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Burn the bole, burn the sail
Crewmitglied der Sphinx
für 0 Gold gesucht
dabei seit Feb 2016
#1
Burn the bole, burn the sail
bespielt von    Liam Casey   Skadi Nordskov
20.05.1822
Burn the bole, burn the sail
Feel the thunder start to call.

Abend des 20. Mai 1822
Liam Casey & Skadi Nordskov


Schwer atmend stand Skadi über die Waschschüssel gebeugt und verkeilte die Finger um das helle Porzellan. Tropfen für Tropfen perlte über die braun gebrannte Haut. Am Kinn hinab. Durch dichtes dunkles Haar, das in den letzten Wochen wieder um etliche Zentimeter gewachsen war. Über entblößte Schultern hinab über die schwarzen Male und Bilder auf ihrem Rücken. Schwaches Licht umhüllte ihre Gestalt und flackerte bei jedem Windhauch, der durch die Fenster wehte. Erst unter einem schweren Seufzen begann sich die Nordskov zu regen und mit der Rechten nach dem Lappen im Wasser zu greifen, den sie unter einem lauten Plätschern an die Oberfläche zog und mit beiden Händen auswrang. Nur schwach zeichneten sich die feinen Schnitte und beginnenden Flecken im Zwielicht auf ihrem Brustkorb und an ihren Seiten ab. Versteckten sich kurzweilig unter dem feuchten Lappen, den sie mit vorsichtigen Bewegungen über ihren Körper gleiten ließ. Der letzte Kampf hatte sie weitaus schlimmer getroffen, als beabsichtigt, wenngleich das Preisgeld jeden Hieb und jedes Knirschen ihrer Knochen wert gewesen war.
Allmählich fiel es ihm einfacher, die Feder mit der Linken zu führen, selbst wenn er fast täglich versuchte, seine Rechte wieder so zu gebrauchen, wie es vor der Schussverletzung möglich gewesen war. Doch sein Griff saß nicht fest, ihm fehlte die Kraft in den Fingern, die Feder derart präzise zu halten, um filigrane Linien über das Pergament zu ziehen. Und sie fühlten sich noch immer dumpf und taub an. Nicht mehr so schlimm wie anfangs, aber zwischen den Fingerkuppen fühlte sich noch immer alles fremd an. Letztlich hatte er seine Malsachen zusammengepackt und war aus dem Innenhof in die Richtung ihrer Quartiere verschwunden. Seine Hand lag bereits auf dem Türknauf, als er die Geräusche aus dem Inneren des Zimmers vernahm und innehielt. Das Treiben im Inneren des Zimmers erinnerte ihn wieder daran, zu klopfen. Das tat er immer, seit sie hier waren und er sich das Zimmer mit Talin und Skadi teilte – immer jedenfalls, wenn er daran dachte oder – wie jetzt – daran erinnert wurde. „Alles gut?“, schob er seinem Klopfen nach, um dem Insassen bewusst zu machen, wer vor der Tür stand. Die Geräusche von innen klangen nicht nach dem, was man hinter den verschlossenen Türen hier sonst zu hören bekam – sonst hätte er sich stillschweigend und mit einem munteren Lächeln in den Mundwinkeln davon gemacht.
Die Geräusche verstummten jäh. Wie versteinert hielt Skadi in ihrer Bewegung inne und ließ die dunklen Augen über die Schulter zur Tür hinüber gleiten. Wer auch immer jetzt im Korridor stand, kam zu einem eher ungünstigen Zeitpunkt. Nicht, dass sie etwas zu verbergen hätte, doch sie fühlte sich noch immer zu aufgewühlt und dumpf, als dass sie jetzt ein ausgiebiges Gespräch vertrug. Mit einem schweren Seufzen nahm sie Liams Stimme war, wenn auch gedämpft. Ließ mit gespreizten Fingern den Lappen geräuschvoll ins Becken zurück fallen und beobachtete abwesend die kleinen Wellen im klaren Wasser. „Ja.“ Raunte sie laut und streckte sich nach einem der Baumwolltücher neben sich.
Er nahm die Antwort gleichzeitig als Erlaubnis, das Zimmer zu betreten. Vorsichtig öffnete er die Tür einen Spalt breit, erkannte Skadi nicht nur anhand der dunklen Zeichnungen auf ihrem Rücken und ließ den Blick kurz durchs Zimmer schweifen. Sie war allein. Talin schien noch unterwegs zu sein. Leise ließ er das Holz hinter sich wieder zufallen. Fahles Licht fiel zwischen den Vorhängen hindurch in den Raum und umrissen die entblößte Gestalt Skadis, die sich seitlich nach einem der Tücher reckte. „Lass dich nicht stören.“ Man hörte ihm an, dass es ihm wirklich fernlag, ihr Bad zu unterbrechen. Auch, wenn es vermutlich einfacher gewesen wäre, das Angebot der hauseigenen Badeanstalt zu nutzen. Andererseits war es dafür vermutlich bereits zu spät am Tag und das Treiben hinter den Mauern des Hurenhauses schon zu sehr im Gange, als dass er es sich angenehm vorstellen konnte. Als Frau jedenfalls. Liam lehnte die kleine Leinwand gegen die Mauer neben dem Schlafplatz in der Ecke, den er sich ausgesucht hatte, legte Feder und Tinte davor und machte schließlich einen gewollt beiläufigen Schlenker in ihre Richtung. Sanft strich er mit den Händen über ihre freien Schultern, bis sie an den Oberarmen zum Stehen kamen und beugte sich vor, um ihr einen flüchtigen Kuss in den seitlichen Nacken zu hauchen. „Es liegt mir fern, dich von irgendetwas abzuhalten.“ Das war gelogen. Halb zumindest, jetzt, wo sie scheinbar zumindest mit kurzer Zweisamkeit gesegnet schienen.
Knarzend gaben die Scharniere in ihrem Rücken nach und hinterließen ein dumpfes Pochen in ihrer Seite. Jetzt war es wohl zu spät, um einen dezenten Nachsatz anzuhängen und ihren neuen Gast aus den vier Wänden dieses Zimmers fern zu halten. Denn Liam schlüpfte bereits durch den Türspalt wie ein Wiesel und entlud klappernd irgendwas auf dem Fußboden, das sie mit einem Blick in den Spiegel vor sich nicht wirklich erkennen konnte. Sie unterdrückte ein Seufzen. Fädelte bereits das eine Ende des Tuchs hinter ihrem Rücken entlang, um den hellen Stoff mit ausgestreckten Armen um ihren Brustkorb zu schnüren, als Liam hörbar näher trat und seine Finger auf ihren Schultern niederließ. Ein ungewohntes Prickeln durchfuhr ihren Körper und legte sich als bitterer Geschmack auf ihre Zunge. „Ich merk schon.“, war das einzige, das sie darauf trocken erwiderte und den Kopf leicht zu Seite drehte, um ihn aus den Augenwinkeln zu mustern. Er war eindeutig zum falschen Zeitpunkt hier. An einem der anderen Tage, hätte sie ein kleines Schäferstündchen durchaus in Erwägung gezogen. Um sich den Frust auf andere Weise von der Seele zu arbeiten. Doch jetzt glaubte sie nicht einmal, dass sie auch nur irgendeine seiner Berührungen genießen konnte.
Den Kopf noch immer gesenkt blinzelte er zu ihren feinen Zügen hinauf und versuchte, in ihrem Blick mehr zu sehen, als das, was sie ihm offensichtlich zu verstehen gab. Offensichtlich genug, dass selbst Liam merkte, dass irgendetwas nicht stimmte. Was es allerdings war – es gab viele Möglichkeiten und kaum Anhaltspunkte darauf, was davon zutraf. Dennoch blieb das Lächeln auf seinen Zügen sanft, als er sich langsam wieder aufrichtete – sich augenscheinlich mit ihrer Stimmung abfindend. „… Enrique?“, riet er schließlich ins Blaue hinein und wollte somit ihre Redebereitschaft testen. Seine Augen suchten dabei der Einfachheit halber den Blick ihres Spiegelbildes, während seine Hände noch immer sanft auf ihren Schultern ruhten. Sein innerliches Seufzen blieb dabei ungehört.
Augenblicklich schnellten ihre Augenbrauen hinauf und machten ziemlich deutlich, was sie von seiner Annahme hielt. Nämlich gar nichts. Wieso musste immer alles Enriques Verschulden sein? Sie existierte auch noch ohne ihn - fast schon zwangsläufig, wie ihr vor ein paar Wochen bereits klar geworden war. Ein Seufzen verließ ihre Lippen, als sie den Blick auf den Lappen in der Schüssel gleiten ließ und ihn mit der Linken aus der Schüssel zog. „Ja... der absolute Liebestöter.“, entfloh es zynischen ihren Lippen, während sie die Oberarme eng an ihren Körper drückte, um mit beiden Händen den Lappen auszuwringen und das Baumwolltuch auf ihrem Oberkörper zu fixieren.
Ihre Reaktion hätte beides bedeuten können - Schuld wie Unschuld, denn Liam wusste, wie ungern sich Skadi diese Schwäche eingestand. Vermutlich war ihr nicht bewusst, wie oft sie in seinem Beisein über ihn schimpfte, aber das war für die Beziehung der beiden vermutlich auch gesünder. Und auch, dass sie jetzt derart gereizt reagierte, konnte zweierlei bedeuten. Ihm sollte es egal sein, solange sie ihren Frust in sich hineinfressen wollte. „Einer von wenigen, die dich derart reizen jedenfalls.“, antwortete er ihrem Spiegelbild ruhig, ohne sich von ihrem Sarkasmus abschrecken zu lassen. Seine Lippen verzogen sich zu einem knappen, vielsagenden Ausdruck, ehe er die Finger von ihr löste.
Was auch immer Liam glaubte zu wissen, Skadi hielt es nicht für notwendig ihn zu korrigieren. Legte stattdessen gezwungen ruhig den Lappen auf den hellen Rand der Waschschüssel und wandte sich, mit einer Hand am oberen Knotenpunkt ihrer primitiven ‚Bekleidung‘, herum und starrte wortlos in die braunen Augen. Immer wieder durchzog ein Schmerz und Druck ihre Seite. Spannte sich über die müden Arme und Beine, bis Skadi sich einem tiefen Atemzug hingeben musste, um den Schmerz nicht auf ihre Miene wandern zu lassen. Wenn er auf Streit aus war, konnte er sich gleich vom Acker machen. Sie wollte es sich eigentlich nur ungern mit ihm verscherzen und war nicht derart gut gelaunt, um alles durch dumme Scherze wieder gerade zu biegen. „Du hast gezeichnet?“ Ihr Blick war an ihm vorbei auf die Leinwand gefallen, die neben seinem Schlafplatz an der Wand lehnte.
Er verstand ihren Blick als ein eindeutiges ‚Wir reden nicht darüber‘ und akzeptierte es. Ob er richtig lag oder nicht – Sie ließ ihn sich in seiner Vermutung eigentlich recht sicher fühlen. Er wollte sie wissen lassen, dass sie ihm nichts vor machen brauchte, er sich aber nicht mehr als nötig in ihre Angelegenheiten einmischen würde. Er ließ sich auch vom Drängen ihres Blickes nicht einschüchtern, entgegnete ihn, bis er sich mit einem gedehnten Atemzug von ihr abwandte und die wenigen Schritte bis zum Fenster überbrückte. Von hier aus konnte man das Treiben im Innenhof gut beobachten. Ohne einer bestimmten Gestalt mit dem Blick zu folgen überlegte er, wohin es ihn als nächstes trieb. Wenn Skadi mit ihrer Laune alleine bleiben wollte, würde er ihr nicht im Weg stehen wollen. „Hm?“, fragte er und sah auf, als die Dunkelhaarige versuchte, die Wogen wieder etwas zu glätten. Er folgte ihrem Blick zur Wand und zog eine unzufriedene Grimasse. „Es wird wieder besser. Mit der Linken meine ich. Ist halt ewig her. Als Kind war ich mit links talentierter als mit der anderen Hand.“
Dieser Blick zwischen ihnen knisterte vor Anspannung. Hätte Skadi sie als Außenstehende beobachtet, hätte sie wohl ein amüsiertes Schnauben über diesen Kindergarten verloren. Doch so folgte sie seiner Silhouette, als er sich abwandte und zum Fenster hinüber lief. Wenigstens schenkte er ihr genug Raum, um tief durchatmen zu können. Guter Junge. Sie nickte mit einem knappen Brummen auf seine Worte. Ging dazu über,das auf dem Kopf stehende ‚Meisterwerk‘ zu mustern, das aus dieser Perspektive nicht wirklich viel hergab, um schlussfolgern zu können, woran er sich versucht hatte. Dann löste sich der schmale Körper der Nordskov aus ihrer steinernen Haltung und zog den weichen Stoff des Tuchs nach vorn, um sich in vorsichtigen Bewegungen das Wasser vom Körper zu reiben. „Aber übertreib es nicht. Sonst kannst du die bald auch nicht mehr benutzen.“ Und sie wusste wovon sie sprach. Die Erinnerungen an ihre Zeit bei der Marine waren frisch genug.

Sein Blick war wieder nach draußen gewandert, bis er feststellte, das Skadi die unfertige Kritzelei noch immer musterte und scheinbar zu ergründen versuchte, was es darstellen sollte. „Das wird… ein Vogel.“, vereinfachte er ihr die Kunstkritik. „Eine Braunschwanz-Amazilie. Draußen war eine unterwegs.“ Nicht, dass es von Belang war, aber es half ihm, dieser angespannten Situation ein bisschen Normalität zurückzugeben. Ein flüchtiges Lächeln huschte über seine Züge, als Skadi fortfuhr, doch diesbezüglich musste er sie wohl enttäuschen. „Vom Nichtstun wird es aber auch nicht -“ Liam hatte automatisch hinübergesehen, als sie ihre steinerne Haltung gelöst hatte. Und auch, wenn ihr seitliches Profil durchaus ansehnlich war wie immer, ruhte sein Blick vorerst auf ihrem Gesicht. So lange jedenfalls, bis ihm im Licht der Sonne dein größerer, bläulicher Fleck auf ihrer Haut auffiel, und ein weiterer nicht weit vom ersten entfernt. Besorgnis zeichnete sich in seinem Gesicht ab, als er die Fingerkuppen vom Fenstersims löste und sich abermals Skadi zuwandte, deren Körper bei genauerem Hinsehen nicht nur vereinzelte Hämatome aufwies, sondern förmlich davon übersät war. Größere, kleinere, aber alle frisch genug, um noch die unverkennbare bläuliche Farbe zu haben. „Scheiße, Skadi…“ Er hatte vorher mitten im Satz geendet, als es ihm aufgefallen war, machte nun zwei Schritte auf sie zu und musterte ihren Körper prüfend. „Was ist passiert? Hat dich jemand erkannt? Bist du überfallen worden?“
Es war kaum mehr aufzuhalten, dieses Augenrollen, das sie seinem Blick vorenthielt und zu ihren Sachen hinüber lief. Dass Liam mitten im Satz stockte entging ihr vollkommen. Wahrscheinlich weil sie hoffte, dass er vielleicht selbst darauf kam, dass er Blödsinn von sich gab. Doch sein plötzlicher Ausruf ließ den dunklen Schopf herum fahren, den sie gerade mit beiden Händen im Tuch zu trocknen versuchte. Tiefe Furchen zogen sich auf ihre Stirn. Die braunen Iriden auf die Gestalt des Lockenkopfes gerichtet, der erschüttert zu ihr hinüber sah und sich schlagartig in ihre Richtung bewegte. "Was?!" Ihr war schleierhaft was er da von sich gab. Womöglich weil sie unterbewusst wusste, worauf er hinaus wollte, aber nicht einsah, es ihm brühwarm aufzutischen. Er würde sie doch so oder so dafür verurteilen, auch wenn er sonst nie Anstalten machte, einer dieser Menschen zu sein, die andere in Schubladen steckten. „Ts. Mach dich nicht lächerlich. Mich überfällt niemand so leicht.“ Sie senkte die Hände, lehnte den Kopf zur Seite, um sich beherzt mit dem weichen Stoff über den Hals zu fahren.“
Für den Augenblick hatte er ausgeblendet, wie kurz ihre Lunte gerade war. Dass es damit zu tun haben konnte, kam ihm erst, als sie ihm statt einer Antwort eine patzige Ausrede vor die Füße warf, als wäre nichts dabei, dass sie aussah, als wäre sie frisch misshandelt worden. Auch, dass sie sich ihm zugewandt hatte, hatte den Eindruck nicht verbessert, denn auch auf ihren Flanken klafften dunkelblaue Flecken und frische Schnitte. Wenige Meter von ihr entfernt kam er zum Stehen. Sein Blick wanderte noch immer über ihren Körper, bis er wieder im tiefen Braun ihrer Augen angekommen war, die ihm trotzig entgegensahen. Er wusste nicht, weshalb es ihn derart aufwühlte, sie so zu sehen. Vermutlich lag es noch immer an ihrem kleinen Zwischenfall vor wenigen Wochen. „Was ist passiert?“, wiederholte er nachdrücklicher. Was er außerdem wusste, war, dass es ihn nur noch mehr fuchste, dass sie offenbar nicht sagen wollte, was passiert war. „Verdammt, Skadi! Du siehst aus, als wäre eine ganze Horde über dich hergefallen! Willst du mich eigentlich für dumm verkaufen?“
Ein Schnauben verließ ihre geweiteten Nasenflügel. Vollkommenes Unverständnis machte sich auf ihren Zügen breit und strafte Liam mit einem Blick, den er wohl nicht von ihr kannte. Was war eigentlich sein scheiß Problem?! Genervt schnalzend glitten die Augen von seinem Gesicht und streunten ziellos durch den Raum. Gefolgt von einem bitteren Auflachen, das sich irgendwie falsch aber notwendig anfühlte. „Klar... das ist mir ein inneres Bedürfnis. Der Lichtblick meines Tages. Bitte erspar mir diese Diskussion. Das führt zu absolut gar nichts.“ Hatte sie das gerade wirklich gesagt? War sie so wütend auf die ganze Welt, dass sie es ausgerechnet an ihm auslassen musste? Wozu ließ sie sich eigentlich derart vermöbeln, wenn es so gar nichts an ihrer Laune änderte. Des Geldes wegen definitiv nicht. So viel stand für sie fest.
Und wieder war es nicht mehr als eine bissige Bemerkung, die sie keinen Schritt weiterbrachte. Diesbezüglich hatte Skadi tatsächlich Recht – das hier führte zu absolut gar nichts und er war ihr offenbar nicht einmal die Mühe wert, sich irgendeine haarsträubende Ausrede einfallen zu lassen, um ihn abzuspeisen. Liam wusste nicht, ob er lieber offen ins Gesicht gelogen bekommen hätte. Lieber als das hier jedenfalls. Überhaupt war es ihm ein Rätsel, weshalb ihn Skadis offenkundlicher Zustand derart in Rage versetzte und mit Wut erfüllte; weshalb er sich so einfach von ihrer schlechten Laune mitreißen ließ und nicht einmal dann einfach den Mund halten konnte, wenn er sich gedanklich dazu zwingen wollte. Genervt presste er die Luft zwischen den Lippen hindurch und schüttelte verständnislos den Kopf. „Stimmt, aber deine billigen Ausflüchte sind allemal hilfreich.“, zischte er und verfluchte sich fast zeitgleich schon wieder dafür. „Aber freut mich, dass ich dir wenigstens den Tag erleuchten konnte. Nett, dass es nicht einmal eine Antwort auf eine so einfache Frage wert ist.“
Er begriff auch gar nichts oder? Wo war der Liam hin, der einfach Dinge wie diese hinnahm und wie selbstverständlich das Thema wechselte? Den hätte sie jetzt weitaus lieber in diesem Raum als das, was da mit wütendem Gesichtsausdruck vor ihr stand und die verbale Moralkeule schwang. Wenn er versuchte ihr ein schlechtes Gewissen einzureden, ging er diese Sache definitiv falsch an. „Gott, was ist eigentlich dein Problem? Mir geht es gut.“ Patzig und angefressen knüllte sie das Tuch in ihren Händen zusammen und bückte sich zu ihren Kleidungsstücken hinab. Zu den anderen, die nicht mit Speichel, Blut und Schweiß getränkt waren und auf einem Stuhl in der Ecke zum Trocknen hingen. „Wenn’s dir damit so viel besser geht... ich bin die Treppe runtergesegelt, weil ich zu faul war für die Essenstablets zweimal zu laufen. Und... glücklich?“ Wieso sie so vehement versuchte die Wahrheit über ihre abendliche Unternehmung zu vertuschen, ergründete Skadi nicht einmal, als sie die Finger um ihre Bluse schloss und das Tuch auf den Boden gleiten ließ.
