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Stay, who you are, don't be afraid
Crewmitglied der Sphinx
für 0 Gold gesucht
dabei seit Nov 2015
#1
Stay, who you are, don't be afraid
bespielt von    Ceallagh Hayes   Lucien Dravean   Talin Dravean
03.05.1822
Sphinx
stay, who you are, don't be afraid
Kurz nach der Flucht von der Kopfgeldjägerinsel in der Kapitänskajüte der Sphinx


Ceallagh, Talin & Lucien
03. Mai 1822 | in der Nacht zum 04. Mai | Kapitänskajüte


Allmählich klang der Schmerz in seinem Körper ab und vermischte sich mit dem warmen Fetzen Alkohol in seinem Blut. Die Kleine hatte ganze Arbeit geleistet, wie sie behände das schmerzhafte Metall aus seiner Schulter gepuhlt und die Wunde mit wenigen, gezielten Stichen vernäht hatte. Auch wenn er sie dabei keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte, musste er ihr Geschick zweifellos anerkennen. Es war offensichtlich, dass sie darin mehr als geübt war, ob an Freunden oder an sich selbst erschien dem Hünen gleichsam unwichtig, wie alles, was sonst mit ihrer Person zu tun hatte.  Für einen Moment stützte er sich mit der verbliebenen freien Hand auf die Reling und bekämpfte die plötzliche Übelkeit, die sich seinen Magen hinauf drückte und seine Züge für einen Sekundenbruchteil kreidebleich werden ließ. Fit fühlte er sich definitiv nicht. Doch er gäbe sich kaum die Blöße sich weinerlich in eine Ecke zu hocken oder den Schiffsarzt nach Betäubungsmitteln zu fragen, die wohl einen Bullen umhauen konnten.
Stattdessen lehnte er sich gegen das warme Holz des Schiffes und starrte nachdenklich auf die dunkle See. Seit Wochen hatte er dieses Gefühl vermisst, das der Fahrtwind und die Tropfen salzigen Meerwassers auf seinen Zügen in ihm auslösten, das die Gischt hinauf spritzte, wann immer sie geräuschvoll gegen den Rumpf klatschte.
Es jedoch hier, auf dem Schiff einer alten, bekannten Seele wiederzufinden, hatte er sich in keinem seiner dunklen Träume ausgemalt. Und doch war er froh, seinen Freund aus vergangen Tagen lebend und wohlauf zu sehen. Nach allem, was er vor Monaten gehört hatte, nachdem er selbst überstürzt aufgebrochen war, hatte er Lucien keine allzu großen Chancen ausgerechnet. Jedenfalls nicht dem Lucien, den er noch so lebendig in Erinnerung hatte. Grün hinter der Ohren. Weich und gerade im Begriff die Vorzüge einer gut ausspielten Rache für sich zu entdecken.



Er sah den Blonden nur aus dem Augenwinkel den Aufgang zum Hauptdeck nehmen, doch es reichte, um Lucien innehalten und den Kopf wenden zu lassen. Er sah ihm nach, bis seine Stiefel schließlich von der letzten Stufe verschwanden und spürte den Drang, sich in Bewegung zu setzen. Ihm zu folgen. Aber etwas in ihm ließ ihn zögern.
Seit Ceallagh in diesem Wirtshaus aufgetaucht war, brannte er darauf, mit ihm zu sprechen. In Ruhe. Unter vier Augen. Da gab es so viel, das er wissen wollte. Wissen musste. Wie es ihm ergangen war, seit sie sich das letzte Mal getroffen hatten. Warum er nicht zurück auf die Mytilus gekommen war. Was ihn davon abgehalten hatte, sich zu melden oder ihn gar zu besuchen. Oder wer. Sein Onkel? Oder Kalem Dravean? Oder er sich selbst? Oder Lucien?
Ein leiser, zarter, stechender Schmerz fuhr ihm durch die Brust, ließ ihn reflexartig die Hand heben und gegen sein Brustbein drücken. Er schwoll an und ab mit jedem Schlag seines Herzens. Dann verblasste er wieder und Lucien stieß leise die Luft aus. Es war das Herz des Zwölfjährigen, das ihn zögern ließ. Der Zwölfjährige, der er einmal gewesen war. Aber er hatte schon weit mehr überlebt, als das hier, oder nicht?
Also setzte er sich in Bewegung, folgte Ceallagh nach oben und als die milde Nachtluft durch sein Haar fuhr, entdeckte er den Blonden an der Reling stehen. Er starrte nach unten. In die Schwärze der Wellen, die so dunkel waren wie sein Gesicht weiß.
Auf Luciens Lippen stahl sich ein Schmunzeln. Er war inzwischen auf wenige Schritte heran gekommen und blieb stehen, verschränkte die Arme vor der Brust. „Du siehst beschissen aus“, eröffnete er dem Blonden in aller Freundschaft.



Langsam, nahezu in Zeitlupe wandte sich der blonde Haarschopf herum und lugte über die nackte Schulter zu dem Jungspund hinüber. Irgendwo unter Deck hatte er sein Hemd zurückgelassen, das ihm mit seinem Blut und womöglich dem Luciens durchtränkt und vom sadistisch angehauchten Frauenzimmer aufgeschnitten kaum noch nützte. Doch all das hinterließ mit den Worten seines Freundes einen amüsierten Zug auf seinen Lippen. Abschätzend wog Ceallagh den Kopf zur Seite und hätte beinahe in seinem Automatismus mit einem Schulterzucken reagierte. Der stechende Schmerz, der sich jedoch bei der kleinsten Bewegung bemerkbar machte, entzog ihm nicht nur eine Spur seiner ohnehin schon mangelhaften Gesichtsfarbe, sondern erinnere ihn daran, dass Gesten wie diese und jegliches Handwerk für die nächsten Tage keine Option für ihn waren.

Und sowas sagst du mir ohne einen versöhnlichen Krug Rum in der Hand? Oh Dravean… wo sind nur deine Manieren geblieben?

Dann lachte er, schüttelte den Kopf und ließ sich seitlich gegen die Reling gleiten.

Ne nette Mannschaft hast du da.



In dem Moment, in dem Ceallagh sich zu ihm umwandte, flutete ein Gefühl des Erkennens sein Innerstes, seinen Verstand. Das Gefühl, das im Kreise der Männer in diesem Wirtshaus noch auf sich warten ließ, das im Eifer ihrer Flucht in den Hintergrund gerückt war. Dafür brandete es nun über ihn hinweg wie die Wellen der aufgepeitschten See in einem tosenden Sturm. Ein sich Erinnern, ein kindliches Urvertrauen, geschmiedet aus gemeinsamen Erlebnissen, gemeinsamen Gegnern, lediglich überlagert vom Misstrauen des erwachsenen Mannes. Aber immer noch da.
Lucien stieß ein spöttisches Schnauben aus. „Meine Manieren? Die hab ich wohl im Gefängnis zurückgelassen.“ Damit überwandt er seine Zurückhaltung. Überwandt den letzten Rest eines Zögerns, lockerte die Arme und trat zu seinem alten Freund an die Reling.
Der Ausdruck seines Spotts wich von seinen Zügen, machte einer oberflächlichen Ruhe Platz. Vorsichtig, um nicht durch eine unbedachte Bewegung den Schmerz in seiner Seite heraufzubeschwören, lehnte sich der Dunkelhaarige rücklings gegen das Geländer und wandte den Blick Ceallagh zu. „Talins Verdienst. Nicht meiner. Sie hat mich gefunden“, erwiderte er nicht ohne den zarten Hauch liebevoller Zuneigung in der Stimme, die selten ausgeblieben war, wenn er dem Blonden gegenüber von seiner Schwester gesprochen hatte. Eigentlich nie, wenn er sich richtig entsann.
War ganz schön knapp heute.“ Mit einem Nicken deutete er auf Ceallaghs frisch genähte Verletzung, die ohne Hemd der milden Nachtluft ausgesetzt war, und fuhr dann mit einem Lächeln fort: „Du hast dir einen aufregenden Moment ausgesucht, um über uns zu stolpern.



Ceallagh hoffte just, dass Luciens Manieren das Einzige waren, was ihm im Gefängnis genommen worden war. Zwar hatte es ihn selbst nie getroffen, doch  wusste er, dass hübsche und verhältnismäßig schmale Männer unter einem mit Aggression und Frust aufgeladenen Haufen schnell zum Freiwild gehörten. Ein mildes Lächeln zierte somit die Lippen des Hayes. Wurde eine Spur weiter, kaum dass der Dunkelhaarige diesen einen ganz besonderen Namen erwähnte, der in seinem Kopf stets als Teil einer warmen, lang vergangenen Erinnerung zurückgeblieben war. Talins Verdienst. Jene Schwester, deren Mut Vorbild und Ansporn zugleich für den kleinen Jungen geworden war, den er hier, auf diesem Schiff, wohl nie mehr wiederfinden würde.
Du weißt doch… ich liebe große und heldenhafte Auftritte.“ Wie damals, als sie nicht mehr und nicht weniger als zwei junge Menschen auf einem Schiff voller Vollpfosten gewesen waren.  Und doch konnte Ceallagh den Hauch von Bitterkeit nicht ignorieren, der sich nebst seines kurzweiligen Auflachens mit in seine Kehle mischte. Der Abend hätte auch weitaus schlimmer für sie alle enden können – dem war sich wohl jeder an Board dieses Schiffes bewusst. Und ganz gleich wie wenig ihm sein eigenes Ableben Sorge bereitete, so war er mehr als froh, dass es zumindest den Geschwistern erspart geblieben war. Zäh wie Trockenfleisch.
Und lieber sorge ich dafür, dass du am Leben bleibst, als dass mir deine Schwester das Leben zur Hölle macht.

Was voraussetzte, dass sie überhaupt von ihm wusste. Dass ihr sein Gesicht in der Menge aufgefallen wäre und sie der irrationalen  Auffassung erlag, dass er für all das hier eine gewisse Teilschuld trug.

