Inselwelten

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Im letzten Licht des Tages
05. März 1822 (Direkt vor Plot 1)
Aspen Montrose & Shanaya Árashi


Shanaya strich sich eine dunkle Strähne aus dem Gesicht und ließ den Blick ruhig schweifen. Sie waren nun schon ein wenig hier, und trotzdem wurde sie bei diesem Anblick ja fast noch sentimental. Ihre erste Insel nach der neu gewonnenen Freiheit. Und sie war gespannt, wie es hiernach werden würde. Es würde sich sicher noch einmal einiges ändern – was sie nur begrüßte. Diese ganzen schlecht gelaunten Visagen vermiesten ihr die Laune und sie war nicht traurig darum, wenn sie bald verschwanden. Es konnte also quasi nur besser werden! Mit einem erleichterten und zufriedenen Blick hatte sie sich an diesem Tag also vom Schiff begeben, war seit nicht all zu langer Zeit einfach ein bisschen durch die teils dunklen Straßen geschlichen. Ohne Eile, sie wollte sich einfach umsehen. Die Tasche trug sie vor sich, um besser darauf aufpassen zu können. Auch wenn sie bewusst das wertvollste auf dem Schiff gelassen hatte. Und erst, als sie auf eine größere Straße trat zeigte sich eine etwas größere Menge an Menschen. Vereinzelte Gruppen, einzelne, die schnell vorbei rannten. Vielleicht gab es hier ja irgendetwas Interessantes, sie setzte ihren Weg also erst einmal fort.

Aspen ließ den Blick schweifen: Von Laden zu Händler, von Mensch zu Mensch. Er hatte viel von der Welt gesehen, doch diese Hafenstadt beeindruckte ihn zutiefst. Sie war mit nichts zu vergleichen. Zumindest mit keinem Ort, den Aspen jemals zuvor betreten hatte. Es war so einfach in der Menge unterzugehen, so leicht unter allen Paradiesvögeln nicht aufzufallen, auch wenn die Händler und Dirnen um die Aufmerksamkeit jedes Passanten buhlten. Der Montrose konnte sich zwar bisher noch nicht entscheiden, welchen Handel oder welche Schenke er sich zuerst ansehen sollte, doch er genoss es sichtlich nur zu laufen, ohne sich im Kreis zu drehen - wie es auf der Sphinx der Fall gewesen wäre. Ein Schmunzeln bildete sich. Würde es auffallen, wenn er rannte? Wie damals als Kind, zwischen den Bäumen hindurch? Doch noch bevor er sich zur Sicherheit umsehen konnte, ob ein solches Verhalten hier doch die Gemüter erregte, blitzte eine Haarpracht weiter vorne auf. Schwarz. Der kleine Rabe. Nun, wenn das keine Antwort des Schicksals gewesen wäre.

Shanaya ignorierte das kurze Gefühl im Nacken, dass sie beobachtet wurde. Sie verdrängte es, immerhin gab es hier genug Leute, die den Blick auf sie richten konnten. Zudem kannte sie dieses Gefühl ja. Auch wenn sie bezweifelte, dass irgendwer hier ihr Gesicht kannte. Anders als in Yvenes... Ein weiterer Gedanke, der sie munter lächeln ließ. Und so lief die Schwarzhaarige weiter, beobachtete die Menschen, als wäre sie das erste Mal unter diesen. Sie wurde sogar noch ein wenig langsamer, betrachtete eine Gruppe Frauen, die sich um einen Mann sammelten, was der jungen Frau nur einen unbegeisterten Blick entlockte. Aber auch dieses Bild war schnell vergessen, als sie an zwei Männern vorbei ging, die zu tuscheln schienen. Sich umsahen, als wollten sie nicht, dass jemand verstand, was sie sagten. Shanaya ging einfach weiter, richtete den Blick nicht zu ihnen. Erst ein kurzes Stück weiter bog sie in eine weitere Gasse ein, blieb direkt an der Kante stehen. Sie lauschte, und zuerst hörte sie nur Stimmgewirr. Schritte. Mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt glaubte sie aber, das Flüstern der beiden Männer zu verstehen. Zumindest Worte wie 'Vatermörder' drangen zu ihr durch. Hah, da kannte sie ja auch Jemanden, bei dem sie glaubte, dass er sich zu den beiden Gesellen stellen konnte. Immerhin konnte er da ja vielleicht aus eigener Erfahrung sprechen.

Aspen fiel es schwer sich nur auf Shanayas Haarschopf zu konzentrieren, wenn um ihn herum so viele neue Eindrücke herrschten. Oh, Aspen hielt sogar an einem der kleinen Stände inne, um sich ein Tuch mit.. irgendwelchen essbaren Dingen zu kaufen, die er so noch nie gesehen hatte. Es roch allerdings stark nach Fisch. Und als er sich wieder auf den Weg konzentrierte, ein paar Damen Platz machte, musste er doch tatsächlich stehen bleiben und Ausschau nach dem Rabenschopf halten, selbst aus seinem hohen Blickwinkel heraus. Es dauerte einen Moment, bis Aspen sich entsann, dass er der Dunkelhaarigen nicht folgen musste und seinen Weg fortsetzte. Die Fisch-Substanzen prüfend zerkauend und nach einem der Eck-Händlern blinzelnd, die vielleicht einen Getränk zum 'runterspülen' verkauften. Da war einer! Zielstrebig ging der Montrose darauf zu und - da! Da war der dunkle Schopf wieder. Und "schon wieder" befand sie sich in einer dunklen Gasse! Beinahe hätte er laut los gelacht über die Ironie des Schicksals, als Wortfetzen an sein Gehör drangen, die ihm nicht gefielen... Nein, so gar nicht. Skeptisch bedachte er die Unbekannten mit Abstand, sortierte sie zu denen, die hier nicht hingehörten, bevor er mit nur wenigen Schritten durch die Passanten hindurch glitt und mit geringem Abstand zu Shanaya aufschloss. Die Meeresaugen auf die Unbekannten gerichtet, das Herz einen Ticken zu schnell schlagend, nervös, vorwurfsvoll. Als würde es ihm die Schuld der Achtlosigkeit zuwerfen.

Shanaya schloss einen Moment die Augen, versuchte sich auf die Stimmen zu konzentrieren. Sie sollten gefälligst ein wenig lauter reden... Wobei sie nicht einmal wusste, ob sie das... irgendwie weiter bringen würde. Möglichst lautlos versuchte sie sich noch ein wenig näher heran zu schieben, aber sie standen einfach nicht günstig genug, um sie wirklich gut belauschen zu können. Aber da war es wieder. Dieses kurze Prickeln im Nacken. Und dieses Mal ignorierte sie es nicht, richtete den Blick ab und musste sich nicht einmal lange umsehen, bis sie gefunden hatte... was sie nicht einmal gesucht hatte. Beinah hätte die Schwarzhaarige aufgeseufzt, riss sich jedoch zusammen. Wieso ER?! Talin... okay. Aber es musste natürlich Aspen sein. Gut, mit dem, über was die beiden da sprachen war es schon ein wenig amüsant. Und es wurde nur besser. Gerade, als Shanaya sich ein wenig aufrichtete, nicht aus dem Versteck trat sondern Aspen nur etwas besser ins Auge fasste, fiel nämlich genau sein Name. Durch das Genuschel verstand sie, dass der ältere der beiden Männer deutlich etwas von 'Montrose' sagte – und wieder unterdrückte sie ein Schnaufen. Gott, wenn er ihnen das hier verbockte... Mit einem angestrengten Blick nickte sie hinter sich, versuchte Aspen irgendwie das Zeichen zu geben, zu ihr zu kommen. Wenn sie jetzt die Hand hob, würde sie vermutlich das Gleichgewicht verlieren.

Aspen fiel es mehr als nur schwer, den Blick von den beiden Männern abzuwenden. Es war einfacher jemanden zu belauschen, wenn er zumindest die Lippen sehen könnte.. zumindest von einem der beiden. Frustriert verengten sich die Meeresspiegel zu engen Schlitzen, während er noch erstarrt da stand, die Passanten ihn zum Teil umrunden mussten - bis ihm selbst auffiel, dass er mit nur wenigen Blicken sich selbst verraten würde. Die Kiefer malmend sah er unwillig wieder zu dem kleinen Raben, als diese ihm gerade ein Zeichen dazu gab näher zukommen. Wenige Schritte, ein absichernder Blick zu den Unbekannten, bevor sein Kiefer sich angespannt verzog, zu malmen begann, als sein Name fiel und damit alle Unklarheiten beseitigt wurden. Unwillentlich ballte er die Hand zur Faust, zerquetschte den Stoffetzen und die Reste seines Snacks. Jetzt verfolgten ihn die Gerüchte, das Gemunkel sogar bis hier hin. Hier, fern ab seiner eigenen kleinen Welt. Auch wenn Shanaya genug Erinnerung an sein altes Leben bot, hatte Aspen dies geflissentlich ignoriert. Für den Moment sah es so aus, als wollte der Montrose sich auf die beiden Unbekannten stürzen, als wolle er sie zum Schweigen bringen, doch die Vernunft siegte in diesem kleinem Kampf zwischen Trieben und Verstand: Er wollte mehr hören. Mehr erfahren von dem, was die Gesellschaft über ihr sprach. Das war immerhin sein gutes Recht! Anstatt sich hinter dem Mädchen zu verstecken, trat er neben sie,versuchte einen Blick auf die Gesichter zu erhaschen, an die er sich nicht erinnern konnte.

