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Hörst du die Trommeln
Liam & Skadi ✓✓
Szenen-Informationen
Charaktere Gast
Datum 7 April 1822
Ort Milúi
Tageszeit Nachmittag
Crewmitglied der Sphinx
für 0 Gold gesucht
dabei seit Feb 2016
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#1
Hörst du die Trommeln
Es wird Morgen und du weißt
zwei Seelen sind in deinem Leib
und am Tag kannst du nicht leugnen
was dich in die Nächte treibt

Nachmittag des 07. April 1822
Skadi Nordskov & Liam Casey


Die Stadt wirkte bereits wie völlig ausgewechselt. Die Stände waren zum Großteil abgebaut und die reisenden Händler längst wieder auf dem Weg zu ihrem nächsten Ziel. Im Vergleich zu den letzten Tagen wirkten die Straßen eigenartig leer, selbst wenn man sich auf den Hauptstraßen aufhielt. Der Alltag nahm wieder seinen Lauf auf Milui und nur die wenigen Gestalten, die noch Dinge in Kisten verpackten, erinnerten an die vergangenen Festlichkeiten. Liam hatte an diesem Nachmittag zwar ein Ziel, aber keinen besonders großen Zeitdruck. Er schlenderte durch die Straßen und besah sich die kleine Stadt in ihrem urtümlichen Glanz. Die Menschen waren wieder geschäftiger, doch er ließ sich von der Hast nicht stören. Er war weit genug vom Hafen weg, um von der eigentlichen Aufbruchsstimmung nicht viel mitzubekommen. Stattdessen blieb er an einem Schild stehen und besah sich die Auswahl an Obst, die darauf angepriesen wurde. Von einheimischen bis zu exotischen Früchten schien alles erwerbbar zu sein. Ob Frischobst oder Trockenobst.
Die vergangen Tage waren wie im Rausch an ihr vorbei gelaufen - sonderlich viel davon geblieben war nicht. Nur dieses drückende Gefühl in ihrer Brust, das sie nicht so recht loszuwerden schien. Jeden Morgen war sie frühzeitig von der Sphinx geflohen und hatte sich den Kopf mit schweißtreibendem Training frei gemacht - ehe sie sich ihrem momentanen Sorgenkind gewidmet hatte. Sicherlich war es keine sonderlich schwierige Aufgabe, schweigend neben Enrique zu sitzen oder zu stehen und sich dem Alltag an Board zu widmen. Doch nicht etwa das Flicken von Fischernetzen oder Pökeln von Fleisch war ihr Problem - sondern diese unausgesprochenen Emotionen, die in ihr wüteten. Sie hasste es. So abgrundtief, dass sie an jenem Tag gänzlich verschwunden war und sich die Zeit in der Stadt vertrieb. Fast schon kopflos durch die Straße streifte und - sie konnte sich nicht einmal genau erklären wann oder wo sie dazu gekommen war - mit einem dicken Buch unter dem Arm auf eben jenes Schild zusteuerte, an dem der Lockenkopf die Auswahl in Augenschein nahm. Fast wäre sie sogar in ihn hinein gelaufen, als sie zur Seite blickte. Zuckte zusammen, als seine Schulter ihre eigene streifte und sie ein, zwei Schritte zurückwich. "Oh...Verzeihung."
Um die Beschaffung von Ressourcen wollte er sich nicht kümmern, solange er nicht explizit Auftrag dafür erhielt. Greo hatte weitaus mehr Überblick darüber, was sie hatten und was ihnen noch fehlte. Aber den Laden und seine Auswahl würde er möglichst im Kopf behalten, um ihn bei Gelegenheit anzusprechen. Etwas Trockenobst war eine willkommene Abwechslung, sobald die frischen Vorräte zur Neige gehen würden. Sein Blick wanderte vom Schild zu der Auslage im Fenster, als ihn plötzlich eine Person streifte. Im Normalfall hätte er den Rempler mit einem leisen „Nichts passiert.“ abgetan, ohne aufzusehen. Dieses Mal aber kam ihm die Stimme im letzten Moment doch zu bekannt vor. Gerade als Liam sich umwandte, lief Skadi bereits abermals Gefahr, rückwärts abermals in eine Dame hineinzulaufen, die mit einem Schritt zur Seite auswich. Liam griff kurzerhand nach dem Arm der jungen Frau, um sie aufzuhalten und lächelte der Frau entschuldigend entgegen, ehe er sich der Kurzhaarigen zuwandte. „Bei wie vielen Leuten musstest du dich heute schon entschuldigen?“
Seine Reflexe waren erstaunlich schnell. Oder ihr Kopf so vernebelt, dass Skadi nicht einmal bemerkte, wie sie geradewegs in die Frau hinein stolperte, die mit einem Ausfallschritt an ihr vorbei lief. Für einen Moment wirkte sie absolut neben sich, verzog keine Miene, als der Lockenkopf sie sanft zurückzog und sich mit einer halben Entschuldigung auf den Lippen an die Dame wandte, deren Blick womöglich neutral bis genervt ausgefallen war. Skadi kümmerte es nicht. Noch weniger, als es ohnehin getan hätte. Bei seinen Worten verzog sie nur die Lippen, wirkte schon fast trotzig, ehe sie seufzte. Es ging ihr total auf den Zunder so zu sein. "Ich habe nach den ersten 5 aufgehört zu zählen." Kurz wischte sie sich das dunkle Haar aus dem Gesicht. Hielt dann inne und musterte erst den Stand, dann Liam mit zusammengekniffenen Augenbrauen. "Was machst du eigentlich hier? Gibt es kein Abschiedstrinken mit deinen Musikerfreunden?"
