26.03.2016, 18:29
Winds of Fortune
05. März 1822 Greo & Shanaya Árashi
Es dämmerte. Träge schleppten sich die letzten Kneipengänger zurück in die Ecken, aus denen sie am Abend zuvor rausgekrochen waren, während die ersten Vögel bereits seit einer Stunde vor sich hinträllerten und den neuen Tag ankündigten. Dementsprechend war es früh, wie viel Uhr genau konnte Greo nicht ausmachen, weil das Licht, das er für den kleinen Sonnenuhrring benötigt hätte, noch nicht ausreichend war. Es herrschte reger Betrieb auf den Hauptstraßen, denn Händler, Fischer und Marktverkäufer bereiteten sich für eine neue Runde vor. Greo hatte die Möglichkeit gefunden bei einem Viehhändler auszuhelfen. Das lag hauptsächlich an einem bockigen Rind, was wohl sein Schicksals vorausahnte und sich tatkräftig dagegen wehrte in die Stadt gezerrt zu werden. Greo hatte den Händler auf seiner Morgenrunde gesehen, das Geschehen verfolgt und sich ungefragt eingeklinkt. Als der Händler bemerkte, dass der Ausländer offensichtlich ganz gut mit dem Rund umgehen konnte, bot er ihm an, ihm seine erste Kost des Tages zu spendieren, wenn er ihn dabei begleitete die Tiere durch die Straßen zum Hafen zu treiben, wo sie verladen werden sollten. So marschierte Greo strammen Schrittes neben einem Dutzend Rinder, sieben Schweinen und einigen Gänsen her, die vor dem Karren des Händler her huschten, einen geflochtenen Korb Hühner auf dem Rücken und mit guter Aussicht auf ein saftiges Frühstück.
Shanaya kannte sich selbst nicht so aufgewühlt, so vorfreudig. Es war verrückt, sie legten auf dieser Insel an, auf der sie eine neue Crew suchen wollten – und sie fühlte sich wie neu geboren. Dementsprechend war sie also früh auf den Beinen, war mit munterer Miene von der Ladeplanke gesprungen und lief nun am Hafen entlang. Ein wenig ziellos vielleicht, dafür aber voller Erwartungen. Talin und Aspen waren sonstwo, darum kümmerte sich die Schwarzhaarige gerade nicht. Sie hatte Teile dieser Insel und der Stadt schon erkundet, ihre Neugierde war jedoch noch nicht gestillt. Dafür würde ihre Zeit hier vermutlich auch nicht ausreichen, aber sie wollte so viel wie möglich zu sehen bekommen. Und vielleicht sprang ja noch irgendwie etwas für sie dabei heraus. Sie lief also entspannten Schrittes durch die Gassen, bis eindeutige Geräusche sie plötzlich aufmerken ließen. Ihre Neugierde wurde umgelenkt und mit einigen schnellen Schritten war sie um eine Ecke gebogen, erkannte, woher die Geräusche kamen. Ein Haufen Tiere, die alle in eine Richtung zogen. Automatisch zog sich ein Grinsen auf die Lippen der jungen Frau, was sich zu einer erstaunten Miene änderte, als sie ein bekanntes Gesicht erkannte. Das Grinsen ebbte nicht ab, sie verschränkte nur leicht die Arme und musterte den Dunkelhaarigen, der beladen mit Tieren war. „Ich weiß nicht, ob dir gestattet wird, einen ganzen Hof voller Tiere mit aufs Schiff zu nehmen, namenloser Anwärter.“ Sie kannte seinen Namen nicht, nahm es aber als selbstverständlich, dass sie ihn vollkommen überzeugt hatte, das Leben auf der Sphinx anzutreten.