Jetzt, wo ihr endlich wieder zusammen an einem Ort seid.

Für einen Sekundenbruchteil musste der Hayes gegen den schweren Seufzer ankämpfen, der sich seine Magenwand hinauf schob und unangenehme Bilder seiner eigenen Schwester in Erinnerung rief. Doch dort wo sie war, blieb sie in Sicherheit. Das war alles, was zählte.



Lucien stieß ein leises, amüsiertes Schnauben aus. Wohl wahr, auch Ceallaghs Auftritt damals, als sie sich zum ersten Mal trafen, war dramatisch gewesen. Er war definitiv ein Freund großer Gesten, ob es nun um heldenhafte Rettungen oder bitterböse Drohungen ging. Oder darum, einen kleinen Jungen aus dem Schatten seiner eigenen Unsicherheit zu locken. Auch daran erinnerte sich der Dunkelhaarige lebhaft.
Er neigte leicht den Kopf und das Lächeln auf seinen Lippen vertiefte sich ein wenig. „Dafür müsste sie erst einmal wissen, dass es dich gibt“, erwiderte Lucien schließlich etwas leiser als gerade eben noch. Nicht, weil er sich für seine Geheimniskrämerei schämte, sondern weil er sich ein weiteres Mal zu fragen begann, wo Ceallagh gewesen sein mochte. Und ob er angesichts der andauernden Funkstille nicht sowieso gut daran getan hatte, Talin nie von jenem einzigen Freund zu berichten, den er auf der Mytilus je hatte. Der einzige, den er überhaupt je hatte.
Jedenfalls… danke, für die Rettung“, schloss er, begegnete dabei dem Blick des Blonden und schwieg ein paar Herzschläge lang. Schwieg und beobachtete dessen ernste Züge, während sich ihm immer neue Fragen aufdrängten, die er ihm liebend gern gestellt hätte. Ob er vor hatte, das jetzt zur Gewohnheit werden zu lassen? Dafür zu sorgen, dass der Dunkelhaarige am Leben blieb? Doch wenn ja, dann gab es da etwas, das sie vorher besprechen mussten. Etwas, das so viel wichtiger war. Und ehe er sich versah, stellte Lucien diese Frage, die ihn auch Jahre nach ihrer gemeinsamen Fahrt noch beschäftigt hatte. Hielt nur mit Mühe den Jungen aus seiner Stimme, der er einmal gewesen war. Kein Vorwurf, kein verletzt Sein, nur nüchternes Interesse: „Wo warst du die ganze Zeit? Warum bist du damals nicht wieder gekommen?



Hatte er denn wirklich eine Wahl gehabt, als ihm Luciens Gesicht am Tisch mit diesen Fremden aufgefallen war? Vielleicht war es eine Affekthandlung gewesen. Vielleicht das tief sitzende Band einer Freundschaft, die vor Jahren mit den Erinnerungen an die Mytilus auf den Meeresgrund gesunken war. Doch ganz gleich was es letztlich gewesen war. Ceallagh war sich sicher, dass er immer wieder genauso handeln würde. Also zuckte er nur beiläufig mit der Schulter und gab dem Jüngeren somit nonverbal zu verstehen, dass er sich DAFÜR definitiv nicht bedanken musste. Nicht bei ihm. "War mir eine Ehre."
Und während das darauffolgende Schweigen sich zwischen sie legte, wie ein Geräusch verschluckender Teppich aus Samt, wandte sich der Blick des Schmugglers zurück auf die See, die irgendwo vor ihm in der Dunkelheit der Nacht am Horizont verschwand. Ließ ihn über die Worte Luciens nachdenken, die unerwartet in den Raum schwebten. Es hatte mehr als nur einen Grund, wieso sie sich all die Jahre nicht mehr über den Weg gelaufen waren. Denn wiedergekommen war er mehr als einmal. Und unverrichteter Dinge von dannen gezogen, weil es weder eine Mytilus noch Lucien auf der Insel gab. Mit einem tiefen Atemzug zog Ceallagh die dichten Brauen zusammen und stützt sich mit der freien Hand an der Reling ab.
"Wenn nicht gerade auf dem Schiff meines Vaters, dann in irgendeinem Gefängnis." Letzteres war der Grund wieso er Enrique begegnet war. Doch davon wusste niemand außer ihnen. "Und wenn ich mal wieder im Land war, wart ihr bereits wieder auf See." So waren die Dinge nun einmal - öfter als einem womöglich lieb war. "Wir haben uns wohl immer glorreich verpasst, würde ich sagen." Das matte Schmunzeln hing nur für einen Sekundenbruchteil auf seinen Zügen, ehe es etwas platt in seinem Mundwinkel verharrte.


Irgendwie hatte der kleine Junge in ihm eine dramatischere Antwort erwartet. Eine todesverachtende Fahrt in eine der anderen Welten, die den Blonden abgehalten hatte oder schlicht die niederschmetternde Wahrheit, dass Lucien die Begegnung auf der Mytilus mehr bedeutet hatte, als dem damals Sechzehnjährigen. Was für ihn eine tiefgreifende Veränderung in seinem Leben bedeutet hatte, war für Ceallagh vielleicht nur irgendeine sechsmonatige Fahrt bei irgendeinem Mann auf irgendeinem Schiff, den sein Vater zufällig kannte, mit einem Jungen an Bord, der sich kaum selbst zu helfen gewusst hatte. Dass die Erklärung jedoch nur ganz normales, alltägliches Pech war, machte die Situation einerseits neutraler, andererseits auch ein bisschen armseliger.
Jedenfalls gaben ihm seine Gefühle in diesem Augenblick merklich zu denken. Lucien schwieg, kämpfte gegen den kindischen Frust, der sich in ihm erhob. Er spürte Enttäuschung, verletzten Stolz und wusste, dass es Unsinn war. Dass Ceallagh nichts dafür konnte, dass die Mytilus jedes Mal schon wieder auf See war, wenn er zufällig den südöstlichsten Zipfel der Landkarte erreichte. Trotzdem wollte er ihm das übel nehmen und sich zugleich einreden, dass er dafür keinen Grund hatte.
Doch so etwas zu überspielen, bereitete Lucien selten Probleme. Also nickte er schließlich, runzelte nur flüchtig die Stirn, als er nachfragte. „Im Gefängnis? Weshalb?



Ceallagh konnte den Kampf in Luciens Inneren nicht sehen. Nicht in diesem Halbdunkel, nicht unter dem Dunst seiner Schmerzen und schon gar nicht in dem verschlossenen Gesicht des Jüngeren, der unfassbar einsilbig geworden war. Vielleicht nahm er auch das zum Anlass, um sich ein tiefes Seufzen zu verkneifen und diesen Ausdruck tief im Gedächtnis einzubrennen. Was auch immer Lucien erwartet hatte, schien wohl nicht das zu sein, was er zu hören bekam.
Nun...wenn mich mein Onkel schon nicht auf physische Art zurechtstutzen konnte, schien ihm das wohl die einzige Möglichkeit sein. Nehme ich an.“, versuchte sich der Hüne in einer Erklärung und ließ den blonden Schopf für einen Moment zur Seite gleiten. “und wenn er es nicht war, dann ein verdammt dummer Zufall oder, was ich eher vermute, einer unserer zwielichtigen Geschäftspartner.
Es war nicht so, dass es ihm nicht von Beginn an klar gewesen wäre. Doch was gab man schon auf den Rat eines aufmüpfigen junges Mannes, der von seinem Handwerk genauso viel verstand wie von den Frauen, die er heimlich im Schutz der Nacht aufsuchte.
So bin ich auch de Guzmán begegnet.



Schweigend hörte er sich Ceallaghs kurzen Abriss der Geschichte an, die noch einiges mehr an Fragen hinterließ, als sie tatsächlich beantwortete. Dennoch huschte ein Schmunzeln über seine Lippen, freundschaftlich amüsiert und doch von einer vorsichtigen Distanz geprägt, sodass die grünen Augen in der schummrigen Dunkelheit ohne Glanz blieben. Den Moment seiner inneren Zerrissenheit derweil schien er wieder überwunden zu haben. „Ah... das erklärt euren so vertrauten Umgang miteinander. Und ich vermute mal, ganz egal was er versucht hat, dein Onkel hat es trotzdem nicht geschafft, dich zurecht zu stutzen.“ Ein Hauch von Spott lag in der Stimme des Dunkelhaarigen, ehe er schließlich nickte und sich von der Reling abdrückte, einen halben Schritt in Richtung der Kajüte machte. Seine Augen kehrte jedoch zu dem Blonden zurück, maßen ihn mit einem kurzen, prüfenden Blick, ehe er ihn mit einem Winken dazu aufforderte, ihm zu folgen. „Komm mit, den Rest der Geschichte solltest du mir bei dem versprochenen Gläschen Rum erzählen. Ich bin gespannt, was dich am Ende nach Lacrinîn und ausgerechnet in dieses Wirtshaus verschlagen hat, wo du über uns gestolpert bist. Außerdem solltest du dich setzen... du siehst wackeliger aus, als ich mich fühle.


