Chaos in ihrem Kopf vergessen machen konnte. „Ich bin für die nächsten Monate davon geheilt.“, entgegnet sie und senkte den Blick auf das brennende Holz zwischen ihren Fingern, bis es zerbarst und in den hellen Sand hinab fiel. „Ich frag mich immer noch, ob wir zu leichtsinnig waren, um die Anzeichen übersehen zu haben...“ Sie brach das Schweigen mit solcher Ernsthaftigkeit, dass ihr selbst flau im Magen wurde.
Liam musterte die Flasche zwischen seinen Fingern einen Moment, kaum dass Skadi abgelehnt hatte. Es war nicht schwer, zu erraten, woher ihre plötzliche Abstinenz kam. Insgeheim bewunderte er sie dafür, derart rational zu handeln und sich ihren wachen Verstandes zu bemühen. Er hatte diese Vernunft nicht, obwohl er wusste, dass es die bessere Entscheidung gewesen wäre. Im Gegensatz zu seiner Begleitung also hob er die Flasche an die Lippen und nahm einen Schluck in der Hoffnung, den Schmerz in seinem Arm baldmöglichst zu betäuben. Auch ohne den Rum brach Skadi nun aber mit ihren Gedanken heraus. Und Liam war bereit, ihnen Rede und Antwort zu stehen, solange er konnte. Er nickte langsam, nachdenklich, ehe sich sein Blick von der Flasche löste und sich wieder auf das hübsche Antlitz Skadis legte. „Wir hätten eigentlich ahnen sollen, dass niemand einfach so Fremde auf eine Hochzeit einlädt.“ Eigentlich. „Aber was wir nicht ahnen konnten, ist, dass die sich eines ganzen Dorfes bemächtigen, um uns zu kriegen. All die Vorbereitungen - sowas plant man nicht eben an einem Abend bei einem Krug Bier. Sie mussten also wissen, dass wir kommen. Woher ist die Frage.“ Niemand war so gierig, ein ganzes Dorf für ein bisschen Kopfgeld zu opfern. Oder? „Meinst du, das bisschen Gold, was sie mit uns verdient hätten, war es wert, ein ganzes Dorf in Schutt und Asche zu legen mit diesen... Dingern?“
Nachdenklich starrte Skadi ins tanzende Feuer, während Liam ausholte und eine Frage aufflammen ließ, über die sie bisher noch nie einen Gedanken verloren hatte. Wäre Shanaya in der Lage sie ins offene Messer laufen zu lassen? Nein. Das wäre reichlich dumm und erschien ihr in Anbetracht ihrer Reaktion auf Talins, Luciens und vor allem Greos Verletzung unmöglich. Was war allerdings mit jemandem, der sie dazu manipuliert hatte dorthin zu segeln? Es gab Menschen, die durchaus dazu in der Lage waren. Kleine Hinweise einstreuten. Ideen in Köpfe pflanzten und lachend an den Strippen ihrer Puppen zogen. „Ich weiß nicht wie viel auf Lucien und Enriques Kopf ausgesetzt ist...“ Das war eine Lüge. Sie wusste es. Wenngleich sie es nicht wollte, weil es ihr das Herz zusammenzog. „…aber du hast das Dorf gesehen. Verarmt, heruntergekommen und sicherlich ein ziemliches Inzestloch. Wenn es nicht nur rein des Geldes wegen gewesen war, dann, weil es ihre Berufung ist und mehr Freude bereitet, als sie in ihrem Leben sonst haben. Wer weiß wer von den Anwohnern überhaupt noch im Dorf war, als es losging. Ich habe jedenfalls keine Kinder mehr gesehen.“ Mit Ausnahme des kleinen Bartolomew. Noch so ein Thema, das ihr gern die Luft abschnürte.
Obwohl es seine eigenen Worte gewesen waren, wäre er nie auf die Idee gekommen, dass jemand von ihnen sie verraten hätte. Er wollte keine Zwietracht säen, kein Misstrauen schüren. Zum Glück offenbarte Skadi ihm nicht, auf welchen Gedanken er sie gebracht hatte. Er hätte nämlich auch keinen Beweis dafür gehabt, dass es nicht so war. Keinen außer sein Vertrauen in die, die sich für diesen Kurs entschieden hatten. Im Bezug auf Kopfgelder kannte er sich absolut nicht aus. Alex hätte diesbezüglich vielleicht etwas zu sagen gehabt, aber ihm blieb nicht mehr, als zu vermuten und Skadis Aussage blind zu vertrauen. Auch seine Augen verloren sich kurzzeitig im Feuerschein, ehe er nachdenklich aufs Meer hinaussah. „Bemitleidenswert.“, flüsterte er bei dem Gedanken, Freude dabei zu empfinden, einem anderen Menschen das Leben zu nehmen. Aber dass er damit ziemlich alleine war, wurde ihm zunehmend bewusst. „Aber dann hatten sie es vielleicht nicht einmal auf uns speziell abgesehen. An den richtigen Orten lässt sich mit allem Gold machen. Das ausgesetzte Kopfgeld wäre nur ein kleiner Bonus gewesen.“ Was noch widerwärtiger klang, als die bloße Absicht, Köpfe zu sammeln. Eine Insel, die davon lebte, ihre Besucher zu verhökern. Die Menschheit zeigte immer neue Abgründe.
Unweigerlich huschten die dunklen Augen zur Seite, als Liam etwas flüsterte, von dem die Nordskov nicht sicher war, gegen wen es sich tatsächlich richtete. Sie wusste dass Liam ein eher friedfertiger Zeitgenosse war und seine Skrupel besaß anderen und vor allen Unschuldigen das Leben zu nehmen. Wie wenig musste sie wohl eine wirkliche Freundin sein, dass ihr das erst jetzt wieder in den Sinn kam. „Vielleicht. Und egal ob es Zufall oder ein Attentat war - es ändert wohl nichts daran, dass wir noch mehr darauf Acht geben müssen wohin wir segeln und als was wir uns verkaufen.“ Für sie war das ein erneutes Versteckspiel. Selbst wenn es ihr zuwider war, konnte sie schlussendlich damit leben. Aber Liam? Die Dunkelhaarige hatte da so ihre Zweifel. „Tut mir leid.“ Dieser Versuch einer Entschuldigung fühlte sich erbärmlich an. Als könnte sie etwas für diese heillose Chaos. So war das Leben. Und doch tat es ihr Leid, dass es Menschen wie Liam und Greo mit hinein zog, die zu normal und ehrenhaft waren. Oder zumindest so wirkten.
Insgeheim hoffte er, dass Skadi übertrieb. Dass sie nicht hinter jedem unbekannten Gesicht einen Hinterhalt vermuten mussten. Liam gehörte gewiss zu der Art Mensch, die aus solchen Zwischenfällen nicht direkt etwas lernten. Umso wertvoller war es, dass ihm in Zukunft Menschen beistanden, die ihn davon abhielten, blind erneut in eine Falle zu laufen. Für sich beschloss er dennoch, es als Zufall zu verbuchen. Er glaubte fest daran, dass ein Großteil der Bevölkerung nicht ganz so verdorben war, wie das Leben ihn gerade glauben lassen wollte. Mit einem tiefen Seufzen gab er ihr Recht, blinzelte aber verwirrt, als sie sich dafür entschuldigte. Sie konnten alle nichts dafür. Und er war der letzte, dem sie etwas schuldig war. „Früher oder später werden wir vergessen sein. Und dann stehen uns die sieben Welten wieder offen.“ Er versuchte tatsächlich, es so zuversichtlich zu sehen, wie er klang. Mit einem angeschlagenen Lächeln wandte er das Gesicht zu ihr herum. Sie würden schon das beste aus der Situation machen. Etwas anderes blieb ihnen immerhin nicht übrig. „Und bis es soweit ist, steht es zum Glück nicht in unserer Verantwortung, wohin wir segeln.“
Skadi hoffte, dass Liam recht behielt. Selbst wenn ihr anerzogener Pessimismus oder vielmehr ihre gesunde Skepsis dagegen hielten wie tollwütige Hunde. Es musste sich gut anfühlen guter Dinge zu sein, oder nicht? Nicht jedes Problem dieser Welt glich sofort einem Felsen, der unermüdlich auf ihren Schädel presste, und überhaupt gab es nicht viel, dass einem die Freude an den Dingen nahm. Während Liam seinen Blick zu ihr herum wandte, verharrte die Nordskov kurz bei seinen brauen Augen, ehe sie es war, die zum Meer hinüber blickte. Schwer lag der Atemzug auf ihrer Lunge, doch es brachte wohl nichts sich weiter damit auseinander zu setzen. Ändern konnte sie ohnehin nichts daran. „Ob es uns passt oder nicht.“  Selbst hätte Skadi nicht gewusst wohin. Sie kannte diese Welt kaum und hatte Zeit ihres Lebens nur dort andere Orte kennengelernt, an die sie ihr Vater mitgenommen hatte. Alles ließ sich also problemlos an einer Hand abzählen. Und dennoch. Shanaya und den Kaptains die Entscheidung zu überlassen fühlte sich an wie eine anhaltende Ohnmacht - gebunden an Menschen, denen sie noch immer nicht wirklich vertraute. „SIch kann dein Heimweh also nur zu gut nachvollziehen.“
Wäre es doch bloß so einfach gewesen, der Zukunft all die Sorgen anzuvertrauen, die einen beschäftigten. Im Augenblick waren ihnen tatsächlich die Hände gebunden. Unabhängig von den kommenden Begegnungen lohnte es sich kaum, irgendwelche Entscheidungen zu treffen. Es blieb abzuwarten, wann und welche Informationen über den Vorfall auf der Insel an die Öffentlichkeit gerieten. Und dementsprechend würden sie dann handeln müssen. Aber es war nicht getan mit einem einfachen 'Sehen, was die Zukunft bringt'. Die menschliche Psyche funktionierte anders. Und ganz gleich, wie wenig sie sich mit dem Thema beschäftigen wollten - sie taten es doch, manchmal sogar ohne es selbst zu merken. Skadi klang unentschlossen bezüglich ihrer kommenden Routen. Dabei hatte sich herausgestellt, dass selbst an den ungefährlichsten Orten ein Hinterhalt lauern konnte. Manchmal hatte man scheinbar einfach Pech.
Ausgerechnet Skadi gegenüberzusitzen und über 'Heimweh' zu sprechen, kam ihm fast schon rücksichtslos vor. Sie war vermutlich tatsächlich eine von wenigen auf der Sphinx, die etwas hatten, dem sie hinterhertrauerten. Familie, Freunde, Heimat, wobei letzteres in seinem Fall kaum eine Rolle spielte. „Erinnerst du dich daran, dass du mich gefragt hast, wie ich zu meinem Vater Kontakt halte?“ Ein bitteres Lächeln huschte über seine Züge, als er den Blick wieder nachdenklich auf den Sand zwischen seinen Beinen senkte. „Mich lässt der Gedanke nicht los, dass er es vermutlich nie erfahren hätte. Meine Großmutter hätte sich vermutlich gewundert, warum plötzlich keine Briefe mehr kommen. Mich hat es nie gestört, kaum Kontakt zu ihm zu haben, seit wir getrennter Wege gegangen sind. Und jetzt sitze ich hier und weiß nicht einmal mit Sicherheit, ob er oder meine besten Freunde überhaupt noch am Leben sind.“ Er klang nicht zwingend niedergeschlagen oder derart deprimiert, dass man sich hätte Sorgen machen müssen. Es war viel mehr eine Überlegung, die ihm tatsächlich durch den Kopf ging. „Gegen das hier war alles zuvor irgendwie ein Kinderspiel.“ Liam lachte in Erinnerung an all die brenzligen Situationen, die er durchgestanden hatte. Keine davon hatte sich je so nah am Tod angefühlt.
Liams Worte rührten tiefer, als es ihm vielleicht bewusst war. Oder Skadi hatte in seiner Gegenwart die seltsame Angewohnheit entwickelt, äußerst empfindlich zu werden. An den Tränen konnte sie dennoch nichts ändern, die stumm ihre Wangen hinab perlten und die sie sich wortlos mit dem Handrücken entfernte. Sie konnte kaum den Blick zu ihm herum wenden, aus seltsamer Angst, dass es etwas Unaufhaltsames lostrat. Wenn allein schon die Bitterkeit in seinen Worten so viel in ihr aufwühlte, wollte sie nicht wissen, was der Anblick seiner niedergeschlagenen Miene in ihr ausrichtete. Und sie wollte nicht eiskalt werden. Nicht so, wie es ständig bei Enrique war, den sie immer in den Momenten zurück wies, in denen er ihr gefährlich nahe kam. „Durch Ereignisse wie diese wird einem erst wirklich bewusst, wie sterblich man doch ist.“ Sie sagte es, als hätte es jemals zur Debatte gestanden. Unterdrückte einen schweren Seufzer und atmete stattdessen so tief ein und aus, dass sie sich gefasst genug sah, um sich endlich zu Liam herum zu drehen. „Bereust du es? Dass du ihn nicht nochmal gesucht hast, meine ich?“
Eigentlich hätte ihm dieses Gefühl mehr als bekannt sein sollen. Vergänglichkeit, Sterblichkeit. Doch obwohl sein Schicksal so eng mit dem Tod verknüpft war, machte er sich darum keine Gedanken. Was brachte es schon? Vorsicht? Wehmut? Liam wollte das Leben genießen, unabhängig von dem, was in Zukunft vielleicht auf ihn wartete. Auf einmal aber kam ihm dieser Entschluss egoistisch vor, rücksichtslos denen gegenüber, denen etwas an ihm lag. „Nein.“, antwortete er dennoch langsam. Und er war selbst überrascht, wie wahr es sich auch dann noch anfühlte, als er es ausgesprochen hatte. „Wir sind beides Freigeister. Wer weiß, wo er sich gerade herumtreibt. Vermutlich wäre das eine Lebensaufgabe.“ Das Lächeln auf seinen Zügen war ehrlich, verblasste allerdings schlagartig, als er den Blick zu Skadi herumwandte und feststellte, dass sie Tränen in den Augen hatte. „Hey, was ist los?“ Doch er ahnte es bereits. Himmel, brachte ihn diese Sache tatsächlich so durcheinander, dass er derartig rücksichtlos mit Skadi umging? Er bereute, damit angefangen zu haben, ausgerechnet ihr gegenüber, die vermutlich nichts schmerzlicher vermisste als ihre Familie. „Komm.“, bot er ihr an und öffnete den linken Arm. Doch noch bevor sie sich dazu entschließen konnte, ihn abzuweisen, war er hinübergerückt, um sie in den Arm zu schließen.
Ihr Lächeln wirkte ein wenig gebrochen auf den Lippen. Es beruhigte sie, dass Liam seine Bindung zu seinem Vater nicht bereute, selbst wenn es noch bis eben danach geklungen hatte. Vllt reichte es aber auch schon, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen. Etwas, dass er vielleicht eine Ewigkeit nicht mehr getan hatte. „Wahrscheinlich.“, entgegnete sie auf seine Vermutung. Rieb die Lippen fest aufeinander, ehe sie in Folge seiner weiteren Worte irritiert blinzelte und erst beim Anblick seines Gesichts bemerkte, dass ein weiterer Schwall lautloser Tränen ihre Lider verlassen hatte. Scheiße, sie wollte doch nicht so sentimental sein. Nicht, wenn es an ihm war, seine dunklen Gedanken heraus zu lassen, die er sich von ihnen allen am wenigsten erlaubte. Erhob die Nordskov gerade noch die Hand, um mit einem aufgesetzten Lachen die nett gemeinte Geste abzuweisen, zog sie bereits der warme Arm des Lockenkopfes an sich. Gefangen in seiner Umarmung und dem drückenden Gefühl in ihrer Kehle, ließ sie diese ungewollte Nähe über sich ergehen und bettete ihr Gesicht an seine Schulter. Wischte sich erneute mit dem Handrücken über die Wangen und seufzte schwer. „Nur einer dieser üblichen Tage... alles gut.“ War es das? Ehrlich gesagt fühlte es sich ganz und gar nicht so an. Erst recht nicht, wenn sie ihre Hand wie in diesem Moment fest in sein Hemd krallte und die Augen schloss. Als müsse sie sich darauf konzentrieren nicht laut loszuschreien. „Weißt du... wenn dir etwas passiert wäre... hätte ich jeden Moment bereut, in dem ich nicht bei dir gewesen wäre. Genauso bei Enrique... solltest du also jemals deine Meinung zu deinem Vater ändern...“ Was dann? Würde sie ihn begleiten? Würde sie das?
