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We share what's in our hearts
Crewmitglied der Sphinx
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#1
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bespielt von    Liam Casey   Skadi Nordskov
24.04.1822
Sphinx
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Mittag des 24. Aprils 1822
Skadi Nordskov & Liam Casey

Inzwischen hatte sich die Kombüse wieder fast gänzlich geleert und die meisten waren zurück an die Arbeit gegangen. Rayon war noch damit beschäftigt, dem hinterlassenen Schlachtfeld des Mittagessens Herr zu werden, doch Scortias ging ihm unterstützend zur Hand, wie Liam mit einem Lächeln feststellte, als er von seiner Truhe zurückkehrte und sich wieder dem gekochten Wasser widmete, welches er zuvor aufgestellt hatte. Auf Milui hatte er sich mit ein bisschen Tee eingedeckt und selbst über sich schmunzeln müssen. Eigentlich war es immer Lubayas Aufgabe gewesen, Alex und ihn damit zu versorgen und obwohl er sich anfangs daran hatte gewöhnen müssen, stetig irgendwelche Kreationen vor die Nase gesetzt zu bekommen, schien es inzwischen etwas zu sein, was ihm irgendwie fehlte. Nicht, dass er sich wirklich damit auskannte – er hatte ein wenig ratlos nach ein paar Mischungen gegriffen, die er nun nach und nach ausprobierte, wenn sich die Gelegenheit bot. Wie von selbst reichte Rayon ihm einen Becher, während Liam den Tee aufgoss und sich schließlich im leerer gewordenen Raum umsah. Ein unscheinbares Lächeln zuckte in seinen Mundwinkeln, als er den Hinterkopf erkannte, der noch immer da saß, wo er auch beim Essen gesessen hatte. Ohne groß zu überlegen stieß er sich von der Anrichte ab, um Scortias um einen weiteren Becher zu bitten und ihm selbst einen Tee anzubieten. Schließlich füllte er die drei Becher mit dem Tee, reichte dem Jungen einen davon und wies mit der Hand in die Richtung Skadis, um ihn darum zu bitten, ihr den Becher zu bringen, ehe er die übrigen beiden Tassen in die Hände nahm und dem Jungen zurück an den Tisch folgte.
„Du sahst aus, als könntest du einen gebrauchen.“, erwiderte er auf ihr vermeintlich irritiertes Gesicht, ehe er sich bei Scortias bedankte und ihm einen der beiden Becher reichte, die er mitgebracht hatte. „Hätte ich früher auch nicht für möglich gehalten, aber manchmal weckt ein Tee doch wieder ein paar Kräfte.“ Liam blieb seitlich von ihr stehen und schenkte ihr ein gut gelauntes Lächeln. Für einen kurzen Plausch war schon Zeit, ehe er sich wieder nach unten begab, um sich seiner Arbeit zu widmen. „Wie geht’s dir?“
Rhythmisch flackerte das Bild vor Skadis Augen als sie bei Scortias Worten und plötzlicher Anwesenheit aufsah und dem Jungen direkt in die braungebrannte Miene blickte. Viel zu spät realisierte sie den Teebecher in seinen Händen und lächelte matt, kaum dass sie das kindliche Lächeln bemerkte. “Danke.” Immer noch den Gedanken nachgehend, die sie zuvor in einer vollkommen fremden Welt gefangen gehalten hatten, umschlossen die langen Finger das warme Metall. Hoben das wohlig duftende Getränk an ihre Lippen, als eine ihr bekannte Silhouette an ihrer Seite stehen blieb. Den Platz mit dem jüngsten Crewmitglied tauschte und Skadi beinahe dazu veranlasste sich an ihrem Tee zu verschlucken, kaum dass die dunklen Augen zur Seite huschten. Schlagartig bettete sie den Becher auf dem Tisch und verzog sich räuspernd die feinen Züge. “ Wirke ich etwa krank?“ Skadi selbst trank relativ selten Tee, meist nur beim Anflug einer Erkältung oder sobald sich ihr Unterleib ziepend zu Wort meldete. Somit kam sie gar nicht auf die Idee, dass es mit ihrer abwesenden Haltung zu tun haben konnte.
“Aber trotzdem danke.“, fügte sie mit einem matten Lächeln an und hob den Becher nun mit beiden Händen an die Lippen. Nahm leise schlürfend einen Schluck zu sich und schloss kurz die Augen. Der Geschmack war sonderbar, schob sich jedoch samtig weich durch ihren Hals und landete kühlend in ihrem Magen. Was auch immer Liam dort zusammen gebraut hatte, es schmeckte verdammt gut. Seine Frage ließ sie allerdings unter den schweren Augenlidern hervor lugen und mit einem Zucken der Lippen reagieren. Im Prinzip konnte sie sich kaum beklagen. Körperlich ging es ihr gut. Ihr Problemkind kam zwar nur schwer, aber dennoch allmählich wieder auf die Beine zurück. “Ganz gut würde ich sagen. Nur etwas arbeitslos.“ Der plötzlich genervtes Tonfall mischte sich mit dem amüsierten Auflachen zu einem deutlich gelangweilten Bild der Jüngeren, die bei so viel Nichtstun ihre Hummeln im Hintern zappeln spürte. “Und wie steht's mit dir, mein Prinz?“
Der Zwischenfall mit dem Rotbart war nun bald gut einen Monat her. Und obwohl Liam sich nicht wirklich viel Mühe gab, den Geisteszustand des ehemaligen Offiziers zu analysieren, wusste er, dass Skadis Gemüt ziemlich eng damit verknüpft war. Trotzdem – er war nicht da, um sie zwanghaft aufzumuntern. Wenn überhaupt sah er seine Aufgabe darin, sie abzulenken und das schien ihm meist doch ganz gut zu gelingen. „Ein bisschen abwesend vielleicht.“, entgegnete er ohne direkte Antwort auf ihre Frage mit einem Schulterzucken und gab sich mit ihrer Versicherung zufrieden, dass eigentlich alles in Ordnung war. Was auch immer ihre Gedanken so beansprucht hatte – entweder es war unwichtig oder sie war ganz froh, sie einen Augenblick hinter sich lassen zu können. Als sie die Frage zurück gab, lächelte der Lockenkopf ein wenig breiter. Er konnte nicht leugnen, dass ihm dieses kleine Spiel zwischen ihnen irgendwie gefiel. „Ich wüsste nicht, worüber ich mich bei dieser Gesellschaft beklagen sollte.“, zwinkerte er ihr zu und warf einen flüchtigen Blick in die Richtung Rayons, ehe sein Blick wieder auf ihren Zügen lag. Ein bisschen verloren wirkte sie tatsächlich. Himmel, er wäre über ein bisschen Freizeit vermutlich mehr als froh gewesen. Skadi hingegen schien absolut nichts mit sich anzufangen zu wissen. „Wenn du nichts zu tun hast… Du könntest mir im Lager zur Hand gehen.“, schlug er vor und nahm selbst einen Schluck des Tees aus seinem Becher. „Ich bin immer noch mit dem Flicken der alten Sachen beschäftigt. Ich brauchte nur einen Tee, um der Konzentration wieder auf die Sprünge zu helfen und wollte dann wieder nach unten verschwinden.“
Mit einem Schnauben verzog sich der rechte Mundwinkel und hinterließ ein kleines Grübchen auf Skadis Wange. Liams Beobachtung verwunderte sie nicht. Allerdings war es auf eine seltsame Art und Weise liebenswert von ihm zu glauben, dass er sie mit einer Tasse Tee wieder auf schöne Gedanken brachte. Die sie nicht einmal brauchte, um ehrlich zu sein. Irgendwann würde sie sich bei ihm dafür bedanken. Diese Aufmerksamkeit war schließlich in Anbetracht der Umstände oder vielmehr im Vergleich zu den meisten auf diesem Schiff keine Selbstverständlichkeit. Hier kümmerte sich jeder zumeist um sich selbst. Es gab nur wenige Ausnahmen, die auch einmal über den Tellerrand hinweg schauten und nicht gleich mit zuckenden Schultern abdampften, weil das dargebotene ihnen zu langweilig erschien. “Du kleiner Charmeur.“, drang es unter einem halb erstickten Auflachen heraus, das Skadi nach einem deutlichen Kopfschüttel in einem erneuten Schluck aus dem dampfenden Becher ertränken wollte. Liams knappem Blick auf Rayon schenkte sie keinerlei Bedeutung, als sie die dunklen Iriden von seiner Miene abwandte und die hin und her schwappenden Wellen im Inneren ihres Krugs beobachtete. Schmunzelte sogar matt bei seinen darauf folgenden Worten und sah erst wieder auf, als sie den festen Griff um den Becher löste und die Daumen über den Rand gleiten ließ. “Gern.“ Es brauchte keine Sekunde, in der sie über die Sinnhaftigkeit dieser Arbeit nachdachte, kaum dass Liams Lippen sich verschlossen.
Sie brauchte dringend eine Beschäftigung und war noch nie wählerisch gewesen. Sie hatte als Kind weitaus schlimmeres erledigen müssen. Ein paar alte, zerfetzte Lumpen zusammen zu nähen war vielleicht nicht ihre beste Disziplin, doch eine annehmbare Arbeit, die ihren Kopf beschäftigt hielt. “Vielleicht bringst du mir dann mal zur Abwechslung ein bisschen was von deinen feinen Handwerkskünsten bei. Ich weiß zwar wie man ein Schwein auseinander nimmt und provisorisch Wunden zusammen flickt… aber Nähen ist so gar nicht mein Fachgebiet.“, fügte sie fast schon vergnügt hinzu, während sich der schlanke Körper von seinem Platz erhob und quer durch den Raum blickte, ehe die braunen Augen erneut auf den Zügen des Musikers haften blieben.
Das Lächeln auf ihren Zügen war es allemal wert, selbst wenn sie denken sollte, dass er damit seine Chancen auf irgendetwas verbessern wollte. Er musste sie nicht umschmeicheln – genauso wenig, wie sie es tun musste. Das zwischen ihnen funktionierte anders, einfacher, bedingungsloser. „Hat funktioniert.“, bemerkte er zufrieden und mit einem breiten Grinsen, ehe er ihr ein Angebot unterbreitete, welches sie gleichermaßen annehmen wie ablehnen konnte. Ansonsten wären vermutlich auch Rayon und Scortias dankbar um ihre Hilfe beim Putzen gewesen, wenn es ihr lieber war. Doch sie stimmte zu und die Züge des Lockenkopfs erhellten sich automatisch. Eigentlich genoss er die Ruhe im Frachtraum, die Gesellschaft der Hühner und den fehlenden Trubel. Das war immerhin der Grund dafür gewesen, dass er sich ganz nach unten verzogen hatte, statt sich einfach neben seine Hängematte zu setzen und die alten Leinen dort wieder zu flicken. Aber Skadis Anwesenheit war für ihn vergleichbar mit der Einsamkeit, die er so schätzte – ein eigenartiges, aber durchaus positives Kompliment von seiner Seite. „Das soll das geringste Problem sein. Ich würde es weder mit Ausweiden noch mit dem Zusammenflicken von Hautlappen zu vergleichen.“, bemerkte er nachdenklich und runzelte die Stirn, ehe er selbst einen weiteren Schluck seines Tees nahm. Okay, das Nähen von Wunden von Kleidern war vermutlich wirklich vergleichbar, das fiel selbst ihm einen Augenblick später auf. „… Jedenfalls ist es weniger blutig. Im Normalfall.“ Liam trat einen Schritt zurück, als Skadi sich erhob, um direkt zur Tat zu schreiten. Ihr schien wirklich die Beschäftigung zu fehlen. Aber sein Tee ließ sich auch noch trinken, während er der Nordskov das Nähen beibrachte.
Sie konnte nicht anders als bei seinen Worten das Schmunzeln zu erweitern und die Augenbrauen sichtlich amüsiert hinauf schnellen zu lassen. Liams Umschreibung ihrer Fähigkeiten klang sonderbar abartig und womöglich genauso negativ behaftet, wie er sie tatsächlich sah. Der Musiker war schließlich nicht der Mann für’s unschöne Grobe. Was nicht bedeutete, dass er sich wie ein Pazifist jeder Auseinandersetzung aus dem Weg ging. Doch Skadi vermutete sehr stark, dass es angenehmere Dinge gab, um die sich der Lockenkopf eher reißen würde. “Warten wir ab, wie oft ich mich in die Finger steche… wobei… die sind so vernarbt… da müsste ich die Nadel schon absichtlich tiefer unter die Haut schieben.“
Ein kurzer Seitenblick folgte, als sie sich an Liam vorbei drängelte und einen letzten Blick auf Rayon und Scortias warf, ehe sie die Treppen hinab zum Frachtraum nahm. Den Becher ließ sie wenige Meter hinter der letzten Stufe auf einer der Kisten zurück, die Liam näher an seinen Arbeitsplatz heran gerückt hatte. Ging dann mit einem leisen Knacken in die Hocke und besah sich das Ausmaß der alten Lumpen. Sie selbst hatte die ersten Tage ihres neuen Lebens in den abgenutzten Kleidern ihrer Marineuniform verbracht – zumindest in Hemd und Hose. Doch die hatten weitaus bessere Tage gesehen als das, was just zwischen ihren Fingern klemmte. “Du musst ein Zauberer sein, wenn du es schaffst solch große Löcher zu flicken.“, murmelte sie und schob demonstrativ zwei Finger durch das Leinenhemd, das sie sich aus dem Haufen gesammelt hatte. Wandte dann den Kopf zu Liam hinauf, der neben ihr Platz nahm und lauschte dem leisen Gackern der Hühner in ihrem Rücken.
Es war amüsant, wie unterschiedlich sie und ihre Fähigkeiten doch waren. Skadi war eine Überlebenskünstlerin, die vermutlich aus fast jeder brenzligen Lage einen Ausweg fand. Und er? Er war der Sohn zweier Künstler, begabt in den kleinen Dingen, die zum Wohlstand beitrugen, aber beim reinen Überleben eher unnütz erschienen. Einiges hatte er sich selbst beigebracht, allerdings eher pragmatisch und aus der Notwendigkeit heraus. „Ich kann bestimmt noch irgendwo einen Fingerhut auftreiben.“ Mittlerweile behinderten sie ihn nur. Als Kind aber hatte er sich nicht nur einmal in die Finger gestochen und ihre Nützlichkeit irgendwann zu schätzen gelernt. „Ihr habt mehr mit Leder gearbeitet als mit Stoff, oder?“, fragte er, nachdem er ihr in den Frachtraum gefolgt war und ihr den Arbeitsplatz offenbarte, an den er sich die letzten Tage zurückgezogen hatte. Zwischen den Stapeln aus Leinen lag ein Kissen an eine der Kisten gelehnt, um das Plätzchen zumindest für seinen Rücken etwas angenehmer zu gestalten. „Ich nutze die kaputtesten Hemden, um sie zu stopfen. Sie sollen ja auch zum Glück nur Provisorium sein und nicht unsere neue Uniform.“ Wahrlich zum Glück, denn die Sachen schienen schon einige Zeit in Gesellschaft von Motten verbracht zu haben. Ihren Sinn hatten sie aber zumindest nach der Rettungsaktion bewiesen. „Also Wunden nähen kannst du?“, fragte er, als er sich wieder an seinem angestammten Platz niederließ und eine kleine Holzkiste an seiner Seite öffnete, in der er Nadeln und Faden aufbewahrte. „Auch nicht schlecht zu wissen.“ Er lächelte kurz, ehe er ihr einen Fingerhut, eine Rolle mit hellem Faden und eine Nadel auf seiner Handfläche darbot. „Keine Sorge. Bei diesen Klamotten ist es sowieso egal, wie sie geflickt sind.“
Ein Fingerhut. Skadi musste unweigerlich amüsiert blinzeln angesichts des Bildes, das sich just vor ihre Augen schob und höchstwahrscheinlich kaum von der Wirklichkeit abwich. Sie konnte sich kaum daran erinnern, dass ihre Mutter so etwas besessen hatte. Wobei das genauso wenig Aussagekraft besaß wie alles andere was mit der Näherei zu tun hatte. Als einzige der 3 Töchter war sie nie für das Handwerkszeug empfänglich gewesen. Hatte keine Freude oder Leidenschaft dabei empfunden die Nadel immer und immer wieder in weiche Stoffe zu versenken und schimmernde Perlen an Säumen festzunähen. Bei Liams Frage wiegte sie allerdings den Kopf und zog dabei die linke Schulter in einer schnellen Bewegung hinauf. "Wir haben alles vom Tier verwertet, also war es zum Großteil Leder, ja. Aber meine Mutter war Schneiderin... es wurde also alles was bezahlbar war oder sich mit einem Auftrag an Land ziehen ließ genäht und gefärbt." Eine Tradition der Dorffrauen, die man bei ihrer Arbeit noch etliche Meter in den Wald hinein hatte hören können. Wenn sie damals dafür nur ein Kopfschütteln übrig gehabt hatte, vermisste die den Klang der rauen und heiteren Stimmen. "Mir fielen spontan nur zwei Leute ein, die sich freiwillig in eine Uniform schälen würden.", begann die Dunkelhaarige und ließ sich lautlos neben Liam auf dem Boden nieder. Verschränkte die Beine im Schneidersitz und bettete das Hemd ausgebreitet auf ihren Knien. "Und wir beide gehören definitiv nicht dazu." Was allerdings voraussetzte, dass es nicht zu einem ihrer Spielchen gehörte. Denn dann waren Verkleidungen ganz sicher gern gesehene Mittel.
Wortlos nahm sie Liam die Utensilien aus der Hand und hielt sie prüfend wenige Zentimeter vor ihre Nase. Vielleicht war es ganz gut, dass sie kein Meisterwerk vollbringen musste, um die Löcher und Schlachtfelder der Motten auszubessern. Denn eine Wunde nähte sich sicherlich nicht so filigran wie feines Gewebe. Kurzerhand schob Skadi die Nadel in einer Welle in den Stoff des Hemdes, befeuchtete das Ende des Fadens mit den Lippen und zwirbelte in mit der nunmehr freien Hand zusammen. "Sollten wir uns also mal irgendwo in einem Wald verirren, kann ich definitiv dafür Sorge tragen, dass du überlebst." Mit einem knappen Seitenblick bedachte sie Liam fast schon spitzbübisch und spürte bereits wie ihre Mundwinkel verdächtig zu zucken begannen. Ging dann allmählich dazu über die Nadel aus ihrem Stoffgefängnis zu befreien und den wohl schwierigsten Part dieser Aktion zu vollführen: den Faden ins Nadelöhr zu manövrieren.
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#2
Aufmerksam lauschte er der Antwort Skadis. War es nicht das mindeste, was man tun konnte, wenn man sich schon mit Jagd über Wasser hielt – alles zu verwerten, was verwertbar war? Liam hatte sich nie groß Gedanken darum gemacht, aber ihnen war auch meist nur mit etwas Glück ein Kaninchen oder Hase in die Falle gegangen, wenn sie unterwegs gewesen waren. An die Jagd auf größeres Wild hatten sie sich nie herangetraut. Und für ein ganzes Dorf hatten sie auch nicht sorgen müssen. Die Felle hatten sie verkauft, wenn es sich ergeben hatte – aber auch das war mehr aus der Not heraus passiert als aus irgendwelchen moralischen Grundsätzen. Doch Skadi lenkte ihn von seinen Gedanken ab, als sie ihm erstaunlich bereitwillig offenbarte, dass ihre Mutter Schneiderin gewesen war. Überrascht zogen sich seine Augenbrauen für einen Augenblick in die Höhe, als er zu ihr aufblickte. „… Also weißt du eigentlich ganz gut, wie es geht, bist nur nicht geübt darin.“, schlussfolgerte er über seine eigene Naivität amüsiert, Skadi wüsste sich in irgendeinem Bereich des Lebens nicht selbst zu helfen. Es überraschte ihn nicht. Als sie fortfuhr, wurde seine Miene ganz automatisch wieder ernster. Abermals kramte er in der Holzschatulle nach Nadel und Faden und konnte nichts daran ändern, dass ihm bei ihren Worten eine ganz bestimmte Person vor Augen erschien. Vermutlich tat er ihm Unrecht, jedenfalls versuchte er, sich das einzureden. Wie dem auch war – ihm erschien es schlauer, ausnahmsweise einfach mal den Mund zu halten. „Definitiv nicht.“, lachte er stattdessen. Eine Uniform war doch nichts anderes, als einen für ein Schachspiel zu kennzeichnen und einem trügerische Verbundenheit vorzugaukeln, während eigentlich jeder jedem in den Rücken fiel, sobald es Vorteile für einen selbst brachte.
Liam war kein Gesetzesloser, aber dem willkürlichen und bestechlichen Regime der Marine oder dem königlichen Hof wollte er sich um nichts in der Welt einfach beugen. Als er gefunden hatte, was er suchte, blickte er seitlich zu ihren feinen Zügen auf, fädelte den Faden durch das Nadelöhr seiner eigenen Nadel und spürte, wie das Lächeln auf seinen Zügen wieder breiter wurde. Einen kurzen Moment überlegte er, ehe er sich räusperte und sich um einen recht ernsten Ton bemühte. „Rein nüchtern betrachtet…“, begann er, sich eines der Hemden auf den Schoß ziehend. „… stündest du wohl ganz oben auf der Liste derer, mit denen es mir am schlausten erscheint, sich in einem Wald zu verlaufen.“ Also ungeachtet jeglicher Sympathien oder Vorlieben, denn man merkte, dass die Natur ein Teil von ihr war. Etwas, in dem sie sich auskannte, wohlfühlte; etwas, wo man ihr nur schwer etwas vormachen konnte.
Gesehen zu haben wie jemand seiner täglichen Arbeit nach ging befähigte einen nicht automatisch dazu, selbiges zu können. Demnach verrannte sich Liam wohl in der Vorstellung, dass Skadi ihrer Mutter mehr als einmal zur Hand gegangen sein musste, um zumindest die Grundzüge ihres Handwerks zu beherrschen. Allerdings vermied es die Jüngere in diesem Moment ihn zu korrigieren und ging viel lieber dazu über es sich auf dem Boden gemütlich zu machen und mit angehaltenem Atem den Faden durch das Nadelöhr zu fädeln. Seine plötzlich ernste Miene bemerkte sie unterdes nicht einmal, hätte jedoch nur mit einem bestätigenden Nicken geantwortet. Womöglich hatte er ein ähnliches Gesicht vor Augen, wie sie selbst. Allerdings wäre ihre Reaktion weniger „negativ“ behaftet gewesen. Immerhin sah sie in ihrem Sorgenkind mehr positive Eigenschaften als vielleicht die meisten auf diesem Schiff. Zumindest konnte sie nun nach allem was geschehen war mit Fug und Recht behaupten, mehr über Enrique zu wissen, als er womöglich selbst beabsichtig hatte. Doch es verschaffte ihr den nötigen Einblick in seine Gefühlswelt, die er sonst so gut unter Verschluss hielt. Nach wie vor hieß sie nicht jede seiner Handlungen für einen Geniestreich, doch sie brachte weitaus mehr Geduld auf, als unter den damaligen Umständen auf der Morgenwind. Und es war ihr weitaus weniger egal wie es ihm ging und was er wirklich über die Dinge dachte, die sie beschäftige. “Nur ganz oben?” Fast schon erschüttert wandte Skadi den dunklen Schopf zur Seite und musterte Liam mit einer Spur von Entrüstung und skeptisch zusammengezogenen Augenbrauen.
“Jetzt bin ich ja schon etwas enttäuscht.“ Mit vorgezogener Unterlippe entlockte sie ihrer Nase ein geräuschvolles Schniefen, senkte die dunklen Augen wieder auf ihren Schoß hinab und ging erst eine gefühlte Ewigkeit später in das breite Grinsen über, das bereits aufgeregt in ihren Mundwinkeln kribbelte. “Aber ich schätze du hast Recht. Und das nicht nur, weil ich seit meiner Kindheit gelernt habe allein im Wald klar zu kommen, sondern ich nicht will, dass du am Ende noch draufgehst.“ Kurz zuckte Skadi zusammen, als sie sich beim ersten Nähversuch gepflogen in den Zeigefinger stach. Fing ja super an.
Er war jemand, der sich kaum eine Möglichkeit entgehen ließ, sich fremde Handwerkskunst näher bringen zu lassen. Neugierig und unbesorgt genug, um auch Dinge zu versuchen, mit denen er bislang vielleicht nicht in Berührung gekommen war oder die ihm vielleicht weniger lagen – einfach, um im Fall der Fälle vielleicht irgendwann auf diese Erfahrungen zurückgreifen zu können. Man musste nicht alles in Perfektion beherrschen. Manchmal reichte ein Grundverständnis, um sich selbst voran zu bringen. Und er schätzte Skadi ähnlich ein; sie hielt ihn auch nicht wirklich davon ab. Mit einem belustigten Schnauben nahm er ihre Reaktion zur Kenntnis, behielt den Blick allerdings vorerst auf das Stück Stoff zwischen seinen Fingern gerichtet, welches er gerade im Begriff war, zu flicken. „Was denn? Wäre dir eine Liste für dich allein lieber?“, fragte er schließlich und war der Brünetten einen kurzen Seiten Blick zu. „Wäre doch langweilig, so ganz allein.“ Vermutlich hatte tatsächlich jeder irgendwelche Vorzüge, wenn man gemeinsam mit ihm im Wald verloren ging. Jeder für sich auf ganz besondere und amüsante Art und Weise. Wie lange Aspen wohl über die Situation motzen würde? „Außerdem gibt es ganz andere Listen, die du momentan für dich alleine hast.“, schob er den Gedanken an einen verzweifelten Prinz Eisenherz mit einem Schmunzeln beiseite und beobachtete seine Finger dabei, wie sie die Nadel abermals durch den Stoff schoben, ohne Skadis Schwierigkeiten mit dem eigenen Faden zu bemerken. Seine Aussage kam ihrem indirekten Kompliment wohl nahe, welches ihm ein triumphierendes Zucken der Mundwinkel entlockte. „Mein Glück. Ich sollte wohl aufpassen, dass das so bleibt. Ich weiß nämlich auch, wer ganz oben auf der Liste der Menschen steht, die einen Körper ungesehen im Wald verschwinden lassen kann.“
Eine Liste nur für sie allein. Das klang vielleicht für den ein oder anderen verlockend, doch Skadi verfolgte definitiv andere Ambitionen. Und dennoch musste sie hörbar darüber schmunzeln und schnaubte abweisend. Blickte erst von ihrem zerstochenen Zeigefinger und den ersten vernähten Fäden auf, als Liam mit einer seltsamen Information heraus rückte. Skeptisch legte sich Skadis Stirn in Falten. “Was für eine Liste?“ Nicht, dass sie es sich nicht ausmalen konnte, doch hielt sie die Möglichkeit dessen einfach für zu absurd. Vielleicht war es dennoch so etwas Niedliches wie „meine allerersten Male“. Das war bei weitem kindlicher als das, was ihr zuerst in den Kopf geschossen war. Ihre darauf folgende Ablenkung fruchtete indes prompt. Und endete in einem Kommentar, der sie kurz innehalten ließ und den gerade noch gesenkten Blick nach oben wandern ließ. Bedächtig als glaubte sie, dass Liams warme Augen sie schlagartig trafen. Doch nichts dergleichen folgte. Der Ältere war vollends mit seiner Arbeit beschäftigt. Andernfalls hätte er wohl den Hauch dessen gesehen, dass Skadi schlagartig unter Kontrolle brachte: den Ausdruck des Ertappt worden seins.
Doch sie wusste, dass er sie damals im Wald nicht gesehen haben konnte und sich wohl einfach auf ihre bisher offenbarten Fähigkeiten berief. Somit blieb ihr nur eine Möglichkeit – das Starten eines Ablenkungsmanövers. “Welchen Grund sollte Josiah haben, dich unter die Erde bringen zu wollen? Soweit ich weiß, sieht sein Ehrenkodex nicht vor harmlose und friedfertige Musiker, die ihm obendrein noch das Leben gerettet haben, das Licht auszuknipsen.“ Mit ernster Miene blickten die dunklen Augen auf die Silhouette des Lockenkopfes. Verstärkten ihren zweifelnden Ausdruck mit einer hinauf schnellenden Augenbraue, die fast zu ihrem Haaransatz reichte.