Das hektische Gegrunze der Schweine, das sonore Muhen der Kühe und vorsichtige Glucken der Hühner an seinem Hinterkopf und die empört schnatternden Gänse lösten wohlige Gefühle bei ihm aus. Es war fast wie zu Hause – bis auf die Tatsache, dass er dafür eine ziemlich große Herde Schafe benötigt hätte. Und Hunde, die, vollkommen aus dem Häuschen, arbeiten zu dürfen, um die wolligen Wiederkäuer umherpesten. Er hob das Bein und schnitt einem Schwein den Weg ab, welches sich klammheimlich in einer Abzweigung davonmachen wollte. Eigentlich konnte Greo es ihm nicht verübeln, denn das arme Rüsseltier würde mit seinen Artgenossen und den anderen Tieren unter Deck in der Dunkelheit eine Weile eng zusammengepfercht sein, um dann am nächsten Hafen vermutlich weiterverkauft und geschlachtet zu werden. „Tut mir leid, Mylady,“ entschuldigte er sich bei der Sau, die ihn entrüstet angrunzte und mit der Nase wackelte. Er war noch damit beschäftigt das große verdreckte Tier zurück in die Reihe zu drängen, als er eine Stimme hörte. Nanu? Irritiert sah er sich um. „Schade, heißt das, ich bin nicht zur Arche unterwegs?“, flutschte ihm raus, bevor er sich überhaupt gewahr war, mit wem er sprach und ob sie die Legenden anderer Welten kennen konnte.
Shanaya konnte den leichten Unglauben kaum aus ihrem hellen Blick bannen, während sie die kleine Herde beobachtete, die auf dem Weg wohin auch immer war. Sie wusste es nicht genau, aber vermutete still, dass dieser Haufen an Tieren Talin nicht gefallen würde. Wobei sie auch nicht ernsthaft davon ausging, dass der Mann sie alle mit aufs Schiff schleppen wollte. Amüsiert hatte sie seinen kurzen Kampf mit einem der Schweine beobachtet, setzte sich nun wieder in Bewegung, um sich das Schauspiel noch ein wenig genauer anzusehen. Der Riese antwortete ihr dennoch, auch wenn er ein wenig... verwirrt drein blickte. Shanaya seufzte leise, wusste zwar ganz dunkel, wovon er sprach, aber... „Die Sphinx ist alles andere als das. Und ich glaube nicht, dass deine... pelzigen und gefiederten Freunde gut im Segel hissen und Planken zusammen nageln sind...“ In ihrer Stimme schwang leises Bedauern mit. Sie mussten erst einmal sehen, wie viel Platz sie haben würden, wenn die neue Crew zusammen aufs Schiff fand.
Die Hühner gackerten erschrocken, als Greo ausholte, um einem Rind den massigen Nacken zu tätscheln und den Korb auf seinem Rücken ordentlich zum Wackeln brachte. Das Rind glotzte ihn kurz an, schnippte mit dem großen Ohr und zwinkerte unter reichlich bewimperten Augen träge zu ihm rüber. Dann legte es lieber einen Schritt zu, um von dem Mann wegzukommen, und zu der Kuh am Anfang der Herde aufzuschließen. Greo richtete den Korb auf seinem Rücken wieder und sah die Dunkelhaarige an, die ihm ziemlich bekannt vorkam. War das nicht das Mädchen von gestern? Dieses Mädchen, die ein Schiff beworben hatte? Vermutlich die Sphinx – merkwürdiger Name – Greo konnte sich jedenfalls nicht mehr so haarscharf erinnern. Obwohl er die Tage mal danach hatte Ausschau halten wollen, zwecks Mitfahrgelegenheit. Doch, sicher, das war sie gewesen. „Oh, unterschätz sie nicht, sie können so einiges, was gewöhnliche Seeleute auch können,“ erklärte er ernst, „Stinken, Dreck hinterlassen und im Schatten rumlungern.“ Er schnitt zwei aberwitzigen Gänsen den Weg ab. Die Hühner kreischten hysterisch. „Keine Sorge, ich helfe nur dem netten Herrn da,“ meinte er und drehte sich leicht um, damit er dem Händler zunicken konnte. Dieser hielt die Zügel seines Mauleselkarrens locker in den Händen und unterhielt sich gleichzeitig mit seinem Sohn, ein Junge von kaum acht Jahren, der mit ihm auf dem Kutschbock saß.
Shanaya wog den Kopf noch ein wenig mehr zur Seite, während sie den Mann beobachtete, der sich um eine der Kühe kümmerte – die dann aber doch schnell auf Abstand ging. Sie kannte all diese Tiere, auch wenn man diese selten am Haupthafen ihrer Heimat zu sehen bekommen hatte. Für Viehhandel waren die kleineren Häfen zuständig gewesen. Etwas, was sie nie verstanden hatte. Aber Shanaya hatte sich darüber nie wirklich Gedanken gemacht. Als der Mann weiter sprach hob die junge Frau leicht eine Augenbraue. „Wow, das ist genau das, was wir für unsere neue Crew brauchen. Rumlungerndes Vieh, das mehr Arbeit macht, als er erledigt.“ Ihr heller Blick folgte jedoch kurz seinem Nicken, beobachtete die zwei auf dem Kutschbock, ehe sie sich selbst an eine der Kühe wandte und mit der flachen Hand gegen ihren Hals klopfte. „Du bist also mehr von der Sorte hilfsbereiter Mensch, ja?“ Sie lächelte bei diesen Worten munter.