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Crewmitglied der Sphinx
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dabei seit Apr 2016
#2
Es musste einen zwangsläufig irgendwann in die Knie zwingen, wenn man stets den Starken mimte. Liam hatte intuitiv gehandelt, hatte befürchtet, dass Skadi den plötzlichen Gefühlsausbruch wieder zu überspielen versuchen würde. Dabei hatte sie Beistand genauso verdient wie jeder andere. Sie hatte genauso das Recht, unter all der Last zusammenzubrechen, die auf ihr wog. Sie musste es sich nur selbst erlauben, bevor sie eines Tages daran zerbrach. Einer dieser Tage – Liam erwiderte nichts, drückte sie lediglich dichter an sich heran und ließ geschehen, wogegen sich die Jüngere so sehr gewehrt hatte. Während sie nichts mehr gegen die Tränen machen konnte, die unweigerlich über ihre Wangen rollten, vergrub er die Nase sachte in ihrem dunklen, bebenden Schopf. Mit der Rechten umfasste er vorsichtig die Hand, die sich in sein Hemd gekrallt hatte und spürte ihre zitternde Haut unter seinen tauben Fingern. Er schluckte trocken, als sie fortfuhr und ihre Sorgen offenbarte und stellte nun seinerseits fest, dass sich seine Augen ungewohnt feucht anfühlten. Das Thema mit seinem Vater war längst in den Hintergrund gerückt – was interessierte ihn, was irgendwo in der Welt vor sich ging, wenn der Augenblick um so vieles schwerer wog? Und auch Enrique überging er geflissentlich in ihrem Ausbruch an Gefühlen. „Ich war unheimlich froh, als ich gesehen habe, dass du wohlauf bist. In der Gasse mit Talin. Auf der Sphinx. Wäre das nicht so gewesen, würde ich jetzt vermutlich nicht hier sitzen und mir um meinen Vater oder Alex Gedanken machen.“ Bei dem Gedanken an seinen Freund schlich sich abermals ein Lächeln auf seine Lippen, gut verborgen in den dunklen, leicht lockigen Haaren Skadis. Er hätte vermutlich bei alledem nur genervt mit den Augen gerollt und dem nächsten entgegengefiebert, das ihnen ihre Sterblichkeit beweisen wollte. „Ich bin froh, dass du hier bist.“
Wie waren sie nur an diesen Punkt gekommen? Hockten hier gemeinsam und mitgenommen vom letzten Abend an Land und fielen hinab in eine dunkle Spirale aus unausgesprochenen Emotionen, Versprechungen und Erinnerungen an Vergangenes. Doch immer wieder, wenn sich Skadi dagegen aufzulehnen versuchte, sackte sie tiefer in diese warme Umarmung hinab. Spürte wie Liams Berührungen das Zittern in ihren Adern beruhigte und es sich fast anfühlte, als säße sie wieder im Kreise ihrer Liebsten. Daheim. An einem Feuerkreis und zwischen den Ältesten, die von vergangenen Zeiten und Sagen erzählten. Und dieses Mal verlor ihr Lächeln nicht an Halt. Ruhte sanft und liebevoll auf ihren Lippen und wich selbst dann nicht von ihren Zügen, als sie ob seiner Worte den Kopf hob. Eine gefühlte Ewigkeit sah sie ihm schweigend entgegen, ehe sich ihre Finger wie von selbst auf seine Wange verirrten und nur einen Atemzug später ihre Stirn gegen seine glitt. Ob er wusste, wie sehr sich seine Offenheit wie Balsam auf ihre Narben legte? Dass egal wie schreckhaft und abweisend sie manchmal war, in ihr dennoch das kleine Mädchen von damals schlummerte, das nichts mehr wollte, als Zuwendung und Anerkennung? Nur langsam schlossen sich die dunklen Augen. Gaben Skadi den Raum dem Gefühl der dichten Locken nachzuspüren, die sie nun zwischen ihren Fingerkuppen zwirbelte.
Als sie hier aufgetaucht war, hatte er sich ein wenig Ablenkung versprochen. Ein wenig Trost, selbst wenn sie nur schweigend nebeneinandergesessen hätten. Irgendetwas, was einem zeigte, dass man eben nicht allein war mit dem, was einen beschäftigte. Dass man nicht der einzige war, der kein gefühlloser Supermensch war, dem solche Zwischenfälle rein gar nichts ausmachten. Und auch, wenn es keine schönen Erinnerungen waren, die sie gerade zusammenschweißten, gab es ihm so viel mehr als er erwartet hatte. So viel mehr, als er sich davon erhofft hatte, nicht allein zu sein. Es hätte alles bloß ein böser Traum sein können. Skadi machte es ihm leichter, zumindest für den Augenblick daran zu glauben, dass es wirklich so war. Er spürte, wie sich ihr bebender Körper allmählich etwas beruhigte. Als sie den Kopf drehte, löste sich sein Gesicht von seiner Position. Tatsächlich sah sie um einiges zufriedener aus als eben noch. Ein Anblick, der sich warm in seinem Inneren zusammenrollte, bis sich das Gefühl unter dem schweigenden, erwartungsvollen Blick unruhig zu drehen begann, je länger er dauerte. Ihre Fingerkuppen streiften seine Wange gen Haarschopf, kurz bevor er ihre Stirn an seiner spürte. Liam blinzelte, doch die Unruhe in seiner Magengegend beruhigte sich allmählich und ermöglichte es ihm, sich ganz der Nähe hinzugeben, die sie suchte. Einen Moment schloss auch er die Augen, hielt es allerdings nicht allzu lange aus, die Lider vor den feinen Zügen Skadis zu verschließen. Das Klopfen, das stark und regelmäßig gegen seinen Brustkorb schlug, machte ihn auf das Verlangen aufmerksam, sie zu küssen, während er ihre vollen Lippen mit den Augen umriss. Doch statt ihr aufdringlich einen Kuss von den Lippen zu stehlen, löste er sich aus ihrer Berührung und bettete seine Lippen einen Sekundenbruchteil später nur auf ihrer Stirn.
Ihr Schmunzeln erklang hörbar in der Luft, kaum dass sich Liams Lippen auf ihrer Stirn niederließen. All das hatte diese angenehme Vertrautheit, die sie von früher kannte, als ihr Leben noch keinem Scherbenhaufen geglichen hatte. Ließ sie sich also in dieses wohlig warme Gefühl sinken und von der Welle mitreißen? Durchaus. Und es machte jeglichen Gedanken zunichte, der sich skeptisch in ihrem Schädel regte, als sich die dunklen Augen hoben und den Blick des Älteren suchten. Noch immer hingen die langen Finger in den dichten Locken. Suchten darin nach der Ruhe, die sich schon damals bei ihren Schwestern eingenistet hatte, wann immer sie die geschwungenen Strähnen um ihre Finger wickelte. Und fand letztlich den warmen Nacken Liams, den sie in einem kurzen Ruck zu sich zog. Sanft aber kurzweilig ihre Lippen auf seine bettete und ihm danach, wenn auch nur widerwillig den Freiraum zum Atmen zurück gab.
Gerade ließ sie ihm gar keine Gelegenheit, um sich den Sorgen zu widmen. Wie so oft fegte sie seine Gedanken leer und er war alles andere als traurig darum. Ihr hörbares Schmunzeln ließen auch seine Mundwinkel zufrieden zucken, bevor er den Kopf hob und sich keinen Herzschlag später bereitwillig ihrer Forderung hingab. Man konnte sagen, was man wollte – es machte die Welt ein kleines Stückchen besser. Wenn auch nur für den Moment. Es reichte. Liam löste den Arm von ihrer Schulter, strich ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht und begutachtete das blasse Funkeln ihrer dunklen Augen im Feuerschein. „Auch, wenn es sich manchmal so anfühlt. Du bist nicht allein, Skadi. Auch nicht an diesen… üblichen Tagen.“ Das Lächeln auf seinen Lippen war ehrlich und warm, wärmer jedenfalls als zu Beginn, sorgloser. Wie selbstverständlich legte er den Arm wieder um sie, noch nicht bereit, ihre Realität jetzt schon wieder zu verlassen.
Manchmal hatte er schon etwas von einem treuen Hund, der aus dunklen Knopfaugen zu ihr sah und Dinge sagte, die sie berührte und gleichsam amüsierte. Auf eine Art, die sie fast dazu brachte ihre Finger tiefer in seiner Mähne zu vergraben und ihn fest in die Arme zu schließen. wie all die letzten Male zuvor fragte sich die Nordskov was um alles in der Welt ihn nur bei Piraten hielt. Mochte der Kampf gegen die Kopfgeldjäger noch so ungewollt gewesen sein - es bliebe wohl das, was ihnen am häufigsten widerfahren würde. Und sie sah den Lockenkopf nicht in diesem Pulk aus mordlustigen Leibern. Auch nicht unter denen, die sich wie sie ins Getümmel stürzten und auf eine ziemlich perfide Weise Gefallen an einem Zweikampf empfinden konnten. Diebstahl war die eine Sache. Mord und Todschlaf eine andere. Und war es vor Monaten auf der Morgenwind einmalig gewesen, schlich sich langsam ein Muster ein, das Liam alsbald kaum mehr ignorieren konnte. Womöglich war es das, war ihr so schwer im Magen lag. Neben Enrique blieb der Lockenkopf der Einzige auf diesem Schiff, zu dem sie irgendeine Verbindung besaß. Und während der Dunkelhaarige es vorzog sie auf ein Abstellgleis zu schieben und Skadi aus reinem Selbstschutz dazu übergegangen war, sich nur noch als seinen Beschützer und Prellbock im Ernstfall zu sehen, gab es bei Liam nichts, das sie tun konnte. Weder ihn daran hindern zu gehen, noch diese übliche harte Mauer aufzubauen, die ihr Leben als Marinesoldat um einiges erleichtert hatte. Sie war bereits zu tief in diesen Strudel eingetaucht und der Lockenkopf sich ihrer Verhaltensweisen bereits zu sehr bewusst, um ihm etwas vormachen zu können. So spielte das Leben. Mit einem kleinen Zucken im Mundwinkel, fast als wortlose Antwort auf sein Versprechen, ließ sich Skadi wieder in Liams Umarmung zurück gleiten. Den Kopf in seiner Halsbeuge vergraben und den Blick gen Meer gerichtet. „Hast du eigentlich eines deiner Bücher dabei?“
Er wusste nur zu genau, dass man einsam sein konnte, ohne dabei allein zu sein. Bei letzterem konnte er ihr guten Gewissens ein offenes Ohr anbieten – bei ersterem waren sie alle schonungslos auf sich selbst gestellt. Aber der Gedanke, dass dort draußen irgendwo jemand war, dem etwas an einem lag und der gerade vielleicht an einen dachte, hatte etwas Tröstendes. Es dauerte, bis man das verstand und bis man merkte, dass Freundschaft über etliche Distanz bestand hatte und Liam hoffte, dass sie irgendwann vielleicht, wenn sie längst getrennte Wege gegangen waren - zum Himmel blicken konnte und sich bewusst war, dass dort irgendwo jemand war, der sie nicht vergessen hatte und an sie glaubte. Und während Skadi sich weniger niedergeschlagen als zuvor wieder dem Moment hingab, flüchtete auch Liam sich zurück in ihre Zweisamkeit. Wie auch immer sie es schaffte – es fiel ihm tatsächlich einfacher als er gedacht hatte, sich einfach nur auf die Bewegung ihrer Atmung zu konzentrieren und ihre Nähe zu riechen. Sie hatten sich genug Sorgen gemacht. An diesem Abend würde ihnen nichts passieren, denn mit jedem weiteren Herzschlag, der verging, fühlte er sich losgelöster von ihrer misslichen Lage. Woher die plötzliche Zuversicht rührte? Er belächelte den Gedanken ungläubig, ohne sich dessen selbst bewusst zu sein, während sein Kopf längst wieder zur Seite gekippt war und an Skadis dunklem Schopf lehnte, als wäre es nie anders gewesen. Bei ihrer Frage wanderte sein Blick wie von selbst zu seinem Seesack, ohne dass er den Kopf bewegte. „Nein, mir war nicht nach Lesen zumute.“ Nebst ein bisschen Papier hatte er nicht mehr zu bieten, als etwas Obst, einer Decke und einer gefüllten Flasche Wasser. „Aber ich könnte dir einen Apfel anbieten. Oder eine Decke.“, bot er ihr an. Und bevor sie fragte, konnte er ihr die Antwort auch direkt geben. „Ich hatte nicht vor, heute Abend zurückzukehren.“ Liam musterte die Flasche Rum, die noch immer im Stand steckte. Doch da er verhindern wollte, neue Sorgen zu schüren, indem er der Jüngeren offenbarte, wie schwer selbst solch ein leichter Handgriff mit der falschen Hand im Augenblick für ihn war, verzichtete er vorerst auf einen weiteren Schluck. Stattdessen bemühte er sich um eine Alternative an Ermangelung einer Geschichte. „Alex und ich haben die Abende meist genutzt, um ein bisschen Musik zu machen. Fällt dir ein Lied ein?“ Irgendetwas, was sie von früher kannte vielleicht. Oder etwas, was sie auf andere Gedanken brachte. Ansonsten hatte er vermutlich genügend Vorschläge, selbst wenn sie ohne Gitarre vielleicht etwas an Wirkung verloren.
Just in diesem Moment hätte sie so vieles in seine Worte hineininterpretieren können. Vielleicht wäre ihr sogar aufgefallen, dass es nicht die übliche Art war, wie Liam hier hockte und dass es nicht zwingend an seiner Verletzung lag, mit nichts als einer Flasche Rum, einer Decke und einem Apfel hierher gekommen zu sein. Das einzige, das die Nordskov tat, war den Kopf so herum zu drehen, dass sie ihre Nase tief in seine Brust graben und die Luft anhalten musste. Irgendetwas zwischen einem Kopfschütteln und Nicken durchfuhr den dunklen Haarschopf. Und erst als sie zwei tiefe Atemzüge nahm und die Augen öffnete, löste sie die Nähe. Saß mit erhobenem Kopf in der Umarmung und heftete die braunen Augen nachdenklich auf Liams feine Züge. Eine Frage lag ihr jäh auf der Zunge, die sie sich jedoch auch gut selbst beantworten konnte. Nein. Es ging ihm nicht gut. Und das würde so bleiben, bis seine Schulter nicht mehr aussah wie löchriger Käse und er mehr Gefühl in seinen Fingern spürte, als die Nordskov zuweilen für anderen Menschen. Was sie ihm schenken konnte, war allein die Ablenkung von all dem hier. So wie es irgendwie eine Art stillschweigender Vertrag zwischen ihnen geworden war, dass nichts zwingend richtig und nichts so wirklich falsch war, wenn man zusammen saß. Die Welt und ihre Probleme blieb nebensächlich. „Ich bin eine miese Sängerin.“, murmelte sie mit einem unterdrückten Lachen in der Stimme. Verzog amüsiert die Lippen und schnaubte. „Und das was ich von früher kenne, singt man entweder zu Riten oder im ziemlich... weltenentfernten Zustand.“ Es war mehr als deutlich, dass sie sich auf mehr als nur Alkohol berief. Die Bilder, die sich vor ihr inneres Auge schoben, waren voll von tanzenden, bemalten Leibern, die neben- oder übereinander lagen. Sich in den Armen hingen oder verrenkend zum Takt einer Trommel über den Sand glitten. „Alex ist also auch... musikalisch begabt?“
Liam war zu unbedarft, als dass er bemerkt hätte, wie viel er Skadi gerade über seine Verfassung verraten hatte. Vielleicht, weil er sich ihrer nicht einmal selbst wirklich bewusst war und insgeheim doch besser im Verdrängen, als er bislang annahm. Gut darin, sich selbst etwas vorzumachen, weil er es immer irgendwie tat, um sich keine Gedanken um das zu machen, was wie ein Schatten an seinen Sohlen hing, um ihn eines Tages mit sich zu reißen. Er lächelte, als sie aufsah und erkannte die Sorge nicht, die er jäh heraufbeschworen hatte - oder wollte sie nicht sehen und Skadi ließ ihm diese Ruhe für den Augenblick. Das Lächeln auf seinen Zügen wurde etwas breiter bei ihrer Offenbarung. Das wusste er. Jedenfalls hatte sie es ihn schon einmal glauben machen wollen. Zeuge war er nie geworden, aber er würde sie nicht zu etwas zwingen, was sie nicht wollte. „Es geht nicht darum, gut zu sein. Es geht darum, Spaß zu haben.“ Wenn man nicht darauf angewiesen war, damit Gold zu verdienen jedenfalls. Als sie fortfuhr, musterte er sie skeptisch, ohne dass das Lächeln auf seinen Lippen erstarb. „So? Ich bin ganz Ohr.“ Weltenfern klang im Augenblick schon fast erstrebenswert, doch der Lockenschopf wusste, wie sensibel Skadi im Bezug auf ihre Vergangenheit war. Daher wartete er gar nicht lange auf eine Antwort, sondern nahm sich ihrer Frage an und gab der Jüngeren selbst die Wahl, ob sie das Thema noch einmal aufgreifen wollte oder nicht. „Er spielt hauptsächlich Gitarre. Aber es hat uns schon das ein oder andere Goldstück eingebracht, wenn wir es gebraucht haben.“
Spaß zu haben war Liams Lebensmotto. Je länger sie ihn kannte, desto öfter kam es in Wort und Tat zur Geltung. Schnalzend nahm sie seine Erwiderung somit zur Kenntnis und rollte mit den Augen. Nicht, dass es sie wirklich nervte, doch angesichts der entspannten Stimmung, die allmählich Einzug hielt, fühlte es sich okay an, so zu tun als ob. Ganz davon abgesehen änderte es nichts daran, dass sie nicht singen würde. Nicht hier. Nicht jetzt. Auch wenn seine daraufhin gestellte Frage erneut darauf abzielte über Kurz oder Lang ein paar Töne aus ihr heraus zu kitzeln. Womöglich. Das Lächeln unter seiner skeptischen Miene nahm sie dennoch war. Zog wie zur Reaktion die Augenbrauen scharf hinauf und senkte den dunklen Schopf um ein paar Zentimeter. „Glaubst du mir etwa nicht?“ Ha! Wenn er nur wüsste. Seit einigen Wochen sammelte sie bereits ein paar Rauschmittel in Gregorys Vorratsschrank, ohne dass er zu 100% davon wusste. Allerdings brachte er sie gerade auf eine Idee, die triefenden Schalk auf ihre Züge trieb und sich in einem breiten Grinsen auf ihren Lippen abzeichnete. „Tja... hättest du mich früher gekannt, wärt ihr mit mir als Tänzerin reich geworden.“ Und dass sie sich verbiegen konnte, wusste er ja wohl zu Genüge.