Er hatte sich vorher keinerlei Gedanken darüber gemacht, wie sie wohl reagieren würde – allerdings war das hier auch nicht mehr für ihn als freundschaftliches Geplänkel. Demnach hatte er auch keinerlei Problem damit, amüsiert einen Mundwinkel zur Seite zu verziehen, als ihre skeptische Reaktion an seine Ohren drang. Die Frage allerdings war zu erwarten gewesen und der Lockenkopf hatte auch jetzt nicht vor, unnötig Süßholz zu raspeln. Diese Art von Zuwendung – diese süße, fast schon naive Art – lag ihnen beiden nicht, ganz davon abgesehen, dass es nicht das war, worauf sie aus waren. „Leute, mit den ich mir gerne die Nachtschicht teile.“, antwortete er ohne große Pause zwischendrin und ohne aufzusehen. „Leute, vor denen ich mich beim Angeln blamiert habe. Marinesoldaten, die mir sympathisch sind. Menschen, denen mein leibliches Wohl am Herzen liegt.“ - An dieser Stelle meinte er übrigens Essen. - „Leute, die nicht davor zurückschrecken, Kindern einen ordentlichen Schrecken einzujagen. Frauen, die mich zeitweise um den Verstand bringen.“ Auch beim letzten Punkt klang seine Stimme weiterhin nach Aufzählung, selbst wenn er kurz zu ihr aufsah, nur um sich danach wieder seiner Arbeit zu widmen. Dementsprechend entging ihm auch der Ausdruck auf ihren Zügen, der ihm verraten hätte, dass er offenbar irgendeinen wunden Punkt getroffen hatte. Skadis Ablenkungsmanöver also war ein voller Erfolg. Liam runzelte die Stirn, als er in seiner Arbeit innehielt und den Blick hob. Wie auch immer sie nun jetzt ausgerechnet auf Josiah kam, erschloss sich ihm nämlich nicht, aber er entschied sich, das Spielchen mitzuspielen. „Wenn ich dir das erzähle, hat er’s vermutlich auch auf dich abgesehen.“ Zugegeben, dem Attentäter würde man derartig kalte Aktionen tatsächlich zutrauen, aber Liam hatte absolut keinen Grund etwas dergleichen von ihm zu erwarten. Er würde ihn also definitiv auf kaltem Fuß erwischen.
”Wow.”, entglitt es Skadi spöttisch mit einem leichten Schnauben. Eine ziemlich häufige Reaktion in den letzten paar Minuten, wie ihr auffiel. “Ich könnte mich ja fast geschmeichelt fühlen.“ Nicht, dass seine Punkte nicht durchaus positiv auf sie zurück fielen, doch irgendwie klang die Auswahl eigenartig. Erwartet hatte sie jedoch nichts weltbewegendes. Somit wandte sie sich wieder ihrer Arbeit zu, wechselte das Thema galant auf jemand anderen und lachte auf, als Liam ihr doch tatsächlich versuchte ein Schnippchen zu schlagen. Nicht, dass sie nicht davon ausging, dass sie mal ein zwei Worte gewechselt hatten, seitdem die Morgenwind auf dem Grund des Meeres versunken war. Doch DAS stank geradezu nach einer feisten Lüge. “Hab nichts zu verlieren.“, entgegnete sie spöttisch und zog den Faden fester. Brummte kurz als sich der Stoff in kleinen Wülsten zusammenzog und ignorierte den klopfenden Perfektionismus in ihrem Hinterkopf. “Ich stünde dann so oder so auf seiner Todesliste, weil er auch meiner gelandet wäre.“ Als wäre es das Banalste der Welt führte Skadi ungestört ihre ungeschickten Stiche weiter und verknotete das Ende des Fadens. Wie ein Meisterwerk sah das jetzt nicht aus, doch wie Liam schon sagte, kam es wohl kaum darauf an. Kraftvoll zerbiss sie das Ende des restlichen Fadens und warf das Hemd zur Seite, um sich das nächste zu schnappen.
Hatte sie etwas anderes erwartet? Wirkte fast so, doch Liam beschäftigte sich nicht weiter mit der Frage und warf ihr lediglich einen flüchtigen Seitenblick zu. „Könntest du.“, fing er dabei ihre selbst aufgezeigte Möglichkeit mit einem unscheinbaren Lächeln beiläufig auf, verknotete das Ende seines Fadens und zerriss die überschüssige Schnur, um das geflickte Hemd auf den fertigen Stapel zu werfen. Hätte er hinter dem plötzlichen Themenwechsel gen Josiah ein Geheimnis vermutet, hätte er wohl auf die Richtung des Gespräches beharrt, so jedoch wunderte er sich lediglich ein wenig, wie sie ausgerechnet auf ihn kam, nahm das Gesprächsthema aber ohne weiteres an. Mit einem belustigten Glucksen wandte er sich dem nächsten Hemd zu, ohne Anstalten zu machen, seine Meinung zu ändern – nicht zuletzt, da Josiah tatsächlich keinen Grund hatte, ihm ein Haar zu krümmen, was Skadi mit Sicherheit wusste. Aber Liam würde sich nicht in übler Nachrede üben, bloß um ihren kleinen Spaß aufrecht zu erhalten. Eigentlich war der Ältere doch gar nicht so übel. Vielleicht berief sich sein Eindruck dabei allerdings auch darauf, dass er nicht unbedingt präsent wirkte durch seine Art als schweigsame Mauer. Als Skadi fortfuhr, lächelte Liam – vielleicht sogar etwas verlegen? – still vor sich hin, bis er den nächsten Stich beendet hatte. „Ich glaube tatsächlich, dass er gar nicht so verkehrt ist.“, gestand er schließlich ehrlich und blickte ernster drein als zuvor noch. ‚Gar nicht so verkehrt‘, wenn man ausblendete, dass er vermutlich etliche Unschuldige auf dem Gewissen hatte, bloß weil irgendjemand mit zu viel Geld sie hatte tot sehen wollen. Doch Liam war gut im Ausblenden, gut im Verdrängen und solange ihm jemand freundlich begegnete, hatte er kein Problem damit, es ihm gleichzutun.
Er musste seine Taten nicht gutheißen – er hatte sie immerhin auch nicht zu verantworten. Und wie er Josiah gegenüber damals schon erwähnt hatte – sie hatten alle ihre Wege gehen müssen, um letztlich hier zu landen. „Aber du kennst ihn vermutlich besser als ich.“ Eine reine Vermutung bloß, immerhin wusste er nicht, wie viel sie vor ihrer Befreiungsaktion tatsächlich mit den Häftlingen zu tun gehabt hatte. „Oder… länger zumindest.“ Aber vermutlich war Skadi auch nicht unbedingt der geduldigste Mensch, um sich in ihrer jetzigen Lage mit jemandem auseinander zu setzen, der so verloren wirkte, ohne es selbst wahrhaben zu wollen. Vermutlich reichte Enrique, um genügend an ihren Kräften zu zerren. Liam hielt in seiner Arbeit inne und griff nach seinem Becher, um sich einen Schluck des Tees zu genehmigen, während seine Gedanken kurz um das Gespräch kreisten, welches er mit dem Älteren gehabt hatte – oder zumindest um das, woran er sich noch erinnerte. Vielleicht war das sogar das redseligste Gespräch gewesen, was jemand mit ihm an Bord dieses Schiffes geführt hatte – abgesehen von Lucien vielleicht. Eigentlich also kein Wunder, dass man ihm alles und nichts gleichzeitig zutraute.
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#3
Nicht verkehrt. Ein schiefes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Irgendwie hatte sie dergleichen von Liam erwartet, der selten den Eindruck machte, jemanden vorschnell zu verurteilen und wohl auch nichts von einem standardisierten Schubladensystem hielt. Sie selbst jedoch sah in Josiah eine gefährliche und unberechenbare Konstante, der sie nicht über den Weg traute. Seit ihrem ersten Tag fühlte sie sich unbehaglich in seiner Nähe – doch weniger weil sie sich vor ihm fürchtete, sondern weil sie auf Grund seiner Vergangenheit und dessen, was sie auf der Morgenwind über ihn erfahren hatte, mehr als misstrauisch war. Ein Mensch der für Geld tötete, war ihr einfach suspekt. Und da machte es auch keinen Unterschied, ob er dabei Freude empfand oder nicht. “Ich weiß, was in seinen Akten stand. Also im Grunde nichts. Die Marine versteht sich schließlich gut darin Tatsachen zu verdreht.“ Nicht ohne Grund war ihre Familie ausgelöscht worden, ohne dass es großen Aufruhr verursacht hatte. “Aber …“ Kurz blickten die dunklen Augen auf, während Skadi sich Liam zuwandte und mit erhobener Nadel inne hielt, dessen Faden über drei Nähte im neuen Hemd verankert war. “… vorsichtig bin ich dennoch.“ Denn nur weil Enrique einen Pakt mit ihm eingegangen war, hieß es nicht, dass er nicht mit ausreichend Bestechungsgeld auf einen von ihnen losging.
Seine Wortwahl war vielleicht nicht sonderlich eindeutig gewesen, entsprach aber tatsächlich in etwa dem Eindruck, den er empfand. Er hatte nicht genug Worte mit dem schweigsamen Attentäter gewechselt, als dass er sich ein eindeutiges Urteil über ihn erlaubt hätte, aber bislang hatte ihn sein erster Eindruck eher selten getäuscht. Liam bildete sich nicht ein, eine gute Menschenkenntnis zu besitzen – dazu war er vermutlich viel zu gedankenverloren und zu wenig berechnend. Aber er verließ sich meist mit Erfolg auf sein Bauchgefühl. Trotzdem war das nicht ausreichend genug, um ein wirkliches Urteil zu erstellen. Als Skadi seine Worte wiederholte, wurde ihm bewusst, wie nichtssagend sie geklungen hatten. Er verzog die Lippen leicht zur Seite und zuckte unschlüssig mit den Schultern. „Er mag nicht der redseligste Genosse sein und sein Geld auf recht… zweifelhafte Art verdienen, aber… ich weiß nicht, was ihn dazu getrieben hat. Vielleicht hat er ja seinen Grund dazu.“, erklärte er seinen Eindruck. Außerdem bezeichnete er sich selbst als den ‚Abschaum der Gesellschaft‘. Klang für den Lockenkopf fast so, als wäre er selbst mit einem anderen Verlauf seiner Lebensgeschickte gar nicht mal so unzufrieden gewesen. „Und er ist noch da, statt sich in Milui aus dem Staub gemacht zu haben.“ Und zur Zeit konnten sie jede Hand mehr als gebrauchen. Ein wenig nachdenklich musste er schließlich doch nicken, als Skadi auf die finsteren Machenschaften der Marine zu sprechen kam, die im Grunde ein offenes Geheimnis waren. Als sie sich ihm zudrehte, sah er auf. Sein Blick ruhte kurz auf der erhobenen Nadel, ehe er zu den feinen Zügen der Jüngeren dahinter wanderte und sich seine Lippen augenblicklich zu einem blassen Lächeln verzogen. „Vorsicht ist nie verkehrt. Ist ihm vermutlich sowieso lieber, wenn es niemand auf Smalltalk mit ihm abgesehen hat.“ Er hatte gewiss auch nicht vor, ihm blind sein Leben anzuvertrauen, ebenso wenig würde er allerdings jedes seiner ach so seltenen Worte auf die Goldwaage legen. Was Liams Leben betraf – dafür trug er ohnehin am liebsten selbst die Verantwortung. „Außerdem schätze ich ihn nicht für dumm genug ein, auf See übergriffig zu werden. Er hat zwar nichts zu verlieren, aber aus irgendeinem Grund hat er sich doch dazu entschieden, mit uns zu fliehen, statt den Tod zu suchen.“
Redselig war wohl nur einer an Deck dieses Schiffes und der brachte mit seiner Art den ein oder anderen gern zum Verzweifeln. Und zumindest konnte sich der Dunkelhaarige in diesem Punkt einer ganzen Reihe schweigsamer Männer anschließen. Greo und Lucien eingeschlossen. Ebenso Enrique, der sich gern in sein Schneckenhaus zurück zog. “Jeder hat seine Leichen im Keller…“, entgegnete Skadi matt und presste fest die Lippen zusammen, während sie konzentriert Masche um Masche aufnahm und vernähte. Hielt erst inne, als Liam fortfuhr und ihr ein innerliches Lachen in die Brust setzte. Wenn er nur wüsste, weshalb der Assassine auf dem Schiff geblieben war. Und sie zweifelte nur zu kleinen Teilen daran, dass es weniger mit dem Begleichen von Schulden zu tun hatte, als dem unbewussten Versuch ein „Zuhause“ zu finden. Sie kannte Josiah nicht. Sie würde also kaum darüber urteilen können, was ihn bewegte oder welche Gedanken er hegte. Allerdings maß sie seinem Verbleib auf der Sphinx auch keine große Bedeutung zu. Viel wichtiger war das Verhalten, das der Dunkelhaarige an den Tag legte. “Jeder hat einen angeborenen Überlebenswillen.“, entgegnete die Jägerin nur beiläufig und ließ den Kopf im Nacken kreisen. Beinahe wäre sie dazu übergegangen die Situation auf sich selbst zu beziehen und leichtherzig den Tod des Marinekapitäns auszusprechen. Doch im rechten Moment stoppte ein erneuter Nadelstich ihre Redelaune und entlockte ihrer Kehle ein sanftes Zischen. “Sein kämpferisches Talent ist das einzige, das ich mit Sicherheit über ihn weiß. Er wäre der perfekte Trainingspartner, wenn er sich nicht so einigeln würde.“
Er hatte sich wieder dem Stoff zwischen seinen Fingern gewidmet, selbst wenn sein Blick noch immer von der Nachdenklichkeit zuvor geprägt war. Nicht, dass er sich wirklich Gedanken darum machte, welche Verbrechen der Ältere tatsächlich auf dem Gewissen hatte – Liam war zum Glück mit der Eigenschaft gesegnet, nicht sonderlich neugierig oder vorwitzig zu sein. Er konnte gut damit leben, nicht alles zu wissen. Jeder brauchte seine Geheimnisse oder – wie Skadi es ausdrückte – jeder hatte seine Leichen im Keller. „Wir sind wahrlich keine Heiligen, das stimmt.“, stimmte er ihr zu und die Belustigung kehrte in seine Stimme zurück. „Jedenfalls nicht für die Großen und Mächtigen.“ Aber daraus machte er sich nichts. Er war nicht hier, um nach den Regeln der anderen zu spielen – er spielte nach seinen eigenen Regeln. Und entweder, sie überschnitten sich oder er wandelte auf den Pfaden der Bösen und Gesetzeslosen. So war es nun mal. „Ja, das stimmt. Ganz egal, ob es die Hölle auf Erden ist oder nicht.“ Oder wie viele würden den eigenen Tod einem Aufenthalt in Haft vorziehen, wenn sie ganz offen die Wahl dazu hatten? Einen kurzen Augenblick verharrte sein Blick auf seinen reglosen Händen, als ihm bewusst wurde, dass ihn eben diese Entscheidung eines Tages auch bevorstehen würde. Mit einem tiefen Atemzug löste er die Hand von der Nadel und griff abermals nach seinem Becher, denn plötzlich fühlte sich sein Mund eigenartig trocken an. Erst das Zischen auf seiner anderen Seite ließ ihn den Kopf wieder zu Skadi herumwenden, die tapfer versuchte, den Nadelstich zu übergehen. „Hast du’s denn mal versucht? Immerhin müsstet ihr nicht miteinander reden, wenn ihr euch gegenseitig eine Tracht Prügel verpasst.“, schlug er vor und zuckte mit der Schulter, während sich langsam wieder ein Schmunzeln auf seine Lippen legte.
Vielleicht waren sie keine Heiligen. Doch Skadi für ihren Teil konnte nicht behaupten ein unreines Gewissen zu haben. Noch weniger bezweifelte sie, dass Liam unter den Folgen seiner Taten litt. Sie schätzte ihn als einen Mann ein, der zu dem stand was er getan hatte und zwangsläufig mit den Konsequenzen lebte. Oder sich daran mit der Zeit gewöhnte – je nachdem wie schwerwiegend die Rechnung am Ende für ihn ausgegangen war. “Du weißt doch wie ich das mit denen handhabe…“, kam es fast einem Flüstern gleich über ihre Lippen. “Einfach irgendwo im Wald an einen Baum fesseln.“ Ihre Stimme klang deutlich amüsiert, als das Bild nach so vielen Tagen erneut durch ihren Kopf spukte.
Nur aus den Augenwinkeln gemerkte sie die plötzliche Unruhe in den sonst so fließenden Bewegungen, kaum dass ihr Gespräch auf eine eher banale Tatsache abdriftete. Kurz verzogen sich die dichten Augenbrauen, entspannten sich jedoch augenblicklich wieder, als der Lockenkopf ihre letzten Worte aufgriff und sie das Schmunzeln im warmen Tonus seiner Stimme bemerkte. “Mehrfach. Auf eine Antworte warte ich bis heute.“ Hallte da etwas Verbitterung in ihrer Stimme nach? Womöglich. Denn es war eine absolute Vergeudung, seine Zeit mit herumsitzen zu verbringen, statt seine Fertigkeiten an eine jüngere Generation weiterzugeben. “Entweder…” Mit einer schnellen Bewegung fuhr Skadi die Nadel durch den Stoff und traf ungehindert auf die Kuppe des Mittelfingers. Sie sollte das Nähen wirklich bleiben lassen. Ihre Konzentration driftete dermaßen ab, dass sie sich nur noch den blutenden Finger nur noch zwischen die Lippen klemmen konnte. “… hat er ein Problem damit, dass ich eine Frau bin… oder“ Energisch packte sie das Nähzeug samt Hemd an die Seite und musterte den schimmernden Fleck auf der Fingerkuppe. Beobachtet wie sich das helle Rot mit ihrem Speichel vermischte. “… absolute kein Interesse daran mir den Hintern zu versohlen.“ Und das täte er zweifellos. Zwar nicht ohne selbst etwas außer Atem zu sein, doch darum ging es auch gerade nicht.
Interessiert wandte er den Kopf herum, als die Stimme seiner Gesprächspartnerin mit einem mal verheißungsvoll leise wurde. Und hätte sie nicht einen Augenblick später ausgesprochen, worauf sie hinaus wollte, hätte er vermutlich einen Moment gebraucht, um diesen Bogen zu spannen. Er merkte gar nicht, wie das Grinsen auf seinen Zügen wieder breiter wurde, während er sich mit einem amüsierten Schnauben wieder seiner Handarbeit widmete und aus den Augenwinkeln zu ihr hinüberspähte. „Andererseits hättest du jetzt einer von ihnen sein können. Irgendwo in einem hübschen Schlößchen. Leute, die sich für dich die Hände schmutzig machen und denen, die dir nicht in den Kram passen, den Hintern versohlen.“, überlegte er laut, ehe er einen Herzschlag lang schwieg und die Stirn in Falten zog. „Okay, zugegeben: Das klingt unfassbar langweilig.“ Er konnte ein kurzes Auflachen nicht verhindern, während er verständnislos den Kopf schüttelte. „Aber mich interessiert es trotzdem, wie man sich so fühlt. So als… Adliger.“ Der Seitenblick gen Skadi war dieses Mal recht eindeutig und verschmitzt. Nicht, dass ihn das Leben als Reicher und Mächtiger wirklich interessiert hätte – aber Skadis Handhabung mit derlei Leuten würde er gewiss nicht ablehnen.
Kaum vorzustellen, dass Josiah ihre Bemühungen tatsächlich so einfach in den Wind schoß – wobei, doch abzusehen, irgendwie und die Entrüstung ihrerseits darüber war fast schon wieder niedlich. Die Bewegung ihrer Hände während sie sprach, tat selbst ihm beim reinen Zusehen weh, doch er ließ sie ausreden, legte zeitgleich seine eigene Arbeit nieder und griff nach einem der kaputten Lumpen, die er zum Flicken benutzte. Eine wirkliche Antwort auf das Verhalten des Älteren konnte er ihr leider nicht bieten – dafür aber etwas, was er ihr mit voller Überzeugung versichern konnte. „Ich könnte beides absolut nicht nachvollziehen.“ Mit einem schalkhaften Lächeln auf den Lippen erwiderte er ihren Blick, während er langsam den Arm ausstreckte, um ihre Fingerkuppen mit dem Stück Stoff zu bedecken. Dort konnte man nämlich nicht nur den letzten Nadelstich rötlich schimmernd auf der Haut erkennen. Nicht, dass es wirklich nötig gewesen wäre, die oberflächliche Wunde wirklich zu bedecken – indirekt wollte er ihr damit eher bedeuten, dass sie sich ruhig eine Pause genehmigen durfte. Er war um ihre Hilfe so oder so mehr als dankbar. Dadurch würde er später vielleicht sogar noch die Zeit haben, seine eigenen Sachen zu flicken.
Schon als Kind hatte sie das Leben als Tochter von Welt abgelehnt und mit zunehmenden Jahren und sich häufenden Festen und Treffen, für die sie ihre Mutter in Kleider gezwängt hatte, umso mehr. Zudem erledigte sie ihre Drecksarbeit lieber selbst, als sie jemand anderem zuzumuten. Sie wäre sie dabei seltsam vorgekommen. Dennoch stimmte sie in sein Auflachen ein und schüttelte den dunklen Haarschopf. Pustete sich eine widerspenstige Strähne aus dem Sichtfeld und wandte sich braunen Augen nur kurz auf Liam zurück. “Keine Sorge. Wirst du noch.”, entgegnete sie trocken, konnte aber kaum das spitzbübische Grinsen verbergen. Es kitzelte so enorm in ihren Mundwinkeln, dass sie die Lippen fest aufeinander pressen musste. Wandte den Blick ab und war so sehr mit dem Blut an ihrem Finger beschäftigt, dass sie Liams Geste erst bemerkte, als der Lappen bereits in ihr Blickfeld eintauchte. Blinzelnd wandte sich der kurze Haarschopf herum und fixierte das dunkle Augenpaare auf die feinen Züge des Musikers. Doch statt sich den Stofffetzten auf die Hand zu pressen, warf sie ihm Liam lachend ins Gesicht, als die weitreichende Bedeutung seiner Worte in ihr Bewusstsein gesickert warten. “Du alter Lustmolch.”, gab sie unter seinem Glucksen zu verstehen und erlöste ihre Beine für einen Moment aus dem Schneidersitz, während die nunmehr freien Hände nach ihrem eigenen Teebecher griffen. “So wird das nie was mit deinem Adelstitel. Aber hey… mit deinem Charme bekommst du ganz sicher ein paar heiratswillige Myladies herum.“ Auch wenn es nur darauf hinaus lief, dass sie ihrem kontrollsüchtigen Vater eins auswischen wollten.
Wann auch immer sie die Gelegenheit dazu bekommen würden, aber irgendwie hatte die Vorfreude ja auch schon etwas. Seine Augenbrauen schoben sich für einen flüchtigen Moment in die Höhe, während er ihren Blick erwiderte, ehe sie das Gesicht abwandte und er sich um den Fetzen Stoff kümmerte, den er ihr einen Augenblick später in die Hände drückte. Ihre unglaubwürdige Rüge nahm er wie ein richtiger Mann und ließ sie mit einem spitzbübischen Grinsen über sich ergehen, ehe er sich wieder an seine Arbeit machte und sich das, was sie sagte, kurz durch den Kopf gehen ließ. So verlockend es auch klang – es war definitiv nicht das, was ihm vorschwebte. Das Leben der Adligen war ihm viel zu geschäftig und darauf ausgelegt, sich gegenseitig auszuspielen. Da hielt er sich doch viel lieber an die ehrlichere Bevölkerung, die Uneinigkeit noch mit den Fäusten austrug, statt Rufmord zu begehen. Da oben wäre er mehr als aufgeschmissen mit seiner ehrlichen und offenen Art, die Hinterlistigkeit ganz automatisch ablehnte. Und bis dahin war er mit seinem Gedankengang nicht einmal bei dem Wort ‚heiratswillig‘ angekommen, denn das stand für ihn sowieso außer Frage. Er war kein Heiratsmaterial, mal ganz davon abgesehen, dass ihn Sesshaftigkeit früher oder später vermutlich den Verstand kosten würde. „Ein paar direkt? Meinst du nicht, dass das ziemlich anstrengend wird? Ich dachte, die Leute da oben haben’s nicht so mit dem Teilen.“, fragte er letztlich darüber nachdenkend. „Außerdem habe ich es eigentlich nicht wirklich darauf abgesehen, irgendwann zu heiraten.“ Nichts, woraus er ein großes Geheimnis machen musste. Die Gründe dafür waren eigentlich recht einfach und lagen – wenn man ihn mit allen Ecken und Winkeln kannte – fast schon aufopferungsvoll auf der Hand. „Da müssen die Myladies wohl auf den nächsten dahergelaufenen Straßenköter warten.“ Mit einem Schulterzucken brachte er sein Bedauern diesbezüglich zum Ausdruck.
Sie erntete nichts als ein Lächeln auf ihre Worte. Ein amüsiertes Schweigen, das sie zur Kenntnis nahm und sich damit begnügte mit kreisenden Bewegungen ihrer Füße das kribbelnde Taubheitsgefühl in ihren Beinen loszuwerden. Erst als sie das zur Seite gelegte Hemd aufgriff und den Rest des Blutes an ihrem Unterschenkel abstreifte, ergriff Liam erneut das Wort. Schlagartig zuckten die dichten Augenbrauen hinauf und erhellten den belustigten Ausdruck auf ihren Zügen. “Was sie nicht wissen...“Fast schon wirkten die feinen Züge engelsgleich, als Skadi den dunklen Haarschopf senkte und sich mit einem tiefen Atemzug neu zu konzentrieren versuchte. Niemand hatte davon gesprochen, dass er gleich in den Hafen der Ehe einfahren sollte.
Heiratswillige Damen machten sich schließlich nur deshalb zu einer leichten Beute, weil sie so sehr auf ihre Ziele fixiert waren, dass sie gern die offensichtlich negativen Auswirkungen ignorierten. Für Liam wäre es also ein leichtes doppelte Spielchen zu spielen. Und Skadi war mehr als bewusst, dass das definitiv nicht seine Art war. “Die armen Dinger... wer soll Ihnen denn jetzt ein Ständchen am Klavier spielen, damit sie vor lauter Romantik dahinfließen und blauäugig werden können?“ Spöttisch zuckte einer ihrer Mundwinkel zur Seite. Diese Vorstellung war viel zu lebendig um eine unrealistischen Hirngespinst zu entspringen. Aber in gewisser Weise deckten sich seine Worte mit dem Eindruck, den sie allmählich von ihm gewann. Kein Mann für eine Leidenschaftslose Nacht, aber genauso wenig für die Ewigkeit. Es entsprach irgendwie schon fast einem Klischee. “Und was spricht gegen eine Ehe?“ Mit einem kurzen Seitenblick bedachten die braunen Iriden die bärtigen Züge und fixierten dann die langen Fingerspitzen ihrer eigenen Hände. Es bedeutete schließlich nicht, dass man sesshaft werden und sich an einen Ort ketten musste. Schließlich kam es nur darauf an, wen man sich für „bis zum Tode“ erwählte. Alles was folgte war ein Plan voller Kompromisse. Dennoch klang Skadi ernsthaft interessiert.
Die Entrüstung in seinem Blick war nicht wirklich überzeugend und das Zucken in seinem Mundwinkel tat ihr übriges. Dennoch warf er Skadi auf ihren beiläufigen Kommentar einen raschen Seitenblick zu und schüttelte angedeutet den Kopf. In der Haut des armen Tropfs wollte er nicht stecken, wenn drei Frauen gleichzeitig erfuhren, dass er sie hinters Licht führte. Mal ganz davon abgesehen, dass Liam persönlich vermutlich nie im Stande dazu gewesen wäre, doppeltes Spiel zu spielen. Er war kein Mann der Geheimnisse. Und vor allem tat er die Dinge, die er tat, für gewöhnlich ganz oder gar nicht. Und bevor er jemanden belügen musste, suchte er sich lieber Menschen, die mit seiner Art, die Dinge zu handhaben, umgehen konnten. „Weil es ja so einfach ist, etwas vor einer Frau geheimzuhalten.“, bemerkte er amüsiert und ungläubig zugleich, während er das nächste Hemd zur Seite legte und nach einem neuen griff, um das Loch ausfindig zu machen.
