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Das Wiedersehen
Cornelis Feuerbart
Crewmitglied der Sphinx
für Gold gesucht
dabei seit Keine Angabe
#1
Das Wiedersehen
bespielt von    Enrique de Guzmán
22.03.1822
Sphinx
Das Wiedersehen

22. März 1822 I Hautdeck der Sphinx in der Bucht der einsamen Insel I Cornelis & Enrique


Endlich hatten sie den dichten Dschungel hinter sich gelassen. Cornelis war heilfroh und entspannte sich sogleich ein Stück weit, da ihm hier am Strand seine Arachnaphobie nicht mehr zu schaffen machte. Gleichzeitig tauchte in der Bucht, die er vor einigen Tagen bereits einmal umrundet hatte, als er um die Insel gelaufen war, das Schiff der Piraten auf. Es handelte sich um ein relativ kleines Gefährt mit auffällig roten Segeln. Cornelis blieb einen Augenblick stehen und tauschte mit Scortias einen erleichterten Blick, bevor er ihm mit einem Schmunzeln hinterhersah, wie der Junge zur Anlegestelle eines Beibootes vorauseilte. Dann folgte auch Cornelis mit langsamen Schritt der Gruppe hinunter zum Beiboot.

Ein Gefühl der Erleichterung durchlief ihn, als er den ersten Fuß in das Boot setzte und endlich wieder leicht schwankende Bootsplanken anstatt Sand unter seinen Stiefeln spürte. Schon kurz darauf waren sie hinüber auf dem Weg zur Sphinx, wie das Schiff hieß - was Cornelis und Scortias inzwischen wußten. Da Trevor, wie den ganzen Weg über, weder stillsitzen noch seinen Mund halten konnte, war die Besatzung des Schiffes bald auf sie aufmerksam geworden und stand an der ihnen zugewandten Reling. Bald hatten sie die Sphinx erreicht und eine Einbootungleiter wurde herabgelassen, mit der sie auf das Deck hinaufstiegen.

Als sie auf dem Schiff waren, drehte sich noch ein Besatzungsmitglied zu ihnen herum, das - offenbar in Gedanken versunken - bisher auf der ihnen abgewandten Seite an der Reling gestanden hatte. Cornelis, der gerade dabei war, die Besatzungsmitglieder der Sphinx zu begrüßen und sich vorzustellen, stockte mitten im Wort und starrte den Schwarzhaarigen an. Plötzlich war alles um ihn herum in weite Ferne gerückt und nur noch dieser Mann hatte seine Aufmerksamkeit.

Er kannte diese Art, sich zu bewegen. Dann sah er ihn von vorne, die Gestalt, das Gesicht und schließlich diese Augen. Diese unverwechselbaren Augen - kein Zweifel, diese Augen gab es nur einmal auf der Welt!

"Enrique?", das erste Mal war es eine leise und ungläubig gestellte Frage. "Enrique!", das zweite Mal war es ein Ausruf freudiger Überraschung. "Was, zum Klabautermann, machst du denn hier?"

Die vierzehn Jahre, die sie sich nun nicht mehr gesehen hatten, waren auf einmal wie weggewischt. Cornelis ging einen Schritt auf Enrique zu und seine Arme hoben sich schon so wie früher, wenn er wieder einmal nach Estero gekommen war. Damals, als ihre Freundschaft bei jeder Ankunft und bei jedem Aufbruch mit einer herzlichen Umarmung besiegelt worden war.
Doch dann stockte er erneut. Er blieb stehen und seine Arme senkten sich wieder an seine Seiten hinab. Aus dem Jungen war ein Mann geworden - wie sollte er wissen, ob ihre Freundschaft überhaupt noch bestand? Vielleicht hatte Enrique ihn in der Zwischenzeit vergessen gehabt. Und wer weiß, was sie ihm über sein Verschwinden damals erzählt hatten. Vielleicht war der junge Mann vor ihm auch zornig auf ihn - oh ja, er wußte, wie zornig Enrique schon damals als Knabe sein konnte.
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#2
Enrique starrte auf die Durchfahrt der Bucht, beobachtete wie sich die Wellen des Ozeans veränderten, als sie sich durch die Öffnung vom Meer hinein schoben, zu Brandung wurden, die Seevögel, die sich dort tummelten und die Spiegelung der untergehenden Sonne auf dem Wasser.
Er überlegte. Er fühlte sich völlig zerschlagen, hatte aber nicht vor es zu zeigen. Er brauchte dringend neue Cocablätter und Kalk. Gerade jetzt wäre das extrem hilfreich gewesen. So vieles war passiert, so viel zu klären und — ein Ausruf der Überraschung riss ihn aus seinen Gedanken.
Kaladar, der Kindskopf und Rayon schienen am Strand aufgetaucht zu sein und brachten anstelle von Nahrung neue Leute mit.
Ein genervtes Schnauben entkam ihm. Noch mehr Aufregung, die er eigentlich gar nicht gebrauchen konnte. Kopfschüttelnd wandte er den Blick wieder auf die See und setzte seine Grübelei fort. Bis sie an Bord kommen würden würde er sich bestimmt keine Mühe machen, herauszufinden wer da zu ihnen stieß.