Ob er ihr glaubte? Er hatte keinen Grund, es nicht zu tun. Ganz davon abgesehen, dass Skadi es mit Sicherheit nicht nötig hatte, sich mit derartigen Aussagen interessanter zu machen. „Du kannst dir doch denken, dass mich das Wort ‚weltentfernt‘ neugierig macht.“, erklärte er sein Interesse ziemlich simpel aber aufrichtig. Gerade jetzt klang die Vorstellung noch verlockender als üblich. Oder gab es bessere Wege, der Wirklichkeit nur für einen einzigen Abend zu entfliehen? Andererseits war es – wie Skadi schon richtig bemerkt hatte – in ihrer momentanen Situation nicht unbedingt das beste, sich selbst aus dem Rennen zu nehmen, bevor es jemand anderes auch nur versuchen konnte. Jetzt löste sich seine Hand doch von ihr und er griff erneut zur Flasche, nahm einen Schluck, während das deutliche Schmunzeln bereits auf seinen Zügen zu erkennen war. „Was nicht ist, kann ja noch werden.“ Na, vielleicht klang er nicht ganz so zuversichtlich wie üblich, aber zweifellos auch nicht abgeneigt. Nach einem weiteren Schluck Rum steckte er den Flaschenboden zurück in den Sand. „Ich denke, Alex hätte auch nichts dagegen, einer hübschen Frau beim Tanzen zuzusehen und sie musikalisch zu begleiten.“ Er musste nicht lügen.  
Natürlich konnte sie es sich vorstellen. Liam machte kein Geheimnis daraus, dass es Sprichworte nicht umsonst gab. Stille Wasser WAREN tief. Und der Lockenkopf in Punkto Lebenslust weitaus weniger unschuldig, als man vielleicht glaube wollte. Sie schmunzelte vielsagend auf seine Worte. Beobachtete ihn wachsam in seiner Bewegung und umriss die Silhouette der Flasche mit ausdruckslosem Blick. Sie wusste nicht, weshalb ihr Rumoren oberhalb des Bauchnabels zurückkehrte. Ihr war lediglich klar, dass Liam wohl selbst für sich entscheiden konnte. Großer Mann, große Verantwortung. „Na wenn’s auch nur dabei bleibt.“ Langsam ließ sie sich zurück gleiten und stützte sich mit beiden Händen im weichen Sand ab. Richtete den Blick in Gedanken versunken auf die tanzenden Flammen des Lagerfeuers und streckt die Beine in voller Länge von sich. „Immer wenn du von ihm sprichst klingt es wie eine heile Welt, die nur aus Spaß und Musik besteht. Fast schon verlockend.“
Flüchtig leckte er sich nach dem letzten Schluck die Lippen, während er die Flasche wieder zu einem Viertel im Sand versenkte. Nicht einmal der Rum schmeckte wirklich, wenn man nicht des Rumes wegen trank. Aber zumindest das Ziehen in seinem Oberarm lies wieder nach, das dumpfe Gefühl in den Fingern blieb und gaukelte ihm vor, die Hand gehöre gar nicht zu ihm. Aber Skadi lenkte ihn ab und er wusste das durchaus zu schätzen. Eine heile Welt. Gerade im Augenblick kam es ihm vergleichsweise tatsächlich so vor. Aber in Wirklichkeit lag es vermutlich einfach daran, dass Alex und er generell eine eher positive Grundeinstellung gehabt hatten und ihre „Schwierigkeiten“ eher banal gewesen waren. Jedenfalls ohne Kopfgeldjäger mit derart rigorosem Vorgehen. „Weißt du, aus irgendeinem Grund nehmen die Leute einen viel freundlicher auf, wenn man keine Schiffe oder Dörfer in die Luft jagt.“ Er lachte, wenn auch angeschlagen und zuckte mit der Schulter, als könne er diesen Umstand wirklich nicht nachvollziehen. „Wobei er daran vermutlich auch Spaß hätte.“ So ehrlich musste er bleiben. Alex war weniger zimperlich. Und wer ihn sich - derart - als Feind raussuchte, musste damit rechnen, dass er nicht zögerte, die gleichen Waffen zu benutzen.
"Ach. Wirklich? Hätte ich jetzt nicht erwartet." Mit einem amüsierten Seitenblick musterte Skadi Liams Miene und musste fast schon ein Schmunzeln unterdrücken. Nicht etwa, weil Spaß in dieser Situation unangemessen wäre, sondern es sich irgendwie seltsam anfühlte entgegen der dunklen Wolken in ihrer Brust, mit einem Grinsen darüber hinweg zu täuschen. „Er ist also der typische Draufgänger wie? Kann mir vorstellen, wie das mit euch ausgesehen haben muss... er baut Blödsinn, du stehst Schmiere.“ Zumindest machte sich der Lockenkopf in ihrer Vorstellung als "Aufräumer" unfassbar gut. Und diesem Gesicht konnte man ja wohl nicht sonderlich viel kriminelle Energie zuschreiben. Sofern man den zweiten, intensiveren Blick ausließ.
Liam machte Anstalten, zu widersprechen, öffnete den Mund, schloß ihn aber sogleich wieder, als ihm bewusst wurde, dass Skadis Vermutung in den meisten Fällen eigentlich recht treffend war. „Verdammt, du hast Recht.“, räumte er stattdessen also ein und schaute nachdenklich in die züngelnden Flammen, ehe er einen Herzschlag später wieder ihr braungebranntes, müdes Antlitz bedachte. Ihm wurde bewusst, wie angenehm ihre Gesellschaft war, wie erholsam und beruhigend, obwohl er ursprünglich aufgebrochen war, um mit sich selbst allein zu sein. Und er merkte, dass er sich ein wenig vor dem Moment fürchtete, in dem sie sich erheben würde, um zum Schiff zurückzukehren. Einen langsamen Atemzug später verließ auch schon die Frage seine Lippen, die ihm Aufschluss darüber geben würde, ob er sich zu fürchten hatte oder nicht. „Hast du heute noch was vor?“ Der Hintergrund seiner Worte war im Angesicht der Lage recht offensichtlich und auch sein Blick machte kein Geheimnis daraus, dass er nicht aus bloßem Interesse fragte. Er würde sie nicht aufhalten, falls sie noch vor hatte, Enrique die Hand zu halten, ohne dafür wertgeschätzt zu werden. Aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, wollte er heute diese Rolle haben. „Ich könnte dich mit einem Bratapfel bestechen.“ Er schmunzelte blass aber entschlossen.
Diese Antwort legten sich wie umschmeichelnder Samt um ihre Brust. Sie hatte Recht. So, so. Offenbar konnte sie den Lockenkopf nach den vergangenen Monaten besser einschätzen, als sie selbst von sich behauptet hätte. Wie gut ihr das allerdings gefiel, wusste sie nicht. Einfach alles war seltsam, obwohl es sich eigentlich gut anfühlte. Die Welt stand Kopf und würde es wohl für die nächsten Wochen. Gerade glitt der Blick der Nordskov gen Himmel zurück, während das Feuer sich knisternd zu ihren Füßen in den Nachthimmel streckte, als Liam erneut die Stille durchbrach. Sichtlich irritiert starrten die dunklen Augen der Nordskov zur Seite. Musterten ihn eingehen. Woher kam das auf einmal? Verfolgte er damit irgendetwas? Ganz sicher. Doch nicht das, weshalb sie sonst immer des Nachts beieinander waren. Irgendetwas an seinem Blick machte sie nervös. Skadi war nicht erpicht darauf diesem Rumoren nachzufühlen. Es war bisher immer besser gewesen einfach irgendetwas zu tun, als über den Sinn und die Bedeutung einer Sache zu philosophieren. „Ich denke nicht, nein.“, erwiderte sie mit einem matten Lächeln. Zog ihre Arme aus dem Sand hinter ihrem Rücken und bettete sie an die angewinkelten Knie. „Und dir ist schon bewusst, dass ein Bratapfel ne ganz schöne lausige Bestechungsgrundlage ist oder?“ Ein halbes Lachen verließ ihre Kehle und setzte sich als schiefes Grinsen auf ihre Lippen.
Ihm entging nicht, dass sie überrascht war. Ob auf eine gute oder eine schlechte Weise wusste er aus ihre Miene hin allerdings nicht zu deuten. Sie erwiderte seinen Blick einige Augenblicke lediglich schweigend, vermutlich überlegend, was sie sich lieber antun wollte – ein Schiff voller schnarchender Crewkameraden und Erinnerungen oder eine Nacht unter freiem Himmel. Jedenfalls war Liam nicht ganz so von Selbstzweifeln zerfressen, dass er die kurze Pause auf sich bezog. Doch auch, wenn ihre Antwort lediglich eine unscheinbare Geste war, brachte sie ein wenig Erleichterung. Er schmunzelte hörbar, als sie fortfuhr. Man konnte ihm ansehen, dass ihm dieser Gedanke auch bereits gekommen war. „Wenn du es so siehst, habe ich mir das auch schon gedacht. Aber wenn ich dir sage, dass es leider das einzige ist, was ich gerade zu bieten habe… Mein letztes Hemd sozusagen.“
„Dein letztes Hemd gibst du einfach so weg? Aber, aber Liam... sowas macht man nicht so leichtfertig.“ Dass er es womöglich tat, weil er sie mochte, zog sie nicht einmal in Betracht. Das war absurd. Egal was er noch zuvor gesagt oder getan hatte. „Was, wenn du es selbst brauchst? Dann stehst du ganz schön dumm da.“ Skadi wusste, dass sie einfach den Mund halten sollte. Rechnete sogar schon instinktiv damit, das sich Liams bisher noch vergnügte Miene in etwas verwandelte, das man eindeutig mit Wut assoziieren konnte.
Mit Bedacht musterte er ihre Züge während ihres Vortrags. Abwartend und nicht geneigt, ihrem Geplapper Einhalt zu gebieten. Stattdessen blinzelte er ihr mit der typischen Unschuld entgegen, wie man es hier und da von ihm kannte, während das Schmunzeln auf seinen Zügen nach und nach etwas deutlicher wurde. „Ach komm, sei still.“, wies er sie schließlich scherzhaft an und rempelte sie freundschaftlich mit der gesunden Schulter an, ehe er sich auf die Beine kämpfte. Wenn seine Bestechung schon ‚lausig‘ war, wollte er sich zumindest an sein Wort halten. „Lass es mal ganz meine Sorge sein, ob ich am Ende dumm dastehe oder nicht.“ Kurz ließ er den Kopf im Nacken kreisen und fuhr sich durch die Haare am Hinterkopf und schließlich die Schulter entlang, ehe er abermals neben ihr in die Knie ging. „Und wenn ich dir damit wenigstens eine kleine Freude machen kann, werd‘ ich wohl darüber hinwegkommen, diese Nacht dumm dagestanden zu haben.“ Außerdem war das etwas, was er zumindest hinbekam. Die Suche nach einem geeigneten Stock jedenfalls. Daran, dass er ihn noch irgendwie durch den Apfel treiben musste, dachte er gerade noch nicht.
Liam enttäuschte sie auf diese unbekümmerte Art und Weise, die sie schon von ihm gewohnt war. Doch dieses Mal, ohne in ihr das Gefühl zu hinterlassen, dass er damit irgendetwas zu übertünchen versuchte. Sie gab sich geschlagen. Noch mehr als ihr Blick auf seine Schulter fiel und sie irgendwie das schlechte Gewissen plagte. „Na schön... aber jammere nachher nicht rum!“ Als ob sie jemals davon ausgegangen wäre. Ts. Ein breite Lächeln schob sich auf ihre Lippen, noch ehe sie sich, beide Hände in den Boden drückend, auf die Füße stemmte und erhob. Dem Lockenkopf ihre Rechte zur Unterstützung reichte und ihm dann Kopf schüttelnd entgegen sah. „Du machst mich fertig, Casey.“
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Crewmitglied der Sphinx
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#3
Er schnaubte ungläubig. In diesem Unglauben war er sich ausnahmsweise sogar recht sicher. Nicht bloß seine Stimmung litt unter den anhaltenden Schmerzen in seinem Oberarm, sondern auch sein Appetit hatte sich ziemlich heruntergefahren. Da fiel ein weiterer Apfel mehr oder weniger ganz gewiss nicht ins Gewicht. Gerade, als er sich wieder erheben wollte, kam sie ihm zuvor. Er sah auf und erwischte sich dabei, erstmals zu zögern, ihre dargereichte Hand anzunehmen. Nichts Persönliches, sondern viel mehr ein Teil seines Unwillens, seine Einschränkung derzeit wahrhaben zu wollen. Und das, obwohl er keine Sekunde glaubte – oder glauben wollte - , dass Skadi ihm deshalb die Hand reichte. Einige Sekunden später erst nahm er also die dargebotene Hand entgegen, um aufzubrechen. „Du darfst dich gerne weiter ausruhen. Ich war es doch, der dir so großspurig einen Bratapfel angeboten hat.“ Außerdem hatte sie ein wenig Erholung ebenso notwendig wie sie alle. Er machte allerdings keine Anstalten, sie wirklich davon abhalten zu wollen, ihn bis zum Waldrand zu begleiten.
„Ts. Wenn du allein in den Wald läufst, werde ich alles anderes als hier ruhig sitzen bleiben können.“ Nichts gegen Liam, aber sie hatte definitiv keine Lust irgendwann auf Rettungssuche zu gehen, wenn er nicht wiederkam. Obendrein erschwerte ihm seine Schulter wohl so oder so die Suche nach was auch immer er im Begriff war in den Wald zu verschwinden. Denn viel darüber nachgedacht hatte die Nordskov nicht. War viel zu sehr darauf fixiert, ihn nicht aus den Augen zu lassen. „Und ganz ehrlich... mit der bist du leider mehr denkende, als ausführende Kraft.“ Mit einem Nicken deutete sie auf seine Schulter und verzog die Lippen. Weil ihr klar war, dass sie gerade wie die Axt im Wald auf ihn niedergerauscht war. Weniger um ihn damit zu verletzten, sondern viel mehr um ihn irgendwie vor seiner eigenen Dummheit zu schützen und auf den Boden der Realität herunter zu holen. „Ich verarzte dich gern Liam... aber ich fänds doch schöner, wenn das mehr nen Spiel als Wirklichkeit ist.“ Schon setzte sie ein verschmitztes Grinsen auf. Schenkte ihm ein vielsagendes Zwinkern und trat an ihm vorbei in Richtung Unterholz.
Im Schatten des Feuers waren die Falten, die sich langsam auf seine Stirn legten, unauffällig. Er hatte nur vor, nach einem Stock zu gucken, wie ihn normalerweise jeder Allerweltsbaum abwarf, nicht die Jagd auf einen Säbelzahntiger. Doch Skadi klang so unnachgiebig, dass er es nicht wagte, sie davon zu unterrichten. Erst, als ihre mütterliche Ausführung tatsächlich persönlicher wurde, zog er die Luft etwas schärfer ein. Ob er es jetzt herunterspielte oder Skadi den Zustand seines Armes aufbauschte – vermutlich lag die Wahrheit irgendwo in der Mitte. „Es geht schon.“, erwiderte er etwas zerknirscht und schnaufte. „Er ist noch dran und versichert mir das fast den ganzen Tag sehr ausdauernd. Mit einem Ast sollte ich also gerade noch so fertig werden.“ Bei allem Gefährlicheren würde Skadi nämlich wohl oder übel Recht behalten. Doch kaum, dass der erste Trotz aus seinen Gedanken verflogen war, dämmerte ihm, woher ihr übervorsichtiges Verhalten rührte. Er schluckte trocken und rang sich bei ihrer Bemerkung zu einem Schmunzeln durch. Und so gerne er auch darauf angesprungen wäre – ihm wurde wieder bewusst, wie oberflächlich ihr gut gelauntes Geplänkel war. Es ging ihnen nicht gut. Egal, wie sehr sie sich gegenseitig davon überzeugen wollten. Egal, wie sehr sie sich gemeinsam davon überzeugen wollten. Scortias‘ Tod hing ihr mehr nach, als er bisweilen geglaubt hatte. Jedenfalls hätte das ihre Fürsorge gut erklärt. „Was muss ich tun, damit du mir glaubst, dass alles gut ist?“, hing er verschmitzt hinten dran, während er aufschloss und von der Seite her zu ihr hinüberspähte. Vielleicht war das wirklich die beste Möglichkeit, sie ein wenig von ihren Sorgen abzulenken. Und die Tonlage, die zwischen den Zeilen verriet, dass er darauf anspielte, dass es ihm gut genug für derlei Dinge ging, traf er – seiner Meinung nach – eigentlich recht gut.
Skadi seufzte. Tiefer als beabsichtig und konnte nicht einmal mehr das Augenrollen zurückhalten. Musste einem der Arm vielleicht noch abfallen, damit MANN einsah, dass nen Schuss in die Schulter nichts war, was man als Schürfwunde verbuchen konnte? Und nein. Es tat auch nichts zur Sache, dass sie selbst alles dafür getan hätte, weiterzumachen wie bisher, hätte die Kugel ihre eigene Schulter getroffen. Sie wäre ja schließlich nicht sterbenskrank. DAS hätte sie ihm womöglich geantwortet, wenn sie hier auf der jeweils anderen Seite gestanden hätten. Doch sie war nahezu unverletzt aus der Aktion heraus gekommen, im Gegensatz zu ihm. Pech gehabt. „Aufhören so zu tun, als wäre es das, wäre nen Anfang.“, kam es ihr fast patzig über die Lippen, als hätte sie den Tonfall des Lockenkopfes vollkommen ignoriert. „Es ändert zwar nichts an deiner Situation, aber dann komm ich mir nicht so dämlich vor, weil ich genau weiß, dass es nicht so ist.“ Mit jedem ihrer Worte wurde sie leiser. Ihre Schritte langsamer. Dann blieb sie stehen. Den Blick starr in die Dunkelheit vor sich gerichtet. Und einem Schwall Tränen im Gesicht. Woher zum Henker kam das? Wer drehte da ungefragt ein Ventil auf, das sie mit tausend Ketten verschlossen hielt? Vorhin hatte doch vollkommen gereicht, was zur Hölle sollte das jetzt also? Sie war kaputt. Einfach nur am Ende.
