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In the land of the innocent, we've not made all our plans
Crewmitglied der Sphinx
für 250 Gold gesucht
dabei seit Apr 2016
#1
In the land of the innocent, we've not made all our plans
bespielt von    Enrique de Guzmán   Skadi Nordskov
28.03.1822
In the land of the innocent,  we've not made all our plans
You rescue me, I'll rescue you, from our doubts

Am Nachmittag des 28. März 1822  | Enrique & Skadi

Das Mittagessen rumorte immer noch ein wenig in ihrem Magen, wenngleich sie kaum einen Bissen davon angerührt hatte. Rayon hatte durchaus sein bestes gegeben, um aus den wenigen Dingen an Board etwas halbwegs Verdauliches zuzubereiten. Skadi jedoch verspürte seit einigen Tagen kaum mehr Appetit auf irgendetwas. Ob es mehr mit dem Umstand zu tun hatte, dass sie mittlerweile als Frau über das Schiff huschte oder ihrer letzten intensiveren Begegnung mit Enrique, wusste die hoch gewachsene Jägerin kaum zu sagen. Überhäufte sich stattdessen lieber mit Aufgaben und mied jegliche Gedanken, die den Strudel an Gefühlen in ihr Bewusstsein zurück brachten. Zu sehr sehnte sie sich nach festem Boden unter den Füßen. Nach dem sicheren grünen Blattwerk eines Waldes, dem einzigen Ort an dem sie sich nicht wie ein Fremdkörper vorkam und bewegen konnte, als hätte es seit jeher zu ihrem zu Hause gehört. Niemand würde ihr unbequeme Fragen stellen, auf die sie nicht antworten wollte. Keiner konnte sie zwischen all den Bäumen beobachten und in ihren Gedanken stören, die sie auch jetzt etwas abwesend die Treppenstufen an Deck schlendern ließ.
Bewegung machte sich um sie herum breit. Hier und da huschten fremde Körper an ihr vorbei und versuchten eines der Beiboote zu ergattern, die sie endlich ans nahe gelegene Festland bringen würde. Fast schon einem Automatismus folgend schlenderte die Nordskov ins hintere Eck und kletterte, mit einem eher abwesenden Blick über die Reling, die Strickleiter hinab, an deren Ende eines der Boote einer Nussschale gleich auf den Wellen tanzte. Dass der Insasse gerade versucht war so schnell wie möglich zu verschwinden, fiel ihr nicht einmal auf. Nahm stattdessen mit einem auslandenden Sprung die Distanz zwischen Schiff und Beiboot auf sich, um in der Hocke zum ersten Mal aufzusehen und in das Gesicht Enriques zu blicken.
Wie ein erspähtes Wild verharrte die junge Nordskov in ihrer Haltung. Blinzelte sogar ein zwei Mal irritiert, ehe sich die dichten Brauen zusammen zogen und prüfend zur Sphinx zurück sahen. Die anderen waren immer noch geschäftig dabei ihren Aufbruch an Land vorzubereiten. Keiner scherte sich sonderlich um die Schaluppe, die davon trieb und nur sie und Enrique beherbergte. Nicht einmal der Rotbart war zu sehen. Und irgendwie schien Skadi erleichtert über diese Tatsache. Ließ sich mit einem leichten Seufzen auf die Holzplatte neben sich gleiten und blickte erneut zu dem Älteren hinüber. Streifte sich den Bogen und das aufgerollte Seil von der Brust, während die dunklen Augen unverwandt zwischen dem bärtigen Gesicht und den Paddeln schwankten.

“Wolltest du wirklich ohne mich an Land verschwinden?“

Es war weniger ernst gemeint, als es womöglich in der Eile klang, um diese unangenehme Stille zwischen ihnen zu überbrücken. Wie lange hatten sie schon nicht mehr miteinander gesprochen? Für Skadi fühlte es sich wie eine Ewigkeit an. Seit ihrem Gespräch am Strand hatten sie kaum mehr ein Wort miteinander gewechselt. Schon gar nicht als sie mit diesem rotbärtigen Seemann im Schlepptau zurückgekehrt war und es irgendwie gewirkt hatte, als kannten sich die zwei seit langen Zeiten. In einem üblichen Reflex hatte sich die Nordskov darauf hin zurückgezogen und die Zwei in den letzten Tagen in Ruhe gelassen. Sich entweder mit Scortias beschäftigt oder war Rayon mit den Vorräten zur Hand gegangen.


Seit dem er das Gröbste mit Cornelis geklärt hatte war der Alltag mit ihm viel einfacher, doch vertraute Gespräche um so schwieriger. Er musste sich öffnen, musste Gefühl zulassen und war dabei erratisch wie nie. Wie war er bloß früher damit klar gekommen? Ihm war doch auch nicht egal gewesen, was andere von ihm dachten und hatte versucht ein bestrebtes Bild nach außen zu tragen.
Oder hatte das Problem damals schon angefangen?
Ihn beschlich das ungute Gefühl, dass dem so war, und Cornelis diese Entwicklung nur ausgebremst hatte. Doch bevor er dem nachgehen konnte rissen ihn die Erschütterung des Ruderbootes aus seinen Gedanken.

"¿Qué?", fragte er halb überrascht halb unleidig, während er hochsah.

Dann erkannte er Skadi, just in dem Moment, wo auch sie ihn erkannte.
'Was zum ...?'
Einen Augenblick lang starrten sie einander an. Dann brach sie den Bann, in dem sie ihn gehalten hatte und lenkte auch seinen Blick zurück zum Schiff.
Wenn die Anderen jetzt herübersähen, könnte er Ärger bekommen. Oder jetzt wohl eher sie beide. Das Dingi hätte nämlich eigentlich für Notfälle an Bord bleiben sollen.
Zum Glück hatte er Rayon überzeugen können, nachher nur in der Pinasse mitzufahren, um das Beiboot an Bord zurückzubringen. Der schwarze Mann hatte da wohl notfalls irgendeine Idee, um Enriques Verhalten zu entschuldigen ...
So erleichtert, wie Skadi war, legte er sich allerdings wortlos wieder kräftig in die Riemen. Auch für sie schien zu gelten, je schneller sie an Land kamen, desto besser.
Und dann platzte die Dunkelhaarige mit diesem Satz heraus, den er ihr vielleicht — aber auch wirklich nur vielleicht — geglaubt hätte, wenn er ihren völlig entgeisterten Gesichtsausdruck gerade eben nicht mitbekommen hätte.
Enrique konnte sich das Auflachen nicht verkneifen, es nur schnell wieder hinunterschlucken, bevor es irgendjemand auf der Sphinx mitbekam. Immer noch leise kichernd erwiderte er:

"Wenn du noch mehr an mir klebst, musst du aufpassen, nicht an mir festzuwachsen. Ich habe mich schon gewundert wo du bleibst."

Mit diesem eindeutigen Necken sah er kurz über die Schulter und war froh, dass die einlaufende Flut ihn unterstützte. Nicht mehr lange, und sie waren am Strand.

"Also? Wie kann ich dir helfen. Außer dass ich dich so schnell wie möglich an Land bringe?"

Eine Sekunde. So viel brauchte es, um ihr schlagartig bewusst zu machen, dass der Dunkelhaarige tatsächlich klamm heimlich an Land verschwinden wollte. Außer ihm saß niemand in dem winzigen Boot und sein ebenso erschrockener Gesichtsausdruck erweckte kaum den Anschein, als hatte er es nicht bewusst entschieden. Dass das hier überhaupt etwas war, wofür sie Ärger bekommen konnten, kam der Nordskov nicht einmal in den Sinn, als sie sich vom Anblick der Sphinx löste und auf die Sitzbank gleiten ließ. Das unangenehme Schweigen mit einer Frage brach, dessen Antwort sie unweigerlich aus dem Konzept brachte. Er lachte. Nur kurz vernehmbar, weil ihm offenkundig daran gelegen war bei seiner Überfahrt nicht entdeckt zu werden. Doch was er daraufhin sagte entlockte Skadi einen fast schon trotzigen Gesichtsausdruck. Seit wann klebte sie denn bitte an ihm? In den vergangenen Tagen hatte sie alles getan, aber definitiv  nicht das. Musste wohl ein übler Scherz von ihm sein, den sie mit einem verzogenen Mundwinkel und einem lauten Schnauben quittierte.

“Ts. Du genießt meine Nähe doch, das muss dir nicht peinlich sein.“
Und dann schob sich doch ein vorerst verhaltenes Schmunzeln auf ihre Züge. Übertünchte den kurzweiligen Anflug von Trotz und lockerte die angespannten Muskeln, während sich die langen Beine voraus streckten und die dunklen Iriden damit begnügten, dem Älteren bei seiner Arbeit zuzusehen.

