Inselwelten

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The moment it takes

Out of sight, out of mind
Out of time to decide
Do we run? Should I hide
For the rest of my life

Can we fly? Do I stay?
We could lose, we could fail
In the moment it takes
To make plans, or mistakes

30 minutes the blink of an eye
30 minutes to alter our lives
30 minutes to make up my mind
30 minutes to finally decide
30 minutes to whisper your name
30 minutes to shoulder the blame
30 minutes of bliss, 30 lies
30 minutes to finally decide


Escamil | 13. September 1819, Nachmittag
Taranis Ives („Rhys du Coeur“) und Elian Montrose


Es war fast zu schön, um wahr zu sein. Vorgestern hatte Elian sein Zeugnis erhalten und war nun auch auf dem Papier ein vollwertiger Arzt. Heute war sein Geburtstag. Und letzte Nacht, so hatte er beim Hafenmeister erfahren, war die Penthesileia vor der Küste Escamils aufgetaucht. Sie hatte dort am Vormittag für eine Weile gekreuzt, letzte Exerzitien durchgeführt, und war dann gegen Mittag in die Hafenbucht eingelaufen. Es würde sicher nicht mehr lange dauern, bis sie vollständig entladen war und die Besatzung von Bord gehen durfte.
Die Sonne hatte sich gesenkt und tauchte den Hafen in goldenes Licht. Elian hatte sich eine Stelle gesucht, von der er wusste, dass Rhys sie auf dem Weg zu seinem Quartier passieren würde müssen, und sich dort gegen eine Hauswand gelehnt. Er schloss die Augen für einen Moment, blendete das wirre Treiben um ihn her aus, ehe er sich erneut konzentrierte. Marineuniformen gab es hier mehr als genug. Es galt nun, die richtige zu erspähen.

Er wartete sicher eine Stunde. Er hasste diese Warterei, auch wenn er sie mittlerweile zur Genüge kannte. Die Penthesileia patrouillierte auf einer üblichen Handelsroute, ihre Aufgabe war nicht so besonders gefährlich, aber es kam trotzdem immer wieder zu Übergriffen von Piraten, und mitunter Stürmen. Die meisten Schiffe überstanden die Reise ohne Probleme, aber ein Risiko war doch immer dabei… für das Schiff als ganzes, aber auch für die Besatzung im Einzelnen. Krankheit, Verletzung, Unfälle… Zu vieles konnte in den Wochen seit ihrem letzten Treffen passiert sein, und in dieser einen Stunde Warterei gingen ihm immer sämtliche Möglichkeiten durch den Kopf und mischten sich in die nervöse Vorfreude, weil er Rhys bald wieder für sich haben würde. Er war fast so weit, seine Fingernägel zu kauen, als er endlich den vertrauten dunklen Lockenschopf erspähte, einsam und offenbar in Eile. Das Lächeln legte sich ganz von allein auf Elians Gesicht, genau wie das wohlige Gefühl in seinem Bauch. Er sieht ein wenig müde aus, vielleicht gestresst… nichts, was ein Landaufenthalt und eine Feier mit mir nicht beheben könnten. Einmal mehr preiste er im Stillen die Göttin, die seine Gebete erhört und seinen besten Freund auf der Seereise gut beschützt hatte, dann schob er sich durch die Menge, um Rhys abzufangen. Fast hätte er ihn noch verpasst, er hatte nämlich Rhys‘ Sturmschritt und die Gewandtheit, mit der er sich durch die Menge bewegte, unterschätzt. „He, Seemann… wohin so eilig?“ Er erwischte du Coeur gerade noch so von hinten an der Schulter, ehe er sich aus Elians Reichweite bewegen konnte. „Hast du ein paar Minuten für einen alten Freund?“

