07.09.2022, 09:07
Life is clearly light and shadow
Morgen des 01. Juli 1822
Shanaya Árashi & Tarón Valur
Mit den vergangenen Tagen war es Shanaya besser ergangen, was auch immer das Rätsel um ihre Schlaflosigkeit gelöst hatte, inzwischen fand sie wieder einfacher zur Ruhe. Das einzige, was ihr nun noch ständig durch den Kopf ging, war das Gespräch mit Liam. Es war zum Haare raufen, eine verzwickte Situation, in der sie sich mit sich selbst im Kampf befand. Es war nichts dabei. Gar nichts. Sie musste sich also auch keinerlei Gedanken darum machen. Mit einem leisen Schnaufen schwang Shanaya die Beine aus der Hängematte, schüttelte kräftig den Kopf, um auch den letzten Restgedanken dazu zu vertreiben. Für den Moment gelang es ihr… wobei der jungen Frau vollkommen klar war, dass das nicht lang anhalten würde. Aber vielleicht würde ihr die frische Morgenluft ein wenig dabei helfen, solange die Sonne nicht wieder gnadenlos vom Himmel brannte. Der Weg der Schwarzhaarigen führte sie also mit ruhigen Schritten die Treppe zum Deck hinauf, vorbei an manch leerer Hängematte. Sie würde also wahrscheinlich nicht allein sein, aber ein wenig Ablenkung schadetet sicherlich auch nicht.
Als sie schließlich die Planken des Hauptdecks betrat, die Arme mit einem leisen Seufzen in die Richtung des Himmels reckte, erkannte sie nicht unweit eine der Personen, die ihre Hängematte frühzeitig verlassen hatten. Mit einem amüsierten Schmunzeln trat sie auf Tarón zu, setzte dann eine förmliche Miene auf. „Guten Morgen, Herr Quartiermeister.“ Sie deutete eine leichte Verbeugung an, ein Lächeln voll sanftem Spott in der Stimme. „Ich hoffe, Ihr vergebt mir, dass ich nicht vor euch auf den Beinen war, um den roten Samtteppich für euch auszurollen.“ Damit erhob die Schwarzhaarige den Kopf wieder, gähnte ausgiebig. „Glaub aber nicht, dass du als Entschädigung etwas von meinem Frühstück abbekommst.“
Der Falke hatte Shannys Schritte bereits gehört, seinen Blick jedoch weiter auf das Meer hinaus gerichtet, bis die Dunkelhaarige bei ihm angekommen war, um ihr die Gelegenheit zu geben das Gespräch selbst zu eröffnen, so sie wollte.
Er selbst begrüßte es insgeheim sehr, dass sie ihn an diesem morgen aufsuchte und das lag nicht nur daran, dass er eine grundsätzliche Sympathie für das vorlaute Mädel hegte. Es gab ihm eventuell auch Gelegenheit sie auf etwas anzusprechen, dass er vor einigen Tagen entdeckt hatte und Shanaya für seine persönlichen Belange um einiges interessanter gemacht hatte.
Und tatsächlich hing es mit der Funktion zusammen, die er vor kurzem angenommen hatte.
Schmunzelnd wandte er den Kopf zu ihr.
„Der würde auch nur nass werden, faulen und stinken. Und zu deinem Glück bin ich kein großer Frühstücksfreund, ansonsten wäre ich jetzt schon gekränkt! Aber ich nehme ihre Entschuldigung an und wünsche meinerseits eigen gesegneten guten Morgen, Miss Árashi.“
Auch er täuschte eine Verbeugung an, doch sein Lächeln und das Funkeln in seinen Augen untermalten die Betonung ihres Nachnamens.
„Ich hätte nicht erwartet eine Tochter aus dem Anwärterhaus auf das freie Königreich unter uns zu haben.“
Damit fiel er ziemlich direkt mit der Tür ins Haus, doch Shanny war selbst der direkte Typ und sein Lächeln sollte ihr versichern, dass er das nicht als Attacke meinte. Dass Shanny HIER war und nicht bei ihrer Familie gab dem Falken genug Hinweis, dass sie wahrscheinlich selbst kein großer Fan dieser war…zumindest ging er bisher davon aus. Dennoch musterte er ihr Gesicht genau, als er ihre Antwort abwartete.