Hätte sie ihm diese Frage nicht bloß rein rhetorisch vor die Füße gespuckt, wäre ihm vermutlich aufgefallen, dass er keine Antwort darauf hatte. Stattdessen aber konzentrierte er sich nicht auf das, was er nicht beantworten konnte, sondern auf das, was sie nicht beantworten wollte. Mit einem enttäuschten, ungläubigen Laut kommentierte er ihre Beteuerung. Wie oft hatte er das schon gehört. Und wie oft war mehr als offensichtlich gewesen, dass es nicht mehr als eine Floskel war; eine andere Art um einem zu sagen, dass man an einem Gespräch kein Interesse hatte. Und so oft, wie Skadi ihm gegenüber diese Floskel bereits zurückgenommen hatte – dieses Mal würde sie es nicht tun. Das hatte sie mehr als deutlich gemacht. Doch obwohl sie sich so trotzig aufführte, machte sie es ihm nicht einfach, wütend auf sie zu sein. Sein Blick folgte ihrer Gestalt, als sie sich nach ihren Kleidern bückte. Ihre Selbstverständlichkeit wirkte unter den jetzigen Umständen mehr als provokant. Mit einem tiefen Atemzug zwang er sich, die Augen zu schließen und das Kinn zu heben, öffnete sie wieder und starrte zwangsweise auf die rötlich befleckten Stoffstücke, die er in der Ecke des Zimmers vorher nicht bemerkt hatte. Zum Glück lenkte die Nordskov seine Aufmerksamkeit wieder zurück auf sich und beantwortete ihm damit gleich eine weitere Frage, deren Antwort er nur wenige Augenblicke zuvor noch anders eingeschätzt hatte – es war nicht angenehmer, offen ins Gesicht gelogen zu bekommen. Gut, dass sie auch das geklärt hatten. „Ja, unheimlich. Danke.“, gab er bitter zurück. Er glaubte ihr nicht, das war kein Geheimnis. Das es sie nicht kümmerte, allerdings ebenso wenig. „Weißt du was, Skadi. Vergiss es.“
Es ging ihm so viel andere durch den Kopf. Er wollte ihr seinen Missmut darüber an den Kopf werfen, dass er wenigstens nach dem dritten Anlauf eine halbherzige Lüge wert war; dass sie sich benahm wie ein trotziges Kind, ohne dass er auch nur ansatzweise einen Grund dafür sah; dass er weder Enrique noch sonst jemand war, den sie anlügen musste, um ihre Ruhe zu haben. „Vergiss es einfach.“ Abermals bemerkte er, dass sein Blick schon wieder zu ihrem blanken Körper zurückgewandert war, ohne dass er es bewusst bemerkt hatte. Abermals also zwang er sich, woanders hinzusehen, während er sich ganz automatisch in Richtung Tür bewegte. „Tut mir leid, dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe.“ Diese Worte kamen ihm fast zeitgleich mit der Erkenntnis über die Lippen, während er ihr einen letzten flüchtigen Blick zuwarf und mit einem „Passiert mir nicht wieder.“ durch die Tür verschwand.
Es waren nicht seine Worte die unangenehm ihren Rücken hinauf krabbelten, wie kleine Spinnen. Allein der Unterton in seiner Stimme brachte ihr Blut zum Kochen und verschärfte den Ausdruck ihrer dunklen Augen, die kontrolliert in die Schatten hinter sich richtete. Sie wollte ihn gerade weder sehen noch hören. Hasste die Art wie er mit ihr sprach. Hasste es, dass es ihr so wenig egal schien, wie wütend er auf sie war und sie sich nicht wie üblich in ein Schneckenhaus zurückziehen konnte. Eines, das so klein und eng war, dass nur Platz für sie war. Für niemanden sonst. Sollte er doch abhauen und seinen Frust an wem anderes auslassen. Sie hatte nicht gewollt, dass er reinkam, sie bedrängte und dann noch einen auf großen Bruder machte. Geh einfach. Grollte es in ihrem Inneren, kam jedoch nicht über die vollen Lippen. Angestrengt konzentrierte sich die Nordskov darauf den weichen Leinenstoff der Bluse über ihren Oberkörper zu ziehen. Das Stechen in ihrer Seite unter kontrollierten Atemzügen zu beherrschen und Liam wortwörtlich die kalte Schulter zu zeigen. Nichts was sie sagte, machte diese Situation besser. Höchst wahrscheinlich verschlimmerte sie es damit nur noch. Brachte ihn obendrein noch dazu, länger hier zu bleiben und sich über die Tatsache zu beschweren, dass sie ihm eben nicht alles erzählte. Er war nicht ihr Partner. Nicht ihr Priester, bei dem sie Buße tun musste. Es konnte ihm doch scheiß egal sein, wieso sie so geschunden aussah
Ruckartig fiel die Tür ins Schloss und presste das Herz der Jägerin unangenehm gegen ihr Brustbein. Die dunkle Leinenhose ruhte bereits auf ihren Hüftknochen, als sie mitten in der Bewegung innehielt und brummte. Sie hatte genug. Warum scherten sie sich nicht einfach alle zum Teufel? Mit einem tiefen Grollen griff sie nach einem der Bücher an Talins Schlafplatz und pfefferte es voller Wut gegen die Tür. Unterdrückte dabei unter größter Anstrengung einen Aufschrei. Verdammte Scheiße! Sie hatte niemanden darum gebeten sich um sie Sorgen zu machen. Was wollten diese Leute eigentlich andauernd von ihr? Talin, Liam, Enrique. Sie war doch kein Sozialfall, kein bescheuertes Projekt, dem man sich annahm, weil man irgendwelche schlechten Gewissen überkompensieren wollte. Hatten sie denn keine eigenen Probleme?! Wutentbrannt knöpfte sich die Nordskov Hose und Bluse zu. Zog sich die Schuhe über, die neben dem Waschplatz standen, und stampfte in Richtung Zimmertür. Für einen Moment huscht ihr Blick aus dem Augenwinkel auf das Bild, das sie mit seiner Reinheit und Unvollkommenheit verhöhnte. Am liebsten hätte sie ihren Fuß darin versenkt. Zerstört, was da als kleiner Keim zu wachsen begann. Doch ihre Finger umschlossen bereits den Knauf der Tür, den sie schwungvoll zu sich heran zog, um mit wenigen Schritten die Schwelle zu überschreiten. Das Holz ließ sie beim Verlassen des Schlafgemachs geräuschvoll zuknallen. Sollte ruhig jeder wissen, dass sie ihre Ruhe haben wollte. Vielleicht ersparte es ihr ja noch so eine beschissene Begegnung, bevor sie die Straße erreicht hatte, um sich ihren Frust von der Seele zu laufen.
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Crewmitglied der Sphinx
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#2
Warum musste sie bloß so verdammt stur sein? Er verstand nicht, weshalb ihr so viel daran lag, ihm zu verheimlichen, woher sie all diese Hämatome und Prellungen hatte. Oder warum ihm so viel daran lag, es zu erfahren. Liam hatte sich nicht die Zeit genommen, sich mit der geschlossenen Tür als physische Barriere zwischen ihnen einen Augenblick zu sammeln. Wie von allein hatten seine Füße wieder den Weg nach unten eingeschlagen, waren durch den Hof marschiert und schließlich zur Straße hinaus. Dementsprechend nahm er auch das Treffen von Buch und Holztür nur noch als dumpfes Geräusch wahr, das von überall hatte kommen können. Erst, als er auf der Straße stand und schließlich nach rechts bog, um sich den Frust von den Sohlen zu laufen, bemerkte er, wie angenehm kühl und klar die Abendluft. Sie beruhigte sein aufgewühltes Gemüt ein wenig und mit jedem Schritt, den er sich weiter vom Bordell entfernte, fiel es ihm einfacher, wieder durchzuatmen. Im Nachhinein betrachtet war die Situation gerade mehr als absurd gewesen. Mit den Händen in den Taschen folgte er den Straßen, ohne sich den Weg wirklich zu merken. Und obwohl er einfach hinnehmen wollte, dass Skadi das Bedürfnis hatte, ihn nicht in diese Sache einzuweihen, stäubte sich irgendetwas in ihm dagegen – gerade weil sie nicht wollte, dass er es wusste und weil es offenbar wichtig genug war, um sich aufzuführen wie ein trotziges, impulsives Kind. Er nahm sich selbst nicht heraus – ein weiterer Punkt, der ihn bei längerem Nachdenken erstaunte, denn eigentlich ließ er sich auf derartige Auseinandersetzungen selten ein. Sie führten zu nichts. Zu nichts als schlechter Laune. Wobei – die hatte zumindest die Nordskov bereits vorher gehabt.
Irgendwann war er umgedreht und schweigend wieder dem Weg zum Bordell gefolgt. Inzwischen war die Sonne gänzlich am Horizont und Liam hoffte, dass es spät genug war, um sich einfach schweigend in seine Schlafecke verziehen zu können. Er war optimistisch genug, dass Skadis Welt morgen bereits wieder bunter aussah. Und er nahm sich fest vor, einfach nicht mehr danach zu fragen, was vorgefallen war. Auch, wenn es ein unangenehmes Gewicht in seiner Magengegend hinterließ.
Häuserfront um Häuserfront zog an ihrem Augenwinkel vorbei. Unbemerkt und ungesehen, weil alles zu einem dunklen Brei verschwamm, den die Nordskov nur noch als notwendiges Beiwerk ihres Weges wahrnahm. Ganz gleich wie viele Schritte sie nahm, kochte die Wut immer noch wie ein loderndes Feuer in ihrem Magen und verzerrte ihr Gesicht in einem stetigen Rhythmus. Bei allen Göttern. So schlecht drauf war sie lange nicht mehr gewesen wie heute. War sie noch vor etlichen Tagen davon ausgegangen, endlich mit dem Tod des kleinen Jungen und den angeschwemmten Erinnerungen ihrer Vergangenheit klar zu kommen, hatte das heutige Ereignis mit einem Schlag alles überschattet. Und statt dass ihr Frust mit den Schlägen, die sie austeilte und einsteckte, schrumpfte, wuchs es zu einem hässlichen Geschwür heran, das sie sogar gegen Liam aufbrachte. Dem bislang einzigen Menschen auf der Sphinx, dem sie sich wirklich öffnen konnte. Und dem sie nicht aus einem Pflichtgefühl heraus vertraute. Ein Seufzen verließ ihre Kehle, als sie die letzte Ecke passierte und den Pfad, den der Lockenkopf eingeschlagen war mit einem Schlenker nach links verließ. Wenigstens, und das war womöglich das Einzige, das sie tief im Inneren beruhigte, hatte nichts von dem ausgesprochen, dass ihre temperamentvolle Zunge hatte loswerden wollen. Hässliche Dinge, die man nicht mehr zurück nehmen konnte, wenn sie einmal ausgesprochen waren. So abgrundtief verletzend, dass der Musiker ganz sicher nicht mehr gut auf sie zu sprechen gewesen wäre. Über seinen sehr langen Zeitraum hinweg. Besser machte es ihre derzeitige Lage allerdings nicht. Ihre Hände zitterten noch immer vor angestauter Wut, die sie nirgends entladen konnte. Die ihrer Kehle ein energisches Schnauben entlockte, ehe sie ruckartig nach Luft schnappte, kaum dass ihre Schulter etwas Weiches berührte.
Erschrocken wich die Nordskov zurück. Mit erhobenem Kopf und zusammengezogenen Brauen, die tiefe Furchen in ihre Stirn zogen. „Hey. Kannst du nicht mal aufpassen?“ Vielleicht war es ihr eigenes Verschulden, dass sie blind in den Mann hinein gerannt war, der mit verengten Augen zu ihr hinab starrte, als begegne er zum ersten Mal einer seltsamen Kreatur aus fernen Ländern. Doch es scherte sie nicht. Presste nur noch ein Schnauben aus ihren geweiteten Nasenlöchern, ehe sie sich an dem Kerl vorbeidrücken wollte und mit ausgestrecktem Arm aufgehalten wurde. Augenblicklich gefror ihre Haltung, ebenso ihr Blick, den sie innerhalb weniger Herzschläge funkelnd auf den Fremden richtete. Es hätte nur noch ein gefährliches Zischeln gefehlt, um die Angriffslust ihrer Züge auf ein Maximum zu steigern. „Pfoten weg.“
Und trotzdem war es das, was ihm durch den Kopf schwirrte. Das, woran sich seine Gedanken festhielten, während er zwanghaft versuchte, sich davon abzulenken. Er hatte Skadi selten derart geladen erlebt, derart stur und abweisend. Ihm gegenüber jedenfalls. Dass sie stur war, war keine Überraschung für ihn. Bislang aber war es ihm leichtgefallen, damit umzugehen. Sie Sein zu lassen, ohne sich groß in ihre Angelegenheiten einzumischen. Was dieses Mal anders gewesen war, konnte er nicht sagen. Er wusste nicht, woher Wut gekommen war, als er sie derart geschunden gesehen hatte und er wusste nicht, weshalb sie nicht einfach wieder so plötzlich verschwand wie sie gekommen war. Liam atmete gedehnt aus und wischte sich erschöpft durch das Gesicht. Was hätte er jetzt nicht alles dafür gegeben, irgendwo mit Alex ein Bierchen zu heben und sich nicht mit Dingen zu beschäftigen, die er ohnehin nicht ändern konnte. Die Kopfgeldjäger hingen ihm noch immer nach. Und mit ihnen die Angst davor, wen es bei der nächsten Aktion erwischte. Es hatte ihn nicht zu kümmern, was die Leute in ihrer Freizeit anstellten – es kümmerte ja auch niemanden, was er trieb, während er tagsüber nicht auffindbar war. Und trotzdem hinterließ der Gedanke gerade jetzt, wo er gezwungen war, darüber nachzudenken, ein flaues Gefühl in seinem Magen. Im Bezug auf alle, redete er sich ein. Im Bezug auf wenige eben bloß ein wenig mehr.
Am Ende der Straße erkannte er beiläufig zwei Gestalten, ohne sehen zu können, ob sie standen oder sich auf ihn zu oder von ihm wegbewegten. Zwei gesichtslose Schatten, bei deren Anblick er unbewusst darüber nachdachte, einen anderen Weg zu wählen. Dass zumindest einer dieser Schatten nicht ganz so unbekannt war, wie er sich gerade wünschte, ahnte er nicht im Geringsten. Doch noch waren sie zu weit weg, als dass er überhaupt hätte hören können, dass sie sich unterhielten. Bis er dort war, waren sie mit Sicherheit verschwunden. Was er somit noch weniger sehen konnte, war das süffisante Zucken im Mundwinkel des Größeren, als ihn die Frau vor ihm anblaffte, als glaubte sie, sie hätte damit Erfolg. „Sonst?“, erklang es einsilbig und nur wenig beeindruckt. „Aber immerhin gibt sich die Amazone nicht nur im Zwielicht bissig.“ Es war kein Kompliment. Ganz im Gegenteil. Denn noch einmal würde er sie nicht derart unterschätzen, dass sie ihn vor allen lächerlich machte.
Er sollte sich seinen widerlich stinkenden Atem für andere Dinge aufheben, als dumme Sprüche zu klopfen. Skadi brummte lediglich zur Antwort und versuchte sich wortlos an ihm vorbei zu schieben. Auf solche Spielchen ließ sie sich nicht ein, ganz gleich wie sehr der Kerl die gerade auf die Palme brachte. Sie war nicht in der körperlichen Verfassung, um sich mit ihm auf die Art und Weise zu befassen, die er für sein gehobeltes Mundwerk verdient hätte. Doch er brachte sie mit nur einem Schritt zur Seite erneut dazu, innezuhalten und unter schweren Atemzügen zu ihm hinauf zu sehen. „Hast du keine Frau zu Hause, der du auf den Sack gehen kannst?“ Dann lachte sie bitter auf. Mit funkelndem, süffisantem Blick. „Oder kannst du es ihr nicht besorgen, dass du hier Wildfremden auflauern musst?“ Sie wusste, dass sie zu weit ging. Sie wusste, dass all das nur noch mehr zu Problemen führen würde. Doch es war ihr einfach egal. Lieber ließ sie ihren Frust an diesem Fremden aus, der nicht den Anschein erweckte, als wollte er sie in Frieden von dannen ziehen lassen, als an jenem Mann, der wutentbrannt aus ihrem Schlafzimmer gestürmt war. Allein die Erinnerung daran, entfachte ihre Wut erneut. Mehr auf sich selbst, als gegen ihn gerichtet.
Er lachte derbe auf, offensichtlich weiterhin unbeeindruckt von ihrer Provokation, amüsiert eher von ihrem Versuch, ihn unter die Gürtellinie zu treffen. Aber er hatte nicht vor, diese zufällige Begegnung dazu zu nutzen, gehässige Kommentare über sich ergehen zu lassen, deren Wahrheitsgehalt sie nicht einmal erahnen konnte. Er würde die Rechnung begleichen, die sie unfreiwillig auf sich genommen hatte ohne zu bezahlen. Und er hatte nicht vor, das mit leeren Drohungen und blinden Beleidigungen zu tun. Er fand es mehr als belustigend, wie scharf ihre Zunge blitzte, aber ihre Lage verbesserte sie dadurch kein Stück. „Nett.“, kommentierte er ihren Versuch, sich seiner zu entledigen und grinste zahn(lücki)ig. Man sah ihm an, dass diese Kämpfe keine reine Freizeitbeschäftigung für ihn waren. „Hast mich um ein gutes Sümmchen Gold gebracht, Schätzchen.“, begann er mit dunkler Stimme und starrte der Dunkelhaarigen förmlich entgegen. „Und ich hole mir gern zurück, was mir gehört.“ In seinen Mundwinkeln zuckte es bedrohlich.