Ihre Unternehmung vor gut zwei Tagen schien unendlich weit entfernt. Cornelis‘ Tod hatte der guten, ausgelassenen Stimmung einen Dämpfer verpasst, der besonders bei Skadi und Enrique seine Auswirkungen zeigte. Liam bedauerte den Verlust, besonders, da es der Rotschopf gerade erst von seiner Insel heruntergeschafft hatte. Mehr jedoch hatte er mit dem Mann nie zu tun gehabt. Wenig genug jedenfalls, um nicht groß trauern zu müssen. Anders als die Kurzhaarige und ihr Marineoffizier, wie es schien. Ihn interessierte es nicht, was sie verbunden hatte. Ihn irritierte eher der abwesende Zustand der Nordskov, die sonst so durchdacht und unerschütterlich gewirkt hatte. Der Lockenkopf schenkte ihrer Antwort ein schmales Lächeln, welches nicht über seine Lippen hinaus ging. „Ich bin verabredet.“, antwortete er der Einfachheit halber. „Das Abschiedstrinken war gestern. Die meisten sind schon längst wieder auf Reise.“ Erst jetzt fiel ihm das Buch unter ihrem Arm auf und ließ ihn die Stirn runzeln. „Und was hast du vor?“ Er deutete auf das Buch, dessen Einband er nicht erkennen konnte. Bislang war er davon ausgegangen, dass sie nicht lesen konnte und ihm daher das Versprechen abgerungen hatte, ihr vorzulesen.
Das Lächeln lag irgendwie ungelenk auf seinen Lippen, wie Skadi fand. Doch wer war sie schon so etwas zu verurteilen, wo ihr das Mitgefühl für andere selbst absolut krampfig über die Lippen ging. Ganz davon abgesehen, dass sie die letzte war, die Beileidsbekundungen brauchte. Sie hatte niemanden verloren - zumindest nicht in den letzten Tagen. Allein die Sorge um Enrique machte ihren Verstand zu einem wabbligen etwas. "Verstehe." Er war also verabredet. Na wenigstens hatte einer von ihnen unbeschwerten Spaß. Skadi nickte nur auf seine Worte, schob dann das Buch vor ihre Brust und verschränkte beide Arme fest vor dem Einband. "Ähm... nichts Genaues, ehrlich gesagt. Ich weiß nicht einmal wo oder warum ich das gekauft habe.", gestand sie kleinlaut und hob den dicken Wälzer leicht an. Womöglich hatte ihr das reich verzierte blaue Leder gefallen, das mit geschwungenen Lettern zahlreiche Mythen und Legenden versprach. "Ich habe mich zwar nicht für eine Elster gehalten, aber ich glaube, dass es mich einfach magisch angezogen hat." Ein halbes Lächeln gesellte sich auf ihre Züge und spiegelte das des Lockenkopfes.