„Wenn der Lohn stimmt, bin ich der hilfsbereiteste Mensch auf Erden,“ kommentierte er trocken, bemerkte aber wohlwollend ihren furchtlosen Umgang mit den Tieren, ja nun wirklich nicht klein waren. Der Hafen kam in Sichtweite. Ein paar der Schweine wurden übermütig und sprangen los, als sie am Ende der Straße das sich öffnende Gelände sahen. Die Kühe bildeten allerdings eine zu enge Front. Greo lief etwas schneller, um zu den Kühen zu kommen und sie auszubremsen, bevor sie sich von den Schweinen anstecken lassen konnten. „Dafür geben die Damen hier Milch, die anderen da kann man essen. Nützlicher, als mancher Matrose. Da sollte man drauf achten.“ Er schaute sie an, leicht belustigt. „Ich nehme nämlich nicht an, dass die Anwärter euch über Nacht die Türen eingerannt haben?`“
Shanaya wusste nicht ob sie den Mann nun in die Sparte „Guter Mensch“ oder „Er braucht einfach Geld“ stecken sollte. Er wirkte zumindest wie eine Mischung aus beidem, aber das würde sie wohl noch früh genug heraus bekommen. Die Tiere wurden unruhiger und sie selbst fuhr der Kuh neben sich mit den Fingerspitzen durch das Fell. Gott, sie machte sich die Hände an einem Tier schmutzig und niemand jagte sie mit einem Bambusstock. Geprägt fürs Leben. Ihr Blick richtete sich jedoch auf den Mann, der ein wenig voraus geeilt war, die Tiere in Schach hielt. „Daran habe ich keine Zweifel, leider liegt das jedoch nicht in meiner Entscheidung.“ Und ob Talin einen milchgebenden Streichelzoo auf ihrem Schiff wollte... und dann war da ja auch noch das Hindernis Bruder. Vielleicht konnte sie ja beide überzeugen, wenn es soweit kam, und sie auf dem Schiff blieb? Einen Versuch wäre es doch wert. „Wenn es nach mir ginge, könntest du sie alle mitbringen.“ Als der Dunkelhaarige den Blick wieder zu ihr wandte schmunzelte Shanaya, schüttelte dann leicht den Kopf. „Ich weiß auch nicht, was die Anderen treiben, aber du bist bisher der einzige, den ich darauf angesprochen habe. Fühl dich geehrt. Bist du denn mit deiner Entscheidung weiter?“
Er lachte, schnappte sich mit einer freien Hand eine Gans und klemmte sie sich feste unter den Arm. Der umgeschnallte Korb, den er mit der anderen stützte rutschte etwas. Er hob die Gans etwas an. „Entschuldige, kannst du vielleicht…?“, fragte er und hielt ihr das Federvieh hin, während er ihren Worten lauschte. Er runzelte die Stirn. „Tierliebhaber, heh?“ Das bedeutete einen Pluspunkt auf der Liste für sie. Er konnte es ihr nicht verübeln, dachte er, während sein Blick über die Tiere glitt. Manches Schwein war ein treuerer Wegbegleiter, als ein angeblich guter Freund. Nicht, dass Greo unsozial gegenüber Menschen war. Dennoch… Bevor er mit den Gedanken weiter abdriften konnte, merkte er auf und betrachtete die dunkelhaarige Frau. „Ich habe das Schiff bisher nicht gesehen und noch keine Verhandlungen getroffen. Insofern… nein.“
Shanaya s Schmunzeln wurde bei dem Lachen des Mannes noch ein wenig breiter, bis er sich die Gans unter den Arm klemmte, ein wenig mit dem Korb auf seinem Rücken kämpfte und ihr schließlich das Federtier hinhielt. Sie blinzelte, war einen Moment so überrascht, dass keinerlei Gegenwehr kam und sie im nächsten Moment eine meckernde, mit den Flügeln schlagende Gans auf dem Arm hatte. Einige Herzschläge lang blinzelte sie verdutzt, brachte das Tier jedoch irgendwie unter Kontrolle, auch wenn es nicht aufhörte zu meckern. Die Schwarzhaarige pustete sich eine Strähne aus der Stirn. „Naja, ich weiß nicht, ob man das SO nennen kann.