Als er nähergekommen war, hatte er die beiden Gestalten misstrauisch beäugt. Auf die Distanz wirkte es nicht wie ein freundschaftliches Gespräch, aber das machte es noch lange zu nichts, was ihn etwas anging. Kurzentschlossen bog er vom direkten Weg zurück zum Bordell in eine Seitenstraße ab. Er hatte bereits genug Ärger damit, sich in Angelegenheiten eingemischt zu haben, die ihn – offensichtlich – nichts angingen. Und doch war er Liam, der anhand der Staturen durchaus erkannt hatte, dass Mann und Frau dort auf der Straße gestanden hatten und um die Verdorbenheit seines Geschlechts wusste. Unweit der Mauerecke blieb er stehen und lehnte sich lauschend rücklinks an den kalten Stein; seufzte genervt von sich selbst und atmete leise. Er konnte unmöglich guten Gewissens weitergehen, wenn er wusste, dass hier vielleicht jemand wirklich Hilfe gebraucht hätte
Skadi lachte verholen und trat einen halben Schritt zurück, als der Kerl keine Anstalten machte, sich von ihr eigenhändig zu entfernen oder abzulassen. Ihre Nasenflügel zogen sich bei seinen widerlichen, dunklen Zahnreihen zusammen, denen mehr als nur ein gesunder Beißer fehlte. Sie konnte wohl von Glück reden, dass ihr nicht noch geradewegs Speichel entgegen gesprungen war. „Ach, ist dem so? Siehst nicht aus, als gäbe es bei dir viel zu holen.“ Kaum vorstellbar, dass dieser Kerl zur gut betuchten Gesellschaft gehörte. Und auch für einen Straßengauner fehlte ihm der heimliche Reichtum, der sich gern in einem Goldzahn oder ausreichend Waffen am Körper zeigte. „Und das in mehr als einer Hinsicht.“ Wieder stahl sich dieses diebisch, süffisante Grinsen auf ihre Züge. Es war längst zu spät für verbale Rückzieher und machte mehr Spaß, als es ihr am Ende gut tat.
Der Ausdruck auf seinen Zügen wurde abfälliger. Entweder war sie einfach extrem selbstsicher, weil ihre Freunde in der Nähe lauerten oder extrem dumm. Ein flüchtiger Blick galt der Straße in ihrem Rücken, ehe er sich für die zweite Variante entschied. Eine Frau, die sich freiwillig mit Schlägern in den Ring warf, um Geld zu verdienen, konnte nicht sonderlich helle sein. Für sie gab es doch viel einfachere Wege. Aber dass sie mit derart spitzer Zunge keinen Freyer fand, der bereit war, sie für ihre Dienste zu bezahlen, war auch nicht weiter verwunderlich. Ein hörbares, hämisches Grinsen galt ihrem Kommentar, ehe sein Körper ruckartig nach vorne schnellte und den schmalen Körper vor sich mit beiden Händen am Kragen packte, um ihn gegen die Mauer an ihrer Seite zu drücken. „Mal sehen, ob ich dein großes Maul nicht gestopft bekomme.“
Sie hatte damit gerechnet, dass er übergriffig wurde. Irgendetwas tief in ihr hatte sogar darauf gelauert, wenngleich ihr bewusst war, wie wenig sie im Endeffekt dagegen ausrichten konnte. Weder sträubte sie sich gegen seinen Griff, noch tat sie irgendetwas dagegen. Denn das Einzige, das ihre Lippen verließ, war ein sonores Lachen, das von Herzschlag zu Herzschlag, immer lauter und schriller wurde. „Du und mein großes Maul stopfen. Willst du dein Hirn da rein tun? Pah.“ Seine Finger schmerzten auf ihren Schlüsselbeinen, doch alles in ihr widerstrebte dem Reflex sich unterwürfig zu zeigen. Sie war eine Kämpfernatur. Das hatte ihr Vater ihr mit jedem Tag ihrer Kindheit eingebläut. Aufgeben war etwas für Versager und Feiglinge. „Selbst mit deinem Schwanz ist das allemal eine mickrige Vorspeise.“ Sie wartete. Darauf, dass er sich gegen sie drückte. Die Distanz zu ihr überbrückte oder so sehr die Fassung verlor, dass sie ihm mit nur einer richtigen Bewegung von sich loseisen konnte. Bis dahin würde sie das ankratzen, was von seinem beschissenen Ego noch übrig war. Denn das hatte sie wohl bereits ordentlich angenagt. Weshalb auch immer.
Der Verdacht erhärtete sich, dass sie schlicht lebensmüde war. Lebensmüde und dumm genug, um keinerlei Überlebensinstinkt zu zeigen. Wie ein Püppchen ließ sie sich hochnehmen und gegen die Wand pressen, während das einzige, was nicht still bleiben wollte, ihr loses Mundwerk war. Pah, spuckte er ihr tonlos mit einer amüsierten Fratze entgegen und nickte langsam, abwartend, gespannt. „Na, das werden wir ja sicherlich gleich sehen.“, lachte er im gleichen Moment, wie sich eine seiner Hände vom Stoff ihrer Bluse löste, um gleich darauf mit geballter Faust in ihrem Gesicht einzuschlagen.
Ihre Fußspitzen verloren jeglichen Bodenkontakt. Baumelten wenige Millimeter in der Luft, während der Fremde endgültig die Geduld verlor und seine Hand aus dem festen Griff um ihre Bluse löste. Skadi hätte geschworen, dass der feine Stoff alsbald unter ihrem Gewicht ratschend nachgegeben hätte. Doch scheinbar war sie dünner geworden, als sie vermutete. Oder die Zeit verlief tausendfach langsamer, als es ihr vorkam. Ruckartig spannte sie ihren Bauch an und zog ihr rechtes Bein angewinkelt hinauf. Mitten zwischen die Beine des Fremden, dessen Faust sie nur halb verfehlte und statt ihrer Nase ihr Jochbein traf. Ein Schmerzenslaut verließ ihre Kehle. Mischte sich mit dem des Mannes vor ihr, der beide Hände gegen den Schritte presste. Skadi spürte just Blut in ihrem Mund. Spuckte es achtlos vor sich auf den Boden und fühlte dem dumpfen Pochen in ihrem Körper nach. Ihr war für einen Moment seltsam schwummrig.
Liam hoffte inständig, dass er sich irrte, dass alles in Ordnung war und sein Misstrauen der Menschheit gegenüber nicht seiner zeitweisen guten Menschenkenntnis geschuldet war, sondern einfach den Geschehnissen, die noch immer in ihrem Nacken hingen. Er lauschte und auch, wenn er nichts vom Gespräch verstand, waren Häme und Herablassung kaum zu überhören. Ein stummes Fluchen folgte, ehe er sich mit einem tiefen Atemzug aus seiner Deckung zurück auf die Straße schob. Gerade noch rechtzeitig, um zu sehen und zu hören, dass sich auch sein letzter Funke Hoffnung auf einen friedlichen Ausgang dieses Abends in Luft auflöste. „Hey!“, rief er erstaunlich barsch in die Richtung des breiten Rückens, der sich noch immer auffällig nach vorne beugte. Schien, als wäre sein Schlag zumindest nicht unbestraft geblieben. „Hast du nichts Besseres zu tun, als nachts den Frauen nachzustellen?“ Noch hoffte er, dass sich die Situation einfach dadurch lösen würde, dass er gestört worden war. Ein bisschen Glück hätte ihm an diesem Abend wirklich nicht geschadet. Aber es kam anders – als er die schmale Gestalt dahinter nicht etwa als eine Fremde wahrnahm, wie die ganze Zeit angenommen. Die Erkenntnis sackte schwer wie ein Stein in seinen Magen, während sein Schritt ganz automatisch schneller wurde. „Na los, verzieh dich.“, blaffte er ihn abermals an, als er nur noch wenige Schritte entfernt war. Sein Blick streifte Skadi, doch er machte nicht den Fehler, den Kerl wirklich aus den Augen zu lassen. Wenn Skadi ihn schon nicht in die Flucht hatte schlagen können – was sollte er es überhaupt versuchen? Seine Gedanken rasten und suchten nach dem günstigsten und vor allem schmerzfreisten Ausgang für sie.
„Du verdammtes…“, hatte er unter den Schmerzen gezischt, die sich hartnäckig in seiner Lendengegend ausbreiteten. Es kostete ihn ein bisschen Überwindung, sich aus der gekrümmten Haltung wieder nach oben zu kämpfen, doch auf seinen Lippen lag ein bizarres, zufriedenes Lächeln. „Aber immerhin kannst du offensichtlich doch noch kämpfen. Dann macht es wenigstens mehr Spaß.“ Erst, als hinter ihm eine Stimme ertönte, hob er mit einem grimmigen Brummen den Kopf. Zuerst wollte er es einfach ignorieren, aber der Möchtegern-Held ließ nicht locker und schien nicht im Entferntesten daran zu denken, wieder abzuziehen. „Is ‘ne Sache zwischen der Lady und mir. Jeder hat seine Rechnungen zu zahlen – ganz egal ob Kerl oder ach so hilfloses Weibsbild.“ Die letzten Worte hatte ein hämischer Unterton begleitet. Hilflos war sie nicht, das wusste er. Umso lächerlicher war der Auftritt des fröhlichen Casanovas, der sich hier seine Heldenmedallie erhoffte. „Wenn du uns also bitte entschuldigen würdest.“ Mit übertriebener, bedrohlicher Freundlichkeit wandte er das zahnlückige Lächeln herum und musterte den Kerl abschätzig.
„Ist dann jetzt wohl eine Sache zwischen uns dreien.“, bereute es Liam fast zeitgleich, wie er es gesagt hatte. Es war nicht schlau, was er hier tat. Aber es war richtig. Und damit begnügte er sich in seinem Leben des Öfteren. „Ich sage es nicht noch einmal.“ Mit dem Kopf wies er ihm eine deutliche Geste, dass er noch die Möglichkeit hatte, das Weite zu suchen. Bevor er es bereute – sollte er zumindest denken. Bevor Liam es bereute war aber vermutlich wahrer.
Tiefe Atemzüge verließen ihre Brust und drängten vehement die Übelkeit in ihren Magen hinab. Für die ersten Augenblicke blieb die Nordskov regungslos stehen, damit beschäftigt das Chaos in ihrem Kopf zu ordnen. Erst dann trat sie einige Schritte zurück, richtete die dunklen Augen auf den Mann, dessen verzogene Miene eine gefühlte Ewigkeit brauchte, um aus dem Schatten aufzutauchen und mit einem hämischen Lächeln zu ihr aufzublicken. Zu gern hätte sie ihm einfach mit der Sohle ihres Schuhs mitten in die Visage getreten. Doch jeder Knochen ihres Körpers bebte allein bei der Vorstellung einer weiteren Berührung. Ein abfälliges Schnauben verließ ihre Kehle, vermischte sich mit der Stimme, die über den hohen Rücken des Fremden erst im zweiten Anlauf zu ihr drang und den Blick erschrocken hinauf gleiten ließ. Sie erkannte ihn sofort. Noch ehe sie mit einem Schritt zur Seite die Locken erblickte, die sich aus dem Licht diverser Kerzen und Fackeln schälten. Sie hörte nicht einmal die Worte, die neben ihr in die Abendluft entlassen wurden. War zu fokussiert auf die Gestalt Liams, die sich näherte. Die sich in diese Situation einmischte und direkt ins Kreuzfeuer begab. War er denn von allen guten Geistern verlassen? Langsam aber beständig entzog sich Skadi der Reichweite des Koloss, dessen Aufmerksamkeit gänzlich auf den Musiker gerichtet blieb. Schluckte und runzelte die Stirn. Es war ihr schleierhaft, wieso er sich so benahm. Wieso er ihr zur Hilfe kam, obgleich sie ihm noch vor wenigen Augenblicken den ‚Laufpass‘ gegeben hatte.
Das belustigte Schnauben des Typen, welches er selbst nach einem Tritt in die Weichteile noch für Liam übrighatte, zeigte eindeutig, in welche Richtung sich diese Situation hier entwickeln würden – nicht in die, die er sich so naiv gewünscht hatte. Aber um ehrlich zu sein: es überraschte ihn nicht. Er merkte, wie sein Gegenüber ihn – noch immer mit belustigt zusammen geschobenen Augenbrauen – musterte. Liam war definitiv niemand, der mit gnadenloser Kraft überzeugte. Er war trainiert, kräftig, aber sein Vorteil lag dank der schmalen Statur definitiv in der Wendigkeit als in der Schlagkraft. Skadi in seinem Rücken blieb still, was ihn einerseits erleichterte, gleichzeitig aber auch beunruhigte. Und dann folgte, worauf das „Auch recht.“, des Kerles schon hatte schließen lassen. Obwohl Liam damit gerechnet hatte, kam der Schlag in die Magengrube trotzdem überraschend und presste ihm augenblicklich die Luft aus den Lungen. Unter einem Ächzen krümmte er sich nach vorne und ignorierte das zufriedene, bellende Lachen über seinem Kopf. „Mach dich bereit.“, zischte er unter einem schweren Atemzug möglichst undeutlich über die Schulter, ehe er sich ruckartig aufrichtete und dem Schrank einen Schlag in die unvorbereitete Visage erteilte. „Lauf!“ Ein schmerzhaftes Stechen breitete sich in dem Moment in seinem Oberarm aus, in dem er die harten Wangenknochen seines Gegenübers unsanft unter den Knöcheln spürte. Doch dazu blieb keine Zeit – hoffend, dass das Überraschungsmoment ihnen genügend Zeit verschaffen würde, weit genug davon zu kommen, hielt er sich an seine eigene Anweisung und machte sich auf zur Flucht.
Er wandte sich herum. Und holte aus. Versenkte seine geballte Faust in Liams Magen, der schwer atmend voraus kippte und nichts als kochende Wut in den Knochen der Jägerin zurück ließ. Wollte sie sich gerade hinterrücks auf den Rücken des Fremden stürzten und ihm die Zähne tief in den Hals bohren, hörte sie Liams unterdrückte Anweisung und knurrte aufgebracht. Trat ein paar Schritte zurück, als der Kopf des Hünen hinauf schnellte und wenig später der Körper des Musikers folgte. Der Kinnhaken hatte gesessen. So sehr, dass der Kerl überrascht und vor Schmerzen taumelte. Und gerade als sich der Lockenkopf zur Seite Weg duckte und die Flucht antrat, überbrückte Skadi die wenigen Armlängen, die sie zurück geschlichen war und rammte dem Kerl mit voller Wucht ihren Fuß ins Kreuz. Ein Schrei ertönte. Daraufhin kurzes Gepolter. Der Kerl war geradewegs gegen die nächste Hauswand und einen Stapel Kisten geknallt. Mehr konnte die Nordskov nicht mehr erkennen, als sie sich abwandte und Liam die Straße hinab folgte. Ihr Herz schlug ihr bis zum Hals, schmerzte, kaum dass sie aufgeholt hatte und nun neben dem Lockenkopf in eine Seitengasse abbog. Statt ihm jedoch weiter blind durch die Stadt zu folgen und die lauter werdenden Rufe in ihrem Rücken zu ignorieren, packte sie ihn am Handgelenk und verschwand in einem wirren Zickzack durch die Seitengassen.
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Er strauchelte, als er entgegen seiner Erwartung keine Skadi sah, die die Flucht ergriff, konnte sich das Geschehen allerdings zusammenreimen, kaum dass hinter ihm abermals ein schmerzvolles Stöhnen ertönte. Ein flüchtiges Schmunzeln nistete sich in seine Mundwinkel, bis er sich wieder nach vorne wandte und den Laufschritt verschnellerte, kaum, dass die Nordskov sich eingereiht hatte. Die nächste Ecke nutzte er, um vorerst aus Sicht zu gelangen und bevor er sich für die nächste Route entschieden hatte, zog Skadi ihn bereits am Handgelenk zur Seite. Er folgte ihr bereitwillig. Noch war in seinem Kopf kein Platz für Fragen. Was sie mit diesem Kerl zu schaffen hatte, welche Rechnung er meinte. Er lauschte viel eher in die Nacht, blendete ihre wilden Schritte aus und bildete sich ein, den Typen noch immer irgendwo wutentbrannt fluchen zu hören. Dann mischten sich weitere Stimmen in die Dunkelheit, zwei oder drei vielleicht, deren Worte er nicht verstehen konnte. Seine Schritte wurden langsamer, während er den Oberkörper herumwandte und die Seitengasse hinabspähte, die sie gerade entlanggelaufen waren. Dann donnerte ein leises, aber vernehmbares „Sucht sie!“ durch die kühle Nachtluft. Liam sog scharf die Luft ein, seine Gedanken kreisten, während er sich wieder Skadi zuwandte und das erste Mal seit Beginn ihrer Flucht die Gelegenheit hatte, ihre Züge flüchtig zu mustern. „Ganz so einfach kommen wir wohl nicht davon.“, räusperte er sich und wischte sich mit dem Handgelenk kurz über die Lippe. Der Schlag, den sie abbekommen hatte, schien gesessen zu haben. Aber Liam war nicht dumm – er fragte nicht. Nicht nur, weil sie im Augenblick gerade besseres zu tun hatten.
Mit schwerem Atem war Skadi stehen geblieben und blickte zu Liam zurück, dessen Handgelenk sie noch immer fest umklammert hielt. Ihr Gesicht war bleich, abgekämpft und ein viel deutlicheres Zeichen für ihren Zustand, als es jede Erwiderung hätte sein können. „Wieso?“ Es war eine Frage, die den ganzen Weg über durch ihren Kopf geknallt war wie ein Gummiball. Ob sie jemals eine Antwort erhielt, war jedoch fraglich. Denn kaum hörte sie die Stimmen von der Hauptstraße zu ihnen hinein schwappen, wandte sie sich bereits wieder ab und ließ den Kopf in den Nacken gleiten. Musterte die Fenster über ihren Köpfen und seufzte schwer. Eines stand offen. Der Raum dahinter von der Gasse aus kaum einzusehen, doch brannte weder eine Kerze auf dem Sims, noch strahlte irgendeine andere Lichtquelle auf die Straße hinaus. „Meinst du wir kommen da hoch?“ Andernfalls mussten sie sich wohl in eine der Tavernen flüchten und versuchen durch den Hinterhof zum Bordell zurück zu kommen.
Er schluckte ein ‚Weil du ihn offensichtlich verärgert hast‘ nicht zuletzt wegen ihres erschöpften Anblicks herunter. Skadi schien tatsächlich ein wenig ratlos bezüglich ihrer abermals misslichen Lage – ein weiterer Grund, weshalb der Lockenkopf gar nicht erst begann, ihr irgendwelche Fragen zu stellen. Priorität hatte, dass sie hier irgendwie heil herauskamen – alles andere war ihre Sache, in die er sich gewiss nicht mehr einmischen würde. Auch das hier war mehr ein Zufall als geplant gewesen. Aber trotz des unangenehmen Ziehens in seinem Magen war er froh, dass es so gekommen war. Liam folgte ihrem Blick nach oben und ahnte unzufrieden, worauf sie hinauswollte. Der Plan war nicht schlecht, aber er konnte nicht mit Sicherheit sagen, dass er für derartige Klettersituationen bereits wieder in Form war. Dann erst kam ihm der Gedanke, dass die Nordskov wohl weitaus schlimmer dran war. Die Entscheidung wurde ihnen allerdings abgenommen, als ein flatterndes Licht am Ende der Gasse Gesellschaft ankündigte. „Sieht aus, als hätten wir keine andere Wahl.“ Das Fenster lag im Obergeschoss des Gebäudes. Ein dunkles Fass neben einer der Hintertüren konnte ihre Chancen vielleicht verbessern. So leise wie möglich versuchte er, es unter das Fenster zu hieven und rollte es über die hölzerne Kante über das Kopfsteinpflaster. „Hoffentlich reicht das.“ Abwartend ruhte sein Blick nun auf den angeschlagenen Zügen der Jüngeren. Sie sollte zuerst gehen und wenn die Höhe nicht reichte, mussten sie eben einen anderen Weg finden.