Taranis Ives

Die Fahrten der Penthesileia hatten einen merkwürdigen Rhythmus in sein Leben gebracht. Tanis konnte nicht verhehlen, dass es ihm ein Gefühl von Freiheit gab, zu allen Seiten nur noch Horizont zu haben. Gleichzeitig allerdings fühlte er sich immer verloren, erwischte sich manchmal dabei, einen Kompass zu halten und sich vorzustellen in welche Richtung Kitar lag, die nieder gebrannten Mauern seines alten Zuhauses. Und manchmal, mit einem schlechten Gewissen, sah er in Richtung Escamil, die Richtung, in der Elian war.
Diese Abhängigkeit war…sie war nicht das, was er spüren sollte. Sie war falsch auf vielen verschiedenen Ebenen.
Es ist vermutlich schon zu spät. Es würde der Moment kommen – vermutlich eher früher als später – wenn er Elian verlieren würde, zusammen mit Rhys du Coeur und die Abwesenheit würde sich in sein Herz graben. Ein Verlust, der wie der seiner Mutter eine Wunde werden würde anstatt eine Narbe. Manche Dinge verheilten nicht.
 
Auf dieser Fahrt war Frederic Wren mit ihm an Board. Sie fuhren oft gemeinsam und gewöhnlich war das kein Problem. Aber dieses Mal…er hatte es vielleicht ein wenig übertrieben. Tanis hatte den Mann weiter und weiter in den Sumpf von Sünden getrieben und mittlerweile hatte der Kerl weder Gewissen noch Moral und dafür eine Horde an Gelüsten, über die man nicht einmal in schmutziger Gesellschaft sprechen sollte. Angus wäre rot angelaufen bei einigen der Dinge, die Tanis beobachtet hatte. Zu Tanis Glück konnte der Mann die Hälfte davon nicht ausleben, solange er sich an Bord eines Schiffes befand. Die andere Hälfte…gut, Tanis hatte auch Bedürfnisse. Insofern war es zu ertragen gewesen, dass sie diese Wochen miteinander hatten verbringen müssen, aber er war erleichtert, seiner Gesellschaft wieder zu entkommen, sobald sie von Board gegangen waren.
„Auster  wenn wir fertig sind, Du Coeur.“
Tanis schnaubte und zog ein Tau an. „Nein danke, Wren. Ich komme eine Zeit lang ohne den Gestank von schlechtem Fisch aus.“
„War keine Frage, Du Coeur.“
„War keine Zusage, Fred. Ich habe besseres zu tun.“
„Sir.“
Tanis warf ihm einen Blick zu. Er mochte die Art nicht, wie Frederic ihn nun ansah. Ganz und gar nicht. Es war nicht die Art, wie er angesehen werden wollte, wenn das Land nahe war. Er wollte es nicht einmal dann sehen, wenn sie noch auf See waren.
„….bitte?“
„Sir. Ich bin immer noch dein vorgesetzter Offizier.“
 
Nein. Das war nicht das, was er hören wollte. Es sorgte dafür, dass er Schweiß auf den Händen hatte. Sein nächster Blick zu Fred war ein wenig unsicherer. Der Mann war gewachsen in den letzten Jahren, hatte Muskelmasse zugelegt. Seine Koteletten waren dichter und in dem blonden Haar fing sich die Sonne. Er begann die Schwielen und Narben zu haben, die Offiziere auf Schiffen hatten.
Er begann ihn mehr und mehr an jemanden zu erinnern, an den er nicht erinnert werden wollte. Und die Art, wie er ihn ansah…ja, ja, das war….nein.
 