“ Sie hatte sich immer gern mit Tieren beschäftigt – allein schon weil man alles getan hatte, um sie von dem Vieh weg zu halten. Das gehörte sich nicht für jemanden aus ihrer Familie. Sie würden vermutlich alle tot umfallen, wenn sie ihren Kampf mit der Gans gesehen hätten. Mit einem leisen Schnaufen, das im Meckern der Gans etwas unterging, richtete sie den blauen Blick aber wieder auf den Mann, der auf ihre Frage antwortete. „Dann solltest du dich schnell entscheiden, heute Mittag hören wir uns die Anwärter an. Wenn genug zusammen sind, geht es auf zu unserem ersten Ziel.“
Er runzelte die Stirn. Musste er ihr den Pluspunkt doch wieder abziehen? Obwohl sie ihm nicht unsympathisch war, standen das Für und Wider ihr Angebot anzunehmen in einem Ungleichgewicht. Greo schürzte für einen kurzen Moment etwas kritisch die Lippen, dann glättete sich seine Miene allerdings wieder. Er sollte sie nicht so vorschnell verurteilen (allerdings war er noch nie gut mit Menschen klargekommen, die sich als die Krone der Schöpfung betrachteten und mit Tieren nicht sonderlich gut zurechtkamen). Der Hafen rückte erneut näher und sie mussten sich nun mit ihrem Tross an anderen Gruppen von Verkäufern und Seeleuten vorbeizwängen, die zum Hafen hinwollten oder ihn Richtung Stadtmitte verließen. Hier waren deutlich mehr Menschen auf den Beinen. „Heute Mittag schon? Wo soll denn die erste Reise hingehen?“
Shanaya konnte sich nicht gegen das Lächeln auf ihren Lippe wehren, als die Ganz einzusehen schien, dass sie keine Chance hatte. Hah, sie hatte ein Händchen für wehrhaftes Federvieh! Eindeutig. Sie ließ die Arme locker um den Körper des Tieres geschlungen, passte auf, dass sie nicht entkam. Zwar half sie jetzt auch diesem Kerl da – und würde vermutlich dafür keinerlei Lohn bekommen – jedoch war sie neugierig, wie der Riese sich entscheiden würde. Sie nahm es also hin, holte mit schnellen Schritten zu dem großen Mann auf, um neben ihm laufen zu können. Kühe konnte sie so sowieso nicht mehr streicheln. „Wir wollen nicht all zu lange hier bleiben, also aufbrechen, sobald wir eine Crew haben, um unseren zweiten Kapitän aufzufischen. Der ist das erste Ziel, wohin genau es geht verrate ich dir aber nicht. Wo bleibt denn da die Überraschung...“ Sie grinste munter vor sich hin, schaukelte dabei ein wenig die Gans hin und her, die noch einmal versuchte, sich unter Protest zu befreien.
Der junge Mann beobachtete ein wenig belustigt, wie sie die Gans in eine annehmbare Position beförderte. Konnte es sein, dass sie damit noch allzu viel Erfahrung hatte? Er sagte lieber nichts, immerhin war es ja nett, dass sie ihn ein bisschen unterstützte. „Eine Überraschung im Sinne von Auffischen klingt nicht nach Kaffeekränzchen.“, kommentierte er trocken und fragte sich, ob sie die Gans mit ihrem Gewackel in den Schlaf wiegen wollte. Das Schnabelwesen fand das wohl nicht allzu erquickend. „Mal im Ernst, was ist bei euch kaputt gegangen, dass ihr euch neue Leute suchen müsst und der zweite – echt, der zweite Kapitän, wo gibt es so was, na ja, dass ihr den irgendwo einsammeln müsst?“, fragte er und senkte dabei etwas die Stimme, weil er nicht wusste, ob irgendwer zuhörte, dem das besser nicht zu Ohren kam. Aber es interessierte ihn, weil es wirklich alles andere als kompetent klang.