Sein Plan ging nach hinten los und statt Skadi in eine Position zu schieben, in der sie nahezu alles von ihm hätte verlangen können, schien sie sich in der Rolle der bemutternden Glucke weitaus wohler zu fühlen. Liam seufzte tonlos, während sie ihm abermals vorzuschreiben versuchte, wie es ihm zu gehen hatte. Er litt nicht. Nicht körperlich. Nicht derart jedenfalls, dass er es wirklich als Einschränkung gesehen hätte. Nicht in Anbetracht dessen, dass er im Augenblick nicht mal einen Stift gerade über Papier führen konnte. Aber das wusste sie nicht. Und er würde einen Teufel tun und ihr von Sorgen geplagtes Herz heute oder die nächsten Tage damit belasten. Vermutlich hatte es sich ohnehin bald erledigt und war kaum der Rede wert. Er stellte sich darauf ein, dass ihr Vortrag noch nicht zuende war – dementsprechend überrascht nahm er zur Kenntnis, dass ihr unnachgiebiger Ton wie ihre Schritte an Kraft verloren und sie schließlich stehen blieb. Wenn sie vorhatte, ihn damit zu verunsichern, hatte sie Erfolg. Liam zögerte, wartete, dass sie weiterlief, doch sie regte sich nicht. Erwartete sie eine Antwort von ihm? Er hatte nichts zu entgegnen – nichts, was sie zufriedenstellen würde jedenfalls. Dementsprechend setzte er sich wieder in Bewegung, schwieg und bemerkte erst, als er sie passiert hatte, dass sie nicht da stand, weil sie etwas erwartete. Sondern weil sie überfordert war. Mit sich, mit alledem. Der kindliche Trotz, der sich in seinem Inneren aufgebaut hatte, verpuffte. Und Bratapfel samt Stock waren vergessen. „Du meinst, ich soll ehrlicher zu mir selbst sein, als du es zu dir bist?“, fragte er abwartend, ohne sie anzusehen. Nicht, weil er den Anblick nicht ertragen hätte, doch er ahnte, dass Skadi es nicht gut ertrug, so gesehen zu werden. Ihm reichte allein der Gedanke, dass sie dastand, weinte und es sich gleichzeitig selbst nicht erlaubte. Weinen war kein Zeichen von Schwäche. Es nicht zulassen zu können, war es. Mit einem Ruck wandte er sich herum und schloss sie einer Puppe gleich in die Arme, senkte den Kopf, sodass seine Lippen auf der Höhe ihrer Ohren waren. Es gab vieles, was er ihr sagen wollte. Und doch entschied er sich letztlich dazu, zu schweigen. Es passieren zu lassen, unkommentiert. Weil nichts dabei und Weinen selbstverständlich war.
„Ach… halt die Klappe.“ Die Hände hingen nun mehr zu Fäusten geballt neben ihrem Körper. Sie war wütend auf sich, weil sie schon wieder die Kontrolle verlor. Wütend auf Liam, weil er das aussprach, was sie sich selbst wohl schon gedacht, es nur nicht laut ausgesprochen hatte. Ja ja. Sie war selbst nicht besser als er. Danke. Damit konnte sie jetzt wirklich viel anfangen. Gott. Sie hatte keine Lust mehr. Gerade fühlte sie sich, als wäre es einfach an der Zeit, dass sich ein Loch in der Erde auftat und sie verschluckte. Sang und klanglos. Das wäre doch ehrlich mal nen Fortschritt. Oder? Doch das würde wohl oder übel eine Wunschvorstellung bleiben. Weil da nichts außer gähnender Leere vor ihr war und einem knisternden Feuer in ihrem Rücken. Und Liam, der sie nicht einmal ansah. Aus was für irrationalen Gründen auch immer. Der dazu überging sie in die Arme zu nehmen. So gut er zumindest konnte. Immer noch stocksteif verkeilte sich ein dicker Kloß in ihrem Hals, den sie weder beim ersten, noch beim Zweiten Schlucken herunter zwingen konnte. „Scheiße.“, murmelte die Nordskov leise und bekam kaum mehr Luft. Sie hatte doch alles so gut verdrängen können in den letzten Tagen. Sich von den anderen abgekapselt, um mit sich ins Reine zu kommen und die Wunden mit einem Heftpflaster zu verschließen. Wieso musste sie es sich jetzt mit voller Kraft schmerzhaft von der Haut reißen? „Ich werde diese Bilder nicht los… Ich… egal was ich tue. Sie sind immer wieder da. Ich werde noch wahnsinnig.“ Zum ersten Mal nannte sie ihre Dämonen beim Namen. Dieser Bilder. Diese Erinnerungen, die Scortias lebloser Körper in ihr wach gerufen hatte. Alles schwappte mit jedem Schwall Tränen an die Oberfläche und brachte ihren Körper zum Zittern.
Weil er Recht hatte und Skadi es ganz genau wusste. Im Augenblick hätte er aber gut und gerne darauf verzichten können. Wie es schien, war er besser darauf programmiert, die üblen Dinge in der Welt ein wenig besser zu reden. Und er war diesbezüglich leichtgläubig genug, sich selbst zu glauben, während Skadi dazu neigte, Dinge zu zerdenken. Selbst, wenn es nicht in ihrer Macht lag, etwas an ihnen zu ändern. Auch jetzt schien sie wie erwartet mehr gegen sich selbst zu kämpfen, statt es einfach geschehen zu lassen, sich auszuweinen und sich danach geringfügig besser zu fühlen. Der Lockenschopf seufzte innerlich. Bei einem Kampf gegen sie selbst konnte er nur wenig ausrichten. Sie war stur. Gerade im Bezug auf das, was so selbstverständlich sein sollte - Emotionen. Er vernahm das Zittern ihres Körpers und war entschlossen, ihn erst loszulassen, wenn sie Anstalten machte, der Nähe wirklich entkommen zu wollen. Mit Worten konnte er ohnehin nichts ausrichten. „Scortias.“, murmelte er schließlich den Gedanken, der ihm vor ein paar Minuten bereits gekommen war. Dass es tiefer ging, konnte er nicht ahnen. Er seufzte schwer bei der Erinnerung an den toten Jungen. Kinder sollten nicht bestattet werden müssen. „Er kann nun wieder gemeinsam mit Feuerbart durch die achte Welt segeln. Wie früher. Das hätte ihn bestimmt gefreut.“, flüsterte er, die Augen geschlossen und ihren Schmerz erahnend. Sie hatte einen guten Draht zu ihm gehabt.
Das abfällige Schnauben war bereits heraus, noch ehe Skadi sich zurück halten konnte, als Liam diesen einen Namen aussprach, der Grund für all das hier war. Ganz gleich wie wenig das Ausmaß der Katastrophe vorhersehbar gewesen war. Dieser vermaledeite Dreckskerl trug jegliche Schuld daran, dass sie sich mit Enrique in diesem Teufelsspirale befand und jetzt auch noch den Tod eines Jungen verarbeiten musste, der… Sie schluckte erneut unter dem Gedanken. Ließ die Stirn gegen Liams Schulter gleiten und presste die Lippen fest aufeinander. Es brachte nichts ihrem Körper zu befehlen endlich mit diesem scheiß Geheule aufzuhören. Ganz gleich, wie wenig es die Toten zurück brachte oder ihre Gefühle besserte. Und ja. Es änderte Gott verdammt noch einmal nichts daran, dass Scortias nur der Stein war, der die Bilder ihrer Vergangenheit ins Rollen brachte. Doch sie hatte keine Kontrolle mehr darüber, was ihr Körper tat, der unaufhörlich, wenn auch stillschweigend Tränen über ihre Lider sandte. Als wären sie verdammte, kleine Hilfeschreie. „Feuerbart. Ich kann mir besseres für Scortias vorstellen als das.“ Liam konnte hören wie bitter diese Worte waren, die sie gegen sein Hemd hauchte. Wie viel Wut darin steckte, die sich immer mehr in den Fäusten entlud, die allmählich zu zittern begannen. „Er hätte mein Sohn sein können, Liam.“ Diese Erkenntnis ergoss sich in einem Schwall Tränen in seinem Leinenhemd. Nun war es Skadi die sich nicht wagte, auch nur den Blick zu heben. Die sich lieber mit geschlossenen Augen gegen ihn lehnte und tief Luft holte.
Er wusste, dass Skadi Feuerbart als Sündenbock sah. Als Grund für ihr zerrüttetes Verhältnis zu dem einzigen Menschen, den sie auf diesem Schiff länger kannte als ein paar Wochen. Dass ihre Abneigung dem Toten gegenüber allerdings so tief saß, dass er selbst jetzt noch ihre Wut heraufbeschwor, ahnte er nicht. Wie auch als Mensch, der die meisten Leute kommen und gehen ließ und nicht nachvollziehen konnte, was wirkliche Abscheu eigentlich überhaupt bedeutete. Sein Griff um Skadi lockerte sich etwas, als sie sich schließlich doch der Situation hinzugeben schien. Mit Sorge im Gesicht streifte sein Blick ihre verschlossene Miene und all die Tränen, die sich unaufhaltsam ihr Gesicht hinabkämpften und im Stoff seines Hemdes ihr Ende fanden. Seine Mundwinkel zuckten freudlos ob ihrer Bemerkung. Und obwohl er ihr innerlich zustimmte, oblag es nicht ihnen, darüber zu urteilen. „Er war sein Held.“, erinnerte er sie mit leiser Stimme, wohlwissend, dass sie das weder hören noch nachvollziehen konnte. Und schließlich jagten ihre Worte ihm einen dunklen Schatten ins Gesicht, ein Runzeln auf die Stirn und Ratlosigkeit in die Gedanken. So wahr ihre Worte auch waren, er konnte ihren Gedankengang nicht nachvollziehen. Natürlich hätte er es sein können. Aber er war es nicht gewesen. Es machte seinen Tod nicht weniger bedauernswert, aber wozu etwas anderes aus ihm machen als er war? „Aspen hätte auch mein Bruder sein können, aber er war es nicht.“ Vorsichtig und unsicher zugleich verließen diese Worte seine Lippen und zeugten davon, dass er ihren Gedankengang nicht nachvollziehen konnte. Es lag ihm fern, sie zu beleidigen. Er war bereit, es erklärt zu bekommen, aber gerade konnte er mit dieser Aussage nicht mehr anfangen, als es als irrational abzustempeln. Und wenn Skadi begann, sich in derart irrationalen Paralellwelten aufzuhalten, musste er sich schleunigst etwas einfallen lassen, um sie zurück in die Realität zu begleiten.
Er war sein Held und sein Untergang. Wie grauenhaft sowas doch Hand in Hand gehen konnte, nicht wahr? Skadis Lippen durchfuhr ein Zucken. Nur kurz und fast schon bedeutungslos. Natürlich verstand Liam nicht, was sie da sagte. Dafür hätte er einen Blick in ihre Gedanken werfen oder ihre Geschichte kennen müssen, um zu verstehen, dass dieses lose Konstrukt tiefer wurzelte, als eine reine Fantasie. War sie so weit, es ihm einfach zu sagen? Wenn sie ihre körperliche Verfassung in Betracht zog, war es dafür längst zu spät. Nicht wahr? Allmählich löste sich der Krampf in ihren Händen und ließ Luft an die roten Stellen, in denen eben noch ihre Fingernägel unerbittlich ins Fleisch gedrückt hatten. „Weil du keinen Bruder wie ihn hattest. Das ist der Unterschied.“ Die Tränen verebbten. So schlagartig wie sie gekommen waren. Der Körper der Nordskov stand wie im Auge des Sturms ruhig an Liams Seite. Noch immer hielt sie den Blick in den rau gewebten Stoff seines Hemdes gesenkt. Hob unter mehreren tiefen Atemzügen die Hand an Liams Bauch und bettete die langen Finger gegen die angenehme Wärme, die er ausstrahlte.
Nach außen hin wirkte er ruhig und bedacht, obwohl er innerlich unheimlich aufgewühlt und überfordert war. Er war kein Mensch, der den Dingen lange nachhing. Klar, man grübelte, man hatte schlaflose Nächte, aber in seinem Fall wusste er, dass es sich irgendwann erledigt hatte. Er kannte diese Art Verzweiflung nicht, die Skadi heimsuchte und damit auch kein greifbares Gegenmittel, um aus dem Sturm einen lausigen Regentag zu machen. Der Schatten blieb auf seinen Zügen, lauschte Liam gleich ihrer Erklärung, die ebenso wenig Sinn ergab wie ihre Bemerkung zuvor. Auf Anhieb jedenfalls nicht, doch die Erkenntnis sickerte langsam, aber stätig durch das unbewusste Unwollen, die Nachricht so einfach zu entschlüsseln, wie sie ihm dargeboten wurde. „Ich verstehe nicht.“, sagte er so langsam, dass seine Miene indes Zeit hatte, die Erkenntnis zu verdauen und nach Außen zu tragen. Das Unbehagen in seinem Inneren knäulte sich zusammen und ließ sich in seinem Magen nieder wie ein Fels, der haltlos von einer Klippe in die tosenden Wellen des Meeres brach. „Scheiße.“ Liam schloss die Augen, wagte es kaum zu atmen, während der Erkenntnis folgend all die Eindrücke auf ihn niederprasselten, die er bislang entweder übersehen hatte oder nicht hatte sehen wollen. All die Dinge, die ihm jetzt klarer wurden und die die Tür auf all die Schmerzen und Verzweiflung, die Skadi heimsuchen musste, noch weiter aufstieß. Ihm war schlecht. Schlecht aus Mitgefühl, aus Sorge und aus der Hilflosigkeit heraus. Er wollte sie nicht leiden sehen. Aber er war nicht imstande, ihr irgendetwas abzunehmen. Er war nicht einmal imstande, es mit ihr gemeinsam zu tragen. „Scheiße.“, wiederholte er, während sich seine Finger in die lockige Mähne ihres Hinterkopfs gruben. „Ich wusste nicht…“, murmelte er, aber es war nicht an der Zeit für Entschuldigungen. „Es tut mir so leid, Skadi.“ Eine Floskel, ja. Aber Liam konnte nichts dafür, dass sie für die meisten bedeutungslos geworden war. Es tat ihm leid. Es tat ihm unendlich leid.
Die Zeit verstrich, in der die Stille jede seiner Fragen beantwortete, die wortlos zwischen ihnen schwebte. Bis er verstand. Bis sein Atem flacher und stoßweise gegen ihre Schläfe traf. Doch Skadi fühlte nichts mehr in jenem Moment. Schien wie taub für seine Reaktion. Sie fühlte den Griff seiner Hand, ohne die Wärme seiner Fingerkuppen zu spüren. Nahm jede Regung seiner Bauchmuskeln unter ihrer Linken war und starrte doch apathisch gegen seine Schulter. „Woher solltest du es auch wissen. Niemand weiß das. Und die einzigen, die es wussten… die gibt es schon lange nicht mehr.“ Immer fester verkeilte sich der Kloß in ihrem Hals. Kälte schoss in ihre Finger, wenngleich die Nacht angenehm warm und wohlig war. „Ich dachte eigentlich, dass ich nach all den Jahren damit abgeschlossen hätte.“ Ein schiefes, kaputtes Lächeln schob sich auf die vollen Lippen und kippte jäh schmerzhaft zur Seite. „Da habe ich mich wohl geirrt, was?“ Und wem hätte sie es wohl sagen sollen? Enrique, der mit sich selbst schon genug zu kämpfen hatte? Allein seine Reaktion am Strand, an der sie ihm nur einen Teil ihrer Geschichte erzählt und sich ihm geöffnet hatte, war ausreichend gewesen, um seine Gefühle vollkommen außer Kontrolle geraten zu lassen. Dabei musste er sich auf das einzig Wichtige in seinem Leben fokussieren. Auf das, was für Skadi selbst die eine bedeutende Sache in ihrem Leben gewesen wäre. „Ich vermisse sie… so sehr.“ Die Tränen kehrten zurück. Und mit ihnen das plötzliche Zittern, das sich von ihrer Brust, bis zu ihren Fingern ausbreitete, die sich Hilfe suchend in Liams Hemd verkeilten.
Und er hatte die ganze Zeit geglaubt, dass sie ihre Scharade hinter sich hatte. Dass sie sein konnte, wer sie war, ohne die Dinge in sich reinfressen zu müssen. Er kam sich so dumm vor. Dumm, weil er naiv geglaubt hatte, sie hätte es tatsächlich geschafft, die Geister hinter sich zu lassen und so stark zu sein, wie kein anderer, den er kannte. Dumm, weil *er* sich *allein* vorkam, wie lächerlich. Er wusste, wie es war, einen Teil seiner Familie zu verlieren. Er wusste, wie es war, sie auf dem Weg ins Verderben zu begleiten, ohne ihnen helfen zu können. Aber er kannte auch die Angst, die seinem Vater so oft im Gesicht gestanden hatte. Keine Angst um sich selbst, sondern die Angst, sein eigenes Kind zu verlieren. Ein Verlust, der schwerer wiegen musste als alles andere. Und er bezweifelte, dass es einen Zeitpunkt gab, an dem man wirklich damit ‚abgeschlossen‘ hatte. Man lernte, damit umzugehen. Ein Teil blieb es allerdings ein Leben lang. „Das wird sich auch niemals ändern.“, flüsterte er ehrlich und blinzelte die Feuchtigkeit aus seinen eigenen Augen. Er schluckte schwer und gab sich schließlich einen Ruck, löste die Hände von ihr und suchte nach ihren Fingern, die sich im Stoff seines Hemdes verkeilten. „Komm. Ich will dir etwas zeigen.“ Seine Stimme blieb leise, während er ihre Hände sanft aus seinem Hemd löste und ihnen stattdessen seine eigenen Hände als Stütze bot, wobei der Griff seiner Rechten deutlich schwächer war als links. Auch, wenn es nicht viel war, war es zumindest einen Versuch wert. Eigentlich hatte er es allein machen wollen, war auch deshalb aufgebrochen. Aber vielleicht brachte es Skadi zumindest ein bisschen Seelenheil. Vergessen war der Bratapfel für den Moment, während Liam sie langsam wieder durch den Sand zurück zu seinem kleinen Lager führte.