“Damit hast du mir schon geholfen. Ich musste einfach nur von diesem Schiff runter. Mein Körper sehnt sich nach festem Boden und Sand. Und noch einmal gehe ich mit Trevor definitiv nicht auf die Jagd. Das letzte Mal hat mir gereicht.“

Und das nicht nur, weil sie dem langen Lulatsch hatte hinterher hechten und ihm dafür einen Holzbrocken an den Kopf geworfen hatte. Langsam kippte der dunkle Haarschopf zur Seite auf die angezogene Schulter, dessen anderes Ende entspannt auf der Sitzbank ruhte.

“Was ist deine Ausrede, um so Mutterseelen allein abzuhauen?“


"Als ob!", grinste er frech.
"Bemuttern kann ich mich auch alleine. Dazu—"
'brauche ich dich nicht', hatte er eigentlich sagen wollen, doch die Worte blieben ihm im Halse stecken. Warum auch immer, aber er wollte ihr gerade jetzt nicht sagen, dass er sie nicht brauchte. Auch nicht im Scherz. Ein unangenehmes Kribbeln zog sich ihm dabei durch die Brust, rührte an komplizierten Dingen, mit denen er sich derzeit nicht beschäftigen wollte.
Stattdessen schaltete er blitzschnell um und redete weiter, lenkte auch sich davon ab:

"Die Zeit drängt. Denn wenn ich das richtig gesehen habe, dann sind Ara'ke'ni am Strand, ein oder zwei Buchten weiter. Sie scheinen allerdings verschwinden zu wollen. Wenn ich noch mit ihnen reden will, dann kann ich nicht warten, bis die da oben Fertig sind."

Er deutete mit dem Kopf nach rechts und dann mit dem Kinn zurück zum Schiff, während er feststellte, das ihm Ehrlichkeit in diesem Punkt gerade sehr leicht fiel. In anderen allerdings weniger: Er brauchte Zeit für sich. Abstand von Cornelis. Festen Boden unter den Füßen. Das zuzugeben viel ihm weit schwerer. Letzteres konnte er noch vorschieben.

"Ansonsten geht es mir wohl wie dir ..."

Derweil drängte sich ihm die Frage auf, ob er nicht besser geschwommen wäre. Vielleicht würde seine Seite dann weniger weh tun als so vom Rudern. Zeigen wollte er das aber nicht. Da musste er jetzt durch. Er stellte sich gedanklich darauf ein, dass noch eine ganze Weile für sich behalten zu müssen.
Um so überraschter war er, als bereits wenige Augenblicke später Sand unter dem Kiel knirschte. Die Strömungen hier musste ziemlich stark sein ...

"Wie auch immer. Wir sind da", meinte er mit einem nur ein bisschen gezwungenen Grinsen. Er schwang sich über die Seite und griff das Boot, um es auf den Strand zu wuchten.


Ein wissendes Lächeln legte sich offenkundig auf ihre Lippen. Wirkte fast als wäre sie noch immer in den kleinen Spaß vertieft, den ihr neckisches Wortgefecht auslöste. Doch ehrlich gesagt hatte Enriques abrupte Pause ihre Neugierde geweckt. Vollendete diese nichtige Redewendung in Gedanken und fragte sich für eine Sekunde, was ihn dazu bewog innezuhalten. Steckte ihre letzte intensive Unterhaltung am Strand so sehr in seinen Knochen und jedem Muskel seiner Brust, dass es ihm widerstrebte selbst im Spaß auf ihre Anwesenheit verzichten zu können? Und wieso fühlte sie sich so erhaben ob dieser Vermutung, dass sie es sogar mit einem verschmitzten Lächeln aufnahm? Manchmal war sie schon ein seltsamer Charakter, musste sich die Nordskov eingestehen und wandte den Blick herum. Fixierte erst den hellen Strand, dann das braun gebrannte Gesicht ihres Freundes.

“Ara... keni? Sind das deine Leute?“
Skeptisch schnellte eine der geschwungen Augenbrauen hinauf und streifte die lose Strähne dunklen Haares, die ihr jäh ins Gesicht gerutscht war. Was auch immer er mit diesen Menschen zu schaffen hatte - Skadi war sich nicht sicher ob sie Teil dieses Treffens sein wollte. Immerhin klang es fast danach, als verschwänden diese Arakeni, kaum dass sich Fremde in Sichtweite befanden. Oder waren derart rastlos, dass es sie nur kurze Zeit an einem Ort hielt. Ganz davon abgesehen, dass Enrique ohnehin ohne sie losgezogen war.

Kaum knirschte der erste Sand an der Außenwand des kleinen Bootes, sprang die schmale Gestalt der Nordskov bereits ins Wasser. Hörte nur beiläufig die Worte Enriques und verfrachtet mit ihm ohne eine große Antwort oder Reaktion die kleine Nussschale ans Ufer.
Mit einem kurzen Griff zur Seite umfasste sie ihren Bogen und Köcher. Wandte sich bereits zum Dunkelhaarigen herum, als die Sehne über ihren Oberkörper glitt und am Lederriemen des Köchers innehielt.

„Weißt du schon wann du zurück fährst?“

Immerhin mussten sie irgendwann im Laufe des Tages wieder auf die Sphinx zurück. Und da sie selbst offensichtlich in ihrem geistigen Delirium nicht mit den anderen an Land gefahren war, brauchte sie ein Ticket für den „Heimweg“.


Erst während sie das Boot auf den Strand zogen kam er dazu ihr zu antworten. Schmerzhaft riss es in seiner Seite, als die Wellen gänzlich aufhörten, sie dabei zu unterstützen.

"Ich weiß es nicht, ich konnte ihre Stammeszeichen nicht klar ausmachen."

Er brauchte dringend ein Fernglas. Und dafür Geld in seinen Taschen. Das bisschen, was er jetzt noch hatte, würde hoffentlich reichen, sollten sie die Bucht rechtzeitig erreichen.

"So oder so sind sie wahrscheinlich die einzige Quelle für ein paar Dinge, die ich brauche. Ansonsten müsste ich sie in der Wildnis suchen."

Dann folgte ihre andere Frage, während er versuchte flach zu Atmen. Als er genug Luft hatte erwiderte er:

"Rayon hat nachher mit Deckwache und Anweisung die Zurückkehrenden hiermit am Strand abzuholen. Deshalb wird er nachher auch mit der Pinasse übersetzen und es zurückholen. Wir brauchen also nur am Strand auftauchen und zu winken, falls wir nicht zur festgesetzten Zeit mit der Pinasse zurückkehren wollen."


Ihre Stammzeichen. Hatte sie vorher nur einen ersten flüchtigen Gedanken gehabt, klang diese Formulierung tatsächlich nach Wildlingen. Ob ihr eigenes Dorf diesen Menschen womöglich gar nicht so unähnlich war? Skadi konnte es nur mutmaßen, während sie Enrique musterte und sich den Sand von den Händen klopfte. Anscheinend hatte er einen ausgeklügelten Plan für dieses Vorhaben gehabt. Nichts was sie verwunderte, immerhin kannte sie ihn lange genug dafür. Wenn auch nicht gut genug, um selbst die verworrensten Verhaltensweisen und Gedankengänge zu verstehen.

“Dann sehe ich mal zu, dass ich rechtzeitig zurück bin…“

Mit einer halben Drehung wandte sie sich bereits ab und klaubte sich ihren Bogen mitsamt Köcher und Umhängetasche aus dem Bootskörper.

“… solltest du ebenso.“

Ein knapper Schulterblick galt de Guzmán, ehe sie sich die Schuhe von den Füßen  zog und in ihrem Rucksack verstaute. Besser sie vergeudete keine weitere Zeit  mehr. Verschmolz alsbald ohne Umschweife mit dem Wald, der sich nach so langer Zeit auf See wie ein kleines zu Hause anfühlen würde. Im Gehen glitt die gespannte Sehne ihres Bogens über Kopf und Schulter und stoppte erst als der Stoff des umgeschnallten Rucksacks den Weg kreuzte. Der Köcher baumelte unverstaut zwischen ihren Fingern. Wippte einmal mehr auf und ab, als die Nordskov jäh stehen blieb und mit aufmerksamem Blick zur Enrique zurück sah.

“Was, wenn sie es nicht sind?“


"Das habe ich vor."

Die Antwort glitt genauso selbstverständlich über seine Lippen, wie dieses Vorhaben für ihn war, wollte er doch durchaus danach so schnell wie möglich zurück.
Jetzt aber galt es erstmal sich dorthin zu beeilen und herauszufinden, ob sie mit ihm reden würden.
Dann aber versetzte ihr Fortgehen ihm einen derben Stich.
'Was beim Abgrund ...?'
Da wurde Enrique klar, dass ein Teil von ihm tatsächlich davon ausgegangen war, dass sie selbstverständlich zusammen dorthin aufbrechen würden und dass dieses Gefühl, dass ihr Vorhaben 'zu gehen' in ihm auslöste, wohl auch für sein innehalten vorhin verantwortlich gewesen war.
Wollte er am Ende gar nicht alleine sein? Oder war es bloß das ihm das Vertraute, so wie es auf der Morgenwind gewesen war, tatsächlich fehlte oder hatte er sie in den letzten Tagen vermisst?
Er hatte keine Antwort darauf und das verunsicherte ihn zutiefst.
Reflexartig verschloss er seine Emotionen hinter einer neutralen Maske und lächelte sie ausdruckslos an, als sie sich doch noch einmal umwandte.
Der 26jährige zuckte mit den Schultern, ehe er sich vorsichtig ins Boot hineinbeugte und das Segeltuchbündel herausholte.