Shanaya unterdrückte ein Räuspern, war aber froh, als die Gans auf ihrem Arm endlich still hielt. Sie schnatterte zwar noch, aber es kam kaum noch Gegenwehr. So weit würde sie den Mann auch noch bekommen, ganz sicher. „Piratenleben an sich ist nicht das einfachste.“ Sie grinste über seine Worte – wehrte sich halb erfolgreich gegen das Bild, wie sie Kaptain Nummer zwei mit einer Angel aus dem Meer fischten – und ruckte die Schultern dann ein wenig zurecht. Sie wollte einen Moment mit der Hand rumwedeln, nicht wissend, wie das mit zwei Kapitänen sein würde, besann sich dann aber wieder des Federtiers in ihrem Arm. „Nunja, sagen wir, Talin, die noch allein Kapitän ist, hat sich genommen, was ihr gehört, kann dadurch aber nicht mehr auf die Crew zählen – außer auf mich und einen anderen bisher. Also muss eine neue her, und der zweite Kapitän ist ihr Bruder. Details wird sie euch erzählen, wenn sie wichtig sind.“
„Also weiß er, der Bruder, noch nicht von dem Glück, dass seine Crew ihn hat hängen lassen?“, fragte er und machte eine etwas merkwürdige Mimik, die klar zeigte, was er von dieser Neuigkeit hielt. Für ihn hörte sich das ganze tatsächlich mehr und mehr wie ein Roman an, nicht wie eine ernst zu nehmende Arbeit. Auf der anderen Seite musste er hier weg. Er konnte nicht ewig auf dieser Insel hängen bleiben. Nur… sollte diese Aktion scheitern und der Bruder nicht so leicht zu „fischen“ sein, was blühte ihm dann? Es war immer ein Risiko auf dem Meer zu sein. Anders würde er allerdings nicht mehr heimkommen. Und ob er nun mit einem schlecht ausgerüstetem Piratenpack durch die Gegend zog oder einem gut ausgerüstetem, aber leicht zu überfallendem Händlerschiff oder ähnlichem unterwegs war… ach herrje, das war wirklich eine blöde Situation. „Je mehr du erzählst, desto weniger vertrauenswürdig klingt es.“
Shanaya überdachte die eigenen Worte einige Momente, um sich nicht zu verhaspeln und schüttelte dann leicht den Kopf. „Das wird er dann ja erfahren. Mit einer neuen Crew. Die mich dabei hat.“ Natürlich, das Maß der Dinge, sie selbst. Sie lachte leise über diese Worte, blickte dabei jedoch leicht zur Seite, um die Regungen auf dem Gesicht des Mannes besser deuten zu können. Sie konnte ihn nicht einschätzen, ob er der Idee vollkommen abgeneigt war, oder ob da doch ehrliches Interesse bestand. Letztendlich würde sie es ja sehen, neugierig war sie dennoch. Bei seinen nächsten Worte lachte sie aber erneut, machte einige Schritte nach vorn und wandte sich schließlich herum, um nun rückwärts zu laufen und den Mann dabei anzublicken. „Würde es das ganze vertrauenswürdiger machen, wenn ich dir meinen Namen verrate? Allerdings wärst du auch ziemlich beschränkt, wenn du dich einfach so ins Piratenleben stürzen würdest.“ Sie schüttelte leicht den Kopf, verzog dabei die Lippen. „Und wenn du so beschränkt wärst, würde ich dich hier nicht so belagern. Ganz einfach.“
Er runzelte kaum merklich die Stirn und streckte den einen Ellbogen etwas raus, um die Kuh auf Abstand zu halten, die neugierig das feuchte Maul nach vorne streckte, um an seinem Ärmel zu schnuppern. Da klang deutliche Selbstüberzeugung heraus. Er wusste noch nicht genau, wo er diesen Punkt auf der Plusminus-Liste einordnete. Als sie plötzlich begann rückwärts zu laufen konnte er sie deutlicher mustern. Wer sie wohl wirklich war? Wo kam sie her? Wie hieß diese Göre überhaupt? Just in dem Moment, wo er das dachte, sprach sie das Thema bereits an. „Nur, um das festzuhalten, du hast dich auch nicht einfach reingestürzt oder?“, fragte er spitz und seine Mundwinkel zuckten. „Vielen Dank, ich nehme das als Kompliment von… ja, von wem eigentlich?“
Shanaya war so verdammt neugierig, was der Mann wohl wirklich dachte. Vielleicht verschwendete sie hier ihre Zeit? Möglich war es, sie kannte ihn ja nun wirklich nicht. Er hielt eine Kuh von sich weg, Shanaya selbst wandte den Blick jedoch nicht von ihm ab. Seinen prüfenden Blick erwiderte sie mit einem typischen, strahlenden Grinsen, das auch bei seiner Frage nicht von ihren Zügen wich. Das war wohl etwas komplizierter. „Sagen wir, es war... ungeplant aber geplant, aber genau das, was ich wollte. Mehr musst du wohl selbst heraus finden, ich bin niemand, der einem Fremden einfach so alles auf einem Silbertablett präsentiert.“ Sie sprach ruhig, ihr Blick wurde ein wenig ernster, nur um sich dann wieder aufzuhellen, als er nach ihrem Namen fragte. „Shanaya,“ war ihre schlichte Antwort, mit der sie stehen blieb, um dem Riesen direkt ins Gesicht blicken zu können... auch wenn sie den Kopf dafür recht weit neigen musste. „Ich glaube, so jemanden wie dich braucht eine Crew. Es ist nicht schwer zu übersehen, dass du arbeitest und arbeitest...“ Selbst aus diesen zwei kurzen Treffen. Seine Hände sprachen dafür.