Als Trevor's Stimme schließlich nach und nach deutlicher wurde, er die Ankunft also nur all zu direkt mitbekam, knurrte er und versuchte krampfhaft bei seinen Gedanken zu bleiben, was ihm allerdings nur teilweise gelang. Angeblich wäre Feuerbart dabei. Er schnaubte. Dann sollte er definitiv besser hier auf der anderen Seite des Schiffes, von den Beibooten und gerafften Segeln mehr als halb verdeckt, stehen bleiben. Unter Deck treiben würde er sich dadurch nicht lassen. Der wusste zwar bestimmt nichts davon, dass Enrique schon mal an einer Jagd auf ihn beteiligt gewesen war, war aber bestimmt auch sonst nicht gut auf Marineangehörige zu sprechen, egal ob sie gerade ihren Dienst quittiert hatten oder nicht.

Kurz darauf turnte der jüngere Scovell über die Reling, äußerte etwas Unzusammenhängendes und eilte davon. Der Rest verschwand ebenfalls weiter nach Achtern. Eigentlich hätte er nur noch einen Moment warten müssen und er wäre, abgesehen von der "Deckwache", wieder alleine an Deck gewesen, doch irgendetwas von dem nebenher Aufgeschnappten irritierte ihn, ließ ihn sich halb herumdrehen und den Anderen hinterherschauen. Dabei striffen seine Augen beiläufig einen blonden, ebenfalls größtenteils verdeckten Hühnen, der zu ihm herübersah, doch wanderte seine Aufmerksamkeit vorüber, heftete sich an die Anderen, die sich wohl ersteinmal zurückziehen wollten.
Die leise Frage bekam er gar nicht mit, doch dann, im Begriff sich wieder gänzlich der Reling zuzuwenden, als Cornelis seinen Namen das zweite Mal äußerte, da war ihm, als ob seine Kindheit ausholte und ihm volle Kanne einen Schlag in seinen Magen verpasste, als ob ein Geist ihn im Nacken berührte und nach ihm rief, um ihn mit in das weiße Land zu ziehen. Er fuhr heftig zusammen, presste reflexhaft die Rechte auf die Stelle dumpfen Schmerzes, den er damit heraufbeschwor, während sich die Finger seiner anderen Hand unbewusst um eine Dirk krampften. Heftige Bewegungen oder Anspannungen sollte er definitiv lassen, wurde ihm klar, während in seinem Kopf die Gedanken rasten und die Emotionen über ihm zusammenstürzten.
Das konnte nicht sein.
Und doch, diese Stimme, etwas heiserer vielleicht als damals, die Art zu fragen — er schloss die Augen und wagte nicht sich wieder zurückzudrehen, zu sehr wühlten ihn die Erinnerungen auf. So sehr, beinahe wäre er deswegen in die Knie gegangen.
Zögernd wandte er dann doch leicht den Kopf und spähte durch schmale Schlitze in die Richtung der Stimme. Es musste die des Hühne sein und der schien näher gekommen. Hatte Cornelis einen Bruder gehabt? Halluzinierte er? Spielte ihm jemand einen Streich? Kam das, weil er sich völlig zerschlagen fühlte?
Dann siegte die Wut, schob Emotionen und alten Zeiten beiseite und ließ ihn sich auf das hier und jetzt konzentrieren. Wenn es eine Halluzination war, dann musste er sich ihr stellen. Wenn es etwas anders war auch. Aufgebracht wie er war kam er gar nicht darauf, dass man ihn damals belogen haben könnte, sprach doch vieles dafür, dass dem nicht so war.
Vorsichtig straffte er sich und wandte sich entschlossen dem Neuankömmling zu, konnte ihn aber nicht genau erkennen, bewegte sich also langsam zwischen Mast, Booten und Gut hindurch auf ihn zu und trat kurz darauf vollständig aus der Deckung.
Aus dem Jungen war in der Tat ein Mann geworden, gerade mal einen halben Kopf kleiner als van der Meer, das schwarze Haar noch immer lang und offen, ein schmaler Vollbart, so gut es ging gepflegt, zierte inzwischen das Gesicht und vermochte trotzdem nicht die Ähnlichkeit der Züge zu damals zu verbergen. Der Körper war, nach wie vor, muskulös und schlank, wenn auch die Bewegungen insgesamt langsam und ein wenig steif wirkten. Woran das lag war unter dem schweren, leichte angegangen Uniformrock der Marine den er trug nicht auszumachen.
Nach der Aktion mit Aspen hatte es dem ehemaligen Leutnant nach Abstand, einer Art Rüstung verlangt, und so hatte er ihn übergeworfen, sich ein wenig in andere alte Zeiten geflüchtet, nicht weil ihm kalt, sondern weil der Rock vertraut war und ihn beruhigte.

