26.03.2020, 17:52
Es passte Shanaya nicht, den Fremden an Bord zu lassen. Auch wenn Farley bei ihm war, irgendwie lag ihr das Ganze schwer im Magen. Aber in diesem Moment ging es um jede Sekunde, die sie hatten. Also musste sie sich für den Moment damit abfinden. Sie waren inzwischen in der Überzahl, und selbst wenn er sich doch mit dem Mann zusammentat, der bis eben noch vor ihren Füßen gehockt hatte, konnten sie locker etwas gegen die Beiden unternehmen.
Gregory hatte sich Greo angenommen, was sie schon mit einem leisen Zähneknirschen hingenommen hatte. Es passte ihr noch viel weniger, dass sie nicht an jedem Ort gleichzeitig sein konnte. Dass sie sich nicht um ihren Freund kümmern konnte, da sie nicht einmal wusste, was sie für ihn hätte tun können. Stattdessen wandte sie sich also an Liam, beobachtete aus den Augenwinkeln, wie der bärtige sich in die Richtung der Planke bewegte. Und irgendwie hatte sie es befürchtet, und reagierte trotzdem recht wenig, als der Fremde die Richtung änderte. Einen Moment hatte sie überlegt, ihm nach zu setzen, aber... die Zeit, die ihr im Nacken saß, hinderte sie daran. Sie hoffte, dass er klug genug war, um sich zu benehmen, ansonsten hätten sie ganz schnell ein Problem. Ihr Herz machte dennoch einen Satz, als er die Treppe hinauf geeilt war und nach einem Gewehr griff. Kurz stockte Shanaya der Atem, in dem Moment in dem sie befürchtete, er würde die Waffe auf sie richten. Greo war, was das anging, in Sicherheit. Sie biss also fest die Zähne aufeinander, nickte nur kurz angebunden Elian zu, der sich auf den Weg machte, um die Sphinx für die Weiterreise vorzubereiten. Erst dann drang die Stimme des Bärtigen zu ihr durch. Er hatte die Waffe nicht auf sie oder jemand Anderes auf dem Schiff gerichtet – er zielte auf den Hafen. Kurz blinzelte die junge Frau verwirrt, folgte dann dem Lauf seiner Waffe. Seine Worte beruhigten sie nicht wirklich, ihr Herz klopfte nur noch einmal einige Takte schneller. Es schien ja Nichts zu heißen, dass Trevor keinen Ton von sich gab, wie man an dem Blonden sehen konnte, der sich irgendwo mit Elian herum trieb. Sie überlegte, ob sie ihm erklären sollte, wann er schießen sollte, aber auch hier entschied sie sich dagegen. Vielleicht besaß er ja genug Verstand, um zu verstehen, wann die Fremden hier nicht erwünscht waren. Am liebsten hätte sie sich selbst das Gewehr geschnappt, auf den Hafen gezielt... aber es gab Sinnvolleres für sie zu tun, also wollte sie sich gerade wieder in Bewegung setzen, als Schritte hinter ihr ihre Aufmerksamkeit erneut umlenkten. Eigentlich hatte sie sich nur noch kurz versichern wollen, dass niemand das Schiff betrat, der hier Nichts zu suchen hatte. Aber als sie den Kopf herum drehte, einen prüfenden Blick über die Schulter warf, konnte sie sich nicht gegen das Gefühl wehren, welches sie in diesem Moment vollkommen ausfüllte.
Lucien.
Einen zerreißenden Moment hörte Shanayas Welt sich auf zu drehen, mit einem Mal überschlug ihr Herz sich beinahe, irgendwo zwischen einer Freude, die sie selbst nicht zulassen wollte und der Sorge, die sie noch viel mehr verdrängen wollte. Zweiteres galt der Wunde an seiner Seite, an dem Blut an seinem Hemd, der Farbe seiner Haut. Ihr Inneres verkrampfte sich, die blauen Augen ruhten nur auf dem Dunkelhaarigen, auf ihre Lippen schlich sich ein warmes, sanftes Lächeln. Er lebte wirklich und er war hier. Nur kurz huschte ihr heller Blick an ihm vorbei, aber noch tauchte niemand von Bedeutung auf. Sie wollte sich dem Captain ganz zu wenden, als es wieder Gregory war, der sie aus dem Konzept riss. Er trat zu Lucien, schnappte sich seinen Arm und Shanaya musste den brennenden Impuls, ihn von Lucien weg zu schubsen unterdrücken. Er wollte helfen. So wie er Greo helfen wollte. Aber konnte er beide gleichzeitig genug versorgen? So schnell ihr verwirrter Verstand es zu ließ, überschlug die junge Frau die Anwesenden, die Aufgaben, die sie erledigen konnten. Würde sie sich zu den drei Männern unter Deck begeben können? Sie schluckte trocken.