Die Straße öffnete sich zum Hafen hin und spuckte die wuselnde Truppe hinaus auf einen Platz, der von allerlei Gerümpel gesäumt wurde, welcher bereits von Schiffen abgeladen wurde oder zu ihnen hin transportiert werden sollte. Greo lachte auf das, was sie sagte, wollte ihr antworten, aber die losstürmenden Tiere verhinderten jegliche Erwiderung. Er lief einen sanften Bogen, eilig, aber nicht hektisch, um die Kühe beisammen zu halten. Er griff der vordersten Kuh in das einfach geknotete Halfter und drehte sie rum. Der Händler stieg von seinem Karren, ging zu seinem Maulesel und zeigte nach rechts. „Weiter da runter, das mit den gerefften Gaffelsegeln.“ Greo nickte und wandte sich in die entsprechende Richtung. „Also“, begann er, musste sich aber unterbrechen, weil die Kuh ein bisschen stockte, bevor sie sich im fügte und ihm folgte. Der kleine Junge stieg ebenfalls vom Karren und trieb die rumlaufenden Gänse zu den Schweinen, welche sich hinter den Kühen drängten, während sein Vater den Mauleselkarren hintendrein begleitete. „Also – komm schon, nein, andere Richtung – also, zum Dritten, erst einmal angenehm, Shanaya, welche nicht zu viel verraten möchte.“ Er bezweifelte, dass er sich den Namen merken würde. Bei manchen Menschen fiel ihm nie der richtige Name ein. „Das ist eine passende Beschreibung. Aber wie bereits gestern gesagt, erwarte ich dafür auch entsprechende Entlohnung. Etwas anderes kann ich mir nicht erlauben. Ich bin kein Samariter. Aber,“ erneut musste er kurz innehalten, um die Herde an einigen Fässern frischen Fisches vorbeizuleiten, „Wenn schon kein Samariter, dann ein vernünftiger Arbeiter. Greo.“, sagte er und reichte ihr überkreuz die freie Hand. Aus dem aufgebundenen Korb drang das klägliche Gackern der Hühner. Als er den Korb losgelassen hatte, um nach dem Halfter zu greifen, waren sie etwas runtergerutscht und übereinandergepurzelt.