Nein. Nichts in dieser Welt würde sie jemals von diesem Gefühl befreien, dass sich in ihrem Brustkorb eingenistet hatte. Doch es würde vielleicht Tage geben, an denen sich der Verlust weniger wie eine drückende Einsamkeit anfühlte und sie in der Lage war die schönen Erinnerungen zu erhalten, die sie mit ihren Kindern verband. Tage die eigentlich alle Schatten überstrahlten konnten, wenn sie es nur zuließ. Wenn. Zukunftsmusik, die sie dumpf aus der Ferne wahrnahm und die nichts weiter war als ein monotones Brummen. Wie lange standen sie hier eigentlich schon? Welchen Tag hatten sie heute? Wo waren sie eigentlich? Orientierungslos hob Skadi den Blick als sich Liams Wärme in Luft auslöste und sich ihr Körper an jenen Stellen eiskalt anfühlte, an denen zuvor seine warmen Hände gewesen waren. Der kratzige Ton seiner Stimme hinterließ ein unangenehmes Kribbeln auf ihren Nervenenden. Verstärkte sich, als sie das Schimmern in seinen Augen sah, kaum dass er sich herum wandte und ihre Hand von seinem Hemd löste. Nur um es daraufhin gleich fest in die eigenen zu schließen und sie einer Puppe gleich zurück zum Feuer zu bringen. Wortlos ließ sich Skadi führen. Fühlte die Bitterkeit, die in ihrem Magen den ersten Keim von Übelkeit pflanzte. Sie wusste nicht, was jetzt passieren würde. Und sie hatte diese irrationale Angst, dass es weitaus schlimmer werden konnte. So hatte sie den Lockenkopf noch nie gesehen.
Der plötzliche Tatendrang dank seines kleinen Hoffnungsschimmers linderte die Hoffnungslosigkeit für den Moment, gaben ihm wieder einen Kurs und die Entschlossenheit und Sicherheit, die er üblicherweise sein Eigen nannte. Und trotzdem blieb er bedrückt und überwältigt von dem, was sie ihm gerade offenbart hatte. Spielte es eine so große Rolle, dass sie Mutter war? Menschlich nicht. Absolut nicht, denn er konnte sie sich ziemlich gut als Mutter vorstellen. In ihrer aktuellen Lage aber war es nichts Gutes. Nicht für ihr Gemüt jedenfalls, das sich haltlos zurück in den Strudel der Vergangenheit ziehen ließ. Er schwieg, bis sie am Feuer angekommen waren und ließ mit einem kurzen, instensiven Blick von ihren Händen ab, ehe er sich zu seinem Seesack beugte. Es dauerte nicht lange, bis er gefunden hatte, was er suchte, sich in den Sand gleiten ließ und das Papier und Kerzen vor sich ausbreitete. „Ich hatte tatsächlich nicht nur vor, hier zu sitzen und Rum zu trinken.“, gestand er mit einem Blick hinauf zur Nordskov und überlegte, wie er fortfahren sollte. „Es ist nicht nur Scortias, den wir verloren haben. Aspen und Taranis haben im Grunde genauso verdient, dass wir sie verabschieden.“ Ungewohnt grobmotorisch faltete er das erste Papier zusammen. Man sah seinen Zügen das Missfallen an, aber er hatte nun keine Zeit dafür. „Ich wollte ihnen wenigstens eine kleine Ehre erweisen. Ein kleines Licht.“ Letztlich hielt er das erste kleine Papierschiff in der Hand, auf dessen Mitte Platz war, um eine kleine Kerze darauf zu platzieren. „Für all die Verlorenen.“ Der letzte Teil seiner Worte verhallte bedeutungsschwer in der nächtlichen Meerespriese. Nicht nur für Aspen und Taranis. Für Feuerbart und Scortias oder Sylas, der nicht mehr aufgetaucht war. Für seinen Großvater und seine Mutter, die ihrem Fluch zum Opfer gefallen waren. Für seinen Vater, der irgendwo dort draußen war und von dem er hoffte, dass es ihm gut ging. Lubaya, die ihre Rückkehr zu ihrer Familie hoffentlich genoß und Alex, der mit seiner Schwester den schönsten Tag ihres Lebens feierte. Und für Skadis Familie, ihre Heimat. Ihre Kinder. Für all die, die nicht mehr hier sein konnten, obwohl sie es wollten. Für all die, bei denen sie nicht sein konnten, obwohl sie es wollten.
Wie angewurzelt stand sie im weichen Sand des Strandes und beobachtete jede seiner Bewegungen, die unter den Tränen verschwommen und unwirklich schienen. Verfolgte den Versuch seine Hände das helle Papier zu einem kleinen Schiffchen zu formen und schluckte schwer unter der Erklärung, die er ihr vor die Füße legte, wie ein zerbrechliches Werk aus Glas. Und Skadi begriff. Lächelte unter dem Schwall an Tränen, der ihre Wangen hinab perlte. Presste die Lippen wie so oft an diesem Abend fest aufeinander, um mit verschränkten Armen das Beben zu unterdrücken, das sich jäh durch ihre Muskeln bahnen wollte. Es erschien ihr in jenem Moment unbegreiflich, wieso er das tat. Wieso es noch irgendeinen Menschen wie ihn gab, der zu solch einer Geste fähig war. Sie schluchzte. Schluckte den Schmerz in ihre Brust zurück und ließ sich mit den Knien voran in den Sand vor ihm sinken. Wischte sich mit dem Handrücken über die feuchten Augenlider und griff fast blind nach dem Papier auf der anderen Seite. „Die Welt hat dich nicht verdient.“, murmelte sie leise. Hielt inmitten der ersten Pfalz inne und sah mit einem Lächeln und Tränen in den Augen zu ihm hinauf. Überwältig von ihren eigenen Gefühlen, der Liebe dieses Vorhabens. Der Dankbarkeit. Der Hoffnung, die Liam immer wieder ausstrahlte und die sie mehr als einmal davon abgehalten hatte, ihre harte Schale für andere zu verschließen.
Es brachte ihm zumindest ein wenig Fassung zurück, mit den Händen zu arbeiten. Das Glänzen in seinen Augen ebbte etwas ab, als er sich beiläufig mit dem halbfertigen Papierschiff in den Fingern mit dem Handrücken über die Wange fuhr. Er spürte Skadis Blick auf sich, die reglos neben ihm stand und zu verstehen versuchte, was er da tat. Ein trauriges Lächeln galt ihr, als er das erste Schiff in die Höhe hielt, bis sie letztlich neben ihm in den Sand glitt und nach dem zweiten Stück Papier griff. Für einen Sekundenbruchteil wurde es hörbar etwas breiter, doch er schwieg. Er war zufrieden, wenn es *ihr* ein klein wenig half. Die Welt konnte ihm gestohlen bleiben und das blasse, mitgenommene Lächeln auf ihren Zügen war ihm Dank genug. Während Skadi sich um das zweite Schiff kümmerte, brach er eine der Kerze mit der Linken in mehrere Stücke, indem er sie unter seinen Fuß klemmte und arbeitete den Dort mit seinem Dolch wieder heraus. „Bist du soweit?“, fragte er mit einem Blick, der verriet, dass er nicht bloß das Schiff in ihren Händen meinte. Langsam erhob er sich wieder auf die Beine, beugte sich herab, um die Kerzen und die Streichhölzer zu greifen und sie zu der Linie zu bringen, die das Meer in den Sand zeichnete. Die Kerzen zwischen die Beine geklemmt entzündete er das erste Streichholz und unterdrückte dabei ein Zittern in der rechten Hand. Als das Wachs der ersten Kerze flüssig war, ließ er es in die Mitte der Papierschiffe tropfen und befestigte so vorsichtig die kleinen, unangezündeten Kerzen als Last, ehe er eines davon Skadi reichte, bloß um sich abermals nach der noch brennenden Kerze zu beugen, die er in den Sand gesteckt hatte. Mit einem Kopfnicken deutete er, dass sie ein Stück weiter hineinwaten müssten, damit die Reise dieser kleinen Hoffnungsträger nicht augenblicklich wieder am Stand endete.
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Crewmitglied der Sphinx
für 250 Gold gesucht
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#4
Etwas ungelenk drückten die zitternden Finger Papier auf Papier. Formten kleine sichtbare Kanten in die gelbliche Oberfläche, die alsbald als kleines Schiffchen auf dem Sand ruhte. Mit jedem weiteren dieser Papierboote wurde die Nordskov ruhiger. Sah unter dem versiegenden Tränenberg auf ihrem Lid die Welt allmählich klarer, auch wenn der Druck in ihrer Brust kaum nachgelassen hatte. Nickend antworte sie dem Lockenkopf auf seine  Frage, ohne aufzusehen. Die dunklen Augen blieben auf das kleine Boot zwischen ihren Fingerspitzen fixiert, als suchte sie darin die tatsächliche Antwort. Nein. Sie war nicht bereit ihre Kinder für immer loszulassen. Das wäre sie womöglich nie. Oder hatte sie vielmehr Angst davor, sie zu vergessen, wenn sie den Schmerz gehen ließ? Tief ein- und ausatmend erhob sie sich. Stapelte die kleinen Papierfiguren auf ihrem Arm und folgte dem Musiker zum Meer hinab, das ruhig vor ihnen bis zum Horizont reichte. Der Sand unter ihren Schuhsohlen war so weich. Als schwebe sie für einen Moment auf Wolken. Schwankte von links nach rechts und blieb dicht neben dem Lockenstopf stehen. Ging in die Hocke, um die kleinen Schiffchen vorsichtig neben ihm in den Sand gleiten zu lassen, während er die Kerzen entzündete. Mit zitternder Hand nahm sie das Papierboot entgegen, das er ihr reichte. Sog sichtlich aufgewühlt die Nachtluft in ihre Lungen und zog sich beiläufig die Schuhe von den Füßen. Dann trat sie hinein ins angenehm warme Nass. Lief behutsam tiefer hinein und schluckte schwer. Wieder verschwamm der orangerote Schein der Kerze in ihrer Hand. Verschmolz mit der glitzernden Meeresoberfläche, die so friedlich vor ihnen lag. Doch Skadi hielt dem stechenden Gefühl in ihrem inneren Stand. Verkeilte einige Meter entfernt ihre Zehenspitzen in den Meeresboden und schloss die Augen. Angenehm umspielte der Abendwind ihre Beine, das mit Tränen getränkte Gesicht. Stob ihre Haare zur Seite und ließ immer wieder ein paar Wassertropfen gegen ihre Leinenhose schwappen. Ein Summen verließ ihre Kehle. Erst leise, dann zunehmend lauter. Noch immer hielt sie den Blick auf die feine Linie am Horizont gerichtet. Beugte sich nur langsam zur Wasseroberfläche hinab und schob das winzige Boot hinaus in Richtung Ozean.

Pan’s Labyrinth Lullaby
Es war einfach, zu erkennen, wie schwer Skadi dieser Gang fallen musste – sogar für ihn, der nicht gerade selten das ein oder andere übersah. Aber auch Liam wusste, dass nicht immer alles einfach war im Leben und der Tod gehörte zweifellos dazu. Das Gewicht auf sein Gemüt nahm wieder zu, als er in das von Schmerz zerfressene Gesicht seiner Freundin sah und trotzdem hatte er ein blasses, ermutigendes Gesicht für sie übrig, ehe sie sich – Seite an Seite – in Bewegung setzten. Eines der Boote fand seinen Platz in den Händen der Nordskov, den Rest stapelte er vorsichtig in seiner eigenen Handfläche, um sie hinaus aufs Meer zu tragen, bevor sie ihre eigene Reise in die Nacht begannen. Das Meer rauschte leise und ruhig in ihren Rücken, während das Wasser sanft ihre Beine umspielte und den Stoff ihrer Hosen hinaufkroch. Aber es spielte keine Rolle, war unbedeutend zwischen all der Emotion, die in dieser Geste lag. Liams Blick war in die Ferne gerichtet, ruhte ohne wirklichen Fixpunkt am Horizont, wo sich die Sterne mit ihrem Spiegelbild im tiefschwarzen Ocean trafen. Er schwieg und als sich Skadis leise Stimme in die Nachtluft mischte, hielt er für einen flüchtigen Moment den Atem an. So leicht, wie ihre feine Stimme auch klang – die Nachricht, die darin mitschwang, die Trauer und der Verlust, wogen schwer. Er blinzelte, als sein Blick ein wenig verschwamm, biss sich auf die Unterlippe und reagierte auf eine Regung ihrerseits. Bedächtig streckte er den Arm aus, um das Kerzenfragment des kleinen Papierbootes zu entzünden, kurz bevor sie es in die Wogen des Meeres übergab. Eine Zeit lang sahen sie dem winzigen Lichtbringer nach, ehe er das nächste Schiff des kleinen Stapels in seiner Hand entzündete, damit Skadi es zu Wasser lassen konnte. Als sie das vorletzte Boot genommen hatte, entzündete er das letzte und entließ es zeitgleich mit ihr in die Obhut der Wellen. Es verstrich keine Sekunde, bis er die Hand ausstreckte und seine Finger zwischen ihren verkeilte, um schweigend den Lichtern hinterherzusehen, die sich wacker auf der Wasseroberfläche hielten.
Wie kleine Sterne flackerten die Lichter der Kerzen inmitten der dunklen See. Schwammen friedlich und ruhig unter dem freien Himmel davon, als könne keine Traurigkeit sie jemals erreichen. Trugen die verstorbenen Seelen sorgenfrei und mit Leichtigkeit in die Anderswelt, wo ihre Ahnen sehnsüchtig auf sie warteten. Fest umschlangen Skadis Finger Liams warme Hand, kaum dass sie seine Fingerkuppen auf ihrer Handfläche spürte. Summte noch immer unter Tränen das kleine Lied, das so viele Erinnerungen mit sich trug, dass es ihr fast die Kehle zuschnürte. Brandr in ihrem Arm, der nach Stunden endlich in ihrem Schoß eingeschlafen war. Dessen dichte Locken sie liebevoll um ihre Finger zwirbelte, während sie Eirík und Idunn beim Schlafen beobachtete. Sólveig, die lachend durch das hohe Gras des Sommers rannte und ihr aufgeregt Geschichten erzählte. Ihre Brüder, denen sie in ihren Fieberträumen jenes Lied summte und ihre kleinen Hände hielt. Ihre Mutter, die vollkommen in Gedanken versunken auf einem Eimer saß und schillernde Muster in Kleider nähte. Summende Bienen. Rauschende Baumwipfel. Fast glaube Skadi den Duft von Gräsern und Blumen wahrzunehmen, als sie tief einatmete und den Kopf zu Liam herum wandte. Augenblicklich wischte sie sich mit der freien Hand über die Augen, schluckte und zwang sich ein Lächeln auf, das augenblicklich kippte, als sie seiner Tränen gewahr wurde. Die Jägerin verstummte. Verstärkte den Druck ihrer Finger auf seiner Hand für einen Moment und ließ dann den dunklen Haarschopf gegen seine gesunde Schulter gleiten.
Er schluckte, doch das löste den Kloß in seinem Hals nicht im Geringsten. Die kleinen Lichter tanzten wie Irrwiche in der Dunkelheit zwischen den Sternen, als würden sie sie in die Ferne locken wollen, ins Ungewisse, in die Vergangenheit. Sein Kopf waren wie leergefegt, während er in die Dunkelheit starrte und das kleine Licht mit dem Blick verfolgte, welches er auf der Meeresoberfläche ausgesetzt hatte. Mit ihm segelten seine Gedanken an seine Mutter und all die, die irgendwo dort draußen waren in der Hoffnung, dass es ihnen gut ging. Außerdem galten sie Skadis Kindern, die sie viel zu früh hatte gehen lassen müssen. Als sich der Druck ihrer Finger kurzzeitig erhöhte, ahnte Liam, dass ihr nicht entgangen war, dass sie nicht die einzige war, die nicht an sich halten konnte. Er räusperte sich leise, um ihr Klagelied nicht zu unterbrechen, doch Skadi war von sich aus verstummt. Er schloss die Augen, als er ihren Schopf auf seiner Schulter spürte und hörte auf, sich gegen das zu wehren, was an Erinnerungen auf ihn niederprasselte.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, in der die Wellen einem Metronom gleich mit einem leisen Rauschen ihre Beine umspült hatten, traf ihn die Gegenwart wieder hart ins Gesicht. Allmählich fröstelte die Nachtluft ihn mit den nassen Hosenbeinen und auch die Lichter waren bloß noch in der Ferne zu erkennen, wenn eine Welle sie hoch auf ihrer Kante trug. Mit einer sanften Bewegung seiner Hand wollte er auch Skadi zurück in die Gegenwart rufen, um ihr Andenken am Feuer fortzuführen und ihre Sachen zu trocknen. „Ich habe keinen Zweifel daran, dass du eine großartige Mutter bist.“ Seine Stimme bleib gedämpft, während sie durch das Wasser zurück zum Ufer wateten. Skadi war fürsorglich, aufopfernd und konsequent und Scortias gegenüber so liebevoll gewesen, dass er sich im Nachhinein hätte denken können, dass es nicht bloß weibliche Intuition gewesen war. „Erzählst du mir von ihnen?“ Er war ehrlich interessiert daran, forderte es allerdings nicht. Es war mehr eine Einladung, ihre Erinnerung an sie mit ihm zu teilen, wenn sie wollte. Gleichzeitig umging er damit, sich seinen eigenen Dämonen stellen zu müssen.