Müdigkeit war das, was stetig mit dem abflauenden Adrenalin durch ihre Adern pulsierte. Noch während Liam zur Seite trat und das Fass zur Seite rollte, wusste Skadi, dass sie sich kaum mehr dort hinauf bewegen konnte. Doch was war zu spät um ihn davon abzuhalten. Zu spät um seine Schulter zu schonen, die angesichts der Situation wohl unfassbar schmerzen musste. Doch für Schuldgefühle war es nicht an der Zeit. Erst Recht nicht wenn aus dem letzten Aufgang Stimmen zu ihnen hinüber schwappten und sich allmählich lange Schatten am Ende der Gasse erhoben. Sie waren bereits hier. „Scheiße.“ Wütend presste die Nordskov die Kiefer aufeinander. Zog sich in einer fließenden Bewegung das Oberteil über den dunklen Schopf und zerrte mit Zähnen und Händen so lange am Stoff, bis sich ratschend ein Streifen am unteren Saum löste. „Vielleicht reicht das.“ Während Liam ihrem Plan wie ein blinder Passagier beiwohnte, bückte sie sich bereits nach einem der Kiesel auf dem Boden und knotete ihn ins Ende ihrer Wurfkonstruktion. Mit etwas Glück würden sich ihre Verfolger von dem Stofffetzen, der mit einem gezielten Schwung halb auf dem Fenstersims über ihnen zum Erliegen kam, ausreichend ablenken lassen, um mehrere, rettende Meter zwischen sie zu bringen. „Machen wir, dass wir hier weg kommen.“ Immer noch außer Atem setzte Skadi zu einem erneuten Sprint an und zog sich im Lauf die Bluse über Arme und Kopf. Sie würde jetzt kaum darüber diskutieren, es auf einen Versuch ankommen zu lassen. Liam davon zu überzeugen, dass sie zu ausgelaugt war, um sich mit letzter Kraft am Stein hinauf zu ziehen und womöglich wenig später durch ein Haus voller fremder Leute zu kämpfen. Noch weniger, wenn er dabei war und sie wohl kaum zulassen konnte, dass man Hand an ihn legte. Statt jedoch nach seinem Handgelenk zu greifen, umfasst sie seinen Handrücken. Mit sanftem, aber deutlichem Druck.
[postID=Liam]Er spürte die Schritte ihrer Verfolger förmlich im Nacken, schätzte sie aber nicht wachsam genug ein, oberhalb ihrer Augenhöhe zu suchen. Sie hatten kein sonderlich großes Bestreben, sie zu finden – außer ihnen mit einer Tracht Prügel Manieren für irgendetwas einzutrichtern, von dem Liam nicht wusste. Und nicht wissen wollte. Sein Herz schlug unruhig, als er mit einem scharfen Atemzug aufsah und verdutzt feststellte, dass Skadi scheinbar nicht den Plan hatte, sich groß zu beeilen. Tatsächlich aber trödelte sie nicht, sondern bemühte sich um einen Alternativplan. Er hinterfragte es nicht, behielt ihren Rücken im Blick und dachte sich seinen Teil, als sie eine weitere Flucht durch die Gassen der erhöhten Position vorzog. Inzwischen glaubte er, Skadi zu kennen und die Entscheidung, die sie hier traf, bedeutete nichts Gutes. Liam war nämlich eher davon ausgegangen, dass er die Kletterpartie nicht überstehen würde – und nicht sie. Aber er beschwerte sich nicht. Dazu war die Zeit zu knapp und Skadi viel zu schnell wieder losgelaufen, als dass er hätte Protest einlegen können. Während er ihr die Gasse hinab folgte, huschte sein Blick aufmerksam über die Baumspitzen, die wie Zipfelmützen hinter der Mauer zu ihrer Linken hervorragten. Liam hielt die Luft an, als auch vor ihnen plötzlich die Dunkelheit zu fliehen begann und dem flimmernden Schein von Feuer platzmachte. Ruckartig zog er die Jüngere zurück, warf einen hastigen Blick über die Schulter, bis seine Augen wieder auf den Zedern hinter der Mauer hängen blieben. „Hier rüber.“, wies er und machte sich bereit, um ihr mit einer Räuberleiter den nötigen Schwung zu verpassen.
Beinahe stolperte Skadi ob des starken Rucks an ihrer Hand und strauchelte einen Moment. Mit geweiteten Pupillen starrte sie aus dunklen Augen zu Liam hinauf, bis ihr Verstand die Bewegung seines Kopfes mit den spitzen Schatten neben ihnen als Puzzle zusammensetzte. Angestrengt hob und senkte sich ihre Brust, die sich vom Poltern am anderen Ende der Gasse nur noch mehr in Bedrängnis sah. Ihnen blieb wohl kaum mehr eine andere Wahl. Ganz gleich wie sehr jeder Muskel in ihren Armen und Beinen schmerzte und das Pochen in ihrem Gesicht heißer und heißer wurde. Unfreiwillig entzog sie ihrer Hand die angenehme Nähe des Älteren. Trat einige Schritte zurück, bevor sie mit Anlauf auf die Wand zu hechtete, den ersten Stein auf einem halben Meter Höhe mit ihrem Fuß zu fassen bekam und sich mehr schlecht als Recht die Anhöhe hinauf drückte. Kalt fühlte sich das Mauerwerk unter ihren Fingern an, die das obere Ende umklammert hielten und den schlaffen Körper unter Anstrengung hinauf zog. Nie würde sie sich die Blöße geben auch nur einen Laut aus ihrer Kehle heraus zu lassen. Presste stattdessen die Kiefer so fest aufeinander, dass sich der Muskel scharf auf ihren Wangen abzeichnete. Dann lag sie bereits bäuchlings auf dem Gemäuer, drehte sich herum um Liam eine helfende Hand zu reichen und seine unbrauchbare Schulter zu entlasten.
Kaum, dass Skadi neben ihm den ersten, festen Tritt ergattert hatte, machte er sich selbst daran, das Gemäuer zu erklimmen. Leider musste er dabei feststellen, dass sein rechter Arm noch immer kaum für mehr zu gebrauchen war, als sich den nötigen Halt zu verschaffen, während er mit der Linken nach einem Punkt suchte, der genug Griff bot, um sich emporzuziehen. An Skadis Rücken vorbei sah er, wie der Schein des Feuers am Ende der Gasse heller wurde und hoffte inständig, dass er sich gerade noch rechtzeitig mit Hilfe der Hand seiner Begleiterin aus dem direkten Blickfeld gezogen hatte. Er verlor keine Zeit und ließ sich so leise wie möglich auf der anderen Seite zwischen der Zederhecke und dem rauen Gemäuer gen Boden gleiten. Er spürte die kalte Erde zwischen den Fingern, versuchte in gebückter Haltung einen kleinen Überblick über den Garten zu erlangen, bis auch Skadi neben ihm im Gebüsch saß. Der Garten schien komplett ummauert, die Mauer mit einer Reihe aus gleichgroßen Zedernbäumchen kaschiert. In einer Ecke erhob sich ein schmales, dunkles Konstrukt. Ein Schuppen vermutlich und dem Schatten nach zu urteilen stand die Tür offen. Er wollte gerade aufatmen, als auf der anderen Seite wieder Stimmen ertönten. Offenbar waren es wirklich Zwei, die nach ihnen suchten. Der eine machte seinen Kollegen gerade auf ihre falsche Fluchtroute aufmerksam. Liam schenkte Skadi einen anerkennenden Blick. Er hatte nicht gedacht, dass sie darauf hereinfallen würden.
Der Stein fühlte sich angenehm kalt an ihrem Rücken an. Fast ertappte sich die Nordskov wie sie erleichtert den Kopf in den Nacken zog und es ihren Gliedern erlaubte tief durchzuatmen und sich mit all der Schwere, die darin lag, gen Boden hinab zu begeben. Nun überließ sie es Liam die Situation im Blick zu behalten, selbst nicht willens die Augen zu öffnen, um auf die Geräusche hinter den dicken Mauern zu lauschen. Und erst als die Gesprächsfetzen klarer, die Bewegungen eindeutiger wurden, zog die Jägerin ihren Verstand zurück in die Realität. Wandte den Kopf zu Liam, dessen Blick sie nur spärlich im Halbdunkel hinter der Hecke erspähte. Sie schenkte ihm ein amüsiertes Lächeln, das unerwartet kraftvoll in ihren Mundwinkeln festsaß. Dann nickte sie in Richtung des Schuppen ähnlichen Gebäudes am anderen Ende des Gartens und versuchte sich so lautlos wie möglich in der Hocke entlang der Mauer zu bewegen. Denn das Gras wirkte zu eben, zu unschuldig, als dass sie davon ausging, unbemerkt darüber hinweg hechten zu können.
Jetzt, wo er ihre Verfolger vorerst beschäftigt wusste, fiel ihm zumindest ein kleiner Stein vom Herzen. Jetzt mussten sie sich wirklich nur noch unbemerkt durch die Gärten schleichen und ehe sie sich versahen, hatten sie das Bordell fast wohlbehalten wieder erreicht. Ein bisschen fühlte es sich so an wie damals, wenn die älteren Kinder die Straße versperrt hatten, um die Jüngeren in Angst und Schrecken zu versetzen. Meistens war Liam clever und wendig genug gewesen, sich unbeschadet aus dem Staub zu machen, manchmal hatte es aber auch ihn erwischt, wenn er sich geweigert hatte, seine Spielkameraden einfach im Stich zu lassen. Das Lächeln, welches er auf Skadis Zügen im Halblicht der Nacht erahnen konnte, tat unheimlich gut. Er nickte und nutzte den Augenblick, um einen tiefhängenden Zweig mit den Fingern nach unten zu halten, um einen besseren Blick erhaschen zu können. Doch der Garten lag ruhig in der Nachtluft. Das Gras wog sich sanft in der leichten Briese und die prächtigen Blüten einiger Blumen nickten gleichmäßig. Zu ruhig fast. Aber er war der letzte, der sich darüber beschweren würde. Geduckt drückte er sich der Jägerin hinterher zwischen Hecke und Mauer entlang. Hinter dem Schuppen schälte sich schließlich eine metallene Tür aus der Dunkelheit, die zurück zur nächsten Straße führen musste. Vermutlich war sie verschlossen, aber die Streben und die geringere Höhe würden ihnen das Klettern erleichtern. Irgendwann fiel ihm ein Geräusch auf, welches er die ganze Zeit nur beiläufig wahrgenommen hatte. Ein tiefes Atmen, so klang es. „Hörst du das?“, fragte er ernst und hielt inne, als sie die erste Ecke passiert hatten. Auf den ersten Blick konnte er nichts erkennen.
Fast im selben Moment klebten ihre Füße wie Teer auf dem Boden. Den Kopf in Richtung des Gartens gestreckt, die Augen geschlossen, um sich auf das Geräusch zu konzentrieren auf das Liam hinaus wollte. Kaum auszumachen, ob es menschlicher oder tierischer Natur war, doch sie hörte es, wenn auch leise und dumpf. „Vielleicht sollten wir nicht zu nah an das Gebäude.", wisperte sie ihm leise über die Schulter zu und nahm den Kurs zwischen Hecke und Mauer wieder auf. Blieb etliche Meter vor dem Gartenhäuschen stehen, um durch die wenigen Lücken im Nadeldickicht einen klareren Blick auf die Geräuschkulisse zu erhaschen, die mit jedem Schritt voraus angeschwollen war. Doch noch immer tauchte der aufsteigende Mond alles in völlige Dunkelheit. Es würde wohl Stunden dauern, bis die Schatten der Mauern und des Häuschchens klein genug wurden, um mehr zu sehen, als schützende Schwärze. „Kannst du was erkennen?"
Ihre Vermutung bedurfte keiner Zustimmung seinerseits. Sie waren sich einig. Ohne die Stelle im Garten aus den Augen zu lassen folgte er ihr weiter an der Mauer entlang. Irgendetwas Dunkles schien hinter dem Schuppen zu sein, aber die Kanten waren zu grade, als dass etwas Lebendiges dahinterstecken konnte. „Nein.“, antwortete er gedämpft und dachte nach. Er war auch nicht sonderlich erpicht darauf, es herauszufinden. Aber den Schuppen erreichten sie nicht, ohne ihre Deckung zu verlassen. Und auch das Törchen lang zwangsweise näher am Ursprung des Schnaufens als ihr jetziger Standort. „Mach dich bereit.“, wies er sie schließlich an, während er seinen Dolch von seinem Gürtel löste. Er hatte eine Vermutung. „Was auch immer es ist - ich begegne ihm lieber vorbereitet als auf offener Wiese.“ Mit der anderen Hand pickte er einen Stein aus der Erde, der seinen Plan wohl genug verdeutlichte. Wenn es wirklich ein Wachhund war, würden sie sich unmöglich komplett an ihm vorbeischleichen können. Seine Hoffnung war, dass er angekettet war. Nicht schön für das Tier, aber weitaus praktischer für sie im Augenblick, denn dann würden sie sich nur schnell genug wieder aus dem Garten stehlen müssen, sobald er Alarm schlug. Aus ihrem Versteck heraus warf Liam den Stein in die Richtung des Schuppens auf die Wiese und hielt den Atem an, gespannt, was - oder viel mehr ‚ob‘ - sich ihnen zeigen würde.
Irritiert sahen die dunklen Augen von dem viel zu entschlossenen Zügen des Älteren auf seine Hand, die im Halbdunkle irgendetwas Schimmerndes hervor zog. Noch ehe sie es realisieren, noch dagegen protestieren konnte, war der Musiker bereits weiter gegangen und schleuderte einen Stein auf flache Gras. Streifte dabei raschelnd einige Äste des Zederbaumes, hinter dem sie hockten wie kleine Hasen. Und kaum verstummte der gleichmäßige Atem, hielt Skadi die Luft an und presste sich alarmiert gegen die Mauer. Ein Klappern ertönte. Metallen, als schleife das Tier, dessen dicke Schnauze geradewegs um die Ecke bog, ein schwere Eisekette mit sich herum. Ob DAS so eine gute Idee gewesen war? Skadi hätte sich am liebste still und heimlich über das Mauerwerk davon gemacht, um auf den letzten Metern zu ihrer Freiheit einer Begegnung der unschönen Art zu entgehen. Doch nun musste sie sich auf Liam verlassen - etwas, dass ihr tief im Inneren so gar nicht schmeckte. „Was hast du vor?"
Seine Züge entspannten sich sichtlich, als die breite Schnauze des Schattens, der nun hinter dem Häuschen hervorlugte, deutlich hörbar von einer klimpernden Kette begleitet wurde. Der Griff um den Knauf seines Dolches lockerte sich, denn er ging nicht mehr davon aus, dass er ihn brauchen würde. Skadi hingegen schien seine plötzliche Gelassenheit eher mit Sorge zu sehen, wenn er den Unterton in ihrer Stimme richtig deutete. „Na, uns hier rausholen natürlich.“, antwortete er zuversichtlich, obwohl es ihm noch an einem greifbaren Plan mangelte, den er ihr unterbreiten konnte. Ein flüchtiger Seitenblick galt ihr, der ihr bedeuten sollte, dass er schon wusste, was er tat und nicht einfach blind auf ihr Glück setzte. Dem vertraute er nämlich seit geraumer Zeit nur noch sehr wenig. Der Hund indes schnupperte verwirrt dort, wo der erste Stein im Gras gelandet war. Liam nutzte die Gelegenheit, sammelte einen weiteren Stein aus dem Dreck und zielte damit auf einen Punkt auf der anderen Seite des Schuppens in der Nähe der Zedern. Der Hund lauschte auf, schnippte irritiert mit den Ohren trottete ein wenig unschlüssig in die Richtung des neuen Geräusches. Soweit funktionierte alles, wie er es sich erhofft hatte. Das Objekt, um den er ihn herumführen wollte, war nur ein wenig größer als das, womit er das ein oder andere Mal bereits erfolgreich gewesen war. In der Dunkelheit war es schwierig, abzuschätzen, wo genau der nächste ‚Köder‘ landen musste, um den Hund weit genug nach hinten zu locken.
Liam warf den nächsten Stein und der Hund schien das Ganze inzwischen für ein lustiges Spiel mit einer Maus zu halten und machte einen Satz nach hinten, um das Tierchen zu fangen. Der Blick des Lockenkopfes ruhte noch immer konzentriert auf seinem Vorhaben, drehte den nächsten Stein bereits zwischen den Fingern und versuchte die verbliebene Länge der Kette abzuschätzen. Und gerade, als er ihn in die Ecke geworfen hatte, aus der sich der Hund herausgeschoben hatte, drang ein lautes Rumpeln von der Straße her zu ihnen rüber. Der Hund sah auf und wuffte in die Dunkelheit. Zwei Gestalten fluchten. Sie hatten vermutlich gerade bemerkt, dass sie eine Finte verfolgt hatten. Der Hund trottete noch ein Stück nach vorne, die Kette spannte sich allmählich. „Los, das ist unsere Chance.“, flüsterte er und nickte in die Richtung des Tores, welches noch eine Mauerecke von ihnen entfernt war.
Er musste von allen guten Geistern verlassen sein. Ungläubig starrte die Nordskov zu ihm hinüber und unterdrückte krampfhaft ein Augenrollen. Vielleicht - und dessen war sie sich sehr sicher - wollte ihr Körper auch einfach nicht mehr. Wollte zurück in ein Bett und bis zum nächsten Morgen keinen Finger mehr rühren. Das machte sich in jeder Bewegung bemerkbar, die sie in der Dunkelheit tat, um sich im Rücken aufzurichten und nicht die Geduld zu verlieren. Es erschien ihr wie ein Wunder, dass der Hund nicht auf ihre Gerüche aufmerksam geworden war und stattdessen diesen Steinen folgte, die Liam mit immer weiterem Abstand auf die andere Seite des Gartens warf. Als er dann zu bellen begann, zuckte sie unweigerlich zusammen und brummte verstimmt. Wie dem Lockenkopf waren ihr die wüsten Flüche auf der anderen Seite der Mauer nicht entgangen. Und sie ließ es sich nicht zweimal sagen, jetzt ihre Beine in die Hand zu nehmen. Wie ein Wiesel schlängelte sie sich nun hinter den Zedern hindurch, blendete sogar das Tier in ihrem Rücken aus, als sie auf das Tor zuschritt und sich mit beiden Händen an der Oberkante hinauf zog.
Sie konnten wohl von Glück reden, dass es nicht mit metallenen Borten und Ornamenten verziert war, die ihnen nicht die Kleidung, sondern auch diverse Körperteile aufriss. Dennoch klapperte das Tor unter dem schwachen Gewicht der Nordskov und alarmierte den Hund, dessen Kopf beim Rascheln der Büsche hochgeschreckt und mit gespitzten Ohren in ihre Richtung gewandert war. Hin und her gerissen zwischen dem, was vor ihm und hinter ihm geschah stand er für einen Augenblick unsicher auf seinem Posten. Bis es ihn in einem ausladenden Sprint zurück in Richtung des Tores zog. Bellend und knurrend. Skadi blieb kaum Zeit die andere Seite zu inspizieren, als sie hinab fiel und etwas unsanft auf dem Boden aufschlug. Rieb sich die Handgelenke und den Nacken und starrte aus dunklen Augen in das Gesicht einer jungen Frau, die etwas irritiert und verdattert zu ihr und dann zum Tor hinüber sah.