Mit Bedauern neigte er den Kopf und hob machtlos die Schultern nach oben. Aber irgendjemand würde sich in den gehobenen Kreisen schon finden, der ein bisschen über die Tasten eines Klaviers streichen konnte, immerhin war die Musik ein gern gelernter Wert. Er war mit Sicherheit nicht der einzige Junge, der sich schon früh mit Musikstunden hatte herumschlagen müssen. Davon abgesehen, dass er die Musik nicht nutzte, um sich Frauen gefügig zu machen, sondern um Freude zu verbreiten. Als Skadi fortfuhr, zeichnete sich auf seinen Zügen wieder ein deutlicheres Lächeln ab. Nicht, dass er diese Frage hatte hören wollen, aber er hatte damit gerechnet. Und er hatte absolut kein Problem damit, offen darüber zu sprechen. Das gute an Skadi war immerhin auch, dass sie Menschen nahm, wie sie waren und wie sie sein wollten. Für manche Frau gab es im Leben immerhin klein höheres Ziel als eine Hochzeit und eine Familie – ein Ziel, dem der Lockenkopf scheinbar absolut nichts abgewinnen konnte. „Heiraten, sesshaft werden, eine Familie gründen…“, begann er und fädelte gleichzeitig einen neuen Faden in seine Nadel ein, ehe er aufblickte. „Das überlasse ich lieber denen, die dafür gemacht sind. Ich will sowieso keine Kinder, von daher würde ich bei den meisten ohnehin durch’s Raster fallen.“ Er klang nicht sonderlich traurig drum, immerhin hatte er gute Gründe für seine Entscheidung, an der es aus seiner Sicht nichts zu rütteln gab. Bei Liam war es keine Phase, kein ‚warte mal ab, bis du älter bist‘ – Es gab nur diese eine Möglichkeit, wenn er das Richtige tun wollte. Immerhin kam er eigentlich ganz gut mit Kindern klar, hatte auch definitiv Spaß dabei. Aber selbst Vater werden, kam absolut nicht in Frage. Und anders als seine Mutter war er fest entschlossen, seiner Entscheidung treu zu bleiben.
Nun. So gesehen lag es ganz am Typ Frau, ob man ihr etwas vormachen konnte oder nicht. Wenn es das weibliche Geschlecht in ihrer Ausführung gab, musste es sicherlich auch solche geben, die blauäugig sämtliche Anzeichen übersahen, sowie solche, die es spürten, doch jegliche Anzeichen einer Lüge ignorierten. Aus irgendeinem Selbstschutzmechanismus. Somit kommentiere Skadi diese Äußerung nicht weiter und schenkte Liam darauf hin nur ein unschlüssiges Lächeln. Hielt den Blick aus dunklen Augen selbst dann gesenkt, als Liam ihr mit seiner offenen Antwort zu ihrer durchaus ernst gemeinten Frage ein herzhaftes Lachen entlockte. Ehrlich gesagt hatte sie genau mit diesen Worten gerechnet. Entweder war sie mittlerweile sehr gut darin geworden, ihn einzuschätzen, oder er war doch einfach in markanten Punkten sehr Klischee behaftet. “Tschuldige. Aber irgendwie klang das nach einer sehr typischen Antwort, für einen weltoffenen Musiker.“
Skadi machte sich in jenem Moment keine Gedanken darum, weshalb Liam seine Worte so direkt und unmissverständlich wählte. Ihr war klar, dass er immer seine Gründe für etwas besaß – selbst dann, wenn sie für aller Augen nicht zu greifen waren oder seltsam verkorkst wirkten. Solange er damit leben konnte, war es ihr vollkommen gleich. Er kritisierte ihre Entscheidungen nicht. Somit sah sie keinen Grund darin, es mit seinen anders zu halten. “Aber versteh schon.”, glitt es leise über die vollen Lippen, während die Nordskov tief in ihre Arbeit versunken war. Fokussiert wie sonst bei ihren Tätigkeiten an Deck – und mit erstaunlich mehr Erfolg als noch zuvor. Während die silberne Nadel immer wieder durch die Lochränder glitt und die Lücken zu einer engen Wulst vernähte, schwieg die Dunkelhaarige und zog dann und wann ihre Beine in verschiedenste Positionen, um nicht erneut mit einem kribbelnden Taubheitsgefühl aufstehen und letztlich der Nase lang auf den Boden fallen zu müssen.
Ihre Reaktion kam überraschend und nicht-überraschend zugleich. Einen kurzen Moment hielt er in seiner Arbeit inne, sah aber nicht auf. Einen Herzschlag später schon zuckten seine Mundwinkel bereits wieder nach oben, während er den Blick konzentriert auf den Stoff und die Nadel gerichtet behielt. Selbst, wenn sie ihn nicht kurz darauf aufgeklärt hätte, was sie derart amüsierte, hätte er es Skadi vermutlich keine Sekunde übelgenommen. Er konnte zum einen sehr gut über sich selbst und seine manchmal wirren Entscheidungen lachen und zum anderen wusste er bei der Jägerin mittlerweile, wie er sie zu nehmen hatte. Außerdem konnte er ihrer Bemerkung nur wenig entgegensetzen. So bewusst war ihm allerdings nie gewesen, wie gut er in das Bild passte. Aus anderen Gründen vielleicht, aber wer war schon so sehr mit sich selbst im Reinen, dass er genau wusste, was einen zu bestimmten Dingen antrieb? Im Grunde nämlich war er schon ein ziemlicher Familienmensch. Einer, dem die Entfernung nicht sonderlich viel ausmachte, der alleine aber früher oder später doch zu leiden begann. Er brauchte die Gesellschaft, selbst wenn er sich nicht zwingend an den Gesprächen beteiligen musste. Schutzlos entgegnete er schließlich ein kurzes Zucken der Schulter. Er hatte keine Verteidigung, die ihm bei dieser ‚Anschuldigung‘ irgendetwas gebracht hätte. Erst, als sich ihre Stimme abermals unter das Geräusch der Wellen mischte, die gegen den Rumpf des Schiffes schlugen, verblasste sein Lächeln etwas, ohne dass er es selbst bemerkte. „Ja, vielleicht.“, entgegnete er unbewusst und nichtssagend. Er hätte die Frage an dieser Stelle einfach zurückgeben können, tat es allerdings nicht. Nicht, weil er wirklich bewusst die Entscheidung dazu traf, dass es noch immer keine gute Idee war, Skadi mit ihrer ungewissen Zukunft zu konfrontieren, sondern weil er in diesem Augenblick mit seinen Gedanken selbst ein wenig abschweifte, während er das Hemd zwischen seinen Fingern flickte. Erst, als das Loch gestopft war, begann ihm das Gespräch mit ihr zu fehlen, sodass er irritiert aufsah und das Hemd auf den fertigen Stapel schmiss. Dank ihrer Hilfe ging die Arbeit tatsächlich gut voran. Es warteten nur noch vereinzelt Hemden darauf, geflickt zu werden. „Oh, wir sind ja fast fertig.“, bemerkte er erstaunt und griff sich eines der letzten Hemden. Auch, wenn Skadi vielleicht nicht so schnell nähen konnte wie er – sie hatte die Tätigkeit auf jeden Fall angenehmer gemacht. „Dank dir vergeht die Zeit wie im Flug.“ Er wusste, wovon er sprach. Der Morgen war ihm ewig vorgekommen. Bevor er mit dem nächsten Hemd begann, streckte der Musiker kurz den Rücken durch. Allmählich beschwerte er sich nämlich über die unbequeme Rückenlehne. „Weißt du, worüber ich mich mal wieder richtig freuen würde?“ Ein leises Ächzen konnte er dabei nicht unterdrücken. Mit Rückenschmerzen kam man sich immer unendlich alt vor. „Ein richtiges Bett.“
Die Stille war recht angenehm, wie Skadi nach Liams fast schon erschrockenen Worten feststellen musste, die sie schlagartig in die Situation zurückkatapultierte. Es mussten nicht ständig große Reden geschwungen werden und vor allem mit Enrique hatte sie gelernt, dass in dem Schweigen eine ganz eigene Art von Kommunikation verborgen lag. Es schien ihr dann und wann, als gäbe man sich selbst dem reinen Lesen von Körpersprache hin. Ungefiltert und so aufrichtig, wie es nur irgend möglich war. Schließlich konnte man seine Gefühle in den winzigen Augenblicken nicht unterdrücken, in denen erst der Körper und dann der rationale Verstand reagierten. Und für eine Jägerin wie die Nordskov waren solche Momente essentiell.
“Scheint ganz so.“, gab sie mit einem kurzen Blick auf die wenigen Reste zu und ließ augenblicklich die Hände sinken. Schmunzelte bei Liams Geständnis verständnisvoll und seufzte. Ganz als spürte sie just den Schmerz in ihrem Kreuz, den der Lockenkopf ohne ein Wort andeutete. Das zuvor ausgesprochene Kompliment hatte sie nicht überhört, doch nahm sie es nicht als allzu bedeutungsvoll wahr. Lächelte nur angenehm berührt und nickte knapp.
“Ich glaube jeder hier wünscht sich ein Bett… mit Ausnahme der Captains vielleicht. Wenn ich mich nicht irre steht in der Kabine eines, oder?“ Zumindest hatte es das stets in denen der Marineobersten. Und da Skadi selbst noch nie das Reich der Geschwister betreten hatte, konnte sie lediglich nur darüber mutmaßen. “Aber ich bin froh mal von diesem Schiff runter zu sein und mehr zu sehen als endloses Blau.“ Die Dunkelhaarige wirkte entkräftet bei diesen Worten und es war ein leichtes für den Musiker die Sehnsucht nach Wald und sattem Grün in ihren braunen Augen zu erkennen, die sich von ihm abwandten und dem letzten Loch des Hemdes auf ihrem Schoß widmeten.
Als Skadi auf die Kapitänskajüte zu sprechen kam, runzelte Liam kurz die Stirn. Sie hatte Recht, Talin un Lucien waren wohl nicht von derlei Problemen geplagt, aber Liam verstand, dass man sich als Verantwortlicher eines solchen Haufens gerne mal an einen Ort zurückzog. Nun, eigentlich ging es ihnen doch allen so. Das Leben auf engstem Raum war kräftezerrend. Die einen kamen besser damit klar, die anderen schlechter – aber es gab niemanden, den es unberührt ließ. Immerhin zog auch Liam sich mit zunehmender Zeit auf See öfter mal an ruhigere Orte zurück, während ihm der Trubel anfangs eigentlich überhaupt nichts ausmachte. Er nickte langsam. „… Meinst du, sie hätten was dagegen, wenn man es sich mal borgt? Nur für ein Mittagsschläfchen?“, fragte er nach einer kurzen Pause mit einem verstohlenen Blick zur Seite. Seine Stimme klang nicht sonderlich ernst, die Idee aber klang verlockender als es ihm lieb war. Verständnisvoll senkte er den Blick wieder auf das Hemd zwischen seinen Fingern. „Kann ich mir vorstellen. Für dich muss es noch viel nervenzerrender sein.“ Ob jetzt, weil sie sich mehr mit dem Land in Verbindung bringen konnte, oder weil es als Frau unter einem Haufen Männer mit Sicherheit noch einmal stressiger war, blieb offen. „Was macht Enrique? Erholt er sich so langsam?“ Eigentlich hatte er dieses Thema wirklich nicht anschneiden wollen und auch jetzt war ihm nicht nach mehr als einer oberflächlichen Nachfrage. Ein einfaches ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ hätte ihm vollkommen gereicht.
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Crewmitglied der Sphinx
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#4
Die kleinen Fältchen auf seiner Stirn waren kaum zu deuten, kaum dass das Thema auf die Kapitänskajüte fiel. Sie bestätigten lediglich die Existenz des vermuteten Bettes dort und legten sich mit einer wohlig warmen Zufriedenheit auf ihr Bauchgefühl. Und während Liam sich seinen Gedanken hingab und erst nach einer gefühlten Ewigkeit zu nicken begann, akzeptierte die Nordskov stillschweigend die Tatsache und versuchte sich nicht der Vorstellung eines weichen Bettes hinzugeben. Letztlich war sie es doch ohnehin gewohnt überall und auf jedwedem Untergrund zu schlafen. Selbst auf Bäumen, wo die Verletzungsgefahr stets präsent und hoch war. Wenn es hier unten zwischen den Tieren nicht so unangenehm riechen würde, wäre es wohl auch eine Überlegung wert, die Nacht auf dem Stroh zu verbringen. Liam allerdings hegte eine andere Idee, die Skadi mit einem Auflachen erwiderte. “Kommt sicherlich ganz darauf an, wie lieb du darum bittest. Oder wie gut du feilschen kannst.“ Letzteres wäre wohl die effektivste Lösung. Selbst wenn es ein definitives Nein zur Folge haben würde, konnte Liam es mit seiner charmanten Art in einen Scherz verpacken und das Ruder herum reißen. “Selbst nach 5 Jahren auf See kann ich mich immer noch nicht langfristig an diese Enge gewöhnen.“ Würde sie wohl nie, wenn man sie fragte.
Und noch während sie sich zu ihrem letzten Hemd hinab wandte und begann das Lochen zu stopfen, schwenkte der Lockenkopf erneut das Thema. Erhielt ein vorläufiges Schweigen, indem sich die Nordskov mit ihren Überlegungen auseinander setzte. Es erstaunte sie, dass er so direkt danach fragte. Bisher war er – bewusst oder auch unbewusst- dem Thema elegant ausgewichen. Noch seltsamer erschien es ihr jedoch, dass es sie absolut nicht berührte. Keine heiße Wut in ihrem Magen. Kein dicker Kloß, der sich jäh durch ihre Kehle schob. Nichts. Mit einem tiefen Atemzug festigte sie somit den ersten Stich im ausgeleierten Stoff, ehe sie Liam Rede und Antwort stand. “Ich kann es dir nicht einmal wirklich sagen. Seit jenem Abend zieht er sich immer mehr zurück. Die Götter allein wissen, womit er sich den ganzen Tag beschäftigt, wenn er nicht gerade seine düstere Laune in Arbeit erstickt.“ Sie sprach es so wertungsfrei und emotionslos aus, dass die Dunkelhaarige selbst für einen Moment innehalten musste. Hatte sie zu ihren alten Verhaltensmustern zurück gefunden? “Ob es ihm also besser geht?“ Der linke Mundwinkel schob sich grübelnd hinauf und hob die braunen Augen aufwärts, bis sie auf Liam zum Stehen kamen. “Ich bezweifle es. Aber jeder hat sein eigenes Tempo.“
Er hatte die Zeit während des Landgangs vermutlich einfach unterschätzt. Im Normalfall hatte seine Zeit auf dem Schiff stets im Hafen geendet, wo sie sich meist wenigstens einen Tag in einem Gasthaus eine Auszeit gegönnt hatten, ehe sie aufgebrochen waren, um die Insel zu erkunden. Aber auch ein Zelt hatte eine willkommene Abwechslung zu den Hängematten geboten, die ihm bislang nicht sonderlich bewusst gewesen war. Vielleicht hingen seine Rückenschmerzen auch an der sitzenden Arbeit der letzten Tage. Aber sein Sehnen nach wenigstens einer Nacht in einem normalen Bett entsprang nicht nur dem Ächzen seines Rückens, sondern auch dem Bedürfnis, sich einfach mal wieder ausstrecken zu können, wenn er das wollte. „Eigentlich bitte ich lieber um Entschuldigung als um Erlaubnis.“, offenbarte er mit einem kurzen Neigen des Kopfes zur Seite. „Aber vielleicht lässt sich Lucien ja auf ein Kartenspiel ein.“ Seine Stimme klang unergründlich, ob er tatsächlich in Erwägung zog, diesen Plan in die Tat umzusetzen oder nicht. Er hatte es vermutlich noch nicht ganz für sich selbst entschieden. „Ohne die Landgänge zwischendrin wird man auch glaube ich zwangsläufig verrückt.“ Er stimmte ihr voll und ganz zu. Als Kind war es ihm meist egal gewesen, doch mit der Zeit lernte man seine Ruhe und seine Privatsphäre zu schätzen. Außerdem merkte man mit zunehmender Zeit auf See, wie die Stimmung gereizter und die Nerven gespannter wurden.
Liam sah nicht auf, nachdem die Frage nach Enriques Wohlbefinden seine Lippen verlassen hatte. Er wollte ihr keine besondere Bedeutung beiwohnen lassen oder Skadi das Gefühl geben, unbedingt darauf antworten zu müssen. Mittlerweile wusste sie wahrscheinlich, dass er sich mit dem zufrieden gab, was man ihn wissen lassen wollte. Dafür allerdings fiel ihre Antwort erstaunlich ausführlich aus, aber bei weitem nicht mehr so mitgenommen, wie Skadi vorher bei dem Thema Enrique geklungen hatte. Ein gutes Zeichen, wie Liam fand. „Du kannst nicht mehr tun, als ihm deine Hilfe anzubieten.“, sagte er nach einer kurzen Pause vorsichtig, aber überzeugt. „Und wie du sagst – jeder braucht seine Zeit, um mit einem Verlust umzugehen. Er wird schon wieder.“ In diesem Moment hätte seine Stimme durchaus beiläufig klingen können, doch der Lockenkopf klang eher zuversichtlich. Außerdem konnte er sich wirklich glücklich schätzen, dass Skadi sich so sehr um ihn bemühte. Doch er ließ es unausgesprochen, zog den Fanden an und versiegelte somit das letzte Hemd des Stapels, während Skadi mit ihrem noch zugange war. Als er Nadel und Faden wieder im Holzkästchen verstaut hatte, nahm er den letzten Schluck seines Tees, stellte den Becher beiseite und klopfte sich abschließend einmal auf die Oberschenkel. „So leid es mir tut: Damit wäre deine Beschäftigungstherapie mit Liam leider schon vorbei.“, meinte er bedauernd und sah zu der Nordskov hinüber.
Seine Worte erstaunten sie für einen Moment. Auch wenn es voll und ganz zu ihm passte, wirkte die Eindringlichkeit seiner Tonlage ernstzunehmender, als es vielleicht beabsichtig war. Und für einen kurzen Augenblick, fast einem Wimpernschlag gleich, regte sich etwas in Skadis Lendengegend, das ein angenehmes Kribbeln durch ihren Körper jagte. Er war also ein Mann der Tat. Jemand der sich nichts diktieren ließ. Mit einem tiefen Atemzug benetzte die empfindliche Zungenspitze ihre Lippen, ehe sie sich räusperte und fast schon ungerührt ein “Wenn er genauso gewieft spielt wie auf der Morgenwind, sehe ich schwarz für dich mein Lieber.“entgegnete. Auf die Verrücktheit, die zwangsläufig nach etlichen Tagen und Wochen auf See an Tageslicht drang, ging sie nicht einmal mehr ein. War gerade viel zu sehr damit beschäftigt ihre Gedanken vom dichten Lockenkopf abzuwenden, als selbiger seinen ganzen eigenen Weg fand, die aufkeimende Hitze schlagartig aus ihrem Körper zu vertreiben.
Ein mattes Lächeln zierte ihre Lippen, kaum dass Liam nach ihrer Ausführung erneut das Wort erhob und wohl das aussprach, was sie selbst dachte. Und dennoch – sie war sich sicher, dass Enrique einen ziemlichen Schups brauchte, um wieder „normal“ zu sein. Normaler, als ihn jeder, ihr eingeschlossen kannte. Denn nach dieser Nacht wusste die Nordskov, dass de Guzmán eine festgenähte Maske trug und die wohl niemand blicken konnte, der nicht zu seiner direkten Familie gehörte. “Andernfalls bring ich ihn schon wieder auf Kurs. Er ist nen ziemlich sturer Bock – aber das sind wir beide.“ Eine Spur Heiterkeit mischte sich in das schiefe Lächeln und legte einen funkelnden Schimmer in das warme Braun ihrer Augen. Auch wenn es sich für einen Moment anfühlte, als würde sie etwas zu überspielen versuchen, wusste Skadi instinktiv, dass sie Enrique zur Realität zurück holen würde, wenn es darauf ankam. Er konnte sich gern für eine Weile in sein Schneckenhaus verkriechen. Doch irgendwann war die sanfte Tour ausgereizt. Denn auf diese Weise würde er seine Tochter wohl nicht schützen können. Und das war das wohl einzige, das wirklich zählte.
Schweigend vernähte nun auch Skadi die letzten Stiche in ihrem Hemd und warf den Lumpen auf den Haufen neben sich. “Und ich habe mir nur ein paar Mal in die Hände gestochen. Eine wahre Meisterleistung.“ Halb lachend reichte sie ihm Nadel und Faden. Streckte daraufhin erneut ihre Beine aus und seufzte schwer. “Therapie? Bezahlt man nicht für sowas?” Ein kurzer Seitenblick folgte, während die Hände sich rücklings auf dem Boden abstützten und das fahle Licht kichernd auf Skadis Grinsen fiel. Ein Grinsen das Stück für Stück zu einem neutralen Ausdruck schrumpfte. “Wir haben lange nicht mehr so viel miteinander gesprochen… das hat mir irgendwie gefehlt.“
Er hatte seine Worte eigentlich nicht mal wirklich mit Bedacht gewählt, sondern einfach ausgesprochen, was ihm in den Sinn gekommen war. Er war kein großer Pläneschmieder und meistens hatte er auch erst am Hafen entschieden, wohin seine Reise als nächstes ging – dahin nämlich, wohin das Schiff segelte, das bereit war, ihn mitzunehmen. Auch ansonsten handelte er lieber, stand für seine Fehler gerade und ließ sich nur ungern eine Gelegenheit entgehen. „Ohne ein gewisses Risiko wird’s wohl nichts, stimmt. Mein Glück, dass ich bereit bin, das einzugehen.“ Unbekümmert ließ er den Vorschlag auf sich wirken. Vielleicht würde er ihn bei Gelegenheit tatsächlich in die Tat umsetzen. Was hatte er schon groß zu verlieren? Seine Ehre? Da müsste sich Lucien schon etwas ziemlich Gutes einfallen lassen. Die eigentliche Belanglosigkeit seiner Absicht wurde allerdings von ihrem bedeutungsschwereren Thema abgelöst. Doch Liams ernste Miene verschwand hinter einem blassen Schmunzeln, als Skadi ihre angekratzte Entschlossenheit zu Tage führte und sich nicht davon abhalten ließ, sich selbst recht schonungslos zu reflektieren. Gleichzeitig schaffte sie es aber auch, den Umstand mit mehr Humor zu nehmen als noch vor wenigen Tagen. „Hoffentlich gerät niemand ins Kreuzfeuer, wenn du ihm die Leviten liest.“, gluckste er bei dem Gedanken, dass die beiden Sturköpfe aufeinanderprallen. Gut möglich aber auch, dass eine derartige Konfrontation das einzige war, dass den ehemaligen Offizier wieder aus seinem Schatten herauslockte. So oder so – der Rotbart würde nicht wieder lebendig werden. Egal, wie lange er sich in seiner Trauer abschottete.
Liams Blick glitt kurz über den Haufen mit den geflicken Hemden, während er überlegte, ob er irgendetwas vergessen hatte. Eigentlich aber musste jetzt alles wieder zumindest brauchbar sein – egal ob Tau, Netz oder altes Hemd. „Du willst gar nicht wissen, wie meine Finger damals immer ausgesehen haben.“, lachte er und brachte somit seine Anerkennung zum Ausdruck, während er die Utensilien entgegen nahm und ebenfalls in seiner Holzschatulle verstaute. Bei ihren Worten huschte ein Schmunzeln über seine Züge, doch es dauerte einen kurzen Moment, bis er die Kiste schloss und sich ihr wieder zuwandte. Inzwischen hatte sie bereits weitergesprochen und hinterließ ein angenehmes Gefühl in seinem Inneren. „Mir auch. Aber eigentlich ich bin ja zwangsläufig nie weit weg.“, spielte er abermals auf die begrenzten Räumlichkeiten an. „Und was deine Beschäftigungstherapie betrifft, war das hier eine Art Schnupperstunde. Damit du feststellen kannst, ob dir der… Beschäftiger überhaupt zusagt.“ Er runzelte die Stirn bei seiner neuen Wortkreierung, vermied allerdings unbewusst das Wort ‚Therapeut‘. Damit wollte er absolut nichts zu tun haben. Mit einer Hand drückte er sich schließlich vom Boden ab und erhob sich, streckte den Rücken kurz durch und sah mit einem Lächeln zu Skadi hinunter, ehe er ihr die rechte Hand hinhielt, um ihr aufzuhelfen.
Unweigerlich fielen Skadis Augen auf Liams Hände hinab. Bedachten sie mit einem sanften Schmunzeln, das sich abermals an die Oberfläche wagte, kaum dass der Lockenkopf ohne zu Zögern ihre Empfindungen spiegelte. Vergessen waren die kurzen Gedanken um Enrique, den sie wohl über kurz oder lang in ein Gespräch verwickeln würde – ganz gleich ob ihm das gefiel oder nicht. Auf seine Worte entgegnete sie nur ein unsicheres Schulterzucken. Immerhin konnte man sich auch auf engstem Raum aus dem Weg gehen oder darauf beschränken nur das nötigste miteinander zu kommunizieren. Und körperlich in der Nähe zu sein, bedeutete nicht zeitgleich sich auch geistig so offen und nahbar zu geben. “Gab’s daran etwa Zweifel?“ Skeptisch zog sich die dichte Augenbraue hinauf und musterte den Musiker dabei, wie er sich aufrichtete und den Rücken streckte. Dass er dabei geschickt mit den Begrifflichkeiten jonglierte, fiel für sie nicht einmal wirklich ins Gewicht. Stattdessen musterte sie die feinen Fingerspitzen, die sich schlagartig zu ihr hinab streckten und umfasste wenig später die warme Haut seiner Hand mit ihren Fingern, um sich ruckartig hinauf ziehen zu lassen. Was auch immer er jetzt noch vor hatte. Sie würde ihm wohl ohne Widerworte folgen. Nicht nur weil sie es wollte, sondern weil sie keine spannende Alternative hatte.
Er konkretisierte seine Aussage nicht, nicht mit Worten jedenfalls. Liam war niemand, der sich jemandem anbiederte. Wenn Skadi es wollte, würde sie mit der Zeit ganz von selbst lernen, dass er stets ein offenes Ohr hatte, egal worum es ging. Und eigentlich waren sie ja auf dem besten Weg dorthin. Im Vergleich zu der Nordskov kam sich Liam fast schon sorglos vor. So sehr er ihr also gerne dieses Vertrauen zurückgegeben hätte – ihm fehlten die Sorgen, um sie mit ihr zu teilen. Oder sie waren ihm nicht bewusst genug, als dass er sie zu greifen bekommen hätte. Abwartend blickte er zu ihr hinab, musste allerdings nicht lange warten, bis ihre Hand die seine umschloss und er sie mit einem kraftvollen Ruck zu sich auf die Beine ziehen konnte. Und noch bevor er wirklich darüber nachgedacht hatte, zog sein Arm die Nordskov nicht nur auf die Beine, sondern dicht an sich heran; bettete die Hand, die ihre umschlossen hielt, auf seiner Brust und legte die Linke sachte aber bestimmt auf ihre Hüfte. Ein warmes Lächeln galt ihr, während er zu ihrem Gesicht hinunterblickte. „Immerhin könnte sich auch herausstellen, dass er ein totaler Nichtsnutz ist.“, knüpfte er an seine vorherigen Worte an, viel leiser bloß. Selbst, wenn er diese Handlung nicht wirklich geplant hatte, wunderte er sich keine Sekunde über sich selbst. Es fühlte sich gut an, spornte das Herz in seiner Brust unbewusst zu einem schnelleren Takt an und hinterließ eine wohlige Wärme dort, wo er ihren Blick auf seinem Gesicht spürte. Trotzdem funkelte bereits wieder der Schalk in seinen Augen bei seinen Worten und der Griff, um ihre Hand und der, mit dem er sie zu sich gezogen hatte, ließ nach, ohne dass er sich wirklich von ihr abwandte.