Shanaya wurde mit einem Schmunzeln begrüßt und blieb damit bei dem älteren Mann stehen, lauschte seinen Worten. Zustimmend neigte die Schwarzhaarige den Kopf etwas zur Seite, erstarrte dann ein wenig, als Tarón eine förmliche Anrede nutzte, die sie zuletzt zu ihrer Zeit im Internat zu hören bekommen hatte. Die blauen Augen legten sich auf den Quartiermeister, ließ ihn jedoch, nach seiner angedeuteten Verbeugung, noch weiter sprechen. Trotzdem lag ein angewiderter Ausdruck in den blauen Augen, und als er geendet hatte, seufzte Shanaya. „Weißt du… die Pluspunkte, die du bei mir dafür bekommen würdest, dass du das kombiniert hast, gehen wieder dank dieser Anrede drauf.“ Die junge Frau schüttelte sich kurz, lächelte dem Mann dann aber wieder versöhnlicher zu, auch wenn deutlicher Unwille aus ihrer Stimme sprach. „Ja… was soll ich sagen. Wenn das so weiter geht, musst du bald vor mir den roten Teppich ausrollen.“ Etwas, worüber sie nicht glücklich war. Sie reckte das Kinn ein wenig nach oben, auch wenn sie so trotzdem nicht auf Tarón hinab blicken konnte. Noch immer lächelte sie. „Die Carta hat mich verraten, oder?“
Was er zu sehen bekam war in der Tat sehr interessant. Hatte er damit gerechnet, dass sie ihrer Familie eine gewisse Abneigung entgegenbrachte, hatte er die wahre Tiefe dessen wohl unterschätzt. In Shannys Augen lag nichts anderes als Abscheu bei der Ansprache. Die Punkte die er wegen ihr verspielt hatte nahm er für die Informationen gerne in Kauf und dass sie so angwiedert den Mund verzogen hatte sorgte dafür, dass er sich von ihren Worten über rote Teppiche nicht provoziert fühlte. Bei ihrem versuch das Kinn zu recken, als wolle sie größer als er erscheinen musste er sogar leise lachen.
„Aye, hat sie. Hm ich fürchte die roten Teppiche sind allerdings rar, auch wenn ich ein Stück der Segel klauen könnte."
Nachdenklich legte er einen Finger an die Lippen und blickte zu dem Roten Stoff über ihnen, ehe sein Blick wieder zu ihr ging, forschend auf ihr verharrte während er weitersprach.
"Aber ich könnte es ohnehin nicht mit meinem Gewissen vereinbaren auch wenn du offenbar die Ausnahme deiner Familie zu sein scheinst und ganz persönlich meine volle Sympathie hast. Ich komme von Chikarn, deshalb muss ich dir leider gestehen nicht grade ein Unterstützer deines Hauses zu sein. Aber irgendetwas sagt mir, dass du das wohl selbst nicht bist.“
Es wunderte Shanaya, dass vor Tarón noch niemand auf die Idee gekommen war, ihren Namen mit dieser machtgierigen Familie in Verbindung zu bringen. Oder vielleicht hatten sie sich nur nicht getraut, sie darauf anzusprechen? Auch das war irgendwie sehr wahrscheinlich. Sie versuchte, sich noch ein wenig größer zu machen, ließ sich aber wieder zurück sinken, als Tarón leise lachte und weiter sprach. Sie folgte seinem Blick, gab ein leises, überlegendes Brummen von sich. „Ich kann Lucien und Talin bestimmt davon überzeugen, dass es sich dafür lohnen würde, etwas vom Segel abzuschneiden.“ Sie stellte sich die Blicke der Beiden vor, musste darüber selbst leise lachen. Sie hätte dieses Stück selbstständig wieder angenäht. Bei vollem Wind, im größten Sturm. Bei den weiteren Worten des Mannes zuckte die junge Frau locker mit den Schultern. „Glaub mir, wenn ich das Ganze irgendwie verhindern könnte, würde ich es tun.“ Sie zögerte einen Moment, haderte. War sie bereit, Tarón so viel von sich zu verraten? Ihr Lächeln wurde ein wenig schräger. Irgendwann würde jeder seiner Schlüsse mit ihrem Namen ziehen können. Und… besser, der Hüne erfuhr jetzt von der Gefahr, in der jeder steckte, der näher mit ihr zu tun hatte. „Aber meine nächste Begegnung mit meinem Vater überlebt er vielleicht nicht. Oder ich nicht. Je nachdem...“ Es würde ein blutiges Wiedersehen werden – an dem sich sicher noch ein anderes Familienmitglied beteiligen würde.