Er bleib der Nordskov dicht auf den Fersen und nutzte jeder Lücke im Geäst, um einen kurzen Blick auf den Wachhund zu erhaschen. Diese Typen rechneten nicht im geringsten damit, dass sie ihnen gerade zur Flucht verhalfen. Das Tor war nicht mehr weit entfernt, doch schließlich waren sie gezwungen, ihre Deckung zu verlassen. Mit einem gezielten Satz zog sich Skadi bereits am kalten Metall empor, während Liam jede Sekunde damit rechnete, dass der Hund auf die eigentlichen Eindringlinge aufmerksam wurde. Den Dolch hielt er noch immer fest in der Linken, hoffend, ihn nicht gebrauchen zu müssen. Es kam, wie es kommen musste – mit dem ersten Geräusch, das das Tor im Schloss machte, als sich die Jägerin daran emporzog, schnellte der Kopf des pelzigen Wächters in ihre Richtung. Ein Knurren ertönte, wurde gleich nach dem Entschluss des Tieres von wildem Gebell abgelöst, während das es zielstrebig in ihre Richtung raste. Mit angehaltenem Atem drückte sich der Lockenkopf dicht an das Tor und betete stumm, dass die Kette sich irgendwo rund um den Schuppen verkeilen würde, wie er es geplant hatte. Darauf zu warten, dass dieser Fall wirklich eintrat, hatte er allerdings nicht vor. Kaum, dass Skadi die Füße auf die andere Seite buchsiert hatte, sprang er an das Gitter und zog sich hastig hinauf. Die Kette klirrte Glied in Glied, als der Wachhund überaus motiviert hineinsprang, um wenigstens einen von ihnen zu erwischen, doch Liam hörte die Zähne gut einen halben Meter von seinen Beinen entfernt geräuschvoll und in Rage zusammenklappen.
Er ließ den Dolch neben seiner Begleiterin zu Boden fallen, um sich einfacher über die obere Kante zu schieben und nur wenige Sekunden nach Skadi unsanft auf dem Kopfsteinpflaster aufzukommen. Der Hund in ihrem Nacken bellte noch tosend – etwas, was auch ihren Verfolgern nicht entgangen war, die mit ziemlich großer Wahrscheinlichkeit nicht zu dumm waren, Eins und Eins zusammenzuzählen. Doch bevor Liam darauf aufmerksam machen konnte, blinzelte er ebenfalls in das Gesicht einer jungen Frau, klaubte den Dolch hastig vom Boden auf und versuchte ihn, so schnell wie möglich wieder an seiner Hose zu verstauen. Sie machten gerade keinen guten Eindruck. Absolut nicht. „Es ist nicht so, wie es aussieht. Wir sind keine Diebe.“, versuchte er es leise, aber mit Eile in der Stimme und hob beschwichtigend die leeren Handflächen nach oben.
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#4
Der Hund knurrte und bellte in ihrem Rücken. Mit jedem Schlag, der sich hinter ihrer Brust regte, gefühlt lauter und heiserer. Es konnte Einbildung sein. Dem geschuldet, dass sich ihre Nerven und Gedanken überschlugen und die Nordskov ob all dieser Geschehnisse gerade nicht mehr wusste, wo oben oder unten war. Ein ungewohntes Gefühl, dass sie sich selten zugestand. Als Jägerin hatte sie gelernt einen kühlen Kopf zu bewahren und stets das zu tun, was notwendig war. Nun hockte sie allerdings noch immer halb vor dem metallenen Tor, die Hände in einer beschwichtigenden Geste gen Hüfte hinauf gezogen und den Blick nunmehr auf Liam gerichtet, dessen Körper geräuschvoll schräg neben ihr auf der anderen Seite des Tors zum Stehen kam. Ein tiefer Seufzer verließ ihre Lungen. Erhob sich langsam, um das Frauenzimmer gegenüber nicht zu verschrecken und lachte gespielt amüsiert. Womöglich schwang auch ein wenig Anspannung mit. „War wohl keine so gute Idee in einem fremden Garten rumzumachen, was?" Ihre Schultern zuckten vor Lachen. Mit einem breiten Grinsen auf den Lippen, wandte sich die Nordskov dann zu der zierlichen Gestalt hinüber, die noch immer skeptisch, aber schweigend zu ihnen blickte. „Es tut mir leid, dass wir Sie verschreckt haben. Aber der Hund war furchteinflößend." Wie von selbst tasteten die langen Finger blind nach denen Liams, um sich fest darin zu verkeilen und sich allmählich wieder in Bewegung zu setzen. „Einen schönen Abend noch M'am." Dieser peinlich berührte Blick, der mittlerweile auf Skadis Miene Platz genommen hatte, wirkte täuschend echt. Mit hinauf und zusammengeschobenen Brauen und einem schiefen Lächeln, das so viel Unsicherheit ausdrückte, die die Nordskov sonst nie im Leben an den Tag legen würde.
Dieses Gefühl, frei und erleichtert aufatmen zu können, hatte nicht lange gewährt. Natürlich mussten sie das Glück haben, ausgerechnet den Zeitpunkt zu erwischen, in dem sie der nächsten Person unvorbereitet vor die Füße fielen. Liam erwischte sich dabei, wie er fast schon resigniert davon ausging, dass diese junge Dame es ebenso auf sie abgesehen hatte. Zum Abend gepasst hätte es. Er ließ sich nichts anmerken, erhob sich nur langsam, um im Fall der Fälle besser reagieren zu können, als Skadi plötzlich zu lachen begann. Wäre sie nicht Skadi gewesen, hätte er schlicht vermutet, dass ihr all die Anspannung ungesund aufs Gemüt geschlagen hatte, so aber vermutete er irgendeinen Plan dahinter, der ihn dennoch verwirrt zu ihr hinübersehen ließ. Er besuchte ein, zwei Herzschläge, bis er in Angesicht ihrer Lage verstand, worauf sie hinaus wollte und zischte daraufhin, als wolle er sie peinlich berührt zum Schweigen bringen. Das Lächeln, was sich wieder auf seine Züge geschlichen hatte, war ehrlich, wirkte aber unfassbar erschöpft. Er überließ der Nordskov weiterhin das Reden und behielt stattdessen die Straßenecke im Blick, die hoffentlich ihr Ausweg war. Noch war es dunkel. Hoffentlich blieb es dabei, bis sie das Weite gesucht hatten. Als sich Skadis Finger zwischen seine schoben, begannen sie unangenehm zu kribbeln. Liam sah ein letztes Mal zu der jungen Dame, senkte respektvoll das Kinn und schob noch ein „Passen Sie auf sich auf.“ hinterher, während sie sich bereits zum Gehen gewandt hatten. Ein paar Meter entfernt löste er seine Hand wieder aus Skadis Griff, streckte die Finger kurz und legte ihr den Arm stattdessen vertraut um die Schulter. Der Protest der Wunde blieb gering. Liam wandte den Kopf herum. Aus der Ferne musste es aussehen, als würde er ihr verliebt etwas ins Ohr flüstern, doch eigentlich warf er unauffällig einen Blick zurück. Die Dame wirkte noch immer verdutzt, bis sie sich umwandte und schnellen Schrittes in die andere Richtung verschwand.
„Sie ist weg.“, atmete er erleichtert auf. „Schnell geschaltet. Nicht schlecht.“ Ihr galt ein anerkennendes Lächeln, welches aber recht schnell wieder der ernsten Miene auf seinem Gesicht Platz machte. So sehr er ihre Nähe sonst genoss - der Streit am Abend hing noch immer spürbar zwischen ihnen. Als sie die Straßenecke erreicht hatten, warf er kurz einen Blick in beide Richtungen, ehe er den Arm von ihrer Schulter nahm. „Machen wir, dass wir zurück zum Bordell kommen.“ Er ließ den rechten Arm kurz im Gelenk kreisen, ohne dass es etwas besser machte und bog um die Ecke.
Alles an dieser Nähe fühlte sich augenblicklich so falsch an. Doch es brachte nichts, ihrem Körper eine Reaktion darauf zu erlauben. Es war kontraproduktiv für den Ausweg, den sie gewählt hatte. Ohnehin wirkte die Frau in ihrem Rücken nicht sonderlich überzeugt von ihrer Scharade, gleichwohl sie schweigend die Szene beobachtete. Schweigend. Das war wohl der Punkt, den die Jägerin am meisten irritierte, gar störte. Kein normaler Mensch blieb derart ruhig und gefasst – es sei denn man lebte in einer Welt, die ihrer nicht unähnlich und weitaus gefährlicher war. Ob es jedoch wirklich von einer Form der ‚Abgebrühtheit‘ herrührte, wusste die Dunkelhaarige nicht, während sie dem Lockenkopf ruhig die Straße hinab und um die nächste Ecke folgte. Ohnehin war es ihr mittlerweile egal, solange sich ihnen niemand mehr in den Weg stellte. Allein die Stimmen, die sich über den Lärm des Hundes und die hohen Mauern erhoben, beschleunigten ihre Schritte. Für einen kurzen Herzschlag huschten die dunklen Augen zur Seite. Umrissen Liams schemenhafte Silhouette im Schatten der Häuser, ohne dass sich etwas auf der Miene der Jüngeren abzeichnete. Sie wollte ihn anschreien. Ihn zu Boden ringen, weil er sich nicht in ihre Angelegenheiten einzumischen hatte. Was bei allen Göttern hatte er sich nur dabei gedacht? Idiot. Wieso hob er sich seine Kräfte nicht für jemanden wichtigeres auf?
Angespannt presste Skadi die Lippen aufeinander. Starrte unfokussiert in die Ferne und war irgendwo, auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, dankbar für seine Hilfe. Sie wusste, dass dieser Abend für sie weitaus schlimmer hätte enden können, wäre er nicht eingeschritten. Dass ihr Körper nicht dazu in der Lage gewesen wäre, sich selbst zu schützen, wie er es sonst immer tat. Ihre Wut hatte sie blind und leichtsinnig gemacht. Doch selbst das war ihr nach einem tiefen Seufzen egal, kaum dass sie einen Schritt voraus nahm und ihre Hand fest um sein linkes Handgelenk schloss. Ihn ungefragt und nur mit halber Kraft in seiner Bewegung stoppte und sogar zu sich zurück zog. Es brachte ihn nicht dazu, zu ihr zurück zu blicken. Doch es reichte aus, um ihr den Raum zu geben, sich an seiner linken Seite vorbei und vor ihn zu schieben. Schwer schluckend und mit fast schon trotzigem Blick in den dunklen Augen. „Danke.“ Rau presste sich dieses kleine Wort über ihre Lippen. Lange konnte sie seinem Blick nicht standhalten. Wandte sich herum und kaute angespannt auf der Unterlippe, während sie den eingeschlagenen Weg fortsetzte und die langen Finger zitternd von der warmen Haut löste. Es verlangt ihr jegliche Selbstbeherrschung ab, es bei diesem Eingeständnis zu belassen. Und nicht in schierer Frustration auszubrechen, die diesen schwelenden Streit schlimmer machte, als er wohl ohnehin schon war.
Liam machte sich in diesem Augenblick keine Gedanken darum, was genau sich an ihrer Scharade falsch anfühlte – denn im Grunde war es genau das, eine Scharade, um möglichst ungeschoren aus ihrem Schlamassel herauszukommen. Er machte sich auch keine Gedanken darüber, wie glaubhaft sie nun auftraten oder ob sie einfach nur das Glück hatten, dass die junge Dame nicht an ihren Machenschaften interessiert war – sie verschwand in die andere Richtung und das war alles, was zählte. Insgesamt war er kein Mensch, der viel davon hielt, mit anderen in trauter Berührung durch die Straße zu schlendern. Und das, obwohl er sonst keine große Hemmungen hatte, was Körperkontakt anging. Jedenfalls fiel ein bisschen Anspannung von ihm ab, als er wieder ein wenig Distanz zwischen sie brachte. Weil er sich affig vorkam, sie derart durch die Straßen zu führen. Dass es vielleicht doch ein wenig damit zu tun hatte, dass er sie im Augenblick nicht so recht einzuschätzen wusste, seit sie im Bordell auseinander gegangen waren, wollte er sich gar nicht einbilden. Dennoch verblasste sein Lächeln nicht nur der Ernsthaftigkeit ihrer Lage wegen wieder so schnell, sondern auch, weil keinerlei Reaktion von ihrer Seite folgte, was ihn vermuten ließ, dass Skadi noch immer sauer war. Auf ihn. Auf sich. Auf Wusste-Wer-Auch-Immer-Wen. Mit einem tiefen Seufzer und dem Blick auf die Straße gerichtet machte er sich dran, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Erst, als er Skadis Griff abermals um sein Handgelenk spürte, warf er einen knappen Blick über die Schulter und sah ihr fragend entgegen. Er hielt inne und ließ den Blick flüchtig über ihren Hintergrund gleiten, bis seine Augen Skadis Züge in der Dunkelheit umrissen.
Der scharfe Unterton ihrer Stimme jagte ihm glatt einen Schauder über den Rücken, doch er an diesem Abend zur Genüge gelernt, dass es manchmal einfach besser war, den Mund zu halten. Er nahm ihren Dank also schweigend entgegen und beschloss für sich, dem Ganzen nicht zu viel Bedeutung beizumessen. Morgen sah die Welt mit Sicherheit schon wieder anders aus. Wirklich aufatmen konnte er allerdings erst, als sie endlich auf das Grundstück des Bordells einbogen und die Straße komplett hinter sich ließen – ohne weitere Zwischenfälle. Dann aber stellte er sich die Frage, wie es ab hier weitergehen sollte. Schweigend gemeinsam aufs Zimmer, um sich in der jeweiligen Ecke trotzig zum Schlafen zu legen? Das machte keinen Sinn und diese peinliche Stille würde er ihnen beiden nur zu gerne ersparen. „Skadi, warte kurz.“, hörte er sich dann doch beginnen, bevor sie die Eingangstür erreicht hatten. Er wollte es nicht einfach so zwischen ihnen stehen lassen. „Ich… Du hast Recht. Es geht mich nichts an. Du wirst mich nicht mehr danach fragen hören.“
Das letzte Mal, als sich Wege wie diese so elendig lang angefühlt hatten, war sie noch ein Kind gewesen. Gerade einmal alt genug, um die Konsequenzen ihres Handelns zu verstehen und sich vor der Strafe ihres Vaters zu fürchten, der irgendwo in ihrem Rücken im hellen Weiß der Landschaft verschwunden war. Ob sich Rúnar noch an diesen Tag erinnern konnte? Ganz sicher, wenn sie bedachte, was innerhalb weniger Stunden passiert war. Wieso sie ausgerechnet jetzt daran denken musste, hinterfragte die Dunkelhaarige nicht, während sie ihrem Begleiter voran lief und mit jedem Schritt mehr und mehr von ihrem angespannten Ausdruck verlor. Abgekämpft und nachdenklich durchquerte sie gerade den ersten Torbogen, als Liams Worte sie erreichten und ihre Füße in den Boden pressten. Die dunklen Augen huschten als erstes zur Seite, noch ehe ihr Kopf und dann ihr Oberkörper folgten. Sie erwartete nichts und alles von diesem Gesicht, das die Tage auf der Sphinx für sie stets einfacher, statt schwerer gemacht hatte. Doch nun war alles, was ihr beim Anblick seiner braunen Augen in der Brust zurück blieb der Geschmack von Blutorange.
Statt ihm zu antworten, schwieg sie. Zeigte keinerlei Reaktion, während sie ihn wie eine Puppe anstarrte und die Gegend vollkommen auszublenden schien. Sicher dachte sie über irgendetwas nach. Selbst im Unklaren darüber, ob sie den Gedanken zu fassen bekam, der sich ihre Wirbelsäule hinauf schälte. Doch sie ließ ihn bleiben was er war – ein komisches Konstrukt aus Silben und Bildern. Irgendwann würde es sich aufdröseln, wenn sie geschlafen und neue Kraft getankt hatte. Und bis dahin verschwendete sie keinen inneren Kampf damit. Wandte sich stattdessen also gänzlich herum und überbrückte die wenigen Schritte, die wie ein Graben zwischen ihnen klafften. Zog sich mit einer Hand in seinem Nacken zu seinem Gesicht hinauf und hinterließ ungeachtet jeglichen Protests seinerseits einen Kuss auf den schmalen Lippen. Nur um sich wenig später mit einem „Dummkopf.“ in Richtung Innenhof zu begeben.
Mit jeder Sekunde, die sich dahin zog, ohne dass er auch nur eine Regung auf ihrem erschöpften Gesicht erkennen konnte, überzeugte ihn mehr davon, dass es dumm gewesen war. Dumm, wieder damit anzufangen, obwohl er genauso hätte schweigen können. Manchmal verteufelte er sich selbst dafür, dass er Dinge nur ungern ungeklärt ließ. Vermutlich wäre es wirklich das schlauste gewesen, einfach bis morgen zu warten, vorsichtig nachzufühlen, wie es um ihre Stimmung stand und sich – je nachdem – einfach weiter in Geduld zu üben. Aber er war schlecht darin, Dinge wegzuschweigen, wenn sie so greifbar in der Luft hingen. Und dass Skadi ein Problem hatte, hätte vermutlich selbst Trevor beim Klang ihrer Stimme erraten. Aber Liam startete gar nicht erst den Versuch, es genauer zu ergründen. Frauen waren rätselhaft und nicht umsonst schätzte er Skadis geheimnisvolle Art. Dass sie nicht darüber reden wollte, hatte er mittlerweile verstanden. Aber das bedeutete noch lange nicht, dass auch er das, was er sagen wollte, für sich behalten musste. Und dann, als sie endlich eine Regung zeigte, schoben sich seine Augenbrauen unschlüssig zusammen. Er folgte ihrer Bewegung mit den Augen und obwohl ihre Handlung so klar, so deutlich und lesbar gewesen war, überraschte sie ihn, weil es entgegen alledem stand, was sie ihm an diesem Abend an den Kopf geworfen hatte. Er wehrte sich nicht – wieso hätte er sich auch gegen etwas derart Schönes sträuben sollen? – doch es fühlte sich falsch an; nicht so jedenfalls, wie es sich anfühlen sollte.
Und dann zuckte ein unscheinbares Schmunzeln für einen Sekundenbruchteil in seinen Mundwinkeln. Dummkopf. Wie Recht sie damit hatte. Trotz des barschen Wortes klang es ein bisschen nach Versöhnung. Aber er war noch nicht fertig. Auch, wenn er bereits eingeräumt hatte, dass sie recht hatte - „Ich war wütend.“ Es war nie sein Ziel gewesen, sie zu bevormunden oder zu bemuttern. „Wütend auf denjenigen, der dir das angetan hat.“ Im Gegensatz zu Skadi hatte er sich noch keinen Schritt weiterbewegt. Für den Moment lag sein Blick auf ihrem Hinterkopf, der sich Stück für Stück von ihm entfernte, ehe er sich nach einer kurzen Pause ebenfalls wieder in Bewegung setzte. „Aber immerhin kann ich mir ja jetzt einbilden, demjenigen eine verpasst zu haben.“, fügte er mit bemüht mehr Witz in der Stimme an, um das Thema nun auch für ihn zu beenden.
Er musste wohl noch etwas hinzufügen, um den Ballast los zu werden, den er mit sich herumgeschleppt hatte. Wenn ihr dieser Umstand nicht schon zuvor bewusst gewesen wäre, dann spätestens jetzt. Ein leises Seufzen verließ ihre Lippen, verlangsamte ihren Schritt und erlaubte es ihm, nach einer gefühlte Ewigkeit aufzuholen. Sie fragt nicht danach, wieso er sich heraus nahm wütend zu sein. Es beantwortete sie von selbst. Und sie war zu müde, um weiter darüber nachzudenken. Ein Fass aufzumachen, das sich wohl kaum schließen ließ, um den letzten Rest Schlaf zu bekommen, der ihr angesichts ihrer Schmerzen noch bleiben würde. „Wenn es dich glücklich macht.“ Die Nordskov versuchte sich in einem knappen Lächeln. Hob den Kopf zur Seite, um das Gesicht des Älteren in Augenschein zu nehmen. Sog dann jedoch mit geschlossenen Augen tief die Abendluft in ihre Lungen, um das Ziehen in ihrer Seite auszuhalten. Sollte sie vielleicht doch noch ein heißes Bad nehmen, um zumindest ihre Muskeln zu beruhigen oder machte es das Pochen in ihrem Körper nur noch schlimmer?