"Dann werden sie entweder mit mir reden, mich ignorieren oder ich stecke in Schwierigkeiten. Wäre aber nicht das erste Mal, dass ich mich bei sowas absetzen müsste."

Der Dunkelhäutige ließ sich Zeit mit dem Hochsehen. Zum einen schmerzte ihn das Aufrichten, zum anderen wollte er sich erst sicher sein, dass ihre Antwort, falls es überhaupt eine gab, ihn nicht schon wieder aus der Bahn werfen würde — oder sie es zumindest nicht mitbekäme.


Er benahm sich seltsam. Das war das erste Gefühl, das in ihr aufkeimte, ohne dass sie es genau greifen oder gar begründen konnte. Der intensive Blick, die gesenkte Stimme, dessen Timbre vermeintlich klang wie eh und je. Doch irgendetwas störte Skadi an der Art wie er sprach. Wie er vollkommen emotionslos lächelte. Wie er nur beiläufig mit den Schultern zuckte und sich nun seinerseits von ihr abwandte. Gott, diese scheiß Emotionen trieben sie noch in den Wahnsinn. Was für eine komplizierte...

Mit einem Seufzen schob sich der Daumen ihrer Rechten unter die Sehne und lockerte den engen Halt des Bogens auf ihrem Oberkörper. Erst dann setzte sie sich wieder in Bewegung. Dieses Mal in entgegen gesetzte Richtung und bereits in jene Richtung steuernd, in der sie die Wilden zuvor am Strand gesehen hatte.

“Du wirst den verdammten Teufel tun und dich absetzen.“

Mit einem letzten intensiven Blick umrissen die dunklen Augen die Silhouette des Älteren. Wandten sich dann ihrem Weg zu, dessen Oberfläche nahezu unberührt schien.

“Also beeil dich. Ich muss heute noch Fallen aufstellen. Und das besser bevor es dunkel wird.“


Der Blick mit dem sie ihn maß, war so irritierend, beinahe hätte er das Bündel wieder losgelassen.
Was hatte er jetzt wieder angestellt? Oder lag es dieses Mal an ihr?
Seine Augenbrauen schoben  sich etwas zusammen, doch er sagte nichts. Immerhin saß er gerade im Glashaus.
Dann schwenkte Skadi um, was ihn erneut irritierte, doch ihre Worte verwirrten ihn nur noch mehr:
Er sollte sich nicht davon machen, wenn sie ihn angriffen? Sollte er seine Waffen fortwerfen und sich mit bloßen Händen hinlegen, darauf hoffend, dass sie ihn nicht erschlugen, dass sie diesen Brauch respektierten?
Sie sah noch einmal zu ihm hin, ehe sie den Strand und den Wald vor ihnen nach einem Weg absuchte.
Jetzt wollte sie auf einmal doch mit?
Beinahe hätte er ihr perplex hinterhergestarrt und vergessen, was er eigentlich vorgehabt hatte, dann eilte er ihr nach.
Wie hatte sie das nur gemeint?!?

"Was meinst du damit, ich soll nicht verschwinden, falls es brenzlig wird? Willst du dich mit ihnen anlegen? Das Eine ist nicht so wichtig, dass sich Blutvergießen dafür lohnt, und das Andere funktioniert nur, wenn sie das von sich aus tun wollen."

Oder hatte sie ihn falsch verstanden? Hatte sie gerade etwa verstanden, dass er ...?
Jetzt beobachtete er die Dunkelhaarige um so genauer, während er zu ihr aufschloss, versuchte sie dabei zu lesen und zu verstehen ...

Zunächst führte der Weg am Strand entlang zu einem Durchlass zwischen vorgelagerten Felsen, wie es danach aussähe würde sich erst in der nächsten Bucht zeigen.
Die einzigen zwei Alternativen dazu, und Rudern, wären, den Pfad hinauf, Richtung Stadt, zu folgen und zu hoffen, dann oben entlang den Umweg wieder abzukürzen, sowie später schnell einen Abstieg zu finden oder sich dazwischen, in direkter Linie, regelrecht durch den Urwald zu schlagen und darauf zu vertrauen, dass es schon einen Pfad über die steilen Hänge gäbe. Was günstiger war - und überhaupt zum Ziel führte - das war nicht ersichtlich.
Wenn die Nordskov nicht darauf warten wollte, dass Enrique sie überholte und eine Richtung wählte, dann würde sie sich jetzt entscheiden müssen.


Leise scharrte der Sand unter seinen Stiefeln, als er endlich die Beine in die Hand nahm und nicht seine Zeit damit verplemperte ihr irritiert und mit zusammengezogenen Augenbrauen entgegen zu starren. Entweder hatten sie gerade eine ziemlich kryptische Unterhaltung geführt oder wie Weltmeister aneinander vorbei gesprochen. Und nach der Frage zu urteilen, die er ihr stellte, kaum dass er aufgeholt hatte, war es wohl eine bunte Mischung aus beidem.

Kurz musste Skadi blinzeln. Unsicher ob sie über den leise Hauch von Zweifel in seiner Stimme lachen oder wütend sein sollte. Hatte er schon wieder vergessen, wie ernst ihr sein Überleben war und dass sie definitiv nicht zu der Sorte Mensch gehörte, die sonderlich zimperlich war?
Mit erhobener Augenbraue wandte sich der dunkle Haarschopf somit zur Seite, während die Jägerin ihre Schritte verlangsamte. Bis Enrique auf Augenhöhe war und sie demonstrativ die Sehne ihres Bogens gegen die Brust schnipsen ließ.

“Nun... ich werde zumindest nicht tatenlos dabei zusehen, wie sie dich ausweiden. Aber das hatte ich damit eigentlich auch nicht gemeint.“

Weitere Worte verlor sie jedoch nicht. Stoppte jäh, als die hellen Felsvorsprünge an ihrem Augenwinkel vorbeizogen und den Blick aus wachsamen Augen auf die neue Umgebung vor ihnen lenkte. Für einen kurzen Moment pressten sich die vollen Lippen fest aufeinander. Hinterließen kleinen Furchen in ihren Mundwinkeln, ehe sie kommentarlos auf den Urwald zusteuerte.

“Na dann wollen wir mal.“


Ihre Mimik verriet ihm nicht genug. Und ihre Worte und Gesten auch nicht.
Hatte sie den gereizten Unterton in ihrer Stimme überhaupt mitbekommen? War ihr klar, was sie da gesagt hatte und wie wenig es immer noch ins Gesamtbild ihrer Aussagen passte? War das ein unbewusster Ausspruch ihrer Gefühle gewesen oder interpretierte er da zuviel hinein?
Wie auch immer, sie sollten das Thema wechseln, also versuchte er es mit Humor. Da würde sie seine Verunsicherung wohl eher dem ungewohnten Versuch zuschreiben, als irgendwelchen Hintergedanken.

"Ich hatte auch nicht vor, tatenlos zuzuschauen, wie sie mich ausweiden. Deshalb will ich mich ja absetzen, wenn es heikel wird. Und dass du mir dabei den Rücken frei hältst, das war mir klar, ab dem Moment, wo du meintest, ich solle mich beeilen. Ich war mir halt nur nicht sicher, ob du aus der ganzen Sache lieber einen Hinterhalt an Stelle eines geordneten Rückzugs machen wolltest. Zutrauen würde ich dir beides."

Und die Erheiterung kam wirklich durch. Klang er am Anfang etwas steif, so war er am Ende fast beim Lachen, auch wenn ihn die heilende Verletzung boshaft daran erinnerte, dass er das besser ließe. Blieb abzuwarten, ob sie das Necken als solches annähme oder doch mehr dahinter steckte.