Shanaya drehte sich leicht herum, als ein wenig Chaos in die Tiere kam, um ausweichen zu können, falls eines von ihnen gegen sie lief. Auf die beiden anderen achtete sie jedoch nicht, erst als die Gans in ihrem Armen wieder anfing zu zappeln – immerhin wollte sie zu den anderen – wandte die Schwarzhaarige leicht den Blick, ließ das Tier schließlich widerwillig auf den Boden zurück. Sie watschelte sofort davon, dann beobachteten die blauen Augen ruhig, wie der große Mann mit einer Kuh kämpfte. Dann sprach er sie mit ihrem Namen an, grinste über den kleinen Anhang, der auf ihren Namen hin folgte. Wer wäre sie, wenn sie ihm direkt ihre Lebensgeschichte auftischen würde? „Über den Lohn lässt sich reden. Aber das bedeutet, dass du schonmal Interesse hast, also werte ich das als Erfolg meinerseits.“ Und nun stellte der Mann sich selbst vor. Greo, kurz und knapp. „Dann bin ich gespannt, ob ich mir diesen Namen merken werden muss.“ Sie grinste, drehte sich dann wieder leicht herum und schüttelte mit einem leichten Druck die Hand des Riesen. Erst jetzt warf sie ihm einen direkten Blick in die Augen, verengte die eigenen leicht. „Ich mag deine Augen.“ Zweifarbig, etwas, was man nicht oft sah. „Aber du solltest auf die Hühner aufpassen, sonst lieferst du tote Ware aus.“
Ein Pluspunkt war definitiv, dass sie einen vernünftigen Händedruck draufhatte (auch für eine so zart anmutende Person). Greo konnte es nicht leiden, wenn er das Gefühl hatte dem anderen die Finger zu zerquetschen oder dass sie ihm einfach aus der eigenen Hand rausflutschten, wie die Schale einer laschen Frucht. Aber sie grinste schon wieder. Das machte ihn immer noch ein wenig misstrauisch. Konnte jemand permanent so strahlen? Sie musste ihre Freiheit als Pirat ja ziemlich genießen. Und sich selbst. Ziemlich irritiert rückte er seinen Hut zurecht, sodass ein Schatten über seine obere Gesichtshälfte fiel. Mit dem raschen Themenwechsel hatte er nicht gerechnet, und offensichtlich mochte er es nicht unbedingt auf seine Augen angesprochen zu werden. In der Regel bedeutete das unhöfliches Gegaffe. Kaum machte sie ihn auf die Hühner aufmerksam, gab er ein „Huch“ von sich, schulterte die Tiere wieder vernünftig und zog die Kuh gleichzeitig mit ordentlich Kraft näher zu sich ran, als sie den Versuch wagte sich Richtung Wasser zu wenden. Nicht, dass sie sich in die Fluten stürzte. Sie kamen an das Schiff, an welches die Ware ging, und Greo half dabei die Tiere zusammenzutreiben und nach und nach über eine Planke zu bringen. „Moment.“, sagte er kurz zu Shanaya und wandte sich zu dem Händler, der ihm aus einem sauber verschnürten Paket einen halben Laib Brot, einen Beutel gekochter Eier und ein wenig trockenes Fleisch überreichte. Greo tippte sich an die Krempe, bedankte sich und bedeutete der Dunkelhaarigen mit einem Wink des Ellbogens sich zu ihm zu gesellen. „Lust auf ein Frühstück? Dann können wir weiteres besprechen. Möglicherweise bin ich wirklich nicht so abgeneigt.“
Shanaya zog die Hand nach dieser kurzen Geste wieder zurück, grinste dann aber vielsagend über die Bewegungen des Mannes. Als wolle er seine Augen im Schatten seines Hutes verstecken. „Bist du etwa schüchtern? Das hätte ich dir ja nicht zugetraut.“ Belustigt strich sie sich eine schwarze Strähne aus der Stirn, währen der Dunkelhaarige seine Hühner und die Kuh bändigte, und schon bald war das Ziel erreicht. Die Arme verschränkend beobachtete sie, wie die Tiere auf das Schiff gebracht wurden – in ihrem Blick lag beinahe etwas wehmütiges. Einige Herzschläge lang überlegte sie, ob sie damit nun gehen sollte. Aber die Neugierde saß zu tief, und noch bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, hatte der große Mann sie in eine Richtung gewinkt. Einen Moment zögernd setzte sich die Schwarzhaarige doch wieder in Bewegung, verwarf den Gedanken, sich eine der Gänse zu klauen und blieb bei Greo stehen. „Wenn du vollkommen abgeneigt wärst, wäre ich schon nicht mehr hier.“ Selbstsicher grinste sie ihm entgegen, betrachtete dann den Lohn, den er in seinen Händen hielt. „Da sage ich nicht nein. Was willst du also noch wissen?“
„Du scheinst da so ein Gespür zu haben.“, grunzte er und lief ein wenig den Kai hinab, bis er mehrere gerollte Taue und abgestellte Kisten sah, die offensichtlich noch darauf warteten irgendwo verladen zu werden. Der große Kerl schaute sich einen kurzen Moment aufmerksam um, ob jemand zu ihnen kam, zuckte dann die Schulter und ließ sich dann gemütlich in die Mitte eines zusammengerollten, recht großen Taus nieder. Er brach das Brot (reichte es seinen Jüngern und sprach, Spaß), reichte ihr etwas hinüber und schob sich zeitgleich mit der anderen Hand bereits ein Stück Fleisch in den Mund. „Wie alt ist die Crew? Ich meine, junge Kraft hin oder her. Gibt es erfahrene Seeleute gesetzteren Alters?“, fragte er, sobald er geschluckt hatte und beobachtete sie interessiert.