Vertraut. Ceallagh schmunzelte angesichts dieser Worte. De Guzmán war sonderbar "zutraulich" gewesen, gewissermaßen. Abgesehen von seinem animalischen Ausraster, der mit seinem Temperament durchaus attraktiv für... andere außer ihm hätte sein können, benahm sich der Offizier üblich distanziert. Wortspiele waren da ihre gängige Art der Kommunikation - auch wenn sich der Schmuggler sicher war, dass es ihm mehr Freude bereitete als dem Dunkelhaarigen.
"Man wächst an seinen Aufgaben.", erwiderte er mit halbem Achselzucken auf Luciens ungestellte Frage und folgte ihm wenig später auf seinen Wink hin unter Deck. "3 Gläschen Rum und wir sind gleichauf." Dass er wohl aussah wie der Tod auf zwei Beinen, begegnete Ceallagh ebenso gleichgültig, wie dem Rest der Crew, der in Richtung Kajüte an ihm vorbeizog wie namenlose Schatten. Gerade erhellte nichts seine Aufmerksamkeit. Selbst als er sich auf einen Stuhl in mitten des Raumes niederließ, hämmerte eine bleierne Schwere durch seinen Kopf. Er musste stark aufpassen, nicht das Bewusstsein zu verlieren.
Seufzend ließ er sich gegen die Stuhllehne gleiten und senkte den Kopf in den Nacken. Die Augen geschlossen, während er Luciens Schritten lauschte, die mal rechts und mal links von ihm durch den Raum klangen.
"Also... wo soll ich anfangen?"



Lucien lachte nur kurz leise auf und schüttelte den Kopf, bevor er sich gänzlich umwandte und mit Ceallagh im Schlepptau den Weg zu seiner Kajüte einschlug. Klang ganz danach, als versprach dieser Abend auf mehr hinaus zu laufen, als nur ein, zwei oder drei Krüge Rum. Eine gute Geschichte verlangte danach und die vorangegangenen Erlebnisse mindestens ebenso. Ob nun, um sie halbwegs zu verarbeiten, sie zu vergessen oder zu feiern, dass sie noch lebten.
Als sie die Kajüte erreichten, zog er seinem ehemaligen besten Freund mit dem Fuß einen der Stühle heran, die um den Kartentisch standen, wies ihn mit einem kleinen Nicken an, sich zu setzen und wandte sich bereits dem Buffetschrank zu, der neben der Tür an der Wand stand. Er griff nach zwei Krügen und einer angebrochenen Flasche Rum, stellte alles zusammen auf den Schrank und lauschte auf die Geräusche, die der Blonde hinter ihm von sich gab, als er sich auf seinen Sitzplatz fallen ließ. Ein Lächeln huschte über Luciens Züge, als er die Flasche entkorkte und beide Krüge halb voll machte. „Wie wäre es mit... am Anfang.“ Leise Belustigung erklang aus seiner Stimme, wissend, wie wenig hilfreich diese Aufforderung üblicherweise war.
Er wartete deshalb auch nicht unbedingt auf eine Antwort, sondern griff sich die beiden Krüge, kehrte zu Ceallagh zurück und hielt ihm einen davon entgegen, als dieser den Blick wieder auf den jungen Captain richtete. „Wie wäre es damit, was dich auf diese Insel und in dieses Wirtshaus verschlagen hat?



Lucien war ungemein präzise in seinen Worten, die unter dem Klimpern und Klappern der Schranktüren, Krüge und Gläser fast beiläufig wirkten. Dennoch hinterließ er damit den Anflug eines Lächelns auf Ceallaghs Lippen. Fast als erinnerte es ihn an alte Zeiten, die zu verblassen und trüben begannen. Unter einem tiefen Atemzug stemmte sich der Hüne letztlich mit einer Hand am Rand des Stuhls in die Senkrechte zurück und hob den Kopf in genau dem Moment, als Lucien mit dem versprochenen Alkohol zurückkehrte. Rau und dumpf klangen die Schritte seiner Stiefel auf den dunklen Dielen. Weit entfernt und plötzlich unfassbar nah. Ceallagh fragte sich, wann sich sein Geisteszustand am heutigen Tage verabschieden würde, wenn er ihn nicht alsbald an den Alkohol verlor.

Um das zu erklären, muss ich noch viel weiter ausholen.“, entgegnete er und schob den Henkel des Kruges zwischen Handfläche und Finger.
Mein Vater ist vor einigen Jahren auf offener Straße erschossen worden. Angeblich weil er einfach zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort war.
Ein abschätziges Schnauben verließ seine Kehle, ehe er sich einen Schluck des Rums genehmigte und fortfuhr.

Letztlich hat es meinem Onkel in die Karten gespielt und er hat sämtliche Geschäfte übernommen, wie er es all die Jahre schon vor hatte. Und weil er ein widerlicher Raffzahn ist, war ihm letzten Endes jedes Mittel recht, um seinen bedeutungslosen Reichtum zu vergrößern. Ob er nun kleine Unternehmen annektierter, illegale Tauschgeschäfte anderer sabotierte oder meine Schwester an so einen schmierigen Verbrecher zu verschachern.

Ein Schatten legte sich auf Ceallaghs Züge. Hob die kleinen Vertiefungen seiner Wangen hervor, unter denen die weißen Kiefer angespannt aufeinander mahlten.



Lucien zuckte mit einer beiläufigen Geste, die die nonverbale Version eines „ich hab' Zeit“ zu sein schien, die Schultern und lehnte sich Ceallagh gegenüber mit der Hüfte gegen den großen Kartentisch, der einen Großteil der rechten Raumhälfte einnahm. Die tiefgrünen Augen huschten über den Rand seines Kruges hinweg zu dem Blonden, beobachteten dessen Züge, während er mit seiner Geschichte begann. Am Anfang, letzten Endes. Oder zumindest in etwa da, wo sich ihre Wege einst getrennt hatten.
Er trank einen Schluck, spürte der Wärme des Alkohols nach, die sich angesichts der Menge, die er nach Shanayas Erste Hilfe Maßnahmen ohnehin schon im Blut hatte, kaum spürbar in seinen Eingeweiden einrollte. Der Schatten, der sich über Ceallaghs Züge legte, überraschte ihn nicht. Wie einst, als das Band zwischen Geschwistern sie einander als Gleichgesinnte offenbarte, fühlte er sich seinem ehemaligen besten Freund auch jetzt unweigerlich verbunden. Mit einem noch tieferen, dunkleren Hass, als damals, der sich durch seine Innereien wühlte.

Und ich nehme mal an, das konntest du so nicht stehen lassen, oder? Ich meine, das mit deiner Schwester?“ Im Grunde keine Frage, sondern vielmehr eine Feststellung. Wie gesagt, ging es um das Band zwischen Geschwistern, waren sie einander ebenbürtig. Dafür prägte die Frage, die Lucien danach stellte, ein ehrliches Interesse: „Und das hat dich direkt oder indirekt auf diese Insel geführt?



Ceallagh nickte zur Antwort. Schenkte der Bitterkeit auf seiner Zunge nach und ließ dann den Krug geräuschvoll auf den Tisch neben sich gleiten. Allein der bloße Gedanke daran trübte seine Laune. Doch das allmähliche erhabene Grinsen zupfte bereits harsch an seinen Mundwinkeln - erst recht als Lucien eine weitere Frage nachschob, die regelrecht dazu einlud mit seiner Erzählung fortzufahren.

Sie ist auf sonderbare Weise vom Erdboden verschwunden, bevor sie den Bund einer lieblosen Ehe eingehen konnte. Beim Klabautermann. Wie das nur geschehen konnte.“ Ein abfälliges Brummen durchquerte seine Kehle. Ließ die hellen Brauen hinaufschnellen und verlieh dem blassen Gesicht den schelmischen Ausdruck eines Grünschnabels.
Seitdem bin ich quasi auf der Flucht. Mal hier mal dort... nie sonderlich lang... damit sich niemand mein Gesicht einprägen kann.“ Was bei seiner extrovertierten Art ein Kampf gegen Windmühlen war.
Und nachdem mich ein Fischer mit auf die Insel genommen hatte, bin ich nicht mehr von dort weggekommen.“ Was womöglich auch an der Crew lag, dessen Gesellschaft er jetzt reichlich lädiert und zerfleddert genoss und dessen Kapitän amüsiert zu ihm hinab sah. Aus grünen Augen, die Ceallagh gleichsam schmunzelnd musterte. Mit einem Schlag fühlte er sich schon wieder so unfassbar müde. Am liebsten hätte er sich vom Stuhl auf den Boden gleiten lassen und die Augen schlossen. Nur für ein paar Stunden.



Müdigkeit nagte an ihr, wie ein penetranter Begleiter. Ihre Schulter sandte eine permanente Welle des Schmerzes durch ihren Körper und Talin war sich nicht ganz sicher, ob sie sich nicht einfach hier an Deck zusammenrollen sollte, um zu schlafen oder es vielleicht noch bis zur Kajüte schaffte. Das letzte Mal hatte sie sich so gefühlt, als sie die Morgenwind überfallen hatten und von ihr geflohen waren. Nur war sie damals nicht wirklich verwundet worden. Kurz fragte sie sich, ob Lucien auf der Flucht zur Sphinx die Wunde an ihrer Schulter aufgefallen war oder ob sie noch so tun konnte, als wäre alles in Ordnung.
Der Blick der jungen Frau fiel auf ihren Pressverband, den sie mehr schlecht als recht gebunden hatte und seufzte dann leise. Ja, das würde sie sicher verheimlichen können. Eigentlich war sie, nachdem sie auf das Schiff geflohen waren, sofort in die Kajüte verschwunden, um sich selbst zu verarzten, denn das Lazarett erschien ihr dafür eindeutig zu überfüllt. Aber natürlich hatte sie nicht alles gehabt, was sie brauchte und hatte sich deshalb noch einmal auf den Weg gemacht, um die restlichen Materialien zu holen. Wenn sie also in die Kajüte kam, dann könnte sie sich endlich um ihre Schulter kümmern, auch wenn sie nichts lieber täte als schlafen.
Die Gedanken hatten sie bis zur Türschwelle der Kajüte getragen und für einen kurzen Moment blieb sie davor stehen, atmete einen Moment durch, bevor sie schließlich die Tür aufmachte - und erstarrt stehen blieb. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Lucien schon wieder zurück war und schon gar nicht, dass er sofort einen der neuen mitbrachte. War es nicht ein bisschen vorschnell, jemanden nach dem Erlebten, sofort die Carta unterschreiben zu lassen. Ihre Augenbrauen zuckten leicht in die Höhe, während sie ihre eine Hand fester um das Nähzeug schloss, als hoffte sie, dass es nicht auffiel. Sie neigte leicht den Kopf, sodass ihr Haar über ihre verbundene Schulter fiel und lächelte süßlich.  „Na sieh mal einer an. Bist du nicht ein bisschen vorschnell mit dem Anheuern, Brüderchen?