Shanaya biss die Zähne einen Moment aufeinander. Sie kannte Aspen viel zu schlecht um nun versuchen zu können, zu erahnen, wie er reagieren würde. Vielleicht ging er einfach weiter – gut. Vielleicht kam er zu ihr – auch gut. Aber alles was mit diesen Kerlen zu tun hatte... nicht gut. Nachher musste sie ihm noch den Arsch retten, damit das hier nicht irgendwie schief ging. Ihr Körper spannte sich aufmerksam an, als sich der Blonde in Bewegung setzte, beobachtete seine Schritte. Bis er schließlich bei ihr angekommen war. Wenigstens schien er sich beherrschen zu können. Einen Moment hob sie überrascht die Augenbraue, bis sie den Geruch zuordnen konnte. Na wunderbar. „Du stinkst.“ Oder zumindest das, was er da in der Hand hielt. Ihre Stimme war nur ein leises Hauchen. Sie wollte sich nicht unbedingt verraten – wegen seines Snacks. Aber er verhielt sich still, also richtete sie die Aufmerksamkeit wieder auf die zwei Fremden. Die sprachen immernoch, hatten sie also noch nicht bemerkt. Aber noch immer hallten nur einzelne Fetzen zu ihr durch. Was nun mit der Insel und dem Imperium sein würde, das Montrose aufgebaut hatte. Und dass es ja eine Schande war. Sie konnte sich denken, was sie meinten. Seinen Vater umbringen. War ja beinah gleichgesetzt mit Blasphemie...

Aspen verengte nur verärgert ein weiteres Mal die Meeresspiegel über des Raben Kommentar. Nein, er war ganz sicher nicht in der Stimmung nun zu scherzen. Besonders nicht, wenn die eigene Konzentration immer wieder abschweifte und viel zu viele "was wäre wenn"-Konstellationen erstellte. Ja, was wäre, wenn er einfach da geblieben wäre, wo er hingehörte? Dabei wollte er sich doch auf das nahe Gespräch konzentrieren. Doch je mehr er hörte und wahrnahm über die Vermutungen der beiden Männer, umso entspannnter wurde seine Haltung - die Anspannung ließ nach. Es war deutlich zu hören, wie er ausatmete, auch wenn die Erleichterung noch recht versteckt blieb. "Sie diskutieren über die Artikel in der Zeitung. Mehr nicht", stellte er sachlich fest, nicht zu laut. Zwar fuchste es den Blonden, dass dises Thema noch immer aktuell zu sein schien, aber was hatte er ansonsten erwartet? Dennoch konnte er die Augen nicht abwenden, als warte er darauf, dass sie Details benannten, die sie nicht hätten wissen dürfen. Um sich selbst zu beruhigen und auch Shanaya von dem Gespräch abzuölenken, als wüsste sie vielleicht nicht, was ihm vorgeworfen wurde, öffnete er die Hand und bot ihr ohne Kommentar die 'stinkenden' Snacks an.

Shanaya wäre nur zu gern noch weiter an die beiden Männer heran getreten. Vielleicht wussten sie ja mehr als sie? Auf dem Schiff war es deutlich schwieriger, an Informationen zu kommen. Man konnte nicht einfach irgendwen belauschen, oder eher... es gab wenig zu belauschen. Immerhin kamen die anderen nicht wirklich mehr an Informationen ran. Schade drum. Sie hörte Aspens Ausatmen, richtete die Augen jedoch erst etwas herum, als er etwas sagte. „Sie wissen ja auch nicht, dass sie hier direkt Informationen aus erster Hand hätten, wären sie aufmerksamer.“ Sie warf ihm ein vielsagendes Grinsen zu, richtete die Aufmerksamkeit dann wieder zu den Männern. Und deren Stimmen waren nun wirklich lauter geworden. 'Ob mit ihm wohl das gleiche gemacht werden würde wie mit dem Piratenpack, das man so verhaftete'. Shanaya hielt inne, sie wollte sich noch ein wenig weiter vor lehnen, besann sich aber eines besseren. Und dann setzten die beiden sich in Bewegung, was sie sofort zurück schrecken ließ, noch aus den Gedanken gerissen wurde, da Aspen ihr etwas anbot. Einen Moment verwirrt blinzelte sie ihn an, nahm jedoch eine entspanntere Haltung ein und deutete einen Moment an, zum anderen Ende der Gasse zu gehen. „Nein danke, ich mag keinen Fisch.“ Ihre Stimme in normaler Lautstärke zuckte sie kurz mit den Schultern, warf jedoch einen Blick über die Schulter zurück. Sie gingen. Verflucht! „Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, aber ich will hören, was die zu sagen haben!“ Damit richtete sie sich wieder herum, bereit den beiden Männern zu folgen, sobald sie unachtsamer geworden waren.

Aspen spannte für den Moment wieder die Muskeln an - nein, es war eher eine Art 'verkrampfen', als Shanaya ihn mit in das Gespräch einbezog, auch wenn sie ebenso viel wissen musste wie die beiden Männer dort vorne: Gerüchte, Gemunkel, Spekulationen und die Todesanzeige. Deswegen erwiderte er nicht ihr Grinsen, schien beinahe ihre Worte ignorieren zu wollen, bevor er sich dazu entsann einfach nur einmal zu Nicken. Es wäre wahrscheinlich auffälliger gewesen nichts zu sagen, als zumindest eine kleine Regung von sich zu geben. Und während er noch versuchte 'normal' zu reagieren, schreckte das junge Ding vor ihm auch schon zurück und brachte ihn auf den Gedanken entdeckt worden zu sein. Erschrocken sah er direkt zu den Männern - auffällig, wenn sie auf die beiden geachtet hätten - und entspannte sich zum kleinen Teil, als die beiden gingen und anscheinend das Thema gewechselt hatten. Piraten? Beinahe schon vorwurfsvoll verzog sich seine Mimik, als wolle er dem Raben die Schaulust andichten, bis ihm einfiel... "Ja, das sollten wir nicht verpassen." Sie waren nun auch 'Piraten'. Dennoch klang seine Stimme recht verbissen, erzwungen, als müsste er sich zu jedem Ton zwingen. Momentan fiel es ihm auch wirklich nicht leicht, die Anspannung fallen zu lassen, auch wenn es ihn sichtlich beruhigte, dass er nicht mehr Thema Nummer eins der beiden Männer war. Vielleicht war dies der Grund, dass er tatsächlich zu Shanaya aufschloss. Das gemütliche Sightseeing war immerhin beendet. "Hast du von dem 'Piratenpack' gehört?", versuchte er seine Stimme allmählich zu sichern. Durch seine Größe fiel es ihm leicht, die beiden älteren Herren nicht aus den Augen zu verlieren und zu ihnen aufzuschließen, beinahe demonstrativ zu nah, so dass nur zwei weitere Passanten zwischen ihnen lagen. "Hier, komm mit."

Shanaya nahm Aspens Nicken einfach so hin. Sie wusste nicht OB und WAS er getan hatte. Auch wenn seine Reaktionen schon ein bisschen auf sich schließen ließen. Aber sie machte sich keinen großen Kopf darum, im Prinzip war es ihr egal. Und wenn er seine ganze Familie abgeschlachtet hätte. Immerhin... hatte ihr Onkel das gleiche Schicksal erleiden müssen. Die blauen Augen ruhten auf Aspens Gesicht, einige Momente wartete sie still ab. Sie würde auch ohne ihn gehen, aber oho! Vielleicht hatte ihn einfach nur die Neugierde gepackt, weil zuvor sein Name gefallen war. Sie wusste nicht, was er alles von Talin wusste. Wie viel er mitbekommen hatten, dass sie sich auf den Weg machen würden, den zweiten Captain zu suchen. Und vielleicht wussten diese beiden da auch nicht was SIE wissen wollte... aber solch eine Chance sollte sie sich nicht entgehen lassen. Und noch war genug Zeit, sie würde schon pünktlich zu Talin kommen. Und selbst wenn sie zu spät kam... ach Quatsch. Würde sie schon nicht. Nicht sie. „Darum geht es ja... ich will wissen, ob sie etwas wissen, was uns weiter hilft.“ Gott, sie konnte ja wirklich darin aufgehen, wenn sie jemandem helfen wollte. Aber Talin hatte es verdient, immernoch. Sonst wäre sie jetzt vielleicht nicht hier, vielleicht nicht einmal mehr am Leben. Also retteten sie ihren Bruder... und das ging nun einmal nicht, indem man sich auf irgendwen schmiss um ihn nach Namen zu fragen. Auch wenn das vermutlich leichter gewesen wäre. Aspen trat näher an die beiden Männer heran – und Shanaya folgte ihm, verkniff sich jedoch einen skeptischen Blick, warf ihm dann einen fragenden zu. Was hatte er jetzt vor?

