19.04.2020, 17:19
Arbeit und Chaos
Morgen des 02. Mai 1822
Greo & Shanaya Árashi
Die Nacht, zum Teil mit Gesellschaft von Skadi, hatte ihre Spuren hinterlassen. Shanaya hatte kaum Ruhe gefunden, hatte gar nicht erst den Weg in ihre Hängematte gefunden. Zu müde, zu aufgewühlt. Irgendwann hatte sie sich also eins der größeren Tücher besorgt und war damit zurück ans Deck gekehrt. Der Himmel war klar, es war nicht all zu kalt. Was sprach also dagegen, sich hier ein wenig auszuruhen, wenn sie schon nicht schlafen konnte? Direkt neben dem der ersten Treppe zum Achterdeck hatte sie sich also in besagtes Tuch gewickelt, hatte eine ganze Zeit lang die Sterne beobachtet – bis sie schließlich einfach eingeschlafen war. So verstrich die Zeit und auch der sanfte Wind des Morgens weckte die junge Frau nicht, die mit dem Kopf an das Holz gelehnt schlummerte.
An für sich war Greo kein lauter Mensch, weder in seiner Sprache noch seinem Gebaren. Natürlich ließ sich eine gewisse Geräuschkulisse nicht vermeiden, wenn er arbeitete und aktiv durch die Gegend werkelte. Aber zumeist fiel er nicht durch polternde Schritte oder Unachtsamkeit gegenüber seinen Mitmenschen auf. Als er jedoch an diesem frühen Morgen das Deck betrat, konnte er nicht wissen, dass seine dunkelhaarige Freundin es sich in einer Nische neben der Treppe gemütlich gemacht hatte und er wäre fast in sie hineingelaufen. Hinter sich schloss er möglichst sachte die Tür, was vor Schreck mehr oder minder gut funktionierte. Er glotzte die wie eine Teigrolle eingemummelte Shanaya etwas irritiert an. Dann ging er in die Hocke und zupfte an dem Tuch, in das sie gewickelt war, damit sie es wärmer hatte.
Irgendein Geräusch ließ Shanaya in einen leichten Dämmerschlaf verfallen. Sie konnte es nicht zuordnen, waren es Schritte, eine Tür, der Wind in den Segeln oder etwas vollkommen anderes. Aber ihr tiefer Schlaf war dahin, vor allem, als etwas ihre Decke bewegte. Sie wurde ein Stück höher gezogen und allmählich wachte die junge Frau auf. Jetzt spürte sie den sachten Wind, der ihre Nase kitzelte. Langsam schlug Shanaya die blauen Augen auf, blinzelte einige Male, um sich an das Licht zu gewöhnen. Erst dann fiel ihr eine Gestalt auf, die sie jetzt jedoch noch nicht erkannte. Sie setzte sich etwas auf, scheinbar ein wenig verwirrt darüber, wo genau sie war.
„Sh sh.“, machte er und winkte ihr sachte zu. „Ich wollte dich nicht wecken.“ Je leiser er sprach, desto dunkler schien seine Stimme zu sein und desto eher verwischte sie der Wind. Er kniff die Augen zu einer verschmitzten Mimik zusammen. „Was machst du denn hier an Deck.“, murmelte er, ohne eine Antwort zu erwarten, und steckte die Decke an ihren Füßen noch ein wenig fester.
Er wollte sie nicht wecken? Zu spät! Aber die Dunkelhaarige nahm es ihrem Freund nicht übel - im Gegenteil. Wirklich zu schlafen war nicht ihr Plan gewesen. Er wickelte sie noch mehr in die Decke ein und ein sanfter Anflug von Wärme ließ sich nicht vermeiden. "Das sieht man doch..." In ihrer müden, leisen Stimme lag ein deutlich gespielter Unterton. "Ich Versuche, nicht einzuschlafen." Mit einem dachten lächeln setzte Shanaya sich etwas auf, musterte den Hünen. "Und du willst jetzt schon arbeiten?"