Sobald sie an Land waren, sprang er von Board und verschwand in der Menschenmenge, Freds „DU COEUR!“ ignorieren. Nein. Nur weg von dort und nachdenken und dem Mann Gelegenheit dafür geben, sich abzureagieren und sich auf die Frauen in der Auster zu konzentrieren oder auch auf die Mannfrauen dort.
Er fühlte sich wie eine Maus, ein wenig wie auf der Flucht. Ein wenig wie ein junger Bastard, der nur ein Messer hatte, um sich zu verteidigen, nach dem niemand fragen würde.
Er hörte die Worte nicht, er spürte nur eine Hand auf der Schulter und im nächsten Moment drückte er jemanden gegen eine Wand, den Arm gegen die Kehle gepresst. Sein Atem ging flach und pfeifend und…und….
Elian.
Er machte zwei Schritte zurück, als hätte er sich verbrannt.
„Das… Du hast mich erschreckt. Tut mir Leid. Ich…“ Er atmete tief durch und lächelte dann. Normal sein. Wegkommen. Hauptsache die beiden liefen sich jetzt nicht über den Weg. „Immer. Aber ich denke, ich will erst einmal weg von Menschen und dem Hafen. Dein Zimmer?“
 
 
 
 
 







Rhys‘ Reaktion war nicht unbedingt, was Elian erwartet hatte. Er bekam nicht mal die Zeit, zu reagieren, ehe seine Kehle von einer kräftigen Männerhand umschlossen und zugedrückt wurde. Er rang nach Luft, konnte keine bekommen, griff im Reflex nach Rhys‘ Handgelenk, versuchte, die Klammer um seine Luftröhre zu lösen.
Und dann war er mit einem Mal frei und kippte vorwärts, die Hände auf den Oberschenkeln, um hustend nach Luft zu ringen. „Bei der Göttin…“ Er musste an die Mauer greifen, während er sich aufrichtete und die Umgebung nur langsam aufhörte, vor seinen Augen zu tanzen. „Du wusstest schon immer, wie man eine Begrüßung besonders macht…“ Er rieb sich den Hals, konnte aber nichts spüren, das wie eine bleibende Verletzung anfühlte. Natürlich nicht, so schnell geht das nicht. Aber erschreckt hat er mich schon, herrje.

So allmählich kam er wieder zu sich und fand in eine zusammenhängende Unterhaltung hinein. Rhys‘ ganzes Wesen wirkte gehetzt, seine Eile dringlicher als nur in einer allgemeinen Präferenz für traute Zweisamkeit begründet. Elian legte den Kopf schief, aber sein Vertrauen in den Anderen war von dessen erster Handlung längst nicht ausreichend angekratzt, um ihn in einem solchen Moment zu hinterfragen. Erklärungen würden kommen. Oder auch nicht. Beides war für ihn in Ordnung.

„Eh... Natürlich. Gerne. Komm mit.“ Sie gingen nebeneinander her, bogen in Richtung der Kaserne ab. Elian merkte, dass Rhys sich in der Kurve mehrfach umdrehte und noch etwas zügiger wurde, so dass sie jetzt regelrecht vorwärts hasteten. „Na schön…“ Glücklicherweise hatte er die längeren Beine und hielt mühelos mit seinem Freund mit. „Laufen wir vor dem Hafenbereich weg, vor deinen inneren Dämonen, oder vor einer bestimmten Person?“

Taranis Ives

Elian.
Elian.
ELIAN.
Er hatte Elian angegriffen. Er hatte ihn beinahe verletzt. Er…. Tanis starrte auf Elians Hals, auf die Abdrücke von seinen Händen. Oh Göttin.
Seine Knie waren ein wenig weich und er musste sich zwingen, seinem Freund in die Augen zu sehen. Das hier…nichts sollte ihn dazu bringen können SO ETWAS zu machen.
Fred war nur ein Kerl. Es war….wirklich nicht….
Reiß dich zusammen. Ein Messer, eine Seitengasse und alles ist vom Tisch. Es ist nicht dieselbe Situation und selbst damals war es beinahe so gelöst.
 