Die Wahl des Weges verwunderte ihn hingegen nicht. Nachdem sie durch den Waldrand gebrochen waren, wurde es gangbarer, spätestens auf den Wildwechseln, die allerdings ihren eigenen Gesetzen folgten. Trotzdem wäre eine solcher Pfad grob in die richtige Richtung immer noch schneller, als sich durch das Dickicht zu schlagen.
Den Weg der Tiere zur Nachbarbucht fanden sie schnell und er war sogar recht gut zu laufen. Genauso wie der durch die Bucht, lagen hier doch nur ein paar Fischerboote und nicht die Kanus der Wilden.
Dennoch wurde Enrique mit der Zeit merkbar langsamer. Zunächst war es ihm ein leichtes, sich an die alten Bewegungsmuster seiner Kindheit zu halten, auch wenn er lange nicht so gut war, wie die Jägerin, so war doch zu merken, dass er die Grundzüge gelernt hatte, wie man sich mit und nicht gegen den Wald bewegte. Allerdings belastete jede Bewegung und jede Kletterpartie die Rippe.
'Warum brauchen Knochen nur immer so verflucht lange um zu heilen?!?'
Zeigen tat er seinen Schmerz nicht, wurde lediglich vorsichtiger in der Bewegung — und damit eben auch langsamer.
Und wieder kamen sie an den Punkt, wo es zu Entscheiden galt, ob sie den Ziegenpfad nach oben versuchen wollten, der recht benutzt wirkte; runter zum Strand gingen, um zu schauen, ob sie um die dort flacher werdenden Felsen herum kämen, notfalls schwimmend oder ob sie weiterhin dem Wald den Vorzug gäben, auch wenn der Boden deutlich unebener wurde und sie weit häufiger klettern würden müssen, als bisher ...


Wovon sprach er da eigentlich die ganze Zeit? Hatte sie sich wirklich dermaßen missverständlich ausgedrückt? Gut möglich. Je länger sie seinen Worten lauschte, desto klarer wurde ihr dieser Umstand und desto stärker schwoll das Seufzen in ihrer Kehle heran. Mit einem letzten Seitenblick umrissen Skadis dunkle Augen die Züge ihres Begleiters, ehe sie sich abwandte und das schwere Seufzen hinab schluckte, noch ehe es ihre Lippen erreichte. Es würde nichts bringen, ihm noch mehr kryptische Reaktionen zu präsentieren, wo sie einander doch vollkommene Ehrlichkeit versprochen hatten. Selbst wenn es bedeutete, dass sie sich stetig in einem Strudel aus überschäumenden Emotionen befand und nicht genau wusste, wie sie damit umgehen sollte.

“Mir wäre jedes Mittel recht, um zu verhindern, dass du dich wirklich absetzt… für immer.“

Auch wenn die Belustigung seiner Stimme ihre Ohren erreichte, so sperrte sich die Nordskov innerlich dagegen. Sie meinte ihre Worte ernst. Selbst wenn der Versuch die Situation aufzulockern lobenswert war und ihm später wohl einen freundschaftlichen Knuff gegen den Oberarm bescheren würde. Doch nun fokussierte sich die Dunkelhaarige auf ihren eingeschlagenen Weg, bewegte sich wie von selbst durch das immer dichter werdende Gestrüpp und fühlte sich binnen weniger Herzschläge wie in einem Paradies aus sattem Grün. Ein Lächeln zierte ihre Lippen, als sie dann und wann über einen umgestürzten Baumstamm turnte und ihre Zehen fest ins weiche Moos drückte. Das war so viel besser als geteertes Holz und die erbarmungslose Sonne, die stetig auf das Deck brannte.
“Hey…“

Mit einem dumpfen Poltern kehrte der Körper auf den weichen Boden zurück, nachdem die Nordskov eine kleine Kletterpartie in den Bäumen unternommen hatte. Langsam richtete sich der hochgewachsene Körper auf, während die dunklen Augen unablässig auf Enriques Miene fixiert blieben. Er wirkte seltsam erschöpft, oder bildete sie sich das nur ein? Seine Bewegungen wurden mit jedem weiteren Meter entspannter. Wollte er letzten Endes doch nicht mehr so dringend zu diesen Leuten?

“Alles okay bei dir? Oder muss ich dich für den Rest des Weges tragen?“

Sie schenkte ihm ein süffisantes Lächeln und ließ den schwarzen Haarschopf zur Seite gleiten. Dass sie bereits vor ihrer nächsten Weggabelung standen ignorierte sie vorerst. Wenn wäre es unter diesem Aspekt ohnehin Enriques Entscheidung, welchen der drei Wege er sich körperlich zutraute.


Sein Gefühl sagte ihm, dass sie, ehe sie sich abwandte, versuchte, ihn (oder die Situation) einzuschätzen. Warum sie dann wegsah, dass war ihm nicht klar. Vielleicht, weil sie verstand oder er nicht. Vielleicht auch aus anderen Gründen.
Er ließ sie.
Falls sie etwas im Wald gehört hatte, war es wichtig, dass sie dem nachging, ging es um ihre Gefühle, würde er sie nicht zwingen, sie offenzulegen.
Der Schwarzhaarige hatte sich gerade wieder dem Weg und ihrer Umgebung zugewandt, da brachte sie ihn mit ihrer Aussage fast zum stolpern. Anstatt sie anzuschauen sah er grinsend in den Wald.
Also doch.

"Das habe ich doch gar nicht vor", lachte er leise. "Ich will doch, dass du mir auf die Nerven gehen kannst, also setze ich mich wenn dann zu dir oder mit dir zusammen ab."

Amüsiert wandte er sich ihr zu und fügte an:

"Und sterben habe ich erst recht nicht vor. Dafür habe ich noch viel zu viel zu tun: Unter anderem muß ich ja auf dich aufpassen."

Jetzt erwartete er tatsächlich einen Knuff ausweichen zu müssen und behielt ihre Gestalt gut im lachenden Auge.

———
Enrique hatte sich längst gefragt, wann es passieren würde. Allerdings überraschte ihn die Form ihre Frage.

"Du weißt doch ..."

Er stockte, denn:
Wusste sie es? Er hatte es ihr doch gesagt oder? Er konnte es ihr nicht vorenthalten haben, sonst hätte sie ihn doch längst danach gefragt. Immerhin war es jetzt fast zwei Wochen her.
Oder hatte er nicht? Hatte er, da sie ihm aus dem Weg gegangen war, sogar sie geblendet?
Er konnte sich partout nicht mehr erinnern. Zu viel war in dieser Zeit passiert.
Und jetzt wusste er obendrein nicht, wie er beginnen sollte. Zumindest nicht, wenn er ehrlich bleiben wollte. Lügen hingegen lagen ihm gerade reichlich auf der Zunge.
Erst nach einem Augenblick, hatte er seine Gedanken genug sortiert, um zu antworten:

"Erinnerst du dich an die Schlange? Die, die es auf der einsamen Insel zu essen gab? Hatte ich dir nicht erzählt, wie es dazu kam?"


Ein zufriedenes Lächeln stahl sich angesichts seiner Worte in ihren Mundwinkel. Zeichnete sich sogar als kurzweiliges Funkeln in den dunklen Augen ab, die Enrique ganz wortlos versicherten, dass er wohl kaum den großen Bruder raushängen lassen musste. Allein weil sie es doch war, die hier auf IHN aufpassen musste. Weshalb seine Antwort sie überhaupt erleichterte, ergründete sie nicht weiter, nachdem sie mit einem sanften Schlag gegen seine Schulter im dichten Grün des Waldes abtauchte. Es war einfach so. Je mehr Gedanken sie sich darüber machte, desto tiefer schürfte sie in Gebieten ihres Unterbewusstseins, die sie aus diversen Gründen unter Verschluss hielt.

•••
Irritiert musterte sie die bärtigen Züge, die krampfhaft versuchten ihr eine Antwort zu geben. Auf eine Frage die nicht implizierte ein großes Fass aufzumachen.

“Wenn du nicht heimlich an meine Hängematte kommst um mir so etwas im Schlaf zu erzählen... dann nicht, nein.“

Sie machte ihm ehrlich gesagt auch keinen Vorwurf daraus. Immerhin hatte sie ihm bewusst sie Zeit und den Raum geben wollen, den er mit diesem Rotbart gebraucht hatte.


Er kniff die Augenlider zusammen, legte den Kopf in den Nacken und seufzte amüsiert. Dann sah er Skadi wieder an.
Er hatte also nicht und ihr Tonfall legte nahe, dass sie nicht einmal ahnte, worauf er hinaus wollte.
Der Schwarzhaarige hob den Arm auf der unverletzten Seite zu einer Tja-Geste und ließ den anderen dicht am Körper.

"In dem Fall hatte ich wohl keine Gelegenheit dazu, da ich nicht darauf gekommen bin. Aber ich werde es mir merken und es das nächste Mal tun."

Das freche Grinsen konnte und wollte er sich nicht verkneifen. Es war echt erheiternd und faszinierend, dass sie es trotzdem nicht mitbekommen hatte. Immerhin belastete es ihn bei jedem Segelmanöver und bei vielen anderen Gelegenheiten.

"Nun, die Schlange hatte sich wohl unsterblich in mich verliebt oder beschlossen eine Maulsperre haben zu wollen. Jedenfalls hatte sie sich auf mich fallen und nicht wieder losgelassen, bis Montrose' Auftauchen sie etwas kopflos machte. Seit dem habe ich es  mal wieder mit einer gebrochenen Rippe zu tun und so gut ich sie auch entlaste, irgendwann fängt sie halt einfach an weh zu tun."