Selbst wenn er es nicht gewollt hätte: Ceallaghs Tonfall, seine Wortwahl, das feiste Kleinjungengesicht – Lucien musste grinsen. Er gab ein leises, gespielt bedauerndes Schnalzgeräusch von sich, das ganz sicher niemanden täuschte und hob den Krug beiläufig an, ohne sich sofort einen weiteren Schluck zu genehmigen. „Nein... so ein Ärger!“ Sein Tonfall stand dem Ceallaghs in nichts nach und über den Rand seines Rums hinweg begegneten die grünen Augen sichtbar erheitert dem Blick seines alten Freundes. Dann erst trank er einen weiteren Schluck und nickte im Anschluss. „Du glaubst also, dein Onkel sinnt auf Rache und hat seine Hunde auf dich angesetzt?“
Weiter kam er nicht. Ceallagh bekam nicht einmal Gelegenheit auf eine Antwort, denn in diesem Augenblick öffnete sich knarzend die Tür zur Kajüte und lenkte Luciens Blick zu der Gestalt, die dort erschien. Die Hand mit dem Rum glitt ein Stück hinab. „Talin.“ Doch der Ausdruck auf ihren Zügen fegte jedes Lächeln von seinen Lippen und hinterließ in seiner Stimme einen überraschten Unterton. Sie war... wütend.
Langsam, zögernd stellte Lucien sein Getränk neben sich auf den Kartentisch. „Ich heuere niemanden an“, erwiderte er vielleicht eine Spur forscher, als nötig. Und eine Sekunde später besann er sich eines besseren. Er seufzte, lächelte sacht und streckte die Hand nach ihr aus. Eine Einladung, ein Friedensangebot. Die Stimmung zwischen ihnen mochte in letzter Zeit angespannt gewesen sein, doch in diesem Augenblick war es ihm egal. Nie zuvor war ihm so bewusst gewesen, wie leicht er sie hätte verlieren können, als in dieser Nacht. „Das ist Ceallagh. Wir sind uns schon mal begegnet, auf der Mytilus. Als wir Kinder waren.



Ceallagh glaubte es nicht nur. Er wusste es. Nicht nur der Drohungen wegen, die ihm hinterher gebrüllt worden war und diverser Erfahrungen, sondern weil er wohl nicht anders gehandelt hätte. Im Gegensatz zu seinem Onkel besaß er sich allerdings nicht nur Feinde. Solange er nicht wollte, dass man seine Schwester fand, blieb sie bis ins hohe Alter verschwunden. Daran änderte nicht einmal jeglicher Reichtum dieser und anderer Welten etwas.
Doch der Hüne kam nicht einmal dazu, eben das mit einem siegessicheren Lächeln auf den Zügen zu entgegnen. Kaum hatte er die Lippen geöffnet, knallte die Tür in seinem Rücken gegen die Wand und spie eine junge Frau in den Raum, dessen Präsenz Ceallagh mehr erahnen, als sehen konnte.
Nur langsam kippte sein Kopf in den Nacken zurück, weil ihm seine Schulter kaum erlaubte, sich zur Seite zu drehen. Erspähte die Gestalt Talins auf dem Kopf stehend und lauschte den angespannten Bewegungen seines Freundes aus Jugendzeiten. War es seiner Wundversorgung oder dem Rum geschuldet, dass er sich einbildete die Luft würde mit jedem verstreichenden Atemzug dicker werden?
Allmählich wurde ihm übel. Den Kopf leicht schief geneigt, die Augen einen Moment auf Talins Zügen verharrend, ehe er sich wieder aufsetzte und mit einer Hand am Tisch festhielt, um sich vollkommen zu ihr herum zu drehen. Luciens Anblick entging ihm dabei nicht: etwas zerknirscht und übellaunig. Passte es dem jungen Kapitän etwa nicht, dass sie so unaufgefordert herein kam? Oder hingen hier alte Streitigkeiten im Raum, derer er sich ganz sicher nicht annehmen würde?

Ah. Sie einer an. Du bist also die berühmte Talin.“ Ein Lächeln schob sich auf seine Züge. Warm und fast als würde er eine alte Freundin begrüßen.



Vielleicht, nur vielleicht, war sie ein wenig zu ungnädig zu den beiden Männern im Raum. Sie konnten nicht dafür, dass sie niemanden mehr hatte sehen wollen, bis sie sich verarztet hatte. Und gerade Lucien gegenüber sollte sie nicht ungerecht sein. Statt also zurückzufauchen, als ihr Bruder ihr härter als nötig antwortete, biss sie sich auf die Unterlippe. Es war unnötig einen Streit vom Zaun zu brechen, den keiner von ihnen beiden wollte. Schon gar nicht nach dem, was passiert war. Viel mehr sollte sie ihm wieder um den Hals fallen aus purer Erleichterung, weil Lucien noch am Leben war.
Talin stieß etwas lauter als nötig Luft aus und ließ ihre angespannten Schultern ein wenig nach unten sinken, obwohl es weh tat. Doch sie ignorierte den Schmerz und griff bereitwillig nach seiner Hand, nahm den angebotenen Frieden nur zu bereitwillig an. Nachdem sie seine Hand einmal kurz gedrückt hatte, wandte sie sich an den anderen Mann im Raum. Musternd ließ sie ihren Blick über ihn gleiten und es glomm zumindest so etwas wie Interesse darin auf, bis Lucien erklärte, woher er den Mann kannte. Der Blick in ihren Augen verhärtete sich für einen Moment, bevor sie wieder ein Lächeln aufsetzte. So, so. Sie kannten sich als von früher?
Lucien hatte ihr nie gesagt, was während der Zeit auf See passiert war, wenn er allein mit ihrem Vater und den anderen Männern unterwegs war. Und doch konnte sie ahnen, dass es für ihn nicht angenehm gewesen war. Hieß das also, dass dieser Ceallagh einer von denen ist, die dazu beigetragen hatten, dass es für Lucien schwierig war? Denn ihr Bruder hatte den Blonden nicht als ‚Freund‘ bezeichnet. Auf der anderen Seite musste er von ihr erzählt haben, oder? Etwas skeptisch zuckte ihre Augenbraue in die Höhe, während sie den Fremden noch einmal musterte. Wieder neigte sie leicht den Kopf und das süße kleine Lächeln kehrte zurück. „Das bin ich dann wohl, hübscher“, schnurrte sie. „Das kann ich von dir allerdings nicht behaupten.“ Dabei glitt ihr Blick halb fragend zu Lucien, denn sie wollte wissen, ob sie den Mann nun mochten oder nur mitgenommen hatten, um ihn dann später Kiel zu holen.



Lucien war, zugegeben, angenehm überrascht, dass Talin an seinem zuvor etwas schärferen Ton keinen Anstoß nahm. Sein Lächeln vertiefte sich, der Ausdruck in den grünen Augen wurde deutlich wärmer, als sie seine Hand ergriff und seiner Einladung folgte, zu ihm zu kommen. Dann folgte er ihrem Blick zurück zu Ceallagh, in dessen Worten Erkennen lag.
Zwar erinnerte sich der Dunkelhaarige nur ungern an die Umstände, unter denen der Blonde zum ersten Mal von Talin gehört hatte, doch er konnte sich auch der Tatsache nicht verschließen, dass sie der Grund war, weshalb sie einander überhaupt kennengelernt hatten. Ohne jene Puppe aus Stroh hätten sie dieses halbe Jahr auf See vielleicht nebeneinander her gelebt, ohne je ein Wort miteinander zu wechseln. Die Mytilus war zwar klein, doch sowohl er als auch Ceallagh eigenbrötlerisch genug gewesen, um diese Herausforderung ohne Probleme zu meistern.
Talin jedoch hatte nicht den geringsten Hauch von Wärme für den älteren der beiden Männer übrig. Ihr zartes Schnurren jagte Lucien beinahe einen Schauer über den Rücken und der Blick, mit dem sie ihren Gegenüber maß, erinnerte an eine Löwin, die gerade mit dem Gedanken spielte, einen Rehbock zu reißen und eine seiner Rippen im Anschluss als Zahnstocher zu benutzen. In diesem Sinne passte sie wohl ganz hervorragend zu ihrem Schiff.
Der Dunkelhaarige fing ihren Blick auf und seufzte leise, beinahe lautlos. Wissend, dass er an dieser Situation wohl nicht ganz unschuldig war. Etwas, das er nun berichtigen musste. „Er ist... er war mir ein Freund, damals. Du musst ihn nicht gleich fressen.“ Ein Hauch von Belustigung schwang in seiner Stimme mit, doch der Blick der daraufhin Ceallagh galt, sprach eher von Zurückhaltung.



Ein amüsiertes Lachen stahl sich durch die viel zu trockene Kehle. Talin war schon ein lustiges Ding. Wie sie so neben Lucien stand, eine Mischung aus Selbstbeherrschung und tobendem Sturm. Hatte er den Zug um ihre Züge erst nicht erkannt oder unter dem Rausch des Alkohols und der Schmerzen glatt weg übersehen, wurde ihm schnell klar, dass er gerade nicht in der Position war, schlechte Witze zu reißen. Talin machte nämlich nicht den Eindruck, als würde sie allzu lang darüber nachdenken, ihm das Nähzeug, das sie krampfhaft zwischen ihren Fingern verborgen hielt, so tief es ging in den Hals zu rammen, wie irgend möglich. Die Dynamik zwischen den Geschwistern war ungesund abhängig. Schaukelte sich von einer Sekunde zur anderen hoch und wieder hinab. Und doch war alles, was Ceallagh tat zu lächeln. Ganz so als verstünde er es. Jeden giftigen Blick. Jede tödlich süß gesprochene Äußerung seines Gegenübers.