„Vor…“ Er wusste nicht ganz, wie er es ausdrücken sollte, zwang sich dazu, ein wenig langsamer zu gehen. Es war albern. ER war albern.
„Es ist nicht wirklich irgendetwas. Nur…ich möchte den Fischgeruch aus der Nase bekommen.“
Er merkte selbst, dass das nicht glaubhaft klang und raufte sich die Haare. Verdammt. Er war Spion. Er spielte jeden Tag eine Rolle. DAS HIER sollte nicht so verdammt schwer sein für ihn.
„Tut mir Leid. Ich will nicht wirklich drüber sprechen?“







Rhys‘ gehetzte Art machte ihm Sorge und übertrug sich zunehmend auf den jungen Arzt, auch wenn er nicht so ganz verstand, was denn der Grund für die Nervosität war, die sie beide ergriffen hatte. Er begann ebenfalls, sich mehrfach umzudrehen, konnte aber niemand entdecken, der besonders auf sie beide fokussiert schien.

Vielleicht bildete er sich das hier auch nur ein? Oder Rhys wollte nur einem nervigen Gesprächspartner entkommen? Es war gut möglich, dass er zu viel hier hinein las. Wäre da nicht der Umstand gewesen, dass Rhys ihn zur Begrüßung fast erdrosselt hätte, hätte Elian die ganze Interaktion als Zufall und irrelevant abgetan. Insbesondere, da Rhys die Sache halbwegs glaubhaft auf Fischgeruch schob (in Ordnung, bleiben also alle Antwort-Optionen abgesehen von Fischgeruch übrig) und dann erklärte, dass er nicht darüber reden wollte.

Die Fischgeruch-Lüge weckte selbstredend Elians Neugierde. Die verständliche und sehr legitime Bitte um einen Themenwechsel und die Freude über das Wiedersehen, so bizarr es sich bislang anging, gewannen jedoch die Überhand, auch wenn er den kleinen, nagenden Zweifel in seinem Hinterkopf nicht verbannen konnte: Wer war auf dem Schiff, außer Rhys? Jemand den ich kenne? Was ist passiert? Etwas muss passiert sein, richtig? Warum ist er so schreckhaft?! An mir liegt es ja scheinbar nicht... oder doch?

„Dann reden wir über etwas anderes.“ Elian legte im Gehen kurz einen Arm um Rhys und ließ ihn dann wieder los, damit sie nicht zu vertraut aussehen würden. Eine kurze Umarmung war für gute Freunde noch im Rahmen, sogar in Uniform. „Es ist nicht so, als ob wir uns nichts zu sagen hätten. Vier Monate, Mensch! Der Hafenmeister ist am Ende dazu übergegangen, mich ‚Penthesileia‘ zu nennen, weil ich so oft vorgesprochen habe. Und ich hab‘ ein ganzes Bündel Romane, deren Veröffentlichung du auf See verpasst hast… größtenteils Schund, aber ‚Der Herzog von Marlas Cirell‘ dürfte dir gefallen. Rachegeschichte, Seefahrt, große Emotionen, Ungerechtigkeit und Tragik… das Komplettpaket.“ Sein unbeschwerter, fröhlicher Tonfall war natürlich, aber dennoch bewusst gewählt, um Rhys‘ Anspannung etwas zu lösen. Hey… du bist wieder an Land! In Sicherheit! Bei mir! Alles ist gut!

Taranis Ives

Er hätte sich gerne den Arm wieder um die Schulter geschlungen und den Kopf an Elians Brust vergraben. Es war ein kindischer Wunsch. Er wusste nicht einmal wirklich, woher er diesen hatte und es hätte die ganze Situation nur schlimmer gemacht.
Tanis brauchte keinen Beschützer. Er hatte nie einen gebraucht und jetzt brauchte er erst recht keinen, vor allem nicht Elian, für den das Ganze nur schlecht ausgehen konnte.
Aber er mochte den Geruch und die Wärme gerade, das Gefühl berührt zu werden ohne dass Ekel in ihm aufstieg. Du hast gesagt, du bist kein Opfer, aber das Hurenkind wird man nicht los. Hängt an einem wie Fischgeruch. Alles andere waren Träume. Er war gut in Träumen, aber er wusste nicht, was er mit sich anfangen sollte, wenn er aufwachte, auch wenn es immer nur für einen kurzen Moment war. Die Welt fühlte sich erstickend und wie ein Alptraum an. Wie ging dieses Lied noch mal? Don’t make me go to sleep, in all my dreams I always drown….
 