"¡¿Was zum—?!"

Die aufgebrachte Frage brach mittendrin ab, nur um noch zorniger wiederholt zu werden:

"¡¿Was, demonios, soll dass werden?! ¡¿Wer, diablos, sind sie?!"

Das konnten nicht Cornelis sein, der war tot und das hier eindeutig eine absolute Frechheit! Und doch sagten ihm seine Augen das Gegenteil. Hoffnung und Trauer rangen mit heißer Wut, die Gewissheit, dass dieser Mann nicht hier sein konnte mit dem Offensichtlichen, Chaos mit eisernen Selbstdisziplin. Eine finstere Drohung stand in sein Gesicht geschrieben.

"¡Erklärt euch!", verlangte er scharf.

Und es wäre besser eine gute Erklärung! Andernfalls konnte dieser dreimal verfluchte Hurensohn seine Knochen eigenhändig am Strand aufsammeln!
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Cornelis Feuerbart
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#3
Cornelis merkte gar nicht mehr, wie sich die anderen weiter Richtung achtern zurückgezogen hatten, war sein Blick doch völlig von Enrique - und es gab keinen Zweifel für ihn, daß er es war - in den Bann gezogen. Konnte das wahr sein? Konnte das Schicksal sie tatsächlich hier zusammengeführt haben? Hier, in einer Situation, in der er einen Freund mehr als dringend brauchen konnte? Nein, er hatte Scortias nicht vergessen und schätzte ihn sehr, vor allem, daß er sich für ihn entschieden hatte. Doch Scorti war ein Kind - es war etwas anderes. Scorti war zu seinem Ziehsohn geworden, doch Enrique war - bisher jedenfalls - der Freund eines Mannes.

Cornelis beobachtete, wie Enrique aus der halb verdeckten Sicht der anderen Bordseite heraustrat und nahm mit einem leichten, anerkennenden Nicken die stattliche Gestalt wahr, zu der dieser geworden war. Dann wanderte sein Blick erneut hinauf zu Enriques Antlitz und er sah ganz deutlich die Gewitterwolken der Wut, die es verdunkelten. Zunächst entlockte dieser Anblick ihm ein leichtes Schmunzeln, erinnerte es ihn doch an die guten alten Zeiten, als Enrique jedoch zu sprechen begann, sagte er Dinge, die Cornelis nie erwartet hätte in dieser Situation. Im ersten Augenblick riefen sie bei ihm Verwirrung hervor und er trat unwillkürlich einen Schritt zurück, so daß er leicht an die Reling hinter sich stieß. Dann schoß ihm der Gedanke, den er zuvor bereits gehabt hatte, wieder in den Kopf und er sprach ihn laut aus.

"Was haben sie dir damals erzählt, als ich nicht mehr nach Estero kam? Daß ich tot sei?" Ein höhnisches Grinsen verzog seine kantigen Züge. "Oh ja, ich kann mir gut vorstellen, daß Russell lieber sagte ich sei tot, als daß er zugab, daß ich lieber zu den Freibeutern gewechselt hatte als bei ihm zu bleiben."