Ihr Körper fühlte sich in der Aufwärtsbewegung federleicht an, als das allzu bekannte Rauschen an ihren Ohren einsetzte. Eigentlich erwartete die Nordskov lediglich den sicheren Stand ihrer Füße zu spüren. Fand sich kurz darauf jedoch in einer Situation wieder, die sie nicht hatte kommen sehen. Gab Liams Druck ohne eine Gegenwehr nach und spürte, wie das sanfte Pulsieren ihres Magens erneut zurückkehrte. Es erstaunte Skadi selbst, wie gelassen sie ob dieser Nähe blieb, die sich wie ein warmer Sommerregen auf ihrem Körper niederließ. Hob wortlos den Blick in die braunen Augen ihres Gegenübers und lächelte verschmitzt. Diese Initiative war erfrischend und angenehm zugleich. Stand ihm sogar, wenn sie so recht darüber nachdachte und brachte sie auf Gedanken, die sich sichtbar in dem Funkeln ihres Augenpaares spiegelte. Fast von allein biss sie sich bei seinen Worten auf die Unterlippe. Zog eine Augenbraue amüsiert und skeptisch gen Haaransatz, während sie sich bereits gegen seine Brust zu lehnen begann. Umschloss den hellen Stoff seines Hemdes fest mit ihren Fingern und stahl sich einen sanften Kuss von seinen Lippen, kaum dass sie sich langsam zu ihm hinauf streckte. “Ich kenne deine Vorzüge mein Lieber… und ich wäre dumm mich nicht darauf einzulassen.“, wisperte sie ihm leise entgegen und schmunzelte. Sogar eine Spur zu breit.“Denn...“ Hatte sie die freie Hand stützend gegen seinen Brust gepresst, wanderte diese spielerisch zu seinem Bauch hinab. “Du steckst voller Überraschungen.“
Weil es sich gut anfühlte. Mehr Gründe dafür brauchte er eigentlich gar nicht. Und dem kurzen Haarschopf in seinem Armen nach zu urteilen, war er nicht der einzige, der den Moment genoss – etwas, was den Augenblick noch ein bisschen angenehmer machte. Als er sie freigab, war es ihre Entscheidung, sich weiterhin gegen ihn zu lehnen und sie verlockte ihn damit dazu, auch die rechte Hand auf ihre Hüfte zu legen, ohne den Blick vom dunkel funkelnden Braun ihrer Augen abzuwenden. Langsam beugte er sich nach vorne, während sich der Griff ihrer Hand um den Stoff an seiner Brust zuzog und sie sich emporstreckte. Es war keine Frage, dass er den Kuss erwiderte, den sie ihm sanft auf die Lippen legte. Auf seinen Lippen zurück blieb ein zufriedenes Lächeln, welches ob ihrer Worte nur noch ein wenig breiter wurde, während sich das wohlige Gefühl der vergangenen Nachtschicht wieder zurück in seine Magengegend stahl. Genau dorthin, wohin auch Skadis Hand einen Augenblick später aufbrach. „Sagt die Frau mit den tausendundein Geheimnissen.“, entgegnete er leise, nachdem er sich einen flüchtigen Blick ihre Körper hinab erlaubt hatte, mit einem charmanten Lächeln. Ihre Hand hinterließ auf ihrem Weg eine schmale Welle aus gereizten Nerven, ließ ihn tief durchatmen, ehe er die Rechte wieder hob, um ihr eine Strähne aus dem Gesicht zu wischen, die ihm den Blick auf ihre Augen erschwerte. Er wusste noch immer nicht, was genau an ihr ihn so ihn seinen Bann zog, aber so lange es sich derart angenehm anfühlte, konnte er mit seinem Unwissen ziemlich gut leben. „Nun, Prinzessin. Wie kann ich Euch zu Diensten sein?“, hauchte er schließlich in die Stille zwischen ihnen, ehe er den Kopf nach vorne beugte, um sanft ihr Ohrläppchen zu liebkosen.
Angenehm breitete sich die Wärme von Kopf bis Fuß zwischen ihren Gliedern aus. Pulsierte in einem angenehmen Rhythmus über ihre Nervenbahnen und Muskeln und hinterließ ein amüsiertes, sowie verruchtes Lächeln auf Skadis vollen Lippen. Diese ungefragt Nähe und der mehr als eindeutige Versuch des Älteren sie um den Verstand zu bringen - alles hätte sie Liam nicht zugetraut. Nicht so unvermittelt und aus dem Nichts heraus. Und es hinterließ ein angespanntes Aufatmen in ihren zitternden Lungen, kaum dass sich die weichen Lippen an ihrem Ohr wiederfanden. Trieben ihre Finger erneut unmissverständlich in die warmen Bahn seines Hemdes und zwangen sie regelrecht sich kontrolliert auf die Unterlippe zu beißen. “Du bist... unmöglich, Liam.“
Hauchte sie ihm entgegen und wandte den dunklen Schopf zur Seite, um die feinen Züge mit ihren braunen Augen zu fixieren. “... sowas gehört sich für Prinzen nicht.“ Musterte sie ihn für etliche Herzschläge schweigend, lösten sich die langen Finger lautlos von ihm. Strichen sanft und liebevoll von seiner Brust, über seinen Hals zu seinem Gesicht. Nur um dieses zaghaft zu umschließen und zu sich heran zu ziehen. Mit einem erneuten, intensiveren Kuss, der sie selbst kurz erschaudern ließ. Wieso eskalierten ihre harmlosen Begegnung immer wieder nach einer gewissen Zeit? Skadi konnte und wollte es sich nicht erklären.
Im Grunde holte er sich bloß das, worauf er das letzte Mal hatte verzichten müssen, als sie sich am Morgen ihrer gemeinsamen Schicht getrennt hatten. Es war ein eigenartig schmaler Grad, wenn man gemeinsam arbeitete, gemeinsam reiste, wie der Lockenkopf allmählich feststellen musste. Derartige Angelegenheiten waren eindeutig einfacher, wenn man sich nicht ständig sah und zwischen Nähe und Distanz balancieren musste. Sein Glück war es, dass er kein Freund davon war, sich groß Gedanken zu machen. Er handelte und das meist intuitiv. Und so, wie sie ihn an Deck ‚überrumpelt‘ hatte, lag es nun an ihm, zumindest einen Teil davon zurückzugeben. Immerhin schien diese kleine Liebelei alles andere als einseitig. Das Lächeln auf seinen Lippen bei ihren Worten war hörbar, als sie den Kopf zur Seite wandte und ihn damit kontrolliert dazu zwang, von ihr abzulassen. Und ob er sich den leisen Widerwillen in ihrer Stimme nur einbildete oder nicht – es gefiel ihm. Als sie fortfuhr, hob er den Kopf für einen kurzen Moment wieder etwas zurück und erwiderte ihren Blick mit einer ungläubig gerunzelten Stirn. „Was genau? Einer Prinzessin das Gefühl geben, dass er sie begehrt?“ Ein Schnauben folgte. „Das halte ich für ein Gerücht.“ Langsam beugte er sich abermals nach vorne, hauchte ihr einen weiteren Kuss zwischen Schulter und Hals, bis ihre Hand seine Aufmerksamkeit auf sich zog, deren Bewegung er bereitwillig folgte, um den Kuss mit geschlossenen Augen zu erwidern. Ein sanftes Lächeln nistete sich auf seinen Zügen ein, während er langsam wieder die Augen öffnete. Ein gar unschuldiger Ausdruck mischte sich dazu, als er leise wieder die Stimme erhob. „Mehr will ich gerade nämlich gar nicht.“
Sie sah die gespielte Ernsthaftigkeit auf seiner Stirn. Spürte, dass seine Wortwahl womöglich oberflächig amüsant gemeint, die Bedeutung dessen, was er ihr entgegen hauchte, aber ehrlich über die Lippen gekommen war. Instinktiv schluckte die Nordskov, sog tief die angestaute Luft unter Deck in ihre Lungen und versuchte das alarmierend Pulsieren in ihrem Schädel zu ignorieren. Diese Situation war so berauschend wie konfus. Es kostete Skadi etliche Augenblicke, ehe sie sich von dem Anblick losreißen konnte und die Augen unter dem zärtlichen Kuss verschloss, der sich eine gefühlte Ewigkeit hinzog. Sie genoss diese Nähe spür- und hörbar. Ihr war auch kaum daran gelegen es zu verheimlichen oder Liam von sich zu stoßen. Und doch blickte sie mit einem Auflachen ob seiner Worte unter den schweren Augenlidern erneut zu ihm hinauf. Fuhr die Kontur seiner Unterlippe mit einem ihrer Daumen nach und musterte den Älteren auf eine seltsam verträumte Weise. Schmunzelte tiefenentspannt, ehe sie die vollen Lippen aufeinander presste und dann unter einem tiefen Atemzug entgegnete. “Hör auf mit dem Süßholzraspeln und küss mich einfach.“ Ruckartig lösten sich die Fingerspitzen von den feinen Zügen, wanderten seinen Hals hinauf, ehe sich der hochgewachsene Körper der Nordskov in einer spielerischen Welle gegen ihn drückte und die Arme in seinem Nacken zusammen zog. Erneut legten sich die vollen Lippen auf die seinen. Gaben sich der liebevollen Zweisamkeit hin ohne mehr zu verlangen, als eben jene Umarmung und die zärtlichen Küsse. Genüsslich schloss Skadi die Augen und umspielte mit ihren Fingerspitzen stetig Liams Nacken und Lockenpracht.
Das hier war kein Spiel. Kein falsches, jedenfalls. Liam musste nicht groß darüber nachdenken, welche Worte ihn am ehesten an sein Ziel brachten, denn so gesehen hatte er gar keines. Er sprach aus, was ihm in den Sinn kam, was ihn bewegte, was sich richtig anfühlte. Und ja – selbst wenn das ein Spiel zwischen ihnen war, war es keines, für das er sich verbiegen musste. Das Wohlwollen, mit dem er sich der Berührung ihrer Hand an seiner Wange hingab, war echt. Und gerade die Spontanität, aus der ihre jetzige Situation entstanden war, machte ihm abermals bewusst, wie wertvoll Geborgenheit und Nähe waren. Ihr Daumen kitzelte seine Lippen, hielt ihn allerdings nicht davon ab, ihr leise sein Vorhaben zu offenbaren. Und noch bevor seine Züge auf ihre Forderung wirklich reagieren konnten, spürte er, wie ihre Finger zielstrebig über seinen Hals zu seinem Nacken wanderten und sich die Nordskov holte, was Liam ihr in diesem Augenblick zweifellos nicht verwehrt hätte. Und für den Moment fegte sie seine Gedanken leer, drängte alles, was nichts mit diesem Augenblick zu tun hatte in die Bedeutungslosigkeit ab und zwang die Zeit in einen unregelmäßigeren, langsameren Takt. Nach einer gefühlten Ewigkeit erst lösten sich seine Lippen endgültig von ihren. Seine Hand war langsam ihren Rücken hinauf gewandert und sein Gesicht war nicht in der Lage, die Zufriedenheit, die ihn erfüllte, zu verbergen. „Wir sollten unsere Arbeit zu Ende bringen.“, flüsterte er schließlich und leckte sich ihren Geschmack von den Lippen. „Sonst muss ich mir wieder fehlenden Arbeitseifer nachsagen lassen.“ Er hatte es nicht vergessen, was eigentlich auch schon wieder erstaunlich war.
Immer wieder hüpfte ihr Herz in einem angenehmen Takt gegen ihre Brust. Zauberte einen roten Schleier auf Wangen und Lippen, der nicht einmal verschwamm, kaum dass sich der Musiker von ihr löste. Während ihr Atem noch rasselnd und aufgeheizt gegen seine Miene stieß, lösten seine Worte ein sanftes Lächeln auf ihren Zügen aus. Noch während Skadi tief einatmete und die Finger mehr als widerwillig von seinem Nacken auf seine Brust zurück gleiten ließ, öffneten sich die braunen Augen. Lugten verschmitzt unter dem dichten Wimpernkranz empor und musterten den Älteren mit einer Spur Schalk und Verspieltheit. Es blieb kaum mehr ein Zweifel daran, dass sie das hier ewig vorführen konnte, wenn nicht sogar wollte. “Ich finde schon, dass du sehr eifrig warst heute.“, entglitt es glucksend ihren Lippen, die sich in einer letzten, sehnsüchtigen Berührung auf seinem Mundwinkel niederließen und dann dem Rest ihres Körpers folgten, der sich Herzschlag um Herzschlag vom wohlig duftenden Körper Liams lösten. Nur die Fingerspitzen glitten nach wie vor langsam über seine Schultern und Arme. Verkeilten sich für einen kurzen Augenblick zwischen seinen Fingern und gaben der Nordskov einen kurzen Moment, um mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen zu ihm hinauf zu sehen, ehe sie sich endgültig abwandte und nach den Hemden auf dem Boden bückte. “Meinst du wir können ein paar Stoffreste auch zu Mullbinden umfunktionieren?“
Es dauerte seine Zeit, bis seine Gedanken wieder aus dem Loch hervorsprudelten, in dem Skadis Nähe sie verbannt hatten. In seinem Magen rollte sich das wohlige Gefühl zusammen und auch, wenn seine Worte absolut nicht das widerspiegelten, was sein Körper ihm sagten wollte, wusste er, dass es besser war. Er machte kein Geheimnis daraus, dass er nicht unbedingt das Verlangen danach hatte, sich von ihr zu lösen; verharrte trotzdem in ihren Armen und löste auch seine eigenen Hände nicht von ihr. Seine Mundwinkel zogen sich zu einem amüsierten Schmunzeln nach oben, ehe er die Stirn gegen ihre lehnte und abermals für einige rasche Herzschläge die Augen schloss. „Für das Allgemeinwohl.“, konkretisierte er, obwohl ihm die Unnötigkeit dessen durchaus bewusst war. Gedehnt erwiderte er die letzte Geste ihrer Lippen und erschauderte schließlich unter der langsamen Berührung, die ihre Finger seine Arme hinabtrieben, festigte flüchtig den Griff, als ihre Finger zwischen seinen hindurchglitten, als würde er sie festhalten wollen, ehe er sie gehen ließ, um seinen Worten Taten folgen zu lassen. Unbewusst fuhr er sich mit der rechten Hand über den linken Oberarm, um die Gänsehaut zu vertreiben, die ihre Finger dort hinterlassen hatten. „Keine schlechte Idee. Wenn die Reste lang genug sind.“, gab er zu bedenken und sammelte den Stapel aus Resten vom Boden auf, um sie auf die nächste Kiste zu legen. „Wir können sie Gregory ja anbieten. Im Zweifel kann er sie immer noch entsorgen. Oder für andere Verwendungszwecke freigeben.“ Während er sprach, hob er eines der Stücke in die Höhe, damit es nach unten hin seine gesamte Pracht entfalten konnte. Ein paar konnte man sicher als Verband benutzen. Sollte sie nur vielleicht vorher einmal in heißem Wasser kochen. Schließlich ließ er den Fetzen Stoff wieder auf die Kiste fallen, angelte sich lieber eines der Hemden aus Skadis Armen und begann, es mehr schlecht als recht zusammenzulegen.
Dieses Gefühl. Es hallte angenehm und seltsam zugleich in ihrer Brust nach und hätte sie wohl an jenen eigenartigen Moment ihrer letzten Nachtschicht erinnert, wäre sie nicht so sehr damit beschäftigt, die Hemden vom Boden aufzusammeln. Skadi wäre der bittere Nachgeschmack dessen nicht entgangen. Genauso wenig wie dem tief sitzenden Bedürfnis es von sich zu wischen – weil es das einzige war, was ihr wirklich Angst machte. In ihrem Unterbewusstsein, das sie wie einen dampfenden Kessel hinter einem festen Deckel verschloss. “Wir müssten sie wahrscheinlich nur noch auskochen.“ Und letztlich waren ausgekochte Lumpen besser als nichts. Bei ihrem letzten Besuch im Medizinschrank hatte sie nicht sonderlich viele Binden entdecken können, die die Anzahl der Anwesenden abdeckte. Womöglich hielt Greg sie aber auch tunlichst von fremden Händen versteckt. In einer knappen Drehung wandte sich der hoch gewachsene Körper der Nordksov herum und lächelte, kaum dass Liams Hand eines der Hemden aus ihren Armen klaubte. “Andere Verwendungszwecke? Das muss du mir jetzt aber erklären.“, huschte es mit einer hinauf schnellende Augenbraue über ihre Züge und Lippen. Und noch ehe Liam so recht antworten konnte, ließ Skadi lachend den Haufen in ihren Armen auf eine der höheren Kisten nieder und ging selbst dazu über, die Lumpen sorgsam zusammen zu legen.
Das Lächeln auf seinen Lippen blieb, wo es war. Fast so, als hätte Skadi es feinsäuberlich darauf genäht wie eben noch die Hemden, die sie in der Hand hielt. Liam hatte keinen Grund, es zu hinterfragen. Ihm reichte das Wissen, dass er sich in ihrer Gegenwart wohl fühlte, wie man sich eben in Gegenwart eines Freundes wohlfühlte. Damit schwand auch ein bisschen das unterbewusste Heimweh. Nicht nach einem Zuhause, aber nach den Menschen, die er bislang eigentlich immer an seiner Seite gewusst hatte. Und gerade, weil er diese Art von Wohlwollen zu kennen glaubte, stellte er nicht in Frage, dass es das war, wofür er es hielt: Freundschaft. Etwas überrascht blickte er auf, als Skadi jäh seine Gedanken aussprach, als hätte er sie mit ihrer Stimme gedacht. „Mal abwarten, ob er das lieber selbst macht oder ob wir ihm zur Hand gehen können.“, folgte seine Stimme auf ein kurzes Nicken. „Ich weiß nicht, ob er zu den Menschen gehört, die Dinge lieber selbst erledigen, um zu wissen, dass sie richtig gemacht sind.“ Er hätte kein Problem damit – mit keiner der beiden Optionen. Dass sie dann aber auf seine unbedachten Worte ansprang, hätte er sich tatsächlich denken können. Liam gluckste leise, übte sich aber den ersten Moment in Schweigen, während er den neugierigen Blick der Nordskov auf sich spürte und das Hemd in seinen Händen in aller Ruhe zusammenlegte. „Ich weiß ja nicht, woran du dabei denken musst, aber ich wollte das eigentlich jedem selbst überlassen, was er damit anstellen will.“ Prüfend musterte er das amüsierte Antlitz der Jüngeren, um zu sehen, ob sie sich aus der Reserve locken ließ oder nicht. „Vielleicht kann Rayon neue Lumpen in der Kombüse gebrauchen. Oder jemand braucht sie, um seine Waffe zu reinigen.“
Sie kannte Greg nicht gut genug, um sich ein Urteil darüber erlauben zu können. Nichts desto trotz war es eine gute Idee ihm zumindest ihre Hilfe anzubieten. Nein sagen konnte er schließlich immer noch. “Einen Versuch ist es wert.“, entgegnete sie dem Lockenkopf daher entspannt und legte bereits das erste Hemd zur Seite. Musste in sein Glucksen einsteigen, als er ernsthaft versuchte seine unbedachten Worte noch mehr zu verharmlosen. Schüttelte nur noch den Kopf, kaum dass er es wirklich zu Stande brachte nun sie selbst als versautes Früchtchen zu entlarven. “Tja… erwischt würde ich sagen.“ In einer fließenden Bewegung griff sie in den Wäschestapel hinein und faltete den ausgeblichenen Stoff zusammen. “Oder man braucht sie, um jemand Unartiges ans Bett zu fesseln.“ Es klang so unschuldig und beiläufig aus ihrer Kehle, dass man kaum mehr nach dem breiten Grinsen Ausschau hielt, dass sich jäh über ihre Mundwinkel bis zum Ansatz ihrer Ohren ausbreitete.
Er machte sich nicht sonderlich viel aus den Eigenarten der übrigen Crewmitglieder. Wer seine Hilfe nicht wollte, konnte tun und lassen, wonach ihm war. Er war zwar hilfsbereit, drängte sich aber gewiss niemandem auf. Demnach war er durchaus bereit dazu, ihrem Schiffsarzt die Lumpen auszuhändigen und ihm anzubieten, das Auskochen für ihn zu übernehmen oder es zumindest Skadi zu überlassen. Wenn er nicht wollte, war er selbst schuld. Auch Liam griff nach dem nächsten Hemd, nachdem er das erste unsauber zusammengefaltet auf einen neuen Stapel gelegt hatte und nicht wirklich erfolgreich bei dem Versuch war, der Nordskov die Gedanken zu entlocken, die sie erstaunlich gut hinter ihrem Antlitz zu verbergen wusste. Doch sie blieb unberührt, unterstellte ihm weiterhin einen Gedankengang, den er bislang noch nicht gehabt hatte und dachte gar nicht daran, ihn nun von der Angel zu lassen. Der Lockenkopf allerdings hätte auch gut damit leben können, sich mit ihr still auf etwas zu einigen, von dem nur sie wusste, was es war: er lächelte also möglichst vielsagend, während er den Blick abwandte und den Stoff zusammenlegte – bis ihn das, was sie danach aussprach, prompt innehalten ließ. Liam blinzelte, ließ sich ihre Worte abermals durch den Kopf gehen, bis er aufblickte. Ihr Gesicht kam gerade dem eines kleinen Mädchens gleich, dass es faustdick hinter den Ohren hatte. Der Blick seiner Augen wurde allmählich schmaler, das Grinsen breiter und seine Reaktion ließ unweigerlich erkennen, dass er daran wirklich nicht gedacht hatte. „… Stimmt.“, stellte er fast schon nüchtern fest. Langsam fiel sein Blick wieder auf den Stapel aus Lumpen, die indirekt eigentlich schon Gregory versprochen waren. „… Was meinst du, wie viele Gregory davon braucht?“
Liams Blick war ein Bild für die Götter. Fast verschluckte sie Skadi vor Lachen, kaum dass der Musiker die Augen verengte und breit zu grinsen begann. Hielt sich das Hemd vor den Mund, um das heftige Glucksen zu ersticken, das er mit dieser Reaktion in ihr auslöste. Und musste feststellen, dass es mit jedem Atemzug schlimmer wurde. Immer wieder fehlte ihr die Luft zum Atmen, während ihr bereits Tränen in die Augen schossen. Hilfe suchend klammerte sie sich an die Kiste mit den Lumpen, nur um dann mit dem Gesicht voraus in den Haufen zu kippen. “Ich kann nicht mehr… das tut weh… das tut sooo weh.“, kleckerte es nur Bröckchenweise unter den Lachern hervor, die erst nach einigen Atemzügen verklangen. “Hach… tschuldige… aber dieses Gesicht.“ Langsam richtete sich die Nordskov auf und wischte sich mit dem Handrücken ein paar Tränen aus den Augen. Blinzelte zu Liam hinauf, dessen Silhouette leicht verschwommen blieb und sich erst aufklarte, als sie mehrere Male blinzelte. “Wo waren wir gerade?“
Mit einem Mal wirkte es fast wie geplant. Als hätte die Nordskov ziemlich genau gewusst, dass Liam alles, aber nicht das durch den Kopf gegeistert war. Als hätte sie gewusst, dass sie ihn mit dieser kleinen Bemerkung völlig auf dem kalten Fuß erwischte. Statt einer Antwort brach die Dunkelhaarige in schallendes Gelächter aus, noch bevor er seine (rhetorische) Frage überhaupt beendet hatte, obwohl sie sich anfangs noch so gut im Griff gehabt hatte. Liams Augenbraue schob sich langsam nach oben, während er mit einem verhaltenen Grinsen beobachtete, dass die Jüngere schier um Luft rang. Fast schon bedauerlich, dass er seinen Blick nicht selbst hatte sehen können – er schien ja ein Erlebnis wert gewesen zu sein. Doch der Lockenkopf wartete geduldig, bis sich Skadi wieder gefangen hatte und fast schon unschuldig die Stimme erhob, als wäre sie sich ihrer Schuld kein bisschen bewusst. Kurzerhand duckte sich der Lockenkopf nach dem Kissen, welches noch immer unweit von ihm auf dem Schiffsboden lag und warf es Skadi ohne zu zögern mit einem lachenden „Ich dich auch!“ entgegen.
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Crewmitglied der Sphinx
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#5
Liams Retourkutsche folgte auf dem Fuß. Ließ sie erneut kurz glucksen und die Augen zusammenpressen, ehe das Kissen sie traf und vor ihr auf dem Haufen zum Liegen kam. Breit grinsend reckte sie ihm das Kinn entgegen, ob er seiner beleidigt ausgesprochen Worte, die für sie mehr mit einer typischen „Floskel“ denn ernst gemeinter Worte gemein hatte. Öffnete erst das eine, dann das andere Auge und schenkte ihm einen schmatzenden Luftkuss. “Sei doch nicht beleidigt Prinzchen. Du weißt doch, wie lieb ich dich hab.“ Und noch ehe sie sich über ihre eigene Worte Gedanken machten konnte, nahm sie das Kissen in die eigene Hand und pfefferte es Liam entgegen. Gluckste unter einem breiten Grinsen hinweg und begann wieder eines der Hemden zusammen zu legen.
Ob es etwas gab, was er ihr ernsthaft übel nahm? Absolut nicht. Aber gerade das machte diese Neckerei so unbekümmert, so kindlich. Leider stand Skadi auch nach dem Kissenbeschuss noch – wie erwartet – ziemlich aufrecht, als hätte sie seinen Angriff mit einer Leichtigkeit abgewehrt, die kaum der Rede wert war. Abermals verdunkelte sich sein Blick, als sie ihm eben dies derart deutlich unter die Nase rieb, dass er sich kurzerhand nach anderen Dingen umsah, die er ihr entgegenwerfen konnte. Doch da flog bereits sein Kissen zurück und prallte an seinem gehobenen Unterarm ab, ehe es zu Boden fiel. Skadi hatte sich dahinter bereits wieder einem der Hemden gewidmet, als wäre sie völlig unbeteiligt an den diesem heraufbeschworenen Kissenkrieg. Und auch, wenn das der Punkt gewesen wäre, die Waffenruhe anzunehmen, setzte Liam ein weiteres Mal an, zielte aber auf den Masten, in deren Nähe sie stand, „Irgendwann, Fräulein. Irgendwann erwische ich dich, wenn du nicht damit rechnest.“, drohte er ihr mit scherzhaftem Ton und behielt sie im Auge, ehe er zum dritten Mal ansetzte, um das Hemd in seinen Händen zusammenzulegen.
Hatte sie es erst für eine kleine Neckerei gehalten, die Liam nur unternahm, um sich für ihren Lachanfall auf seine Kosten zu revanchieren, entlockte ihr der erneute Wurf des Kissens und der sanfte Luftzug an ihrem Kopf ein verwirrtes Blinzeln. Nur langsam hob sie den dunklen Haarschopf. Ließ das zusammengelegte Hemd zur Seite auf die Kiste gleiten und war nun selbst in der Position die feinen Züge des Älteren mit verengten Augen zu mustern. Er wollte also einen Kissenkrieg, wie? Mit einem spitzbübischen Lächeln in den Mundwinkeln, das aufgeregt zitterte, nahm sie eines der freien Hemden auf und klatschte es geräuschvoll auf die Kiste, um Liams Aufmerksamkeit zu erhalten. Umklammerte wenig später die Kante mit beiden Händen und lehnte sich provokativ voraus. “Ach ja? Aber nicht, wenn ich dich zuerst erwische.“ Ruckartig sprang der hohe Körper die Kiste hinauf, fand unter dem Knarzen und Wackeln nur kurz Halt, bevor sie sich Liam entgegen werfen wollte.
