09.04.2020, 12:16
Elian klang seltsam kontrolliert. Seit dem Vorfall mit den Kopfgeldjägern war auch der jüngere Montrose ziemlich in sich gekehrt. Wer konnte es ihm verübeln? Er hatte weitaus mehr Opfer gelassen als der Rest der Crew und dennoch – früher oder später würde auch er einsehen müssen, dass das Leben für die einen weiterging, während andere in den Wellen der achten Welt untergingen. Innerlich seufzte Liam. Denn er ahnte, dass dem Mann mit Sicherheit nicht nach einer Priese Humor war. Allerdings auch nicht nach einem spöttischen Kommentar über seinen toten Bruder, wobei er ihn erstaunlich stoisch herunterschluckte. Liam konnte nicht verhindern, dass seine Gesichtszüge eindeutig zeigten, dass das vielleicht ein wenig viel gewesen war. Nicht, dass er geglaubt hätte, Shanaya damit Einhalt zu gebieten – er wusste, dass es sie kein bisschen kümmerte, was er dachte. Ohnehin hielt sich Liam aus diesem Thema heraus. Er glaubte immer noch – irgendwo tief in ihm drin – dass sie doch mehr für Aspen übriggehabt hatte als bloße Gleichgültigkeit. Vielleicht war ihre bissige Art ihre Weise, mit seinem Verlust umzugehen? Während der kurzen Pause, die eintrat, hörte Liam förmlich das Blut in seinen Ohren pulsieren. Obwohl er Elian noch immer den Rücken zugekehrt hatte, konnte er sich das Gesicht des Jüngeren gut vorstellen. Und er bezweifelte dass der Montrose den Wortwechsel so gelassen hinnehmen würde, wie es gerade den Anschein machte. Wie Recht er damit hatte, eröffnete sich ihm bereits im nächsten Moment, als Elian zu einer Antwort ansetzte, Shanaya dabei allerdings erstaunlicher Weise einfach überging (vermutlich das Schlauste, was er tun konnte).
Der Lockenkopf verzog das Gesicht, den Blick noch immer in Shanayas Richtung gewendet und Elian somit den Rücken zudrehend. Nicht, weil er eine Grimasse vor ihm verstecken wollte, sondern weil es umständlich gewesen wäre, zu frühstücken und gleichzeitig über seine Schulter zu spähen. Was Elian sagte, weckte in ihm hauptsächlich Bedauern. Bedauern darüber, dass die Pasteten, die er bislang zu kosten bekommen hatte, offenbar nicht sonderlich verführend gewesen waren. Anscheinend hatte Elian also entweder nicht das Talent darin, sich eine fähige Liebhaberin zu suchen oder die Marine spendierte ihren Schachfiguren nicht einmal genügend Gehalt, um sich mehr leisten zu können als eine Hure, die nicht mit Leidenschaft bei der Sache war. Liebe war etwas so Erfüllendes. Die Körperliche jedenfalls. Bei allem anderen konnte Liam ebenso wenig mitreden. Den Kommentar, ihm bei Zeiten mal eine richtige Pastete zu suchen, schluckte er allerdings. Irgendetwas in ihm sagte ihm, dass Elian auch das nicht mit Humor nehmen würde. Schlaues Kerlchen. Vielleicht sollte er dem jüngeren Montrose eines der Portraits schenken, welches er von Shanaya angefertigt hatte – Die spiegelten ihre bloßen Vorzüge zur Genüge.
Jetzt erst wandte sich Liam gänzlich herum und blickte dem blassen Mann ins Gesicht. Sein Kommentar ließ er stehen - alles weitere hätte sie definitiv nicht voran gebracht. Eigentlich war seine Sorge ehrenvoll. Aber Elian ließ außer Acht, dass es schlauer war, Shanaya bereitwillig nach draußen zu begleiten, als sie dazu zu zwingen, sich alleine rausschleichen zu müssen. Und ein bisschen Sonne und Frischluft hatten auch noch niemandem geschadet – weder krank noch gesund.
„Natürlich bringe ich sie wieder her.“, sprach er die Selbstverständlichkeit aus, die Elian offenbar in Frage stellte. „Aber du kannst uns auch gerne begleiten und dich selbst davon überzeugen. Klingt nämlich, als hättest du einen Tapetenwechsel nötiger als unser eingesperrter Singvogel hier.“
Mit der Hand wies er über seine Schulter hinweg in Shanayas Richtung, deren unbegeisterten Ausdruck er ziemlich gut vor Augen hatte. Doch sein Angebot war ernst gemeint. Ob er annahm oder nicht lag bei ihm.
„Du klingt nämlich schon fast fachmännischer als Greg.“