„Oh ja, sicher – ich kann mir schon vorstellen, wie die beiden es mit mir zusammen ausrollen!“ Stimmte auch er in den Scherz ein, ehe er verblasste und Shanny ihm gestattete etwas mehr hinter die Kulissen zu sehen. „Glaube ich dir.“
Stimmte er fast umgehend zu, weil es so war. Das Mädel war selbst freiheitsliebend und hatte sich von ihrer Familie – und damit sicher auch von dem Pfad, den diese für sie vorgesehen hatte – abgewandt. Dass sie hier unter Piraten segelte machte ihre alten Herren sicher nicht grade glücklich, so sie davon wussten. Auch wenn Tarón bewusst war, dass ein anderer Árashi ebenfalls als Pirat unterwegs war…aber das schien etwas anderes zu sein. Er sah sie nachdenklich an. „Ihr seid wohl nicht grade im Guten auseinandergegangen.“ Er lachte freudlos auf. „Naja…dass deine Familie wenig begeistert wäre dich in unserer Gesellschaft zu finden war mir klar und dass du sicherlich nicht grundlos alles hinter dir gelassen hast ebenso…aber der Riss geht offenbar tiefer als ich ahnte.“ Der Gedanke seinen eigenen Vater töten zu wollen schreckte ihn allerdings nicht, ließ nichtmal einen Muskel in seinem Gesicht zucken, obwohl ihm das zerfetzte Gesicht seiner eigenen Ausrede eines Vaters kurzzeitig aus dem sterbenden Auge entgegenblickte.
Shanaya nickte nur noch einmal auf die Ironie des Mannes hin. Ja… ganz sicher wären ihre Captains begeistert von dieser Idee. Über Taróns Worte musste die junge Frau dann doch lachen, offen und ehrlich. Mit, trotz dieses ungeliebten Themas, gut gelauntem Lächeln hob sie die Faust, boxte dem Älteren locker gegen den Oberarm. „Oh ja, wenn sie wüssten, dass ich mit einem Haufen stinkender, ungehobelter, skrupelloser Piraten segele… sie würden mehr als 60 Gold af meinen Kopf aussetzen, um mich schnellstmöglich hier weg zu bekommen.“ Nun fuhr die Schwarzhaarige sich mit einer Hand durch die Haare, richtete den Blick kurz zum Horizont, ehe sie sich wieder direkt an den Mann wandte. „Ich war das schwarze Schaf der Familie, also nein, alles andere als im Guten. Sie hatten Hoffnung in mich, die haben sie aber glaube ich, doch recht schnell aufgegeben.“ Ihre Stimme klang kein bisschen verbittert, das war eine Tatsache… und sie konnte sich damit bestens arrangieren. „Aber… dass sie sich jetzt auch noch einen Adelstitel an sich reißen wollen… obwohl es eigentlich sehr gut zu ihnen passt… mein Vater ist völlig machtbesessen. Also… viel Spaß dem neuen Herzogtum, sollte es ihm zugeschrieben werden.“
Tarón konnte nicht anders, als ihr Lachen zu erwidern, als Shannys Faust ihn leicht am Oberarm traf. „Hm…60 Goldstücke?“ überlegte er in offensichtlichem Scherz, ehe ihre weiteren Worte die Leichtigkeit doch etwas verfliegen ließen. „Die Hoffnung dich an einen passenden Gatten zu verhökern oder, dass du in ihre Machenschaften einsteigst?“ fragte er nun doch recht gerade heraus. „Auch wenn es von einem stinkenden ungehobelten und skrupellosen Piraten nicht viel bedeutet: ich glaube deine eigenen Hoffnungen in dich selbst sind ohnehin mehr wert.“ Dann schlich sich jedoch auch in seine Stimme Bitterkeit – und zwar die eines Raubtieres, das bereit war zu kämpfen wenn man es darauf anlegte. „Ja…ich dachte mir, dass es dabei nicht um das Glück der Leute geht. Aber unterschätz die Menschen des freien Herzogtums nicht. Ich bin kein Narr zu glauben, dass sie es an Gewalt mit vom Königshaus legitimierter Macht aufnehmen könnten, aber unser Herz schlägt frei und manch einer wäre eher bereit zu sterben oder aber gleich die Inseln abzufackeln, als in neuer Knechtschaft zu leben. Besser wenn es nicht erst geschieht, aber wenn doch mag sein Geschenk Gift enthalten mit dem dein alter Herr nicht rechnet…“ Er sah sie an, hob eine Braue. „Oder wir bringen dich einfach zu ihm und du frisst ihn für uns auf! Danach hättest du dir den roten Teppich allemal verdient.“
Shanaya hob mit einer Herausforderung in dem blauen Blick eine Augenbraue, ließ die Augen auf dem Älteren ruhen. „Und schon erzählt man sich Geschichten vom habgierigen Quartiermeister des Schiffes mit roten Segeln, der die überdurchschnittlich hübsche und über alle Maße talentierte Navigatorin der Crew für 60 Goldstücke verraten hat. Klingt irgendwie nicht so heldenhaft für dich.“ Schließlich nickte sie, grinste dem Mann vielsagend entgegen. „Auf jeden Fall ist mir die Meinung eines ungehobelten Piraten mehr wer als die meiner Familie.“ Zumindest… von manch einem Piraten, bei weitem nicht von jedem. So weit würde es gewiss auch nicht kommen. Bei seinen Worten wurde die Miene der jungen Frau ein wenig sanfter, sie lehnte sich seitlich an die Reling und lauschte ihm, bis er zu Ende gesprochen hatte. „Ich hoffe, dass sie ihm das Leben schön schwer machen, verdient hätte er es.“ Wobei er sicher seine Methoden hätte, um Aufstände im Keim zu ersticken. Dass sie ihn einfach auffressen sollte… Jaa… „Ich soll mir also für die Menschen dort den Magen verderben. Keine schöne Aussicht.“ Zumal sie, bevor sie an ihren Vater heran kam, an zwei Männern vorbei musste, mit denen sie sich schon ihr ganzes Leben herum schlug. Und einer davon war dieses unüberwindbare Hindernis, das auch in solch einem Moment Wut in ihrem Inneren hochkochen ließ. Aber Shanaya vertrieb diesen Gedanken mit einem leisen Schnaufen. Vielleicht hatte sie noch Zeit, bis sie Bláyron das nächste Mal begegnete. Sie hoffte es.