Ich bin auch ein ziemlich langweiliger Kerl, über den man nichts Interessantes berichten kann.“, entgegnete er.

Sichtlich amüsiert und sogleich mit dem Krug an den Lippen. Ganz sicher würde er nicht damit anfangen, dass er an Luciens Stelle auch nichts vom Schiff oder ihm erzählt hätte. Weil es fragen nach den anderen aufwarf. Erinnerungen hoch kochen ließ, die so abscheulich waren, dass sie nicht zu den Erlebnissen gehörten, die man sich einfach frei von der Leber weg erzählte. Man vergrub sie, darauf hoffend, dass sie nicht irgendwann wie ein Geschwür zurückkehren würden. Und augenscheinlich hatte Lucien genau das getan. Was auch erklärte, wieso seine Briefe nie beantworten worden waren. Verdrängung. Und er hatte schon geglaubt, dass der kleine Rotzlöffel von damals nichts für ihn übrig gehabt hatte.
"Aber fressen würde ich mich auch nicht. Zu viel Alkohol in meinem Blut. Das versaut den Geschmack des Fleisches, hab ich mir sagen lassen.

Bitter drückte sich der Geschmack des Rums gegen seinen Gaumen und trieb für einen Augenblick seine Brauen scharf zusammen. Dennoch nahm Ceallagh einen weiteren Schluck, um das Pochen in seiner linken Schulter zu ersticken.



Er lächelte nicht, er zeigte keinen Zorn. Zumindest war es das, was sie aus dem Augenwinkel erkennen konnte, während sie ihren Blick nicht von dem anderen Mann abwandte. Und obwohl Lucien keine Mine verzog, entspannte sie sich bei dem Hauch von Belustigung in seiner Stimme. Sie waren Freunde gewesen. Sie spürte einen kleinen Stich der Enttäuschung, weil Lucien ihr nichts von dem anderen erzählt hatte. Aber auf der anderen Seite verspürte sie Dankbarkeit dafür, dass es ein Jahr gegeben hatte, in dem ihr Bruder nicht unter den anderen hatte leiden müssen. Talin atmete kurz ein und... überlegte es sich dann noch einmal von Neuem, ihre Krallen nicht einzufahren.
Für eine Millisekunde zuckte ihr Auge leicht, als der Mann in aller Seelenruhe aus seinem Becher trank. Der irrationale Wunsch, er möge daran ersticken für seine bescheuerten Worte, kamen in ihr auf. Talin wusste, dass der Wunsch allein aus dem Gefühl der Erschöpfung erwuchs. Wäre sie nicht so erpicht auf Ruhe und Zeit, ihre Wunde zu versorgen, dann würde sie auch nicht so genervt auf den Mann reagieren. Doch so funkelte sie ihn einfach nur an, vergaß die Dankbarkeit von gerade eben noch. Ihre Hand ballte sich noch ein wenig fester um das Nähzeug in ihrer Hand, als Ceallagh wieder sprach und sie hatte nicht schlecht lust, es ihm ins Gesicht zu pfeffern. Stattdessen erinnerte der Stich der Nadel sie daran, dass sie verwundet waren.
Die Blonde schluckte ihre Impulsivität zum wahrscheinlich ersten Mal in ihrem Leben herunter, ging gar nicht weiter auf die Worte des Mannes ein, bevor sie sich etwas entspannte und Ceallagh mit einem kalten Blick musterte, bevor sie mit einem besorgten Gesichtsausdruck zu Lucien aufsah. „Wurden eure Wunden behandelt?



Ceallaghs scheinbar unschuldiger Zwischenkommentar ließ Lucien leise schnauben. In einer Mischung aus Belustigung und Spott, und doch zurückhaltend, geradezu unschlüssig. Er war sich nicht ganz sicher, ob er diese Worte als Scherz deuten sollte, oder als Hinweis darauf, dass er den Blonden mit seiner Formulierung beleidigt hatte. Im ersten Moment jedenfalls reizten sie ihn zu einem Schmunzeln, halb belustigt, halb spöttisch und ja, halb nostalgisch bedauernd.
Man konnte ihm wohl nur schwerlich einen Vorwurf machen, dass Lucien sich nach so langer Zeit nicht in überschwängliche Freundschaftsbekundungen stürzte. Er war zwölf gewesen. Neun Jahre langen zwischen dieser und ihrer letzten Begegnung. Neun Jahre ohne ein Treffen, ohne ein Wort zwischen ihnen. Er hatte im Grunde nicht den Hauch einer Ahnung, ob er Ceallagh noch traute, oder nicht. Zweifellos wollte er ihm trauen, aber das war etwas anderes.

Oh, lass dir nichts erzählen. Er ist auch nüchtern ungenießbar. Vielleicht macht es der Alkohol nur besser“, ergänzte er mit trotz allem amüsiertem Tonfall, warf Ceallagh einen Seitenblick zu und wandte sich schließlich an Talin. „Uns geht’s gut. Shanaya hat sich gerade erst dem Loch in seiner Schulter angenommen, auch wenn ich mir nicht sicher bin, ob er es noch aus der Kajüte schafft, um seinen Hintern in eine Hängematte zu verfrachten. Wenn du nichts dagegen hast, überlasse ich Ceallagh für heute Nacht unser Sofa.
Es war nicht wirklich eine Frage – er hatte diese Entscheidung bereits getroffen, wenn auch nur den Bruchteil einer Sekunde, bevor er diese Worte an Talin richtete und nur zum Schein am Ende in die um Zustimmung bittende Tonlage schwenkte. Er für seinen Teil würde Ceallagh jedenfalls nicht mehr unter Deck hieven können.

Was ist mit dir? Hat sich jemand deine Verletzung angesehen?
Die tiefgrünen Augen huschten zu ihrer Schulter, halb verborgen unter goldenen Locken. Er sah den Verband hervor schimmern, aber auch Blut. Unwillkürlich runzelte er die Stirn.



Plötzlich, kaum vorhersehbar stellten sich Ceallaghs Nackenhaare auf. Irgendwo verschwammen Luciens Beine in seinem Blick und verschmolzen regelrecht mit dem Kartentisch, an dem er noch immer stand. Sukzessive setzte sich der Alkohol wohlig warm in seine Muskeln und verschonte ihn für einen Augenblick von der knisternden Luft, die bereits gegen seine Schläfen schwappte. Erst als er wieder zu Talin hinauf sah, blinzelte er. Musterte sie skeptisch, oder viel mehr das, was sie da auf ihren Zügen zur Schau trug. War sie etwa wütend auf ihn? Nein. Da war mehr als bloße Verstimmung. Sie schien, als wollte sie ihn geradewegs in kleine Stücke zerteilen und den Haien zum Fraß vorwerfen. Komisches Weibsbild. Er konnte sie nicht daran erinnern, irgendetwas gesagt zu haben, was sie falsch auffassen konnte. Das meiste war eigentlich sehr beleidigend gegen sich selbst gerichtet gewesen. Oder?
Fast vergaß er dabei Lucien neben sich. Nahm seinen Witz nur zur Hälfte wahr und schielte aus den Winkeln zur Seite, während er davon sprach ihn aufs Sofa zu verfrachten. Ehrlich gesagt hatte der Hayes gerade kein sonderlich gutes Gefühl dabei hier zu bleiben. Zwar besaß er selten allzu gutes Benehmen, um Schwingungen zu respektieren, die durch den Raum flirrten. Doch es erschien ihm nicht ratsam einer Frau beizuwohnen, die derart unter Verstimmungen litt. Am Ende wäre es seine letzte Nacht auf diesem Schiff. Oder im Allgemeinen.
Ich lass euch Zwei lieber allein.“ Unter einem tiefen Atemzug stellte Ceallagh den Krug auf den Tisch zurück und presste sich mit einem Arm und dem letzten Bisschen Kraft in seinen Beinen in die Senkrechte. Besser er nutze einen anderen Tag, um Talin kennenzulernen als heute. Wo das Adrenalin sie wohl genauso lang halbwegs aufrecht erhalten hatte wie ihn und Lucien.

Nach heute kann ich nicht garantieren einen ruhigen Schlaf zu haben… und den hat wohl jeder von uns bitter nötig.“ Zumal es wohl ein paar wenige Pritschen bei diesem Schiffsdoktor gab, der sich noch immer Enrique widmete. Wie es dem wohl ging?

Und ich muss schauen was de Gúzman macht.“ Ein süffisantes Grinsen schob sich auf seine Lippen. Die Augen vielsagenden auf Lucien gerichtet, der sich wohl sehr gut seinen Teil denken konnte – jetzt wo er wusste, in welcher Verbindung sie zueinander standen. Meter um Meter hinterließ Ceallagh dumpfe Schritte im Raum, ehe er den Durchgang zur Kajüte erreichte und sich halb herum drehen musste, um die Klinke mit der Rechten zu ergreifen. Dann nickte er in einem letzten Gruß den Geschwistern zu und schloss die Tür mit einem leisen Klacken hinter sich.