Im nächsten Moment war tatsächlich sie es, die dreinblickte, als hätte sie ihn oft genug gewarnt, dass er das Echo vertragen musste. Tatsächlich hatte Liam nur wenige Probleme mich Echos und auf dieses hier freute er sich fast sogar schon. Mit einem Lächeln, bei dem er sich kaum darum bemühte, es zu verbergen, beobachtete er von der Seite her ihre Reaktion, bis sie ihm fast schon in trevormanier mit einem der alten Hemden zu drohen versuchte. Belustigt wandte er sich herum und harrte abwartend der Dinge, die da kamen. Damit allerdings, dass sich Skadi kurzerhand selbst zum Geschoss ernannte, hatte er wirklich nicht gerechnet. Voller Überraschung weiteten sich seine Augen, als er Skadi eine Sekunde später auch schon reflexartig auffing und nach hinten taumelte, bis er mit dem plötzlichen Zusatzgewicht sein Gleichgewicht zurückerlangt hatte. Kaum, dass er wieder festen Halt hatte, schlich sich ein siegessicheres Grinsen auf seine Züge, ehe er die Nordskov kurzerhand über die Schulter hievte und den Kopf in den Nacken legte, um noch etwas von ihrem Gesicht sehen zu können. „Und jetzt? Vielleicht sollte ich dich einfach Trevor ausliefern.“, überlegte er laut, rührte sich aber nicht vom Fleck.
Wie ein kleiner Haufen hockte sie vorerst auf Liams Hüfte und klemmte Knie und Fußgelenke an seine Seite, um bei einer plötzlichen Rückwärtsbewegung nicht hinab zu purzeln. Doch dass er sie mit einer solchen Leichtigkeit schlagartig auf seine Schulter warf, entlockte Skadi ein abruptes Ausatmen, das nur zu Teilen durch die Schwere ihres eigenen Körpergewichts aus ihren Lungen heraus platzte. Schnaubend reckte sich der dunkle Haarschopf zurück, um nicht noch unkontrolliert im formschönen Hintern zu landen, auf den sie sanft mit der flachen Hand schlug. Was für ein Blödmann. Das war doch gar nicht ihr Plan gewesen. Noch ehe sich die Nordskov weiterführende Gedanken über ihre Situation machen konnte, hörte sie bereits den Älteren in ihrem Rücken sprechen. Versteifte sich schlagartig, um ihren Oberkörper federleicht hinauf schnellen zu lassen und mit schockiertem Blick auf das breite Grinsen zu starren, das sich bereits im Klang seiner Worte niedergelassen hatte.
“Das wagst du nicht… so böse war ich doch gar nicht!“ Nur langsam begann sie auf seiner Schulter zu zappeln. Verdeutlichte damit ihre Gegenwehr und verkeilte abstützend ihre Hände im Rückenstoff seines Hemdes. “Hasst du mich etwa noch so sehr, dass ich das verdient habe?“ Oh, wie gut sie doch diese traurige Miene aufsetzen und ihre Unterlippe zitternd voraus schieben konnte. Man erlag beinahe dem Glauben, dass sie tatsächlich sehr bestürzt über die Wahl seiner Foltermethode war. “Liam… komm schon. Sei ein lieber Straßenköter und wirf mich nicht dem Raubein Trevor zum Fraß vor. Wo ist denn dein Ehrenkodex… eine Jungfrau in Nöten rettet man doch!“
Zugegeben - guter Versuch. Sie hatte ihn wirklich überrascht. Aber wie es schien, hatte sie nicht damit gerechnet, dass er den Spieß einfach wieder herumdrehen würde. Er sah allerdings auch wirklich nicht nach Muskelberg aus, legte keinen sonderlich großen Wert auf Training oder ähnliches. Aber er war ein Mensch, der eigentlich hauptsächlich irgendwo durch die Gegend kraxelte, sich im Zweifel auch nicht von einer erklimmbaren Felswand abhalten ließ und damit durchaus eher trainiert als untrainiert war. Skadi auf die Schulter zu hieven, war also durchaus machbar und der protestierende Schlag auf seinen Allerwertesten spornte das siegessichere Grinsen in seinem Gesicht nur noch mehr an, während er ihr die Chance gab, sich herauszureden. Die Trevordrohung zog nämlich - ganz gleich, ob sie davon ausging, dass er es wirklich tat oder nicht. „... ‚Prinzchen‘?“, wiederholte er ungläubig mit einer gehobenen Augenbraue, um der Nordskov den fehlenden Charme ihrer Verniedlichung vorzuhalten, die sie eben noch gewählt hatte.
Als sie fortfuhr, war er es allerdings, der kurz überrascht darüber auflachen musste, dass sie das noch nicht vergessen hatte. Eine Richtigstellung blieb er ihr allerdings schuldig - die Antwort darauf, wie sehr er sie noch ,hasste‘, kannte sie wohl selbst. Aber guter Versuch. Unbeeindruckt begutachtete er ihre schmollende Miene, machte aber keine Anstalten, sie absetzen zu wollen. Und dann brachte sie den Ehrenkodex zur Sprache, der den Lockenkopf unweigerlich zum Lachen brachte. Jungfrau in Nöten. War Auslegungssache, ob man es auf Skadi oder Trevor bezog, denn jeder von beiden schien einen Teil davon zu erfüllen. Statt sich nun aber Trevor im Beisein einer willigen Frau vorzustellen, ließ sich Liam lieber dazu erweichen, Skadi tatsächlich herunterzulassen, stützte sie mit dem Arm, bis sie wieder den schwankenden Boden des Schiffes unter den Füßen hatte. „Dein Glück, dass ich das mit dem Ehrenkodex etwas enger sehe als manch andere.“, brummte er gut gelaunt und zog der Jüngeren kurzerhand das Hemd aus den Fingern, mit dem sie eben noch gedroht hatte, versetzte ihr einen freundschaftlichen Schlag damit auf Hüfthöhe und machte sich danach dran, es tatsächlich wieder zusammenzulegen.
Liams erstes „Problem“ offenbarte sich bereits nach wenigen Augenblicken. Und die demonstrativ unbeeindruckte Augenbraue ließ kaum einen anderen Schluss zu, dass ihm Skadis Wortwahl mal so gar nicht behagte. Die Nordskov indes schenke ihm ein unterdrücktes Grinsen, hatte sie doch bereits so sehr an ihrem „unschuldigen Mädchenblick“ gearbeitet, dass es eine Schande gewesen wäre, sich jetzt von ihm davon ablenken zu lassen. Ganz offensichtlich zog ihre Unterstellung. Zumindest brachte es den Lockenkopf endgültig dazu, sie lachend aus der luftigen Höhe zu befreien und ihren schmalen Körper langsam auf dem Boden abzusetzen. Dagegen wirkte ihre herausgestreckte Zunge fast schon übermäßig frech und kindlich.
Nur das darauf folgende verschmitzte Grinsen machte aus der Nordskov wieder die erwachsene, selbstbewusste Frau, die sie war. Wehrte sich nicht einmal gegen den zurecht weisenden Schlag und ging nahtlos dazu über, Liam provokativ in den Po zu kneifen, als er sich abwandte. “Alles andere hätte mich beim Prinzchen auch gewundert.“, murmelte sie mit einem schalkhaften Blick zu ihm hinauf und senkte ihre Lippen augenblicklich zu einem beschwichtigenden Kuss auf seine Schulter, ehe sie sich neben ihn stellte und selbst nach einem der Hemden griff. “Wie gut kennst du dich eigentlich mit Tinkturen aus?“ Es war als durchbräche ihre Stimme die angenehme Stille zwischen Ihnen, die nur kurzweilig, durch ein melodisches Summen bereichert worden war.
Sie spielte mit ihrer neugewonnenen Freiheit und schien sich nicht einmal wirklich bewusst, dass der fehlende Ehrenkodex eine Anspielung an ihre erste Begegnung gewesen war. Doch statt seine Drohung nun doch einfach wahr zu machen, sie wieder einzufangen und ein Deck höher einfach als Trevors Aufpasserin abzustellen, ließ er sie dieses Mal noch mit einem warnenden Blick und einem sachten Schlag mit dem Hemd davonkommen, ehe er sich wieder an die Arbeit machte. Doch auch dieses Mal bemühte sich die Nordskov um das ‚letzte Wort‘, kniff ihm gnadenlos in den Po, den er reflexartig zur Seite schob, als es bereits zu spät war. Ein fluchendes Zischen verließ seine Lippen, welches so gar nicht mit seinem amüsierten Gesichtsausdruck harmonierte. „Ich glaube, ich hetze Trevor heute Abend doch noch auf dich.“, zog er ob ihrer ungenierten Wiederholung mit schmalen Augen in Erwägung und ließ sich durch ihre Beschwichtigung zumindest davon abhalten, seine Rache sofort in die Tat umzusetzen. Das kindliche Gehabe zwischen ihnen legte sich allmählich. Sie beide nutzten ein paar der Hemden, um zu verschnaufen, ehe Skadi wieder zu sprechen begann und Liam aufmerksam den Kopf hinüberwandte. „Was meinst du? Diese Zaubermittel, die einem selbsternannte Hexen gegen jedes mögliche Problem andrehen wollen? Ganz egal, ob Zahnschmerzen, Herzlosigkeit oder Übergewicht?“, überlegte er und legte das nächste Hemd beiseite. „Hätte nicht gedacht, dass du dem etwas abgewinnen kannst.“ Erst einen Augenblick später erinnerte er sich daran, dass sich Skadi ziemlich bewandert gezeigt hatte, was Kräuter und Giftpflanzen anging. „Ah, du meinst Kräutermittelchen?“
Entweder ignorierte sie seine Anspielung auf ihre erste Begegnung gekonnt oder hatte es tatsächlich vergessen. Immerhin brachte der Lockenkopf nicht zum ersten Mal dergleichen zustande, das eher untypisch für die Jägerin war. Lockte verschollene Seiten an ihr zurück ans Tageslicht, die womöglich nicht einmal Enrique für existent hielt. War sie noch bis vor wenigen Monaten ein eher zurückgezogener, verschlossener und ernsthafter Charakter gewesen, der stets wirkte, als sagte und tat er nie etwas, ohne es innerlich mehrere Male zu diskutieren und abzuwägen, wandelte sich die Nordskov zu einem Kind der Unbekümmertheit. Ließ sich von der Situation treiben und verschwendete nicht einen überflüssigen Gedanken an Konsequenzen. Sie lebte. Etwas, das sich endlich wieder richtig und gut anfühlte. Mit Liam war sie wieder ganz sie selbst. Fühlte sich stark genug, um zu ihrer Entscheidungsfreude zurück zu finden. Damit klar zu kommen, dass sie viel in ihre Bindung zu Enrique investierte und womöglich nie selbiges zurück bekam. Stand zu ihrem Entschluss und würde sich von nichts und niemanden hinein reden lassen. Mit ihm war sie stark und selbstbewusst. Erhielt emotionalen Rückhalt, wenn sie ihn brauchte, ohne dass sie ihn wirklich hatte haben wollen. Doch je mehr Zeit sie mit dem Musiker verbrachte, desto bewusster wurde ihr, wie seine offene Art und sein zunehmendes, ernsthaftes Interesse an ihrer emotionalen Gesundheit sie aufbaute. Noch nie gehörte die Dunkelhaarige zu der besonders gefühlsduseligen Sorte Frau und machte die meisten ihrer Sorgen nur mit sich allein aus. Doch Liam verstand sich wie kein anderer darin ihre Zweifel und Bedenken aus ihr heraus zu kitzeln und sie ohne viel Brimborium aus der Dunkelheit zu vertreiben. Einfach nur indem er so war, wie er war. Unverfälscht, ehrlich und … zuckersüß. Mit einem kurzen Seitenblick bedachten die braunen Augen das bärtige Gesicht.
Schenkten ihm ein spitzbübischen Funkeln und tauchten in das amüsierte Gesamtbild ein, das die Nordskov schmunzelnd neben ihm innehalten ließ. Ihm sogar unmissverständlich, aber sanft für seinen Spruch in die Seite knuffte und abwertend schnaufte. “Herzlosigkeit und Übergewicht? Was bist du denn für ein Klatschweib?“ Natürlich wusste sie es besser, doch es entlockte ihr ein verkrampftes Magenziehen, wenn er die Kunst ihrer Großmutter auf solcherlei Schandflecke reduzierte. Da brachte es ihm nicht einmal mehr etwas, sich eines besseren zu entsinnen und den eigenen Fehler einzugestehen. Mit einem Kopfschüttel legte die Jüngere nun ihr gefaltetes Hemd an die Seite und schnalzte mit der Zunge. “Natürlich meine ich Kräutermittelchen… bei den Göttern… ich bin zwar der Meinung, dass es vieles gibt, von dem wir absolut keine Ahnung haben… aber dermaßen verblendet bin ich nicht.“ Nicht, dass Liam es angedeutet hätte, doch sie wollte hier einen Standpunkt vertreten. “Also… kennst du dich damit aus oder nicht?“ Mit hinauf gezogenen Augenbrauen, wandte sich der hoch gewachsene Körper auf den Zehenspitzen herum und führte in einer gleichsam fließenden Bewegung die Hände verschränkend vor ihre Brust. Lehnte kurz darauf mit der Hüfte an der Kiste und ließ das Gesicht des hübschen Lockenkopfes keine Sekunde aus den Augen.
So unernst, wie sie es nahm, hatte er es gar nicht gemeint. Hatte man sie noch nie in eines dieser aromatisierten, geheimnisvollen Zelte geleitet, um ihr mit derartigen Zaubermitteln den Weltfrieden zu versprechen? Liam erinnerte sich nur zu gut an all die Wahrsager und zwielichtige Gestalten, die einem damals Hilfe für seine Mutter versprochen hatten. War also nicht weiter verwunderlich, dass er nicht sonderlich viel davon hielt. Weder von Menschen, die die Zukunft vorhersagen wollten, noch von Liebes- und Heiltränken, die auf Zauberei basierten. „Hey!“, beschwerte er sich bei ihrer kleinen Rüge, ahnte aber, warum Skadi glaubte, dass er sie verdient hatte. Trotzdem war er auf eine gewisse Art und Weise erleichtert, als sie seine zweite Vermutung bestätigte und sich somit von derlei Wundertränken distanzierte. „Hätte ich auch nicht erwartet. Aber es beruhigt mich dennoch, es aus deinem Mund zu hören.“ Das konnte er ihr wirklich guten Gewissens versichern, ehe er kurz überlegte, dann aber langsam den Kopf schüttelte. „Nicht wirklich. Ein paar Sachen kennt man, aber vermutlich würde ich die Pflanzen dazu nicht einmal erkennen, wenn du sie mir unter die Nase reiben würdest.“ Da kannte er sich weitaus besser mit Tee aus, wobei er auch da eher der Trinker als der Kenner war. Lubaya hatte die Ahnung über Zubereitung und Wirkung gehabt.
Hätte sie nur im Ansatz erahnt, dass die Hintergründe dieses Zweifels tiefgründiger waren, hätte sie ihn wohl nach den Beweggründen gefragt. So empfand sie seine Worte nur als die übliche Reaktion auf jene Arbeit, die Generationen von Frauen ihrer Familie vorbehalten geblieben war und weitergetragen wurde. Ein mattes Lächeln zierte ihre Lippen, kaum dass Liam einlenkte und erneut betonte, dass es für sie in seinen Augen ein absolut unübliches Verhalten gewesen wäre. Gut für ihn, dass er offenbar gelernt hatte, sie in solchen Dingen einzuschätzen. “Gut… vielleicht ist es an der Zeit, dass du ein paar Grundlagen lernst… könnte dir für die Zukunft von Nutzen sein. Hättest du Lust?“ Und wieder wirkte die Nordskov entspannt und sorgenfrei. Lächelte offen und zufrieden mit sich und ihrer derzeitigen Gesellschaft.
Skadi war vieles, aber gewiss kein Träumer, der Gespenstern hinterherjagte. Sie erlaubte sich ein gewisses Maß an Kindlichkeit, wobei dem Lockenkopf allmählich bewusst wurde, dass sie das nicht jedem gegenüber tat. Ein Eindruck, der sich mit jedem Mal bestätigte, dass er sie beiläufig an Deck im Gespräch mit den anderen Crewmitgliedern sah. Aber er dachte sich nichts dabei, sondern schätzte einfach die Sorglosigkeit, die sie miteinander teilten. Ansonsten wirkte sie bodenständig und realistisch und sich der Grausamkeit der Welt durchaus bewusst. Musste ja nicht gleichsam bedeuten, dass man sich ihr ergab. Als sie ihm anbot, ihn im Thema Kräuterkunde ein wenig zu unterrichten, legte sich seine Stirn kurz überlegend in Falten, ehe er gleichzeitig mit den Schultern zuckte und nickte, während er das letzte Hemd auf den ungleich zusammengelegten Stapel warf. Man konnte deutlich erkennen, welche Skadi und welche er zusammengefaltet hatte… „Klar, warum nicht. Schaden kann’s sicher nicht.“ Mit einem bereitwilligen Lächeln wandte er sich dem zierlichen Antlitz der Nordskov zu. „Und eine bessere Lehrerin werde ich wohl kaum finden.“ Selbst, wenn es ihr abermals schmeichelte – und sich Liam der Wirkung seiner Worte durchaus bewusst war – sprach er sie aus Überzeugung aus, weil er sie ernst meinte. „Gregory wird sich vermutlich nicht beschweren, wenn wir ihm die Lumpen erst heute Abend bringen, oder?“
Ehrlich gesagt war es nicht nur für ihn selbst von Vorteil, sich zumindest etwas mit den bekanntesten Kräutern auszukennen. Denn insgeheim erhoffte sich die Nordskov, dass er dann im Fall der Fälle wenigstens die nötigen Vorkehrungen treffen oder sich zumindest von einer folgenschweren Vergiftung fern halten konnte. Immerhin würde ihn seine unbekümmerte Art nicht jedes Mal aus der Patsche helfen. Er war nicht Trevor, dessen Glückssträhne nicht nur unergründliche Ausmaße annahm, sondern obendrein noch für unbestimmte Zeit andauerte. Mit einem Nicken wandte sie sich also ihrem Wäschestapel zu und ignorierte das künstlerische Chaos, das Liam hinterlassen hatte. Die Hemden waren ohnehin mehr als Reserve denn als Garderobe für die feinen Herrschaften an Deck gedacht. Es kümmerte sie also herzlich wenig, ob eine ungewünschte Falte mehr oder weniger auf dem groben Stoff zurück blieb. Ganz davon abgesehen scherte es sie auch herzlich wenig. Ihre Arbeit hatten sie erledigt – in diesem Punkt der Lockenkopf sogar noch wesentlich besser, dessen Kompliment sie mit einem Lächeln und einem Zwinkern entgegnete und die flachen Hände unter den Stoffstapel schob, um ihn flink auf den Unterarmen zu balancieren. “Wir können es auch jetzt tun. Ich muss ohnehin an seinen Medizinschrank, um den Mörser, Alkohol und ein paar Flaschen zu holen.“ Skadi wirkte nicht, als hätte sie Probleme damit, sich an jemandes Vorrat zu bedienen. Was womöglich daran lag, dass sie sich lediglich den Mörser von Gregory auslieh und den Rest auf Milui nach ihren etlichen Streifzügen durch den Wald selbst organisier hatte. “Hoffentlich sind ein paar Kräuter an Deck beim Trocken heil geblieben. Sonst muss ich Trevor doch noch versohlen.“ Wieso auch immer es ihn traf, wenn man davon ausging, jemandes Unfug ausbaden zu müssen, konnte die Jüngere kaum beantworten. Presste nur tief einatmend die Lippen aufeinander, ehe sie sich abwandte und mitsamt Hemden die Treppenstufen hinauf marschierte.
Er hatte eigentlich keine Ahnung, was genau ihn nun erwartete. Nachdem sich seine Gedanken von der Vorstellung an Zaubertränke verabschiedet hatte, musste er unweigerlich an die Verbände denken, die man hier und da mit heilenden Kräutern auslegte, um die Heilung zu beschleunigen oder das Infektionsrisiko zu senken. Aber auch der Gedanke verflog, als die Nordskov ihm offenbarte, dass sie ohnehin noch Utensilien aus Gregorys Medizinschrank benötigte. Liam ließ sich nichts anmerken, nickte stattdessen bereitwillig mit einem „Ah, na dann bietet es sich wirklich an.“ Skadi trat mit den Hemden an ihm vorbei, während er die restlichen Lumpen aufsammelte und ihr folgte, sich dabei allerdings dabei erwischte, wirklich darüber nachzudenken, ein paar der Lumpen für „andere Zwecke“ beiseite zu schaffen. Erst lag sein Blick auf dem alten Stoff, dann an Skadis Silhouette, die ihm im Zusammenspiel mit seiner Überlegung ein unscheinbares, verschmitztes Lächeln auf die Züge zauberte. „Ach, das waren deine? Ich dachte, Rayon hätte sie ausgelegt, um uns kulinarisch etwas zu verwöhnen. Und die machst du klein und mischst sie zu Kräuterschnaps?“
Liam war unfassbar gut darin seine Abneigung gegen die Thematik “Mediziner” zu verbergen. Ergriff ohne Umschweife die Aussage der Nordskov und wandelte sie in seine eigenen um, ohne dass es ihr sonderlich auffiel. Statt sich also erneut zu ihm herum zu drehen und mit zusammengezogenen Augenbrauen nach dem Grund seiner „vermeintlichen“ Zögerung zu fragen, die es offensichtlich nicht gab, hüpfte die junge Frau die Treppenstufen empor. Schlich sie an den Hängematten vorbei und verstaute die Hemden in einer der Kisten und klatschte sich den Staub abreibend in die Hände. “Das meiste wäre wohl zu bitter, um es für Eintöpfe oder sonstiges zu verwenden.“ Und wiederum in großen Mengen auch zu giftig, um es in die Mahlzeiten der Crew zu mischen. Das hatte sie Rayon unmissverständlich klar gemacht, als sie sich einen sicheren Ort für ihre Kräuter gesucht und vor allem die Giftigen als optischen „Blumenstrauß“ mit ablenkenden Wildblumen zusammengebunden und zum Trocken aufgehängt hatte. Wenigstens konnte sie so sicher gehen, dass Trevor sich nicht unbedacht etwas davon in den Mund stopfte. Immer wieder erinnerte sie der Kerl ihren kleinen Bruder, der sich weder für Regeln noch Konsequenzen interessierte. “Aber wenn du es so ausdrücken möchtest… ist es irgendwie wie Kräuterschnaps. Nur konzentrierter und zum Teil auch… matschiger?“
Der dunkle Schopf lugte mit einem grübelndem Blick hinter einem der Pfeiler in Richtung des Lockenkopfes hervor. Hatte sich, noch während sie die Worte an Liam richtete, an Gregorys Medizinvorrat begeben und presste nun Mörser, Fläschchen und Utensilien schützend an ihre Brust. Zuckte angesichts ihrer wenig zutreffenden Umschreibung mit den Schultern. Die verschiedenen Konsistenzen ihrer Tinkturen ließen sich nur schwer in Worte fassen und lieber zeigte sie es Liam, bevor sie sich weiter darüber den Kopf zerbrach. Huschte in Windeseile an ihm vorbei auf’s Oberdeck hinauf und blendete fast schon in einem Mechanismus die verschiedenen Gestalten darauf aus. “Aber es wird definitiv nicht schaden, wenn der ein oder andere beim nächsten Landgang vorsorglich etwas dabei hat. Und das nicht nur, um schlimmere Infektionen zu vermeiden.“ Automatisch huschten die dunkeln Augen auf den hochgewachsenen Musiker in ihrem Rücken zurück. Ließ den eigenen schlanken Körper folgen, der sich noch im Lauf herum wandte und nun rückwärts weiter in Richtung der aufgehängten Kräuterbüschel marschierte.
Er lauschte aufmerksam und reckte verstehend das Kinn, als Skadi ihm offenbarte, dass sie Kräuter zu bitter für eine Mahlzeit waren. Und er versuchte, es sich zu merken, obschon er sich noch nicht sicher war, ob „Bitterkeit“ ein allgemeines Erkennungsmerkmal waren für... was auch immer. Essbare Kräuter waren genießbar, aber bittere Kräuter konnten unmöglich automatisch giftig sein, oder? Sonst würde man sich ja keinen Kräuterschnaps daraus mischen? Skadi verstaute die Hemden, während Liam nach einem Zettel kramte und der Jüngeren schließlich in Gregorys Reich folgte, das unbeobachtet auf den Wellen schaukelte. Gemeinsam mit einem kurzen Hinweis hinterließ er die Lumpen auf der Anrichte und trat dann an Skadis Seite, um ihr seine Arme zum Tragen zur Verfügung zu stellen. „Solange die Wirkung stimmt.“ ... machte die Konsistenz keinen großen Unterschied, wie er scherzhaft klarstellte. Neugierig begutachtete er all die Utensilien, die sie einsteckte und es dämmerte ihm, dass das Ganze wohl doch komplizierter war, als er bislang annahm. Liam runzelte die Stirn und blinzelte Skadi fragend entgegen. „... Wovon genau gehst du aus, was auf unserem nächsten Landgang passiert? “ Er schnaubte belustigt und folgte ihr bereitwillig zu den Kräutern, ohne groß auf das Treiben an Deck zu achten. In den Sträußen erkannte er vorerst nichts, was ihm irgendwie bekannt vor kam, sodass er es hätte benennen können. „Hast du all das von deiner Familie gelernt?“, fragte er schließlich mit leiser Ehrfurcht, als ihm die Artenvielfalt bewusst wurde, die Skadi dort aufgehängt hatte.
Zaghaft hatte sie einige der Fläschchen in Liams Arme gleiten lassen, bevor sie nach draußen getreten war und sich nun damit beschäftigte, die Sträußchen Stück für Stück aus ihrer Aufhängung zu lösen. “Meine Großmutter meinte immer, dass man auf ALLES vorbereitet sein sollte.“ Und die Nordskov wusste mittlerweile aus eigener Erfahrung, dass sie gut daran tat sich daran zu halten. Mochten es Prellungen oder tiefschürfendere Verletzungen sein – bei einer steigenden Anzahl an Problemfällen wie auf diesem Schiff war es fast schon mehr als eine reine Vorsichtsmaßnahme. “Und die Vergangenheit hat wohl deutlich gezeigt, dass wir sogar mit Toten rechnen müssen.“ Noch während die Worte über ihre Lippen huschen, wandte sich der Blick aus dunklen Augen ernst herum und fixierte den Lockenkopf, als müsse er begreifen, wie ernst ihre derzeitige Situation noch werden konnte und bereits war. Allem Spaß und er Heiterkeit von vor wenigen Minuten zum Trotz. Kaum dass er allerdings fortfuhr, legte sich wieder ein Lächeln auf ihre feinen Züge. Zwang die Nordskov nun in Richtung Schatten und ließ sich einige Meter neben einem der anderen nieder. Hörte doch nicht einmal dem Gespräch gegenüber zu, sondern wandte sich, nun im Schneidersitz verweilend, zu Liam hinauf. “Von meiner Großmutter… ja. Und so unheimlich wie sie manchmal war… ich bin froh, dass ich den Großteil nicht direkt wieder vergessen habe.“
Anfangs noch ruhte das ungläubige Lächeln auf seinen Zügen, ehe es mit einem Mal erstarb. Sein Blick wurde ernst, als sich auch Skadi bedeutungsschwer zu ihm herumdrehte und auf Cornelis anspielte. Liam seufzte nachgiebig und schwieg, was deutlich offenbarte, dass er sich von ihrer Vorsicht geschlagen gab. Cornelis‘ Tod war leider ein Todschlagargument, gegen das er nicht ankommen konnte - und wollte. In einer Ecke des Decks kamen sie zum Stehen. Liam ließ die Fläschchen vorsichtig auf das Holz gleiten, ehe er sich selbst Skadi gegenüber in einen Schneidersitz gleiten ließ. „Wow.“, beteuerte er. „Ich glaube, ich habe davon bewusst noch nie irgendeines gesehen. Wirken die alle gleich?“
Obwohl sie selbst Schuld an diesem Ausdruck trug, war es befremdlich Liam mit solch einer Miene zu sehen. Es machte ihn schlagartig erwachsen und herb. Nichts, dass ihr sonderlich missfiel, doch passte es so gar nicht zu dem sonnigen Gemüt, das tagtägliche seine Miene überzog. Als hätte sie ihn schlagartig zu einem verbitterten Mann gemacht. Widerlich. Mit einem tiefen Atemzug quittierte sie seine stillschweigende Akzeptanz und ließ sich wenige Meter weiter auf dem Boden nieder. Schüttelte vorläufig den Kopf als Antwort auf seine Frage und löste behände den Knoten aus einem der Sträuße. “Nein. Die einen desinfizieren, die anderen senken Fieber und wiederum andere…“ Sie hob einen eher unscheinbaren Halm mit leuchtenden Blüten vor ihr Gesicht, der unter dem Busch aus Wildblumen kaum aufgefallen war.. Drehte ihn behutsam zwischen den Fingerspitzen und sah dann aufmerksam zu Liam hinüber. “… lassen die Lungen deiner Gegner in nur wenigen Minuten kollabieren.“ Ohne es aktiv zu kontrollieren sackte die Lautstärke ihrer Stimme hinab und glich beinahe einem Flüstern. Sie wusste wie er zum Thema „töten“ stand und stellte sich just auf eine abwertende Haltung ein.