Liam fiel es schwer, Skadis Züge recht einzuschätzen. Er kannte nur einen kleinen Teil von ihr. Den fröhlichen, ausgelassenen Teil, der sich seit dem Vorfall gänzlich von ihr verabschiedet hatte. Er wusste nicht, ob es Cornelis war, der sie beschäftigte. Oder Enrique. Oder etwas völlig anderes. Er war aber auch kein guter Samariter, der glaubte, die gesamte Welt retten zu können. Seine Taktik war mehr Ablenkung als Bewältigung – egal, ob es um ihn oder andere ging. Er wäre nicht auf die Idee gekommen, ihr so nahe zu treten und nachzufragen. Stattdessen behielt er sich ein Ohr offen, sollte sie von sich aus darüber reden wollen. Wenn nicht, war ihm das ebenso recht. Die Frage nach dem Buch in ihren Händen schien dabei jedenfalls schon einmal einen Anfang zu machen. Beruhigend, wie er fand. Als sie den Band leicht anhob, gelang ihm ein flüchtiger Blick auf den Titel. „Sagen und Legenden, hm? Da hast du jedenfalls keinen schlechten Griff gemacht.“, versicherte er ihr mit einem ehrlicheren Lächeln als zuvor. „Das wird bestimmt so einiges Schnarchen erträglicher machen.“ Liam überlegte kurz. Ihm war nicht wohl bei dem Gedanken, Skadi nun einfach wieder sich selbst zu überlassen – nicht so geistesabwesend, wie sie eben noch durch die Straßen geirrt war. „Ehm. Sag mal, was hattest du noch gleich vor?“, hakte er schließlich nach und kratzte sich kurz am Hinterkopf.
Erst verstand Skadi nicht so recht, was Liam mit seiner Aussage bezweckte. Ließ es einige Sekunden sacken, ehe sich ein mattes Grinsen in ihre Mundwinkel stahl. "Mh... wenn du es so sagst, könnte ich meinem Unterbewusstsein fast schon ein wenig Berechnung zuschreiben, wenn deshalb eine positive Gesellschaft und ein paar Geschichten für mich herausspringen." Doch die Dunkelhaarige wusste, dass dem definitiv nicht so war. In ihrem aktuellen Zustand traute sie sich gar nichts mehr zu, außer ihren Instinkten zu folgen. Bei seiner erneuten Frage verzog sie skeptisch die Augenbrauen. Hatte er das nicht bereits gerade eben von ihr wissen wollen? "Nach wie vor... nichts." Und ihr würde jede Abwechslung willkommen sein, ehe sie auf's Schiff zurück musste. Einmal kurz entfliehen vor diesen Gefühlen, die sie nicht verstand, nicht verstehen wollte und davor zurück schreckte wie ein Kind vor Schnecken. "... sag bloß du ziehst es in Erwägung mich zu deinem Date mitzunehmen." Ein amüsiertes Schmunzeln lag auf ihren Zügen.
Sie schien tatsächlich keine Ahnung zu haben, was sie dort in den Händen hielt. Liam hantierte nur ungern mit Informationen, die er seinen eigenen Beobachtungen zu verdanken hatte. Dazu entging ihm meistens zu viel. Manchmal eben Fluch und manchmal Segen. „Scheint eine beachtliche Sammlung zu sein. Daran solltest du wirklich länger etwas haben.“ Dank seiner Überlegung entging ihm die Verwirrung auf ihren Zügen. Ihre Antwort reichte ihm, doch bevor er seinen Plan verkünden konnte, brachte sie ihn mit ihrer Vermutung ein wenig aus dem Konzept. Liam blinzelte verdutzt, da er mit dem Gedanken an ein Treffen mit Egbert alles in Verbindung brachte – aber mit Sicherheit kein Date. Skadi schien sich die Art von Verabredung jedenfalls anders auszumalen. „… Wenn du’s so nennen willst, dann ja. Demnach bist du jetzt auch verabredet.“, beschloss er kurzerhand lächelnd, packte sie an den Schultern und drehte sie sanft in die Richtung, in der der Laden liegen musste. „Dir wird’s gefallen, glaub mir. Dauert auch nicht lange.“ Zwar reine Vermutung, aber eigentlich hatten Egbert und er bereits alles geklärt. Im Grunde wollte er Skadi nur daran hindern, doch davon zu laufen. Insgeheim fragte er sich nämlich, wie sie es heute Morgen unbeschadet bis hierher geschafft hatte.