Tarón legte grinsend den Kopf schief „Aber aber, du missverstehst mich! Denn das wäre nur die eine Hälfte der Geschichte. Der äußerst clevere Quartiermeister würde die überdurchschnittlich hübsche, talentierte und intelligente Navigatorin natürlich nur zum Schein an ihre Häscher verkaufen, ehe er ihr unter Einsatz seiner eigenen Freiheit dabei hilft erneut zu entkommen, um dann das Gold mit ihr zu teilen! Klingt schon besser, oder?“ Er zwinkerte ihr leicht zu. „Er klingt nach einem Mann, der noch mehr verdient hätte, als nur das.“ Diese Worte kamen mit seltener Härte aus seinem Mund. Doch auch er seufzte. „Hoffen wir es kommt nicht soweit. Ansonsten müsstest du deinen Magen vielleicht dem Allgemeinwohl opfern. Oder Calkwah verwandelt sich doch noch in einen Drachen. Dann kann er das erledigen und wäre mal für etwas nützlich.“ Als hätte er es verstanden züngelte das angesprochene Schuppentier in seine Richtung, als würde er ihm die Zunge rausstrecken. „Ahnen sie, wo du dich aufhälst? Beziehungsweise in wessen Gesellschaft?“ Kam er zu der aktuell tatsächlich wichtigen Frage. Das Herzogtum war ein Thema – und es lag ihm trotz allem am Herzen. Aber Tarón war nicht auf Chikarn, Isala war nicht mehr auf Chikarn…sein leben war nun hier. Und damit auch seine Verantwortung. Und die galt Shanny ebenso wie allen anderen an Board.
Und wieder war es an Shanaya, bei der weiter ausgeführten Geschichte des Mannes aufzulachen. „Das klingt schon viel besser. Damit könnte ich leben.“ Sie wog ab, nickte dann aber noch einmal, ihre Worte untermalend. „Oh, das hätte er. Bei all den Geschichten, die ich über ihn höre, der gute Samariter… und dabei ist er das genaue Gegenteil davon. Ihm ist nur wichtig, dass sein Ruf stimmt, dass genug Geld zu ihm kommt. Viel mehr interessiert ihn nicht.“ Sie warf der erwähnten Echse ein sachtes Lächeln zu, spannte sich dann aber bei der nächsten Frage Taróns automatisch an. Zuerst schwieg sie, drehte sich nun vollkommen zur Reling und stützte sich darauf mit beiden Händen ab, womit sich ihre Finger fest an das Holz krallten. Die Wut, die beim bloßen Gedanken an ihren Bruder in ihr hochkochte, war noch nicht verschwunden. Etwas, was sie jedoch nicht über die Lippen brachte. „Sie haben mich jedenfalls schon einmal gefunden. Das war… bevor du zu uns gestoßen bist. Vermutlich habe ich es Lucien zu verdanken, dass ich mit meinem hübschen Hintern noch weiter mit dieser Crew segeln kann.“ Ihre Stimme wurde bei der Erwähnung ihres Captains deutlich weicher, sanfter, so wie sich ein sachtes Lächeln auf ihre Lippen legte, beinahe unbemerkt von ihr selbst. Er hatte ihr damals bei Mardoc geholfen… und auch nach der Begegnung mit ihrem Bruder war er da gewesen. „Aber es wird sicher nicht bei diesem einen Versuch bleiben.“
Tarón nickte knapp.