Ablenkung. Ablenkung war gut.
„Rachegeschichten sind grundsätzlich die besten Geschichten.“, stimmte er zu. „Und Tragödien sind die realistischsten.“ Er machte sich manchmal Gedanken darüber, dass er sich über seinen Buchgeschmack zu sehr verriet, aber wenn Elian damit leben konnte, dass er Lady Autumn mochte, würde er sich wohl auch mit seinen Vorlieben für dunkle Rachegelüste gut auseinander setzen können. Es waren immer nur Geschichten. Nur Geschichten.
 
„Es werden nicht die letzten vier Monate sein. Und ich nehme an, du bist jetzt ein Arzt und wirst dann auch fort geschickt werden.“
Elians Zimmer war wie ein Zuhause. Wie ein Bordell. Sicherheit, Geborgenheit… Er kannte jeden Winkel, jede Ritze. Er kannte den Geruch darin.
Tanis entspannte sich sichtlich und ließ sich aufs Bett fallen, stellte den Geigenkoffer vor sich ab.
„Ich habe allerdings ein neues Lied im Hafen gelernt. Ansonsten war die Reise furchtbar langweilig, so wie sie es meistens ist.“







„Ja, seit vorgestern.“ Elian hatte sich die Arztausbildung nicht selbst ausgesucht, und über die Jahre manches Mal über das Lernpensum gejammert, aber er konnte nicht umhin zuzugeben, dass der praktische Aspekt ihm große Freude bereitete und dass er das erst, seit er mehr oder weniger regelmäßig in der Laterne aushalf, so wirklich begriffen hatte. Vielleicht waren es die praktischen Erfahrungen, die er heimlich gesammelt hatte, die ihn so stolz machten. Oder vielleicht war es das Gefühl, mit etwas fertig geworden zu sein. Sein eigener Mann zu sein, zumindest ein kleines Bisschen mehr, und nur bis die Marine bestimmte, auf welchem Schiff sie ihn einsetzen würde.

Die Anspannung wich von Rhys, kaum dass Elian die Zimmertür hinter ihnen geschlossen hatte. Elian sah es mit Befriedigung, und Erleichterung. Was auch immer seinen Freund umgetrieben hatte, es war jetzt besser. „Stimmt wohl… die Gefahr besteht. Aber ich dachte, vielleicht kann ich fragen, ob ich auf der Penthesileia gebraucht werde, oder du könntest dich auf das Schiff versetzen lassen, auf dem sie mich einteilen? Selbst wenn es nicht bei der ersten Heuer jetzt sofort klappt, sollten wir es doch irgendwie eingerichtet bekommen, dass sie uns zusammen werfen. Wäre das nicht famos?“ Mit Rhys auf große Fahrt gehen, Abenteuer erleben und sich die langweiligen Segelphasen mit gemeinsamem Musizieren versüßen, war für Elian die bestmögliche Wendung der Dinge, und er hatte tatsächlich Hoffnung, dass sie das hinkriegen würden. Warum auch nicht? Irgendwie würden sie den zuständigen Offizier schon bestochen oder überredet kriegen…

„Neue Lieder sind immer gut.“ Elian setzte sich Rhys gegenüber auf seinen Stuhl und zog den eigenen Geigenkoffer unter dem Bett hervor. „Bringst du’s mir bei?“

Taranis Ives

„Gratulation Herr Doktor.“ Tanis zog einen tiefen Kratzfuß und richtete sich grinsend wieder auf. Ein Doktor. Er hatte natürlich immer gewusst, dass dieser Tag kommen würde, aber er dachte doch, dass es etwas besonderes war, dass sie – „Wir sollten feiern! Nicht heute, denke ich, aber morgen! Wein geht auf mich, bis wir auf den Tischen tanzen. Oder zumindest du. Ich kann im Takt klatschen.“
 