Shanaya lachte nur ein sicheres Lachen auf die Worte des Mannes hin. „Nimm dich vor mir in Acht, ich durchschaue alles.“ Von Neugierde und neu gefundenem Hunger angetrieben lief sie neben dem Mann, grübelte über Fragen nach, die er möglicherweise stellen konnte. Sie waren alles andere als eine perfekte Crew, das wusste sie. Wie auch, sie bestanden aus drei Personen, von denen zwei zeitgleich durch einen Zufall auf dem selben Schiff gelandet waren. Und einer davon hatte nicht sonderlich viel Erfahrung mit der Seefahrt. Sie selbst... tja. Sie hatte sich ihr ganzes Leben darauf vorbereitet. Greo ließ sich schließlich auf einem Tau bei einigen Fässern nieder, die Schwarzhaarige selbst zog sich rücklings auf eben eines dieser Fässer und nahm mit einem kurzen Nicken das Brot entgegen. Von wegen kein guter Samariter, wie kam er dann dazu, seinen Lohn so offen mit ihr zu teilen? Sie betrachtete das Brot kurz skeptisch, biss dann einen Happen ab und kaute darauf herum, bis Greo genau die Frage stellte, die sie sich eben selbst förmlich schon beantwortet hatte. Sie kratzte sich kurz nachdenklich am Kinn. „Bisher bestehen wir wie gesagt nur aus drei Leuten. Fast vier. Ob du uns kompetent findest oder nicht... das überlasse ich dir. Ich denke, du bist jemand, der sich selbst gern ein Bild macht... und selbst wenn ich dir jetzt vorschwärmen würde, wärst du sowieso skeptisch und würdest das selbst sehen wollen.“ Mit einer kleinen Herausforderung im Blick richtete sie die Augen auf den Mann und biss erneut von ihrem Brot ab.
Ich nehm‘ mich vor dir in Acht, keine Sorge, dachte Greo und stempelte sie innerlich mit einem „Immer ein Auge drauf haben“, ab. Er folgte ihren Bewegungen mit den Augen und rätselte, wie sie wohl dazu gekommen war ein Leben auf See zu führen. Das war ungewöhnlich für Frauen, und diejenigen, die sich in der Szene durchsetzen konnten, glichen Greos Erfahrung eher alteingesessenen Matronen oder hatten frappierende Ähnlichkeit mit Bulldoggen. Er wusste, dass das nicht besonders schmeichelhaft war und sparte sich diesen Kommentar, zumal sie sich bisher so wenig kannten, dass sie ihm kaum die Frage nach ihrer Geschichte beantworten würde. „Touché, dagegen kann ich kaum etwas sagen.“, erwiderte er und riss sein Stück Brot in kleine Teile, bevor er es sorgsam verzehrte. Es tat gut, mal etwas anderes als Fisch zwischen die Zähne zu bekommen. „Ich schätze, dann werde ich früh genug bei euch vorbeischauen müssen, bevor ihr schon aufbrecht.“ Obwohl er bezweifelte, dass es so schnell gehen würde eine funktionierende Crew zusammenzustellen.
Shanaya kaute überlegend auf dem Brot herum, schluckte das Stück herunter und wog den Rest ein wenig in der Hand. Sie kannte Greo nicht, fragte sich still, ob er in diesem Moment über das Angebot nachdachte. Er gab ihr zumindest Recht, was sie nur überzeugt von sich selbst lächeln ließ. Hatte sie es doch gewusst! So kam sie zumindest um eine direkte Antwort herum und er konnte sich selbst ein Bild machen. Sie wollte gerade noch einmal von ihrem Brot abbeißen, ließ die Hand jedoch wieder sinken und musterte Greo. „Ein bisschen Zeit hast du ja noch. Und dann überzeugen wir dich ganz einfach, dass du gar nicht nein sagen kannst.“