Es fiel ihm leicht, diesen Streit nun als „aus der Welt“ anzusehen, auch wenn ein Knoten in seiner Körpermitte zurückblieb. Ein Knoten, der nicht zwingend etwas mit Skadi zu tun haben musste, vielleicht sogar eher sein Andenken an den zurückliegenden Schlag in die Magengrube war - so oder so, der Lockenkopf überging ihn und schob es einfach auf Müdigkeit und Erschöpfung. Dementsprechend nahm er sich Skadis Antwort nur noch beiläufig war, streifte ihren Blick und schob ihr voraus die Tür zum Inneren des Bordells auf. Die Blicke hinter dem Eingang richteten sich schlagartig auf sie, um die neuen Besucher ihrem Geld würdig direkt zu umgarnen. Als sie die beiden Piraten allerdings als die Gäste des Hauses erkannten, schwand der Tatendrang, die kichernden, aufreizenden Blicke allerdings nicht. An diesem Abend fiel es Liam nicht einmal schwer, keinen Blick zu riskieren. Mit den Gedanken war er längst woanders, während er Skadi in die Richtung des Nebentraktes folgte. Sein Blick fiel kurz auf seine Hände, an denen noch immer der Schmutz klebte, den er von ihrem kleinen Ausflug in den fremden Garten mitgenommen hatte. „Ich werde nochmal nachsehen, wie viel Betrieb im Badehaus ist.“, entschied er sich letztlich endgültig, um der Nordskov ihren Freiraum zu lassen. „Soll ich dir ein paar kalte Umschläge mitbringen?“ Gerade in Anbetracht des Blutergusses, der sich allmählich in ihrem Gesicht gebildet hatte und jetzt im Licht des Ganges deutlich schimmerte.
Für einen Moment huschten die dunklen Augen zur Seite und umrissen das Gesicht, das sich wie ertappt hinter den Locken versteckte. Liam wandte sich ab und ließ ihr nur noch ein kleines Zeitfenster. Allein nach oben zu gehen erschien ihr genauso unmöglich, wie ihm einfach leichtfüßig zu folgen. Während sich der Musiker mit einer patzigen Antwort abweisen ließ, gehörte Talin zu jenen Menschen, die sich dadurch noch eher ermutigt fühlten nachzubohren. Wie ein Haifisch, der Blut roch. Was ganz sicher in den wenigsten Fällen böse gemeint war, doch gerade jetzt wollte sich die Dunkelhaarige nicht schon wieder unter Kontrolle halten müssen, wenn ihr ganzer Körper gefühlt auseinander fiel. „Nicht nötig.“, entgegnete sie unter einem tiefen Atemzug murmelnd. „Ich komme mit.“ Als duldete sie keine Widerworte, folgte sie ihm in Richtung Badehaus. Nickte hier und da einer der Damen zu, die an ihnen vorbei huschten oder in Richtung der Gemächer unterwegs waren. Mit einem Fremden im Schlepptau, dessen Gold an diesem Abend wohl gut investiert worden war. Auf den letzten Metern wandte sich der dunkle Schopf herum, um nach dem kleinen Geldbeutel an der Hüfte zu sehen. Nur um ernüchternd und unter einem leisen Fluchen festzustellen, ihn in all der Wut und dem blinden Überstreifen ihrer Kleidung auf dem Zimmer vergessen zu haben.
Zugegeben: Ihre Entscheidung überraschte ihn, aber er maß ihr nicht allzu viel Bedeutung bei. Stattdessen galt ihr ein flüchtiges Nicken, ehe sie schweigend, müde und erschöpft in die Richtung des Badetraktes aufbrachen. Liams Blick nahm nur flüchtig all die Silhouetten wahr, die an ihnen vorbei gingen – Männlein wie Weiblein, wovon die einen sichtlich bessere Umstände hatten als andere. Die Aufregung der letzten Stunden und die damit verbundene Erschöpfung allerdings verhinderten, dass seine Gedanken zu kreisen begannen. Gedankenverloren beobachtete er ein paar Motten, die in gebührendem Abstand um eine der Fackeln im Innenhof flatterten, während sie ihn durchquerten, dann hatten sie das Badehaus auch schon erreicht. Skadi wurde langsamer, was ihm allerdings erst auffiel, als er der Dame am Eingang bereits ein paar Achter überreicht hatte. Das müde Lächeln der Dame gegenüber noch auf den Lippen, wandte er den Kopf herum, um nach Skadi zu sehen. „Worauf wartest du? Ist schon erledigt.“, bemerkte er beiläufig und setzte sich wieder in Bewegung. Von Innen schlug ihm die feuchte, warme Luft entgegen, die angenehm nach einer Mischung aus Zitrus und Latsche roch. Noch vor den Umkleideräumen reichte ihnen eine junge, aufreizend gekleidete Dame frische Handtücher und wies ihnen den Weg.
Er beeilte sich nicht, trat schließlich mit dem Handtuch bekleidet aus der Kabine heraus und ließ den Blick flüchtig über das Treiben schweifen, das sich in den Räumen vor ihm abspielte. Der Raum war groß und einladend, hier und da brannten Feuer, über denen Zweige ein angenehmes Aroma verbreiteten. Auf der linken Seite erstreckte sich ein größeres Becken aus Marmor mit Sitzflächen an den Rändern für den regulären Betrieb des Badehauses, rechts lagen vermutlich die privateren Becken hinter Nischen und Mauern. Einige Damen, die lediglich untenherum bekleidet waren, trugen Tabletts durch den Raum, die Becher darauf waren vermutlich mit Wein gefüllt. Skadi konnte er noch nicht erblicken, insgesamt schien sich der Betrieb des Badehauses aber ohnehin bereits in andere Teile dieser Einrichtung verschoben zu haben.
Es brauchte jegliche Selbstbeherrschung, um den Kopf nicht mit einem irritierten Blinzeln herum zu wenden oder gar mit einem genervten Schnauben aufzuwarten. Skadi wusste, dass Liam es nicht gönnerhaft gemeint hatte, wenngleich die Frau am Eingang ihr einen Blick zuwarf, der dergleichen bedeuten konnte. Oder sie erblickte just in jenem Moment das wachsende Veilchen an ihrem Augen, das noch immer pochte, kaum dass sie die Umkleiden erreichten und der schmale Körper der Jägerin durch die Tür zur Kabine schlüpfte. Sich aus der frischen Kleidung zu schälen war nun noch schwerer als noch zu Beginn dieses Abends. Höchst wahrscheinlich hatte sich Liam längst in eines der Becken verkrümelt, während sie mit ihrem Körper und den Stoffen kämpfte. Verübeln würde sie es ihm nicht. Sich selbst wäre sie nicht einmal eine sonderlich gute Gesellschaft. Nach allem was passiert war erst Recht nicht. Und auch wenn die einseitige Unterhaltung im Hof irgendetwas von einer „Versöhnung“ hatte, war sie es doch irgendwie nicht ganz. Anders würde die Nordskov den Knoten in ihrem Magen nicht deuten können, hätte sie nur einen weiterführenden Gedanken daran verschwendet. So trat sie nun mit einem kurzen Blick durch den Raum heraus und zupfte am unteren Ende ihres Oberteils, das immer wieder von ihrer Schulter zu rutschen drohte. Verstand einer, wieso sie nicht genauso entblößt hier herum laufen konnte, wie alle anderen. Wie affig. Stattdessen zwängte man sie in einen Traum aus Brustbandage mit Trägern und einer viel zu kurzen Leinenhose. „Großes oder kleines Becken?“ Aus den Augenwinkeln sah sie zu den dichten Locken hinüber und ignorierte den Blick, den ihr eine der jungen Damen zuwarf. Nicht etwa ihrer Anwesenheit, sondern den Malen ihres Körpers wegen.
Irgendwie erinnerte ihn der Geruch an etwas, doch die Wärme war seiner Müdigkeit zuträglich, sodass er gar nicht versuchte, sich daran zu erinnern. Das einzige, was blieb, war also die Ruhe, die er damit verband, und die sich langsam über sein aufgeregtes Gemüt legte. Hinter ihm fiel eine Tür ins Schloss. Liams Blick hing noch für einen Moment auf den Nadelzweigen über einem der Feuer, ehe er über die Schulter sah und vermied es, die Dunkelhaarige genauer zu mustern. Die Malereien, die ihren Körper zierten, lenkten die Aufmerksamkeit fort von all den Prellungen – im ersten Moment jedenfalls. Er sah wieder nach vorne, kaum dass sie ihre Frage gestellt hatte und überlegte kurz. „Großes?“, schlug er letztlich vor, nachdem er die wenigen übriggebliebenen Badegäste ungenau im Kopf gezählt hatte, ohne genau zu wissen, weshalb ihm das große Becken in diesem Augenblick attraktiver vorkam. Vielleicht, weil er unbewusst nicht wollte, dass man sie für eine Prostituierte hielt, die sich hineingeschlichen hatte, um mit ihrem eigenen Geschäft von den Angeboten hier zu profitieren, sobald sie mit ihm in einem der sichtgeschützteren Bereichen verschwunden war. Andererseits – so, wie Skadi gerade daherkam, machte sie wohl eher den Eindruck einer misshandelten Sklavin statt einer selbstunternehmerischen Dirne. „Wenn sie zu viel gaffen, können wir uns immer noch umentscheiden.“ Ihm fiel erst jetzt wieder ein, dass das Leben als Frau hier drin mit Sicherheit nicht einfach war. Die meisten geierten auf die freizügigen Damen, statt ihnen mit ihren Blicken unausgesprochene Komplimente zu machen. Andererseits – er war noch nicht besonders oft in seinem Leben in Edelbordellen gewesen. Vielleicht wusste sich hier ein größerer Teil, zusammenzureißen.
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#5
Skadi zuckte nur mit den Schultern. Letztlich war es ihr gleich wohin sie gingen oder wie sie derzeit auf andere wirken konnte. Gerade war ihr so ziemlich alles gleichgültig. Der angenehme Duft, der sich um sie ausbreitete wie ein sanfter Teppich aus Erinnerungen und wohliger Wärme, ebenso wie der wunderbare Anblick bildschöner Frauen in leichter Kleidung. Das einzige wonach sich ihr Körper gerade sehnte, war die angenehme Nässe auf ihrer Haut. Das Gefühl zu schweben und die Last von den Gliedern zu nehmen. „Oder ihnen einen wirklich Grund zum Gaffen geben.“ Was unter anderen Umständen als süffisanter Kommentar gemeint gewesen wäre, kam nun trocken über die vollen Lippen der Nordskov, dessen schmale Schultern auf der Höhe des Musikers innehielten, ehe sie voraus schritten. Dies hier war immer noch ein ‚Edelbordell‘. Männer waren hier, um sich der Schönheit eines weiblichen Körpers zu erfreuen. Andernfalls hätten sie ihr Geld wohl sinnvoller vergeuden können, als hier her zu kommen und fromm wie kleine Lämmer zu bleiben. Einzig und allein die verstohlenen Blicke der Frauen kratzten an dem kleinen Fleck hinter ihrer Brust. Doch Skadi beherrschte sich, um sie nicht mit einem tiefen Grollen zu verjagen. Sie waren noch immer Gäste in diesem Haus und sollten sich benehmen, sofern sie hier weitere, ruhige Nächte verbringen wollten. Und Lucien zu beichten, dass sie ihre Unterkunft einer Laune wegen aufs Spiel gesetzt hatte, war allemal das Letzte, was sie tun wollte. Bisher kam sie gut genug mit ihm klar, um sich eine herbe Auseinandersetzung mit ihm ersparen zu wollen. Und angesichts ihres derzeitigen Zustandes fühlte sie sich für ihn nicht sonderlich gewappnet. Mit einem begrüßenden Kopfnicken in Richtung der einzigen Männer im Becken, sank das helle Badetuch am Rand des Beckens zu Boden. Wenig später folgte der bemalte Körper der Nordskov, der sich von der Marmorkante ins Wasser gleiten ließ und mit einem tiefen Seufzen bis zum Kinn darin versank.
Vielleicht störte ihn auch der Gedanke, sie beide wieder in eine Situation zu zwingen, in der sie unter sich waren. Auch, wenn Liam im Normalfall nur wenige Probleme damit hatte, schweigend Skadis Nähe zu genießen – im Augenblick fühlte es sich falsch an und daran würde sich an diesem Abend vermutlich auch nichts mehr ändern. Nicht einmal ihr Versuch, die Situation ein wenig aufzulockern – wenn es denn einer gewesen war – schaffte es, mehr auf seine Züge zu locken als ein müdes Schmunzeln. Sie klang eher resigniert als vorfreudig wie sonst bei derartigen Anspielungen. Schweigend folgte er ihr zum Beckenrand, musterte flüchtig die Gestalten, mit denen sie sich das Bad teilen würden und löste schließlich das Handtuch um seine Hüften, um sich Skadi hinterher über die Kante in das dampfende Bad gleiten zu lassen. Er lehnte sich zurück, schloss die Augen und ließ die Wärme auf sich wirken. Leise Schritte von nackten Füßen auf Stein hallten durch den Raum, übertönten hier und da die leisen Stimmen der Gespräche, die sich ergaben. Sein rechter Oberarm pochte leicht unter dem warmen Wasser, an sich aber war die Wunde oberflächlich ganz gut verheilt, selbst wenn die helle Narbe noch allzu deutlich an die Verletzung erinnerte.
Er genehmigte sich ein paar tiefe Atemzüge, bis das Geräusch der Schritte näherzukommen schien. Den Kopf an die Kante des Mamorbeckens gelehnt sah er nach oben in das Gesicht einer jungen Dame, die ihm mit einem charmanten Lächeln einen der Becher mit Wein reichen wollte. Etwas, was man Liam ganz bestimmt nicht zwei Mal anbieten musste. Er wandte sich um, stützte sich mit den Armen auf den Beckenrand und nahm den Becher mit der Linken entgegen. „Danke.“ - „Auch für die Miss einen Wein?“ Fragend blinzelte sie in die Richtung der Nordskov und griff bereits nach einem weiteren Becher auf ihrem Tablett, um ihn Skadi zu reichen, zwinkerte dann allerdings Liam zu, dessen Dank sie zur Kenntnis genommen hatte. Der wiederum nippte etwas unaufmerksam an seinem Wein.
Unter Wasser hallten die Geräusche nur noch dumpf in ihren Ohren nach. Verzerrte Stimmen und Schritte, die kaum mehr bis zu ihrem Bewusstsein drangen. Mit geschlossenen Augen verharrte die Nordskov am Rande des Beckens. Den Kopf in Richtung Decke gezogen, um fast bis zur Nasenspitze in der wohligen Wärme zu versinken. Erst als das Wasser sich rührte und mit leichtem Druck gegen ihren Körper schwappte, öffnete sie die Augen. Liam hatte sich bewegt. Stand nun mit beiden Armen über den Beckenrand gelehnt und sah zum Ende der nackten Füße hinauf, die Skadi skeptisch musterte, ehe sie empor sah. Erst Sekunden später hallte die Frage in ihren Erinnerungen nach, bis ihr bewusst wurde, das sie wohl ihr gegolten hatte. Geräuschvoll zog sie eine Hand aus dem Wasser, um kopfschüttelnd das nett gemeinte Angebot abzulehnen und sich im Wasser zu ihr herum zu drehen. Rang sich dann sogar ein Lächeln und ein „Oh...vielen Dank, aber nein.“ ab, ehe sie aus den Augenwinkeln erneut zu Liam hinüber sah und unter den vorschreitenden, platschenden Schritten der Anderen seufzte. „Wie gehts deinem Magen?“ In leichten Kreisen schwirrte das Wasser an ihren Seiten vorbei, als sie sich aufrichtete und neben Liam auf der Marmorbank niederließ. Nach wie vor unschlüssig darüber, wieso er sich in einer Situation wie dieser dazu entschied einzugreifen, statt das Weite zu suchen oder Unterstützung zu holen. Denn auch wenn die Narbe an seiner Schulter bereits gut verheilte, bedeutete es nicht, dass er gänzlich genesen war.
Er wusste nicht, was er erwartet hatte. Dass Skadi ihre Abstinenz bereits wieder abgelegt hatte, die sie seit dem unliebsamen Treffen mit den Kopfgeldjägern begleitete? Nur aus den Augenwinkeln heraus nahm er ihre Absage wahr, konnte sie insgeheim für ihre Entschlossenheit nur bewundern, weil er wusste, dass es eine vernünftige Entscheidung war, und nahm fast im gleichen Atemzug einen weiteren Schluck des fruchtigen Weines, den man ihm gereicht hatte. Zum Glück war Vernunft kein Anspruch, den er an sich selbst hegte. Ein wenig abwesend folgte er der Gestalt mit den Augen, die mit dem Tablett in der Hand zum nächsten Grüppchen schritt und gerade, als sein Blick auf einem Tisch am Rande des Raumes hängen blieb, der mit Obst gespickt war, wandte sich Skadi mit einer Frage an ihn, die ihn aus den Gedanken riss. Seine Augenbrauen hoben sich als Zeichen, dass er sie durchaus gehört hatte, auch wenn er sich nicht direkt zu ihr herumwandte. „Der könnte so langsam mal wieder einen kleinen Snack vertragen.“, antwortete er mit einem hörbaren, aber müden Lächeln und drehte sich schließlich wieder um. Den Becher ließ er am Beckenrand stehen. Liam lehnte sich wieder zurück und versank bis zu den Schultern in der angenehmen Schwerelosigkeit des warmen Wassers, ließ Skadi aber auch nicht allzu lange auf die Gewissheit warten, dass er durchaus verstanden hatte, worauf sie hinaus wollte. „Kaum der Rede wert. Wenn man hinfällt, tut’s halt auch zwangsläufig eine Zeit lang weh.“ Es zog ein wenig und strafte ihn mit leichter Übelkeit, aber in Anbetracht seines Oberarmes war das wirklich nicht der Rede wert. Und um ihn vom Essen abzubringen, reichte es auch bei weitem nicht.
Wie unfassbar Nerv tötend es doch war, wenn er bei einer ernst gemeinten Frage diesen ausweichenden Humor an den Tag legte. Beinahe wäre Skadi ein Seufzen entflohen, hätte sie nicht den Blick abgewandt und über die hochroten Köpfe der anderen Badegäste gleiten lassen. Manchmal verstand sie den Musiker einfach nicht. Per se nichts, was sie sonderlich aufregte. Doch mittlerweile waren sie wohl bereits zu weit von einer losen Bekanntschaft entfernt, als dass sie es einfach ignorieren und mit einem Schulterzucken abtun konnte. Zumindest innerlich. Nach außen hin ließ die Nordskov der kleine Versuch die Stimmung aufzuhellen eiskalt. Wieder schwappten kleine Wellen gegen ihre Brust und trieben den feinen Stoff des Oberteils aufwärts. Unter Wasser war das Leinen kaum spürbar, streifte hier und da in langsamen Bewegungen ihre Haut und kitzelte angenehm wie feines Seegras. Doch Skadi wusste, dass es wie Teer an ihr kleben würde, sobald sie aufstünde und das Bad verließ. Und sie hasste dieses widerliche Gefühl. Weil es sich wie ein Fremdkörper anfühlte, der sich an ihrem Körper verbiss und nicht willens war jemals loszulassen. Dennoch watet sie langsam durch das Wasser und aus dem Becken heraus, nachdem sie Liam auf seine Worte nur mit einem Brummen geantwortet hatte. Hinterließ platschende Geräusche auf dem glatten Boden des Badehauses und kehrte Minuten später mit einem Apfel in der Hand zum Beckenrand zurück.