Womöglich hatte er Recht. Doch wann sie jemals die Zeit dafür haben würde vor dem Sonnenuntergang einen Blick hinein zu werfen, war fraglich. Immerhin versank sie gerade nur zu gern in Aufgaben und das Lesen ging ihr nicht sonderlich leicht von der Hand. Ihre Schulbildung war nun einmal recht rudimentär ausgefallen. Wie wohl bei den meisten Menschen dieser Welt. Abgesehen von den Aristokratenkindern und denen, deren Bildung ein wichtiger Bestandteil der Erziehung war. "Ich bin gespannt, wie viel ich davon wiedererkenne." Sicherlich so einiges, wie Skadi mutmaßte. Vielleicht war ihr als Kind eine Bibliothek verwehrt geblieben, doch die Lieder, die stets an den Lagerfeuern gesungen worden waren, enthielten ausreichend Erzählungen von Sagengestalten und Heldenfiguren. Und wann immer sie zu ihrer Marinezeit an Land gegangen war, schmuggelte sie sich in das Gebälk eines Theaters und lauschte den hochtrabenden Worten, die man so viel simpler und eindeutiger hätte formulieren können. "Ähm... " Ihr blieb kaum Zeit für Widerworte. Liam drehte sie bereits an den Schultern herum und schob sie mit sanfter Gewalt voraus. Eigentlich hatte sie keine Lust in eine Verabredung herein zu platzen - doch der Lockenkopf machte ihr mit nur wenigen Worten deutlich, dass es definitiv nicht DAS war. Blieb also abzuwarten, mit wem er sich hatte treffen wollen.
"Okay, okay... aber du musst mich nicht wie einen Karren durch die Gegend schieben.", protestierte die Dunkelhaarige kleinlaut und wandte sich in seiner Umklammerung herum. Glitt mit einem weiteren Schritt dicht neben ihn und knuffte ihm mit dem Ellenbogen in die Seite. Sie hatte den dezenten Wink durchaus verstanden. "Wenn ich wie ein Schäfchen abdrifte kannst du mich ja immer noch einfangen." Und sie war durchaus bestechlich! Eine Weile lief sie schweigend neben Liam her, musterte ihre Umgebung und versuchte ihre Gedanken auf ihren Weg voraus zu fokussieren. Erst nach einigen Metern huschte der kurze Haarschopf zu Liam zurück und musterte sein bärtiges Gesicht. "Wie geht's dir eigentlich?" Die Frage überraschte sie selbst ungemein.
Wenn man es genau nahm, baute alles irgendwie aufeinander auf. Die meisten Sagengestalten waren dazu da, Kinder von irgendwelchen Dummheiten abzuhalten und ihnen Angst einzujagen. Aber Liam war noch immer fest überzeugt davon, dass das meiste, was Menschen sich ausdachten, irgendeinen Bezug zur Realität hatte. Wer wusste schon, ob es Geister und Dämonen nicht wirklich gab? Oft genug hörte man doch die Geschichten, der Freund eines Freundes wäre irgendeinem Wesen über den Weg gelaufen. Liam verteufelte es nicht direkt als Märchen, glaubte aber nicht wirklich an die Existenz, bevor er es nicht mit eigenen Augen gesehen hatte. Vielleicht war es das Kind in ihm, welches genau deshalb sämtliche Infos in sich aufsog, um sich auf die Suche danach zu begeben. Und am Ende stand wieder das Abenteuer.
Als Skadi sich aus seinem Griff wandte, machte er es ihr nicht sonderlich schwer. Sie hatte zugesagt und damit verwarf er die Möglichkeit, dass sie sich einfach aus dem Staub machen würde. So war Skadi nicht und hätte sie von Anfang an keine Lust gehabt, hätte sie auch kein Problem damit gehabt, ihm das offen ins Gesicht zu sagen. Eigentlich kam es Liam eher so vor, als wäre ein bisschen Ablenkung genau das, was sie brauchte. Und wollte. Jedenfalls schien ein Ziel vor Augen ihren Fokus ein bisschen besser im Zaum halten zu können, selbst wenn sie nicht genau wusste, wohin die Reise eigentlich führte. Liams Blick wanderte indes über die Schilder über den Geschäften. Diese Straße hatte er während des Festes nicht besucht. Dazu war sie zu weit entfernt vom eigentlichen Trubel gewesen. Doch bislang hatte er die Lettern nicht erkennen können, nach denen er suchte. „Ganz gut, denke ich.“, antwortete er etwas zögerlich und stellte in just diesem Moment fest, dass es vielleicht nicht die beste Antwort gewesen war. „Verhältnismäßig jedenfalls.“ Ob ihn das rettete, war fraglich. Liam überlegte kurz, ob er der Falle trauen sollte, sich ebenfalls nach ihrem Befinden zu erkunden. Aber eigentlich war die Antwort darauf, was er tun sollte, recht simpel. „Und wie steht’s mit dir? Besser als die letzten Tage?“