Aspen versuchte seinen irritierten Blick über ihre Aussage zu verbergen, indem er schmunzelte. Nein, nicht echt, aber eben so, wie er es Jahre lang zuvor perfektioniert hatte. Was sollte ihnen denn wobei weiter helfen? Aspen konnte sich keinen Reim auf ihre Worte machen, auch wenn er seine Erinnerungen durchforstete. Aber nun gut: vielleicht würde er bald schon mehr erfahren, wenn er mitspielte. Mit einem Blick prüfte er Shanayas Kleidung und musste anerkennend die Brauen heben. Nicht, weil ihm zum ersten Mal auffiel, dass sie kein Mädchen mehr war, sondern weil ihm bewusst wurde, wie wenig sie beide hier in ihren Kleidungsstücken auffielen. Unauffällig sah er auch an seiner Kleidung hinab, die bereits an vielen Stellen abgenutzt war, wenn auch nicht sehr stark. Das war gut. Auffordernd hielt er ihr den Arm hin, deutete an, dass sie sich einhaken sollte. Sie fielen hier nicht auf, besonders nicht unter den anderen Passanten. Beinahe schon verschwörerisch sah er zu dem Raben hinab, bevor er demonstrativ einen Ausfallschritt ging um die letzten Passanten zu überholen, die sie von ihrem Ziel trennten. "Wir passen hier einfach viel zu gut hin", gab er zu und verfiel dabei in einen Plauderton, den er viel zu selten anschlug. Nunja, zumindest konnten sie nun wieder einige Wortfetzen aufschnappen - so lange die beiden sich nicht umdrehen würden.

Shanaya ließ den Blick nach vorn gewandt, bemerkte so also nicht wirklich Aspens Blick. Für den Moment war es ihr egal, was er wusste, was er dachte. Sie wollte jetzt wissen, was die beiden da zu besprechen hatten. Und sie hoffte für die beiden, dass sie irgendetwas interessantes wussten – und damit raus rückten. Erst, als sie einen leichten Druck an der Seite spürte richtete sie den blauen Blick kurz herum, blickte dem Blonden – von dem immernoch irgendwie ein leichter Geruch von Fisch ausging - direkt ins Gesicht. Okay – wieder zwei Möglichkeiten. Und was war am unauffälligsten? Wenn sie einfach mitspielte. Mistkerl, wirklich gut gespielt. Ohne sich also etwas von ihrer nicht gerade überschäumenden Begeisterung anmerken zu lassen hackte sie sich bei dem Mann ein, verfluchte Talin einen Moment lang dafür. Sie tat das für die Blonde. Damit sie Informationen bekamen. Damit sie ihren Bruder retten konnten. Oh, dieser Kerl schuldete ihr was! Genau wie seine Schwester! Trotzdem legte sich ein munteres Lächeln auf ihre Lippen, auch wenn sie sich nur halb auf Aspen konzentrierte. 'Den armen Teufeln ergeht es sicher nicht gut... Die Marine wird ihre Spielchen mit ihnen spielen...' Verdammt, das war doch keine richtige Information! „An solch einem Ort... leider wahr.“ Sie zuckte mit einer Schulter, schielte aus den Augenwinkeln zu den beiden Männern.

Aspen legte, wie es sich eben gehörte, die zweite Hand auf ihren eingehackten Arm und verfiel in einen lockeren Gleichschritt. Wenn sie so bereitwillig mitspielte, mussten die Informationen wirklich wichtig sein, die sie sich erhoffte. Bisher konnte Aspen allerdings nicht sagen, dass er etwas weltbewegendes erfahren hätte. Worauf wartete sie also? Auffällig sah er zur Seite, um ein Ohre den Männern zuzuwenden. Marine? Er hatte viel zu lange schon keine Zeitung mehr in den Händen gehalten, als dass er wüsste, welche Piraten gefasst worden waren. Ihm waren nur noch wenige Berichte über bekannte Namen gegenwärtig. "Leider wahr?", wiederholte er mit einem gespielt enttäuschten Klang. "Ich sollte dich lieber durch die Straßen Linaras führen, Mädchen, in hübschen Kleidern." Ja, die Hauptstadt war ein unverfängliches Thema, das jeder anschlagen konnte.

Shanaya warf Aspen einen kurzen, vielsagenden Blick zu. Kurzer Waffenstillstand. Zum Wohle von wem auch immer. Sie wollte doch nur ein paar Informationen... Irgendetwas, was ihnen weiter half. Marine – okay so weit waren sie auch schon. Und weiter? Wo waren sie, was machten sie mit ihnen? 'Ich hab' gehört, sie haben welche totgepeitscht...' Einen Moment klappte Shanaya der Mund auf, bevor sie ihn schnell wieder schloss. Nicht gut. Sie richtete sich jedoch wieder an den Blonden direkt neben ihr. Sie überlegte nicht lang, bis eine freudige Antwort über ihre Lippen drang. Zumindest sprach ihr Ton davon. Der Blick in den himmelblauen Augen nicht. „Davon träume ich schon lange. Diesem Leben hier zu entkommen!“ Ganz sicher. Einen Teufel würde sie tun. Aber das konnte Aspen sich ja vielleicht sogar selbst denken... immerhin hatte er zu Teilen gesehen, wie sie gelebt hatte. Da rannte sie lieber in abgetragenen Klamotten herum... wobei sie ihre noch erstaunlich sauber fand. Das ging viel schlimmer. 'Da fragt man sich, ob überhaupt jemand lebend da heraus kommt...“ Und Shanaya knirschte leise mit den Zähnen.

Aspen mahlte den Kiefer, als die Umschreibung 'tot gepeitscht' fiel. Er machte keinen Hehl daraus, wie wenig er von diesen Methoden hielt, auch wenn es nicht ausginge, sollte er sich einmal vor den falschen Menschen versprechen. Unauffällig sah er zu Shanaya, erwischte gerade noch einen Blick auf ihren Schrecken, bevor sie sich sammelte und wieder mitspielte. Also kannte sie jemanden von diesen gefangenen Piraten. Und woher? Sie konnte nicht viel länger zu der Crew gehören wie er selbst. Das wusste Aspen. "Dabei versuche ich dir den Himmel auf Asanu zu bereiten!", entgegnete er entrüstet, die Stimme jedoch weich genug, dass es für niemanden wie der Beginn eines Streits klingen könnte. Es war ihm tatsächlich ein Rätsel, warum der Rabe sich um das Schicksal von 'Fremden' entrüsten sollte, wenn er bedachte, dass sie selbst ihm - als sie sich noch nicht kannten - dem Adel zum Fraß vorgeworfen hätte. Oder zumindest seinem Vater. Die Ohren auf die Männer konzentriert, versuchte er zu hören, wo sie gefangen gehalten wurden, doch das wurde nicht benannt. Sollte er sich in das Gespräch mit einklinken? Würde er dann mehr erfahren? Doch für den Moment entschied er sich dagegen.

Shanaya hätte sich am liebsten an den Kopf gefasst. Talin sollte das hier alles sehen. Das war für sie – weil sie ihr verdammt nochmal geholfen hatte. Sie hoffte, dass die Blonde das zu würdigen wusste. „Auf Asanu? Meinst du? Ich bin noch nicht überzeugt...“ Sie verzog die Lippen zu einer skeptischen Grimasse. Und dann blieben die Kerle plötzlich stehen. 'Da kann man nur hoffen, dass man ihnen nicht zum Opfer fällt. Die machen kurzen Prozess.' Shanaya blieb nicht stehen, warf Aspen einen kurzen Blick zu, der ihm das gleiche vermitteln sollte. Dabei lief sie so, dass einer der beiden Männer sie nur schwer sehen konnte, aber sie schienen sowieso viel zu abgelenkt. Sie verabschiedeten sich, und kaum waren sie auseinander gegangen blieb auch die Schwarzhaarige stehen, ließ Aspen los und drehte sich um. „Ich könnte sie beide jetzt ins Hafenbecken treten.“ Sie nuschelte leise vor sich hin. Okay... Jetzt brauchte sie schnell einen Plan, wie sie vielleicht doch noch etwas aus ihnen heraus bekam. Sie suchte in ihrer Tasche, grübelte dabei, ehe sie fast aufschreckte, die blauen Augen richteten sich auf Aspen. Sie musste es nutzen, dass die Männer nun allein waren. Ein Grinsen legte sich wieder auf ihre Lippen, bevor sie den Blick von dem Blonden abwandte und sich mit schnellen aber nicht hastigen Schritten dem jüngeren der beiden Männer nachsetzte. „Entschuldigung?“

Aspen wollte gerade etwas erwidern, um das Schauspiel aufrecht zu erhalten, als er abrupt ausweichen musste, um die beiden Männer nicht anzurempeln und ihre Tarnung aufzudecken. Gerade eben konnte er noch aufschnappen, wie die beiden Männer sich um ihr eigenes Leben sorgten, als Shanaya sich auch schon enthakte und einem der beiden hinterher lief. Fragend hob Aspen die Augenbrauen: Hatte sie ihm nicht gerade noch vermitteln wollen, der Marine achtsam gegenüber zu stehen? Und nun rannte sie einem Fremden nach? Er konnte die Dunkelhaarige nicht einschätzen, als dass er ihren Plan betitelt hätte. Wollte sie den jungen Mann nun ausfragen, gar nieder strecken und zu Antworten zwingen? Letzteres hätte eher zu dem Mädchen gepasst, das Aspen kannte. Vielleicht gerade deswegen riss er sich aus seiner Starre und eilte ihr nach, die Hand ausgestreckt, als wollte er ein verlorenes Tier wieder einfangen. "Anni!", rief er tadelnd und kam wenige Schritte später bei den beiden an und brachte Mann damit zum Anhalten. "Entschuldigen Sie", setzte er etwas beruhigender an, bevor er der neu getauften 'Anni' ein tadelndes Kopfschütteln zuwarf. "Ihr Cousin ist bei der Marine und hat uns in seinem letzten Brief über die Gefangennahme der Piraten geschrieben", beinahe vorwurfsvoll - als dürfe niemand einem 'Mädchen' so etwas zukommen lassen - schüttelte er den Kopf. "Seitdem wird sie bei dem Wort 'Marine' immer ganz neugierig." Als wäre es eine typische Frauenkrankheit, diese 'Neugierde', verengte er nachsichtig die Augen mit einem Blick auf 'Anni'. Oh, er hoffte, dass er nun die Frauensünde auch bei dem jungen Mann geweckt hatte: Insiderinformationen von einem Marinesoldaten.