„Ja – etwas ähnliches dachte ich mir. Und ich kann nur hoffen, dass auch andere Leute sein Spiel durchschauen.“ Ein Lächeln mit einem Anflug bitteren Stolzes stahl sich auf sein Gesicht. „Aber von dem was ich gehört habe lassen sich zumindest einige Herzogtümler nicht so einfach täuschen, also…besteht vielleicht Hoffnung. Irgendeiner Art.“
Bei seiner Frage verspannte sich die dunkelhaarige. Tarón las aus ihrer Reaktion ebenso viel, wie aus ihren Worten. Es traf sie – doch da es die Crew ebenso betraf bereute er nicht gefragt zu haben. Und auch der Ausdruck auf ihrem Gesicht und in ihrer Stimme entging ihm nicht.
„Oho…“ sagte er nur und zog die Brauen hoch ehe er sie verstehend angrinste. Der Captain also…er merkte sich das, was er aus ihrer Antwort zu lesen glaubte für später. Er wischte sich den Ausdruck jedoch wieder vom Gesicht, als er den ernsten Teil ihrer Worte aufgriff. Neben ihr lehnte er sich an die Reling und sah aufs Meer raus.
„Wenn sie kommen, werden wir sie zurück ins Meer werfen.“ Er rempelte sie sanft mit seiner Schulter an. „Was anderes bleibt uns ja nicht. Sonst segeln wir in Zukunft nurnoch im Kreis.“
„Ich hoffe es, ich habe keine Lust, dass man von der gesuchten Herzogstochter spricht.“ Shanaya schauderte bei diesen Worten noch einmal. „Also ja, hoffen wir auf genug Gegenwehr. Ich denke, all zu lange wird diese Entscheidung nicht mehr auf sich warten lassen.“ Bei dem einen Wort, das mit einem Grinsen über Taróns Lippen gekommen war, blinzelte sie dem Mann nur fragend entgegen, wog den Kopf etwas zur Seite, als er schon weiter sprach und ihre Gedanken damit von ganz allein umlenkte. Er rempelte sie locker an und etwas in Shanaya verkrampfte sich mit seinen Worten. Sie hatte es Lucien schon gesagt… das war ein Kampf, den sie allein beschreiten musste. Und es fiel ihr schon bei ihrem Captain schwer, daran zu glauben, dass sie nicht allein war, wenn es dazu kam. Ihr Lächeln nahm also einen leicht erschöpften Zug an, als sich die blauen Augen wieder aufs Meer richteten. „Im besten Fall ist niemand von uns, außer mir, in der Schussbahn.“ Ihre Stimme war ein wenig leiser geworden. Sie fürchtete nicht ihren Vater, nicht Bláyron. Aber gerade bei ihrem Bruder wusste sie, was für eine Freude er daran haben würde, die zu quälen, die ihr nahe standen.
Tarón schwieg einen Moment, ließ die beiden anderen Themen vorerst fallen und verblieb beim letzten Punkt. Er verstand sie. Er selbst wusste nur zu gut, was es hieß, wenn Menschen, die einem nahe standen dafür bezahlten, was eigentlich nur einen selbst etwas anging. Auch er brachte die Sphinx in Gefahr. Er sah zu Calwah.
Auf ihre Art taten sie das vielleicht alle. Wie viele Geheimnisse sich wohl noch an Board befanden? Geheimnisse, die sie im schlimmsten Fall alle in Lebensgefahr bringen mochten…
„Wir sitzen hier alle in einem Boot, Shanny. Wörtlich und im übertragenen Sinn. Ich verstehe, dass das dein privates Ding ist und auch, dass du glaubst uns nicht da mit reinziehen zu dürfen…aber erwarte nicht von deinen Freunden tatenlos daneben zu stehen, wenn sie tatsächlich auftauchen.“
Aus seinem Mund war das zumindest kein hohles Gerede. Das wusste er. Dafür kannte er sich mittlerweile gut genug. Es gab diese Momente im Leben eines Mannes in denen er feststellen konnte, ob er nur daran glauben wollte ein Rückgrat zu besitzen oder dieses tatsächlich hatte. Nicht immer war es gut wenn man feststellte, dass die eigene Moral tatsächlich bindend war. Leichter war es, wenn man nicht zu sehr auf die innere Stimme hörte…doch Tarón konnte sie nicht ignorieren. Und in seinem Fall hatte das nichts damit zu tun, dass er die Situation auf die leichte Schulter nahm oder unterschätzte.
„Dieser Bláyron, der die Meere unsicher macht, ist dein Bruder nehme ich an?“
Er hatte von einem Bláyron Árashi gehört und was er gehört hatte stimmte ihn wenig fröhlich. Wenn sie den auch am Hals hatten, wäre Shannys Vater wahrscheinlich das kleinere Problem.