Gut war ein relatives Wort. Es konnte viel oder auch nichts bedeuten. Doch sie war froh, dass es ihm den Umständen entsprechend gut ging, wie er selbst wenig später beteuerte. Machte er sich etwa tatsächlich Gedanken darum, dass ihr der Tod des Rotbarts zu nahe ging? Einen Moment musterte sie Liams Züge aufmerksam, lockerte den festen Griff um den ledernen Einband. Ihre Finger kribbelten ein wenig - ganz so als wären sie vor lauter Anspannung zu fest um das Buch gewickelt gewesen. "Eigentlich geht es mir gut.", antwortete sie wahrheitsgemäß. Seufzte dann jedoch. "Aber es fällt mir schwer mit der aktuellen Situation umzugehen." Nicht weil sie nicht wusste, was zu tun war, sondern weil sie damit haderte, wie sie sich dabei fühlen sollte. "Versteh mich nicht falsch... es ist tragisch was geschehen ist.", und darauf wollte der Lockenkopf sicherlich hinaus, "... aber außer Scortias und Enrique kannte ihn niemand. Nicht einmal ich. Also..." Kurz presste Skadi die Lippen aufeinander, während sie ihren Blick von Liams Zügen auf die umliegenden Läden schweifen ließ. Fand sie ein passendes Wort für das, was gegen ihren Brustkorb drückte? Nein.
Tatsächlich fiel es ihm schwer, ihr zu glauben, doch er hatte keinen Grund dazu, es nicht zu tun. Und der Gedanke, ihr ginge es trotz des äußeren Eindrucks gut, gefiel ihm. Das Seufzen danach ließ aber auf ein ‚Aber‘ schließen. Ein Aber, dem sich Liam gerne annahm. „Du musst keine Trauer da suchen, wo keine ist.“, bemerkte er schließlich vorsichtig. „Ich bedauere den Verlust genauso. Ich will mir gar nicht ausmalen, wie es gewesen sein muss, so lange auf einer Insel festzusitzen und dann endlich wieder die Freiheit zu spüren, bloß um sie kurze Zeit später wieder abgeben zu müssen. Aber im Grunde war er ein Fremder für mich.“ Der Lockenkopf zuckte etwas ratlos mit den Schultern. „Statt um ihn zu trauern, sollten wir uns wohl viel eher zur Aufgabe machen, auf seinen kleinen Freund Acht zu geben. Und vor allem – wer weiß schon, über welche Meere Feuerbart jetzt segelt, dort wo er ist.“ Davon hatte Cornelis‘ Geist jedenfalls weitaus mehr, als wenn sie sich in Trauer verloren – geheuchelt oder nicht. Dass sein Tod jenen näher ging, die direkt mit ihm zu tun hatten, war durchaus verständlich. „Und auch Enrique wird irgendwann darüber hinweg kommen, wenn er so weit ist.“
Jedes seiner Worte saß tief und fühlte sich so vertraut und richtig an. Als spräche er ihr just aus der Seele und bestätigte damit, dass ihr inneres Chaos definitiv kein Einzelfall war. Ob sie sich damit allerdings besser fühlte, wusste Skadi nicht wirklich zu sagen. Stattdessen richtete sie ihre braunen Augenpaare aus den Augenwinkeln auf den Musiker und nickte. Sie hätte es nicht besser formulieren können. "Und der ist es, der mir am meisten Sorgen bereitet." Ausgesprochen fraß sich diese Erkenntnis noch viel unangenehmer in ihre Magengegend. Ließ ihren Blick wieder abwesend voraus gleiten, ehe sie tief die Luft in ihre Lungen sog und die Schultern straffte. "Na ja... wie auch immer. Ich kann ihnen nur bedingt dabei helfen, damit klar zu kommen. Der Rest liegt allein ihrer Hand." Andernfalls hätte Skadi wohl für beide die Bürde auf sich genommen und die überschwemmenden Emotionen wie alles andere tief in sich vergraben. Sie hatte damals nicht anders reagiert und all ihre Emotionen in ihren Racheplan gestopft. "Wo gehen wir eigentlich hin?" Das Thema sollte damit vorerst beendet sein - zumindest machte Skadi nicht den Anschein, als wollte sie weiterhin darüber philosophieren. Und irgendwie glaubte sie auch, dass Liam in diesem Punkt ähnlich gestrickt war wie sie. Man konnte nichts daran ändern was geschehen war, also konnte man ohnehin nur das beste aus der Situation machen.
