26.05.2019, 17:11
Hätte ihm jemand vor einem Monat erzählt, dass er einmal mit einem arroganten Milchbubi als Captain auf einer fremden Hochzeit sitzen und sich betrinken würde, Sylas hätte diese Person im besten Falle nur ausgelacht und im schlimmsten Falle hätte die Person ihr eigenes Blut vom Boden wischen dürfen. Nun aber tat er genau das. Er saß mit einem Captain, der noch mehr zu lernen hatte als ihm vermutlich bewusst war, auf einer fremden Hochzeit und betrank sich. Wohl auch irgendwie die beste Methode um diese ganze Angelegenheit zu verarbeiten, wenn man nicht wahnsinnig werden wollte. Als er sie damals von einem Schiff hatte reden hören, da war er ehrlich gesagt nicht davon ausgegangen, dass sie von ihrem Schiff sprachen, sondern von einem Schiff auf dem sie eben dienten. So gesehen hatte die Nacht, in welcher er sich auf das Schiff geschlichen hatte, für alle Beteiligten eine böse Überraschung dargestellt. Ein großer Teil von ihm bereute es noch immer, an seinem Plan festgehalten zu haben, besonders wenn er jeden Tag das Deck beobachtete, während ein anderer Teil in ihm, ein zugegeben kleiner, wohl eher winziger Teil, davon überzeugt war, ihnen helfen zu müssen. Sie an seiner mühsam erlernten Erfahrung teilhaben zu lassen und sie von seinem hart erarbeiteten Wissen profitieren zu lassen. Aber das alles hatte diesen bitteren Nachgeschmack von einer Glucke, die über ihre Küken wachte und dieser Geschmack ließ sich nur mit jeder Menge Rum ertragen. Rum, welcher Lucien zum Glück gerade wieder auf den Tisch gestellt hatte. Sylas selbst hielt nicht viel von Portwein, viel zu schwer und viel zu sehr dafür bekannt sich am nächsten Morgen zu rächen, daher überließ er ihnen gerne den anderen in der Runde.
Sylas langte nach der bauchigen Flasche, zog den Korken mit den Zähnen heraus und wollte sich gerade nachschenken, als er Luciens Worte vernahm.
„Zu wenig Seegang für meinen Geschmack“, entgegnete er und schüttete einen großen Schluck Rum in seinen Becher und lehnte sich lässig in seinem Stuhl zurück.
„Aber“, setzte er zu einem weiteren Satz an, hielt aber inne und langte stattdessen in die Innentasche seines Mantels und zog ein etwas in Mitleidenschaft gezogenes Zigarillo hervor. Durchaus ein wenig umständlich zündete er es an, nahm einen tiefen Zug und richtete seinen Blick auf Lucien.
„Aber für eine halbe Landratte wie dich, wäre es doch ein äußerst passender Ort“, sprach er dann weiter und ein Feixen legte sich auf seine Lippen. „Viele Ecken und Löcher um sich zu verkriechen.“
Er nahm einen großen Schluck und konnte sich gerade noch so verkneifen die Füße auf den Tisch zu legen. Er wusste noch immer nicht so genau was er von Lucien halten sollte. Er spuckte ihm gelegentlich schlichtweg zu viele große Töne, die mehr behaupteten, als er in der Lage war zu liefern. Allerdings machte er das, was er tat, dann doch mit einer gewissen Gewissenhaftigkeit. Es gab noch so einiges, was der junge Kerl zu lernen hatte, auch wenn er es natürlich niemals zugeben würde und genau das machte diese ganze Sache unnötig schwer. Warum sollte Sylas jemanden nützliche Tricks oder Ratschläge geben, wenn der andere so sehr von sich überzeugt war, dass er der Ansicht war, so etwas nicht nötig zu haben? Sylas war gewiss niemand, der sich gerne von anderen in die Karten schauen ließ oder mehr Preis gab, als unbedingt notwendig und dann würde er es natürlich erst recht nicht tun, wenn man so überheblich war und glaubte, seine Hilfe nicht nötig zu haben.
„Also wenn es dir hier so gefällt“, kommentierte Sylas während er den Rauch aus seinen Lungen entließ. „Ich helfe dir gerne ein Weib für die Hochzeit zu suchen.“ Nun war es in der Tat ein breites Grinsen welches sich auf seine Lippen legte.
[Im Wirtshaus | mit Enrique und Lucien an einem Tisch]