Shanaya wusste, dass es jetzt für diesen Moment ihre letzte Chance war. Andernfalls würde es zu auffällig werden. Also ein munteres Lächeln aufgesetzt, als der Man sich mit fragender Miene umdrehte. Und zeitgleich erklang eine bekannte Stimme hinter ihr. Anni. Bitte was?! Aspen kam zu ihnen, das Opfer blieb stehen und Shanaya blickte genauso verwirrt drein wie der fremde Mann selbst. Der Blonde entschuldigte sich – und Shanaya ahnte, was nun kommen würde. Aber sie hatte doch... das hätte doch...! Es brachte Nichts, Aspen nun mit Blicken zum schweigen zu bringen. Zu spät. Dabei war ihr Plan so gut gewesen. Als er dann jedoch von ihrem Cousin erzählte musste sie sich zusammen reißen, damit ihr nicht alle Gesichtszüge entglitten. Was hatte er denn nun vor? NEIN! Verdammt! Warum tat er das?! Er machte alles kaputt... und jetzt musste sie es irgendwie retten. Oh, wie gerne hätte sie nun irgendetwas nach dem Blonden geworfen. Aber... nicht jetzt. Später konnte sie ihn mit ganzen Fässern bewerfen, wenn das hier schief ging. Sie ließ kurz den Kopf hängen, blickte den Fremden dann an, der ein wenig überfordert lächelte. 'Das ist aber kein Thema für so eine junge Dame.' Beinah wäre Shanayas Hand zu ihrem Dolch geschnellt, aber sie schwenkte nur leicht die Arme. „Ja, ich weiß... aber... es hat mich einfach mit gerissen.“ Yay, Marine. Spannend. „Ich habe ihn auch gefragt, was mit den Piraten gemacht wird, die gefangen genommen werden... aber ich will seine Antwort nicht abwarten! Könnten Sie mir da etwas zu sagen... bitte?“ Das letzte Wort wirkte nicht einmal gezwungen, obwohl es genau das war. Sie trat einen Schritt näher an den Fremden heran, ein unschuldiges Lächeln auf den Lippen, die Augen voller Erwartungen. 'Nunja... Wenn sie hier ihren Prozess erhalten haben, werden sie zurück nach Esmacil gebracht... Das weiß man doch eigentlich.' HAH! Oh Gott, dieser Kerl hatte Aspen vielleicht gerade das Leben gerettet. „Oh... okay... Und kann man irgendwie herausfinden, wer dorthin gebracht wurde?“ Ihr Kopf legte sich neugierig zur Seite, erwartungsvoll lächelnd. 'Es gibt sicher irgendwo eine Liste mit Namen und allem... aber ich weiß nicht, ob normale Bürger wie wir daran kommen...' Shanaya trat einen Schritt zurück. Hmpf. Na immerhin... irgendwie mussten sie also an eine Liste kommen. Irgendwelche Listen, wo alles Mögliche drauf stand. Gott, sie wollte doch nur einen verdammten Namen!

Aspen überging gekonnt Shanayas entsetztes Gesicht. Hallo? Das hier war genau sein Ding, das hatte er sein Leben lang gemacht! Auch wenn es heute sogar mehr Spaß machte, als all die Jahre zuvor: Das hier war echt, es war gefährlich und gerade deswegen war es so spannend. Vielleicht ein gutes Zeichen für seinen weiteren Werdegang. Zustimmend nickte er, als der junge Mann 'Anni' ebenfalls tadelte, bevor er abschätzend mit der Zunge schnalzte, als diese weitere Fragen stellte. Bei allen Gesetzen, hätte sein Vater das Mädchen wirklich vorher kennen gelernt, wäre er schreiend davon gerannt! Als Shanaya näher an den Herren heran trat, musste Aspen sich auf die Zunge beißen, als ihm klar wurde, wie ihr eigentliche Plan wahrscheinlich ausgesehen hatte. Nun, das hier war jedoch besser "Wahrscheinlich müssten wir erst Esmacil einen Besuch abstatten, damit du Ruhe gibst", schmunzelte Aspen zuerst in sich hinein, als würde er sich zum Teil für das Verhalten des Mädchens schämen und es zurecht weisen wollen. "Sehr wahrscheinlich liegt sie sicher verschlossen im Arbeitszimmer des leitenden Admirals", stimmte er dem Mann wieder zu, als hätte dieser genau das selbst gesagt und Aspen würde seine Aussage nur erweitern, bevor ein kurzes Lachen folgte. "Nein, gewiss ist Bürgern wie uns der Zutritt verwehrt, da sprechen Sie wahre Worte." Abermals folgte ein kurzer Blick zu Shanaya, die Augen wieder verengt, wie es jeder tadelnde Mann bei einer ungehorsamen Frau zeigen würde, bevor er seufzte. "Vorgestern noch stand in der Zeitung, wo sich der Admiral aufhält. Den Artikel haben sie sicher auch gelesen?"

Shanaya strich sich erneut eine Strähne aus der Stirn. Was hatte Talin da gemacht? Sie hatte sich das Werk der Blonden noch immer nicht angesehen... aber so langsam sollte sich das Ganze doch verwachsen? Ihr Gedanken drifteten jedoch nur kurz ab, sie durfte hier Nichts verpassen. Ihr blonder Begleiter sprach weiter und Shanaya drehte sich kurz zu ihm. „Du kannst gern mit mir dorthin reisen. Hätte ich nichts gegen.“ Einen Moment lang flammte eine Herausforderung in den blauen Augen auf, ehe sie sich wieder an den Fremden wandte. Ihr gefiel dieses 'Das kleine Mädchen will etwas über die Marine wissen' – Spiel absolut nicht. Ein Name, sie brauchte nur einen einzigen Namen! EINEN! Aber der Fremde stimmte Aspen mit einem Nicken zu. 'Da will ich mich auch lieber nicht einmischen... Wer da ist hat es wohl verdient, da zu sein...' Und Shanaya platze fast. Dieser Kerl hatte so verdammt Glück, dass sie sie war. So entlockte er ihr nur ein theatralisches Seufzen. „Zu schade, ich hätte zu gern gewusst, ob diese Verurteilten dabei sind, von denen ich gehört habe... Schlimme Menschen... Ich will doch wissen, ob sie da sind, wo sie hingehören!“ Der Mann, abgelenkt von Aspens Frage nach der Zeitung blickte sie nun an. Verwirrt. 'Naja... das hat vermutlich niemand verdient. Ich will nicht wissen, was sie da mit diesen Menschen machen... Der nächste der dort landen wird ist vermutlich dieser... Montrose... Von dem habe ich in der Zeitung gelesen.' Er sprach den Namen leise aus, vorsichtig. Und ein weiteres Mal wäre die Schwarzhaarige beinah geplatzt. Dieses Mal vor lachen. „Oh, der, der seinen Vater getötet hat? Furchtbar, ich wüsste gar nicht, was ich tun würde, würde er mir begegnen... so ein Monster.“ Sie schauderte, biss sich auf die Zunge, um nicht zu grinsen.

Aspen hätte ihr am liebsten nicht nur einen drohenden Blick zugeworfen, als 'Anni' ihre 'Anni-Rolle' für den Moment vergaß und ihn herausforderte. Ein weiteres Mal schüttelte Aspen nur den Kopf, als könnte er nicht fassen, wen er sich dort angelacht hatte. Oder besser gesagt: fast. Als der Mann jedoch wieder gutmütig auf ihre Fragen einging, lachte Aspen einmal trocken auf. "Die Offiziere werden schon ihre Gründe haben, warum sie gerade solche Menschen einbuchten", stimmte er zu und strich sich über den Bart, gespielt amüsiert. Es war eine ernste Sache, auf diese Insel geliefert zu werden, anstatt öffentlich erhängt zu werden. Auch wenn er amüsiert wirkte, so zerbrach er sich doch in gewisser Hinsicht den Kopf, wie er den Aufenthaltsort der Listen erfahren könnte, oder ob dieser einfache Bürger es vielleicht gar nicht wusste, wo der Admiral sich momentan aufhielt. Als der Rabe weitere Fragen stellte - so offensichtlich, dass seine vorherige Aufenthaltsvermutung wahrscheinlich zu traf - ließ Aspen für einen Moment die Fassade fallen und verengte die Augen. Wenn der Mann ein wenig Verstand besaß, würde er bald skeptisch werden! Doch entgegen seiner Erwartungen, verkündete der Mann weitere Vermutungen: darunter die seines eigenen Todes. Wie bitte? Wieder begann der Unterkiefer zu malmen, bevor er sich zu einem Schmunzeln zwang. Oh, das war schwarz. Tiefschwarz wie die See bei Nacht. "Ein solches Tagesgespräch führt eher zu einer öffentlichen Hinrichtung", erläuterte er trocken und vergaß dabei sogar, dass er dem Mann eigentlich hätte zustimmen müssen, damit dieser sich sicher fühlte.