Gleichgültig zuckte er die Schultern und bereute es nur ein kleines bisschen. So wenig, dass er es problemlos hinter einem unbekümmerten Gesichtsausdruck verbergen konnte.
Durch sowas würde er sich definitiv nicht aufhalten lassen.


Sie musterte ihn schweigend, ehe sie in ein tiefes Seufzen verfiel und die Arme schwungvoll senkte.

“Man kann dich echt nicht alleine lassen oder?“

Nur der Hauch eines Lächelns war in ihrem Tonfall vernehmbar. Dann wandte sich der dunkle Schopf über die Schulter auf ihre Weggabelung zurück.

“Dann liegt die Entscheidung jetzt bei dir, welchem Weg wir folgen.“

Mit einer erhobenen Augenbraue musterte Skadi den Dunkelhaarigen aus den Augenwinkeln. Brachte unter einem demonstrativen Schnauben einen Ausdruck zum Vorschein, der fast schon gemeingefährlich wirkte.

“Aber glaub gar nicht, dass du jetzt den Helden spielen darfst. Ich schleif dich eigenhändig zurück, wenn es sein muss.“


"Sieht wirklich danach aus, als ob du mir besser nicht von der Pelle rückst", grinste er zurück.

Keinem anderen als ihr oder Cornelis hätte er das so eingestanden, nicht einmal Lucien oder Rayon, geschweige denn ihre Antwort so locker hingenommen.
Bereits als Kaladar hatte Skadi mehr als genug gewusst, um ihn zu Fall zu bringen und gerade eben hatte sie ihm ein weiteres Mal — dieses Mal sogar unbeabsichtigt — ihre Loyalität verraten. Warum also nicht?
Dann lenkte sie seine Aufmerksamkeit wieder auf das, was vor ihnen lag. Grübelnd betrachtet er für einen Moment die Möglichkeiten.

"Ich habe es verstanden", lachte er dann leise und fügte ernster an:
"Die Frage ist wohl eher, wo du mir am Besten helfen kannst, sollte es not tun. Oben auf der Klippe halte ich jedenfalls für die schlechteste Wahl. Also: Ist dir mehr nach schwimmen oder nach klettern?"

Ihm war, als wisse er, was sie gleich antworten würde, wollte es aber von ihr hören.


Sein Grinsen war vielleicht ansteckend, doch der Gedanke, den er just mit seinen Worten in ihrem Kopf auslöste, dämpfte ihre Reaktion. Sie hatte sich nur aus einem Grund in den letzten Tagen von ihm fern gehalten. Denn auf einem Schiff konnte er kaum verschwinden oder sich ohne ihre Kenntnis mehr zuziehen als ohnehin schon. An Land sah das allerdings ganz anders aus.

“Hoffentlich wirst du dich bei Zeiten an deine Worte erinnern.“

Fast schon spöttisch huschte diese Antwort über ihre Lippen. Und Enrique wusste spätestens jetzt, dass er ihr in Anbetracht ihres Versprechens einen Freischein erteilt hatte. Nicht dass sie nicht ohnehin ihren Kopf bei ihm durchsetzen würde. Doch nun hatte er kaum mehr einen Grund sich darüber echauffieren zu können.

“Natürlich wäre mir mehr nach klettern, aber ich bezweifle, dass es deiner Rippe gut tun würde und ich dich dabei unterstützen könnte. Denn leider...“

Nun war sie es die mit der Schulter zuckte und eine Tja Geste mit der Linken andeutete.

“Bist du ein bisschen fett geworden.“


Überrascht von ihrem plötzlichen Ernst, fiel auch seine Reaktion so aus, auch wenn sie als Witz gedacht gewesen war:

"Oh ich bin sicher, du wirst schon dafür sorgen, dass ich sie nicht vergesse."

Unruhe beschlich ihn, ließ ihn sich fragen, ob es so gut war, sie so nah an sich heranzulasse. Immerhin kannte er sie eigentlich viel zu wenig, um zu wissen, ob sich die jetzige, lockere Nähe dadurch nicht in eine viel zu eng gezogene Fessel verwandeln würde.
'Nicht darüber nachdenken! Halte dich jetzt nicht mit solchen Dingen auf, du hattest anderes vor!'
Und das war dringend. Also wandte er seine Konzentration wieder auf den Weg vor ihnen, mit dem sich ein Teil seiner Gedanken die ganz Zeit nebenher beschäftigt hatte.
Schwimmen würde die Rippe zwar allgemein entlasten, dafür aber die Hauptlast der Fortbewegung auf die Arme legen.
Beim Klettern selber würde er mit unter beide Arme einsätzen müssen, auf dem restlichen Weg läge die Hauptlast aber auf den Beinen und, an leichteren Stellen, seiner Gesund Seite.
Die Wahl war also simpel, gerade auch, weil Skadi die erwartete —
'Was?'
Was hatte sie da eben gesagt?!?
Empörung und Erheiterung brachen sich gleichzeitig ihre Bahn nach oben.

"Fett? Ich? Muß der strich in der Landschaft gerade tönen, der seit einigen Tagen plötzlich Rundungen angesetzt hat!
Allein dafür müßte ich eigentlich verlangen, dass du mich den Rest des Weges huckepack trägst!"


Seine Augen lachten, während der Rest seiner Gestik und Mimik pure Entrüstung ausdrückte.


Pure Entrüstung überzog sein Gesicht. Skadi musste stark an sich halten, um bei diesem Anblick nicht in Gelächter auszubrechen. Hatte sie Enrique je als besonders Eitel eingestuft? Nun, er legte viel Wert auf Etikette und hatte zumindest damals stets auf ein gepflegtes Äußeres geachtet. Doch wie sie selbst konnte er all das nur als Vorwand genutzt haben, um seine wahre Natur zu überspielen. Erst als er ihre neuen Rundungen ansprach, huschten die dunklen Augen von den bärtigen Zügen auf ihren Körper hinab. Hingen eine Weile an ihren Brüsten, ehe sie mit einem breiten Grinsen den Kopf hob und mit beiden Händen die Kontur ihres Oberkörper nachfuhr.

“Beschwerst du dich etwa gerade über meinen wunderschönen Körper, de Guzman?
Oder ärgert es dich, dass du ihn erst jetzt zu Gesicht bekommen hast?“


Ob sie ihre Worte sonderlich ernst meinte war auf Grund des glitzernden Schalks in den dunklen Augen kaum auszumachen. Umhin ließ ihm die Nordskov keine Zeit dafür. Legt den dunklen Schopf zur Seite und ließ den Blick abschätzend über seine Statur schweifen.

“Also... wie sieht’s aus? Schwimmen oder klettern? Wenn wir noch mehr Zeit vertrödeln, kommen wir zu spät.“


Er sah ihr das zurückgehaltene Lachen deutlich an und fragte sich, warum sie es nicht einfach hinausließ. War ihr nicht danach? Das konnte es eigentlich nicht sein, denn ihre Augen leuchteten frech.

"Weder, noch!", erwiderte er, trotz ihres Themenwechsels, lachend, nachdem er ihren Händen, mit dem Blick, überdeutlich gefolgt war, "weder, noch. Immerhin konnte ich dir die ganze Zeit auf dein Allerwertesten schauen, ohne, dass du was dagegen tun konntest."

Und ja, er hatte sie oft gemustert und sich gefragt, wie sie wohl ohne das Versteckspiel aussehen würde, doch nie lange. Das hätte viel zu leicht andere Gerüchte hervorbringen können.
Jetzt genoss er es für einen Augenblick einfach, dass er sie so offen Angaffen durfte, provozierte sie es doch gerade und antwortete auf die anderen Fragen:

"Da du dich zum Schwimmen sicher nicht ausziehen wirst, bin ich auch für den Wald. Immerhin wirst du die schwierigen Stellen wohl meist vor und über mir erkunden müssen."

So anzüglich sein Wort auch waren, und so genau er sie auch studierte, seinem Blick und Gehabe fehlte jene primitive Lüsternheit, die sie in den schmutzigen Gassen und Straßen der Städte dazu auf sich gezogen hätte.
Sicher, ihm gefiel, was er da sah, aber da waren keine versauten Hintergedanken. Sie war ihm viel zu lange viel zu nahe gewesen, als dass dieses bisschen Geplänkel soetwas hervorgebracht hätte.
Und Auch sein Nähertreten war schlicht dazu gedacht, sich wieder in Bewegung zu setzen ...

So, hatte er das also? Da blieb ja nur zu hoffen, dass ihn dabei niemand beobachtet hatte und noch auf falsche Gedanken gekommen war. Zwar glaubte sie keines seiner Worte, doch setzte es ein ehrliches Schmunzeln auf ihre Züge. Noch mehr als er fortfuhr und ihr nun doch ein Lachen aus der Kehle kitzelte.