Ihr Blick glitt erneut über Lucien, während er ihre Frage beantwortete und Erleichterung durchströmte sie, dass wenigstens Shanaya sich um seine Wunden gekümmert hatte. Als sie ihren Blick auf den anderen Mann richtete, sah der allerdings nicht mehr so taufrisch aus. Unsicher, ob sie wirklich Besorgnis empfand, runzelte sie die Stirn, während sie in Luciens Richtung sanft den Kopf schüttelte. „Skadi hat sie sich angesehen, nachdem ich verwundet wurde. Aber jetzt hat es noch niemand, das wollte ich gerade...“ Sie biss sich auf die Unterlippe, spürte, dass sie zu viel verraten hatte, weil sie ihm nicht zeigen wollte, dass sie verletzt war. Oder wusste er es doch schon und sie wollte es nur herunterspielen? Sie wusste es nicht. Aber was Talin wusste war, dass der blonde Mann sich wirklich auf das Sofa legen sollte, um dort zu schlafen. Sie konnte sich zumindest nicht vorstellen, dass er es in seinem Zustand in eine Hängematte schaffte.
Das schlechte Gewissen kratzte an ihrer Mauer aus Wut und Erschöpfung, aber sie konnte nichts sagen, denn der Mann wankte zur Tür und... war kurz darauf auch schon irgendwie verschwunden. Die Blonde seufzte und wandte sich dann an Lucien, während sie gleichzeitig seinem Blick auswich. „Ich hab nichts dagegen gesagt, dass er hier schlafen kann“, meinte sie sofort verteidigend. Auch wenn sie nicht so richtig begeistert gewesen wäre. Aber sie hätte es akzeptiert, weil Ceallagh – war so sein Name gewesen? – echt beschissen ausgesehen hatte. „Tut mir leid, dass ich deinen Freund vergrault habe.“ Ihre Stimme kam kleinlaut und erschöpft zwischen ihren Lippen heraus.
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Crewmitglied der Sphinx
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#2
Lucien erhielt gerade noch so die Gelegenheit für ein skeptisches Stirnrunzeln auf Talins Worte hin. Dass sie verletzt gewesen war, wusste er. Allerdings nicht, wie schlimm. Genau wie er neigte sie dazu, das Ausmaß einer Wunde ihm gegenüber herunter zu spielen. Nur ihr Verhalten verriet ihm, dass ein bisschen mehr dahinter steckte, als nur 'ein Kratzer'.
Doch Ceallagh lenkte ihn ab, ließ ihn den Blick zu seinem ehemaligen Kindheitsfreund wenden. Der Blonde erhob sich schwankend, entschuldigte sich mit ein paar knappen Worten und Lucien blieb nichts anderes übrig, als es hinzunehmen. Er konnte ihn kaum zwingen, hier zu bleiben, wenn er sich damit unwohl fühlte. Und der Dunkelhaarige ahnte auch, wem er diese Wendung zu verdanken hatte...
Also nickte er Ceallagh bloß verständnisvoll zu, verzog die Lippen zu einem sarkastischen Schmunzeln. „Und seht besser beide zu, dass ihr mir die Nacht überlebt“, schickte er dem Älteren noch hinterher, bevor dieser die Tür zur Kajüte hinter sich zuzog. Dann warf Lucien seiner kleinen Schwester einen strafenden Blick zu. Sie wusste ganz genau, dass sie das verbockt hatte und ihr zerknirschter Ton sagte ihm, dass sie beide der gleichen Ansicht waren. Auch, wenn sie das nicht gern zugeben wollte.
Doch er wäre auch nicht er, wenn er ihr das länger als ein paar Sekunden hätte übel nehmen können. Also seufzte er fast sofort im Anschluss, schüttelte nur mit einem Lächeln den Kopf. „Na los, ich helf' dir mit deiner Verletzung.“ Zumindest das musste sie nun über sich ergehen lassen. Nach dieser Nacht musste er sich selbst davon überzeugen, dass es ihr einigermaßen gut ging, dass er sich keine Sorgen mehr machen musste. Dass er sie nicht wieder verlieren würde.
...

So oder so verlief die Nacht darauf beschissen. Immer wieder erwachte der Dunkelhaarige, weil es keine Position zu geben schien, in der er schmerzfrei liegen konnte. Die Wunde an seiner Seite hatte zu nässen begonnen, sodass Talin mehrfach seinen Verband hatte wechseln müssen und sie beide nicht wirklich zur Ruhe kamen. Erst in den frühen Morgenstunden fand er zwei, drei Stunden schlaf, bevor es ihn viel zu früh wieder aus dem Bett trieb.
Er hatte Hunger. Einen gewaltigen Hunger. Sodass er sich bei Rayon ein kräftiges Frühstück abholte und nun, einigermaßen satt, mit einer Hand voll frischer, weicher Feigen an Deck trat. Das Meer war ruhig, sie machten gute Fahrt. Weit und breit kein fremdes Schiff in Sicht. Eine kleine Atempause, um wieder zu Kräften zu kommen. Und begonnene Gespräche zu beenden.
Die tiefgrünen Augen huschten über das Deck, suchten nach dem unvertraut-vertrauten Blondschopf, den er Unterdeck schon nicht ausfindig gemacht hatte. Bis er die hünenhafte Gestalt mit einem Eimer Wasser an der Reling entdeckte. Lucien biss von einer Feige ab und setzte sich in Bewegung, kam bis auf drei Schritt weit heran, um sich gegen ein am Mast vertäutes Fass zu lehnen. „Sehr gut, du lebst noch“, begrüßte er ihn zufrieden und verzog nur kurz das Gesicht, als sich die Wunde an seiner Seite unter einer unbedachten Bewegung spannte. „Wie sieht's mit Enrique aus?“, hängte er kurzerhand hinten an.



Der Mief unter Deck war unerträglich geworden, je länger sich Ceallagh in der Hängematte vom Rücken auf die Seite wälzte. Irgendwann hatte es ihn unter den Schmerzenslauten der anderen auf den Boden getrieben. Dann auf eine der Bänke. Bis er mit Sack und Pack an Deck gegangen war. Nicht nur um die Übelkeit abzuschütteln, die sich wohlig warm und sauer in seinem Magen ausbreitete. Sondern vielmehr um zumindest unter freiem Himmel und kühler Abendluft ein paar Stunden Schlaf zu finden. Irgendwann war der Hüne aufgeschreckt. Schweiß gebadet und mit pochendem Herzen. Dem flauen Gefühl im Magen, das nicht von den Schmerzen, sondern den Bildern seines Traumes herrührte. Unbegründete Gedanken, redete er sich ein und wischte sich mit der Rechten über die müden Züge. Ein Hirngespinst deiner Fantasie. So hoffte er. Weil ihm nichts anderes übrig blieb, als darauf zu vertrauen, dass seine Entscheidungen von damals die einzig richtigen gewesen waren.

Mit einer Scheibe Brot zwischen den Lippen und einem Eimer war Ceallagh eine Stunde später zurück an Deck gekommen und hatte sich an die Reling verzogen. Das Pochen in seiner Schulter war noch immer nicht abgeklungen. Zog mit jeder Bewegung an seinen Muskeln und trieb ihm erneut eine ungesunde Blässe in die Miene. Zumindest hatte das Fieber nachgelassen, das ihn die halbe Nacht wach gehalten hatte - so vermutete er. Versenkte den Lappen in seiner Linken im kühlen Wasser, ehe er versuchte ihn etwas ungelenk mit der anderen auszuwringen. Bereits jetzt hasste er die Schlinge um seinen Hals, die ihn dazu zwang den Eimer auf eine der Kisten zu platzieren, um sich nicht zu weit hinab beugen zu müssen. Das Symbol seiner eingeschränkten Bewegungsfreiheit, das unbequem im Nacken zog und an den feinen Härchen rieb. Doch es würden Tage, wenn nicht sogar Wochen dauern, bis er gänzlich genesen war. Dessen war er sich bewusst. Seufzte darüber nur schwer und klatschte sich brummend das wohltuende Stück Stoff auf die Seite.
Sein Hemd hatte seit gestern  irgendwo in der Nähe seiner Hängematte Platz gefunden. War nicht mehr wirklich zu etwas zu gebrauchen, seit dieses dunkelhaarige Mädchen es mit voller Enthusiasmus in Einzelteile zerschnitten hatte. Und ganz sicher würde sich Ceallagh keines der alten Fetzen überstreifen, die irgendwo im Restelager vor sich hingammelten. Eher holte er sich einen fetten Sonnenbrand, der sich bestimmt gut mit der Hitze in seinem Körper vertrug.
Unbemerkt hatte sich unter dem Plätschern des vollgesogenen Lappens eine weitere Person an Deck gesellt. Nur kurz wandte Ceallagh den Kopf herum. Bereute seine unbedachte Handlung sofort, als sich ein Stechen durch seine Schulter zog. Mit zusammengepressten Lippen wandte er sich wieder herum, versenkte den Lappen in seiner Rechten etwas zu energisch im Eimer.
Hast du etwa daran gezweifelt? Oder fandest du es auch denkbar, dass de Guzman mich doch noch des Nachts abmurkst?“ Ein schiefes Grinsen lag auf Ceallaghs Lippen. Setzte sich sogar in einem feinen Unterton in seiner Stimme ab.



Ein kurzes Schmunzeln huschte über seine Lippen, als Ceallagh auf eine unbedachte Bewegung hin die Lippen zusammenpresste und den Lappen zurück in seinen Eimer verbannte. Es war nicht direkt Schadenfreude, die ihn schmunzeln ließ. Der Blonde wirkte zwar ein bisschen kräftiger, als gestern Nacht noch, aber seine Haut wirkte noch immer fahler, als sie sollte und unter seinen Augen lagen dunkle Schatten. Allerdings erinnerten ihn die ungelenken Bewegungen und der offensichtliche Frust auf dem Gesicht seines alten Freundes schwer an einen alten Mann, der sich von seiner Arthrose schwer beleidigt fühlte. Und das ließ ihn ein bisschen schmunzeln.
Absolut nicht“, erwiderte Lucien schließlich gelassen und schob sich die zweite Hälfte seiner Feige in den Mund. Es dauerte ein paar Herzschläge, bis er so weit aufgekaut hatte, um wieder zu sprechen, dann hob er die freie Hand an die Lippen und wischte sich mit dem Daumen ein Stück Fruchtfleisch aus dem Mundwinkel. „Ehrlich gesagt war ich mir ziemlich sicher, dass Enrique nach gestern niemanden mehr hätte umbringen können. Selbst wenn er gewollt hätte. Er sah zeitweise beschissener aus, als du und ich zusammen.
Und das sollte schon etwas heißen. Lucien hatte noch immer ein vages schlechtes Gewissen, nicht darauf bestanden zu haben, dass Ceallagh die Nacht auf dem Sofa in der Kajüte verbrachte. Ob ihm das jedoch wirklich besser bekommen wäre, als eine Hängematte unten im Mannschaftsdeck, wusste der Dunkelhaarige letzten Endes auch nicht zu sagen. Wie gesagt, viel Schlaf hatte auch er nicht gefunden. „Ich wollte mich übrigens für Talins Verhalten gestern bei dir entschuldigen. Ich hab nicht erwartet, dass sie derart feindselig reagiert.