Er bildete sich gewiss nicht ein, sich wirklich viel von diesem Exkurs behalten zu können, den Skadi nun startete. Versuchen würde er es dennoch, selbst wenn es nur grobe Kleinigkeiten waren, die sich sein Gedächtnis merken konnte. Davon abgesehen, dass es ihm auch einfach Spaß machte, ihr zuzuhören. Wie vielfältig die Wirkung von Kräutern sein konnte, schien er nämlich bislang unterschätzt zu haben. Dass sie desinfizierend oder heilend wirkten, wusste er. Andere halfen, Übelkeit zu bekämpfen, beruhigten den Magen oder wirkten auf ähnliche, diffuse Arten gegen kleinere körperliche Leiden – wenn man sie zu Tee mischte jedenfalls. Aber Tinkturen würden kaum anders wirken, oder? Liams Blick folgte ihrer Bewegung und blieb schlussendlich an dem kleinen Gewächs zwischen ihren Fingern hängen, das sie ihm vor die Augen hob. Ungläubig sah er erst das Kraut an und spähte dann an dem Halm vorbei in das dahinterliegende Gesicht der Jägerin. „… Und wirklich?“ Er ging tatsächlich davon aus, dass sie ihn gerade auf den Arm nahm. Etwas, was derart einfach zum Tod führen konnte, würde wohl kaum so unscheinbar und harmlos in der Natur wachsen, oder? Trotzdem war er sich nicht wirklich sicher, ob er richtig lag und vermied es, ihr den Halm aus den Fingern zu nehmen, um ihn sich genauer anzusehen. Er fühlte sich eigenartig unerfahren.
Mit zusammengezogenen Augenbrauen registrierte Skadi, dass Liams Nachfrage absolut ernst gemeint war. Hatte sie sich falsch ausgedrückt oder ein Lächeln aufgesetzt, ohne dass es ihr aufgefallen war? Da sie es nicht mit Sicherheit sagen konnte, sog sie energisch Luft in ihre Lungen und verzog einen Sekundenbruchteil lang die vollen Lippen. “Eingenommen oder als Tinktur auf den Schneidflächen eines Dolchs oder einer Pfeilspitze vergiftet es deinen Angreifer. Das meine ich ernst.“ Erneut blinzelte die Nordskov skeptisch und ließ dann den Halm einige Zentimeter sinken. “Also tu mir den Gefallen und lass die Finger vorerst davon.“ Zwar hatte sie die notwendigen Kräuter für ein Gegenmittel vor Ort, doch es würde zu lang brauchen, um alles wirkungsvoll aufzubereiten und ihm rechtzeitig zu verabreichen.
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Crewmitglied der Sphinx
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#6
Eigentlich wäre ihre Miene Antwort genug gewesen. Eine Antwort, die Liam nach wie vor nicht wirklich glauben konnte, die aber mehr als endgültig klang, als sie sie wiederholte. Sein Blick löste sich von ihren ernsten Zügen und heftete sich abermals auf die leuchtenden Blüten, die er sich einzuprägen versuchte. Ihn beschlich das leise Gefühl, dass er nicht ganz so leichtfüßig losgezogen wäre, hätte sie ihn nach ihrem kleinen Exkurs auf einen kleinen Spaziergang eingeladen. In einer deutlichen Geste hob der Lockenkopf die Handflächen nach oben und verschränkte die Finger schließlich in seinem Schoß. „Ich fasse nichts an ohne deine explizite Erlaubnis.“ Wer wusste, was sie noch für Todesfallen zwischen den anderen Pflanzen versteckt hatte. „Als erste Übung würde mir sowieso etwas einfaches reichen.“ Er nickte überzeugt von seinem Vorschlag und blickte wieder in die dunklen Augen vor ihm, ehe er fortfuhr. „Einfach und… weniger tödlich. Baldrian vielleicht?“
“Damit kann ich leben.“ Mit einem sanften Lächlen auf den vollen Lippen verschwand der Blütenstängel in einer kleinen Holzschatulle, die geöffnet und leer neben ihr lag. Und ganz als wollte sie Liam nach ihrer fast schon verheißungsvollen Offenbarung beschwichtigen, griff sie nach einem Büschel getrockneter Kamille und reichte sie ihm. “Kamille… kennst du sicherlich. Ideal um bei einer Erstversorgung das Infektionsrisiko zu mindern. Sie mag zwar kein Wundermittel sein, aber immer noch angenehmer als reiner Alkohol.“ Demonstrativ fischte sie eines der nebenstehenden Fläschchen aus dem Holzkasten und deutete mit dem Zeigefinger auf die braun getrübte Flüssigkeit darin. “So sieht es aus, wenn man die Blüten für mehrere Wochen in Alkohol ziehen lässt. Jetzt müssen wir alles nur noch mit feinem Stoff filtern, während wir die fertige Tinktur in eine neue Flasche umfüllen.“
Er glaubte Skadi. Und trotzdem fiel es ihm unheimlich schwer, einer solch kleinen Pflanze eine derart katastrophale Wirkung zuzusprechen. Aber er war nicht sonderlich erpicht darauf, die Wahrheit herauszufinden, wenn die Nordskov ihn derart davor warnte. Ihm war es also nur recht, als das Lungengras in der Schatulle verschwand und somit außer seiner Reichweite war. Der Strauch mit weißen Blüten, den Skadi ihm schließlich reichte, war ihm gleich viel sympathischer. Zwar kein Baldrian, aber durchaus damit zu vergleichen, wie er fand. Mit erhellter Miene nahm er den Blumenstrauß entgegen. „Ah, ja. Damit kann wohl kaum was schief gehen.“ Kurz hob er sich die Blumen vors Gesicht, begutachtete sie und schnupperte kurz daran, ehe Skadi seine Aufmerksamkeit auf eines der Fläschchen zog. „Okay. Klingt machbar.“ Zuversichtlich ließ er die Kamille vor seinem Gesicht sinken. „Hast du dir irgendwo aufgeschrieben, wie welche Pflanze wirkt oder hast du das tatsächlich alles im Kopf?“
Hatte sie es doch gewusst. Kaum war das Thema auf eine Pflanze mit weniger tödlicher Wirkung gefallen, hellte sich die Miene des Älteren auf und entlockte ihr selbst einen amüsierten Gesichtsausdruck. “Eine Lektion für’s Leben… die Dosis macht das Gift. Zu viel Kamille und deine Haut schuppt sich wie bei einem Sonnenbrand und juckt.“ Zwar trat dieses Phänomen am schnellsten und häufigsten bei Mensch auf, die ohnehin mit trockenen Stellen zu kämpfen hatten, doch Skadi legte nicht die Hand dafür ins Feuer, dass es nicht auch bei einer zu langen und intensiven Anwendung bei normaler Haut der Fall war. Dennoch schenkte sie ihm ein breites Lächeln, kaum dass er die Flasche in Augenschein nahm und reichte sie ihm kurz darauf ebenso ungefragt wie Kamille. Kramte bereits nach dem Seidentuch, das irgendwo in der Holzkiste deponiert sein musste. “Das meiste habe ich tatsächlich im Kopf. Aber wenn man so früh damit anfängt, fällt es einem schon fast schwerer all das zu vergessen, als es sich zu merken.“ Allein weil ihre Großmutter stets einen Weg gefunden hatte, alles für die Ewigkeit im Kopf ihrer Enkelin zu konservieren. Mit schwer erkrankten Patienten und verstörenden Zeichnungen in ihrem Notizbuch. “Wenn es dich interessiert habe ich noch eines der alten Notizbücher in meiner Kiste. Leider das einzige, dass ich retten konnte.“ Und fast schien es, als überzog ein trüber Schatten ihre Miene.
Alles konnte in Übermaßen ungesund sein. Wirklich alles. Liam entgegnete ein gutgelauntes Lächeln auf Skadis Lektion, ehe er unbeeindruckt abwinkte, um zu verdeutlichen, dass er mit Kamillen-Sonnenbrand gut leben konnte. „Ach, Jucken tut‘s auch nach Brennnesseln. Das hat mich auch noch nie umgebracht.“ Das Fäschchen mit der braunen Flüssigkeit und den eingelegten Blüten nahm er mit der Linken entgegen, während er den Strauß nun gänzlich auf die Holzdielen sinken ließ. Ein kurzer Blick galt Skadi, die bereits etwas Neues aus ihrer Holzschatulle zaubern wollte, bis er die Finger an den Korken des Fläschchens hob und - wie vorher vereinbart - kurz abwartete, ob ein Verbot folgte. Dann löste er ihn kurzerhand, ging sicher, dass das Fläschchen nicht direkt in die Luft ging und hob es vorsichtig Näher an sein Gesicht herab, so dass ihm der penetrante Geruch von Alkohol in die Nase stieg. Nichts, was er wirklich unangenehm empfand, selbst wenn es etwas in der Nase zwickte. Bei ihrem Angebot ließ er das Fläschchen erstaunt sinken und musste nicht lange überlegen. „Wenn du es mir ausleihen würdest, gerne.“ Nicht nur, weil er es spannend fand, alte Notizen durchzublättern, sondern auch, weil er sich vielleicht ein paar kleine Anhaltspunkte zu Skadi und ihren Geheimnissen erhoffte. Gleichzeitig griff er nach einem der leeren Fläschchen, verkeilte das offene recht stabil zwischen Bein und Fußgelenk und öffnete das zweite, um es mit dem Seidentuch zu filtrieren, das Skadi aus ihren Utensilien kramte.
Zu gern hätte sie seine beschwichtigende und unbekümmerte Haltung mit ein paar Tinkturen auf die Probe gestellt. Wollte sehen wie viel der Lockenkopf tatsächlich vertrug oder ob er - was sie noch weniger glaubte - einknickte wie ein kleines Weichei. War sich jedoch im selben Momenten ebenso im Klaren darüber, dass sich der junge Casey diese Blöße nicht geben würde und es irgendwie auch nicht in ihrem Interesse war, ihn eines besseren belehren zu wollen. Das hier war immerhin kein Wettstreit. Ihr war daran gelegen, sich mit der Arbeit von ihren Hummeln im Hintern abzulenken und dem Lockenkopf obendrein mehr in die Welt der Kräuter und natürlichen Ressourcen einzuführen. Und dass ihr nett gemeintes Angebot den Musiker auf einen Gedanken brachte, der ihr ohne Frage missfallen hätte, kam ihr nicht einmal ansatzweise in den Sinn, kaum dass sie das Seidentuch in seine Hand legte. Ob es ihr jemals selbst aufgefallen war, dass sie um ihre Vergangenheit noch immer ein Geheimnis machte? Nun, mittlerweile wusste der hoch gewachsene Mann mehr über sie, als ihr lieb war. Doch nach all den Wochen und intensiven Gesprächen, fühlte es sich zunehmend weniger befremdlich an, laut auszusprechen, was ihr durch den Kopf ging. Vielleicht vermied sie bestimme Themen bewusst und war froh darüber, dass Liam selbst nicht auf sie zu sprechen kam. Allerdings sähe sie im aktuellen Vertrauensverhältnis keinen Grund, ihm irgendetwas verheimlichen zu müssen. Zumindest nicht wenn es sich um Belanglosigkeiten handelte, die ihn weder in dunkle Abgründe oder eine Mittäterschaft hinein zogen. “Habt ihr eure Medizin nie zu Hause allein angerührt?“ Minuten waren vergangen in denen Skadi eine weitere Fuhre Kräuter und Blüten knirschend im Mörser zermahlen hatte. Blickte nur kurz auf, um eines ihrer Beine auszustrecken und sich mit erhobener Hand eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu wischen.
Die Idee hinter dem Notizbuch war unbewusst und dennoch existent. Alte Aufzeichnungen bargen immer Spannung und mögliche Anhaltspunkte, die sich für neue Geschichten wunderbar nutzen ließen. Es vereinfachte die Recherche und machte die Geschichte lebendiger, wirklicher, fließender. Gleichzeitig aber erzählten sie auch ganz eigene Geschichten. Geschichten, die der Musiker so oder so in sich aufsaugen würde. Dass sie sich aber womöglich um eine kleine Skadi drehten, die für ihr Überleben lernte, reizte ihn. Er nahm das Tuch entgegen und stülpte es über die Öffnung der leeren Flasche und drückte den Stoff mit zwei Fingern hinein, bis nur noch der Rand oben überstand. Skadi hatte indes begonnen, neue Kräuter im Mörser zu zerkleinern, während Liam vorsichtig den Inhalt der Kamille-Flasche in das Tuch hineingoss und beobachte, wie er langsam hindurch sickerte. „Nein, nie.“, entgegnete er ohne zu zögern. „Aber ich habe auch ehrlich gesagt nie eine große Wirkung festgestellt.“ Seine Erfahrungen beliefen sich allerdings auch auf einen unheilbaren Fluch, an dessen Ausgang nichts hätte vorbeiführen können. Liam klang weder verbittert noch abwertend. Sachlich eher, aber bereit, sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. „Allerdings hat es mich meistens auch eher interessiert, was man essen kann und was nicht.“ Keine Sekunde später schlich sich auch schon wieder das kindliche Grinsen auf sein Gesicht, als er mit gesenktem Kopf nach zu Skadi spähte. „Schlehen beispielsweise. Oder Mispeln.“ Also Dinge, über die man eher unwissentlich stolperte. Einen Apfel oder eine Pflaume erkannte er dann doch ganz gut.
Etwas skeptisch zogen sich die dichten Brauen zusammen. Unsicher darüber, ob Liam bereits mit Krankheiten in Berührung gekommen war, die sich weder mit Tinkturen noch Tees in den Griff bekommen ließen oder er und seine Familie Opfer eines Quacksalbers geworden war. Mit einem kurzen Brummen nahm sie die Worte des Caseys jedoch kommentarlos entgegen und senkte den Blick auf die schimmernde Paste im Mörser. Unterdrückte sogar – selbst von sich überrascht – den ersten Impuls seiner Aussage nachzufühlen und war insgeheim froh, dass er das Thema eigenständig fallen ließ und sich auf etwas fokussierte, das Skadi mit einem amüsierten Schnauben und skeptisch, irritieren Gesichtsausdruck erneut in das formschöne Gesicht gegenüber blicken ließ. Mit erhobenen Augenbrauen und einem deutlichen Schmunzeln in den Mundwinkeln schüttelte die Jägerin den dunklen Haarschopf. “Ich bin gerade ziemlich froh, dass es dich nie in unsere Region verschlagen hat… ich glaube bei deiner Experimentierfreudigkeit wärst du nicht nur benebelt, sondern bereits Teil der Natur.“ Und es war ziemlich eindeutig, was genau sie damit meinte.
Der skeptische Ausdruck auf ihren Zügen entging ihm, weil er damit beschäftigt war, die Flüssigkeit in das neue Medizinfläschchen zu klären. Erst, als er zu ihr hinüberschielte und das Thema eher unbewusst wieder in eine andere Richtung lenkte, nahm er die Skepsis in ihrem Blick wahr, das Amüsement über einen Gedanken, den sie ihm nicht vorenthielt. Im ersten Moment ließ der Lockenkopf den Blick wieder auf das Fläschchen sinken, kein bisschen überrascht über ihre Vorstellung. „Pff. Ich bin nicht herumgelaufen, um mir alles in den Mund zu stecken, was ich irgendwo von einem Baum oder Strauch pflücken konnte.“, gab er selbstgerecht und erheitert zurück und schwieg einen Herzschlag lang. Dann räusperte er sich, um ein wenig kleinlauter fortzufahren. „Nicht immer jedenfalls.“ Er war eben doch eine ehrliche Haut und konnte nicht leugnen, dass Skadi ihn diesbezüglich nicht ganz so falsch eingeschätzt hatte, wie es ihm lieb gewesen wäre. „Ich habe also entweder mehr Glück als Verstand gehabt… Oder einfach einen Pferdemagen.“
Liam versuchte ernsthaft die angedeutete Leichtsinnigkeit von sich abzustreifen, die Skadi ihm so liebevoll über half. Doch seine Widerworte weckten in ihr nur das Bedürfnis mit einem Auflachen zu korrigieren, dass er gewiss neugierig genug war, um Dinge auszuprobieren, ohne sich der Konsequenzen bewusst zu sein – oder es gar sein zu wollen. Ganz offensichtlich hatte sie mit ihren Worten sogar ins Schwarze getroffen, wenn sie sich den Tonus seiner Stimme ins Gedächtnis zurück rief, während sie stark an sich halten musste, nicht aufzulachen. Stattdessen kippte der schwarze Haarschopf einige Millimeter zur Seite und schenkte Liam ein derart schalkhaftes Grinsen, dass es ohne Probleme ihr heiteres Gelächter ersetzte. ‚Hab ich’s mir doch gedacht.‘ Strahlte dieses Gesicht aus, das nicht mehr dazu überging die Paste aus Kräutern und Blüten zu mustern. “Wahrscheinlich war es auch noch die Kombination aus beidem. Ich hätte mit dir also ein potentielles Versuchskaninchen…“ Wie ernst sie ihre Worte meinte, wusste Skadi selbst nicht so genau. Zum einen ganz sicher, um ihn ein wenig aufzuziehen. Zum anderen würde es über kurz oder lang jemanden brauchen, der neue Rezepturen testen musste. Und solange sie auf See waren, konnte sie es weder an Fremden noch pausenlos an sich selbst ausprobieren. Vielleicht bekam sie aber auch Trevor dazu.
Er war zweifellos nicht der geheimnisvollste Mensch. Er war leicht zu durchschauen, berechenbar und zudem ein ziemlich schlechter Lügner. Hätte er also ernsthaft versucht, Skadi davon zu überzeugen, dass ihr Eindruck kein bisschen der Wahrheit entsprach – sein Versuch wäre gescheitert. Aber er hatte kein Problem damit, der zu sein, der er war. Und er hatte kein Problem damit, dass die Nordskov vor ihm ihn mehr und mehr zu lesen lernte. Das triumphierende, schalkhafte Grinsen, welches ihm nun entgegen strahlte, entgegnete er möglichst neutral mit einem Hauch von unernster, fehlender Begeisterung, während er die nun leere Flasche zur Seite stellte ohne hinzusehen und ihr ihren Triumph schließlich ohne Gegenwehr ließ. Stattdessen senkte er den Blick wieder, löste das Tuch mit den eingelegten Blüten nun vorsichtig aus dem Flaschenhals und drückte es zusammen, um auch die restliche Flüssigkeit in das Gefäß zu tröpfeln. Bei Skadis Vorschlag allerdings hoben sich seine Augen wieder schlagartig. Die Falten auf seiner Stirn zeigten deutlich, dass er sich noch nicht ganz sicher war, was er davon halten sollte – andererseits hatte er bislang keinen Grund, der Kurzhaarigen ernsthaft zu misstrauen. Schweigend hob er das Fläschchen mit der Tinktur vor sein Gesicht, bewegte es in leichten Kreisen und sah der Mixtur dabei zu, wie sie der Bewegung willenlos folgte. „… Was soll schon schief gehen.“, beschloss er schließlich und das Grinsen kehrte sorglos zurück auf seine Züge. Zum Glück hatte er die Sache mit den kollabierenden Lungen längst wieder vergessen. „Heißt, dass du dich nicht nur an Rezepte hältst?“
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#7
Liam ließ sich kaum von ihrem breiten Grinsen beeindrucken. Zumindest gab er sich oberflächlich die beste Mühe und hinterließ den sanften Rest eines Lächelns auf ihren Lippen, als er sich seiner Arbeit widmete. Wirkte immer noch vollkommen geschäftig, als die Dunkelhaarige dazu übergegangen war, ihm seine Fähigkeiten als Versuchskaninchen auszusprechen, nur um dann mit einer Reaktion aufzuwarten, die Skadi verdutzt die Augenbrauen zusammenfahren ließ. Gleich einem Spiegelbild Liams, dessen Miene noch eben bei ihren Worten ähnlich verrückt gewirkt haben mussten. Je mehr der Lockenkopf zu seinem Grinsen zurück fand, desto dichter zogen sich die vollen Brauen zusammen und trieben eine dunkle Furche in die braun gebrannte Haut. Das konnte doch jetzt nicht wirklich sein Ernst sein? "Vertraust du mir ernsthaft schon so blind oder sind dir die möglichen Konsequenzen einfach egal?" Ihre Worte klangen ernster als beabsichtigt. Und erst einen Herzschlag zu spät realisierte sie, dass der Musiker bereits eine Frage in den Raum gestellt hatte, dessen Beantwortung sie ihm noch schuldig blieb. "Wir Menschen entwickeln uns weiter... was damals vielleicht gut war und dich vor einer Infektion bewahrt hat, kann heute nicht einmal mehr deinen Schnupfen lindern. Also jain. Ich verbessere... und manchmal entdeckt man dabei eine ganze neue Wirkungsweise."
Was auch immer es war, was ihm beim Anblick des gefilterten Alkohols durch den Kopf ging – es war einnehmend genug, um seine Gedanken vorerst in seinen Bann zu ziehen. Umso überraschender war der ernste Tonfall, den Skadi plötzlich anstimmte, um ihn unsanft aus seinem Entschluss zu reißen. Langsam ließ Liam das Gläschen sinken und erwiderte ihren Blick mit einem Ausdruck, der vielleicht ein bisschen an ein Kind erinnerte, das nach dem suchte, was es falsch gemacht hatte. „Du hast mir noch keinen Grund gegeben, es nicht zu tun.“, erinnerte er sie vorsichtig. Nun war es wieder seine Stirn, die sich nachdenklich in Falten legte, als würde er überlegen, ob er es vielleicht einfach nur nicht bemerkt hatte. „Außerdem schätze ich dich so ein, dass dir das zu einfach ging. Du bist nicht der Typ Mensch, der Kindern die Süßigkeiten klaut.“ Ähnlich einfach wäre es ihr nämlich vermutlich ergangen, wenn sie wirklich in Erwägung zog, ihn scharmlos zu vergiften. „Und würdest du einfach etwas davon in die liebevollen Rationen mischen, mit denen du dich um mein leibliches Wohl kümmerst, würdest du gleichzeitig auch noch Shanaya erwischen. Zwei auf einen Streich also.“, führte er seine Überlegung weiter aus und hob bei Erwähnung einer ihrer Tinkturen dementsprechend das Fläschchen zwischen seinen Fingern wieder in ihr Blickfeld. „Hättest du also vor, mir etwas anzutun, hättest du es vermutlich längst getan. Möglichkeiten dazu gab es zur Genüge.“ Eigentlich unheimlich, wie einfach Skadi ihn jederzeit hätte aus dem Weg räumen können. „Also gehe ich mittlerweile einfach naiv davon aus, dass ich dir ans Herz gewachsen bin.“
Sie verunsicherte ihn schlagartig. Trieb ihm eine Wagenladung Skepsis auf die feinen Züge. Doch seine Überzeugung schien unumstößlich. Jedes seiner Worte drückte es ihr deutlicher gegen die Brust und entspannte die jeden Muskeln ihres Gesichts. Mit einem knappen Nicken bestätigte sie Liams Einschätzung wortlos und kramte beiläufig nach einem kleinen Metalldöschen im Holzkasten. Sie hätte keine Skrupel jemanden zu töten – doch weder hier auf diesem Schiff, noch jemanden von der Besatzung. Ihren Hass verdienten nur jene Menschen, denen ein unbeschwertes Leben auf dieser Erde vergönnt war. Deren Taten schmerzhafte Furchen in die Leben anderer zogen und nichts mehr verdienten, als langwierige Qualen und Folter. Ob Skadi jemals dabei eine gewisse Form der Genugtuung verspürte? Nun, sie würde sich definitiv nicht gänzlich davon frei sprechen können. Doch selbst das rückte urplötzlich in den Hintergrund, als Liam fortfuhr und etwas aussprach, das ihr Herz schmerzhaft gegen ihren Kehlkopf schnellen ließ. Für einen kurzen Sekundenbruchteil huschten die dunklen Augen zur Seite. Erfassten den Lockenkopf und musterten ihn wortlos. Schlagartig fühlte sie sich unwohl, beinahe wie ertappt. Schnaubte nur unter dem drückenden Gefühl, das wie ein Elefant auf ihrer Brust saß und begann damit, die Paste aus dem Mörser in das Döschchen zu füllen. “Wachsen einem nicht nur Kinder und Tiere ans Herz?“ Jede Silbe fühlte sich wie Säure auf ihrer Zunge an und kippte ihre Stimme auf den letzten Metern. Nicht einmal das verlegene Räuspern rettete die Nordskov nun aus dieser Situation. Sie hatte sich gerade tief in die Scheiße geritten. Und das wusste sie.
Was auch immer sie hatte hören wollen – das, was er sagte, schien es offensichtlich nicht zu sein. Nicht einmal das knappe Nicken ihrerseits brachte ihn von diesem Gedanken ab. Dabei war sie es doch gewesen, die ihm vor einer Stunde etwa noch versichert hatte, dass er sich glücklich schätzen konnte, wenn er mit ihr im Wald verloren ging, weil sie an seinem Überleben interessiert war. Skadi schwieg, kramte abermals in ihrer Schatulle, wirkte aber nicht so, als wäre sie vollends bei der Sache. Und was auch immer sein Plan gewesen war – besser machte er es nicht. Jetzt waren es seine Augenbrauen, die sich zusammenzogen. Unscheinbar bloß, doch als eindeutiges Zeichen, dass er nicht so recht einzuschätzen wusste, woran genau die Nordskov sich nun störte. „Das klingt fast, als wäre es etwas Schlechtes.“, bemerkte er mit einer Mischung aus Unschlüssigkeit und Belustigung. Er konnte Zuneigung nichts Schlechtes abgewinnen. Und sie waren auch längst keine Kinder mehr, unter denen ‚Zuneigung‘ bedeutete, dass man den Rest seines Lebens miteinander verbringen wollte. Es bedeutete einfach, dass man gerne Zeit miteinander verbrachte, mehr nicht. Skadis Scheu überraschte ihn und hinterließ ein unangenehmes Gefühl in seiner Magengegend, auf das er nicht weiter einging. Manchmal musste er sich einfach noch daran gewöhnen, dass es nicht jedem so leicht fiel wie ihm, Dinge einfach zu nehmen, wie sie waren. Schließlich griff er zu einem der Korken und versiegelte damit das Fläschchen zwischen seinen Fingern, um es kurzerhand herüberzureichen. „Fertig. Hast du noch etwas vorbereitet?“, fragte er und blickte ihr wieder mit einem Lächeln entgegen, als wäre nichts gewesen. In seinem Kopf kreiste allerdings noch immer die Überlegung, ob sie enttäuscht darüber war, dass er ihr nicht die Bereitschaft unterstellte, ihn aus dem Weg zu räumen. Welch absurder Gedanke.