Schlagartig wurde seine Miene wieder ernst - ja mehr noch, ein Ausdruck von Entsetzen legte sich in seinen Blick. "Aber das heißt ja.... Du hast meine Nachricht nie bekommen? Du hast all die Jahre wirklich gedacht, ich sei tot?"

Langsam ließ er sich auf die Reling sinken. Jetzt erst verstand er tatsächlich, wie Enrique sich in diesem Augenblick fühlen mußte.
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#4
Das Verhalten des Fremden irritierte ihn. Erst schien ihm, dass dieser zufrieden war mit dem, was er sah, dann wiederum schien er Anderes oder weniger Wut erwartet zu haben.
Was hast du denn gedacht, was ich tue? Dir freudig um den Hals fallen, nur weil du hier auftauchst und diese Scharade aufführst?
So sehr er sich auch wünschte, dass es wahr wäre, das wieder und wieder ohne Cornelis zurückkehrende Schiff hatte beständig die Zweifel fortgewaschen, 14 Jahre ohne Brief oder Wort sich eingebrannt. Zu viel stand im Weg, als dass die "Wirklichkeit" einfach ihren Platz für die Wahrheit geräumt hätte.

"Spar dir das!", fauchte er, als er den höhnischen Ton mitbekam, ohne zu realisieren, dass der gar nicht gegen ihn gerichtet war, sondern gegen Shane's Nachfolger.

In seinem Zorn holte er aus, bereit diesen Mann mit einem gezielten Schlag über die Reling zu befördern, vor der dieser schon so passend stand, doch er zog ihn nicht durch. Warum ihn die erschüttert Miene dieses elenden Dreckskerls davon abhielt wusste er nicht. Vielleicht lag es an der Ähnlichkeit. Darüber wollte er aber lieber nicht nachdenken, waren die Erinnerungen an den Rotbart doch derzeit zu schmerzhaft. Stattdessen versuchte sein Verstand widersinniger Weise die letzten Sätze vor den ersten zu verarbeiten. Das Cornelis tot war stand außer Frage und war damit abgehakt und das kleine Wörtchen 'dachtest' unter den Tisch gefallen, aber der Satz davor ergab überhaupt keinen Sinn...
Nachricht? Welche Nachricht?
Das war das Erste, was von van der Meers Äußerungen wirklich ankam und ihn aus dem Konzept brachte. Von was für einer dreimal verfluchten Nachricht sprach dieser Mann? Warum zum Henker hätte er ihm eine zukommen lassen wollen? Und warum war der so darüber entsetzt, dass er sie nicht erhalten hatte?
Ungewollt kam eine andere Gedankenkette hoch:
Sprach er vielleicht wirklich von einer Nachricht, die sein Freund ihm hatte zukommen lassen wollen? Was wenn das die Wahrheit war? Was wenn ihn die letzten Worte Cornelis tatsächlich nie erreicht hatten?
Soweit war die alte Realität inzwischen bereit sich zu beugen. Der Stich ins Herz saß tief. Schmerz und Trauer verdrängten die Wut schlagartig und ließ ihn sich abwenden. Sein linker Arm drückte sich auf Bauch und Rippe. Wieder hatte er das Gefühl, dass seine Beine ihn nicht mehr lange tragen würden. Am liebsten wäre er weggerannt. Da das nicht ging und er es sich auch nicht erlauben konnte lehnte er sich Sicherheitshalber leicht gegen die Pinasse und hoffte, dass es nicht allzu sehr auffiel. Tränen bahnten sich ungewollt ihren Weg, aber er musste, er durfte sie nicht zeigen! Aufhalten ließen sie sich durch diese Gedanken jedoch nicht. Und obwohl er es am liebsten gar nicht wissen wollte formten seine Lippen die Sätze:

"Welche Nachricht? Was soll der Mist? Lass mich damit in Frieden!"

Wie sehr hätte er damals diesen Mann gebrauchen können, wieviel mehr jetzt? Aber das konnte nicht sein. Sein Freund war doch tot.
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Cornelis Feuerbart
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#5
Cornelis sah den Arm, der ausholte - doch er rührte sich nicht. Hätte sein alter Freund das gebraucht, um das Wiedersehen zu verarbeiten, dann hätte er den Schlag mit Freuden in Kauf genommen. Doch anstatt zuzuschlagen, fauchte Enrique ihn erneut an, wandte sich dann von ihm ab und lehnte sich an der Pinasse an. Für Cornelis schien es so, als bräuchte der junge Mann die Stütze aufgrund des Schockes oder der Verwirrung. Daß er auch physisch verletzt war, war für ihn nicht ersichtlich.