Der Lockenkopf speicherte die Informationen, die sie ihm gab, unter ‚Macht sich Sorgen um die Hinterbliebenen‘ ab. Ein Umstand, der sie nicht nur sympathisch machte, sondern auch weitaus einfacher zu kurieren war als die Trauer an sich. Sie würde schon sehen – sobald sie der Alltag wieder gepackt hatte, würden auch Scortias und Enrique nach und nach wieder dazu übergehen, ihr Leben zu leben. Liam nickte zustimmend auf ihre Erkenntnis hin und schenkte ihr ein kurzes, aber zuversichtliches Lächeln. „Ich fürchte, Cornelis ist nicht der erste Verlust, mit dem er zu kämpfen hatte. Und Scortias ist glaube ich taffer als du gerade annimmst.“ Nicht, dass er es herunterspielen wollte, aber Kinder gingen mit Trauer anders um als Erwachsene. Emotionaler, heftiger vielleicht, aber schneller, wie er fand. Besonders, wenn sie an Board eines Piratenschiffes lebten und jeden Tag vor einem neuen Abenteuer standen. Während des Gespräches hatte er weiterhin auf die Läden geachtet und gerade, als Skadi ihr eigentliches Ziel erfragte, erkannte Liam den Laden, über dem die Lettern einen Instrumentenbauer versprachen. „Dorthin.“, wies er auf das Geschäft und hoffte, ihr würde der kleine Ausflug tatsächlich so sehr gefallen, wie er vermutete. Als sie den Laden erreicht hatten, schob der Ältere die Tür auf. Er überließ Skadi den Vortritt, während sein Blick bereits über die hölzernen Instrumente wanderte, die er von seinem Standpunkt aus erblicken konnte.
Ehrlich gesagt wusste sie nicht, wie viele Menschen Enrique bereits zu Grabe getragen hatte. Sie konnte nur mutmaßen, dass es mindestens eine gewesen sein musste. Scortias indes... war eigentlich nicht ihr Problemkind, obwohl man es durchaus glauben konnte. Der Kleine war sein Leben lang damit konfrontiert gewesen, selbst klar kommen zu müssen. Sie bezweifelte also keineswegs, dass er den Verlust alsbald verkraften würde. Wie Liam um die Vergangenheit des Waisenkindes wusste, war Skadi nicht klar. Deshalb hielt sie sich diesbezüglich lieber bedeckt. Es war schließlich nicht an ihr, persönliche Informationen wie diese auszubreiten. Bei seinen Worten horchte die Nordskov auf und folgte seinem Fingerzeig. Ein Musikgeschäft? Die Dunkelhaarige ahnte, was sie hier taten. Lächelte sogar verheißungsvoll und war gespannt, was Liam zu finden beabsichtigte. Sie vermutete, dass er seinem Lebenswunsch nachging. Jetzt wo sie so viel Geld aufgetrieben hatten, dass er sich ein wenig davon abzweigen konnte. Mit einem dankenden Nicken trat sie an dem Lockenkopf vorbei und spürte bereits die Wärme auf ihrer Haut. Nahm den angenehmen Geruch von Holz war, der sie augenblicklich entspannte. Wie bei einem Kind huschten ihre Augen gespannt und funkelnd über die ausgestellten Instrumente - keines davon würde sie jemals spielen können. Liam allerdings schon, den sie mit einem Grinsen beäugte und sich mitten im Laden stehend halb zu ihm herum wandte. "Na dass nenne ich doch mal eine schöne Überraschung."
