18.01.2020, 15:59
Out of the Shadow
Nachmittag des 27. April 1822Josiah Moggensten & Shanaya Árashi
Mit einer lockeren Bewegung fuhr Shanaya mit einer Hand durch ihre dunklen Haare, strich sie dabei aus ihrem Gesicht. Sie waren schon wieder verdammt lang... Aber in diesem Moment kümmerte sie sich nicht wirklich Darum. Das Steuer hatte jemand anders übernommen, sie selbst war auf dem Weg zur Kombüse. Es gab noch genug Proviant, aber nicht genug, sodass man sich nicht einfach so bedienen könnte. Aber Shanaya hatte selbst ein kleines Versteck, sie konnte ihre Pause also für einen kleinen Snack nutzen. Es würde nicht mehr all zu lang dauern, bis sie die nächste Insel erreicht hatten, Vielleicht etwas mehr als eine Woche. Dort würden sie alles auffüllen können... Jetzt suchte die Schwarzhaarige sich erst einmal ihren Weg durch die Hängematten, steuerte direkt auf die Kombüse zu.
Josiah sah auf, als die Schritte erklangen, und hielt für einen Moment in seinem Tun inne. Er wusste nicht genau, wie viel Zeit vergangen war, seit er sich unter Deck zu den Hängematten verzogen hatte, getrieben von einer inneren Unruhe, die er nicht ganz zu deuten wusste. Seitdem hatte er mehrmals seinen Platz gewechselt: zuerst bei den Hängematten, dann bei einen der Fässern, kurz darauf bei dem Munitionslager, bis er schlussendlich nach einen erneuten kurzen Halt bei den Hängematten bei den Kanonen angelangt war und dort nun auf dem Boden saß: ein Wurfmesser in der einen Hand, einen kleinen Wetzstein in der anderen. Für einen kurzen Moment erwartete er, dass jemand kam, weil Arbeit für ihn gefunden worden war, und verdrießlichkeit breitete sich in ihm aus. Dann tauchten die zwei schlanken Beine bei der Luke auf, die nach oben führte. Das darauf folgende Gesicht, umrahmt von den langen, schwarzen Haaren, ließ seine Gedanken nichtig werden: Shanaya. Unbeirrt betrat die Schwarzhaarige das untere Deck und trat den Weg in Richtung Bug an, und dadurch in seine eigene, grobe Richtung. Josiah ließ das Messer sinken. Er saß hinter der letzten Kanone zum Bug hin, mit dem Rücken an der Bordwand und etwas in sich hinein versunken. Kein offensichtlicher Platz, aber auch nicht so, dass er als versteckt durchgehen würde, höchstens unüblich. Er nahm das Messer wieder auf: 'Wenn jemand die Augen nicht aufmacht, ist das kaum mein Problem', ging es ihm durch den Kopf, entschlossen, alles menschliche zu ignorieren solange es sich ignorieren ließ. Doch der kleine Wetzstein blieb still, während er aus dem Augenwinkel weiterhin Shanaya verfolgte.
Shanaya hatte aus den Augenwinkeln irgendeine Gestalt wahrgenommen, störte sich jedoch nicht daran. Es hätte auch nur ein Schatten sein können. Es kam kein Mucks aus der Ecke, die Schwarzhaarige bewegte sich also mit ruhigen Schritten zu den Schränken. Dort angekommen öffnete sie eine der Klappen, spähte hinein und suchte nach ihrem eigenen, kleinen Lager. „Es ist nicht sehr höflich, Menschen einfach aus der Dunkelheit zu beobachten.“ Vielleicht sprach sie gerade mit der Luft, mit dem Schrank mit irgendjemandem, den sie sich eingebildet hatte. Möglich war alles. Und wenn doch jemand dort war, dann würde sie ja vielleicht mit einer Antwort erkennen, wer genau.