Shanaya verlor so langsam das Interesse an diesem Mann. Sie glaubte nicht, dass sie noch viel aus ihm heraus bekommen würden. Aber hey, ein bisschen was hatte sie in Erfahrung gebracht, obwohl Mister Blond ihr so dazwischen gefunkt hatte. Sie war einfach geübt darin, solch eine Situation zu retten. Und was brachte es, jetzt noch dieses kleine Spiel zu spielen? Wenn er wieder über Aspen sprechen wollte... das konnte sie sicher oft genug, wenn besagter Herr bei der Crew blieb. Wonach es im Moment ja aussah. Shanaya hob den Blick nicht zu dem Blonden, musterte nur weiter den Fremden und zuckte schließlich mit den Schultern. „Verdient oder nicht, die Marine macht doch eh, was sie will.“ Tja... der verwirrte Blick des Mannes ließ darauf schließen, dass er das nicht verstand. Hatte sie sich eben doch noch anders gegeben. Er wich nicht zurück, blickte nur zwischen den beiden hin und her. Und als ihre Begleitung etwas von öffentlicher Hinrichtung sagte, winkte die Schwarzhaarige ab, ehe sie einen arm hob und mit dem Ellenbogen ein wenig zu grob gegen Aspens Brustkorb stieß. „So ein Schrank wie du wird doch keine Angst davor haben, oder?“ Nun warf sie ihm auch ein Grinsen zu. Und noch bevor der Fremde reagieren konnte, setzte Shanaya sich in Bewegung, ohne den beiden noch einen Blick zu zuwerfen. „Ich geh mir was zu Essen holen, von dem ganzen Gerede kriegt man ja Hunger...“ Außerdem war es bald Zeit, sich mit Talin zu treffen. DAS wollte sie auf keinen Fall verpassen. Just in diesem Moment fiel ihr etwas Nasses auf die Nase. Ein kurzer Blick zum Himmel. Regen, das auch noch. Na gut... konnten sie vielleicht auch irgendwie nutzen.
Aspen beobachtete ziemlich belustigt das Minenspiel des armen Mannes, der anscheinend völlig von Shanaya überrumpelt war. Lag es an der fehlenden 'Damenhaftigkeit', oder an der freien Meinungsäußerung? Aspen konnte nur hoffen, dass es Ersteres war. Die Freiheit seine Meinung zu äußern war ihm dann doch etwas wichtiger. Entschuldigend zuckte er nur mit den Achseln, als der Mann ihn fragend ansah, bevor er ihm kurz die Hand auf die Schulter legte, wie zum Dank. Wofür bedankte er sich..? Ja, das würde er so schnell nicht erfahren, wenn der kleine Rabe weiter rannte. Doch er würde ihr nicht folgen. Nein. Ein weiteres Nicken in Richtung des Mannes, bevor er sich ebenfalls in Bewegung setzte und der Dunkelhaarigen nachrief: "Und was sollte das Ganze Drama nun?", es war ihm deutlich anzuhören, dass er nicht den letzten unverschämten Teil ihrer Unterhaltung meinte, sondern das große Ganze. Dank seiner Größe fiel es ihm kaum schwer, den Anschluss zu halten, auch wenn er - ehrlich gesagt - kaum den Drang verspürte sein gemächliches Tempo zu beschleunigen.

Shanaya senkte den Blick wieder, um sich nach irgendetwas umzusehen, wo sie etwas zu Essen her bekam. Und zwar nichts, was so roch wie das, was Aspen ihr angeboten hatte. Sie wandte sich nicht herum, achtete nicht darauf, ob der Blonde und der Fremde noch etwas zueinander sagten. Das Kapitel war für sie beendet, Aspen würde sie gezwungenermaßen wieder sehen, den Kerl... Tja. Der durfte sich jetzt fragen, was er da gerade erlebt hatte. Sie war nicht lang in Bewegung, als sie schon wieder stehen bliebt, den blick suchend schweifen ließ. Es fing an zu regnen, vielleicht sollte sie schon einmal nach irgendwas zum unterstellen Ausschau halten? Wäre da nicht dieser Hunger... Die Schwarzhaarige verschränkte die Arme, breitete sie dann jedoch schon wieder ein wenig aus, als Aspen sie etwas fragte. Sie wandte sich selbst jedoch nicht herum. „Ich wüsste nicht, dass das ein Drama war. Du hast es zu einem Drama gemacht.“ Ihre Stimme war ruhig, konzentrierte sie sich gerade doch auf etwas ganz anderes.

Aspen brauchte ein wenig, bis er bei ihr ankam. Ihr suchender Blick irritierte ihn, ließ ihn ebenfalls kurz Ausschau halten, bevor er verstand, dass sie nicht den zweiten Mann des Duos versuchte ausfindig zu machen. Einen Moment kramte er nach seinem duftenden Stoffstück, bevor er es ihr beinahe schon provokant unter die Nase hielt. Das Grinsen verkniff er sich, wenn auch nicht komplett. "Du kannst das Angebot auch gerne annehmen und meinen Fisch probieren." Noch ein Stückchen höher hob er die Hand. Nunja, eigentlich würde er es gerne selbst essen. Aber zuvor hatte Shanaya auch nicht den Eindruck gemacht ihm das letzte Stück essen weg zu nehmen. "Ich meine auch nicht unser kleines Dramenstück, kleiner Rabe", erklärte er völlig gefasst, als hätte er sie richtig verstanden. "Sondern den Versuch mehr über deine Freunde heraus zu bekommen." Oder allgemein über die festgenommenen Piraten.

Shanaya schielte nur kurz zur Seite, als Aspen neben ihr auftauchte und sie einen Moment später wieder diesen wunderbaren Geruch in der Nase hatte. Sie wusste wirklich nicht, was man daran finden konnte... Trotzdem blickte sie das Angebot des Mannes noch einmal kurz an, ehe sie den Blick direkt in sein Gesicht hob. „Du musst noch groß und stark werden, also iss ruhig allein.“ Trotz des beißenden Geruchs ließ sie den Kopf wo er war, drehte sich nicht von Aspen weg. Diese Tiere waren ihr wirklich lieber, wenn sie im Wasser waren. Lebendig, nicht gepökelt irgendwo an einem Haken hängend. Er überging einen Teil ihrer Worte, verbesserte sie dann. „Es geht nicht um meine 'Freunde'“ diese Bezeichnung ließ sie beinah leise schnaufen. Freunde... „Es geht um einen Gefallen, dem ich Jemandem schulde. Und das erfordert manchmal ungewöhnliche Maßnahmen.“

Aspen schmunzelte, bevor er sich demonstrativ das letzte Stück - das er sogar geopfert hätte! wenn auch unwillig - in den Mund steckte und genüsslich aufseufzte, als wollte er ihr zeigen, was sie verpasste. Das Stoffstück wurde gefaltet und zurück in die Tasche verfrachtet, während er antwortete. "Ungewöhnlich?", wiederholte Aspen wieder, beinahe unglaubwürdig. "Ein solches Aushorchen sollte doch an der Tagesordnung eines 'Piraten' stehen", erst als der Stoff saß, hob er wieder den Blick, die Augenbrauen gekräuselt. "Für einen Gefallen hast du ziemlich wenig aus ihm herausbekommen." Das war eine Feststellung, die sie nicht leugnen konnte. "Wir hätten uns wahrscheinlich auch eine Zeitung kaufen können."

Shanaya wandte den Blick wieder ab, als Aspen sich seinen Fisch zu Genüge tat. Sie war immernoch nicht weiter, und eigentlich hätte sie schon gern etwas gegessen, bevor sie zu Talin zurück ging. Wer wusste schon, was da auf sie wartete. Die Bewegungen des Mannes nahm sie aus den Augenwinkeln wahr, verkniff sich bei seinen Worten jedoch einen passenden Kommentar. „Entspreche ich dem Bild eines 'gewöhnlichen' Piraten?“ Sie hatte ihre Methoden – und das gewöhnliche Piratenpack eben seine. Seine nächsten Worte entlockten ihr jedoch fast ein Seufzen. Aber sie blieb still. Sie warf ihm wieder einen vorwurfsvollen Blick zu. „Und du meinst, auf diesen Gedanken bin ich nicht von allein gekommen?“ Aber auch da stand sicher nicht drin, wo sich Talins Bruder befand. Oder glaubte Aspen, dass sie ein Bild von jenem Gesuchten direkt auf der ersten Seite ansprang?

Aspen leckte sich sogar ernsthaft die Finger ab, bevor er sich fragend über den Bart fuhr. (Ha! Er war schon richtig unmanierlich geworden!) Eines gewöhnlichen Piraten? Nein. "Du entsprichst dem Bild eines verwöhnten Mädchens", gab er ohne jeglichen Vorwurf oder einer Beleidigung in der Stimme zu, bevor er den Schritt wieder aufnahm. "Bist du vielleicht, trotzdem wissen wir nicht mehr als vorher", gab er zu, bevor er den Schritt wieder aufnahm in Richtung Taverne, in der Tally irgendwann im Laufe des Tages werben sollte. "Wolltest du jetzt noch etwas essen?", fragte er ohne den Kopf zu drehen, da er erwartete, dass sie ihm folgen würde, oder zumindest ebenfalls Schritt nehmen wollte. Einen Moment überlegte Aspen, bevor sich die Hände in die Hosentaschen schoben und eine das dortige Klappmesser umfasste. "Du müsstest ein Mitglied der Marine finden. Im besten Fall den Admiral", kurz räusperte er sich belustigt, "Der sich ganz bestimmt nicht hier aufhalten wird."