Shanaya lauschte, ob Tarón weiter sprach, hielt den Blick jedoch zum Horizont gerichtet. Sie wusste, was geschehen würde, wenn sie zu viele Menschen an sich heran ließ, ihnen davon erzählte. Und es gefiel ihr nicht. Auch, als der Hüne weiter sprach, wandte die junge Frau den Kopf nicht herum, sie lachte nur leise auf, ein wenig freudlos. Auf wen konnte sie sich in solch einem Moment wirklich verlassen? Bei Lucien war sie sich relativ sicher, er hatte ihr schon zwei Mal beigestanden. Talin würde vielleicht auch nicht von ihrer Seite weichen. Wie sah es mit dem Rest aus? Sie konnte es nicht verhindern und hoffte doch darauf, dass niemand davon etwas mitbekommen würde. Obwohl ihr Vater wohl das kleine Übel war. „Wir können uns wohl nur überraschen lassen, was passieren wird.“ Die Frage, die Tarón dann stellte, ließ Shanaya automatisch jeden Muskel in ihrem Körper anspannen. Noch einmal gruben sich ihre Finger fester in das Holz unter ihren Händen. Sie hatte damit gerechnet, so oft war dieser Name nicht. Und bekannt allemal. Sie nickte nur, während die bloße Erwähnung dieses Namens das altbekannte Feuer von Hass in ihr lodern ließ. Und wenn sie im Kampf gegen ihren Vater, und auch Mardoc, noch jemanden an ihrer Seite akzeptierte… ihm durfte sie nur allein gegenüber treten.
„Aye…was wirklich passiert kann nur die Zeit zeigen.“ Stimmte er ihr zu. Er nahm es ihr nicht übel, dass sie sich nicht auf flüchtige Worte verließ. Das war richtig so. Nur allzu oft und schnell äußerten Menschen Unterstützung, die sie dann nicht gaben, wenn es darauf ankam. Nur Tarón selbst konnte wissen, wie ernst ihm seine Worte waren und wie klar ihm die Tragweite war. Seine Augen glitten zur Seite, beobachteten, wie sich ihre Hände in das Holz krallen, als wolle sie die Sphinx unter ihnen entzwei brechen. Eine noch stärkere Reaktion als zuvor. „Geschwisterliebe ist dann wohl auch nicht…“ stellte er leise fest. Nicht, dass er davon etwas erwartet hatte. Dieser Bláyron hätte gut auf die Hangman gepasst – zu ihren schlimmsten Zeiten. Und wahrscheinlich wäre selbst dieses Schiff mit seinem verdammten Captain noch zu gut für ihn gewesen.
Shanaya hasste ihren Bruder nur noch mehr für diese Reaktion, die er immer wieder in ihr hervor rief, selbst, wenn er nicht einmal in der Nähe war. Aber dieser Hass riss sie jedes Mal auf neue mit sich, ließ sie die Kontrolle verlieren, die ihr so wichtig war. Ein Teufelskreis, aus dem sie in all den Jahren noch keinen Ausweg gefunden hatte. Und vielleicht konnte sie all das erst durchbrechen, wenn ihr Bruder bekommen hatte, was er verdiente. „Wir könnten nicht weiter davon entfernt sein.“ Kälte schwang in der Stimme der jungen Frau mit, als sie Tarón ein verbissenes Lächeln zu warf. Nur ein Moment, ehe ihre Augen sich wieder dem Meer zu wandten, den Wellen, die am Rumpf der Sphinx brachen. Shanaya schluckte, ihre Hände, die noch immer auf dem Holz lagen, entspannten sich jedoch ein wenig mit den tiefen Atemzügen, die sie nahm. Sie hatte ihre Zweifel, ob sie das in den Griff bekommen würde, solange ihr Bruder noch durch die Welten wanderte.
„Hm.“ Ein zustimmendes Brummen. Tarón sah nicht direkt zu ihr, gab ihr Raum, um ihre Fassung wiederzuerlangen und durchzuatmen, doch wie sehr sie der Gedanke an ihre Familie – ihren Bruder insbesondere- aufbrachte war nicht zu übersehen. Auch wenn er sich damit wohl in einen Sturm wagte interessierte ihn die Sache zu sehr, um sie jetzt schon völlig ruhen zu lassen. „Also warum du deine Familie verlassen hast ist damit zumindest im Groben deutlich – aber wie kam es dazu, dass du zum schwarzen Schaf wurdest und wie hat dich dein Weg zur Sphinx geführt? Wenn ich fragen darf?“
Tarón ließ ihr einen Moment Raum für sich, bohrte nicht sofort nach. Und es half, dass Shanaya sich wieder etwas beruhigte, die Flamme in ihrem Inneren etwas ablöschen konnte. Es reichte, dass die junge Frau den Blick zu ihm herum wandte, als er weiter sprach, ein wenig genauer nachfragte. Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, womit sie sich eine ihrer schwarzen Strähnen um den Finger wickelte und dem Älteren einen eindeutigen Blick zuwarf. „Ich wurde als schwarzes Schaf geboren.“ Shanaya lachte leise, richtete den Blick dann aber wieder auf das Meer, nahm sich einen Moment, um über eine weitere Antwort nachzudenken. Wie viel war sie bereit, dem Quartiermeister zu offenbaren? Wie viel konnte ihr von ihrer Geschichte wissen, ohne es vielleicht einmal gegen sie zu verwenden? Reichte ihm vielleicht schon das, was er bisher wusste? Sie würde ihm sicher nicht jedes Detail erzählen, dazu traute sie ihm einfach noch nicht genug, auch wenn er ihre Stimme zum Quartiermeister bekommen hatte. Wenn auch an zweiter Stelle. Mit einem ruhigen Atemzug wandte sich die Schwarzhaarige also wieder herum, richtete die blauen Augen direkt auf ihr Gegenüber.