Vermied er mit Absicht das war in seinen Worten, die er nach ewigem Schweigen an sie richtete? In einem lichteren Moment wäre es ihr durchaus aufgefallen. Doch ihr Kopf war zu benebelt, um sich daran zu stoßen. Um es als Kompliment wahrzunehmen, das es unweigerlich gewesen sein musste. Sie schenkte ihm ein mattes Lächeln auf ihrem Rückweg und erwiderte nichts darauf. Was hätte sie wohl groß erwidern können? Dass er wohl ein genauso guter Vater sein konnte, wenn er nur wollte? Sicherlich nicht. Weniger weil es nicht stimme, sondern weil ihm diese Erkenntnis wohl wenig brachte. Schon gar nicht, wenn er offensichtlich trauerte. Vor dieser Tatsache konnte Liam nicht mehr seine Augen verschließen, weil die Nordskov bereits zu viel gesehen und davon gespürt hatte, um nicht zumindest eine Vorahnung, ein bitteres Gefühl davon zu haben. Kaum knirschte der erste Sand unter ihren Füßen, klebte ihre Hose wie eine zweite Haut an ihren Beinen. Nur widerwillig löste Skadi ihre Finger aus dem festen, aber sanften Griff ihrer Hände. Schob sich im Gehen die Hose von den Beinen, wrang sie mit voller Kraft am Feuer angekommen aus und hob den Blick zu Liam hinauf. Vielleicht tat es gut darüber zu sprechen, um den dunklen Staub vom Bild ihrer Kinder zu wischen und die Erinnerungen zurückkehren zu lassen, die so viel schöner waren als die traurige Tatsache, dass es auf ewig der Vergangenheit angehörte.
Tief seufzend überließ sie Liam für einen Moment sich selbst, während sie aus ein paar Ästen eine Trockenleine errichtete, über die sie erste ihre Hose warf und dann mit ausgestreckter Hand nach der seinen verlangte. „Brandr war womöglich ein genauso wilder Chaot wie dein Alex und mindestens ein ebenso großer Sturkopf wie seine Mutter.“ Ihr Lächeln glich einer Mischung aus Sanft- und Wehmut. Doch verlor es nicht an Leuchtkraft als sich der schmale Körper dicht am Feuer in den Sand gleiten ließ und die Knie anwinkelte. „Gott, er hätte allen ganz schön auf der Nase herumgetanzt vor Langeweile auf dem Schiff. Er war schon damals kaum zu bändigen und ständig irgendwo am Klettern und Jagen.“
Zwar war die Stille zwischen ihnen schwer, gleichsam aber auch dazu einladend, sich ein wenig mit innerem Frieden anzufreunden. Skadis Finger lösten sich aus seiner Hand, doch tatsächlich nahm er das nur beiläufig wahr. Mit einem tiefen Atemzug und seinen Gedanken beschäftigt bemerkte er erst ein paar Schritte später, dass die Nordskov innegehalten hatte, um sich ihrer nassen Hose zu entledigen. Er registrierte es, setzte sich allerdings wie von selbst wieder in Bewegung, um die letzten Meter bis zum Feuer zurückzulegen, ohne auf die Idee zu kommen, es ihr gleichzutun. Wenn es nach ihm ging, hätte er sie der Einfachheit wegen einfach an seinem Leib trocknen lassen. Aber als die Jüngere wortlos danach verlangte, leistete er Folge, ohne es in Frage zu stellen. Er hatte sie schweigend dabei beobachtet, wie sie Stöcke zusammengeklaubt und ein einfaches Gestell errichtet hatte. Einen davon hatte er sich stibitzt, um abwesend eines der Enden anzuspitzen, bis er leise das Wort erhob. Er wusste, dass sein Angebot zum Gespräch gewagt war. Tatsächlich konnte er in diesem Moment nur schwer voraussagen, ob Skadi sich darauf einlassen würde oder nicht. Diesbezüglich waren sie sich kein bisschen ähnlich. Liam war der Meinung, dass man auch über die schlechten Dinge sprechen musste. Über die Schweren, bis sie zur Normalität wurden. Nur dann hatte man sie akzeptiert wie sie waren. Als sie dann tatsächlich zu erzählen begann, breitete sich ein warmes Gefühl in seinem Inneren aus, selbst wenn der bittere Beigeschmack blieb. Doch die Bilder wurden greifbarer, lebhafter. Lebendiger. Als sie sich neben ihm niederließ, musterte er flüchtig ihre Züge, wendete sich herum und kramte die Decke aus seinem Seesack. „Vermutlich wäre er ziemlich häufig über Bord gegangen.“ Liam räusperte sich, was darauf schließen ließ, dass er wusste, wovon er sprach. Schiffe waren ein wahnsinnig aufregender Spielplatz für ein Kind. Und der Übermut ein ständiger Begleiter, der einen nicht selten in missliche Lagen brachte. Für ihn war es allerdings noch immer eine Gradwanderung. Inzwischen kannte er Skadi gut genug, um zu wissen, dass ihre Offenheit recht schnell umschlagen konnte. Beiläufig entfaltete er das zusammengeknüllte Laken und hielt ihr einladend eines der Enden hin. Seine Verletzung verhinderte, dass er es ihr um die Schultern legen konnte.
„Gegangen oder geflogen?“ Ein amüsiertes Schnauben verließ ihre Brust. Womöglich hätte ihr Sohn in Trevor einen ziemlich Nerv tötenden Spielkameraden oder vielleicht sogar ein potentielles Opfer gefunden. Schwer zu sagen, wie er jetzt, 5 Jahre älter, seine Wildheit ausgelebt hätte. Vielleicht war er auch ebenso still und schweigsam wie Enrique. Oder verträumt und stets positiv wie Liam. Das wissen wohl nur die Götter. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie die Regung des Älteren und hob den Kopf in seine Richtung. Starrte schweigend auf den Zipfel der Decke, den er ihr entgegen hielt und rückte ein paar Zentimeter heran, ehe sie ihm das Ende aus den Fingern klaubte und es sich über die Schultern legte. „Auf deine Geschichten wäre er allerdings versessen gewesen. So viel ist sicher.“
Das Lächeln auf seinen Lippen wurde wärmer und die Unruhe legte sich so langsam wie Nebel an einem feuchten Herbsttag. Es war schön, Skadi so über ihre Vergangenheit reden zu hören. Über ihre Familie, auch wenn die Sehnsucht schwer in ihrer Stimme bebte. „Bislang haben wir nicht mal Trevor von Bord geworfen.“, erinnerte er sie und legte damit einen Maßstab, den Brandr in diesem kleinen Paralelluniversum erst einmal überbieten musste. „Du hattest bestimmt deine Arbeit damit, ihn von Dummheiten und waghalsigen Abenteuern abzuhalten, hm? Wenn er so stur war wie seine Mutter, wird er sich nicht von einfachen Verboten abhalten gelassen haben.“ Er lehnte seine Schulter sanft, aber beiläufig an ihre. Sein Blick folgte noch immer den tanzenden Flammen, deren Funken in den dunklen Nachthimmel stoben. „Ich vermutlich auch auf seine.“ Er ließ den Gedanken kurz im Raum stehen, folgte ihm in Stillen und lächelte schließlich. „Nichts ist blühender als die Fantasie eines Kindes. Da werden aus Schlangen Lindwürmer und aus Fledermäusen Drachen.“
Skadi musste unweigerlich lachen, als Liam davon sprach, wie schwer es wohl gewesen sein musste, mit einer kleineren Version ihrer Selbst und dessen Wildheit klar zu kommen. Nun. Eigentlich war hier vielmehr die Frage, WER hier WEN bändigen musste. “Wenn ich nicht diejenige gewesen wäre, die ihn ständig dazu angestiftet hätte… gut möglich.“ Außerdem hatte sie für die Predigten ihren Mann gehabt, der nicht nur Brandr, sondern ebenso seiner Frau die Leviten gelesen hatte. “Oder aus Vätern große Ungeheuer, die man mit Schlamm bewerfen muss.“ Die Beziehung ihrer beiden Männer war auf so viele verschiedene Weisen kompliziert gewesen. Auch wenn ihr das Grundproblem schon immer bewusst gewesen war.
Auch das konnte er sich nur zu gut vorstellen. Wobei er keinen Zweifel daran hatte, dass Skadi ihr Kind wie eine Löwenmutter beschützt hätte. Es war so schon keine gute Idee, sich mit ihr anzulegen – ihr Kind zu bedrohen hätte einen wohl unweigerlich einen Kopf kürzer gemacht. Allmählich verstand er, woher die Verbitterung und Distanz rührte, die sie nicht allzu selten auf den Zügen trug. Doch diese Erkenntnis sickerte nicht bis auf seine Züge durch, nicht einmal in sein direktes Bewusstsein, das sich plötzlich auf einen ganz anderen Punkt konzentrieren musste, den er bis hierher nicht berücksichtigt hatte. „Also hast du ihm gleich jeglichen Respekt vor Gefahr ausgetrieben.“ So, wie er es sagte, klang es ganz gewiss nicht nach etwas Negativem. Eigentlich hätte es ihm peinlich sein müssen, dass Skadi ihn so offensichtlich darauf stoßen musste. Sie hatte nicht bloß ein Kind verloren, sie hatte auch den Mann verloren, mit dem sie diese Familie gegründet hatte. Skadi war keine Frau, die sich dem erstbesten hingab. So freizügig sie sich auch meistens gab – Liam schätzte sie so ein, dass ihre Liebe aufrichtig war. Jedem gegenüber, der es verdiente. Und daran war sie gebrochen. „Du hast also deinen Sohn vorgeschickt?“, hob er die moralische Verwerflichkeit gespielt ernst hervor und schielte zu ihr hinüber. „Dieses Ungeheuer konnte einem ja nur leid tun, wenn ihr es gemeinsam mit Schlamm gebadet habt.“
Ihr Blick glitt bei seinen Worten zurück ins Feuer, an dem sich die dunklen Augen festhielten, um nicht tiefer über die Bedeutung dahinter nachzudenken. Denn so gesehen hatte sie ihrem Kind den natürlichen Fluchtreflex aberzogen, der für das Überleben in der Wildnis wichtig war. Doch so lebte man nun einmal in ihrem Dorf. Hatte es zumindest damals. Besser war man auf die Gefahren vorbereitet und konnte ihnen ohne Angst entgegen treten, als sich überall zu verstecken. Und Mut konnte durchaus auch Türen öffnen. Oder ein Kind davor bewahren im Brunnen ertränkt zu werden. „Nun… er kannte seine Grenzen. Das war mir immer wichtig. Dass er weiß, wer er ist und was er kann. Es gab schon genug Menschen, die ihn für seine Existenz aufgezogen haben.“ Würde sie jetzt wirklich so weit gehen, ihm auch noch von diesem Geheimnis zu erzählen? Für einen Moment zog sich ihre Kehle zusammen. Nur gut, dass Liam augenblicklich das Thema wechselte und ihr einen kurzweilig spitzbübischen Ausdruck auf die Züge legte. „Tja. Wofür hat man seine Familie denn sonst? Rangeln ist doch irgendwie auch eine Art Liebesbeweis oder?“ Mit einer Drehung des Kopfes lugte die Jägerin zu ihm zurück und schmunzelte. “Ging dir mit deinem Vater doch nicht anders oder? Und es gab doch bestimmt auch Dinge, die du…“ Kurz hielt sie inne, kaute für einen Moment auf ihrer Unterlippe. „Nun… die du nicht tun durftest und sie doch gemacht hast, weil deine Mutter dir wichtig war.“
Das letzte, was er gewollt hatte, war, ihr Zweifel an ihrer Art der Erziehung einzureden. Seine Abenteuerlust überwog auch nicht selten seinen Sinn für Gefahren – selbst wenn sie vorerst vermutlich einen deftigen Dämpfer verpasst bekommen hatte. Zum Glück kam er gar nicht auf den Gedanken, dass man seine Worte auch anders hätte verstehen können. Nicht zuletzt wahrscheinlich, weil Skadi ihn mittlerweile gut genug kennen musste, um zu wissen, dass ‚Verbote‘ für ihn kaum mehr als ein Rat waren, etwas nicht zu tun. Was genau sie allerdings damit meinte, dass man ihren Sohn seiner Existenz wegen aufgezogen hatte, erschloss sich ihm nicht. Er dachte im Gespräch allerdings auch nicht daran, danach zu fragen und einen Augenblick später war es für den Moment vergessen. Er wog zustimmend den Kopf von einer zur anderen Seite. Zu einer guten zwischenmenschlichen Beziehung gehörte es definitiv dazu, sich auch einmal aufzuziehen, sich Streiche zu spielen. Daran hatte er absolut nichts auszusetzen. Er lauschte auf, als sie die Frage indirekt zurück gab. „Du willst wissen, ob meine Mutter mich auch gegen meinen Vater eingesetzt hat?“, fragte er ehrlich schmunzelnd und blickte schließlich einige Herzschläge lang nachdenklich ins Feuer, ehe er weiterredete. „… Ich glaube, sie ist ziemlich häufig an uns verzweifelt.“ Das war seine ehrliche Einschätzung. „Ihr war es nicht ganz unwichtig, was die anderen Familien über unsere dachten. Wir waren dabei nicht immer unbedingt zuträglich. Die anderen Kinder mussten nämlich eher Etikette lernen, statt sich gegen Schlammmonster zu verteidigen.“ Vielsagend wandte er den Blick vom Feuer ab und sah zu ihr hinüber. Es war selbstredend, dass seine Faszination eher letzterem gegolten hatte. „Letztlich… Egal, wie wichtig ihr das Ansehen der anderen war. Am Ende war es ihr immer wichtiger, dass wir glücklich waren. Auch wenn es bedeutete, mich wiedermal aus einem Baum zu pflücken.“
Sie nickte knapp auf seine Frage. Beobachtete ihn aufmerksam, während er erzählte und zog erneut ihre Beine dicht an ihren Körper. In einer flüssigen Bewegung schlang sie beide Arme um ihre Oberschenkel und bettet ihr Gesicht seitlich auf die Knie. Schmunzelte für einen Moment und atmete tief ein und aus. Allmählich nahm der Druck auf ihrer Brust ab und blieb nur noch als ein wildes Klopfen zurück. „Stammte deine Mutter denn aus adligeren Kreisen, dass ihr die Ansichten anderer nicht vollkommen egal waren?“ Tatsächliche Neugierde spiegelte sich in den Augen der Nordskov, die solche Verhaltensweisen überhaupt nicht aus ihrer Heimat gewohnt war. Es gab durchaus Hierarchien und ganz sicher war niemand vor Spitzfindigkeiten oder Eitelkeiten gefeit.
Es war schön, sie trotz ihres Gesprächsthemas lächeln zu sehen. Ihm fiel es einfacher als ihr über die Vergangenheit zu sprechen. Er lebte in der Gegenwart, vielleicht sogar zum Teil mehr in der Zukunft, als dass er an den Dingen festhielt, die unabänderbar zurücklagen. Natürlich vermisste er sie – welcher Junge vermisste seine Mutter nicht? – aber er dachte gern an das zurück was war. Jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, als sie angefangen hatte, zu leiden. „Mittelschicht.“, korrigierte er mit einem Lächeln, den Blick noch immer ins Feuer gerichtet, weil das Flackern einen beruhigenden Eindruck auf ihn machte. „Adel wäre etwas zu hoch gegriffen. Wir waren also unbekannt genug, dass man sich unseren Namen nicht gemerkt hat, aber wichtig genug, dass vermutlich jede meiner neuen Schrammen in aller Munde war.“ Seine Mundwinkel zuckten amüsiert, als er daran zurück dachte, wie oft er mit Schürfwunden oder blauen Flecken übersät gewesen war. Er war sich für nichts zu schade gewesen. Für keinen Dornenbusch und auch keinen Sturz von einer Mauer oder Baum. „Sie hatte sehr viel Gefallen an den Gesellschaften, tanzte für ihr Leben gern. Nachdem sie krank wurde, hat mein Vater die kleinen Feierlichkeiten nach Hause gebracht so gut er konnte. Nur für uns drei eben.“ Mit einem gutgemeinten ‚Festmahl‘, bei dem sie beide nicht selten ausgesehen hatten wie Urmenschen. Und selbstgespielter Musik, während der kleine Liam sie seinen Fähigkeiten entsprechend durch die Wohnstube hatte führen dürfen.
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#5
Wochen zuvor hatten sie bereits über dieses Thema gesprochen. Skadi konnte sich gut an eine Erzählung erinnern, die mit einem Ball oder zumindest einem Tanz zu tun gehabt hatte. Auch wenn sie mit dem Begriff „Mittelschicht“ nicht sonderlich viel anzufangen wusste – einfach weil es ihr vollkommen gleich war – ergab was er sagte auf eine ziemlich konfuse Art und Weise Sinn. Ihr Blick folgte seinem in Richtung des Lagerfeuers. Beobachtete die tanzenden Flammen schweigend, während er ein Bild seiner Vergangenheit malte und Skadi, ob sie wollte oder nicht, über ein Detail stolperte, das neu für sie war. “Sie war krank?“ Scheinbar so schwer, dass es ihr nahezu unmöglich schien, das Haus zu verlassen. Und so sehr, dass Liam wohl deshalb wenig über sie sprach. Allerdings konnte Letzteres auch einfach purer Zufall sein.