Ein dumpfer Schmerz breitete sich immer weiter in Cornelis´ Brust aus. Er war tatsächlich tot für Enrique und dieser konnte offenbar nicht begreifen, daß er noch leben sollte. Oder wollte er gar, daß er nicht von den Toten auferstand? Er wandte den Blick ab, hielt ihn gesenkt auf die Planken des Decks und seine Augen brannten von unterdrückten Tränen. Immer wieder und wieder flogen die Bilder seiner Jugend an seinem inneren Auge vorbei. All ihre Begegnungen - all ihre Freude - und auch die heftigen Auseinandersetzungen zwischen diesem zornigen Knaben und ihm, die nie ihre Freundschaft zu trüben vermocht hatten, da die Versöhnungen danach nur um so herzlicher ausgefallen waren.

Als Enrique dann die Frage nach der Nachricht stellte, hob er nicht den Blick und sagte nur mit heiserer Stimme: "Die Nachricht, in der ich dir schrieb, daß es mir gut geht und daß du dir keine Sorgen zu machen brauchst."

Dann kehrten sich seine Gedanken wieder ab von der Gegenwart und kehrten in die Vergangenheit zurück, in ihre gemeinsame Vergangenheit, an die er so oft gedacht hatte in den letzten 14 Jahren, bis sie schließlich an ihrer ersten Begegnung hängen blieben. Da hob er seinen Blick und sah wieder zu Enrique - und da dieser bis jetzt noch nicht reagiert hatte, erhob er sich langsam und ging ein wenig auf ihn zu, bis er vielleicht zwei Meter hinter ihm stand.

Seine Stimme war noch immer heiser, als er leise sagte: "Sir? Kann ich helfen?" Es waren die ersten Worte, die Cornelis damals von Enrique gehört hatte. Und es war die Hoffnung darauf, daß Enrique begreifen würde, daß er nicht jeden einzelnen Wortwechsel erwähnt hätte, hätte er jemandem davon erzählt. Es war die Hoffnung darauf, daß diese vier einfachen Worte es Enrique ermöglichen könnten zu erkennen, daß er es tatsächlich war.
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#6
"Die Nachricht, in der ich dir schrieb, daß es mir gut geht und daß du dir keine Sorgen zu machen brauchst."
Hätten dem nicht 14 Jahre gegenteiligen Glaubens entgegen gestanden, dieser Satz hätte gereicht, Enrique voll und ganz zu überzeugen, kam er doch in dem Tonfall, in dem Cornelis mit ihm häufig über das Ende des freundlichen alten Herrn der Seepferdchen gesprochen hatte und auch ein einziges Mal etwas von den Problemen unter dem neuen Capitán erwähnte, als es zuviel geworden war.
So aber sickerte der Satz nur langsam in das Bewusstsein des 26-Jährigen.
"Die Nachricht, in der ich dir schrieb, daß es mir gut geht und daß du dir keine Sorgen zu machen brauchst."
...dir schrieb... Cornelis hatte geschrieben..?

"Warum..?"

Warum hatte er sie dann nicht erhalten? Das Wort war ein leises, kaum verständliches wispern.
"Die Nachricht, in der ich dir schrieb, daß es mir gut geht und daß du dir keine Sorgen zu machen brauchst."
...keine Sorgen zu machen brauchst... Die hatte er sich bestimmt trotzdem gemacht...

"Das ist nicht fair!"