„Gefällt’s dir?“, fragte er, jetzt wieder das unbefangene Grinsen auf den Lippen, welches man von ihm kannte, nachdem er ihr hinterher in den Laden getreten war. Auch für ihn war es das erste Mal, dass er in diesem Geschäft stand. Und das erste mal seit einer gefühlten Ewigkeit, überhaupt in einem Instrumentengeschäft zu stehen. Sein Blick war über die Geigen und Gitarren gewandert, über das Klavier in der einen Ecke des gedrungenen Raumes und über die wenigen Flöten in einem der Regale. Sie alle waren Handarbeiten, die entweder Egbert oder einer seiner Kollegen in mühsamen Stunden gefertigt hatten. In einem Hinterzimmer konnte man Stimmen hören, die vermuten ließen, dass der Besitzer des Ladens nicht alleine dort hinten war und sie noch Zeit hatten, sich umzusehen. „Allein die Fertigung ist in gewisser Weise Kunst.“ Seine Stimme war leiser geworden als draußen auf der Straße. Viel Auswahl gab es zugegeben nicht, aber Liam vermutete, dass die meisten Stücke Anfertigungen auf Auftrag waren. Nachdem sie sich eine Zeit lang hatten umsehen können, trat eine junge Frau aus dem Hinterzimmer heraus – in der Hand ihr neues Instrument – und verließ mit einem letzten Dank den Laden. Dann trat auch Egbert heraus und auf seine Züge trat ein Strahlen, als er Liam erkannte. „Oh Liam, da bist du ja.“, begann der ältere Mann mit einem Lächeln. „Und dein Mädchen hast du auch gleich mitgebracht. Habt ihr es eilig? Brecht ihr auch noch heute auf?“ Etwas überfordert mit dem Überfall schüttelte Liam dem Älteren die Hand, der sich gleich darauf an Skadi wandte. „Ehm, naja.“, begann er. Er blieb offen, was von all dem Angesprochenen er mit dem ‚naja‘ nun direkt meinte. „Nein, wir bleiben noch ein paar Tage.“ Entschuldigend wandte er sich mit einem raschen Blick an Skadi und zuckte mit den Schultern, während sich der ältere Herr wieder umgewandt hatte und zum Tresen zurück trat.
Sie bezweifelte keine Sekunden lang, dass hier Meister am Werk gewesen sein mussten. Allein die winzigen Details aus den glänzenden Holzoberflächen waren bemerkenswert. Sicherlich sahen sie für ihr ungeschultes Auge eindrucksvoll aus - doch Skadi glaubte, dass sie tatsächlich von talentierten und sehr künstlerischen Händen gefertigt worden waren. "Das glaube ich dir auf's Wort." Mit einem letzten Blick wandte sie sich ab und schlenderte aufmerksam an den Reihen vorbei. Stellte sich hier und da auf Zehenspitzen, um die Kunstwerke genauer in Augenschein nehmen zu können. Sie fühlte sich wie ein Kind in einem Süßigkeitenladen - nichts durfte auch nur berührt werden! Und dabei sah alles so wundervoll einladend aus. Der dunkle Schopf hob sich, als Schritte im Verkaufsraum erklangen. Folgte dem jungen Mädchen, das überglücklich ihr neues Instrument aus dem Laden trug und dann von einem alten Mann hinter dem Tresen abgelöst wurde. Bei seinen Worten musste Skadi unweigerlich grinsen. Noch mehr als Liam absolut unbeholfen versuchte die Worte Egberts - als den hatte sie ihn zumindest wiedererkannt - zu umschiffen. Wie von selbst löste sich eine ihrer Hände von dem Buch, das nach wie vor an ihrer Brust lag. Umfasste Liam an der Hüfte und lehnte die Wange gegen seine Schulter. "Ich wollte unbedingt sehen, wie das Leben in dieser Stadt außerhalb der Festlichkeiten pulsiert." Was nicht wirklich gelogen war - auch wenn sie sich zumeist in den Wäldern die Zeit vertrieb.
Liam hatte die letzten Tage ein bisschen etwas über Egbert gelernt. Er redete gern, redete viel und war stets mit vollster Aufmerksamkeit bei der Sache. Musik war für ihn nicht bloß Arbeit und Hobby zugleich – es war seine Leidenschaft und eben diese ließ sich in jedem dieser Werke erkennen. Offenbar hielt er den Laden gemeinsam mit seinem Schwager oder Bruder (Liam hörte ja nie so genau zu, irgendetwas Verwandtes jedenfalls), mit dem er sich die Arbeit teilte. Ein kleines, verschnörkeltes ‚S‘ zierte eingearbeitet ins Holz die Instrumente, um ihre Herkunft zu dokumentieren. Daneben – noch kleiner – eine kleine Signatur, die wohl den Hersteller genauer definierte. Was er noch über Egbert gelernt hatte, war, dass es unnötig war, Dinge richtig stellen zu wollen. In dieser Sache ähnelten sie sich vielleicht sogar – war etwas