Shanaya blinzelte erst über die Worte des blonden Mannes, ehe sie auflachte. „Da kenne ich noch jemanden.“ Ein unmissverständlicher Blick in seine Richtung. „Wieso? Weil ich sage, was ich denke und einfach bin, wie ich bin?“ Die Antwort interessierte sie nur mäßig, sodass sie den blauen Blick wieder abwandte. Auch als er sich wieder in Bewegung setzte wandte sie den Blick nicht zu ihm, grinste bei seinen Worten nur munter vor sich hin. „Du vielleicht nicht. Ich schon.“ Seine Frage beantwortete sie mit einem Brummen. Sie sollten sich vermutlich wirklich langsam auf den Weg machen... und leider hatten sie nun Mal den selben Weg. Es würde sicher dort etwas zu Essen geben... und sie wollte ja nicht zu spät kommen. Sie folgte dem Blonden also mit lockeren Schritten, achtete dabei weiter auf die Umgebung. „Keine Sorge, ich komme schon an mein Ziel. Auf die eine oder die andere Art und Weise.“

Aspen überging ihre - anders als seine eigene - Beleidigung schweigend. Ihm fehlte einfach die Lust sich jetzt, wo es gerade auch noch zu regnen begann, mit solchen Spielchen auseinander zu setzen. "Nein, weil sie dich so geformt haben", äußerte er nur, bevor er das Klappmesser los ließ und sich einmal durch die langen Haare fuhr. Natürlich würde sie zum Ziel kommen, aber warum denn auf Umwegen, wenn es - wie gerade eben - leichter zu zweit war? Deswegen nickte er nur als Bestätigung, dass er ihren Kommentar wahrgenommen hatte, allerdings nichts dazu sagen wollte. Wahrscheinlich hätte er Shanaya nur wieder vor den Kopf gestoßen.

Shanaya grinste nur noch ein wenig breiter, als von Aspen keine weitere Reaktion kam. Er fühlte sich doch jetzt nicht wirklich davon angegriffen? Naja, sollte ihr egal sein. Seine nächsten Worte ließen sie dann kurz die Augen schließen, ehe sie erneut die Arme ausbreitete und mit den Schultern zuckte. „Wenn ich wäre, wie sie mich geformt hätten, dann würde ich dir jeden Abend dein Essen vor die Nase stellen und das kleine Hausfräulein mimen.“ Ihre Stimme kam nicht provozierend – eher schon fast versöhnlich. Viel mehr hatte der Blonde dann auch schon nicht mehr zu sagen, woraufhin Shanaya den Blick zum grauen Himmel hob. Da wollte man diese Insel auskosten und sehen, was es hier so gab... und dann so etwas. Aber sie hatte jetzt definitiv keine Lust, schweigend neben dem Blonden her zu laufen. „Meinst du, es werden sich viele melden?“

Aspen schmunzelte. "Dann müsste ich mir wenigstens nicht an einem dreckigen Stand etwas auf die Hand holen." Einen Moment hielt er inne, mimte den Entrüsteten, als hätte sie ihn beleidigt: "Für das Essen hätten wir selbstverständlich Bedienstete gehabt", sinnierte er und schüttelte sich mit der Hand die gekräuselten Nackenhaare glatt, bevor er kurz die Augenbrauen fragend hoch zog auf ihre Antwort. "Obwohl... Meinst du wirklich, du könntest lesen, wenn du nicht in der Familie aufgewachsen wärst?", fragte er ehrlich interessiert. Ihm selbst würden viele Fähigkeiten fehlen, die er jetzt als selbstverständlich erachtete. Aber vielleicht auch nur, weil es für Aspen bereits eine Umstellung gewesen war, dass ihm das Essen wirklich nicht mehr vor die Nase gesetzt worden war. Wenn es so weiter ging und sich wirklich niemand auf Tallys Announcen melden würde, müsste er vielleicht sogar selbst kochen. Pf. "Ich hoffe es. Zu viert werden wir hier kaum mehr wegkommen."

Shanaya hob eine Augenbraue und wog den Kopf ein wenig zur Seite. Dieser Gedanke schauderte sie – auch wenn das nun wirklich nicht an Aspen lag. Ihre Eltern hatten noch genug andere Kerle angeschleppt, und der bloße Gedanke an sie als braves Hausfräulein, das irgendeinem Kerl jeden Wunsch von den Augen ablesen sollte... Nein. Der passte ihr so gar nicht. So war sein nächster Kommentar auch nur nebensächlich. „Ich bin kein Freund von Was-wäre-wenn Fragen... Keine Ahnung, was in einer anderen Familie anders wäre. Vielleicht würde ich dann jetzt nicht hier stehen.“ Die Schwarzhaarige strich sich über die Wange, wischte ein paar Regentropfen weg. Das war wirklich nichts, worüber sie sich den Kopf zerbrechen wollte. Gab Wichtigeres. Aber zu dritt war es wirklich schwer, da musste sie dem Blonden Recht geben. Und Talins Bruder versteckte sich sicher nicht hier. „An solch einem Ort gibt es sicher genug Abenteuerwütige.“
Aspen ließ den Blick nur schweigend über die Köpfe der Menge gleiten, die langsam damit begonnen sich Tücher oder Umhänge über den Kopf zu spannen, oder ihre Stände abzubauen. „In einer anderen Familie wärst du wahrscheinlich nicht mehr am Leben“, gab er zu bedenken und verkniff sich jeden Kommentar der hohen Kindersterblichkeitsrate. Nein, er war wirklich froh, dass er aufgewachsen war, wie er war. Er konnte lesen, sich über Wasser halten und besaß genug Talente um einen Job zu finden. Das Glück hatten ganz sicher nicht alle... Zumindest nicht in dieser Region ihrer Welt. „Abenteuerwütige?“, wiederholte er fast schon ein wenig skeptisch. „Ich hoffe eher auf erfahrene Seemänner.“ Mit einem Kopfnicken deutete er erst auf Shanaya, dann auf sich selbst, als wolle er sie darauf hinweisen, dass sie beide wohl kaum mit ihrem bisherigen Können punkten konnten. Ihre einzige Hoffnung basierte schließlich nur auf Talin. „Und auf einen Koch“, fügte er schmunzelnd hinzu. Das wäre wohl noch die leichteste Aufgabe.

Shanaya malte sich immer wieder aus, wie die neue Crew wohl sein würde. Dabei ging sie jede Möglichkeit durch – vom schlimmsten bis zum besten. Und dabei hoffte sie einfach auf eine gute Mischung, nur nicht auf ganz so viele Idioten. „Oder sie nicht mehr.“ Hey, wer wusste schon, wer nach ihrem Onkel gefolgt wäre, wäre sie auf Yvenes geblieben. Und davon konnte Aspen ja vielleicht auch ein Lied singen. Sie sprach diesen Gedanken aber nicht aus, schmunzelte nur darüber. „Ein Schiff voller toller Seemänner bringt einem Nichts, wenn man dann nur ohne Ziel und Verstand durch die Gegend segelt. Da fehlt die Spannung.“ Es hatte ja nun seine Gründe, wieso sie sich für ein Piratenschiff entschieden hatte, und nicht eines der Händler, von denen es genug in Yvenes Häfen gab. „Wenn wir keinen Koch finden, übernehme ich das eben auch noch.“ Es gab wohl wenig, was ihr schwerer fiel.

Aspen runzelte nur skeptisch die Stirn, als Shanayas Kommenatar folgte: Sie nicht mehr? Oh Kind, es war für den Moment so einfach gewesen zu vergessen, dass in diesem Mädchen noch der jugendliche Trotz tobte. Deswegen ignorierte er den Satz, jedoch nicht ohne die Mundwinkel abschätzend zu kräuseln. „Was ist denn ein 'spannendes' Ziel für dich? Der Schatz auf einer der verlassenen Inseln? Eine neue Welt? Die sagenumwobene Magie?“, zog er sie auf und wiederholte damit alle Piraten-Geschichten die er als Kind aufgeschnappt hatte. „Mein erstes Ziel – wie du es nennst – ist es vorerst die andere Seite unserer Welt mitzuerleben“, gab es zu und hob fast schon theatralisch die Augenbrauen. Ja, er kannte die dunkle Seite des Handels, die vielen Opfer der Handelskompanie – ob bewusst oder unbewusst geopfert. Die wirklichen Schattenseiten waren ihm nur von Erzählungen bekannt.