„Wie du dir sicher denken kannst, war mein Leben voller Zwänge, Erwartungen, Verpflichtungen. Alles Dinge, mit denen man bei mir nicht weit kommt. Davon abgesehen, dass ich schon als Enttäuschung geboren wurde…“ Shanaya lächelte dem Mann offen entgegen, in ihrem Gesicht spiegelte sich keine Verbitterung über diese Tatsache wieder, sie nahm das ganze mit Humor. „Weil… weißt du… Männer sind so viel mehr wert als Frauen.“ Sie zwinkerte Tarón zu, sprach dann weiter. Jetzt wieder etwas ernster. „Ich habe nie dorthin gepasst, weil ich schon immer meinen eigenen Kopf, meinen eigenen Willen hatte. Ich habe früh angefangen zu stehlen, mich zu prügeln. Und es macht sich natürlich nicht gut, wenn solche Geschichten die Runde machen. Ich wollte schon früher weg von dort… aber ich habe die Jahre genutzt, um auf meinen Traum hin zu arbeiten. Ich habe mich mit der Navigation beschäftigt, habe alles an Wissen aufgesaugt, das ich finden konnte. Bis sich mir die Chance bot, von Yvenes zu entkommen. So kam ich zu Talin auf die Sphinx und werde jetzt gesucht als… entführte, verschollene Tochter einer möglicherweise bald Adelsfamilie.“ Nun hob die junge Frau beide Fäuste, streckte sie etwas in die Höhe. Eine Geste, die mit den Zügen auf ihrem Gesicht nur so vor ironischer Begeisterung strotzte. Gleichzeitig lag in den blauen Augen die Erwartung, dass Tarón dazu vielleicht noch andere Fragen einfielen.
Taróns Blick ruhte auf ihr, während er ihr zuhörte. Und dann stahl sich ein spitzbübisches Lächeln auf seine Lippen als er nicht umhin kam einzuwerfen: „Hm…na mir klingts danach, als hätte sie doch genau das bekommen, was sie wollten? Nur ohne Schwanz! Dafür aber mit genauso viel Eiern wie jeder Junge sie gehabt hätte – aber wenn sie dich als holde Jungfer in Nöten suchen haben sie das wohl immer noch nicht ganz kapiert.“ In seinen Augen lag echte Sympathie für das toughe Mädchen. „Und wie bist du ausgerechnet auf Talin gekommen?“ Dies war unter anderem auch eine gute Gelegenheit mehr über ihren Werdegang zu erfahren. Denn auch was ihre Captain anbelangte fehlten Tarón noch einige Puzzlestücke in seiner Sammlung.