Das Pochen an ihrer Schläfe wurde zunehmend energischer, je länger sie damit zubrachte die Paste mit einem lauten Schmatzen in die Dose zu verfrachten. Und Liams Worte machten es nicht viel besser. Skadi wusste, dass ihr gut daran gelegen war nicht zu ihm aufzusehen und sich dem Blick auszusetzen, der auf sie wartete. Natürlich war ihr klar, dass sie ihn schützen würde, sollte es notwendig sein. Und auch, dass sie ihm versprochen hatte – ob ernst gemeint oder nicht – auf sein leibliches Wohl zu achten. Doch es ging ihr einfach nicht in den Kopf, wie sich jemand, der sie nur so kurz kannte, bereit war ein Risiko für sie einzugehen. Es wurmte sie. So sehr, dass sie die offensichtliche Wahrheit, die er just aussprach noch weniger vertrug, als ihren letzten intensiven Blickkontakt etliche Abende zuvor. Und der Kloß in ihrem Hals verfestigte sich noch mehr mit jedem Wort, das er ihrer Aussagen entgegensetzte. Klang er etwa enttäuscht?  Erkannte sie unter all der Belustigung und Irritation den Hauch von Enttäuschung. Ein Seufzen glitt über die vollen Lippen. Die schweren Augenlider gestatten sich für einen Moment hinab zu rutschen und die helle Welt in Dunkelheit zu tauchen. Skadi sah erst wieder auf als Liam ihr das Fläschchen überreichte. Doch statt es wortlos in die Hand zu nehmen und in der Holzkiste zu verstauen, starrten die braunen Augen zu ihm hinüber. Musterten jeden Winkel seiner Züge und hielten letztlich in den warmen Iriden, die versucht fröhlich sein Lächeln verstärkten. “Jemanden vom ganzen Herzen zu mögen ist nichts schlimmes… aber es macht unweigerlich verletzbar.“ Sie sprach es so leise und vorsichtig aus, ganz als wollte sie nicht, dass jemand ihre Unterhaltung belauschte. Ging dann dazu über sich mit einem schweren Seufzen abzuwenden und weitere Flasche mit eingelegten Blüten hervorzuholen.  “Ich muss für dich jetzt klingen wie ein Eisblock.“, gab sie kleinlaut zu, überreichte Liam seine neue Aufgabe und wischte sich mit dem Handrücken übers Gesicht. “Aber ja… du wärst der letzte, dem ich mutwillig Schaden zufügen wollte.“  
Es war wirklich nicht schwer, zu erkennen, wie unwohl sich die Jüngere gerade in ihrer Haut fühlte. Liam war ernsthaft überrascht, wie sensibel sie auf seine banal gemeinte Einschätzung reagierte. Er hatte sie mit Sicherheit auf nichts festnageln wollen, aber Skadi schien dem ganzen weitaus mehr Bedeutung zuzuschreiben als eigentlich beabsichtigt. Er beließ es bei seiner knappen Entgegnung und verkorkte sorgfältig das Fläschchen zwischen seinen Fingern. Welchen Nerv er auch immer getroffen hatte – ausnahmsweise hatte er es bemerkt und konnte nun guten Gewissens um das Fettnäpfchen herumschiffen, statt wie sonst geradewegs darauf zuzusteuern. Es einfach totzuschweigen war vielleicht nicht die eleganteste Lösung, aber zumindest eine, die meistens funktionierte. Als Liam ihr das Gläschen entgegenhielt, die Nordskov allerdings keinerlei Anstalten machte, es entgegenzunehmen, verblasse das gutgemeine Lächeln auf seinem Gesicht wieder etwas. Für sie schien das Thema noch nicht ganz so beendet, wie Liam es erklärt hatte und was sie sagte, hätte ihm fast ein erstauntes, geräuschvolles Seufzen entlockt. Verletzbarkeit, natürlich. Der Grund, weshalb es so viele Menschen vorzogen, einsam und allein durch die Geschichte zu ziehen. Eigentlich hätte er ein derartiges Zitat eher in Shanayas Schublade gesteckt. Bei ihr hätte er sich das Seufzen allerdings nicht verkniffen. „Ich weiß schon, was du meinst.“, entgegnete er, während sich langsam wieder ein unscheinbares, aber ehrliches Lächeln auf seine Lippen stahl. Ihre Einstellung hörte er nicht zum ersten Mal. Und bloß, weil er die Sache ein bisschen anders handhabte, musste er es ihr noch lange nicht auf die Nase binden. Sie alle regelten ihre Angelegenheiten so, wie sie am besten damit zurecht kamen. Skadi, indem sie sich emotional auf Abstand hielt. Liam, indem er aus all den Freundschaften Kraft und Motivation zog, nach vorne zu blicken.
Schweigend nahm er das neue Fläschchen entgegen und wollte sich gerade die Blüten darin genauer ansehen, als die Nordskov leise fortfuhr, als befürchtete sie, irgendjemand auf diesem Schiff würde sich für ihr Gespräch interessieren. Das Lächeln auf seinen Zügen wurde einen Hauch deutlicher, selbst wenn er das Gefühl nicht los wurde, eine derartige Aussage unwillentlich erzwungen zu haben. „Danke.“ War es das erste Mal, dass er eines ihrer Komplimente derart leicht entgegen nehmen konnte, ohne es bescheiden herunterspielen zu wollen? Vielleicht, weil ihm aufgefallen war, wie schwer sie sich damit getan hatte. „Ich weiß das zu schätzen.“, fuhr er fort, weil er es nicht einfach so knapp stehen lassen wollte, wollte das Thema nun aber wirklich ruhen lassen. Er besah sich nun wirklich die Blüten, die im Alkohol trieben. Ebenfalls Kamille, wenn er sich nicht täuschte, aber die Hand hätte er nicht dafür ins Feuer gelegt. Schließlich löste er seine Beine aus dem Schneidersitz und lehnte sich vor, um ein weiteres, leeres Fläschchen aus dem kleinen Haufen zu fischen, den Skadi mit an Deck gebracht hatte, leerte die eingelegten Blüten aus dem Leinentuch und stülpte es über das neue Gefäß, um auch die zweite Lösung zu filtrieren. „Hast du eigentlich mittlerweile diese Holzkiste aufbekommen, die du auf Milui gefunden hast?“ Vielleicht war es gar nicht so verkehrt, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu lenken.
Es hätte so viel elegantere Lösungen für diese Situation gegeben, die nicht darin endeten, dass sie sich unweigerlich von ihm distanzierte. Womöglich waren seine Worte ebenso unbedarft und amüsant gemeint gewesen, wie immer. Doch ganz offensichtlich – und das störte Skadi mit am meisten – hatte er vollkommen ins Schwarze getroffen. Ohne es zu wissen, was Liam mit einer präzisen Pfeilspitze in den wundesten Punkt der Nordskov eingedrungen und ihr unmissverständlich vor Augen gehalten, dass sie bald nicht mehr vor der Angst davon laufen konnte, die sie die letzten vier Jahre umgeben und ihr innige Beziehungen verwehrt hatte. War es wirklich schon an der Zeit sich mit diesen Gedanken auseinander zu setzen? Ihre Ahnen um Rat zu bitten und im tiefen Dämmerschlaf ihren Problemen auf den Zahn zu fühlen? Innerlich seufzend hoben sich die braunen Augen dankbar auf den Lockenkopf, dessen Reaktion womöglich das einzig positive an dieser Situation war. Er trug ihr diese unergründliche, abweisende Haltung nicht nach. Reagierte mit einer Sanftheit, die voll und ganz zu dem Mann passte, den sie über die letzten Wochen und Monate kennenlernen konnte. Und fast war es, als zupfte ein erleichtertes Lächeln an ihren Mundwinkeln, während sie ihn bei seiner Arbeit beobachtete und erst dann tief ein- und ausatmend den letzten Rest Paste in die Dose füllte, als Liam das Leinentuch leerte.  “Nein. Und ich bin kurz davor es mit Gewalt versuchen zu wollen.“ Auch wenn sie stark bezweifelte, dass es etwas nützte. Dieses Teil hatte Feuer und jeden Dietrich ausgehalten. War nicht einmal mit einem wütenden Wurf auf den Boden aufgesprungen und lachte verhöhnend schwarz aus jedem Winkel. “Vielleicht finden wir in der nächsten Stadt eine Bibliothek oder einen Buchladen… ähm… also… vorausgesetzt und könntest mir dabei behilflich sein. Bis ich fündig geworden bin, hast du schon 5 Bücher überflogen.“ Mit einem korrigierendem Räuspern verschlossen die langen Finger der Nordskov die metallene Dose und ließen den Mörser geräuschvoll in die Schale plumpsen.  
So talentiert wie er auch darin war, über manches einfach hinwegzublicken, ein Hauch von Frage blieb in seinen Gedanken zurück. Fragen, die er im Augenblick allerdings niemals ausgesprochen hätte. Auch, wenn er Skadis Abweisung nicht nachvollziehen konnte, hatte er Verständnis dafür. Verständnis, bei dem er nicht genau wusste, woher es rührte. Der logische Umkehrschluss, den er aus ihrer Reaktion nun allerdings ziehen musste, war die Vermutung, dass sie es bei Oberflächlichkeit belassen wollte. Etwas, womit er zwar nicht gerechnet hatte, womit er im Zweifel aber sehr gut leben konnte. Und trotzdem war das nicht der Anschein, den Skadi erweckte. Er kam nicht umhin, etwas Tieferes zu vermuten. Etwas, was ihn absolut nichts anging. Ihr Gemüt jedenfalls schien sich ein wenig beruhigt zu haben, wie er aus ihrem Anblick schloss, als er die Augen kurz gehoben hatte, ehe er sich wieder an die Arbeit machte. Abermals kippte er die Flüssigkeit mit den Blüten in das leere Fläschchen und sah ihr dabei zu, wie sie langsam durch das Tuch sickerte. Auf ihre Antwort hin verzog er nachdenklich die Lippen. Klang ähnlich unlösbar wie die Sache mit der Karte, die er gefunden hatte. „Ja, klar.“, nickte er bereitwillig und behielt die Überraschung für sich. Gerade wurde er wirklich nicht schlau aus ihr und wusste nicht recht zu deuten, ob es ein Versuch war, ihn versöhnlicher zu stimmen (was absolut nicht nötig war) oder ehrliches Interesse an seiner Hilfe. So oder so – er hatte keinen Grund, ihr nicht zur Hand zu gehen. „Bei sowas hoffe ich ja immer, dass der Inhalt den Aufwand wert ist. Wo die Zwerge das Ding wohl her hatten?“
War sie erleichtert, dass er so einfach zustimmte? Irgendwie hinterließ es nach der vorherigen Stimmung immer noch einen bitteren Beigeschmack auf ihrer Zunge. Spürte das Bedürfnis irgendetwas richtig stellen zu wollen, nur um zu erkennen, dass das Kind schon längst in den Brunnen gefallen war. Wieso zum Henker musste sie sich gerade nur so seltsam anstellen?! War sie nicht längst aus diesem Alter raus und konnte sehr gut mit ihrem Gefühlschaos jonglieren? “Es würde mich nicht wundern, wenn sie es irgendeinem der oberen Schicht abgeknöpft oder auf einem Schwarzmarkt haben mitgehen lassen. Halte mich für verrückt… aber irgendwie glaube ich, dass dieses Ding nicht normal ist.“ Ein magisches Artefakt. Noch nie hatte sie dergleichen in Händen gehalten und bildete sich dennoch ein, genau das in der Schatulle zu erkennen. “Ist dir sowas schon einmal über den Weg gelaufen?“ Hatte die Nordskov gerade begonnen aus den getrockneten Sträuchern vereinzelte Blüten und Knospen abzuzupfen und in den Mörser fallen zu lassen, hielt sie nun wieder inne, um mit fragendem Ausdruck auf den Zügen zu Liam hinüber zu blicken.
Eine Falte zog sich über seine Stirn, begleitet von einem nachdenklichen Blinzeln, ohne dass er den Blick vom Fläschchen zwischen seinen Fingern nahm. Nur langsam hob er den Kopf, sah der Nordskov kurz dabei zu, wie sie die Kräuterbündel auseinander sortierte, um den Mörser mit einer neuen Mischung zu füllen. „Du meinst, es ist nicht bloß ein ausgefuchster Mechanismus?“ Im nächsten Augenblick erwiderte er schon nachdenklich den fragenden Ausdruck, den sie ihm entgegenwarf. „Naja. Jedenfalls scheint Milúi sowas irgendwie anzuziehen.“ Mit dieser Aussage konnte Skadi womöglich nicht allzu viel anfangen, denn just in diesem Augenblick wurde ihm bewusst, dass er die Karte ihr gegenüber niemals erwähnt hatte. Nicht, weil er sie hatte geheimhalten wollen, sondern weil er sie während ihres Aufenthalts auf Milúi selbst vergessen hatte. Und seit jener Nacht befand sie sich gut verwahrt in der Kajüte der Captains. „Nicht direkt so etwas. Aber Pergament, das sich wie Eis zwischen den Fingern anfühlt. Und du kannst mir vieles erzählen, aber normal ist das auch nicht.“ Indes hatte er das Tuch mitsamt der Blüten abermals aus dem Flaschenhals gezogen und das Fläschchen verkorkt. „Heißt, du glaubst an Magie und… Flüche und sowas?“
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#8
Kurz zuckte Skadi mit den Schultern. Presste dann die Lippen skeptisch aufeinander und musterte das warme Braun seiner Augen, ehe sie sich wieder den Blüten im Mörser zuwandte und nach einer kleinen Flasche mit Öl und einer nach Zitrone riechender Flüssigkeit griff. Tropfen für Tropfen ließ sie beides in den Mörser gleiten. Zählte die Menge behutsam im Kopf, während sie Liam antwortete. “Ich kann mich täuschen… aber ich habe ein drückendes Gefühl, wenn es um dieses Ding geht.“ Was Liam allerdings dann darauf erwiderte ließ den dunklen Haarschopf hinauf schnellen. Pergament aus Eis? Irritiert und skeptisch zogen sich die dichten Brauen zusammen und machten wohl mehr als deutlich wie absurd das gerade aus seinem Mund klang. “… wie Eis sagst du?” Unwillkürlich kehrten ihre Gedanken an jenen Tag zurück, als sie zittern vor dem kleinen Haus mit Rieddach gestanden und den dicken Wollmantel fest um die Schultern gezogen hatte. Umringt von grellem Schnee und einer Kälte, die sich beißend in ihre Zehen fraß. “Es gibt nur einen Ort wo ich mir so etwas vorstellen kann… und der ist ganz weit oben im Norden. Du erinnerst dich an die Geschichte mit dem Jungen?“ Fast hätte sich die Nordskov geschüttelt, um das kribbelnde Gefühl auf ihrer Haut loszuwerden, dass sie Erinnerungen herauf beschworen. Verschloss stattdessen behände die zwei Flaschen mit ihren Korken und wiegte auf Liams Frage den Kopf. “Ich glaube daran, dass es vieles gibt, das wir uns nicht erklären können und das dennoch genauso existiert wie die Luft, die wir atmen. Manchen ist absoluter Humbug und nur erdacht, um Kindern das Fürchten zu lehren und ihren Regeln einzutrichtern… aber wiederum anderes…“ Nun konnte sie nicht anders. Spürte wie ihr Oberkörper kurz zu zittern begann und mit einem tiefen Atemstoß, das unangenehme Gefühl abzuschütteln versuchte.
Er hatte es nicht mehr wirklich vor Augen, dieses Ding, was Skadi aus dem Geheimversteck der Kinder geborgen hatte. Er hatte auch nicht wirklich darauf geachtet, hatte stattdessen sein eigenes Skizzenbuch gerettet und noch ein bisschen von der Ehrfurcht gezerrt gehabt, die Skadis Auftritt damals hinterlassen hatte. Er stimmte ein nachdenkliches „Hmm.“ an, welches alles für möglich hielt. Auf ihre Nachfrage hin schenkte er ihr ein Nicken und legte das nächste Fläschchen beiseite. Erst, als sie fortfuhr, hob er erstaunt den Kopf. „Die zweite Welt?“, wiederholte er, was Talin vermutet hatte, bemerkte aber selbst einen Augenblick später, dass Skadi gemeint hatte, dass sie die erste Welt niemals verlassen hatte. „Auf Yvenes hatten wir auch Schnee, aber diese Kälte ist… beißender. Noch nördlicher liegt nur Andalónia.“ Während er sprach, blieben seine Augen weiterhin auf Skadi gerichtet, obwohl er zeitweise nachdenklich durch sie hindurch sah. Erst, als sie auf seine Frage zu antworten begann, wurde er unwillkürlich aufmerksamer und nickte schließlich kaum merklich. Ihre Reaktion spiegelte eigentlich ziemlich genau das, was ihm dabei durch den Kopf ging. Wenn es etwas gab, was er mit Flüchen in Verbindung brachte, dann den Schatten, der ihm heimtückisch auf Schritt und Tritt folgte. „… lässt uns an unserem Verstand zweifeln.“, beendete er ihren Satz unverfänglich und fuhr sich kurz mit einer Hand über den Oberarm.
War es in der zweiten Welt kalt? Ihr war, als habe ihr Vater mal davon erzählt. Doch dann und wann verschwammen die Erinnerung ihrer Vergangenheit. Als wollte ihr Unterbewusstsein sie vor sich selbst schützen und ungeschehen machen, was ihr nach all den Jahren immer noch zusetzen mochte. Doch was im nächsten Moment ihre Aufmerksamkeit erregte war die kleine banale Information, die Liam ihr zuspielte. Yvenes. Sein Heimatland. Ganz in der Nähe eines Namens, der ihr unfassbar vertraut war. Doch weiter ergründen wollte sie dieses Kapitel nicht. Merkte es sich nur für den Fall, dass sie an eines der Bücher kam, in denen Shanaya ihre Landkarten sammelte. Vielleicht würde sie die junge Frau auch direkt danach fragen. Das kam ganz darauf an, in welcher Tagesform sie unterwegs war. Mit einem Nicken entgegnete sie der Vervollständigung ihres Satzes. Presste erneut die Lippen aufeinander und zog tief die warme Mittagsluft ein. “Dieses Pergament… meinst du es stammt vom selben Ort wie diese Schatulle?“
„Ich weiß es nicht.“, gab er etwas ratlos zu und verschränkte die Beine wieder in einem Schneidersitz. „Es könnte aus jeder der sieben Welten stammen und bloß, weil es eigenartig ist, muss es nicht direkt etwas miteinander zu tun haben.“ Liam zuckte mit den Schultern. „Oder irgendwo sitzt jemand, der Spaß daran hat, derartige Dinge auf den Markt zu bringen, die eigentlich gar nichts zu verbergen haben. Vielleicht ist die Schatulle auch nicht mehr als ein Holzklotz, die uns eine Öffnung vorgaukelt. Wenn wir sie aufsägen, stellt sich vielleicht heraus, dass sie gar nicht so magisch ist, wie wir uns wünschen.“ Und ja, Liam war der Vorstellung von Magie sicherlich nicht abgeneigt. „Aber ich hab‘ dich unterbrochen, ‘tschuldige. Was war mit dem Jungen?“ Es hatte geklungen, als hätte es vielleicht irgendetwas mit einem ihrer magischen Gegenstände zu tun.
Nüchternheit. Genau das stellte sich bei Liams Worten ein und entlockte der Nordskov einen tiefen Atemzug. Wandte die dunklen Augen wieder auf den Mörser unter sich, den sie kurz darauf erneut in die Hand nahm und begann die den Inhalt mit festem Druck zu zerreiben. “Der Junge, den ich an einen Baum gebunden habe… der war auch irgendwo dort oben.“ Mehr hatte sie mit ihren Worten eigentlich nicht zum Ausdruck bringen wollen. Zumal ihre anfängliche Skepsis ohnehin vom Lockenkopf zerstreut worden war und sie sich auf dem Boden der Realität befand. “Beim nächsten Mal versuche ich einfach dieses Ding mit nem Hammer zu zertrümmern… vielleicht klappt das ja. Dann brauchen wir uns vielleicht gar nicht erst den Aufwand machen.“ Und danach hatte er mehr als offensichtlich geklungen.
Shanaya und er waren auch auf den Gedanken gekommen, dass sie vielleicht einfach nur zu sehr daran glauben wollten, dass diese Karte mehr war als ein loser Kompass auf einem mysteriösen Blatt Pergament. Und in Wirklichkeit war es – ganz nüchtern betrachtet – einfach genau das, was es vorgab zu sein. Der Hauch eines ungläubigen Lächelns lag auf seinen Zügen, nur einen Augenblick, bis er sich wieder daran erinnerte, dass Skadi etwas erwähnt hatte, ohne dass er sich an den Knackpunkt davon erinnerte. Auch, als sie zu einer knappen Erklärung ansetzte, drifteten seine Gedanken flüchtig ab, ehe er die Stirn runzelte. Skadi hatte in den Norden verheiratet werden sollen? Das war eigentlich das komplette Gegenteil von tropischem Regenwald. Er konnte sich kaum vorstellen, dass es ihr in der verhältnismäßig langweiligen Natur wirklich gefallen hätte. „Na, na, Skadi.“, begann er, als sie ihre Aufgabe im Bezug auf die Holzkiste kundtat und schüttelte tadelnd, aber lachend den Kopf. „Mag sein, dass sie nur ein Holzklotz ist.“ Sein Blick löste sich von ihren Zügen und fiel wieder auf den Bund aus Kräutern, der vor ihr übriggeblieben war. „Aber solange du daran glaubst, dass sie magisch ist, muss dir erst einmal jemand das Gegenteil beweisen. Und ich glaube, dass du mit ihr zumindest jedem neugierigen Kind ein fasziniertes Lächeln auf das Gesicht zaubern kannst. Und sicher auch dem ein oder anderen Erwachsenen.“ Trevor zum Beispiel. Allen voran aber ihr selbst, solange sie nur daran glauben wollte.
”Ich weiß eben nicht was es ist… aber es nervt mich, dass ich das Ding einfach nicht aufbekomme.“ Nun. Zumindest das traf ihre Ansicht wirklich gut. Abseits des unguten Gefühls, das sich in ihrem Magen eingestellte, kaum dass sie das schwarze Ding in Händen hielt und es sie schweigend verhöhnte. Ein Wunder, dass sie damit überhaupt so viel Geduld besessen hatte und nicht längst dazu übergegangen war, es in die Obhut eines zerstörerischen Trevors zu übergeben. “Aber vielleicht reicht sie wirklich nur noch als Jahrmarktsattraktion. Wobei dann auch jeder glauben könnte, dass ich sie einfach mit Superleim zusammengeklebt habe, wenn nicht einmal ich sie aufbekomme. Ein Zaubertrick ohne Trick… ist auch nicht mehr als sinnloses Gefuchtel mit den… Händen.“ Beim letzten Wort presste sie fest die Zähne aufeinander, um eine störrische Knospe mit dem Mörser zu zerdrücken und pustete sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. “Zum Glück bin ich schnell genug, um noch vor dem ersten Fallobst verschwunden zu sein.“ Ein amüsiertes Lächeln zierte ihre Lippen, kaum dass die braunen Augen kurz zu Liam aufblickten und wenig später ein Einmachglas mit beigefarbenem Inhalt fixierten. “Ich muss eben in die Kombüse… dafür brauche ich jetzt Hitze…“ Sie deutete mit einem Kopfnicken auf das Einmachglas, das mit den Fingerspitzen aus der Holzkiste zog und im selben Moment erneut ihre Beine aus dem Schneidersitz löste. “Könntest du mir einen Gefallen tun und die so klein wie möglich schneiden?“ Mit einem beherzten Griff zog Skadi eine Hand voll langer, braunschaliger Wurzeln heraus, dessen helles Fleisch an den Außenkanten aufblitzte. “Das sind Beinwellwurzeln… die brauche ich für die Salbe, die wir gleich ansetzen. Wenn du fertig bist, wäre es super, wenn du sie mir in die Kombüse bringen könntest.“ Kaum hatte sie dem Älteren die Wurzeln in die Hand gedrückt, ließ sie sich auf die angezogenen Füße gleiten, kramte in der Hocke nach den restlichen Utensilien, die sie benötigte und erhob sich dann vollends. “Und pass auf dass Trevor nichts hiervon anrührt. Ich hab nicht für alles ein Gegenmittel parat.“ Skadi wirkte nicht, als hätte sie einen bloßen Scherz gemacht, um Liam ein Lachen oder Lächeln zu entlocken. Dennoch schenkte sie ihm selbiges, ehe sie sich bereits auf den Weg unter Deck begab und Rayon um einen kleinen Becher, sowie einen verbeulten alten Metalltopf bat. Klimpernd stellte die junge Nordskov ihre mitgebrachten Flaschen neben den Herd und entzündete ihn behände. Gab etwas von dem Wollwachs in den Topf und beobachtete es schweigend beim Zerlaufen.
Er lächelte schweigend in sich hinein, während er Skadi dabei zusah, wie sie ihren Frust an den Blüten im Mörser ausließ. Ein bisschen erinnerte sie ihn an ein kleines Mädchen, dass trotz aller Bemühungen nicht schnell genug an ihr Ziel kam. Der Lockenkopf überlegte indes im Stillen, ob ihm nicht doch irgendwann einmal etwas in dieser Art untergekommen war, bis Skadi abermals auf die Magie zu sprechen kam. „Aber ist es nicht gerade das, was Zauberei aus macht? Wenn man garkeinen Trick braucht. Wenn du plötzlich die Münze in der Hand hältst, die vorher gar nicht da war.“, überlegte er verschwörerisch, tat es aber mit einem Heben der Augenbrauen recht schnell ab, da er selbst nicht genau wusste, worauf er hinaus wollte. Tatsächlich war ihm aber ein anderer Gedanke gekommen, den er aussprach, kaum dass er Skadis Optimismus belächelt hatte. „Vielleicht ist das trotzdem gar keine so schlechte Idee, sie als Jahrmarktattraktion zu nutzen. Irgendjemand bekommt sie vielleicht wirklich auf. Und ansonsten… Nenne mir einen dieser Gaukler, bei denen es mit rechten Dingen zugeht. Die Leute erwarten nichts anderes, als mit Taschenspielertricks an der Nase herumgeführt zu werden. Du wärst in bester Gesellschaft.“ Jedenfalls konnte er sich kaum vorstellen, dass es irgendjemanden gab, der die Vorhersagen oder dergleichen nicht für völlig aus der Luft gegriffen hielt. Vielleicht war seine Fantasie diesbezüglich aber auch einfach nur früh genug zerstört worden, um an derartige Magie zu glauben.