“Ich kann dich nicht ernst nehmen wenn du so redest.“, erwiderte sie glucksend und klopfte ihm, kaum dass er endlich aufgeholt hatte gegen die Schulter.

Unter anderem Umständen hätte sie sich auf dieses Spielchen einlassen können. Mit einem Menschen der nicht jahrelang über ihr gedient hatte und zu einer „Vertrauensperson“ geworden war.

“Verrätst du mir eigentlich weshalb du genau zu ihnen willst?“

Erneut hatten sie sich etliche Minuten durch den Wald gekämpft und immer häufiger über umgestürzte Bäume oder hohe Gesteinsbrocken klettern müssen. Mit ausgestrecktem Arm lehnte sich die Nordskov zu Enrique hinab, um ihn auf das Plateu einer kleineren Felsformation zu ziehen.


Und dann lachte sie endlich, ehrlich und wunderschön. Glücklich tat er es ihr gleich.

"Das will ich auch schwer hoffen!"

Kurz streiften seine Finger ihren Rücken. Ihm war danach, ihre Hand zu nehmen, wie damals bei seiner Schwester oder später bei seiner Tochter.
Stattdessen blieb er ihr einfach, so gut es ging, auf den Fersen, lächelte und stellte fest, dass diese Pause, trotz ihrer Kürze und des Lachens, ihm gutgetan hatte.

Sie kamen gut voran, auch wenn er bald wieder langsamer wurde, doch jetzt trieb er sich weiter, zeigte ruhig, dass ihm die Seite wehtat und endlastete sie inzwischen auch offensichtlich.
Zweimal atmete er jetzt vorsichtig durch, ehe er ihre Hand nahm und sich auf das Plateau wuchtete.
Oben angekommen kämpfte er sich zunächst, mit ihrer Hilfe, auf die Füße und nahm sich erneut Zeit zum durchatmen. Als der Schmerz dann ein wenig nachgelassen hatte, meinte er:

"Wenn sie einverstanden und nicht vom falschen Stamm sind, dann werden sie meine Nachricht, mit Glück, recht schnell zu meiner Cano'eyba bringen, oder an Andere weitergeben, damit meine Tochter weiß, dass ich noch lebe. Einen Brief kann ich nicht schicken, das würde womöglich viel zu viel Aufmerksamkeit auf sie lenken."

Seine Seite zwang ihn zu einer Pause. Fahrig wischte er sich den Schweiß von der Stirn.
Ein Teil von ihm sträubte sich, weiterzureden, ihr auch das Andere zu erklären, doch er hatte es bereits angedeutet und er würde, ihr gegenüber, sein Wort, auf jeden Fall, halten. Also setzte er seine Antwort kurzatmig fort:

"Ansonsten hoffe ich, dass ich etwas dabeihabe, was ich gegen Mohnsamen, Kokablätter und Kalk eintauschen kann."

Er straffte sich etwas, holte noch einmal vorsichtig Luft und setzte sich dann, über den Felsen, wieder in Bewegung.


Mit gemischten Gefühlen beobachtete sie die Anstrengungen Enriques, der sich zum ersten Mal, seitdem sie ihn kannte, erlaubte seinen Schmerz nach außen zu tragen. Zwar hatte er ihr früher bereits verbal mitgeteilt, wie es ihm ging, sobald sie unter sich waren. Doch das hatte lediglich nur sanft an der Oberfläche der Realität gekratzt, wie ihr schnell klar geworden war. Gestört hatte es sie allerdings nie. Aus diversen Gründen. Jetzt allerdings erfüllte es sie für einen kurzen Augenblick mit einer seltsamen Mischung aus Stolz, Dankbarkeit und Missmut. Stolz darauf, dass er endlich begriffen hatte nichts vor ihr verbergen zu müssen und missmütig darüber, ihn nicht früher damit konfrontiert zu haben. Nicht dass sie in der Lage gewesen wäre seine Schmerzen zu lindern, doch so fühlte sie sich noch mehr wie der stille Beobachter seiner Welt.
Ihr Herz pulsierte kaum dass er die ersten Worte über seine Tochter verlor. Ein stetes Pochen, das Hitze in jeden Winkel ihres Körpers pumpte und einen Verständnis- und gleichsam liebevollen Ausdruck auf ihre Miene legte. Nun verstand sie endlich, wieso er es so verdammt eilig gehabt hatte. Zweifelte sogar an der Wahl ihres Weges und glaubte, dass sie womöglich im Wasser schneller voran gekommen wären. Doch für eine Umkehr war es bereits zu spät.

“Verstehe. Dann sehen wir wohl mal zu, dass wir dich schnell dorthin bekommen.“

Es war mehr ein Murmeln, denn direkte Antwort. Ohnehin verstummte die Nordskov jäh mit skeptischem Blick als Enrique fortfuhr und sich mit dem Handrücken über die glänzende Stirn wischte.

“ Sind die Schmerzen so schlimm, dass du dich betäuben musst?“

Bisher hatte sie ihn nie als die Art von Genussmenschen eingeschätzt. Womöglich lag sie damit falsch - und sie waren sich erneut in einem Punkt ihres Lebens verdammt ähnlich.


Ihre Frage ließ ihn erneut stehenbleiben. Wie sollte er ihr das nun beantworten?
Mit einem unterdrückten, schweren Seufzen drehte er sich zu ihr herum und sah sie an, noch immer unschlüssig, was er genau sagen wollte, als sein Körper die Antwort einfach übernahm:
Gerade eben noch trat er sicher und aufrecht auf sie zu, als er kurz wegknickte und sich hastig am nächsten Felsen abfangen muste.
Sofort richtete er sich verbissen wieder auf, verdrängte den Schmerz aus seinen Gedanken und lächelte spöttisch, doch allein sein Aufstöhnen musste ihr verraten haben, dass es noch immer schlimmer um ihn stand, als er zeigte.
Auch wenn er, wann immer er konnte, jegliche Arbeit vermieden hatte, wo er seine Seite belasten musste, viel Ruhe hatte er nicht gefunden. Außerdem war die Prügelei mit Cornelis gerade mal vier Tage her.
'¡Maldita! Ich hätte nicht darüber nachdenken dürfen, wie es mir geht.'
Und dann jetzt:
Sie hatten keine Zeit für einen Sonntagsspaziergang mit Kaffeeklatsch.
Wütend auf sich selbst hob er ihr den Blick entgegen:

"Du hast dir wohl noch nie eine Rippe gebrochen oder geprellt wie?", fragte er süffisant. „Dann sei froh. Denn wenn du es genau wissen willst: Ja."

Stur sah er ihr weiter ins Gesicht, versteckte oder verstellte sich nicht, versuchte sachlich zu werden und schaffte das sogar halbwegs.

"Ich habe seitdem kaum ein Auge zugetan, auch weil die Schmerzen, nach einem anstrengenden Tag, mich kaum Schlaf finden lassen haben. Wenn ich nichts tue, dann ist es gut ertragbar aber sowie ich anfange, tiefer zu atmen, fängt es an zu schmerzen, und wenn ich dann auch noch arbeite, dann wird es richtig übel. Ich kann das Scheißteil halt nicht einfach stillhalten, weil ich dafür aufhören müsste zu atmen und ich kann es mir hier, genauso wie auf der Morgenwind, einfach nicht erlauben, in der Hängematte liegen zu bleiben, wenn es 'All Hands!' heißt. Jetzt, hier, wo die Sphinx im Hafen liegt, jetzt werde ich mich so lange und häufig wie möglich darein verkriechen oder mich irgendwo an Deck hinlegen, weil das jetzt jeder machen wird. Trotzdem wird das noch eine Weile so bleiben. Das sind, verflucht nochmal, Piraten, Skadi, und auch wenn die meisten ungewöhnlich nett zu sein scheinen, können wir es uns, bei den Ahnen, nicht erlauben, Schwäche zu zeigen."

Eine schneidende Handbewegung unterstrich seine Worte.

"Dieser Aspen zum Beispiel ist ein gesuchter Mörder und ihm wäre es nur recht, wenn ich plötzlich über Bord fallen würde. Josiah hat mich nur deshalb noch nicht aus dem Weg geräumt, weil er einen Auftrag von mir angenommen hat. Das Geschwisterpaar, das dieses Schiff führt, ist unberechenbar, zumindest diese Talin. Die Navigatorin ist auch nicht besser.  Der Schutz der Capitáns endet genau hier, oder würde es, hätten wir die Carta nicht unterschrieben. Es sind gerade mal zwei Wochen, die wir auf diesem Schiff sind, und auch wenn es vielleicht bescheuert klingt, wir haben denen noch nicht im Ansatz bewiesen, auf welcher Seite wir stehen."