Beschissen war womöglich noch der umschmeichelndste Ausdruck für das, was der ehemalige Offizier am gestrigen Abend gewesen war. Zerfleddert wurde der Optik eher gerecht, wie Ceallagh fand. Doch er schnaubte nur amüsiert über die Wortwahl. Konzentrierte sich auf den Lappen auf dem Boden des Eimers vor sich, um dem Schmerz zu entkommen, der sich noch immer durch seine Schulter bis in den letzten Winkel seines Rückens bohrte. Lieber hätte er sich windelweich prügeln lassen, als mit Metall im Körper vom Ort des Geschehens zu flüchten. Diesen Schmerz kannte er weitaus besser, als das hier. "Ich kann es verstehen.", räumte der Hayes ein, kurz nachdem Lucien einen Schritt näher getreten war und sich für etwas entschuldigte, das absolut nicht sein Verschulden gewesen war. Aber es ehrte ihn, dass er die Notwendigkeit sah sich für das Verhalten seiner Schwester zu entschuldigen, wenngleich es für Ceallagh selbst absolut unnötig schien. "Fremder Kerl in der Kajüte, gerade noch den Kopfgeldjägern entkommen... sie wird nicht die letzte sein, bei der die Nerven blank gelegen haben. Also danke ich ihr eher, dass es bei giftigen Blicken geblieben ist." Fast wirkte es so, als mischte sich ein warmer Unterton in seine Stimme. Doch kaum dass der Plätschern von Wasser die Stille unterbrach, war es genauso verschwunden, wie das sanfte Lächeln auf seinen Lippen.


Ceallaghs verständnisvolle Antwort lockte ein sachtes Lächeln auf die Lippen des 21-Jährigen, auch wenn er in diesem Moment den Blick senkte, um seine Reaktion vor dem Älteren zu verbergen. Nicht jeder hätte Talins Verhalten so hingenommen, wie der Blonde es tat. Lucien war sich nicht einmal sicher, ob er so gelassen geblieben wäre. Vielleicht – für einen Freund wie Ceallagh. Doch wer wusste das schon? Schließlich hatte er nie eine der Hayes-Schwestern kennengelernt und war demnach auch nie in der Situation gewesen, verzeihen zu müssen.
Vielleicht hätte ich ihr einfach früher schon mal von dir erzählen sollen“, erwiderte Lucien leichthin und überbrückte die Entfernung zu ein paar an der Bordwand vertäuten Frachtkisten, auf denen er die drei übrig gebliebenen Feigen ablegen konnte. Eine davon pickte er sich heraus, wandte sich wieder Ceallagh zu und lehnte sich rücklings gegen die provisorische Obstablage. Das Thema ‚gestriger Abend‘ schien damit für ihn beendet zu sein, denn nun maß er den Älteren mit einem eher fragend-interessierten Blick, dehnte das Schweigen zwischen ihnen einen Moment lang aus, bis er wusste, wie er seine Frage stellen wollte. Dann: „Hattest du Zeit, dir zu überlegen, wie es jetzt für dich weitergehen soll?
Lucien biss wieder in die kleine, violette Frucht in seiner Hand, wirkte dabei geradezu gelassen. Nur neugierig. Und doch mischte sich bei seinen Worten ein ungewöhnlich reservierter Ausdruck in die tiefgrünen Augen. Natürlich würde es ihn nicht wundern, wenn Ceallagh gestern Abend an nichts anderes mehr hatte denken können, als ans Schlafen und ans Ausruhen. Doch vielleicht, nur vielleicht, hatte er in der erschöpften Ruhe dieser Nacht auch einmal einen Gedanken daran verschwendet, ob er eine Zeit lang würde bleiben wollen. Oder nicht.



Es verwunderte Ceallagh keineswegs, das Lucien über seine Zeit auf der Nautilus geschwiegen hatte. Nicht einmal wirklich, dass damit sein eigener Name in Vergessenheit geraten war. So wie er Talin einschätzte - und erst Recht das Temperament, das hinter ihrer schmalen Brust klopfte - hätte sie es nicht dabei belassen. Bei einfachen Erzählungen. Wäre so oft auf das Thema zu sprechen gekommen, bis Luciens Verhalten allein ihr genug darüber verriet, was hinter den Wänden des Schiffes vor sich gegangen war. “Für die nächsten Tage werde ich wohl hierbleiben müssen.“ Entgegnete der Blondschopf ohne aufzusehen und verquirrlte das Wasser im Eimer mit dem Lappen. “Alles danach… mache ich davon abhängig, ob ich für euch oder ihr für mich zur Gefahr werdet.“ Obwohl der Unterton seiner Worte belustigt klingt, wirkt seine Miene davon gänzlich unberührt, als die grün-blauen Augen an Luciens Stiefeln empor klettern und irgendwo knapp vor dem dunklen Haaransatz zum Stehen kommen.


Ruhig und gelassen ruhten die tiefgrünen Augen auf dem Blonden, der den Kopf gesenkt hielt. Sich mit Wasser und Lappen beschäftigte. Selbst, als er schließlich aufsah und sich ihre Blicke begegneten, lag nur ein neugieriges Lächeln auf seinen Zügen. Doch so ruhig sah es in Lucien mitnichten aus. Ceallaghs Antwort verwirrte und verunsicherte ihn maßlos – ‚müssen‘... warum klang das so frustriert, so unwillig? Als hielten sie ihn auf. Als belasteten sie ihn. Als wolle er definitiv nicht hier sein. Oder bildete er sich das nur ein? Mischten sich Selbstzweifel und bitterer Zynismus ein?
Einen Moment lang hielt Lucien dem Blick des Älteren noch stand. Dann knickte er ein und sah hinab auf die sauberen Planken der Sphinx. Tarnte die kleinjungenhafte Unsicherheit damit, indem er nach einer weiteren Feige angelte, die schräg hinter ihm auf der Kiste lag und begriff dabei, warum ihn Ceallaghs Unwillen so traf. Weil er sich wünschte, der Blonde würde bleiben. Freiwillig. Um der alten Zeiten willen, die vielleicht nur für einen kleinen, zwölfjährigen Jungen wirklich wichtig gewesen waren – nicht aber für den Sechzehnjährigen, der ihm da durch geholfen hatte.
Nun ja“, begann er schließlich und auch in seiner Stimme lag ein amüsiertes Schmunzeln, dass über alles andere hinwegzutäuschen suchte. „Den Gerüchten nach sucht die gesamte Königliche Marine nach einem Schiff mit roten Segeln, dass einen Gefangenentransporter versenkt und an die hundert Gefangene befreit hat. Und jüngst, um nicht zu sagen ‚gerade eben erst‘ habe ich erfahren, dass einige meiner Mannschaftsmitglieder steckbrieflich gesucht werden. Wenn dir das nicht gefährlich genug ist, weiß ich nicht, was Schlimmeres passieren soll.“ Unwillkürlich hob Lucien den Blick, sah von unten her zu Ceallagh auf, um seine Reaktion nicht zu verpassen, während sich doch ein echtes Schmunzeln auf seine Lippen stahl.



Lucien wandte sich ab und Ceallagh hatte für den Hauch einer Sekunde das Gefühl, dass dem Jüngeren seine Antwort nicht vollends zusagte. Er machte es nicht an dem Lächeln fest, das absolut undurchdringlich war oder an der Beiläufigkeit wie er sich bewegte. Sondern vielmehr daran, dass alles daran so nebensächlich wirkte. So gleichgültig. War er jetzt also derjenige, der gehofft hatte zumindest ein wenig gewollt zu sein? Ein Schnauben, gepaart mit einem Lächeln schob sich über seine Miene. Mehr über sich selbst amüsiert, als die gesamte Situation. Er benahm sich manchmal noch immer lächerlich narzisstisch. "Dass ihr gesucht werdet bedeutet gleichsam, dass ihr keine Wurzeln schlagen werdet, was mir nur entgegen kommt." Ein letztes Mal fuhr sich der Hüne mit dem Lappen über die Wunde. "Aber wenn mich nur einer deiner Leute an meinen Onkel verkauft..." Er zuckte mit der unverletzten Schulter und ließ den Lappen zum Boden des Eimers hinab gleiten. "Werde ich mich nicht von dir abhalten lassen zu tun, was ich tun muss." Kapitän hin oder her. Ceallagh hatte seine Prinzipien. Mied eigentlich gewaltvolle Konfrontationen und liebte es im Dunkeln die Fäden zu ziehen und Seiten gegeneinander aufzuhetzen. Doch in diesem Fall würde er nicht lange Zögern eine Handfeuerwaffe zu ergreifen und kurzen Prozess zu machen. "Mh... wenn ich jetzt so darüber nachdenke... könnte dieser Haufen vielleicht in naher Zukunft einen erfahrenen Schmuggler gut gebrauchen." Das Lächeln auf seinen Lippen hatte just etwas verbotenes. Etwas schelmisches.