Als nächstes trat Enrique zu ihnen und er sah nicht wirklich aus, als könne er groß etwas helfen. Noch fester biss Shanaya die Zähne aufeinander. Verdammt. Gregory machte sich mit Lucien auf den Weg unter Deck und Enrique wandte sich mit Worten an sie, die sie ihm einen ruhigen Blick zuwerfen ließen. Auch wenn alles in ihr sich sträubte, dem Dunkelhaarigen irgendetwas zu überlassen, so sagte ihr Verstand genau das Gegenteil. Wenn er nicht mit anfassen konnte, was nur schwer zu übersehen war, würde er nur noch auf die Liste von denen kommen, die Enrique versorgen musste. Lucien war hier, Talin würde also sicher bald folgen. Hoffentlich. Zu gerne wäre Shanaya nun selbst los gezogen, um ihre Freundin zu finden, um sie sicher zum Schiff zurück zu bringen. Auch sie war verletzt. Jetzt vielleicht noch mehr als bei ihrem letzten Treffen. Wieder drehte sich der Magen der jungen Frau bei diesem Gedanken um, sodass sie ihn mit einem kurzen Schütteln ihres Kopfes beiseite warf. Schließlich rang sie sich nur dazu durch, Enrique ruhig zu zunicken. Sie hoffte, dass er das Ganze nicht verpatzte.
Ein weiterer, kurzer Atemzug, ehe sie sich umwandte, Gregory direkt folgte. Ihr aufgeregt pochendes Herz trieb sie zur Eile an. Zur Eile, von dieser Insel weg zu kommen, die Verletzten zu versorgen. Sodass sie ohne größere Verluste aus dieser Sache heraus kamen. Während sie dem Arzt folgte, kramte sie mit einer Hand in ihrer Tasche, fischte damit das kleine Stück Holz heraus, um das ein feiner Faden gewickelt war, sowie ein kleines, hölzernes Döschen, in dem es leise klirrte. Jede Sekunde, die sie schnell vorbereiten konnte, würde vielleicht entscheidend sein. Beim Lazarett angekommen, schnappte sich die Schwarzhaarige eine der bekannten Flaschen, die dort standen und warf Gregory einen Blick zu.
„Du kannst nicht beide gleichzeitig versorgen und Greo braucht dich glaube ich dringender.“ Worte, mit denen sie den Braunhaarigen beinahe anerkannte. Sie hielt das Nadeldöschen und den Faden hoch, ehe sie weiter sprach. „Ich helfe dir, desto schneller sind wir fertig und können hier verschwinden.“
Ihre Stimme duldete keinen Widerspruch. Sie wusste nach wie vor nicht, wie sie Greo helfen sollte, wie verletzt er war. Und ob er sie überhaupt an sich heran lassen würde. Ihr heller Blick glitt zu ihrem Freund, für den sie Nichts tun konnte, so schwer ihr dieses Bewusstsein auch im Magen lag. Dafür konnte sie die Wunde nähen, die Luciens Hems rot färbte. Ein tiefer Atemzug um sich zu beruhigen, ehe sie sich an den besagten Mann wandte und ihm erst jetzt ein schräges Lächeln zuwarf, ihm die Flasche entgegen hielt.
„Du willst dir sicher vorher einen Schluck genehmigen, oder?“
Ihre Stimme war leise, beinahe vorsichtig. Und trotzdem schwang darin deutlich ein Ton mit, der nicht versteckte, wie froh sie darüber war, dass er wieder da war. Verwundet, sicher geschwächt. Aber er war hier, auch Talin und Liam würden folgen. Sie waren also bald wieder komplett und konnten sich in Sicherheit bringen, um ihre Wunden heilen zu lassen.
[Im Lazarett | Gregory, Greo & Lucien]