Ihre Nachfrage überraschte ihn.  Sie hatten sich schon einmal darüber unterhalten, wenn er sich recht entsann. Und dieses Detail hatte er - wenn - nicht willentlich ausgelassen. Natürlich vermied er es, darüber nachzudenken, aber er machte kein Geheimnis draus. Wozu auch? Die Zeiten lagen weit zurück und waren nicht mehr als eine Erinnerung. Bis es wieder Realität wurde, blieb ihm hoffentlich noch etwas Zeit. “ „Ja. Am Anfang konnte sie es nach außen noch gut vertuschen, aber die Zeit spielte gegen sie.“ Seine Züge wurden ernster und auf seiner Stirn bildete sich eine unscheinbare Denkfalte. Er hatte nicht vor, Skadi mit derart oberflächlichen Berichten abzuspeisen, aber er musste überlegen, wie er es am verständlichsten formulierte. „Ich weiß nicht - sagt dir Veitstanz etwas?“ Vermutlich nicht. Was gut war, denn es bedeutete, dass sie damit noch nicht in Kontakt gekommen war. Er sollte Recht behalten. Er blickte sie an, bis sie seine Annahme bestätigte, wandte den Blick dann wieder ins Feuer und richtete sich etwas auf. Er hatte damit abgeschlossen, ja, aber trotzdem hinterließ der Gedanke daran noch immer ein drückendes Gefühl in seiner Brust, „Es ist... wie ein Fluch. Erst verlierst du nach und nach die Kontrolle über deinen Körper und schließlich den Verstand.“ Er hätte es hierbei belassen können, aber es war noch nicht alles gesagt. Und obwohl er sie damit nicht belasten wollte; es war im Grunde nichts, womit sie sich belasten musste; er wusste, dass er nie wieder die Gelegenheit bekommen würde, es ihr so beiläufig zu erzählen. Und es auszulassen, bis es zu spät war, hatte Skadi definitiv nicht verdient. Immerhin wussten sie nicht, wie lange sie diese Kopfgeldsache ans Schiff kettete. „Mein Großvater ist daran gestorben, meine Mutter hat dem selbst ein Ende gesetzt.“ Liam zuckte mit der Schulter und ein flüchtiges Lächeln schlich sich trotz der Nachricht in seine Mundwinkel. „Und wie ich das handhaben werde, wird sich noch zeigen.“
So gut es ging hielt Skadi ihren Blick ins Feuer gerichtet. Nicht um Liams Willen, der es wohl, so glaube sie, nicht ganz so einfach mit seiner Geschichte haben musste. Es war vielmehr dieses seltsame Gefühl in ihrer Brust, dass ihr davon abriet. Der dunkle Schopf schwankte von rechts nach links, als wortlose Antwort auf seine Frage. Und sackte ein paar Millimeter tiefer, als der Lockenkopf fortfuhr. Fast schon nachdenklich begann Skadi auf ihrer Unterlippe zu kauen. Sich nicht dem Gefühl hinzugeben, das sich für einen Moment durch ihre Brust zwängte und sie dazu brachte, die schmalen Arme auf die Knie zu betten, um sich  mit vorgestrecktem Oberkörper daran zu lehnen und das Kinn auf dem Handrücken abzustützen.  “Das heißt... dass du dasselbe Schicksal haben könntest?“ Noch immer sah sie nicht zu ihm auf. Schien wie gebannt von dem hellen Feuer, dass allmählich seine Leuchtkraft verlor. Bald mussten sie wohl nach neuem Feuerholz suchen. “Das ist...“ Hart? Unfair? Teil des Lebens? Was brachte es ihm, wenn sie es sagte. Ihm Mitleid schenkte. Gar nichts. Und das wusste sie. Das wusste Liam wohl selbst zu Genüge. Er war ein offenes Buch. Und sie wohl nicht die erste, die davon erfuhr. “War das einer der Gründe, wieso du auf Abenteuersuche gegangen bist?“
Könnte. Liam nahm einen tiefen, langsamen Atemzug. Könnte. Das war das Wörtchen, an dem er sich selbst seither festhielt. Seine Zukunft stand nicht fest, oder? Niemand konnte sagen, was sie brachte. Und doch schien es unausweichlich, wenn man die Augen nicht vor der Wirklichkeit verschloss. Er tat es. Und Skadi sollte es genauso tun, genau wie auch Lubaya und Alex es taten. Solange der Fall nicht eingetreten war, war es vielleicht wahrscheinlich, aber nicht unausweichlich. Er zog es vor, optimistisch zu bleiben und dennoch die Zeit zu nutzen, die ihm gegönnt war. „... Wie es ist.“, beendete er ihren Satz und lächelte mit einem flüchtigen Schulterzucken ins Feuer. Als sie fortfuhr, fuhr er sich nachdenklich mit der Zunge über die Lippen, ehe er den Kopf leicht schüttelte.  „Nein. Nicht direkt jedenfalls.“ Als seine Reise begonnen hatte, war er zu jung gewesen, um selbst darüber zu entscheiden. Und irgendwann war es für ihn Alltag. Er kannte es nur so. „Für meinen Vater bestimmt. Und ich war zu jung. Irgendwann war es für mich Normalität, unterwegs zu sein. Schätze, dass es mich deshalb nie lange an einem Ort hält.“
“Verstehe.“ Leise brummend stimme sie ihm zu. Dachte über seine Worte nach und verwarf dann doch jeglichen Gedanken wieder, weil es nichts brachte. Er kam mit alle dem irgendwie klar. Auf seine eigene Art und Weise. Sie musste dem nichts beisteuern. Nichts darauf erwidern, das ihn beruhigen oder aufmuntern sollte. Liam war erwachsen. Alt genug, um seine Probleme wohl selbst zu lösen – oder wie in diesem Falle eben auch nicht. Für einen Moment fühlte sie sich seltsam hohl, während ihr Blick sich an den tanzenden Flammen festhielt. Seltsam müde sogar, wenn sie ehrlich war. Ihre Arme und Beine fühlten sich mit einem Schlag so verdammt schwer an, dass sie mit einem tiefen Atemzug den dunklen Schopf im Nacken wog und die Augen schloss.
Er hätte gerne bessere Nachrichten gehabt. Hätte ihr von einer rosigen Zukunft erzählt, die unanfechtbar war. Aber das konnte er nicht. Er nicht und vermutlich auch niemand anderes auf dieser Welt. Was er konnte, war, ihr vorzuleben, dass es dennoch irgendwie weiterging und man das Beste aus allem machen konnte, solange man es nur versuchte. Solange man es nur wollte. Er stieg in das Schweigen mit ein, beobachtete für einen unendlich langen Moment das Züngeln der Flammen vor ihren Gesichtern, die sie immer wieder die Hitze auf der Haut spüren ließen, während sich die kühle Nachtluft wie eine Decke um die feuerabgewandte Seite legte. Liam rückte das Laken um seine Schultern etwas zurecht, als es er kurz erschauderte. Nicht der Kälte wegen, sondern des Trübsinns, der ihn seit ihrer Flucht nicht losließ. „Mensch. Können wir das nächste Mal nicht einfach wieder Kindern die Lollis klauen oder Tropfsteinhöhlen erkunden oder sowas?“ Er brummte, doch das Schmunzeln auf seinen Zügen war wieder hörbar. „Ich glaube, wenn das hier rum ist, ist mir nach einer gemütlichen Wanderung.“
Sie versank regelrecht in der Stille des Moments und gab sich ihren Gedanken hin, die als weißes Rauschen durch ihren Verstand zogen. Nicht willens danach zu greifen, den Sender zu wechseln oder genauer hinzuhören. Zu viel lag darin verborgen, als dass sich die Nordskov jetzt genauer damit befassen wollte. Schubladen, die sie vor Jahren mit Ketten und Superkleber verschlossen hatte und nicht gewillt war, dem Rütteln, das die vergangenen Tage, Enrique, Liam und die Tränen in ihr ausgelöst hatten nachzugeben. Liams Worte lösten ein hörbares Lächeln aus, das ihren Blick für einen Moment klarte und wie einen Magneten an sich zog. “Wäre ich dabei.“ Ihre Kehle fühlte sich rau an. Jedes Wort kratzte unangenehm an ihrem Gaumen. “Aber ich befürchte, dass wir dafür mit den falschen Leuten unterwegs sind.“
Kurz zog sich eine nachdenkliche Falte über seine Stirn. „Wenn wir eine passende Schatzkarte ‚finden‘ würden, kenne ich einige, die plötzlich ganz scharf auf eine Wanderung wären.“ Mit einem Zwinkern drehte er den Kopf zur Seite in Skadis Richtung und griff gleichzeitig nach der angefangenen Flasche rum, die noch immer im Sand steckte. „Ich befürchte nur, dass es nicht mehr so einfach wird, wie es vorher gewesen wäre. Da wären alle noch Trevor hinterhergelaufen, um ihn einzufangen, wenn er in freudiger Erwartung eines Schatzes einfach losmarschiert wäre.“ Jetzt gab es mit Sicherheit einige, die einfach zwei Augen zudrücken würden, wenn sie ihn aufbrechen sahen. Blieb aufzuwarten, wie der Chaot mit der plötzlichen Stimmungsschwankung umgehen würde. Klar war nur, dass er es schwer haben würde, wenn er sich nicht änderte. Und ihm fielen auch einige ein, bei denen der Bursche einfach spurlos eines Nachts von Deck verschwunden wäre.
“So?“ Es war irgendwie eine seltsame Vorstellung, dass zwischen den ganzen Chaoten so viele Abenteurer waren. Die Vorstellung von kleinen Kindern, die aufgeregt durch den Wald rannten, auf der Suche nach einem Schatz, war irgendwie lächerlich. Und passte wohl kaum zu den meisten auf diesem Schiff. “Nun ja... ich kann nicht behaupten, dass ich mich bisher um die Stelle seines Kindermädchen gerissen hätte.“
Das Szenario, welches sich vor seinem inneren Auge abspielte, kannte Skadi nicht. Doch in diesem Moment dachte er nicht einmal darüber nach, ob er ihr je von der Schatzkarte erzählt hatte, die dieser Alte in den Gassen Milúis verloren hatte. Sowohl Shanaya als auch Lucien wären am liebsten direkt in die Richtung der Zweiten Welt gesegelt. Liam fand den Gedanken irgendwie tröstlich, dass sie etwas hatten, was sie vorantreiben konnte – sobald die Sphinx wieder auf Vordermann gebracht worden war. Vorausgesetzt natürlich, Talin und Lucien würden den Plan beibehalten. Im Endeffekt war es ja egal, wo sie sich herumtrieben. Gesucht wurden sie so oder so. Skadi klang hingegen ungläubig und schien die Crew eher für den mordenden, entführenden und enternden Haufen halten, den man bei Piraten üblicherweise vor Augen hatte. Liam wollte daran nicht glauben. Dazu hatte er einen Teil dieses Haufens mittlerweile doch irgendwie zu lieb gewonnen. Er wog den Kopf leicht zur Seite; ein stummes ‚Wer kann es dir verübeln‘, ehe ihn ein Gähnen übermannte. Die letzten Nächte hingen ihm noch immer nach und doch wusste er, dass sich daran vermutlich auch heute nichts ändern würde. Aber jetzt hatte er die Wellen um sich herum, das leise Knistern des Feuers und die Geräusche der Nachtgestalten – kein Schnarchen, Murmeln oder schmerzvolles Stöhnen. Und Skadis leises Atmen an seiner Seite. „Vielleicht hat er daraus gelernt.“ Gut wäre es gewesen, aber mindestens auch genauso unwahrscheinlich. „Hast du schon irgendetwas von den Neuen mitbekommen?“ Er hatte die letzten Tage mehr in seiner eigenen kleinen Blase zwischen Rum und Schmerz verbracht.
Amüsiert verzogen sich die Mundwinkel der Nordskov und verklangen in dem Schnauben, dass durch ihre Kehle in die Abenluft davon zog. Trevor und aus der Sache lernen. Dafür müsste er womöglich erst einmal verstehen, was er getan und wie schwerwiegend diese Problematik gewesen war. Immerhin hatte er weder Aspen, noch Taranis oder Scortias eigenhändig umgebracht. Und wenn sie sich diese Erkenntnis bei einem ihrer Brüder schon schwer vorstellen konnte, dann bei dem Jüngeren genauso wenig. “Geht so…“, gestand sie unter einem schweren Seufzen und erlöste ihre Knie von der Last ihres Oberkörpers. Wie von selbst sackten die Knie zur Seite und gaben der Nordskov Raum, um die Beine in einem lockeren Schneidersitz zu verkeilen. Die Decke über ihrer Schulter, hielt sie dabei nur mit den Fingerspitzen an Ohr und Stelle. “Dieser Zairym ist nen seltsamer Vogel. Läuft über’s Schiff, als hätte er mit der ganzen Situation keine Berührung gehabt. Könnte schwören, dass er von der falschen Seite übergelaufen ist, weil er keine andere Wahl hatte.“ Für einen Moment verfinsterte sich der Blick der dunkelbraunen Augen. Klarte dann jedoch wieder auf, kaum dass die Jägerin den Kopf zu Liam herum wandte. “Tarón, der Ältere mit der Echse und… Rúnar.“  Wieder spürte sie ein vertrautes Ziehen in ihrem Kopf, kaum dass sie den Namen ausgesprochen hatte. “… scheinen ganz umgänglich. Letzter etwas zurückhaltend. Aber nichts womit wir nicht klar kämen.“
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#6
Sie hatten im Augenblick alle andere Sorgen als die neuen Gesichter. Ein bisschen taten ihm die Neuankömmlinge leid, doch dann erinnerte er sich daran, dass sie noch immer auf einem Piratenschiff waren, auf dem sich die Gepflogenheiten eben etwas von anderen Schiffen unterschieden. Vermutlich waren auch die Neuen einfach nur froh, ihre Ruhe zu haben. Keinem Rede und Antwort stehen zu müssen und lebend der Möglichkeit entgegenblicken zu können, am nächsten Hafen wieder Herr seiner Selbst zu sein. Während Skadi von ihren Eindrücken erzählte, versuchte Liam, sich die passenden Gesichter dazu vor Augen zu halten. Er nickte langsam, nachdenklich, ohne wirklich nachzudenken. Stattdessen wurde ihm bewusst, wie abwesend er wohl die letzten Tage wirklich gewesen war. Abwesend genug jedenfalls, um nicht wahrzunehmen, wie sehr Skadi beispielsweise all das hier mitnahm. „Mal sehen, wer morgen auch noch da ist.“ Abwesend hatte er nach einem der angebrannten Äste gegriffen, dessen Ende unversehrt in ihre Richtung ragte. Die verkohlte Spitze glühte noch leicht, doch das Glimmen erlosch recht schnell, bis Liam damit abwesend über seinen Handrücken strich und die dunkle Linie bedachte, die die Holzkohle auf seiner Haut hinterließ. „Und wer wieder seiner eigenen Wege zieht…“ Er zuckte mit den Schultern, lächelte und wandte den Blick von der verwischten Blüte auf seinem Handrücken ab in die Richtung der feinen Züge der Frau an seiner Seite. „Wie siehts aus? Bist du noch für einen Bratapfel empfänglich? Vielleicht bringt uns der auf andere Gedanken, hm?“
Sie hätte irgendwie auf Rúnar getippt. Die Furcht in seinen Augen war Anzeichen genug für sie gewesen, dass er mit Situationen dieses Kalibers nicht wirklich umgehen konnte. Gleichermaßen verstörend, wie traurig, dass sie sich mittlerweile zu einem Menschen zählen konnte, der abgesehen vom Tod eines Kindes, mit gewalttätigen Auseinandersetzungen und Mord und Todschlag leben konnte. “Nach diesem Abend kann ich es keinem verübeln.“, gab sie trocken zu und ließ den dunklen Schopf im Nacken kreisen. Allmählich spürte sie die Schwere immer stärker in ihren Knochen. Vielleicht wurde es Zeit zu schlafen. An einem Ort der Nicht nach Wundsalben und Alkohol roch. Ein müdes Lächeln huschte über ihren Zügen, als sich die braunen Augen auf Liam hefteten. “Gern.“ Vielleicht bekam sie davon genug runter. In den letzten Tagen hatte sie weder großen Appetit noch irgendeine Art von Freude beim Essen verspürt. “Brauchst du Hilfe dabei?“ Unweigerlich huschte ihr Blick zu seinem Arm hinab.
Mit hörbarer Zustimmung verzogen sich seine Lippen zu einem schiefen, blassen Grinsen. Er auch nicht. Es gab durchaus bessere Situationen, um Leute für die Mannschaft anzuheuern. Aber vielleicht war es auch genau das, wonach sie suchten – Abenteuer, Gefahr und den Tod. Zumindest im Falle dieses Kopfgeldjägers konnte er sich gut vorstellen, dass es stimmte. Er würde sie aber vermutlich auch ans nächstbeste Messer liefern, sobald er die Gelegenheit dazu hatte. Nicht sein Problem – jedenfalls nicht jetzt. Er wollte nicht weiter darüber nachdenken. Mit einem wärmeren Lächeln nahm er ihren Wunsch zu Kenntnis, wischte sich beiläufig die Kohle vom Arm und lehnte sich zur Seite, um nach dem Stock zu angeln, den er gerettet hatte, bevor Skadi auch ihn in ihrem provisorischen Wäscheständer hatte verarbeiten. „Nicht nötig. Du weißt doch - ich bin immer vorbereitet.“, gab er um seine altbewährte gute Laune bemüht zurück. Er kippte zur Seite und erreichte mit ausgestrecktem Arm den Stock und versuchte erst gar nicht, sich auf ähnlich spektakuläre Art und Weise wieder in eine aufrechte Position zu ziehen. Stattdessen drehte er sich auf den Rücken, musste so seine rechte Schulter nicht belasten und richtete sich wieder auf. „Elegant ist auch was anderes.“ Mit einem belustigten Kopfschütteln über seine Schildkröten-Manier warf er den Stock vor sich in den Sand, um schließlich auf der anderen Seite nach seinem Seesack zu sehen. „Ich glaube, du kommst besser dran.“ Dieses Mal gestand er sich das Handycap ein und rieb sich stattdessen den Sand von der blanken Haut an seinen Beinen.
Sanft rutschte die Decke von ihren Schultern, als sich der hochgewachsene Körper Liams zur Seite wandte und in einer etwas seltsamen Rolle über den Rücken wieder aufsetzte. Mit erhobener Augenbraue beobachtete ihn die Nordskov dabei und schüttelte matt lächelnd den Kopf. So sah wohl seine Art von Unabhängigkeit aus, wie? “Allerdings. Das kannst du besser.“ Belustigung schwang in ihren Worten mit, während sie sich zur Seite wandte und den Seesack zu sich heran zog, den Liam mit seinen Augen fixierte wie ein Hund. Beherzt lockerte sie mit wenigen Griffen die Öffnung und zog einen Apfel aus den Untiefen heraus. “Brauchen wir sonst noch was dafür?“ Mit fragendem Blick wandte sich der dunkle Schopf zurück und musterte den Lockenkopf eindringlich. Bratapfel. Nach ihrem Verständnis hätte sie das Ding einfach über dem Feuer erhitzt. Doch sie wusste, dass ihr Gegenüber weitaus feinere Kost kannte.