Shanaya blickte neugierig zu Tarón, als in seiner Stimme etwas deutlich amüsiertes mitschwang. Schließlich lachte sie selbst, zuckte mit beiden Schultern und grinste dem Mann dann amüsiert entgegen. „Und zumindest mehr Eier als die meisten… ‚Männer‘ in dieser Crew.“ Dass sie von einigen von ihnen keine große Meinung hatte, selbst wenn sie mit ihnen gut zurecht kam, war deutlich aus ihrer Stimme heraus zu hören – und daraus machte die Schwarzhaarige auch kein Geheimnis. „Gerade mein Vater würde niemals zugeben, dass ich irgendetwas drauf habe. Der Gesellschaft spielt er in Perfektion vor, dass sein armes Töchterchen ganz auf sich allein gestellt ist… und sich niemals alleine befreien würde können.“ Als Tarón sich erkundigte, wie sie auf Talin gestoßen war, wurde das Lächeln der jungen Frau ein wenig breiter. „Dir ist klar, dass ich für jede beantwortete Frage mindestens eine über dich beantwortet haben will? Ich bin… geflohen. Und das nicht unbedingt in bester Verfassung, der Abend davor ist vielleicht etwas eskaliert. Sie hat mich gefunden, mir geholfen und dafür habe ich mich revanchiert, indem ich mit ihr ihren Bruder gerettet habe.“
Taróns sich ein wenig verziehender Mund begleitet von einem Zucken des Kopfes war die einzige Antwort, die er auf die Eier seiner Mit-Piraten gab – aber die Geste drückte bereits aus, dass auch er sich nicht ganz sicher war wie viel Mumm einige von ihnen tatsächlich hatten. Allerdings äußerte er seine Skepsis nicht so offen wie Shanny, noch ging er allgemein so sehr mit den anderen ins Gericht. Potential und Nutzen konnte immerhin verschiedene Formen annehmen. Stattdessen stolperte er in seinen Gedanken nun über die Vorstellung von Shanaya in einem rosa Kleidchen….und Schleifen in ihrem Haar. Und er musste sich zusammenreißen um nicht loszulachen. „Du armes kleines Ding du...“ troff die Ironie aus seinem Mund, der angesichts der Vorstellung erneut zuckte – jedoch ganz anders als zuvor. Ihre weiteren Worte bedachte er mit einem weit wölfischerem, scharfsinnigeren Grinsen. „Deal. Dann stell deine Fragen. Aber vorher noch eine von mir: ich weiß du bist sowohl abenteuerlustig, als auch verwegen. Und du wolltest weg. Aber Talin …hat sie dich einfach so nach deiner Hilfe gefragt?“
Die Worte des Mannes ließen Shanaya noch einmal leicht den Kopf neigen, in stiller Zustimmung. Sie war immerhin erst 17 Jahre alt – also völlig unfähig, für sich allein zu sorgen oder sonst etwas auf die Reihe zu bekommen. Mehr sagte die Schwarzhaarige dazu jedoch nicht. Tarón gehörte zu den Wenigen, die sie nicht auf ihr Alter, oder ihr Geschlecht, beschränkten, und Shanaya hoffte, dass es dabei bleiben würde. Ihre Worte entlockten dem Mann schließlich ein Grinsen, auf das jedoch noch eine Frage seinerseits erfolgte, die das Lächeln der jungen Frau wieder ein wenig wärmer werden ließ. „Wenn man es genau nimmt, war das ihre einzige Chance. Auf einem Schiff voller Männer als einzige Frau eine Meuterei zu planen ist schon waghalsig genug… Es war also das Klügste, mich in ihre Pläne einzubeziehen. Und ich habe ihr gesagt, dass ich ihr damit, dass sie mir das Leben gerettet hat, einen riesigen Gefallen schulde. So kam eins zum anderen, ich stehe nämlich nicht gern in der Schuld eines Anderen.“ Ein vielsagender Blick galt ihrem Gegenüber, dann ein sachtes Lächeln auf ihren Lippen. „Gut, ich fange mit etwas Einfachem an. Wieso hast du dich entschlossen, mit uns zu segeln? Was hat dich überzeugt?“
Klick Klick – erneut fügten sich die Puzzleteile an die ihnen zugehörigen Stellen im großen Mosaik das Taróns Geist darstellte. Mit ihren Worten hatte Shanny einiges mehr über sich preisgegeben – vor allem etwas über ihren Charakter. Tarón nickte zustimmend. Das passte – sowohl zu dem Stolz denn die Dunkelhaarige generell zeigte, als auch zu ihrem tiefer liegenden Kern, den Tarón als durchaus loyal und aufrichtig ansah. Wenn Shanny auch wählerisch damit war, wem sie diese schenkte, so schien sie für Menschen, die ihren Respekt und ihre Zuneigung hatten bereit sehr viel zu riskieren. Nun aber war es ihr Zug. Eine leichte Frage – je nachdem, wie tief man schürfte. „Der Kontrast zu den Mannschaften, mit denen ich zuvor gesegelt bin.“ Er wandte den Blick wieder aufs Meer, die Unterarme an die Reling gestützt, während der Wind ihm Salz in die Nase trieb. „Ich werde nicht jünger…“ Er warf ihr ein verschmitztes selbstironisches Lächeln zu, ehe sein Blick wieder hinaus auf die Wellen fand. „Vielleicht macht mich das weicher. Aber das hier ist keine konventionelle Piratencrew. Und ich befürworte das. Außerdem…“ – und nun glitt sein Blick hinauf zu den roten Segeln die sich über ihnen im Wind blähten – „…glaube ich, dass dieser Kahn dazu bestimmt ist eine verdammt gute Geschichte zu erzählen. Und ich will verdammt sein, wenn ich mir das entgehen lasse!“ Nachdenklich, fast etwas melancholisch sah er Shanaya an. „Denn am Ende ist alles Geschichte. Und die Geschichte alles.“