Vermutlich war es ihr nun nicht mehr möglich, sich ohne fremde Hilfe aus dem Kokon zu befreien, den er um sie herum fixiert hatte. Aber das machte ja nichts. Es tat ihr bestimmt mal gut, auf ihren vier Buchstaben zu sitzen und nicht herumzuwuseln. Entgegen seiner Einschätzung konnte sie sich aber immer noch ganz gut bewegen. Greo hatte die Unterarme auf den Knie abgelegt und sah sie nun stirnrunzelnd an. „Was ist das für eine Frage?“, brummelte er, „Bist wohl sonst nicht oft hier oben in aller Frühe. Ich stehe meistens auf, wenn es noch dunkel ist.“
Mit einem leicht müden Blinzeln beobachtete Shanaya Greo, war sich noch nicht ganz sicher, wo sie das alles einordnen sollte. Vielleicht schlief sie auch noch? Möglich war es immerhin. Noch einmal blinzelte die junge Frau, gähnte und wog den Kopf dann ein wenig zur Seite, als der Dunkelhaarige antwortete. „Dann haben wir uns wohl schon öfter verpasst...“ Sie schmunzelte. „Dass du überhaupt schläfst überrascht mich immer wieder.“
Sah eigentlich ganz gemütlich aus, wie sie da hockte. Das wäre vielleicht eine annehmbare Alternative zu den Hängematten, überlegte Greo, der eigentlich überall schlafen konnte, wo es ihm möglich war, die Beine auszustrecken. „Haben wir wohl.“, meinte er, obwohl sie sich schon oft genug in aller Frühe irgendwo auf dem Schiff getroffen hatten. „Abgesehen davon: überrascht mich auch. Und mich wundert’s, dass du hier rumhängst. Hast du durchgemacht?“
Shanaya hätte, wie so oft, den Kopf über Greo geschüttelt, hätte sie es gerade nicht unglaublich komfortabel gehabt. Dieser Kerl war wirklich eine Klasse für sich. Allerdings auf eine sehr angenehme Weise. Seine Frage ließ die Schwarzhaarige ein wenig müde blinzeln. Ob sie durch gemacht hatte? „Jein, also irgendwie schon... aber eigentlich nicht.“ Wirre Worte, die jedoch sehr gut ihren Zustand widerspiegelten. „Ich habe heute Nacht mit Skadi gesprochen, wollte mich dann eigentlich nur einen Moment hier hin setzen und die Ruhe genießen, bevor ich mich in meine Hängematte schleppe.“ Kurz kniff sie die blauen Augen zusammen, lächelte Greo dann etwas schräg entgegen. „Hat gut geklappt.“
War sie überhaupt schon richtig wach? Sie machte den Eindruck auf ihn, dass sie sogleich wieder in irgendeine Traumwelt davonschweben würde. Er runzelte die Stirn. „Ihr Labertaschen.“, kommentierte er mit Anspielung auf die Uhrzeit und richtete sich wieder auf. „Dann geh mal schlafen, sonst wird das mit deinem Dienst heut nix mehr.“
Auch Shanaya, die sonst kein Problem mit den frühen Morgenstunden hatte, merkte diese Nacht bis in die Knochen. Auch wenn langes wach bleiben ihr sonst kaum etwas anhatte, in dieser Nacht dann doch. Und das merkte Greo ihr natürlich an, was die junge Frau erneut leise seufzen ließ. Dafür tat sie es dem Dunkelhaarigen gleich, pellte sich aus der Decke und erhob sich langsam auf die Füße, gähnte dabei ausgiebig und streckte die Arme in die Luft. „Quatsch. Man kommt nur richtig in Gang, wenn man etwas tut...“
Er hätte einfach weitergehen sollen, dann wäre sie eingeschlafen und hätte sich vielleicht mal richtig erholt. Aber wie es aussah, kam es einfach nicht so weit. „Bleib doch si – “, setzte er an, kam aber nicht weiter. Etwas resigniert sah er ihr dabei zu, wie sie die Müdigkeit gleich einem Umhang abstreifte. „Und an was für Gänge hattest du gedacht?“
Natürlich versuchte der Dunkelhaarige sie dazu zu bewegen, sitzen zu bleiben. Aber jetzt wo sie wach war und es vermutlich bald eh nicht mehr so ruhig sein würde... Shanaya hielt die Arme noch einige Moment in die Luft erhoben, atmete tief die frische Luft ein, ehe sie die Arme sinken ließ und Greo mit einer grüblerischen Miene anblickte. „So weit bin ich noch nicht. Aber da es immer etwas zu tun gibt...“ Mit einem lockeren Lächeln musterte sie den Dunkelhaarigen und ließ den Blick beinahe suchend über das Deck schweifen.
Bisweilen wurde ihm etwas unbehaglich, wenn sie den Blick scheinbar unbekümmert durch die Gegend gleiten ließ und dann irgendetwas wie ein Raubtier fixierte, auf dass sie sich mit Begeisterung stürzen konnte. Nicht, dass er ihren Eifer nicht schätzte – er war einfach nicht scharf drauf, dass sie ihm im Zuge ihrer gut gemeinten Hilfe Chaos in seine wohlsortierte Arbeit brachte. Eigentlich konnte er das bei einem Mannschaftsmitglied leiden. Daher war ihm Aspen lieb, da sie sich beide klare Anweisungen zu ihren Aufgabenfeldern zuspielten und es dann auf sich belassen konnten, in der Gewissheit, dass der andere einem nicht ins Werk pfuschte. „Gibt ein Fass zu schrubben.“, bot er an und deutete auf das entsprechende Objekt, weil das einerseits stimmte und man andererseits nicht viel durcheinanderbringen konnte. Er sah ihre Stärken einfach eher in der Navigation.
Shanaya erwischte sich selbst dabei, wie ihr Blick in diesem Moment nicht nur nach Arbeit suchte. Das war ihr Hauptgrund, ja. Aber es lag weit mehr in ihrem Blick als der Drang, sich mit Arbeit etwas wach zu rütteln. Auf Greos Worte hin wandte sie also nicht den Blick sofort zurück, schien auf die Sache mit dem Fass im ersten Moment gar nicht zu reagieren. Erst einige Herzschläge später richtete sie den blauen Blick herum, gab ein gespielt beleidigtes Brummen von sich, trug dabei jedoch ein Lächeln auf ihren Lippen. „Mehr traust du mir also nicht zu, ja?“
Entweder, sie war noch nicht ganz auf ihrer geistigen Höhe, oder aber nicht bei der Sache. Ihre Antwort kam einen Herzschlag später, als es üblich gewesen wäre und er neigte mit einem prüfenden Blick das Kinn. „Du suchst doch sowieso nur eine Ablenkung.“, sagte er, ging an ihr vorbei und griff nach ein paar etwas abgewetzten Lappen und einer hartborstigen Bürste.