Shanaya sah, da sie den Blick nach vorn gewandt hatte, nicht Aspens Blick. Sie hätte sich so oder so nicht daran gestört. Auf seine Frage streckte sie die Arme zu beiden Seiten auf, verpasste ihm damit einen sachten Hieb mir der einen Hand – bewusst! - und grübelte dann kurz. „Alles davon? Und der Weg dahin. Wenn ich ein langweiliges Leben auf See hätte haben wollen, hätte ich das Geschäft meiner Eltern übernehmen können.“ Sie zog die Arme wieder zurück. Die anderen Welten waren schon verlockend... und die Geschichten dazu lockten sie noch viel mehr. Und sie war froh darüber, dass sie Talin als ebenso abenteuerwütig einschätzte. „Du denkst in kleinen Schritten. Meinst du, bis dahin hast du die Nase voll vom Piratenleben?“

Aspen fuhr sich verletzt über die Stelle, an der ihr Hieb ihn erwischt hatte, als hätte es wirklich weh getan. Unbewusst, vielleicht in die Gedanken über all die Märchen vertieft, fuhr er sogar einmal zu oft über die Stelle an seinem Arm. Er konnte dem kleinem Raben nicht ganz in ihrer Begeisterung zustimmen, dass er wirklich alle Legenden und Sagen miterleben und verfolgen würde. Er hatte sein Leben schließlich gemocht: den Wohlstand, die vielen Freiheiten auf der einen Seite, die große Verantwortung über so viele Arbeiter. Es hatte ihn ausgelastet, wenn eben diese eine Person nicht alles zerstört hätte. „Den Weg dorthin?“, wiederholte er ohne Bewertung. „Ich glaube, dass bereits viele ihr Leben auf diesem viel zu früh Weg gelassen haben.“, gab er ohne einen Funken von Scham sein Bedenken zu. „Hast du keine Angst davor, dein Leben durch puren Leichtsinn zu verlieren?“ Doch noch bevor er die Frage ganz gestellt hatte, biss er sich auf die Zunge: jugendlicher Leichtsinn, das waren genau Shanayas Schlagwörter. Natürlich würde sie keine Angst davor haben. Doch das sprach er nicht aus. Stattdessen fuhr er sich nur nachdenklich über das Kinn, strich den Bart glatt. „Bisher noch nicht. Ich mag es meine Berufung weiter ausführen zu können, ohne jeden Tag die gleiche Aussicht zu haben.“, gab er zu und offenbarte damit wohl den wichtigsten Punkt für seine Entscheidung sich den Piraten anzuschließen: bei einem Händler hätte er mehrere Schiffe am Hafen flicken müssen, jetzt durfte er jeden Tag etwas anderes sehen und konnte seine Leidenschaft dennoch ausführen. Ha! Als ob ihn überhaupt irgendein Händler angestellt hätte!

Shanaya richtete den hellen Blick zur Seite, als Aspen ihre Worte hinterfragte. Und seine ergänzenden Worte brachten sie nur zum grinsen. Das war eine Frage, die leicht zu beantworten war. Immerhin hatte sie selbst sie sich oft genug gestellt. „Piratenleben ist nicht einfach, man muss jeden Tag damit rechnen, dass man draufgeht. Wenn ich Angst davor hätte, wäre ich falsch hier. Ich spiele nicht mit meinem Leben – nicht Ich! - aber dann sterbe ich lieber in einer Schlacht als von irgendwelchen Dienern umgeben, die mich nichts alleine machen lassen.“ Sie zuckte mit den Schultern, er sollte davon halten, was er wollte. Sie hatte sich bewusst für dieses Leben entschieden, und sie war nicht der Typ, der sich ängstlich in einer Ecke verkroch. Und wenn sie aufpasste musste sie sich darum vielleicht nicht einmal so große Sorgen machen. „Wenn ich ein sicheres Leben hätte haben wollen... wir hatten es schon einmal, würde ich abends mit dir am Tisch sitzen und dir vielleicht das Essen ins Gesicht werfen.“ Sie drehte den Kopf zu dem Blonden und zwinkerte. „Das wir jetzt hier sind spricht wohl genug, oder?“ Sie blickte wieder nach vorn, überlegte kurz und sprach dann weiter „So kannst du anstatt Bäume fallen Masten reparieren. Hat doch auch was.“

Aspen nickte, dass er verstand. Ja, er nickte ein weiteres Mal. Er konnte sie wirklich verstehen Vielleicht auch nur, weil er eine Schwester ohne Freiheiten gehabt hatte, oder weil er genau wusste, dass ein eingeengtes Leben schrecklicher war als jeder Kampf. Deswegen antwortete er auch nicht, konnte sich in dem einen Moment nur ein Lachen schwer verkneifen, wenn er sich wirklich vorstellte, dass der Plan seines Vaters gewesen war, ihn zu einer allabendlichen Tortenschlacht einzuladen. „Ich mochte mein 'altes' Leben“, gab er zu und merkte selbst das es stimmte. „Mir gefiel die Verantwortung, mein Kreis von Vertrauten und der Handel.“ Es war ein beständiges Leben gewesen und wenn sein Vater das Unternehmen einmal aufgegeben hätte, wäre er auch wirklich frei gewesen, auch wenn es sich zum letzten Zeitpunkt nur um Jahrzehnte hätte handeln können. „Hast du nicht jede Nacht genossen, als du dich davon gestohlen hast? Wir hatten genug Abenteuer in unserer kleinen Welt. 'Ich' hatte genug Abenteuer.“ Und bei diesem Gedanken lächelte er beinahe schon glückseelig. Ja, er hatte alles gehabt und hätte alles haben können. Nur die Freiheit , die hatte er schneller haben wollen, als sie ihm zugeschrieben worden war. Zu seiner eigenen Überraschung schockierte es ihn noch nicht einmal, dass er so viel hatte geben können um wirklich 'frei' zu sein. Das war es wert gewesen. „'Masten reparieren'?“, wiederholte er lachend. „Wenn das meine einzige Aufsicht auf Unterhaltung sein wird, bist du mich schneller los als nötig.“ Die Hand, die eben noch den Bart gestrichen hatte, streckte er nach hinten, reckte sich und dehnte die Muskeln, als würde er das schwierige Thema so von sich abstreichen. „Was ist eigentlich deine Aufgabe? Die ganzen Papiere und das Zeug? Piraten werden immerhin keine Buchhalterin brauchen.“, neckte er und legte die Betonung absichtlich auf die weibliche Form des Jobs.

Shanaya strich sich eine der inzwischen feuchten Strähnen aus der Stirn. Talin hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Wenn diese komisch geschnittenen Haare nass wurde, waren sie gar nicht mehr zu bändigen. Sie wusste nicht, ob es sie wundern sollte, dass Aspen sein altes Leben gemocht hatte. Sie wusste nicht genau WIE er gelebt hatte, aber vermutlich nicht groß anders als sie selbst. Sie hatte seinen Vater erlebt, wusste um den Erfolg seines Geschäfts. „Dein Himmel, meine persönliche Hölle.“ Nein, dieses Leben wäre Nichts für sie gewesen. Sie wäre unglücklich gewesen, das wusste sie. Und so hatte sie bekommen, was sie sich gewünscht hatte. Mal sehen, wie lange das gut ging. „Ich war oft genug unerlaubt unterwegs. Und habe damit genug Leute zur Weißglut getrieben. Bewusst.“ Wie oft hatten die Lehrer des Internats versucht, sie irgendwie zu erziehen und waren gescheitert? Oft genug. „Zur Abwechslung darfst du sicher auch Mal irgendwas anderes zusammen hämmern.“ Sie blickte nicht zur Seite, als Aspen sich streckte, blieb dann aber bei seiner Frage stehen. Papier... sie wollte noch welches besorgen. Und anderes... Sie griff also in die Tasche, holte den alten Kompass heraus, der hoffentlich bald ersetzt wurde und hielt ihn in die Luft, während die kleine Nadel gegen das Glas tippte. „Was ist denn die Aufgabe des Navigators? Ich verrate euch den Kurs, wenn mir danach ist.“ Seine nächsten Worte ließen sie leicht die Nase rümpfen. „Wofür ist dann der Quartiermeister da?“ Sie grinste dem Blonden entgegen, kramte dann in ihrer Tasche, in die der Kompass zurück fiel.

Aspen verkniff die Erklärung, dass der Himmel anders aussähe, um nicht mit einer detaillierten Autobiographie zu beginnen. Stattdessen konzentrierte er sich darauf der Regen zu genießen, der endlich einmal nicht salzig schmeckte. Er konnte sich Shanaya als Schülerin gut vorstellen. „Ich glaube, dass du es nicht so schlimm empfunden hättest, wenn du der ganzen Sache nicht so abgeneigt gewesen wärst.“, pflichtete er ihr bei, wenn auch nicht belehrend. Wahrscheinlich wäre sie nicht 'nur' eine Ehefrau geworden, wenn sie dem Internat nicht die kalte Schulter gezeigt hätte. Vielleicht interpretierte Aspen aber auch zu viel von sich selbst hinein. Als er ihre Bewegungen im Augenwinkel sah, drehte er dne Kopf vom Himmel zu ihr, betrachtete das kleine Ding in ihrer Hand. Navigator. So war das. Er hatte wohl nicht gut genug auf ihre Arbeiten am Schiff geachtet. „Und wer hat dir das beigebracht?“ Mit einem Kopfnicken deutete er auf ihre Taschen, indem der Kompass wieder verschwunden war. Er selbst hatte auch mal einen besessen, um den Weg aus dem dichten Wald problemlos zu finden. Das war lange her. „Dann bin ich mal gespannt, wie lange wir ein Abenteuer suchen müssen, wenn du uns den Weg weist.“, schmunzelte er und konnte sich den Gedanken daran, dass sie von einem Kind den Kurs benannt bekamen, nicht verkneifen. Er müsste mal mit Talin sprechen, ob sie dieses Talent ebenfalls besaß und es ihm 'bei bringen' könnte. Vor Shanaya wollte er dies nicht eingestehen. Bei ihrer Frage war er kurz irritiert, bevor er sich entsann: ach, es gab ja doch einen 'Buchhalter' auch wenn dieser wohl kaum gleichrangige Aufgaben wie die bisherigen Arbeiter die er kannte übernahm. „Er ist dafür da mir mitzuteilen, ob es sich finanziell für mich gelohnt hat, den Stand zu wechseln.“ Ja, da war er wieder. Der abgeklärte Händler in seiner Stimme, auch wenn es auch ein Scherz hätte sein können.