Auch das war nur ein leises und halb ersticktes Flüstern.
Nicht fair... Aber was war schon fair? Das Leben bestimmt nicht.
Beide rangen sie eine Weile für sich mit ihrer Vergangenheit, der eine Schritt rückwärts durch sie hindurch, der andere versuchte verzweifelt sie in einen neuen Bezug zu setzen.
Wie sehr wünschte er sich, dass er solch eine Nachricht erhalten hätte, das er auf ein Wiedersehen hätte hoffen, ihn hätte suchen können!
Was wenn dem aber so ist?, regte sich leise das erste zaghafte bisschen Hoffnung.
Was wenn er tatsächlich solch einen Brief nicht erhalten hätte? Was wenn Cornelis tatsächlich noch lebte? Könnte er dann nicht auch hier sein? Wieder und wieder drehte und wendete er diese Fragen in seinem Kopf, kämpfte gegen das Gefühlschaos, die Angst noch einmal betrogen zu werden, der davor, dann noch einmal all den Schmerz aushalten zu müssen, das Misstrauen, dass sich über die Zeit so tief eingenistet hatte, dass es zu einer grundlegenden Einstellung geworden war, die Wut auf alle, die daran Schuld waren, dass er, die Situation und anderes so war, wie das alles jetzt nun mal war, an, bemühte sich der Hoffnung nicht den Wind aus den Segeln zu nehmen während eine andere Wut die Frage aufbrachte, warum er diesem Mann vertrauen sollte, wenn der ihn wahrscheinlich doch wieder allein lassen würde, falls er es denn überhaupt war—
"Sir? Kann ich helfen?"
Die Frage riss ihn aus seinen Gedanken. Und obwohl es sein alter Freund war der diese Worte sprach mischten sich weitere Stimmen dazu: Seine Eigene. Die von Personal, von Kadetten, Menschen auf der Straße, Fähnrichen und andere aus 14 Jahren seines Lebens. Am Ende war es die von Gaskel, die am deutlichsten zu ihm durchdrang. Immerhin hatte er Zehn Jahre davon bei der Marine verbracht. Und damit griffen die Reflexe der letzten Zeit. Er strafte seine Haltung ruckhaft, sein Gesicht verschloss sich und auch eine leicht schroffe Anweisung schoss ihm, wie er sie sich für solche Fälle, als Offizier, angewöhnt hatte, über die Lippen:

"Das ist ni— Agh—!"

Jedenfalls der erst Teil, bis sein Körper ihn mehr als rüde unterbrach. Jetzt, ohne die Wut, die jeglichen Schmerz der vorherigen Bewegungen ausgefiltert hatte, bahnte dieser sich, ausgelöst durch das plötzliche Aufrichten und verstärkt durch die vorherige Reizung, seinen Weg in den, durch die Situation, ungeschützt offenliegenden Geist des ehemaligen Offiziers, ließ ihn Sterne sehen und schickte ihn, was Schock und Verzweiflung vorher nicht geschafft hatten, in die Knie.
Er blinzelte irritiert, als der Schmerz sich schließlich zu ein dumpfen, regelmäßigen Stechen verringert hatte, er sich an diesem vorbei besann, wo er war und ihm dämmerte, dass ihn hier niemand so ansprechen würde.
Und warum sollte ausgerechnet ein berühmt-berüchtigter Piratenkapitän jetzt damit anfangen?

"Was?"

Fragend suchte er den Blick dieses Mannes. Und auch wenn die Situation jetzt andersherum war, so hatten sich diese Worte doch damals so sehr in sein Gedächtnis gebrannt, so oft hatte er sie wiederholt, dass diese Erinnerung sich ungewollt einstellte und er war so verwirrt, dass er für einen Moment wieder das Gefühl hatte der kleiner Junge zu sein, der er damals war.
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Cornelis Feuerbart
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#7
Offenbar war die Wut bei Enrique verflogen, denn als nächstes hörte er nur halb geflüsterte Worte von diesem. Doch er war zu sehr in seine eigenen Gedanken verstrickt, um Enriques Warum? und Das ist nicht fair wirklich bewußt wahrnehmen zu können. Kurz darauf hatte er einen Plan gefasst und trat mit diesem Detail aus der Erinnerung ihrer ersten Begegnung an Enrique heran.

Nachdem er diese vier Worte ausgesprochen hatte, stand er äußerlich ruhig, doch innerlich zitternd, schweigend hinter Enrique und wartete ab, ob die Erinnerung, die in diesem Moment auch in seinem Kopf war, den Bann bei seinem alten Freund brechen konnten. Doch da überschlugen sich plötzlich die Geschehnisse. Enrique straffte seine Haltung, begann einen Satz, nur um mitten darin mit einem Laut des Schmerzes abzubrechen und in die Knie zu gehen.