Ein Anflug von Hoffnung keimte in ihm auf. Der Blonde sah nicht auf, zeigte sein Gesicht nicht, das Lucien womöglich verraten hätte, was er über den Verlauf ihres Gesprächs dachte. Doch zumindest seine Worte ließen eine ganz andere Botschaft erahnen, als gerade eben noch. Vielleicht... nur vielleicht, konnte er sich also doch vorstellen...?
Es war nur ein erstes, vorsichtiges Hoffen, aus der unbewussten Furcht heraus geboren, sich zu irren oder gar belogen und zuletzt verraten zu werden. Erstaunlich, dass er sich dem Blonden gegenüber auch nach all den Jahren, nach all dem, was er erlebt hatte, noch immer wie ein kleiner Junge fühlte. Etwas, das möglicherweise nie ganz verschwinden würde.
Lucien neigte den Kopf, um seine Gedanken abzuschütteln. In den tiefgrünen Augen blitzte en geradezu verschlagener Schalk auf. „Wenn dich nur einer von ihnen verrät, bin ich ganz gewiss der Letzte, der dich von irgendetwas abhält“, versicherte er mit einem Lächeln in der ansonsten geradezu kühlen Stimme und biss gelassen in die Feige, die er in der Hand hielt. Seine Loyalität der Crew gegenüber mochte bindend sein – doch er erwartete auch das Gleiche im Gegenzug. Bei einem Verrat fehlten ihm jegliche Skrupel, die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen und daraus würde er genauso wenig ein Geheimnis machen, wie Ceallagh in diesem Moment. Sie waren sich also einig. Blieb eigentlich nur noch... „Klingt für mich jedenfalls danach, als würdest du mit dem Gedanken spielen, doch eine Weile zu bleiben.“ Er konnte sich ein kleines Grinsen nicht verkneifen. „Ich habe immernoch die alten Kontakte meines Vaters und ich bin mir fast sicher, ein paar eurer Partner würden lieber Geschäfte mit dir machen, als mit deinem Onkel. Warum tun wir uns also nicht einfach zusammen und sehen, wohin uns das führt?



Lucien hatte angebissen. Und setzte damit Ceallagh ein Grinsen auf die Miene, das dem seinen in nichts nachstand. “Sicherlich nicht nur ein paar. Wenn man bedenkt, wie viele seiner Aufträge ich vor meinem Verschwinden sabotiert habe.“ Es waren zu viele, um sie mit zwei Händen zu zählen. Und zu schwerwiegend, um daran zu glauben, dass die Geschäfte nicht längst eingestellt worden waren und sein Onkel vor Herzrasen fast ins Gras gebissen hätte. “Wenn wir schon davon anfangen… an was hattest du gedacht?“ Mit einem Fuß schob er den Eimer zur Seite. Beobachtete Lucien eine Weile aufmerksam bis er seine unverletzte Hand hob und Lucien entgegen hielt. Wortlos bedeutend, dass er nun doch eine der Feigen nehmen würde, die er ihm zuvor angeboten hatte – oder auch nicht.


In die tiefgrünen Augen trat ein Ausdruck freudiger Erwartung. Eine kribbelnde Anspannung kletterte in seinem Inneren empor, die sein Herz ein klein wenig schneller schlagen ließ. Der Geruch nach Risiko und Abenteuer lag in der Luft. Nach zwielichtigen Geschäften, skrupellosen Handelspartnern und irgendwelchen krummen Deals. Sprich, nach einer Freizeitbeschäftigung ganz nach seinem Geschmack. Und wer, wenn nicht Ceallagh und er, waren bestens für solche Dinge geeignet?
Ein Schmunzeln huschte über seine Lippen. „Nun ja... Ich habe ein Schiff, du die richtigen Beziehungen. Und wir haben die Freiheit, jede verdammte Insel zwischen hier und der Siebten Welt anzusteuern. Wenn wir es richtig anstellen, lässt sich mit so ziemlich allem, was man verkaufen kann, auch gutes Geld verdienen.“ Er schob sich den Rest seiner Feige in den Mund und begegnete Ceallaghs Blick, der seinen Eimer beiseite schob und schließlich die Hand ausstreckte. Lucien grinste, schnappte sich eine der drei übrigen Feigen und warf sie dem Blonden in die ausgestreckte Hand. „Wir brauchen vielleicht ein paar alte Freunde und ein paar Gefallen, um wieder Fuß zu Fassen, aber ich bin mir sicher, da finden wir jemanden. Vorausgesetzt...“ Er ließ den Satz einen Augenblick in der Luft hängen und maß Ceallagh mit einem aufmerksamen Blick. „Dir ist klar, dass das in unseren Kreisen die Runde machen wird und zwangsläufig auch an die Ohren deines Onkels dringen könnte.



Beinahe hätte er seine Linke ausgestreckt. Zügelte sich jedoch und fing, wenn auch etwas unelegant, die fliegende Feige mit der Rechten. "Das ist mir durchaus bewusst." Geräuschvoll sanken seine Zähne in das weiche Fleisch der Frucht. Er hatte sich die letzten Stunden mit allem befasst - eigentlich seitdem er auf der Kopfgeldinsel gestrandet war. Was er tun würde. Heute. Morgen. Die nächsten Monate. Viel hatte sich seit seiner Ankunft auf der Sphinx nicht verschoben. Der Plan war nach wie vor derselbe. Das einzige Geheimnis zu bewahren, das ihm wichtiger war als sein eigenes Leben. "Solange dir klar ist, dass durch meine bloße Anwesenheit auch an euch eine Zielscheiben hängt." Nicht umsonst hatte er es ihm erzählt. Mochte sein, dass Lucien das entspannter sah, als er selbst, doch wollte er nicht dafür verantwortlich gemacht werden, Ärger auf den Kahn gebracht zu haben. "... bin ich absolut fein damit. Soll er mich doch jagen... solange es ihn von anderen Dingen fernhält." Ein Grinsen überzog seine Lippen. Raubtierhaft, als könne er es kaum erwarten. Wie ein junger Mann im Flausenalter, dessen Falle gerade platziert worden war und nur auf sein Opfer wartete. "Habt ihr denn schon einen Plan wo ihr als nächstes hinsegeln wollt?"


Ein Lächeln stahl sich auf die Lippen des Captains. Ein Lächeln von der Sorte, wie man es bei jungen Männern sah, die drauf und dran waren, auf alle Konsequenzen zu scheißen, um etwas möglichst Blödes zu tun. Etwas, das andere für unvernünftig oder fahrlässig halten würden. Und ja, vielleicht war es das. Und vielleicht war es auch selbstsüchtig, Schiff und Crew in diese Sache hineinzuziehen. Andererseits: „Eine Zielscheibe klebt uns schon längst an unserem Arsch. Mehrere, wenn man es genau nimmt. Was macht da schon eine mehr oder weniger? Ich denke, wir können damit leben. Außerdem...“ Er griff sich die eine der beiden verbliebenen Feigen, hob sie bereits an die Lippen, als er noch einmal innehielt. „... suchen wir doch alle nach einem Weg, noch den ein oder anderen Achter nebenher zu verdienen.
Und damit biss er zuletzt doch noch in seine Feige, wischte sich aus der Bewegung heraus mit dem Handrücken den Saft aus dem Mundwinkel, bevor wieder ein Schmunzeln über seine Lippen huschte. Er schluckte den Bissen hinunter. „Oh, das könnte dir gefallen“, begann er, und ließ dabei offen, ob er diesen Satz ironisch meinte, oder vollkommen ernst. „Und sollte uns entgegen kommen. Wir setzen Kurs nach Norden und machen auf einer kleinen Insel zwischen Birlan und Tarlenn Halt, um unsere Vorräte aufzufüllen – wozu wir auf der letzten Insel ja leider keine Gelegenheit hatten.“ Der Umstände wegen. „Und danach ist unsere nächste Station die südöstliche Küste von Calbota. Kennst du dort jemanden, der uns weiterhelfen könnte?“, hängte er schmunzelnd hintendran.



Genussvoll zupfte sich Ceallagh mit einem weiteren Biss einen Teil der verbliebenen Feige ab, während er Lucien bei seinen Ausführungen lauschte. So betrachtet ergab es Sinn, sich wenig über die zusätzliche Last Gedanken zu machen, die seine Anwesenheit an Board mit sich brachte. Sie glich viel mehr einem winzigen Tropfen auf heißem Stein und machte, wie es der Schiffskoch wohl sagen würde, den Kohl auch nicht fetter. Allerdings fragte er sich, womit sich dieser Trevor sein Zusatzbrot verdiente. Der Kerl wirkte nicht gerade überambitioniert. Eher wie jemand, der sein Geld für skurrile Dinge auf den Kopf klopfte, als sich über die Vermehrung seines Vermögens Gedanken zu machen.
Ach… wirklich?“ Ceallagh hatte den Blick vom Meer wieder auf seinen Freund aus Jugendtagen gerichtet. Erkannte in dessen Miene aber weder ausreichend Ernsthaftigkeit noch Ironie. Blieb also abzuwarten, in welche Richtung dieses „gefallen“ kippen würde.
Und kaum dass der Kapitän es ausgesprochen hatte, verließ sein heftiges Schnauben seine Nasenflügel. Calbota. Von allen Insel, die sie hätten ansteuern können, war es ausgerechnet seine Heimatinsel. “Kennen?“ Kurz fragte er sich, ob er Lucien jemals davon erzählt hatte, woher er kam. Erinnern konnte er sich mit Nichten daran. Was genauso wenig bedeutete, als würde er sich einbilden, es doch getan zu haben. “Das ist ein Heimspiel für mich. Sehr wahrscheinlich kenne ich zu viele Leute, um nicht die Aufmerksamkeit gewisser… Menschen auf mich zu ziehen“ Und dabei sprach er nicht zwingend von seinem Onkel. Denn neben ihm gab es mehr als eine Hand voll Männer, die ihm das Fell über die Ohren ziehen wollte. Geschäftsleute, Glücksspieler sowie betrogene Ehemänner. “Ich würde sagen… sobald wir angelegt haben, machen wir einen kleinen Abstecher zum Schwarzmarkt.“ Ein breites Grinsen zierte seine Lippen, während er den letzten Bissen der Feige zwischen seinen Zähnen zermahlte.
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