Hmm…gemeinsam auf Reisen gehen. „Der Gedanke hat etwas.“ Er hatte wirklich etwas. Und gleichzeitig sprach er von Gefahr. Sicher, jede einzelne Reise würde besser sein als die letzte, aber erstens würde in diesem Fall Elian sehr eindeutig auf einen SEHR anderen du Coeur treffen, als er ihn bisher kannte und es würde es sehr viel schwerer machen, irgendwann zu verschwinden. Er musste irgendwann verschwinden, er wusste das. Der Tag rückte vermutlich bereits näher, daran war nicht wirklich etwas zu rütteln. Und mit Elian an Board konnte er das verdammte Schiff nicht einfach versenken.
Nein. Nein. Es war besser davon auszugehen, dass das nicht funktionieren würde, so weh es auch tat. Die letzten vier Monate allein waren…unangenehm gewesen. Er träumte von Elian  und nicht nur dann, wenn er schlief. Er vermisste ihn und stellte sich vor, was er zu bestimmten Dingen sagen würde.
 
Nun. Das sollte ihn nun wirklich nicht davon abhalten, die Gesellschaft JETZT zu genießen.
„Natürlich, mein Freund.“ Er schluckte das Corazon hinunter, das ihm manches Mal verräterisch auf den Lippen lag. „Das Lied heißt König der Feen. Offenkundig ein gutes Lied für Einsteiger oder Betrunkene.“ Er legte seine eigene Geige an und demonstrierte es einmal, ging dann in den Anfang hinein, um die ersten Noten langsam zu spielen und darauf zu warten, dass Elian ihm folgte.
Es war angenehm. Es war so wundervoll angenehm.
 
Und dann klopfte es an der Tür.







„Vielen Dank!“ Elian beschloss kurzerhand, die Gratulation auch auf seinen Geburtstag zu beziehen, den Rhys vergessen zu haben schien, der Elian aber ohnehin nicht so wichtig war. Klar, man wurde nur einmal 20, aber… egal. Rhys war wieder da, und sie würden das begießen, und dann versuchen gemeinsam eine Heuer zu finden, und wenn die Marine sie nicht gemeinsam einschiffen wollte, konnten sie ja vielleicht beide austreten und sich ein nettes Handelsschiff suchen? Wenn Rhys da mitmachen würde? Oder es in der nächsten Rotation wieder versuchen, so schnell würden sie jedenfalls nicht aufgeben. Sie waren jung, sie hatten ihr ganzes Leben vor sich, und er würde verdammt sein wenn er jetzt nicht langsam mal anfing, für dieses Leben seine eigenen Entscheidungen zu treffen – nicht nur im unmittelbaren, kleinen Rahmen wie bisher, sondern auch in den großen Dingen. Zum Beispiel darin, wer sein Arbeitgeber war und mit wem zusammen er segelte.

Rhys sah wieder so aus, als würde er sich Sorgen machen, aber in seiner Euphorie bekam es Elian gar nicht richtig mit. Und dann nahmen sie beide ihre Instrumente hoch und der Alltag wich mitsamt seinen Sorgen und Problemen der Musik.
Elian brauchte eine Weile, bis er sich die Melodie vollständig abgeschaut hatte, aber dann gelang sie ihm fast augenblicklich. Es war ein leichtes Stück, mit einer inhärent natürlichen Tonfolge, und vielen Repetitionen… und doch war es eine schöne, leicht wehmütige Melodie, die von den beiden Violinen erklang. Nach einer Weile war Elian sicher genug für die Hauptstimme, ließ sogar unterschwellig eine zweite Saite als Begleitung anklingen, und überließ es Rhys, mit spontaner Variation aus dem simplen Lied ein Kunstwerk zu machen.