Für einen Moment lähmte der Schreck Cornelis, so daß Enrique noch Zeit hatte, sich zu ihm umzuwenden. Doch dann erfolgte van der Meers Reaktion sehr schnell. Ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, daß seine Handlung in dieser Situation vielleicht falsch sein könnte, handelte er. Es war ein Reflex, geboren aus einer gemeinsamen Vergangenheit und Freundschaft. So überbrückte er die Entfernung zwischen ihnen mit einem einzigen großen Schritt, beugte sich zu seinem alten Freund hinunter, faßte ihn unter den Armen und wollte ihn hochziehen.

"Enrique! Was ist los?" Seine Stimme war voller Sorge.
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#8
"¡NO!"

Enrique stieß das Wort zwischen den zusammengepressten Lippen hervor, sowie ihm klar war, was Cornelis tun wollte. Und das war just in dem Moment, wo der die Hände unter seine Achseln schob. Das hätte die Rippe nur wieder unnötig belastet.

"Nicht!", fügte er leiser an, während er die Linke wieder auf die Rippen presste.

Seine Rechte klammerte sich an den Oberarm Feuerbarts, seine Haltung, leichte nach vorne und zur Seite zusammen gekrümmt, blieb ansonsten wie sie war. Es tat gut, dass der Schmerz weiter nachließ.
Ich lerne das wohl nie.
Er musste wirklich bescheuert sein sich mit einer gebrochenen Rippe mit jemandem prügeln zu wollen. Oder sich unnötig heftig zu bewegen. Aber so war er nunmal. Wenn er die Beherrschung verlor, dann gab es kein Halten mehr, bis ihn irgendetwas stoppte und zur Besinnung brachte. Und sei es eben, dass er zusammenbrach. Zum Glück passierte das inzwischen nicht mehr allzu häufig.
Abermals fingen seine Gedanken an zu wandern und brachten das gerade Gesagte wieder hoch.
"Sir? Kann ich helfen?"
Dieser Satz ging ihm, genau wie der mit der Nachricht, nicht mehr aus dem Sinn. Noch immer verstand er das alles nicht. Enrique fand keine sinnvolle Antwort darauf, warum dieser Mann ihm das erzählte oder ihn so ansprach. Außer... Aber das konnte doch nicht sein! Oder doch?

"Warum haben sie das gerade gesagt?"

Langsam sah er zu Cornelis wieder auf. Er musste es wissen, hoffte, bettete und wusste doch nicht, ob er die Antwort wirklich hören wollte...
Dieses Mal sah Cornelis, dass Enrique zwar noch zweifelte aber bei klarerm verstand war und wusste, dass seine Antwort unverzerrt ankommen würde.
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Cornelis Feuerbart
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#9
Enriques eindringliches "No!" ließ Cornelis einhalten. Kurz darauf bekräftigte sein alter Freund seinen Ausruf mit einem leiseren "Nicht" und drückte sich eine Hand gegen die Rippen. Und da schwante ihm, was mit Enrique los war. Er nickte leicht zum Zeichen, daß er verstanden hatte, nahm seine Arme zurück und ließ sich der Einfachheit halber neben Enrique auf den Planken des Decks nieder. Sein Degen schepperte leise, als dieser auf dem Holz aufschlug. Es dauerte eine kurze Zeit, in der sie schweigend nebeneinander saßen/hockten, und Cornelis überlegte schon wieder daran, wie er es Enrique verdeutlichen könnte, daß er nicht tot war, als dieser schließlich das Schweigen brach.

"Warum haben sie das gerade gesagt?"

Diesmal sah Cornelis zu Enrique auf und als er dessen Blick traf, war es ihm plötzlich, als würde er in die neugierig und offen fragenden Augen des Jungen schauen, den er vor so langer Zeit zum letzten Male getroffen hatte. Diese Erkenntnis entlockte Cornelis ein herzliches Lächeln - ein Lächeln, das Enrique kannte, vor allem das Lächeln in den Augen, die so blau waren wie die See.