Mit den Wurzeln, die sie ihm schließlich in die Hand drückte, brachte die Nordskov seine Gedanken wieder zurück in die Gegenwart. Er sah auf, nickte und blickte ihr schließlich nach, als sie verschwand. Für einen Augenblick blieb er tatenlos sitzen und schwieg, bis er sich die Wurzeln näher besah und schließlich seinen Dolch hervorholte, um zu tun wie ihm geheißen. Als er fertig war, wickelte er die gehackte Wurzel in das Seidentuch ein, verstaute die fertigen Tinkturen in der Holzschatulle der Jägerin und schloss sie nach kurzem Überlegen, um sie dichter an die Reling zu schieben, wo sie nicht direkt auffiel. Wäre sein Blick nicht kurz bevor er sich ebenfalls auf in die Kombüse machen wollte, auf die übrigen Kräuter gefallen, hätte er sie einfach liegen gelassen. Doch Skadis Stimme hallte in seinem Kopf wider und ließ ihn vorsichtig nach dem kleinen Bündel greifen, als wäre es eine giftige, reglose Schlange. Nach kurzem Überlegen machte er sie kurzerhand wieder an der Leine fest, an der Skadi sie getrocknet hatte, sammelte die leeren Fläschchen vom Boden und griff nach dem Seidentuch, um wieder unter Deck zu verschwinden. Ein kurzer Gruß galt Rayon, während er das Tuch mit den Wurzeln neben Skadi auf der provisorischen Anrichte ausbreitete. „Hier.“ Liam warf einen Blick über ihre Schulter hinein in den Topf. „Wofür ist das, wenn es fertig ist?“
Kurz war Skadi gewillt die Augenbrauen unter einem irritierten Blinzeln zusammen zu ziehen. Beließ es jedoch dabei Liam einfach anzustarren und sich zu fragen, ob sie sich wohl falsch ausgedrückt oder der Musiker nur mit halbem Ohr zugehört hatte. Denn sie hatte ja kaum von Zauberei gesprochen. Vielmehr war sie doch gerade davon ausgegangen, dass sie beim „Ich ziehe dir eine Münze hinterm Ohr vor“ nicht einmal eine Münze in der Hand hatte, oder? Sodass es eben keinen Trick gab, den nur man selbst vollführen konnte und niemand sonst. Scheinbar hatte der Lockenkopf in eine andere Richtung gedacht. Skadi beließ es dabei und zuckte nur mit den Schultern. Womöglich gab es dann eine gewisse Chance, dass jemand das störrische Ding aufbekam. Doch für einen Taschenspielertrick musste sie erst einmal mit einem Trick aufwarten können. Somit würde ihr also lediglich die Möglichkeit bleiben ein Mysterium daraus zu machen. Wie König Arthus und das Schwert im Fels. Nur ein Auserwählter konnte es heraus ziehen. Was sie jedoch als Gewinn präsentieren sollte? Gute Frage. Liam wäre sicherlich etwas eingefallen. Der hatte doch die halbe Welt bereist und wusste bestimmt, wonach sich die Menschen sehnten. “Ich würde Lügner und Scharlatane nicht als beste Gesellschaft bezeichnen. Da hänge ich mich lieber an dich und deine Musikerfreunde.“ Damit hatte sich das Thema für sie erledigt. Mit einem zufriedenen Ausdruck auf den Zügen und der Gewissheit, dass sie es tatsächlich beim nächsten Landgang in Erwägung zog. Ließ sich dann mitsamt Habseligkeiten auf die Beine gleiten und verschwand in die Kombüse. Rayon hatte sie für einen Moment skeptisch gemustert, während sie vollends darin vertieft war, das Wollwachs in den Topf zu geben und schmelzen zu lassen. Ging jedoch schnell seiner eigenen Tagesbeschäftigung nach, ehe er Liam mit einem matten Lächeln zunickte und kurz in die Vorratskammer verschwand. Mit einem kurzen Seitenblick musterte Skadi die Leere dort, wo sie Liams Kopf vermutete. Wandte sich dann erst weiter herum, als bis auf seinen warmen, kribbelnden Atem nichts von seiner Anwesenheit zu spüren war und ließ den Blick von seinem Gesicht auf die Wurzel auf der Anrichte gleiten. “Das wird eine Salbe für schmerzende Gelenke und Muskeln.“, entgegnete sie ihm knapp und trat näher an die Wurzelstückchen heran. Nahm eine Hand voll und verschwand damit an den Herd zurück, um Stück für Stück ins geschmolzene Wollwachs gleiten zu lassen. “ Je länger wir auf See und pausenlos auf den Beinen sind, desto eher werden wir sie brauchen.“ Dass sie auch dazu gedacht war, Prellungen und schlecht verheilende Narben von Kämpfen zu kurieren, ließ sie fast schon instinktiv aus. Zumal es letztlich egal war, weshalb sie das Zeug aufsetzte. Skadi konnte sich sicher sein, dass Gregory davon Gebrauch machen würde, sobald es da war. Und solange wie sie ihm diesbezüglich mit ihrem Fachwissen unter die Arme greifen konnte, machte sie sich wenigstens irgendwie nützlich. Mit verschränkten Armen wandte sich der schmale Körper der Nordskov herum und ließ sich mit der Hüfte gegen die Holzverkleidung gleiten. Musterte Liam einen Augenblick schweigend, ehe sie ihm sanft zulächelte. “Danke für’s Schneiden. Der Rest ist Trevor sicher draußen verstaut?“
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#9
Ein letztes, warmes Lächeln galt Skadi, als sie vorzugsweise die Musiker nannte, mit denen sie ihre Zeit verbringen wollte, doch er entgegnete nichts. Er sah ihr lediglich dabei zu, wie sie verschwand und genoss den kurzen Moment, in dem er weder aufpassen noch sprechen musste. Schweigend verrichtete er seine Arbeit, räumte schließlich das Feld und grüßte mit einer kurzen Handbewegung die Gestalt, die sich am Steuer befand, ehe er der Dunkelhaarigen unter Deck folgte. Wie von selbst wanderte seine Hand zu seinem unteren Rücken und rieb sich kurz eine der Stellen, die sich am lautesten über die Arbeitshaltung der letzten Tage beschwerte und trat gleichzeitig ein Stück zurück, um der Nordskov nicht unnötig im Weg zu stehen. „Ihr habt wirklich alles selbst hergestellt, was?“, entgegnete er, ohne wirklich auf eine Antwort abzuzielen und setzte sich kurzerhand auf einen der Tische in der Kombüse. Er schwieg und ließ die Jüngere machen, bis ihre Stimme ihn aus den Gedanken riss. Mit einem kurzen Heben der Mundwinkel nahm er ihren Dank entgegen. „Wenn es das vorher war, dann ja. Ich hab die Kräuter wieder aufgehängt. Und deine Kiste ist -“ Er nickte in die Richtung einer der Kisten, die zwischen Kombüse und Treppe lagen, auf der die kleine Holzschatulle lag. „- in Sichtweite. Er müsste also ziemlich leise und ziemlich schnell sein.“ Kurz gesagt: Er würde es vorausplanen müssen, wenn er wirklich ungesehen nah genug heran wollte. „Sag mal, hast du zufällig noch ein bisschen Leder übrig?“, fragte er schließlich auf einen flüchtigen Gedanken hin und schob seinen nächsten Plan bereits nach, bevor Skadi antworten konnte. „Ich muss gleich mal im Lagerraum gucken.“ Woher sollte sie plötzlich Leder nehmen? Wenn, dann musste er selbst sehen, welche Reste sich finden ließen, die für sonst nichts mehr gut waren.
Skadi zuckte auf Liams rhetorische Worte nur mit der linken Schulter und gab ein schweigendes „Irgendwie schon“ Nicken von sich. Letztlich blieben die Leute von der Insel immer noch Wilde. Egal wie sehr sich ihr Vater auch darum bemühte in die „restliche“ Welt einzuführen und ihr etwas von diesem aristokratischen Quatsch beizubringen, gegen den sie sich als Kind schon mit Händen und Füßen zur Wehr gesetzt hatte. Dass es ihr am Ende nicht doch zu Gute gekommen war, konnte Skadi nicht einmal wirklich verneinen. Andernfalls wäre ihr Rachefeldzug wohl kaum so viele Jahre über voran geschritten. Doch ob sie sich nun wie eine Dame benehmen konnte, stand wohl kaum im Verhältnis dazu, ob sie es auch wirklich wollte. Liam erweckte zumindest nicht den Eindruck als legte er sonderlich viel Wert auf Etikette. Und hatte sie ihr letztes Gespräch diesbezüglich im Kopf, hielt er es mit dem Leben ebenso einfach und schnörkellos wie sie selbst.
Immer noch umspielte das sanfte Lächeln ihre Lippen, während Liam fortfuhr und ihren Blick auf die Holzkiste am anderen Ende des Raumes lenkte. Mit einem amüsierten Schnauben nahm sie die Umstände in Kauf, die dazu führen mussten, dass der Chaot sich an ihren Sachen vergriff. “Wie gut, dass er das nicht gehört hat. Er steht doch auf Herausforderungen.“ Damit war er wohl einer von vielen auf diesem Schiff. Während die einen allerdings einsahen, dass es blinder Aktionismus wurde und weniger zuträglich für die eigene Gesundheit, gab es wiederum jene, die sich irgendwie nie einen Kopf um Konsequenzen machten. Ob das nun Leichtsinn oder einfach nur Dummheit war, würde sich bei Zeiten noch herausstellen.
Bei seiner Frage blinzelte sie allerdings etliche Male. Musterte das braun gebrannte Gesicht und wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als er sich bereits abwandte und von seinem Platz am Tisch erhob. Leder? Wozu brauchte er denn das jetzt auf einmal? Zwar hatte sie die Tiere bei ihrer Jagd gehäutet, doch in Ermangelung an Zeit und richtigem Werkzeug, die Felle in der Stadt verkauft. Schweigend sah sie dem Lockenkopf somit nach. Auch als die breiten Schultern längst im Halbschatten des Schiffes verschwunden waren und sie sich erst mit einem tiefen Seufzen ihrer Salbe zuwandte. “Was er wohl damit vor hat?“
Minuten später kehrten Schritte in ihrem Rücken zurück. Skadi wandte sich jedoch nicht um, während das Bienenwachs erhitzte und dann dazu überging den Inhalt in den gesiebten Sud des zweiten Topfes unterzurühren. “Hast du was gefunden?“
Aus reiner Vorsicht heraus spähte Liam, kaum dass Skadi ihre amüsierten Bedenken kundgetan hatte, ins Zwielicht der Kajüten, als erwarte er, dort einen Trevor zu erblicken, der sich aufgeregt den Mund zu hielt, um leise zu atmen und nicht aufzufallen. Doch außer Rayon, der irgendwo am anderen Ende des Raumes werkelte, schienen sie im Augenblick unter sich zu sein. „Ich könnte auch Sineca draufsetzen. Nicht unbedingt der Drache, den wir uns alle wünschen, aber biestig kann sie sein.“, schlug er vor und bastelte der kleinen Ginsterkatze gedanklich bereits einen kleinen Rucksack mit falschen Flügeln, um sie ein wenig bedrohlicher zu gestalten. Oder niedlicher. Eins von beidem würde schon zutreffen. Aus seiner momentanen Untätigkeit heraus allerdings kam er bald schon auf eine weitere Idee, die er bereits seit längerem im Hinterkopf hatte. Bislang war er bloß nie dazu gekommen oder hatte es absichtlich vor sich hergeschoben. Wer wusste das schon. Ohne Skadi groß eine Gelegenheit zu geben, rutschte er zurück auf seine Sohlen, um ins Lager zu verschwinden. Wie es aussah, konnte er der Nordskov im Augenblick sowieso nicht viel helfen, da konnte er sich also auch anderweitig nützlich machen. Tatsächlich fand er den Vorrat an Leder recht schnell und zwischen drin auch schmalere Stücke, die kaum mehr Verwendung finden würden. Nach kurzem Überlegen ließ er sie in seine Tasche gleiten, verstaute die restlichen Materialien wieder und trat die Treppe wieder empor.
Skadi stand noch immer am Herd. Statt abermals einen Blick in die Töpfe vor ihr zu werfen, setzte er sich abermals auf den Tisch in ihrem Rücken. „Jep.“ Einen Augenblick schwieg er, während er Skadis Rücken beobachtete. „Sollte reichen, um mich für dich in ein bisschen Leder zu schmeißen.“ Aufmerksam beobachtete er die Reaktion der Jüngeren, die ihn gerade nach ihrer eigenartigen Reaktion vorhin sehr interessierte. Er hatte auch möglichst trocken dabei geklungen, ihr seinen Plan zu unterbreiten. Doch das breite Schmunzeln auf seinen Lippen ließ keinen Zweifel daran, dass es nicht ganz seinem eigentlichen Vorhaben entsprach. Das war viel, viel unspektakulärer.
Hatte er das gerade wirklich gesagt? Ruckartig ergoss sich ein Teil des heißen Bienenwachses über ihren Handrücken und entlockte ihr ein kurzes Aufatmen. Doch statt sich weiter um das leichte Brennen zu kümmern, wandte sich der dunkle Haarschopf herum und schenkte Liam einen deutlichen Blick auf die irritierte Miene der Jüngeren. Sie konnte sich doch wohl kaum verhört haben, oder? Leise rumpelnd landete der geleerte Topf auf dem Herd. Dann folgte der hoch gewachsene Körper der Drehung und ließ die braunen Augen unverwandte über die Silhouette des Älteren huschen, bis sich ein verspieltes Grinsen auf ihre Züge schlich und für einen Sekundenbruchteil eine der dichten Augenbrauen hinauf schnellte. “Du kannst dich auch in absolut gar nichts schmeißen. Hätte denselben Effekt. Wozu also die Mühe?“, flötete sie leise und puhlte sich das erkaltete Wachs von der Haut.
Abwartend bedachte er den Hinterkopf der Nordskov, erwartete nichts bestimmtes und erhoffte sich gleichzeitig doch einiges an Aufschluss darüber, wie sehr sie das Thema von eben mitnahm. Liam hatte nicht vor, ihr in irgendetwas hineinzureden. Er handhabte die Dinge so, wie er es tat und Skadi auf ihre Art und Weise. Solange sich ihre Wege vereinen ließen und sich beide auf ihre Weise damit wohl fühlten, gab es keine Probleme. Und tatsächlich nahm es Skadi so, wie es gemeint war. Unbewusst schloss der Musiker, dass ihr dieser Umgang weitaus einfacher fiel als die freundschaftliche Ebene. Doch er würde den Teufel tun und sie darauf reduzieren. Nicht nur, weil es absolut nicht seine Art war, sondern auch, weil er das Gefühl nicht los wurde, dass sie es hinter ihrer Fassade mehr als nötig hatte. Überlegend wog er den Kopf von einer Seite zur anderen, während er in der Tasche nach dem Lederriemen kramte und das schmale Stück schließlich hervorzog. „Wäre nicht viel Mühe, versprochen.“, gluckste er und ließ das Leder kurz zwischen den Fingern baumeln, ehe er es wieder herunter nahm. „Aber wenn du nicht willst.“ Liam zuckte entspannt mit der Schulter und lächelte ihr noch immer entgegen. „Dann benutze ich es für was anderes.“
Mitten in der Bewegung hielt sie inne. Die dunklen Augen auf den Musiker fixiert, dessen lange Finger für einen kurzen Moment in der Tasche herumwühlten und dann einen schmalen Lederstreifen hervorzogen. Schlagartig brach sie bei seinen Worten in ein amüsiertes Glucksen aus. Presste die Lippen unter einem sanften Kopfschüttel zusammen und puhlte weiter das weiße Wachs von ihrer Hand. “Da verliert das Auspacken ja jeglichen Reiz.“ Wieder musste sie auflachen und wandte sich ab, bevor der Bienenwachs unverrührt im Topf erkaltete. “Auch wenn ich der Vorstellung einiges abgewinnen kann, dass du dich für mich in Schale wirfst…“ Warf sie ein und vermengte den Sud mit den letzten Klumpen Wachs. “Was hattest du nun wirklich damit vor?“ Liam war vielleicht ein offenherziger Typ Mann, doch Skadi konnte sich kaum vorstellen, dass er mit solch einem Strick zwischen den Pobacken herum scharwenzeln wollte.
Allein dafür hatte es sich gelohnt. Allein für den amüsierten Ausdruck auf ihren Zügen, der ihre abweisende Haltung von eben zumindest in seinem Kopf fast schon wieder surreal wirken ließ. Das Lächeln auf seinen Zügen war mehr als zufrieden und zuckte in den Mundwinkeln noch ein Stück weiter nach oben, als sich Skadi über fehlenden Reiz beschwerte. „Vielleicht darfst du auch einfach suchen, wo ich‘s versteckt habe.“, schlug er möglichst ernst vor und sah auf, als Rayon wieder zum Vorschein kam und seine Vorräte hier oben aufzufüllen schien. „Na, mal sehen.“ Vielleicht würde er ihr diesen Gefallen wirklich mal tun. Wenn es sich ergab und ihm etwas besseres einfiel als ein schmaler Lederstreifen. Tatsächlich dachte er bei Skadis Worten lediglich in die eine Richtung. Auf die Idee, es mit einem schicken Abendessen zu verbinden, kam er gar nicht. Vielleicht auch, weil die Nordskov vorerst jeden Eindruck zerschlagen hatte, der gezeigt hätte, dass sie auch an so etwas Gefallen gefunden hätte. „Ich will mein Armband flicken. Das Leder hat jetzt auch schon zwanzig Jahre auf dem Buckel.“ Seine Miene war wieder ernster, nachwievor lag aber ein erkennbares Lächeln auf seinen Lippen. Ob Skadi den Bogen schlug, welches Armband er meinte, spielte für ihn eigentlich keine Rolle. Im Grunde war es bloß ein Bändchen wie jedes andere, nicht von großem Wert, wenn man das emotionale außen vor ließ. „Kann ich dir noch etwas bringen oder ist das jetzt so fertig?“, fragte er neugierig und ließ sich abermals vom Tisch gleiten, um einen Blick in den Topf zu werfen. Auch Rayon spähte im Vorbeigehen über Skadis Schulter, ehe er mit einem kleinen Fass in den Händen wieder ins Lager verschwand. Auch, wenn Liam nicht alles mitbekommen hatte, was sie nun mit dieser Salbe getan hatte - an sich wirkte alles sehr einfach, wenn man wusste, was man tat. Und das sollte wirklich helfen?
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#10
Ein Suchspiel. Skadi verfiel kurzzeitig in ein sanftes Schmunzeln, ganz gleich wie absurd sie diesen Vorschlag auch fand. Nur beiläufig folgte sie Liams Blick in dessen Rücken und musterte Rayon, ehe dieser mit einer Kiste aus ihrem Sichtfeld verschwand. Wortlos wandte sie sich ab. Ergriff den Holzlöffel zu ihrer Seite und verrührte die Salbe zu einer cremigen Textur, ehe sie dazu überging, einzelne Portionen abzufüllen. 20 Jahre sind eine verdammt lange Zeit. Dieser Gedanke begleitete sie mehrere Male, während der Blick aus dunklen Augen aufwärts wanderte und nahezu blind die Verschlüsse auf die kleinen Gefäße schraubte. 20 Jahre… wenn er seiner Mutter dieses Armband mit 6 geschenkt hatte, müsste er mittlerweile 26 sein, schätzte Skadi und sah nur knapp über ihre Schulter, kaum dass der Lockenkopf erneut von seinem Platz glitt und zu ihr hinauf schritt. “Die Salbe wäre jetzt fertig und müsste nur noch etwas abkühlen.“ Doch was sie danach tun sollte – was Liams Frage unterschwellig in ihrem Kopf zurück ließ – wusste sie selbst nicht. “Hey Rayon…” Halb wandte sich Skadi herum und umfasste Liams Schulter, um sich sanft an ihm vorbei zu lehnen. Den Kopf in die Dunkelheit gerichtet, in der sie den dunkelhäutigen Hünen vermutete. Zur Antwort erhielt sie lediglich ein tiefes Brummen. Er hatte also verstanden. “Brauchst du noch Hilfe in der Küche?“ Ein knappes, schwer vernehmbares Nein folgte und veranlasste die Dunkelhaarige, sich langsam wieder aufzurichten und mit einem tiefen Seufzen zu Liam hinauf zu blicken. “Sieht wohl aus, als wären wir wieder arbeitslos.“
Prüfend besah sich der Lockenkopf die abgefüllte Mischung und nickte. Bislang hatte er nie wirklich mit der Herstellung von Medizin zu tun gehabt – wenn man Lubayas Tees außen vor ließ. Und just in dem Moment, in dem er sich an die Blonde erinnerte, kam ihm, dass sie meist nicht mehr getan hatte, als die Kräuter mit heißem Wasser aufzubrühen. Wirklich kompliziert war es also wirklich nicht, wenn man wusste, was man erreichen wollte. Ein bisschen Wachs, ein paar gehackte Wurzeln und man hielt ein Wundermittel in den Händen. Das klang doch eigentlich fast zu schön, um wahr zu sein. Aber Liam hatte ebenso wenig Grund, Skadi zu misstrauen, wie er es bei Lubaya gehabt hatte. Trotzdem hoffte er, dass er nicht allzu bald einen Grund haben würde, den Wirkungsgrad ihrer Mittelchen auf die Probe stellen zu müssen. „Wahnsinn. Jetzt frage ich mich wirklich, warum wir uns nie selbst drum gekümmert haben.“, lächelte er anerkennend. Als sich Skadi an Rayon wandte, blickte auch Liam hinüber in die Dunkelheit und verstand, als die Nordskov hoffnungsvoll nach Arbeit fragte. Nur, dass sie damit weitaus mehr Probleme zu haben schien als er. „Hast du dein Buch schon durch?“ Er war gar nicht so traurig drum, einfach mal Zeit für sich zu haben. Zum Lesen, zum Zeichnen. Und es hätte ihnen auch niemand unterstellen können, dass sie sich nicht um eine Beschäftigung bemüht hätten. „Es muss doch irgendetwas geben, für das du dir länger keine Zeit genommen hast.“
“Weil ihr es wahrscheinlich nicht musstet oder es niemanden gab, der es konnte.“, schlussfolgerte die Dunkelhaarige so leise, dass sie selbst nur wenige ihrer gesprochenen Worte wahrnahm und nahtlos dazu überging nach Rayon zu rufen. Hatte sie den ganzen Morgen damit zugebracht das Deck und die Räumlichkeiten zu putzen, gab es wohl nichts mehr, womit sie sich nützlich machen konnte. Die meisten Kräuter waren allmählich aufgebraucht und die gröbsten Handwerksarbeiten am Schiff erledigt – solange sie immer noch auf See und nicht irgendwo an einem Hafen angelegt oder das Schiff an Land trocken gelegt hatten. Ein Seufzen durchfuhr abermals ihre Kehle, als sich der hoch gewachsene Körper den verschmutzten Töpfen zuwandte und mit beiden Händen in die Lüfte hob. “Nein… aber ich hatte bisher keine Muse weiterzulesen.“ Nach einem ganzen Tag arbeite sehnte sie sich zumeist einfach nach etwas Stroh und Heu und einer Mütze Schlaf. Gut nächtigen tat sie seit langem schon nicht mehr. In ihr wurde die wachsende Unruhe immer drängender. Mit nur wenigen Schritten verschwand die Dunkelhaarige an den Wascheimer, in dem sie nun die Töpfe eintauchte und die restlichen Mittel der Tinktur auswusch. “Aber jetzt wo du es sagst… ich habe lange nicht mehr trainiert...“ Etwas, dass sie meist nur früh am Morgen tat, wenn alle anderen schliefen und sie ungestört an Deck umher springen konnte und niemanden versehentlich mit ihrem Stock zu Boden schlug. “Also wenn du Lust hast.. so ein bisschen Ausdauertraining könnte nie schaden.“ Knapp wandten sich die dunklen Augen herum, ehe sie auf die tropfenden Töpfe zurück huschten, deren Metall hell unter den hinab perlenden Wassertropfen schimmerten. Geräuschvoll ließ Skadi beide auf die Ablage gleiten, ehe sie sie mit einem der naheliegenden Tücher trockene und im Unterschrank verstaute.
„Hm?“, erklang es, als er geglaubt hatte, Skadi hätte noch etwas gesagt, doch da wandte sie sich bereits an Rayon und Liam verwarf den Gedanken. Ein wenig nachdenklich bedachte er die Jüngere und seufzte bei ihrem ruhelosen Anblick tonlos. Es erinnerte ihn ein bisschen an seine eigene Unruhe, die er allerdings gut mit kreativen Arbeiten im Zaum halten konnte. Die Dunkelhaarige schien damit weniger Erfolg zu haben, wie er aus ihrer Antwort bezüglich ihres Buches schloss. Das Problem war, dass sie an Bord der Sphinx nicht wirklich viele Möglichkeiten hatten. Der Platz war begrenzt, die Beschäftigungsmöglichkeiten ebenfalls und während er darüber nachdachte, welchen Vorschlag er ihr noch unterbreiten könnte, hatte sie längst die Töpfe gespült und – gerade als ihm die Arbeit ins Auge gefallen war – zum Handtuch gegriffen. Stattdessen erwiderte er ihren Blick mit Skepsis, aber nicht minder gut gelaunt. Er wusste, dass es keine gute Idee war, sich mit Skadi anzulegen – gerade jetzt, nachdem sie es ihm so energisch ins Gedächtnis gerufen hatte, dass er ihr nicht blind trauen sollte. Das Problem: Er tat es trotzdem. Und was sollte an Ausdauertraining schon gefährlich sein? „Du willst nur sehen, wie schnell ich aufgebe, oder?“, stimmte er mit einem Nicken zu. Er hatte nie explizit trainiert, aber dadurch, dass sie meist durchgehend unterwegs gewesen waren und oftmals die direkten Wege bevorzugt hatten, war er durchaus in Form.
Ein kurzes Glucksen durchfuhr Skadis Kehle. “Mh… eigentlich brauche ich nur einen guten Vorwand, um vor aller Augen rittlings auf dir zu sitzen.“, erwiederte sie, kaum dass der hoch gewachsene Körper sich vollständig herum wandte und mit einem verschmitzten Grinsen und Augenzwinkern Liam entgegen blickte. Nicht, dass es tatsächlich ihre Absicht gewesen war, doch irgendwie fühlte sich diese zweideutige Normalität angenehm an. Vertrieb den Schleier von gähnender Langeweile und aufkommender Unruhe, die sich wie ein Bienenschwarm durch ihren Magen zog. “Aber ganz davon abgesehen ist es nie verkehrt, für den Ernstfall vorbereitet zu sein… diese Crew bringt uns sicherlich öfter in Schwierigkeiten, als mir und vor allem dir lieb sein dürfte.“
Er seufzte amüsiert. „Ich dachte, diese Niederlage hätte ich bereits hinter mir.“, meinte er, hielt sich allerdings nicht lange an der Erinnerung an die Morgenwind auf. Er wusste, wie Skadi es gemeint hatte, aber so einfach würde er es ihr dieses Mal gewiss nicht machen, sollte sie es tatsächlich auf einen Trainingskampf anlegen. „Mir wären Abenteuer weitaus lieber als Schwierigkeiten.“ Das Lächeln auf seinen Zügen verblasste. Er wusste, dass Skadi womöglich Recht behalten würde, aber es tat gut, einfach nicht weiter darüber nachzudenken. „Aber dieses Mal ohne gebrochene Nasen, einverstanden?“
Etwas irritiert verzogen sich die dichten Augenbrauen, bis Skadi verstand, worauf der Lockenkopf anspielte. So hatte sie das zwar nicht gemeint, doch es änderte nichts daran, dass sie sich ihm mit einem breiten Grinsen näherte und mit einer Hand auf seiner Brust vor ihm zum Stehen kam. “Dieses Mal stehen wir ja auch nicht auf verschiedenen Seiten… und nun ja…“ Allmählich sackte der verschmitzte Ausdruck auf ihren Zügen hinab. Machte dem sanften Lächeln und Funkeln in den dunklen Augen Platz, das sich mit einem sanften Nachdruck ihrer langen Finger auf Liams Körper übertrug. “… ich mag dein Gesicht so, wie es jetzt ist.“ Für einen Herzschlag lang war da nichts außer purer Ehrlichkeit in ihrer Haltung und der Wärme ihrer Stimme. Doch kaum schenkte sie dem Lockenkopf einen liebevollen Klopfer gegen die Brust, löste sie sich bereits aus der wohligen Nähe zu ihm. Trat einige Schritte zurück und wandte sich herum, auf direktem Weg ans Deck zurück. “Dann wollen wir mal.“
Im Grunde wartete er nur noch darauf, dass Skadi entschied, wo es sich hier am besten trainieren ließ. Sie tat es hin und wieder, das wusste er, selbst wenn er ihr dabei noch nie über den Weg gelaufen war. Umso überraschter war er, als ihre Schritte sie nicht zur Treppe führten, sondern direkt auf ihn zu. Während sein Blick anfangs noch abwartend auf ihr gelegen hatte, fiel er nun flüchtig auf ihre Hand, ehe er das Funkeln in ihren Augen mit einem geschmeichelten Lächeln erwiderte. Trotzdem legte sich seine Stirn unscheinbar in Falten. Ob es an ihrer ruhelosen Art heute lag oder an etwas anderem – er wusste es nicht, doch heute wurde er absolut nicht schlau aus ihrem Wechsel zwischen Nähe und Abstand. „Mein Glück, wie es scheint.“, lächelte er leise und behielt die Zweideutigkeit absichtlich für sich, ehe Skadi sich mit einem sachten Hieb gegen seine Brust umwandte und aufs Deck marschierte. Liam folgte ihr auf dem Fuß, noch immer unschlüssig, woher ihre Stimmungsschwankungen heute kamen und ein wenig darauf bedacht, etwas umsichtiger mit ihr umzugehen.
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