Gequält sog er die Luft ein und senkte den Blick. Er durfte sich nicht so aufregen, das konnte er sich mit dieser Verletzung und nach solch einer Anstrengung einfach nicht erlauben.
Deshalb würde er gar nicht erst davon anfangen, was es hier, auf Mîlui, alles zu beachten gelten würde.
Er hatte diese Predigt auch gar nicht halten wollen, nein, die Worte waren einfach herausgesprudelt, waren, mit ihm, von Gedanken zu Gedanken gesprungen und hatten sich, trotz der Schmerzen, nicht aufhalten lassen.
Und jetzt konnte er sie nicht unkommentiert stehen lassen, also rang er sich umgehend weitere ab und sah sie wieder an:

"Ich muss einsatzbereit sein, sollte es heiß auf heiß kommen und das bin ich gerade kaum. Der Mohn wird mir beim Einschlafen helfen und die Kokablätter dabei, gelegentlich anstrengende Arbeiten zu erledigen. Sonst werde ich nichts nehmen. Viel werde ich eh nicht von ihnen bekommen können, da sie ihr Lager nicht hier haben. Ich kann zwar auch noch ohne harte Arbeit erledigen, aber die Frage ist, wie lange."

Aufgewühlt unterstrich er das Gesagte mit einer Handbewegung.

"Keine Sorge, ich weiß, worauf man beim Koka Kauen achten muss. Richtig angewendet schießt man sich damit nicht so ab, wie das die Süchtigen in den Straßen der Herzogtümer tun, dann machen die Blätter lediglich wach und lindern gleichzeitig die Schmerzen."

Unwirsch und mit sich unzufrieden wollte er sich abstoßen.

"Und jetzt komm! Wir haben schon genug Zeit verloren."


“Du hast dir wohl noch nie eine Rippe gebrochen oder geprellt wie?“

Sie ließ ihn in dem Glauben, wenngleich ihr ein bitterböses Lächeln auf die Lippen gerutscht war. Unwissenheit konnte so unfassbar schön und beflügelnd sein. Schließlich lag es kaum an ihm, diesen vermeintlichen Witz auf ihre Kosten ausgesprochen zu haben. Zumindest hoffte sie, dass es einer war. Andernfalls würde sie sich diesen Augenblick als hochnäsiges Gehabe für einen späteren Zeitpunkt merken. Und dann würde sie ihm auf jede erdenkliche Art klar machen, dass eine gebrochene Rippe das kleinste aller Übel war, denen sie in ihrer Kindheit begegnet war.
Tief sog die Nordskov die schwüle Luft der beginnenden Mittagshitze ein und kämpfte stark gegen den ersten Impuls an, die Augen zu verdrehen. Sie hatte ihm eine simple Frage gestellt, auf die er schlicht mit einem Ja oder Nein hatte antworten können. Doch typisch Enrique platzte ein Schwall an Worten aus ihm heraus, der fast einer Moralpredigt glich.

“Ich wüsste nicht, wieso wir ihnen etwas beweisen sollten.“

Sie sprach es so ruhig und gleichgültig aus, dass sich die dunkle Färbung ihrer Augen mit den leichten Schatten der Baumkronen verschmolz, die wie umherschwirrende Käfer über ihr Gesicht tanzten.

“Wir sind einer der Gründe, wieso sie es in einem Stück von diesem Schiff geschafft haben und glaub mal nicht, dass sie es nicht wüssten. Sie sind nicht dumm. Unser Glück ist es, dass wir ihnen, solange wir keinen Ärger machen, so ziemlich egal sind.“

Zumindest war es genau das Bild, das sich innerhalb der letzten zwei Wochen in ihrem Brustkorb verfestigte.

“Und damit wir uns richtig verstehen… Enrique.“
Skadi sprach seinen Namen mit so viel Nachdruck aus, dass sie kaum mehr das Bild einer entspannten jungen Frau abgab.

“Ich weiß sehr wohl welcher Gefahr du ausgesetzt bist. Aber es enttäuscht mich ein wenig, dass dir immer noch nicht klar ist, wie ernst mir mein Versprechen ist. Vielleicht mag es an diesem Rotbart liegen, sehr wahrscheinlich sogar. Aber ich bin kaum jede Nacht wach, um fleißig Däumchen zu drehen.
Wie dem auch sei…“


Hatte Enrique das Gespräch beenden wollen, versenkte Skadi mit einem letzten Blick und einer beschleunigten Drehung die Sargnagel ihrer Unterhaltung. Sie hatten bereits genug Zeit für unnötige Ausschweifungen verschwendet.

“Du brauchst deine Schmerzmittel.“

Und damit verschwand sie bereits ins nächste Dickicht.

einige Minuten später

Ein letzter Schritt und sie würden aus dem satten Grün heraus treten. Mitten auf den weißen Sandstrand, der sich vor ihnen wie das Himmelreich erstreckte. Leuchtend und befreiend. Doch es lag nicht an ihr zu entscheiden, wie sie sich der kleinen Gruppe am Ende ihres Weges näherten. Nur mit einem knappen Blick sahen die dunklen Augen der Jägerin über die Schulter zu Enrique zurück. Abwartend, was er wohl tun würde.


Ihr Gesichtsausdruck verriet ihm genug, um zu wissen, dass sie nur zu gut wusste wie sich eine gebrochene Rippe anfühlte. Und hätte sein Mund nicht beschlossen von Anderem zu sprechen, er hätte wohl kaum das "Was fragst du dann noch so dämlich?!?" zurückhalten können.
So war es zu spät dafür, gerade weil es ihm erst später, als sie bereits wieder über Stock und Stein kraxelten, so richtig aufregte. Da, wo er bereits wieder kaum genug Luft zum Mithalten hatte.
Doch zunächst verdrängte eine einzige Erwiderung alles Andere aus seinem Geist:
"Ich wüsste nicht, wieso wir ihnen etwas beweisen sollten."
Sie sagte das so unbeteiligt und so selbstsicher, dass ihn diese Selbstverständlichkeit völlig aus dem Konzept brachte.
Es war, als würde dieser eine Satz immer und immer in seinem Kopf wiederholt werden, dahinter, wie ein Rauschen die Antwort all seiner Gedanken darauf gleichzeitig erklingen und dazwischen, recht undeutlich, Skadis weiteren Worte, denen er zu folgen suchte.
"... so ziemlich egal sind. ... welcher Gefahr du ausgesetzt bist. ... enttäuscht ... jede Nacht wach, ..."

Ihrer Beider Momentum hatte sie vorwärts getragen, ihre Flinkheit die Jägerin aus seiner Sicht.
Ja verstand sie denn nicht? Oder hatten sie in diesem Punkt so unterschiedliche Sichtweisen? Lag es daran, dass er Offizier und sie nur Sergeant gewesen war? Oder war sie schon immer mit dem zufrieden gewesen, was man ihr hinwarf, so lange es ausreichte, um ihre Ziele zu erreichen? Hinterfragte sie nicht, wie Andere sie sahen?

Einen Augenblick war er stehen geblieben, nicht nur wegen der Schmerzen, sondern auch, weil ihn dieser Gedanke fragte, ob es denn wirklich wichtig wäre, was Andere von einem dächten? Zu mindest nicht, wenn man wusste, wer man war?
Angst hatte ihn daraufhin befallen, weil er plötzlich das Gefühl hatte, keine Chance zu haben, mit dieser Frau mitzuhalten, weil er so lange ein Bild nach außen getragen hatte, dass er, wie schon bei seinen Gesprächen mit Cornelis, das Gefühl hatte, dass nichts mehr hinter der Maske von ihm geblieben war und dass das offensichtlich sein könnte.
Dann hatte er an seine Tochter denken müssen, dass er vielleicht auch dort nur diese Maske gewesen war und sie ihn, sollte er sie jemals ablegen können, hassen würde.
Wut war emporgekrochen und hatte von ihm Besitz ergriffen, die Angst vertreiben, den Hass auf den Verantwortlichen hervotgezerrt und ihn verwünschen lassen.
Doch wie dem auch war, er hatte seinem Bruder versprochen, wieder er selbst zu werden und egal wie wenig von ihm noch da sein mochte, seine Liebe zu seiner Tochter war ein entscheidener Teil von ihm und sie ließ nicht zu, dass er sie im ungewiss lassen könnte.
Er musste ihr mitteilen, dass er noch lebte und zu ihr zurückkehren würde.

Das hatte ihn vorangetrieben, die Wut ihm Kraft verliehen und alles andere bei Seite wischen lassen.
Unterwegs hatte er sich dann doch mit ihren Worten auseinandersetzen müssen und sich gefragt, ob er das Gefühl hatte, diesen Leuten etwas beweisen zu müssen und es kategorisch mit einem 'Nein!" von sich gewiesen, ohne jedoch seine innere Unruhe dadurch loszuwerden ...