Shanaya hob bei den Worten des Blonden leicht eine Augenbraue. So? Glaubte er das wirklich? „Mich von irgendeinem Kerl unterdrücken lassen, von dem meine Eltern wollten, das ich ihn heirate, ihn umsorge und so tue, als wäre er das Zentrum meines Lebens? DAS glaube ich weniger. Das wäre absolut Nichts für mich. Ich brauche meine Freiheit, und die hätte ich in diesem Leben niemals so bekommen.“ Seine Frage ließ sie tief durchatmen. Ob er ihr das glauben würde? „Alles, was ich über die Seefahrt weiß habe ich mir selbst beigebracht. Vom Aufbau eines Schiffes, über die Navigation, das Wetter...“ Das war Nichts, was man ihr beigebracht hätte. Das brauchte sie nicht, um ihren Eltern Ehre zu bringen und ihren hoch angesehenen Ehemann zu versorgen. Die Schwarzhaarige verzog leicht das Gesicht, seufzte dann. „So lange, wie es braucht, bis Talin nach einem Abenteuer ist. Sie ist nicht umsonst Captain.“ Auch wenn es sicherlich nur eine Frage der Zeit war, bis sie diesen Posten nicht mehr allein inne hatte. Wenn es nach ihr ging. Was Shanaya davon halten sollte... das würde sie dann an besagtem neuen Captain ausmachen. Vielleicht konnte er sie ja überzeugen? Sie kramte also kurz weiter in der Tasche, holte ein paar Stücke Kohle hervor, die sie schnell wieder hinein fallen ließ, bevor der stärker werdende Regen sie aufweichte. „Reich wirst du eher nicht als Pirat. Es sei denn, unser Captain will jedes Schiff entern, das uns begegnet und kommt damit durch...“

Aspen tadelnd schnalzte er mit der Zunge, schüttelte verneinend den Kopf bei ihren Worten über die Ehe. Er war verheiratet, irgendwie. Nicht offiziell, weil die Stammesgesetze nicht universell waren, aber er wusste zumindest welches warme Gefühl allein der Gedanke in ihm auslösen konnte, dass er in seiner eigenen winzigen Welt gelernt hatte, dass die Ehe nicht nur aus Zwang und Pflicht bestand. Doch das sagte er nicht, wollte sich jeden Kommentar verkneifen. „Die wirkliche Ehe bedeutet Freiheit, kleiner Rabe.“, belehrte er sie ohne weitere Erklärung. Er biss sich sogar auf die Zunge, um sich jeden Kommentar zu verkneifen, auch wenn er ihr davon berichten wollte, wie manche Menschen Shanayas selbsternannte 'Hölle' sahen. Doch das durfte er nicht. Stattdessen fuhr er sich nur ein weiteres Mal durch die nassen Haare, besann sich und strich sie nach hinten, bevor er sich in seichtere Gesprächsgewässer begab. „Und wie hast du es dir selbst beigebracht, so ganz ohne Vorwissen?“ Aspen konnte nicht ganz verbergen, dass er ihr nicht glaubte, oder es sich zumindest nicht vorstellen konnte. Ihre Arbeit war etwas anderes als sein Schnitzen, das sich durch Übung ergab. Die Bemerkungen zu Talin kommentierte er nur mit einem Nicken. Er war überrascht gewesen, dass so ein junges Ding es wirklich auf diesen Posten geschafft hatte. Doch er selbst sah sich nicht in der Position – oder der Lebenserfahrung in dieser Welt – um sie beurteilen zu können. Ihre bisherigen Taten und Anordnungen hatten ihn aufjedenfall weder abgeschreckt, noch Zweifel aufkommen lassen: deswegen blieb er. „Ja, ich bin gespannt auf ihre Pläne.“, gab er nur sachlich zu.

Shanaya schielte nur leicht zur Seite als sie das schnalzende Geräusch wahrnahm. Was kam jetzt? Lernstunde mit einem Vatermörder? Sie lachte bei diesem Gedanken beinahe los, richtete den Blick dann aber wieder zu ganz zu ihm herum, als tatsächlich eine Aspen-Weisheit folgte. „Eine Freiheit, die man nicht in einer arrangierten Ehe findet, weswegen DAS Nichts für mich ist.“ Das war selbstverständlich für sie. Sie hatte Nichts gegen die Ehe – auch wenn sie selbst sich dafür noch deutlich zu jung fand... - aber nicht unter solchen Umständen. Dazu war sie vielleicht auch irgendwo in ihrem Inneren zu romantisch veranlagt. Irgendwo. Sehr weit versteckt. „Oder wärst du frei gewesen, wenn du 'irgendwen' geheiratet hättest, den dein Vater für dich ausgesucht hätte?“ Das konnte er ihr nicht erzählen, sie glaubte nicht daran. Das war Zwang, keinerlei Freiheit. Das nächste Thema sagte ihr dabei jedoch auch mehr zu, und sie schmunzelte über Aspens Worte. „Du glaubst mir nicht, hm?“ Gut, es war auch nur die halbe Wahrheit. „In Büchern findet man genug Informationen dazu. Und solltest du nicht darauf geachtet haben – meine Eltern hatten mehr als ein Schiff.“ Und ihr Bruder hatte auch eins. Wenn man es genau nahm, war sie die einzige, die kein eigenes Schiff hatte. Wow. Sie war doch das schwarze Schaf der Familie. „Ich hatte genug Zeit, um sämtliche Bücher auswendig zu lernen.“ Sie seufzte leise, drehte sich dann um und lief ein paar Meter rückwärts, sich suchend nach einem Turm mit einer Uhr umsehend. „Und wir sollten vielleicht Mal zu ihr, sonst wird das mit den Plänen Nichts.“

Aspen schmunzelte, als Shanaya ihm ihre Sicht erklärte. Dann gab es in der allgemeinen Bevölkerung also doch noch – zumindest verborgen – eine Sicht auf die wahre 'Liebe', auch wenn sie nicht anerkannt wurde. Beinahe vertraut setzte er seine beste Maske auf: belehrend, als wäre der kleine Rabe seine Schülerin. Und dann, ohja, damit wäre all das nette Gespräch und die Weisheiten vorbei, hob er den Arm, als wenn er sich strecken müsste, bevor er die Dunkelhaarige absichtlich damit auf den Schultern ein Stück zu feste versuchte hinunter zu drücken! „Du möchtest mir also sagen, dass wir zwei nicht glücklich bis ans Ende unserer Tage gelebt hätten?“, fragte er sie entsetzt und zog die Augenbrauen schmeichelnd nach oben, als wolle er sie umgarnen. Hach, sie hätten beide vermutlich Selbstmord begangen! Einen Moment verharrte er so, zumindest versuchte er es, bevor er den Arm wieder hob und abwehrend die Hände vor sich streckte. „Und ich bin dir nur gefolgt, weil ich unsere Zukunft vor Augen hatte!“, entrüstete er sich schockiert, als seien alle Hoffnungen nun von ihm gewichen. Nebenbei hatte er ihre Erklärungen zum Thema Navigation zwar wahrgenommen und gespeichert – insgeheim sowohl ihren Mut, als auch das Durchhaltevermögen bewundert – doch er war sich ein wenig zu schade, dem kleinen Raben dies auf die Nase zu binden, auch wenn er ansonsten mit Lob nicht knauserig war. Stattdessen verfiel er lieber in ein tiefes Lachen, aus dem ein wenig Schadenfreude heraus zu hören war.

Shanaya wurde misstrauisch, als der Mann sich streckte – zu Recht. Im nächsten Moment hatte sie seine Hand auf der Schulter, mit der er versuchte sie runter zu drücken. Aber sie hielt so gut es ging dagegen, brummte auf seine Worte hin. „Entweder hätte ich dich erschossen oder mich selbst. Da bin ich mir noch nicht ganz sicher.“ Gott, nein. Egal ob Aspen oder einer dieser anderen Kerle... mit keinem davon wäre sie glücklich geworden. Dann nahm er die Hand weg, woraufhin die Schwarzhaarige nicht lang zögerte. Mit einem Schritt stand sie genau vor ihm, ihre Hand schnellte zu ihrem Dolch, den sie dem Mann im nächsten Moment direkt an die Kehle hielt. Auf den Lippen ein vollkommen ruhiges, beinah charmates Lächeln. Die blauen Augen waren direkt auf seine gerichtet. Sie drohte ihm nicht wirklich, ihr war inzwischen egal, was er tat oder sagte. Solange er die Finger von ihr ließ. Dieses Mal waren es nicht nur ihre Zähne, die er zu spüren bekommen konnte. „Überleg dir alles weitere ganz genau. Und lass deine Finger bei dir.“ Einige Herzschläge vergingen, ehe sie die halbherzige Drohung fallen ließ und sich direkt umwandte. Gut gelaunt schlenderte sie voran. „Wie gesagt, werde ich jetzt zu Talin gehen. Komm mit oder lass es.“ Die Blicke mancher Passanten interessierte sie nicht. Gott, zu gern hätte sie jetzt Aspens Gesicht gesehen. Ihr Dolch wanderte mit einer lockeren Bewegung zurück in die Scheide an ihrem Gürtel.