Letztendlich sah Josiah doch auf. Shanaya hatte die Hängematten hinter sich gelassen, war an allem vorbei gegangen und hatte sich zu den Schränken gestellt, sich dem Inhalt hinter der einer der Türen widmend. Vor allem aber sprach sie ihn nicht an, sah nicht einmal in ihre Richtung. Hier hatte Josiahs Langeweile gesiegt, und aus dem Seitenblick war ein offenes Verfolgen ihrer Schritte geworden, schweigend, forschend. Ihre Stimme bereitete dem Ganzen ein unangenehmes Ende: 'Es ist nicht sehr höflich, Menschen einfach aus der Dunkelheit zu beobachten.' Josiah zog eine Augenbraue hoch. Ein wenig überrascht, aber viel mehr amüsiert, und kein bisschen beschämt. Da hatte sie ihn also doch bemerkt. Ein unverständliches Brummen drang über Josiahs Lippen, dann erhob er sich leichtfüßig und trat aus dem Schatten hervor.
Zuerst bekam Shanaya keine Antwort, sodass sich für einige Momente noch der Gedanke hielt, dass der Schatten, den sie gesehen hatte, vielleicht doch nicht mehr als ein Fass war. Erst ein leises Brummen ließ sie davon abweichen, denn auch wenn sie viel Fantasie hatte, dieses Seufzen klang eindeutig nicht nach einem Fass, das plötzlich zu sprechen begonnen hatte. Es dauerte noch einen weiteren Augenblick, dann vernahm sie das Geräusch von Bewegungen und erkannte schließlich aus den Augenwinkeln eben solche. Ohne den Kopf zu drehen richtete die Schwarzhaarige die Augen leicht herum, erkannte Josiah und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder spannenderen Dingen zu. Ihre Suche war noch nicht beendet, aber immerhin versteckte sich hier eines ihres Stücke Dörrfleisch, das mit einer ruhigen Bewegung in ihrem Mund landete. „Das macht dir wirklich Spaß, oder?“
Josiah spürte Shanayas Blick mehr als dass er ihn sah. Tatsächlich bewegte die junge Frau ihren Kopf praktisch nicht, und nur der Schatten, der für den Bruchteil einer Sekunde das weiß in ihren Augen verdrängte, verriet sie. Aber auch dieser Schatten war mehr eine Ahnung als eine wettfeste Beobachtung, und reichte dennoch aus, um sein Bauchgefühl zu bestätigen. Locker verschränkte Josiah seine Arme vor der Brust. Er hatte sich so platziert, dass sie ihn wenigstens in ihren Augenwinkeln sehen konnte: Nicht zu nah, nicht zu weit weg, weder aufdringlich noch abweisend. Mit der Neugierde von jemanden, der nichts besseres zu tun hatte, verfolgte er ihre Bewegungen, bis das Stück Essen einen Weg in ihren Mund gefunden hatte und sie die Stimme erneut erhob. Ein Grinsen zuckte in Josiahs Mundwinkeln und machte die mögliche Bedeutung seines Schulterzuckens gleich wieder zunichte.
Es gab auf diesem Schiff nicht viele, die einfach bei einem stehen blieben und Nichts sagten – umso sicherer war Shanaya sich zu wissen, wer genau sie beobachtete. Und sie unterdrückte dazu ein Seufzen, wirklich sympathischer machte es diesen Typen nicht. Wobei ihr das sogar relativ egal war, immerhin war er auch nur solch ein Nebeneffekt von Luciens Rettung gewesen wie Farley auch. Auch auf ihre nächste Frage ging der Mann nicht wirklich ein – Shanaya schloss sich diesem Spiel also einfach an und kramte kommentarlos weiter in dem Schrank, bis ihre Finger gegen Papier stießen. Mit skeptischer Miene zog sie den kleinen Zettel hervor, auf dem Nichts geschrieben stand, und musterte ihn, drehte ihn hin und her. Auf keiner Seite stand etwas. Wer diesen unnützen Wisch wohl hier hatte liegen lassen?