04.07.2019, 18:17
Auf Sylas' halb lachenden Zwischenruf hin warf der junge Captain ihm einen von einem breiten Grinsen begleiteten Seitenblick zu. Die Antwort darauf stand dem Dunkelhaarigen förmlich ins Gesicht geschrieben, als er seinen Krug in einer geradezu versprechenden Geste hob und ihn dann an die Lippen setzte. Oh nein, aus der Nummer kam er so schnell nicht mehr raus. Jetzt interessierte den 21-Jährigen nämlich viel zu sehr, ob er mit seiner Vermutung richtig lag.
Doch Enriques belegte Stimme unterbrach den Gedanken und als die Bedeutung dessen, was er sagte, durch Luciens benebeltes Hirn drang – vielleicht einen Herzschlag langsamer als sonst – blieb ihm der schwere Wein schlagartig im Halse stecken, noch bevor die tiefgrünen Augen zu dem ehemaligen Lieutenant zurückkehren konnten. Er verschluckte sich so heftig an seinem Getränk, dass er es fast durch die Nase wieder ausgespuckt hätte, die prompt höllisch zu brennen begann und ihm die Tränen in die Augen trieb. Im nächsten Moment prustete er los, halb lachend, halb hustend, bis seine Lungen wieder so frei waren, dass er nur noch lachte und den Krug auf den Tisch abstellen musste, um nichts von dem guten Zeug zu verschütten.
„Verflucht nochmal...“ Nach wie vor vor sich hin lachend wischte sich der Dunkelhaarige mit dem Handrücken über Nase und Mund, schüttelte den Kopf und schaffte es endlich, den Blick auf den Schwarzhaarigen zu richten. Ein breites Grinsen lag auf seinen Lippen. „Ich meinte Skadi, du Trottel.“ Der neckende Schalk in seiner Stimme schaffte es tatsächlich, diese Bezeichnung ganz und gar nicht mehr wie eine Beleidigung klingen zu lassen. Sondern viel mehr nach einem kumpelhaften Kosenamen. „Solltest du tatsächlich auf diese Art über meine Schwester nachdenken, rate ich dir, mich das nicht wissen zu lassen. Denn dann erschieße ich dich wirklich noch – ob Freund oder nicht.“
Noch einmal wallte ein Lachen in ihm hoch, das er nur mit Mühe halbwegs unterdrückte, indem er sich den gerade verlorenen Port genehmigte und dabei erneut Sylas ins Auge fasste. Darüber hinaus entging dem jungen Captain allerdings, was in der Zwischenzeit Enriques Interesse auf sich zog.
Es mochte an seiner ohnehin viel zu erheiterten Laune liegen, aber das, was der Hüne sagte, stieß bei ihm durchaus auf Wohlwollen, machte ihn nach dem, was er in letzter Zeit von sich gegeben hatte, fast ein bisschen sympathisch. Ein Zyniker, durch und durch – aber das war Lucien selbst schließlich auch. Und seine Einstellung zur Ehe überschnitt sich erstaunlich großflächig mit der des Älteren.
Selbst was das Thema Captain und Erfahrung anging, widersprach er ihm nicht. Der 21-Jährige mochte ein Jahrzehnt lang dazu ausgebildet worden sein, das Schiff seines Vaters irgendwann einmal zu übernehmen, eine Crew und ihre Geschäfte zu führen – trotzdem war er noch immer jung. Aber auch nicht dumm. Was ihm an Erfahrung fehlte, suchte er sich bei seinen Kameraden. Umso mehr schätzte er Enrique in seiner Mannschaft – und hätte das auch bei Cornelis. Bedauerlicherweise hatte ihnen das Schicksal da ein Schnippchen geschlagen.
Mit seinem Krug in der Hand lehnte Lucien sich auf dem Tisch ein Stück vor.
„Ich glaube, das ist das intelligenteste und... puh... ich will mich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen, aber ich denke auch das sympathischste, was ich bisher von dir gehört habe!“ Die leise Provokation kehrte in seinen Unterton zurück, doch in den grünen Augen stand eine beinahe kumpelhafte Belustigung. „Du musst echt aufpassen... noch eine Flasche und wir fangen noch an, uns gut zu verstehen.“
Als Sylas sich schließlich an Enrique wandte und beide über seine Eignung als Ehemann fachsimpelten, verdrehte der Dunkelhaarige über diese Vorstellung kurz die Augen und ließ sich in seinem Stuhl wieder zurück sinken.
„Ich seh mich schon sesshaft werden.“, kommentierte er das ganze mit beißender Ironie in der Stimme und einem belustigten Blick in Enriques Richtung, bei dem er sich das nächste Grinsen schon verkneifen musste. „Der Bärtige, der hat mir gefallen...“ Mit der freien Hand machte er eine Bewegung unter dem Kinn, die das Volumen des Vollbartes seines ehemaligen Zellengenossens symbolisieren sollte. „Toller Bart!“
Doch bevor irgendjemand etwas dazu hätte sagen können, zerschnitt das laute Schaben von Stuhlbeinen auf hölzernen Dielen ihren Gesprächsfluss. Ein weiterer Gast gesellte sich zu der munteren Runde, schob seinen Stuhl unmittelbar in die Lücke zwischen Enrique und Lucien. Und dessen vom Alkohol bereits gründlich außer Kraft gesetztes Gehirn suggerierte ihm am Rande seines Blickfeldes, dass sich der Typ deutlich dichter neben ihm setzte, als er es in Wahrheit tat. Sodass der Dunkelhaarige unwillkürlich zur Seite weg zuckte und dabei beinahe sein Gleichgewicht verlor. Die Sitzfläche neigte sich kurz von dem Fremden weg, bevor Lucien gerade noch rechtzeitig nach der Tischplatte griff und den möglichen Sturz verhinderte.
„Ah, Scheiße.“ Ein gereizter Seitenblick galt dem Hinterkopf des ungeladenen Mannes und auch wenn Enrique ihn zu kennen schien und der 21-Jährige neuen Bekanntschaften und mehr Gesellschaft üblicherweise aufgeschlossen gegenüber stand, erlaubte er sich dieses Mal stimmungsbedingt ein bisschen spießig zu sein.
„Hey. Man lädt sich nicht selbst in eine Runde ein.“