"Weißt du es nicht mehr? Der Sturm, der an jenem Abend aufkam und die Seepferdchen daran hinderte in den Hafen zu kommen. Die Nacht bei diesem Unwetter auf hoher See, das Sturmsegel hatte mich zu Boden gerissen und das Stag mir wie eine Keule den Hinterkopf aufgeschlagen. Dann war ich in völliger und nicht enden wollender Dunkelheit gefangen. Am anderen Tag war der Sturm vorüber, wir legten im Hafen an und ich wurde von zwei meiner Seekameraden von Bord gebracht. Kaum fühlte ich festen Boden unter den Füßen, riß ich mich auch schon los, stolperte über irgendetwas - ich konnte ja nichts sehen - und fiel. Der Aufprall auf dem Boden ließ den Schmerz in meinem Kopf wieder explodieren und die Übelkeit hätte fast dazu geführt, daß ich mich übergeben hätte. Nur langsam ließ der Schmerz nach und ich bekam wieder etwas von meiner Umgebung mit. Und dann war da diese Knabenstimme: Sir? Kann ich helfen?"

Da kam ihm noch ein Gedanke, er hob die rechte Hand und tastete nach etwas an seinem Hinterkopf. Seine etwas zu langen Haare waren in Ermangelung einer Bürste in der Zeit auf der Insel leicht verfilzt, obwohl er die gröbsten Knoten stets mit den Fingern herausgearbeitet hatte. Als er gefunden was er gesucht hatte, zog er die Haare über dieser Stelle auseinander und drehte Enrique seinen Hinterkopf zu. Zum Vorschein kam die große Narbe, mit der der Unfall damals seine Kopfhaut gezeichnet hatte.
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Crewmitglied der Sphinx
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#10
Irgendwie passierte in Enriques Kopf alles doppelt.
Das Eine, das wirklich passierte und das andere, was sein früheres ich erlebt hätte. Er konnte beides klar von einander trennen und doch wirkte beides real, wie als hätte er ein Déjà-vu oder es wäre tatsächlich eine Erinnerung.
Als Cornelis nickte und sich setzte ließ er los, setzte sich vorsichtig selbst und lehnte seine Schulter gegen die Reling.
Sein zehnjähriges Ich hingegen war mit dem Nachdenken so beschäftigt, dass es erst dann realisierte, dass es sich noch Festhielt, als es auch schon in Cornelis Arme kippte und prompt rot wurde.
Beide stellten sie schließlich die Frage und erwarteten furchtsam gebannt die Antwort.
Dem Jungen ging das Herz bei dem Lächeln auf und es wurde aus dem immer noch roten Gesicht mit breitem Grinsen und leuchtenden Augen erwidert.
Ihn selbst erfüllte es mit Wärme, versetzte ihm aber gleichzeitig einen derben Stich.
Kurz senkte er den Blick und lächelte still betrübt nur um den Blick erneut auf seinen Freund zu richten und ihn stumm zu betrachten während der Sprache. Wehmut stand in den Augen.

"Doch," antworteten Beide, "ich habe das nie vergessen."

Als Feuerbart die Narbe enthüllte berührt der Knabe diese fasziniert und vorsichtig mit der freien Hand, die andere hatte der noch immer nicht vom Arm gelöst, und warf sich dem Mann dann endgültig in die Arme.
Er selbst konnte nur fahrig nach Cornelis tasten und mit zitternden Fingern dessen Ärmel greifen, während alles um ihn verschwamm und er die Augen schließen musste.

"Y'aY'a", whisperte er erstickt und lehnte auch den Kopf gegen das Holz neben sich, gleichzeitig rannen die Tränen ungehindert. "Daguaroco'Datiao."

Er war es wirklich. Sein Freund lebte. van der Meer war zu ihm zurückgekehrt.
Obwohl jedes verzweifelte und gleichzeitig befreiend Schluchzen Wellen des Schmerzes durch seinen Körper pulsen ließ konnte er damit nicht aufhören.
Wut, Verzweiflung, Trauer, Angst, Erleichterung, Freude, all das mischte sich in ihm und rang um Vorherrschaft.
Selbstvorwürfe sorgten dafür, dass der Erwachsene am liebsten beschämt verschwunden wäre, während sich der Junge einfach nur an den Steuermann klammerte und immer wieder flehte:

"Lass mich nie wieder allein!"

Enrique bekam nicht mit, dass er diesen Satz nicht nur in Gedanken äußerte, sondern auch tatsächlich einmal flüsterte. Sein Wunsch war so egoistisch, wie er unmöglich und kindisch war, weshalb er ihn eigentlich auch nicht aussprechen wollte. Und doch war es alles, was er sich in diesem Moment wünschte:
Sich wie damals, wie dieser kleine Junge, in diesen starken Armen verbergen und bis zur Erschöpfung weinen.
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