„Hier.“ Mit ausgestreckter Hand war die Dunkelhaarige in die Hocke gegangen und musterte den Lockenkopf von oben herab. Wartete darauf, dass er ihr das kleine Mitbringsel aus der Hand nahm, um dann dicht neben ihm wieder langsam und mit brennenden Armen zurück ins Wasser zu gleiten.
Das letzte, womit er bei seiner eigentlich ehrlich gemeinten Antwort gerechnet hatte, war, ihren Unmut abermals heraufzubeschwören. Ausnahmsweise war es wirklich kein Versuch gewesen, die Stimmung zu lockern, sondern sein ehrliches Empfinden. Er war genügsam und einfach zufriedenzustellen. Und im Augenblick war ihm alles Recht, was ihn nicht zwingend knapp am Tod entlangführte. Dementsprechend verständnislos ließ Skadi ihn allerdings auch zurück, als sie sich schweigend aus dem Bad erhob und ihn allein zurückließ, was er zwangsläufig als direkte Reaktion wertete. Liam seufzte geräuschvoll, machte aber weder Anstalten, sie aufzuhalten, noch ihr überhaupt nachzusehen. Er ärgerte sich. Ärgerte sich darüber, dass es ihm so schwer fiel, sie einfach machen zu lassen. Wut und Trauer gehörten zum Leben dazu wie Freude und Geborgenheit. Bei jedem anderen hätte er mit einem Schulterklopfen auf bessere Tage gewartet und der schlechten Laune die Zeit gelassen, die sie brauchte. Warum erwischte er sich heute andauernd wieder dabei, sich mehr Probleme zu machen als nötig? Mit einem tiefen Atemzug ließ er sich wieder weiter ins Wasser sinken. Morgen sah die Welt wieder anders aus. Er rechnete nicht damit, dass Skadi zurück kam, reagierte also auch im ersten Moment nicht auf die Schritte, die wieder in seine Richtung kamen. Dann blinzelte er überrascht in das feine Gesicht der Jüngeren und bemerkte erst im zweiten Moment den Apfel. Der Ärger verpuffte, als hätte er nie existiert und die Schatten auf ihren Zügen erinnerten ihn zwangsläufig daran, dass es ihn bedrückte, sie derart unzufrieden zu sehen; dass er es deshalb nicht lassen konnte, zu versuchen, die Härte auf ihren Zügen zu vertreiben. „... Danke.“ Noch immer überrascht über ihre unerwartete Fürsorge nahm er den Apfel entgegen und betrachtete ihn kurz mit einem eigenartigen Gefühl in der Magengegend, während Skadi neben ihm wieder ins Wasser glitt. Er schwieg, während er erstaunlich langsam den Apfel verputze.
Das Schweigen seinerseits hielt an, während sein Blick ein wenig haltlos durch Raum glitt. Schließlich fiel ihm der Blick eines jungen, gar nicht mal so unansehnlichen Mannes in einer anderen Ecke auf, der möglichst unauffällig zu ihnen hinüberspähte. Ein schwaches Schmunzeln erschien auf seinen Lippen, als ihm klar wurde, weshalb und er brach das Schweigen. „Scheint, als hätte da jemand ein Auge auf dich geworfen.“ Wenn er sich richtig erinnerte, hatte er ihn schon das ein oder andere Mal hier gesehen. Nicht als Freyer, er schien irgendwo im Hintergrund zu arbeiten.
Schon wieder dieses Schweigen. Wie ein Elefant, der sich zwischen sie drängte und ihre geschundenen Körper zerquetschte. So sehr es die Nordskov auch versuchte: sie konnte das Drücken auf ihrer Brust nicht ignorieren, das Liams nonverbale Kommunikation in ihr zurückließ. Dieser Kerl machte sie heute einfach nur wahnsinnig. Während ihre Augen es vermieden ihn anzusehen, um dem aufkeimenden Frust zu entgehen, den seine Unsicherheit in ihr auslösen würde, waren es ihre Hände, die unablässig durch das warme Wasser tanzten. Als können sie nicht ruhig neben ihm liegen, ohne ihn zu berühren. Sich zu vergewissern, dass er auch wirklich blieb. „Mh?“ Skeptisch zogen sich die dichten Brauen zusammen, als Skadi den Kopf aus dem Nacken zog und die dunklen Augen über das Becken schweifen ließ. „Bist du sicher, dass es nicht daran liegt, wie zerschunden wir aussehen?“ Offensichtlich musste sich der Fremde abgewandt haben, als Liams Blick den seinen kreuzte. Oder er hielt sich unter dem Einheitsbrei der Umstehenden gut versteckt, um ihren müden Augen zu entgehen. Denn sehen konnte sie von dem vermeintlichen Verehrer nichts als heiße Luft. Langsam wandte sich der dunkle Haarschopf herum. Schleuderte kleine Tropfen in das dampfende Wasser zurück. „Oder reden wir heute in der dritten Person über uns selbst?“ Stahl sich da etwa der Hauch eines Schmunzelns auf ihre Züge?
Mit leiser, aber hörbarer Belustigung kommentierte er ihre Vermutung wortlos und drehte sich halb herum, um abermals nach seinem Becher zu greifen. „Wir?“, wiederholte er und nahm einen Schluck des vollmundigen Weines. „Wohl eher du.“ Er bezweifelte, dass die Mitarbeiter hier nicht zumindest ahnten, was es mit ihnen auf sich hatte. Und Shanaya hatten sie immerhin auch halb hier hineintragen müssen. Dass etwas mit ihnen allen nicht stimmte, war ein offenes Geheimnis. Eines, über das er sich keine weiteren Gedanken machen wollte, bis er es nicht zwingend musste. Abermals sah er auf die andere Seite hinüber, bloß um festzustellen, dass besagter junger Knabe sich wieder einem Gespräch mit seinem Nebenmann gewidmet hatte. Vermutlich war ihm aufgefallen, dass seine Aufmerksamkeit nicht gänzlich unbemerkt geblieben war. Rechtzeitig genug, dass Skadi ihn nicht mehr ausmachen konnte. Aber immerhin schien sie der Gedanke allein tatsächlich ein wenig zu besänftigen. „Hm.“, entgegnete er, ohne sich groß Mühe dabei zu geben, zu verbergen, dass er ein wenig zerknirscht war. „Keine Sorge, wir haben unsere Abfuhr heute deutlich zur Kenntnis genommen.“ Ohne den Kopf in ihre Richtung zu drehen, spähte er von der Seite her zu ihr hinüber, rang sich dann aber doch ein ehrliches Lächeln ab, um nicht den fälschlichen Eindruck zu erwecken, ihr das wirklich übel zu nehmen. „Auf Ein Uhr, kurze Haare.“, konkretisierte er stattdessen seine Aussage. „Glaube, er arbeitet hier irgendwo. Jedenfalls kommt er mir bekannt vor.“
Irgendwie klangen diese Worte bitterer in ihrem Kopf, als sie wohl, angesichts des darauffolgenden Lächelns, von ihm gemeint gewesen waren. Skadi hatte jedoch absolut keine Antwort darauf. Keine verbale zumindest, die ihr ohnehin in der plötzlich staubtrockenen Kehle stecken geblieben wäre. Eine Sekunde lang blähten sich die Nasenflügel der Jägerin auf. Leiteten das tiefe Brummen ein, das sich harsch und unvermittelt aus ihrem Brustkorb nach oben drückte und einen bitteren Zug über ihre Miene fahren ließ. „Mach so weiter und du kriegst für den Rest der Woche eine.“Als könnte sie ihn damit wirklich treffen, wie lächerlich. Doch es verließ so unvermittelt ihre Lippen, dass sie es kaum mehr aufhalten, geschweige denn zurücknehmen konnte. Stattdessen ließ sie sich etwas trotzig tiefer ins Wasser gleiten. Stoppte als ihre Nasenspitze die Wasseroberfläche durchbrach und ihr Blick den heller, goldbrauner Augen kreuzte. Das musste wohl der Kerl sein, von dem Liam gesprochen und den sie für eine Wahnvorstellung gehalten hatte. Doch seine Existenz war ihr genauso gleich, wie jede andere in diesem Raum. Und wieso der Musiker sie so penetrant darauf aufmerksam machen wollte, war ihr ebenso schleierhaft, wie der plötzlich einsetzende bittere Nachgeschmack dessen auf ihrer Zunge. Widerstrebend wandte sich Skadi auf der marmornen Sitzbank herum und zog sich mit den Händen bis zur Brust zum Beckenrand hinauf. Ließ beide Arme auf den kühlen Boden gleiten und senkte den nassen Schopf auf die angewinkelten Unterarme. Liam dabei erneut im Blick. „Mag sein. Und weiter?“
Skadis Warnung ließ ihn blinzeln. In den Raum hinein, da er den Kopf noch immer nicht in ihre Richtung gewandt hatte. Aber sein Blick löste sich automatisch von den Gestalten auf der anderen Seite und verlor sich irgendwo im restlichen Raum. Ernsthaft? Er öffnete den Mund, um etwas zu entgegnen, entlud seinen Frust dann allerdings doch nur in einem geräuschvollen Atemzug und ließ es bleiben. Wie es schien, wollte sie ihn heute missverstehen und er war es leid, zu versuchen, irgendetwas daran zu ändern. Zugegeben, im Eifer des Gefechts hätte ihm tatsächlich ein kindliches ‚Nicht, wenn ich dir zuerst eine gebe‘ auf der Zunge gelegen, aber so war er nicht. Er hatte es nicht nötig, sie in ihrer Tieffseelaune noch zusätzlich weiter zu provozieren. Mal ganz davon abgesehen, wie naiv ihre Drohung war; Skadi war wirklich nicht auf der Höhe. Ungeachtet davon, welchem Mann gegenüber man so etwas aussprach – es in einem Edelbordell zu tun, wo alles nur darauf aus war, einem die Freuden des Lebens zu zeigen, war wirklich naiv. Als hätte er nicht binnen weniger Minuten jemanden gefunden, der ihre Warnung für ihn bedeutungslos machte.
Bei all seinem Frust dachte er für den Moment sogar tatsächlich darüber nach, folgte einer der entblößten Damen mit dem Blick und stellte kaum einen Herzschlag später wieder fest, dass er sich Nähe nicht erkaufen wollte. Vielleicht sollte er sich morgen einfach mal nach einer Taverne umsehen, alle Vorsicht über Bord werfen und wieder das tun, was er immer getan hatte. Bevor man ihnen nach dem Leben oder der Freiheit getrachtet hatte. Allmählich bekam er Kopfschmerzen. Nicht einmal die Aufmerksamkeit des Unbekannten schien sie groß zu tangieren, dabei befand Liam, dass man sich durchaus was darauf einbilden konnte, in einem Haus voller ansehnlicher Frauen aufzufallen. Er zuckte angedeutet mit der Schulter, streifte kurz ihren Blick und lehnte sich dann mit geschlossenen Augen zurück gegen den Marmor. „Nichts. Dachte bloß, es interessiert dich vielleicht und du willst dir die Option vielleicht offen halten für die kommenden Tage.“ Man hörte ihm an, dass er aufgegeben hatte.
Der Wurm hatte sich bereits so tief in ihre Unterhaltung gefressen, dass Skadi nichts anderes tun konnte, als ihm beim fröhlichen Festmahl zuzuschauen. Es musste ihr niemand auf die Nase binden, dass sie gerade eine hochkarätige Abwärtsspirale angetreten war. Taumelnd von einer schlechten Laune in die nächste. Doch es klang einfacher diesen Tag als gescheitert zu verbuchen und abzuhaken, als es ihr letztlich fiel. Schon lange war diese schwelende Wut nicht mehr Teil ihres Körpers gewesen und die Nordskov gänzlich unfähig dieses Kindertheater sein zu lassen. Auch wenn es Liam war, der just als Sündenbock herhielt. Irgendwo, tief in ihrem Inneren wusste sie das. Was sie nicht weniger wütend auf sich selbst machte. Ein Teufelskreis. „Meinst du ich gebe dir nen Korb, um mich vom Nächstbesten besteigen zu lassen?" Ein abfälliges Schnauben verließ ihren Körper, kurz darauf ein tadelndes Schnalzen. Wenn sie keine Nähe wollte, dann von niemandem. Erst Recht keinem Fremden. Wieso Liam das allerdings nicht verstand, war ihr schleierhaft. Oder glaubte er, dass sich all das hier allein gegen ihn richtete? „Kein Bedarf. Mir tut so schon jeder Teil meines Körpers weh." Seufzend stieß sich die Jägerin vom Beckenrand ab. Landete in einem leisen Platscher im Wasser und trieb, mit dem Gesicht gen Decke gerichtet auf der Wasseroberfläche. Er war wohl doch ein absoluter Blödmann, wenn er davon ausging.
Sie sprach es aus, als wäre es das Offensichtlichste der Welt; als wäre es völlig absurd, etwas anderes zu denken. Es hätte ihn beruhigen können, doch die Subbotschaft kam bislang nicht einmal bei ihm an. Und gerade jetzt wusste er ohnehin nicht, was er glauben sollte und was nicht. Er war müde und diese inhaltlose Diskussion zwischen ihnen erschöpfte ihn mehr als er sich selbst gegenüber zugeben wollte. Was wusste er gerade schon, was in ihrem Kopf vor sich ging? Sie sperrte ihn ja mit all den ihr gegeneben Möglichkeiten aus. „Ich weiß es nicht, Skadi.“, entgegnete er ehrlich und bemühte sich um einen Tonfall, der einer normalen Unterhaltung wieder Platz gemacht hätte. „Aber es wäre dein gutes Recht, also…“ Warum sollte er es nicht meinen? Was wäre schon dabei gewesen. Er hoffte einfach, dass sie es dabei beließ; dass sie ihn nicht weiter diesbezüglich belehrte. Es interessierte ihn gerade einfach nicht. Erst, als das Wasser neben ihm wieder in Bewegung geriet, öffnete er die Augen und spähte vorsichtig in ihre Richtung, bis er merkte, dass sie seinen Blick aus ihrer Position sowieso nicht wahrnehmen konnte. Im Wasser sah sie nicht einmal so geschunden aus wie sie war und wie sie sich fühlen musste. Liam erinnerte sich an seine Stimmung, kurz nachdem er sich die Kugel eingefangen hatte und seufzte abermals, ehe er sich wieder zurücklehnte und die Stille für den Augenblick nutzte, um tiefdurchzuatmen.
Wie viel Zeit verging, bis er plötzlich aus dem Halbschlaf schreckte, konnte er nicht sagen, entschied jedoch, dass es Zeit war, aufs Zimmer zu verschwinden. Der Lockenkopf öffnete die Augen und suchte nach Skadi, die noch immer unweit von ihm entfernt im Wasser trieb. Einen weiteren, tiefen Atemzug später hatte er sich von der Bank erhoben und bewegte sich langsam auf sie zu. Nun einfach zu gehen, ohne ihr Bescheid zu sagen, wäre absolut nicht seine Art gewesen. Unweit neben ihr kam er zum Stehen, halb gebückt, sodass nur seine Schultern aus dem Wasser ragten. „Ich werde mich jetzt hinlegen. Kommst du mit oder bleibst du noch ein wenig hier?“ Liam versuchte sich an einem unbefangenen Lächeln, doch die Erschöpfung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
Sie war es müde ihm zu erklären, wie ihre Welt funktionierte. Also schwieg sie in ihrem Treiben, schloss die Augen, als könne sie damit etwas von der ganzen Unterhaltung, den Blicken und den Gedanken aussperren, die alsbald ein erneutes Feuerwerk in ihrem Kopf entzünden würden. Bis ihr Körper allmählich hinab sank und ihr Gesicht unter Wasser tauchte. Wieder und wieder drückte sie sich mit einem sanften Tritt an die Oberfläche zurück. Entkam eine gefühlte Ewigkeit der Wirklichkeit und Nähe zu Liam, die sie derart aufwühlte, wie sie es selbst nicht für möglich gehalten hatte. Blinzelte ein paar Mal gegen das grelle Licht, als seine Regung kleine Wellen gegen ihren Körper trieb und seine leisen Worte die monotonen Geräusche der Umgebung überlagerten. Herzschlag um Herzschlag sanken ihre Zehen gen Beckenboden hinab, ihr Rücken in eine aufrechte Position, aus der sie ihn besser in Augenschein nehmen konnte. Unsicherheit spiegelte sich für einen Moment auf ihren Zügeln wider, doch aus gänzlich anderen Gründen, als Liam vermuten würde. Dann nickte sie. In einer Bewegung, die gleichfalls ein Achselzucken sein konnte. Skadi bezweifelte jäh, dass sie überhaupt in einen tiefen Schlaf verfallen würde. Zu wirr tanzten die Gedanken und Erinnerungen durch ihren Kopf und wühlten den hinab sickernden Dreck auf dem Boden ihres Geistes auf. Und seit wann pochte es so unnachgiebig an ihrem Auge, dass sie sogar versucht war, es zusammenzukneifen und die Fingerspitze gegen das blau anlaufende Fleisch zu drücken? „Gehen wir.“ Liam hatte sich bereits abgewandt. Auf direktem Weg die marmornen Treppchen aus dem Becken hinaus. Skadi folgte ihm gemächlichen Schrittes. Streckte bereits die langen Finger nach seiner Hand aus und zuckte doch zurück, kaum dass die erste Stufe erreichte. Verschwand mit einem letzten Blick auf den Raum zurück in der Umkleide und trat, in die plötzlich viel zu schwer gewordenen Leinen gehüllt, auf den angenehm kühlen Flur vor dem Badehaus.
Ein flaues Gefühl hatte sich in seinem Magen breit gemacht, kaum dass er den Entschluss gefasst hatte, nicht ohne ein Wort zu verschwinden. Im Augenblick schien ihm alles wie ein Risiko, die Nordskov wieder zu erzürnen. Der Abend war allerdings ohnehin schon gelaufen – ein weiteres, letztes Mal ihren Zorn für heute auf sich ziehen, schien ihm trotz allem die bessere Alternative gegenüber der Möglichkeit, seine gute Erziehung zu vergessen. Tatsächlich schien auch ihr die Ruhe ganz gut getan zu haben. Auch, wenn sie ihm weiterhin mit Schweigen begegnete, verbuchte es der Lockenkopf als etwas Gutes. Das Veilchen in ihrem Gesicht wurde zunehmend strahlender und stahl dem hübschen Gesicht dahinter allmählich die Show – hätten die dunklen Augen nicht ohnehin schon derart finster dreingeblickt. Erst, als er sich bereits zum Gehen gewandt hatte, fand sie ihre Stimme wieder. Leise, rau, aber der provokante Unterton fehlte für den Moment. Der flüchtige Annährungsversuch Skadis entging ihm, während er mit festem Blick auf die Stelle zutrat, an der er sein Handtuch zurückgelassen hatte, sich flüchtig abtrocknete und schließlich gen Umkleide verschwand. Die frische Luft vor der Umkleide empfing ihn unbarmherzig. Skadi wartete bereits darauf, dass er zu ihr aufschloss, um trotz aller Unstimmigkeiten des Abends gemeinsam aufzubrechen. Seine Lippen formten ein wortloses ‚Komm.‘, während sich seine Finger in Gewohnheit kurz auf ihren Rücken legten. Aus einer sonst so simplen Nähe wurde eine flüchtige Berührung, nach der Liam seine Hände der Einfachheit halber einfach in den Taschen vergrub.