Das plötzliche Klopfen unterbrach das Zusammenspiel an einer unpassenden Stelle. „Oh, das darf doch nicht wahr sein, ich hab seit sechs Wochen kein Instrument in dieser Stube gespielt und jetzt…“ Für Elian war klar, wer das war: Myers, ein besonders strebsamer Kadett, der auch außerhalb der Regeln Ruhezeiten durchzusetzen versuchte und letztlich allergisch auf alles zu sein schien, das auch nur ansatzweise Spass machen könnte. Elian war sich der Ironie durchaus bewusst, dass er Myers so sah wie Rhys‘ Freunde vermutlich ihn sahen, aber die Tatsache blieb bestehen, dass es gerade Nachmittag war, sich ohnehin nur ein Bruchteil der Kadetten in der Kaserne aufhielten und dass es keine Vorschrift gab, die ihm zu dieser Uhrzeit das Spielen seiner Geige oder Besuch auf seiner Stube untersagt hätte.
„Verdammt, Myers, es ist fünf Uhr!“ Er legte sein Instrument und den Bogen neben Rhys aufs Bett und stand auf, um sich seiner ‚Nemesis‘ (zumindest in diesem Bereich) zu stellen. „Wenn wir dich so beim Lernen stören, dann geh in die Bibliothek, wie jeder normale Student! Zapfenstreich ist in vier Stunden!“
Er öffnete die Tür, erwartete Myers irgendwo auf Brusthöhe und musste seinen Blick dann erst korrigieren, um dem Schrank von einem Kerl, der sich vor ihm aufgebaut hatte, in die Augen sehen zu können. Elian war es gewohnt, dass alle Welt zu ihm aufsah, aber dieser junge Offizier überragte ihn dennoch um einige Handbreit – und war vor allem ein Stückchen breiter als der Arzt. Er schien den kompletten Türrahmen auszufüllen.

„Verzeihung, ich habe Ihr Klopfen genauso verwechselt wie Sie augenscheinlich meine Tür.“ Elian verschränkte die Arme. „Kann ich irgendwie helfen? Suchen Sie jemanden auf diesem Flur?“

Taranis Ives

Natürlich hatte er den Geburtstag nicht vergessen. Wie könnte er? Er hatte das Geschenk gut eingepackt in seiner Tasche und wartete noch auf den richtigen Moment, es zu überreichen. Es musste gut abgestimmt sein. Der PERFEKTE Moment. Und im Idealfall konnte er bis dahin auch noch Kuchen zur Feier des Tages besorgen.
Dass sie von Myles unterbrochen wurden war…nicht schön, aber wohl unvermeidlich. Und natürlich war es Myles. Es wäre nicht das erste Mal und wer sollte es sonst sein? Niemand. Niemand sonst würde hier her kommen.
 
Er wusste, dass er angespannt war. Und er wusste, dass es nicht Myles hinter der Tür sein würde.
Dennoch wartete er bis zum letztmöglichen Moment um aufzusehen und in die Richtung zu schauen. Zu dem Kerl. Er schluckte. Fred sah….furchtbar diszipliniert und ruhig aus. Das war kein gutes Zeichen.
 
Fred sah auf Elian herab. „Sie sollten Ihre Kollegen nicht vom Lernen abhalten, Montrose.“ Dann sah er an ihm vorbei zu Tanis. „Ich dachte mir schon, dass ich dich hier finde.“
„Nun, manche Menschen haben Freunde.“
„Und ich dachte wir wären Freunde.“
„Vier Monate reichen mir erst einmal, Fred.“
Fred zog eine Augenbraue hoch, warf einen Blick zu Elian und dann wieder zu Tanis. Er lächelte süffisant.
„…..Sir.“ Es trieb ihm Blässe ins Gesicht. Aber er wollte nicht….wirklich nicht…..er wollte diese Sachen nicht vor Elian breittreten und er wollte verdammt noch mal nicht mit. Er wollte hier bleiben und gerade konnte er sich nichts schlimmeres vorstellen, als wieder Freds Hände auf sich zu spüren. Er wusste, wo die Sünden des Mannes lagen und an Land konnte er vermutlich Peitschen und andere Spielzeuge auftreiben.







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