+++

Sie waren am Ziel.
Leise schob er sich an einen der Bäume, nutzte ihn als Stütze und Deckung zugleich. Seine Augen suchten nach Erkennungszeichen und fanden sie. Erleichtert wollte er sich an Skadi wenden, als ihn etwas irritierte.
Sein Gesicht verfinsterte sich zunehmend, als er noch einmal die Szenerie genau musterte und fluchte stumm, ehe er sich tiefer zurück in das Dickicht gleiten ließ.
Als sie ihm verwundert zurückfolgte und sich zu ihm kauerte, da atmete er mühsam tief durch. Dann sah er sie an und fragte:

"Was sagt dir die Tatsache, daß die Männer und Frauen da unten sich wie Ara'tayu kleiden, ihre Cano'eyba Ara'tayuzeichen trägt, ihre Körperbemalung allerdings, genau wie ihr Verhalten, Fehler aufweist? Ein Ara'tayu würde nämlich nie einen am Boden Liegenden schlagen, wie der große mit der üblen Narbe über Brust und Schulter es gerade getan hat."


Irgendetwas stimmte nicht. Enriques Brauen tanzten derart Limbo zu seinen Augen hinab, dass der dichte Schatten dazwischen noch finsterer wirkte. Leise und wortlos folgte sie ihm ein Stück weit ins Dickicht zurück. Hielt die braunen Seelenspiegel ruhig auf seiner Miene, solange sie seinen Worten lauschte. Prüfend wanderte der Blick zurück über den Strand hinweg, währen sie die Luft zwischen ihnen einsog und nur unter einem leichten Brummen freigab.

“Dass wir zu spät sind.“

Eigentlich wirkte seine Frage vielmehr rhetorischer Natur, war sie aller Wahrscheinlichkeit nach auch. Doch die Jägerin verstrickte sich sogleich in einem Konstrukt aus Möglichkeiten, die wie ein Hagelschauer auf ihren Verstand einprasselten.

“Hast du gesehen wer am Boden lag und wie viele Männer und Frauen dort sind?“

Sie selbst war von knapp 8 Personen ausgegangen, hätte in der aufkeimenden Hektik jedoch nicht die Hand dafür ins Feuer legen können. Ob sie ihr Versteck für einen Angriff nutzen könnten? Sie allein mit vollkommener Sicherheit. Doch Enrique? Eher weniger, wenn sie die Schweißperlen auf seiner Stirn musterte. Für ihren Plan war er ohnehin nur als passiver Mitspieler vorgesehen - mit Pfeil und Bogen um ihre Schulter und einem derart dichten Urwald im Rücken war es beinahe wie eine ihrer unzähligen Prüfungen zu Hause. Und sie würde den Teufel tun jetzt den nicht vorhandenen Schwanz einzuziehen.


Ihre Antwort war nicht ganz das, was er erwartet hatte, aber sie traf es ziemlich genau.
Seine Augen wanderten zum, von den Blättern verborgenen, Strand, als er sich die Szene wieder vor Augen rief.

"Es sind fünf beim Canoa:Zwei darin, ein Mann und eine Frau, damit beschäftigt die Sachen zu durchsuchen, ein Mann davor, der die beiden überwacht oder wer weiß was tut, daneben der mit der Narbe und der am Boden Liegende. Dazu mindestens vier weiter, oben am Strand, unter den beiden großen Palmen, einer direkt bei den beiden am Boden hockenden Frauen und die Wache bei den Felsen etwas näher bei uns. Sie stehen mit dem Rücken zu uns, trotzdem denke ich, dass eine davon eine Frau ist. Sie hat kurz was gesagt und in den Dschungel gedeutet. Ich schätze, es sind noch ein paar weitere hinter der restlichen Cano'eyba hinterher, der Rest bei ihrem Piragua', dass sie entweder hier oder in der nächsten Bucht versteckt haben dürften. Insgesamt werden es aber nicht mehr als elf sein.  Oder 22, falls du auch die angegriffene Cano'eyba zählst.  Letztere dürften Teieri sein. Zumindest wenn ich das bei den Frauen richtig gesehen habe und sie rote Korallenperlen tragen. Die wäre typisch für sie."

Enrique knurrte, seine Hände balllten sich zu Fäusten und er schloss die Augen.
Das durfte nicht wahr sein!

"Die Angreifer sind dann sehr wahrscheinlich Ara'ke'ni auf Kriegszug, und die Frauen ihre Beute."

Skadi hatte die Wilden an der Böschung zum Wald nicht gesehen, dafür meinte sie allerdings zwei weitere, liegende Person entdeckt zu haben, eine hinter dem großen Kanu und die andere davor, fast gänzlich vom Wasser verborgen. Und vielleicht war, bei dem Szenario, das Enrique da gerade entwarf, der Schatten, hinter dem Felsen in der Brandung, doch kein Treibgut ...


Noch während er sprach, ließ sich die Nordskov in die Hocke sinken und begann mit einem Finger die Szenerie vor sich auf den Boden zu zeichnen. Ignorierte vorerst die Verwirrung, die seine zahlreichen, komisch klingenden Begriffe in ihrem Kopf freisetzten, um dann mit grübelnder Miene zu ihm aufzusehen.

“Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich in den Dschungel locken lassen?“

Zwar konnte es die Nordskov auf einen Versuch ankommen lassen und zumindest ein oder zwei aus der Ferne außer Gefecht setzen. Doch sie würde nur unnötige Munition verschießen, wenn sich die Käfer nicht in ihr Spinnennetz verirrten. Auf Enrique zählte sie in diesem Szenario nicht. Mit seiner Rippe war er ihr nur eine Last.

“Wir haben nur einen Versuch, um diese… Teieri… zu retten. Sofern du das überhaupt willst.“

Das war schließlich auch noch mit einem Fragezeichen offen geblieben. Mochte sein, dass Enrique wenig begeistert wirkte. Doch das konnte auch der Tatsache geschuldet sein, dass er nicht das vorfand, was er sich erhofft hatte.

“Ich bin zwar schnell und wendig… und mindestens zwei kann ich über den Haufen schießen, bevor sie sich verkriechen können. Aber danach wird’s nen Wettlauf gegen die Zeit.“


"So lange sie nicht wissen, dass sie alle Teieri erwischt haben, vermutlich recht groß. Wenn du dich als schwache Frau zeigst, noch größer, denn wenn ich das richtig sehe, sind sie auf Frauenfang. Kinder und Handwerker würden sie wahrscheinlich auch zu greifen versuchen, ich habe aber nichts hier, um letzteres zu mimen. Wenn dann bekomme ich eher den verwundeten Krieger hin. Dem werden sie dann versuchen den Gar auszumachen, was sich als schwieriger herausstellen würde, als sie glauben."

Enrique grinste frostig und enthüllte die verborgene Pistole direkt hinter dem Säbel. Seine ganze Haltung drückte aus, dass er diese Situation nicht so lassen würde, wie sie war, und das er sich wohl auch nicht bei direkter Anweisung aus einem Kampf heraushalten würde. Das hier war nämlich längst persönlich geworden.

"Ich würde sie über zwei potentielle Opfer in zwei verschiedenen Richtungen locken und dann einen Bogen zu einem Treffpunkt schlagen. Hier zum Beispiel."

Während er sprach ergänzte er einige Kleinigkeiten bei ihrer Szenerie, nachdem er herausgefunden hatte, was wofür stand.
Darunter war auch zwei Felsenspitze, eine fast am anderen Ende der Bucht, die andere etwa auf zwei Drittel der Strecke, die den Dschungel etwas überragten und sich recht nah am Strand befanden. Da sie das Terrain nicht näher kannten, blieben ihnen nur solche Landmarken.

"Ab da müssen wir wahrscheinlich eh schon improvisieren. Falls du lieber Rückendeckung haben willst oder einen anderen Plan hast, lass ihn hören."


Eine Augenbraue schnellte hinauf, fast tadelnd, weil sie nicht wirklich davon ausging, dass Enrique ernsthaft dachte, dass er mit einer Pistole weit käme. Außerdem war sie sich nicht sicher, dass er über Stock und Stein davon hechten konnte, wenn es brenzlig wurde. Aber es war wohl zu spät um ihn eines Besseren belehren zu wollen, oder? Mit einem schweren Seufzen erhob sie sich letztlich und stellte den Köcher neben ihrem Bogen im Sand ab. Zog den Verschluss ihres Wams auf und schob sich den dunklen Stoff ihrer Bluse bereits über die Schulter.

“Ich kümmere mich um die Vier am Schiff. Du versteckst auf dem Weg zum Treffpunkt meinen Bogen im Wald.“

Ruckartig zog die Nordskov ihr Knie in die Höhe und schob Zeige- und Mittelfinger unter den Bund ihres Stiefels. Zog einen kleinen schimmernden Dolch aus der dort versteckten Scheide und verstaute ihn vorsichtig unterhalb der Bluse zwischen ihren Brüsten. Betont langsam sank ihr Fuß zurück auf den Boden, während sie ihren Oberkörper leicht drehte, um die Position des Dolches an ihrem Körper zu testen. Dann schnaubte sie.

“Meinst du ich geh so als schwach und wehrlos durch?“
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