Mit jedem Schritt zogen unsichtbare Gewichte ihren Körper gen Boden. Verlangsamten jeglichen Gedanken und jeden Atemzug. Stufe um Stufe trug sie nur der Gedanke an eine weiche Matte zum Schlafraum hinauf. Das Gefühl keinen noch so winzigen Teil ihrer Gliedmaßen zu bewegen und bis zum Morgengrauen geschützt hinter dicken Wänden auszuharren. Bis der nächste Tag seine Schatten über die Straßen zeichnete und sie erneut verschluckte. Ebenso die Gestalten, an denen sie sich die Zähne ausbiss und die der Quell ihrer miesen Laune waren. Leise fiel die schwere Holztür ins Schloss und sperrte jegliches Licht der Fackeln des Flurs aus. Skadi brauchte einige Augenblicke, ehe sich ihre Augen an die Dunkelheit und das fahle Mondlicht gewöhnten, das den Raum in bläuliches Licht tauchte. Talins Platz war unbewohnt. Noch immer oder schon wieder. Mischte sich in die knisternde Zweisamkeit, die nun nicht mehr Teil des Hurenhauses, sondern nur noch Teil ihrer kleinen Welt geworden war. Kaum zu leugnen und erst recht nicht hinfort zu wischen. Schwer seufzend sank Skadi mit beiden Händen im Rücken gegen die Tür und ließ den Kopf in den Nacken gleiten. Zurück am Ort des Geschehens. Wie großartig. Erst als Liams Schritte zurück in ihr Bewusstsein drangen, schob sie sich auf ihre Zehen zurück. Schlurfte zur Waschschüssel hinüber, um einen der Lappen in das kalte Nass zu tauchen und ihn sich ausgewrungen auf‘s Auge zu legen. „Der Kerl hatte nen verdammt harten Schlag drauf.“
Dass Talin noch nicht da war, wunderte ihn zwar, kümmerte ihn aber nicht wirklich. Vielleicht saß sie noch bei Shanaya, um ihr ein bisschen etwas anderes bieten zu können als die bemalten Wände und die Geräuschkulisse eines Bordells. Als sie ihr Zimmer erreicht hatten, bewegte sich der Lockenkopf noch halbblind auf die Ecke zu, in der ein kleiner Haufen aus Fellen und ein unordentlicher Haufen aus seinen Sachen seinen Schlafplatz markierten. Noch währenddessen zog er sich das Leinenhemd abermals über den Kopf und ließ es auf den kleinen Stapel zu seiner Rechten fallen. Auf Skadi hatte er erstmal nicht mehr geachtet, hatte ihr den nötigen Abstand eingeräumt, den sie offenbar brauchte. Erst, als sie die Stimme erhob, wandte er sich um und ging langsam auf die Anrichte zu, auf der die Waschschüssel stand. Über ihre Schulter hinweg warf er einen Blick auf das verzerrte Gesicht ihres Spiegelbildes, welches durchs Mondlicht erblasst zurück an die Zimmerdecke starrte. Hinter dem Lappen zeichnete sich bläulich der Rand des Blutergusses ab und ließ ihn seufzen. „Ich werde diese Widerlinge nie verstehen.“, brummte er abfällig. Wollte er im übrigen aber auch nicht. Er verharrte nicht lange hinter ihr, wandte sich wieder ab, um seinen Schlafplatz aufzusuchen und kratzte sich an der Schulter. „Geht‘s?“, rutschte es ihm dennoch über die Lippen, keine Sekunde, nachdem er sich dagegen entschieden hatte, ihr scherzhaft vorzuschlagen, sich eine spannende Geschichte dazu auszudenken. Zu groß war das Risiko, sie würde es abermals als provokante Anspielung verstehen.
Unter dem nassen Stück Stoff, das Skadi von ihrem Auge zog, verbarg sich ein abgekämpftes, bitteres Lächeln. Denn sie wusste: Liam fehlte die Gewaltbereitschaft, um auch nur im Ansatz zu begreifen, weshalb es Menschen wie diesen Kerl danach gelüstete, seine Rache voll und ganz auf körperlicher Ebene auszuleben. Nicht willens verbal um sich zu schlagen und letztlich doch allein mit seinem Problem zurück zu bleiben. Eben das war auch der springende Punkt, wieso er noch immer nichts von ihren Aktivitäten wusste. Von den Kämpfen, die Lucien seit einer Weile begleitete. Im Prinzip war es doch nichts anderes. Ein Ventil um die Wut heraus zu lassen, die sie sonst von innen auffraß. Mittlerweile glaubte sie, dass der Kerl deshalb so aggressiv auf sie losgegangen war. Weil sie der Grund seiner eigenen Prellungen und Verletzungen gewesen war. Irgendwo im Dunstkreis ihrer Erinnerungen flackerte sogar dieses Muttermal an seinem Unterarm wieder auf. „Muss.“, entglitt es ihr knapp zur Antwort. Das Tuch in der Rechten ein letztes Mal ins kalte Wasser tauchend, ehe es mit ihr in Richtung Schlafplatz verschwand. „Hoffen wir mal, dass wir dem nicht mehr so schnell über den Weg laufen.“ Geräuschvoll glitt der schmale Körper der Jägerin gen Boden. Die Beine in einem halben Schneidersitz verschränkt und den Blick aus dem Fenster gerichtet.
Unter anderen Umständen hätte er wohl ein Geheimnis hinter ihrem Schweigen vermutet, heute Abend aber sah er eine ausbleibende Erwiderung als etwas Gutes. Er schüttelte langsam und für sich selbst den Kopf, während er flüchtig darüber nachdachte, wie elend das Leben sein musste, wenn man es nötig hatte, wildfremden Menschen auf der Straße aufzulauern; wie schmutzig man sich fühlen musste, Frauen entgegen ihres Willens zu belästigen. Skadi war noch immer kurz angebunden, aber auch das schob Liam für den Augenblick auf die Erschöpfung. Außerdem – was hätte sie auch mehr zu ihrer Verfassung sagen sollen? Es musste gehen, da hatte sie vollkommen Recht - Ob es ihn nun beruhigte oder nicht, er wusste es selbst nicht zu sagen. Langsam schlüpfte er erst aus einem, dann aus dem anderen Hosenbein und warf die Hose auf die anderen Sachen auf seinem Stapel. Ihre Hoffnung quittierte er mit einem Schnauben. Eines, was deutlich sagte, dass er es ebenso hoffte, aber nur wenig daran glaubte, so wie ihnen der Zufall momentan mitspielte. Er warf das oberste Fell teilweise zur Seite und ließ sich auf dem Boden nieder, suchte hinter der kleinen Leinwand nach dem Kerzenständer mit der halb abgebrannten Kerze und wühlte schließlich nach den Streichhölzern. Funken erhellten für wenige Millisekunden den Raum, entzündete mit der kleinen, unscheinbaren Flamme den Dort der Kerze und löschte das Streichholz im Gegenzug. Halbherzig zog er einen etwas mitgenommenen Einband zwischen den Leinen heraus, um zumindest noch ein paar Seiten zu lesen, bevor er tatsächlich das Licht losch. Skadi starrte indes ein wenig verloren aus dem Fenster. „… Hat Talin was gesagt, wann ihr morgen aufbrecht?“ Liam hatte einen kurzen Blick über den Einband seines Buches geworfen, ehe er sich wieder der Geschichte widmete.
„Recht früh, kurz nach Sonnenaufgang.“ Noch immer starrten die dunklen Augen aus dem Fenster, als wäre der Raum vollkommen menschenleer und sie selbst ihr einziger Gesprächspartner. Irgendetwas an ihrer Miene hatte sich verändert. Doch die Schatten waren bereits zu tief, um es von Liams Position aus zu erkennen, dessen Blick ohnehin zu seinem Buch zurückgekehrt war, wie Skadi schwach aus dem Augenwinkeln erkannte. Zu gern hätte sie sich jetzt in einem Anflug von Müdigkeit auf die Decke unter sich gleiten lassen, die bereits schon bei ihrem ersten Aufeinandertreffen hier gelegen hatte. Doch obwohl jeder Muskel ihrer Körpers nach Erholung schrie, brannte ihr Verstand noch immer lichterloh. Mit Gedanken, die sie nicht zu fassen bekam. Die durch ihre Finger glitten wie Wasser. Wann immer sich die Jägerin dabei erwischte die Augen zu schließen, zuckte etwas in ihrem Inneren und weckte sie unsanft. Seufzend kreisten die schmalen Schultern im ungleichen Tempo. Ruderten vor und zurück, mal mit mal gegeneinander.
„Ich weiß zwar nicht, wieso Enrique und Greo dabei sein müssen, aber sie wird wohl ihre Gründe dafür haben.“ Denn mittlerweile wusste Skadi, dass alles, was die Jüngere tat, irgendwo einem halbwegs logischen Gedanken gefolgt war. Man musste ihn nicht verstehen oder gar gutheißen. Doch er existierte. „Weißt du schon, was du morgen machen wirst?“ Dieser Smalltalk war grauenvoll, doch hielt sie immerhin davon ab, sich dem stetigen Pochen in ihrem Körper zu widmen und ihn mit kontrollierten Atemzügen unter Kontrolle zu halten.
Es dauerte nicht lange, bis er feststellte, dass kaum eine Silbe von dem hängenblieb, was er las. Sein Kopf war müde und tat sich schwer damit, mehr mit den Worten anzustellen, als sie sinnlos aneinander zu reihen, ohne die Bedeutung dahinter zu verstehen. Mit einem leisen Seufzen gab er sich damit zufrieden, die Seite einfach anzustarren. Bis es ihm vergönnt sein würde, einen traumlosen Schlaf zu finden, ohne vorher Zeit mit Gedanken verbringen zu müssen. „Naja, sicher ist sicher. Für den Fall, dass etwas schief geht, habt ihr zu viert mehr Chancen als zu zweit. Wie du schon sagst; Talin wird wissen, was sie tut.“ Auch, wenn ihre Gründe nicht immer offensichtlich waren. Auch, wenn es nicht immer so schien – Er vertraute ihr und ihren Fähigkeiten. Und besonders jetzt gerade fiel es ihm einfach, weil es bedeutete, dass er sich selbst keine Gedanken dazu machen musste. „Nein.“ Himmel, dieses Gespräch fühlte sich steif an. Inhaltlos und dennoch irgendwie erstrebenswert. Er genoss es, ihre Stimme zu hören – es war allemal besser als dieses wütende Schweigen im Laufe des Abends. Ein Grund, weshalb er sich Mühe geben wollte bei diesem Geplänkel. „Vielleicht besorge ich noch ein paar Sachen, die ich brauche. So groß, wie Silvestre ist, wird sich schon irgendwo eine Bibliothek finden lassen.“
Hatten sie das, mehr Chancen wenn sie zu viert waren? Zumindest bei Greo war sich Skadi nicht sonderlich sicher, den sie bisher weniger kämpfen, dafür mehr flüchtend erlebt hatte. Es mochte sein, dass in dem Hünen mehr Kämpfernatur steckte, als man bisher annehmen konnte. Sonderlich viel dafür hatte er allerdings nicht getan. Mittlerweile verließ sich die Nordskov ohnehin am liebsten auf sich selbst, während die anderen zu unberechenbaren Konstanten für sie geworden waren. „Wir werden sehen.“ Im Fall der Fälle würde sie ohnehin zusehen, dass sie alle heil da heraus brachte. Wie viel ihr davon im derzeitigen Zustand wirklich gelang, war fraglich. Dem Ziehen zu urteilen, kaum dass sie ihre Beine aus dem halben Schneidersitz löste und in Liams Richtung streckte, stand das Vorhaben unter keinem sonderlich guten Stern. „Suchst du wieder nach Büchern?“ Erst lugten die braunen Augen halb unter den Wimpern hervor, dann wandte die Nordskov die feinen Züge gänzlich zu ihm herum. Mit einem Wort auf ihrer Miene, das Liam sowohl aus ihrer Tonlage, aus auch ihrem Blick herauslesen konnte: Vater.
Er verstand ihre Skepsis nur zu gut. Auch ihm fiel es schwer, in den letzten Tagen und Wochen optimistisch zu bleiben; zu glauben, ach, zu hoffen, dass ihnen mal wieder etwas Glück gegönnt war. „Wird schon werden. Ich bezweifle, dass sie die Werft rein zufällig gewählt haben.“, versuchte er möglichst zuversichtlich und blätterte ein paar Seiten weiter, ohne zu lesen. Das Licht der Kerze flackerte ruhig und füllte die Ecke, in der er schlief, mit angenehmem warmen Licht. Skadis Frage klang nach mehr, als es im ersten Moment schien. Er sah auf und schließlich dämmerte ihm, worauf sie anspielte. Ein blasses Lächeln zeichnete sich auf seinen Lippen ab, während er das Buch zwischen seinen Fingern unbewusst schloss und mit den Fingern über den mitgenommenen Einband strich. „Nicht nach etwas bestimmtem.“, verneinte er allerdings. Die Falten, die kurzzeitig auf seiner Stirn sichtbar wurden, zeigten deutlich, dass er darüber nachzudenken schien, ob es sich bereits lohnte, wieder nach etwas Neuem Ausschau zu halten. „Aber sobald meine Hand mich wieder lässt, wird es Zeit, zurück an die Arbeit zu gehen.“ Ihm schwirrten viele Dinge im Kopf rum. Einige, um sie irgendwann wirklich für ein paar Achter unter die Leute zu bringen, andere rein aus kreativen Gründen, weil er Lust darauf hatte und Leuten eine Freude machen wollte.
Fest pressten sich die vollen Lippen unter einem leisen Brummen des Verstehens aufeinander, ehe Skadi den Blick senkte und den Einband des Buches in seinen Händen musterte. Nach allem was geschehen war, hätte sie an seiner Stelle wohl jede Möglichkeit genutzt – auch wenn ihr mehr als bewusst war, dass es letztlich wie die Nadel im Heuhaufen gewesen wäre. „Hast du etwa schon Ideen?“ Natürlich hatte er das. Doch ganz gleich wie rhetorisch diese Frage letztlich war, hielt sie diese Unterhaltung aufrecht. Irgendwann und womöglich in naher Zukunft würde Liam sie allein in allem zurück lassen. Und ihr würde nicht mehr als sein ruhiger Atem und ihre eigene anhaltende Schlaflosigkeit bleiben. „Wobei. Nach allem was passiert ist, würde es mich wundern, wenn nicht.“
Liam nickte, versuchte die Gedanken ein wenig zu ordnen, die Skadi mit ihrer Frage in ihm wachgerüttelt hatte. Er war leicht abzulenken. Wie ein Kind, dessen Gedanken man einfach in jegliche Richtungen führen konnte, wenn er sich denn darauf einließ. Und gerade war ihm alles Recht, um nicht mehr an die erhitzen Gemüter, das Ziehen in seiner Magengegend oder das Veilchen ins Skadis Gesicht zu denken. Nachdenklich legte er das Buch zur Seite und gluckste freudlos, als sie ihren Gedanken konkretisierte. Doch das müde Lächeln auf seinen Lippen war ehrlich und hing den vergangenen Geschehnissen zumindest im Augenblick nicht nach. „Hauptsächlich Kindergeschichten tatsächlich. Ohne Mord und Totschlag.“, offenbarte er vermutlich entgegen ihren Erwartungen. Er mochte Kindergeschichten, weil es so einfach war, einem Kind ein Lächeln aufs Gesicht zu zaubern. Sie waren nicht so anspruchsvoll und erwarteten keine realistischen Geschichten. Sie hatten einen Sinn für Fantasie und ließen sich auf Dinge ein, die manchen Erwachsenen vermutlich dazu bewogen hätten, ein Buch kopfschüttelnd zur Seite zu legen. Und Kinder ermöglichten es einem, Geschichten nicht nur mit Worten sondern auch mit Bildern zu erzählen. „Von einem Kind mit einer Faszination für Drachen zum Beispiel. Und eines Tages wird eine seiner Zeichnungen plötzlich lebendig und begleitet ihn auf seinen Abenteuern. Oder eine Geschichte über einen Jungen, dem plötzlich ein Unsichtbarer begegnet, der ihn fortan zu allerlei Streichen und Schabernack überredet, da ihn außer der Junge selbst niemand hören kann.“ Nichts davon war ausgereift und doch erzählte er ihr gerne davon. Weil es ihm einfach fiel. Weil er wusste, was er sagen sollte.
Das erste Mal an diesem Abend stahl sich der Hauch eines Lächelns auf Skadis Züge. Eines, das nicht verkrampft an ihren Mundwinkeln hockte und darauf hoffte, dass man es einfach übersah. Es war eben jenes, das sie ihm meistens zuwarf, wenn er über solcherlei Dinge sprach und dabei diese kindliche Euphorie versprühte. Sie war anders als die, die Trevor zur Schau trug. Weder laut noch chaotisch, sondern warm und aufgeregt, irgendwie kribbelnd. Tief sog die Jägerin die angenehme Abendluft ein, die über den Fenstersims in ihrem Rücken in den Raum hinein waberte. „Klingt nach einer Geschichte, die ich als Kind geliebt hätte.“ Langsam glitten die braungebrannten Arme zurück und stützten den Körper, der sich mit vollem Gewicht in sie hinein lehnte. Skadis Blick glitt dabei ein letztes Mal über Liams Züge, ehe sie sich von ihm abwandte und die kleine Leinwand in Augenschein nahm. Jene, die sie noch vor wenigen Stunden aus unermesslicher Wut beinahe zertreten hätte. Und ganz schwach, tief in ihrem Inneren, spürte sie das unangenehme Jucken von Schuld. Fast augenblicklich hob sich ihre Hand in Richtung Brust. Kratzte an der kleinen Stelle an ihrem Brustbein und schloss die Augen. Die Schwere in ihren Gliedern sackte immer mehr in ihren Kopf. „Es… hatte nichts mit dir zu tun.“
Er sah ihr Lächeln nicht, aber es war auch einer der wenigen Momente an diesem Abend, in denen er es sich nicht zum Ziel gesetzt hatte. Sein eigenes Lächeln war vermutlich nicht ganz so warm, wie es unter anderen Umständen gewesen wäre, doch das lag mehr an der allgemeinen Erschöpfung als an Skadis Gesellschaft. Im Gegenteil – es breitete sich sogar ein wenig weiter auf seinen Zügen aus, kaum dass ihre Antwort ihn erreichte. „Sollte ich irgendwann soweit sein, darfst du gerne probelesen.“, bot er ihr unverbindlich an. Mittlerweile war er ein Stück weiter in die Felle gerutscht und lehnte mit Schulter und Kopf auf einem der Kissen, die man ihnen zur Verfügung gestellt hatte. Sein Blick ruhte an der Decke, an der flackernd das Licht der Kerze tanzte. Abermals kehrte Ruhe ein. Eine angenehmere, aber noch immer angespannte Ruhe als die letzten Stunden. Er merkte erst, dass er allmählich weggedämmert war, als Skadis Stimme sich erneut in die leise Geräuschkulisse mischte, die sie umgab. Liam blinzelte und war sich im ersten Moment nicht einmal wirklich sicher, dass er nicht schon geträumt hatte. Doch das Ziehen in seinem Magen holte ihn schnell in die Gegenwart zurück. Er schwieg, was sich für ihn anfühlte wie eine Ewigkeit, weil er ahnte, dass dieser Moment genauso schieflaufen konnte, wie alles andere an diesem Abend. In Wahrheit waren es vermutlich nur wenige Herzschläge. „Okay.“, entgegnete er schließlich leise, um überhaupt zu reagieren. Es beruhigte ihn, dass sie es klarstellte. Und im Endeffekt gab es nicht einmal mehr dazu zu sagen. Nochmals näher darauf einzugehen, schien ihm jedenfalls keine gute Idee. Und sein Ton war eindeutig genug gewesen, um klarzustellen, dass ihn diese Erklärung irgendwie beruhigte.
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