Natürlich stimmte sie ihm zu. Und dennoch erntete sie einen gespielt trotzigen Blick, der um Zuspruch betteln sollte. „Ich kann dir gerne zeigen, was ich noch kann und was nicht.“, brummte er belustigt, während sie den Apfel aus seinen Sachen fischte. „Du kannst ihn noch in Rum tunken, wenn du willst. Aber offenbar ist das ja heute nicht deine Intention.“ Andere hätten ihn vielleicht noch mit Honig glasiert, aber sie waren einfache Leute. Einfache Leute, die nicht mehr hatten, als einen Stock, ein Feuer und einen Apfel. Er sammelte den Stock am Boden auf, hielt ihn mit der rechten Hand fest und griff schließlich ins Leere, bis ihm auffiel, dass sein Dolch noch immer an seiner Hose baumelte. Er erhob sich, holte sich die Schneide und spitzte das Ende des Stockes mit wenigen, unpräzisen Hieben etwas an, ehe er wieder neben Skadi zum Stehen kam und die Hand nach dem Apfel ausstreckte. „Mein letztes Lagerfeuer ist gefühlt eine Ewigkeit her…“, bemerkte er dabei und runzelte nachdenklich die Stirn. „Milui, oder? Wie lange ist das her?“ Gerade in den letzten Tagen hatte sein Zeitgefühl ziemlich gelitten. Aber er erinnerte sich gern zurück. Zurück an Milui. An das Fest. An die Abende. Und an das Lagerfeuer.
Ein bisschen irritierend wie leicht er das Thema auf eine entspanntere Ebene heben und ihr unweigerlich ein Auflachen entlocken konnte. Dieser Kerl war unglaublich. Skadi schüttelte zur Antwort nur den Kopf und reichte ihm wortlos den Apfel, den sie auf seinem Weg durch den Sand wie ein Juwel in die Höhe hielt. “Mh... vier Wochen vielleicht?“ Wann immer sie auf einem Schiff war, verlor sie jegliches Zeitgefühl. Was wenige Tage war, fühlte sich wie Monate an. Was gestern war, wie vor ein paar Stunden. “Du klingst fast schon ein bisschen wehmütig?“ Eine rhetorische Frage, wie er kaum zu beantworten brauchte. Es sei denn, wer wollte. Skadi indes schmunzelte einfach vor sich hin und ließ den Blick über seine Miene gleiten, ehe sie ins Feuer zurück starrte.
Vier Wochen. Schon? Oder erst? So oder so – auf seinen Zügen zeichnete sich für einen Moment die Überraschung darüber ab, dass bereits (oder erst) ein Monat ins Land gezogen war. Es fiel ihm schwer, zu sagen, ob er mehr oder weniger geschätzt hätte. Sein Leben war schon immer eher selten nach einem Kalender verlaufen. Sie hatten sich zeitlich nie Ziele gesetzt. Und sie auch nie gebraucht. Ein ertapptes Schmunzeln zuckte in seinen Mundwinkeln, während er Skadis Blick erwiderte und gleichzeitig den Apfel von ihrer Handfläche klaubte, ihn auf den Stock spießte und sich schließlich wieder neben ihr im Schneidersitz niederließ. „Du nicht?“ Er steckte das stumpfe Ende ihres Grillspießes in den Sand, sodass die Flammen sich leicht um den Apfel legen konnten. Ihm ging es bei der Frage um nichts bestimmtes. Alles in allem waren Feste insgesamt erbaulicher als Hinterhalte. Und Liam fürchtete, die nächsten Feierlichkeiten würden einen bitteren Beigeschmack haben.
Für einen Moment huschten die dunklen Augen mit einem süffisanten Schmunzeln zur Seite. Vielleicht war ihm das bereits Antwort genug. “Er war zumindest bei weitem besser, als der letzte.“ Weder sie noch sonst irgendjemand konnte es leugnen. Mit Ausnahme von diesem Zairym vielleicht, für den alles nur halb so schlimm war, solange er kein Bein verlor oder seine Geldbörse aus allen Löchern pfiff.
“Eine Nacht ruhig schlafen, würde mir allerdings schon ausreichen.“, fügte sie mit einem Seufzen an und ließ sich mit gestreckten Armen auf den Rücken gleiten. Die Füße in Richtung des warmen Feuers, das an genehm an ihren Fußsohlen kitzelte.
Mit einem flüchtigen Blick zur Seite nahm er Skadis Schmunzeln zur Kenntnis und grinste seinerseits ein wenig in sich hinein, während er dem Apfel beim Garen zusah. Sein Lächeln verblasste allerdings, als Skadi fortfuhr und ein Problem ansprach, das er selbst seit den letzten Tagen nur zu gut kannte. „Oh, dafür würde ich zur Zeit auch so einiges tun.“, gestand er unbegeistert und rollte den Kopf kurz im Nacken. Aber bis es so weit war, würden vermutlich noch einige, lange, unruhige Nächte ins Land ziehen. Egal, wie schwer sich Kopf und Glieder anfühlten. Der Apfel färbte sich in der Hitze allmählich dunkler. Irgendwann zog er den Stock aus dem Sand und prüfte, wie weich die Frucht inzwischen war, befand ihn als durch und ließ sich ebenfalls rücklinks neben Skadi in den Sand gleiten. „Prinzessin.“, hielt er ihr den dampfenden Apfel mit einem zufriedenen Lächeln hin. „Eure verbotene Frucht ist bereit für den Verzehr.“
Unvermittelt huschten die dunklen Augen zur Seite und umrissen Liams Silhouette, die sich vor dem Feuer wie ein Schatten erhob. Mit glühenden Rändern und einem Hauch von Gold und Rot auf den Zügen. Sie hatte sich denken können, dass er viel über die Flucht nachdachte. Spätestens jetzt, wo sie gemeinsam im Wasser gestanden und stumm geweint hatten. Jetzt, wo sie so darüber nachdachte, stieß es ihr fast schon unangenehm auf. Ganz gleich wie sehr sie ihn mochte, sie fühlte sich nach wie vor seltsam dabei, solche Emotionen nach außen zu lassen. Mit einem leisen Seufzen auf den Lippen kippte der Blick somit in den Nachthimmel zurück. Fokussierte sich auf die schimmernden Punkte weit übers ich, ehe der Lockenkopf ihre Aufmerksamkeit auf sich zurück zog. Angenehm streifte der Geruch von gebratenem Apfel ihre Nase, ehe ein Windzug ihre Schulter streifte. Wesentlich eleganter hatte sich der Ältere neben ihr niedergelassen und reichte ihr entspannt den Spieß. Einen Moment starrte sie zwischen Obst und Mann hin und her. Dann schmunzelte sie und klemmte das angesenkte Holz zwischen Zeigefinger und Daumen. "Bei so einem freundlichen Angebot übergehe ich mal das Prinzessin." Sie brummte und hielt sich den Apfel prüfend einige Zentimeter vor den Lippen, um sich nicht an dem heißen Saft zu verbrennen. Gut. Sie würde wohl tatsächlich warten, bis sie hinein beißen konnte. "Mh... noch zu heiß."
Er brachte ein „Tse.“ über die Lippen, als sie sich beiläufig über ihren Kosenamen beschwerte. Liam zuckte wenig interessiert mit der Schulter – soweit wie möglich eben – und schenkte der Jüngeren ein Lächeln, welches eindeutig zeigte, dass sie ihn nicht allzu schnell loswerden würde. Vor allem nicht, wenn sie ihn stattdessen mit Dingen wie ‚Prinzchen‘ piesackte. Letztlich ließ er sich gänzlich in den Sand fallen, verschränkte den linken Arm hinter dem Kopf und drehte ihn wieder in die Richtung seiner Begleiterin. „Vielleicht wirkt er ja wie warme Milch mit Honig vor dem Einschlafen.“ Gegönnt hätte er es ihr.
Nur langsam rollte sie sich auf die Seite, den Apfel in der Linken haltend, um ihn nicht noch aus Versehen im weichen Sand unter sich einzutunken und stützte den dunklen Schopf mit der Rechten ab. "Ich bezweifle es. Aber genießen werde ich ihn trotzdem." Sie zuckte mit der Schulter, hielt sich prüfend erneut das dunkle Obst vor Lippen und biss dann genüsslich zu. Schweigend kaute sie, den Blick auf das saftige Fruchtfleisch gerichtet und spürte wie sich der warme Saft über ihr Kinn hermachte. "Schmeckt ganz gut.", murmelte sie leise und versuchte sich mit dem Handrücken über Mund und Kinn zu wischen.
Er nahm es mit einem Lächeln hin. Vermutlich nicht. Mehr als ein Spaß war es ohnehin nicht gewesen. Wären Schlafprobleme so einfach zu handhaben, wären sie vermutlich nicht erst jetzt darauf gekommen. „Ich habe selbstverständlich all meine Kochkünste für dich ausgegraben.“ berichtete er gespielt stolz und hob Anerkennung erwartend das Kinn. Er sah tatsächlich ziemlich lecker aus, aber Liam dachte nicht eine Sekunde daran, sich einen Bissen stibitzen zu wollen. Sein Appetit litt unter den Schmerzen und wäre Skadi nicht gewesen, hätte er den Apfel morgen wohl zurück zu den Vorräten gelegt. Einen Moment beobachtete er sie bei dem Versuch, die Frucht möglichst elegant vom Spieß zu naschen, dann verlor sich sein Blick wieder gedankenverloren in den etlichen Sternen, die am Firmament funkelten. „Mohntee.“, brachte er schließlich ohne Vorwarnung hervor, als er den Gedanken zu greifen bekommen hatte, den er offenbar die ganze Zeit gesucht hatte. „Mohntee war es glaube ich. Soll einen wie auf Wolken schlummern lassen. Hat Lubaya jedenfalls gesagt. Also, wenn es nicht besser wird.“ Er hatte sich tatsächlich die ganze Zeit Gedanken darüber gemacht, während Skadi den Apfel verputzt hatte. Ihretwegen, nicht seinetwegen. Sein eigenes Problem damit zu lösen – daran dachte er gerade nicht einmal. „Aber vermutlich kannte deine Großmutter das Rezept auch, hm?“
Während Liams Blick unter ihrem matten Lächeln gen Himmel glitt, starrte sie bei jedem ihrer Bisse unverfroren auf seine Miene. Nachdenklich und irgendwie geistig nicht ganz anwesend. Bis erneut ein Tropfen Apfelsaft über ihr Kinn perlte und sie seufzend mit dem Handrücken unter ihren Lippen entlang fuhr.
Seine Worte realisierte sie erst, als er bereits weitersprach. Hatte den Blick zum ersten Mal seit einer Gefühlten Ewigkeit auf die Umgebung gerichtet, wenngleich ihre Augen irgendwo im Nichts verharrten und sich auf nichts beständig zu konzentrieren versuchten. "Kann sein. Nicht umsonst hatten so ziemlich alle einen Heidenrespekt vor ihr." Aus den Augenwinkeln huschten die braunen Iriden auf Liam zurück, ehe der dunkle Schopf folgte und die Nordskov mit einer lässigen Handbewegung den Spieß mit samt der Hälfte des Apfels zu Liam hinüber reichte. "Möchtest du?"
Wäre ihm aufgefallen, dass Skadis Blick unentwegt auf ihm gelegen hatte, hätte er vermutlich den Faden verloren. Manchmal war es auch ein Vorteil, alles um sich herum auszublenden, wenn man den eigenen Gedanken nachging. Und gerade war er wirklich angestrengt all die Dinge durchgegangen, aus denen die blonde Piratin Tee zubereitet hatte, um denen, an die er sich erinnerte, die richtige Sorte zuzuordnen. Für die Dunkelhaarige schien es bloß etwas Beiläufiges zu sein - Liam hingegen hatte es sich längst in den Kopf gesetzt und versuchte, sich auch noch daran zu erinnern, welchen Teil der Pflanze man mit heißem Wasser aufbrühen musste. „Hm? Willst du nichts mehr?“ Er reckte den Kopf und richtete den Oberkörper etwas auf, machte aber noch keine Anstalten, ihr den Stock abzunehmen. Es roch noch immer köstlich, aber ihn trieb momentan eher die Intention, den Apfel nicht verkommen zu lassen. Das allerdings wollte er ihr nicht auf die Nase binden. Es gab keinen Grund, sich noch mehr Sorgen zu machen. Mit den Schmerzen hätte auch seine Appetitlosigkeit ein Ende. Also nahm er den vom Saft klebrigen Stock entgegen, sah sich den restlichen Apfel genauer an und biss ein Stück ab.
Sie schüttelte nur beiläufig den Kopf, geduldig darauf wartend, dass Liam ihr den Stock und somit den Rest ihres Mitternachtsnacks aus der Hand nahm. Was sie ihm nicht verriet war, dass sie sich zügeln musste und schon beim ersten Bissen und dem süßlichen Geschmack auf ihrer Zunge kaum aufhören konnte. Dieses Gefühl von unstillbarem Hunger hatte sie fast schon vergessen. Spürte dumpf die Erinnerungen in ihrem Hinterkopf aufploppen, wie es gewesen war, als ihr Vater sie im Alter von 6 mit nur einem Stück Brot und einem leeren Wasserbeutel im Urwald ausgesetzt hatte. Ein effektives, wenn auch verstörendes Training, das ihren Geschwistern Gott sei Dank erspart geblieben war. Eine Weile ruhte ihr Blick noch auf dem Lockenkopf, ehe sie sich auf den Rücken rollte und alle Viere von sich streckte. Mit einem herzhaften Gähnen.
Ein wenig beobachtet kam er sich schon vor, während er versuchte, sich nicht den gesamten kurzen Bart mit warmem Apfelsaft zu bekleckern. Aber er ließ sich nicht aus der Ruhe bringen, schielte bloß zu der Nordskov hinüber und beendete die Reise eines Tropfens sein Kinn hinab alsbald mit dem Handrücken. Skadi ließ sich zurück in den Sand fallen. Ihre Müdigkeit teilte er. Wie spät es war, wusste er nicht. Er hatte keinen Grund gehabt, eine Taschenuhr einzupacken. Die Sonne würde ihnen morgens schon Bescheid geben, wann es Zeit war, sich wieder auf der Sphinx blicken zu lassen. Als die Hälfte des Apfels verspeist war, warf er den Stock in die knisternden Flammen, rieb sich die Reste so gut es ging aus dem Gesicht und ließ sich ebenfalls nach hinten in den warmen Sand fallen. Er bemühte sich, möglichst leise zu sein, um Skadi im Fall des Falles nicht wieder aufzuwecken, sollte sie bereits von ihrer Erschöpfung übermannt worden sein. Mit einem ruhigen Atemzug schloss er die Augen und fuhr sich mit der Linken flüchtig über die langsam heilende Wunde an seinem Oberarm. Es ging. Vielleicht war es der Rum, der sie tatsächlich wieder etwas ruhig stellte.
Wann immer eine neue kleine Welle an den Strand schwappte und den hellen Sand verdunkelte, senkte sich der Körper der Nordskov mehr und mehr in die angenehme Wärme unter sich. Fühlte mit vergrabenen Fingerspitzen im Sand der schwächer werdenden Hitze des Feuers an ihren Zehen nach, das allmählich bis zu seinen Grundmauern hinab brannte. Dieser Abend war aufwühlender, als sie beim Anblick des Lockenkopfs anfänglich vermutet hatte. Nicht umhing fühlte sich ihr ganzer Körper an, als hätte er ihn mit Blei gefüllt. Wenigstens war sie nicht direkt ins Meer geschupst worden und ertrank in den Emotionen, die er, aller Wahrscheinlichkeit nach, vollkommen unfreiwillig frei gesetzt hatte. Ob sie ihm dafür noch dankbar sein würde, wusste die Nordskov nicht, deren Blick sich von der Welt abwandte und unter geschlossenen Lidern versteckte. Vielleicht fühlte sie sich morgen bereit dazu, eingehender darüber nachzudenken. Womöglich wäre sie es auch nie. Mit einem tiefen Seufzen rollte sie sich auf die Seite und zog die Beine hinauf in Richtung ihrer Brust. Lauschte dem kläglichen Knistern des Feuers und den Geräuschen der Nacht, bis jeder Gedanke zu Schäfchenwolken verpuffte und die junge Jägerin mit ruhigem Atem und entspannter Miene eingeschlafen war.
Das Knistern des Feuers mischte sich sanft in das Rauschen der Wellen. Liam hatte den Blick nach einer gewissen Zeit wieder zu den Sternen gehoben, während er zunehmend entspannter der leisen Atmung Skadis lauschte, die mit der Zeit tatsächlich so gleichmäßig wurde, dass er davon ausging, dass sie eingeschlafen war. Mit einem tiefen Atemzug starrte er zu den Sternenbildern, die über ihren Köpfen funkelten und die Geschichte einer weiten, weiten Welt erzählten, die sie von dort oben überblicken konnten. Er merkte gar nicht, wie auch er schließlich unter der friedlichen Geräuschkulisse einschlief und seit Tagen das erste Mal tatsächlich erholsamen Schlaf fand. Als er mit einem irritierten Blinzeln die Augen öffnete, stand die Sonne bereits am Himmel und stach ihm - unvorbereitet wie er gewesen war - unangenehm in den Augen. Er brauchte einen Augenblick, bis er einen zweiten Versuch startete und sich gewahr wurde, wo er sich befand. Er erinnerte sich, dass er nachmittags aufgebrochen war, um dem Trubel auf dem Schiff zu entfliehen. An das Lagerfeuer und – langsam drehte er den Kopf zur Seite. Auch Skadi schien noch zu schlafen. Ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Züge, ehe er den Kopf wieder zurückdrehte und noch für einen kurzen Moment die Augen schloss. Damit, wirklich Schlaf zu finden, hatte er am wenigsten gerechnet.
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