angenommen, war es schwierig, es in den eigenen Gedanken richtigzustellen und abzuspeichern. Deshalb versuchte er erst gar nicht, dem älteren Mann zu widersprechen. Und hätte er es doch versucht, hätte ihm wohl spätestens Skadi einen Strich durch die Rechnung gemacht. Skadi, für die Egberts Annahme offenbar wieder wie gerufen kam. Statt seine Überforderung zu teilen, hatte sie keine Sekunde später bereits wieder ein spitzbübisches Grinsen auf den Lippen. Eigentlich hätte es ihn freuen sollen, dass er die Skadi wiedergefunden hatte, die er in Bruchteilen kannte. Im ersten Moment, als Egbert ihnen noch den Rücken zugedreht hatte, stand Liam einfach da wie eine Puppe, die die junge Frau gerade in die Arme geschlossen hatte. Unbeteiligt und mit einem deutlichen ‚dein Ernst?‘-Blick auf den Zügen, aber nicht ohne ihr vorheriges Grinsen zu entgegnen. Mit einem angedeuteten, aber amüsierten Kopfschütteln nahm er schließlich an der Scharade teil und legte ihr ebenso den Arm um die Schulter, als hätten sie eine innigere Beziehung als es eigentlich der Fall war. „Jaja, sehr gute Entscheidung. Aber statt nur die Stadt in Augenschein zu nehmen – auch die Landschaft ist einen Blick wert!“, begann der Ältere und nickte eifrig. „Spielt die junge Dame denn auch ein Instrument?“ Damit verschwand er kurz abermals im Hinterzimmer, bloß um wenige Sekunden später wieder hervorzukommen und die Geige vorsichtig auf den Tresen zu legen, mit der Liam das Fest über das Vergnügen gehabt hatte. „Da wäre das gute Stück. Neue Saiten, frisch gestimmt und extra noch einmal auf die salzige Meeresluft vorbereitet.“ Ein fröhliches Lächeln lag auf den Zügen des Instrumentenbauers. Liams Augen funkelten bei diesem Anblick. „Das ist… Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Bist du dir wirklich sicher? Ich kann das eigentlich nicht annehmen.“ Geschweige denn finanzieren, doch Egbert stoppte ihn, bevor er fortfahren konnte. „Oh, mach dir keine Sorgen, junger Mann! Ich bin glücklich, wenn sie irgendwo Verwendung findet. Und gleichzeitig machst du dann ja auch Werbung auf all den Inseln, die ihr bereist!“
Liam fühlte sich unter ihren Fingerkuppen wie ein steifes Holzbrett an. Hätte er ihr nicht ein breites Grinsen geschenkt, wäre sie fast dem Glauben erlegen gewesen, dass es ihm nicht passte, wie sie die falsche Annahme des Älteren als Vorwand nahm, in ein kleines Spiel einzutauchen. Auf sein Kopfschütteln hin, zwinkerte sie ihm lediglich verschmitzt zu. Immerhin sollte der Lockenkopf all das nicht all zu Ernst nehmen. Zumindest nicht in der Hinsicht, dass sie damit irgendetwas indirekt bezwecken wollte. Wie in den meisten Teilen ihrer Persönlichkeit war Skadi auch hier einfach gestrickt. Und seit ihrem gemeinsamen Ausflug in die Unterwelt der Stadt wusste Liam das. Bei Egberts Frage wäre ihr fast ein dümmliches Kichern entglitten - doch gerade im rechten Moment presste sie einfach die Lippen aufeinander und atmete tief durch. Sie konnte ein Instrument spielen, beherrschte es sogar im Tiefschlaf. Doch DAS war nicht das, worauf der alte Mann anspielte. Und es wäre mehr als unangebracht, solche Zweideutigkeiten in die Luft zu setzen und sich darüber kaputt zu lachen, wenn niemand so recht verstand, was sie meinte. "Leider bin ich mit anderen Talenten gesegnet. Das überlasse ich also mit Freuden meiner besseren Hälfte." Und auch das war nicht gelogen. Hätte sie nur einen Finger auf eines der Instrumente gelegt, wäre es sicherlich unter einem mörderischen Aufschrei davon gelaufen. Dafür hatte sie für andere Dinge ein gutes Händchen.
Nur langsam ließ sie vom Lockenkopf ab, als der ältere Musiker aus dem Nebenraum zurück kam und eine Geige in Händen hielt. Eben jene Geige, die Liam an ihrem ersten gemeinsamen Abend gespielt hatte. Fasziniert musterte Skadi die Oberfläche, beobachtete dann mit einem fast schon liebevoll anmutenden Lächeln die Begeisterung auf Liams Zügen. Irgendwie war es ja schon fast niedlich. "Sie sind ein wirklich großzügiger Mann.", entgegnete sie leise. Schlang wieder beide Arme um den dicken Wälzer vor ihrer Brust und musterte das Klavier neben sich. "Waren sie früher auch einmal Musiker und haben die Welt bereist?"
Egbert nahm Skadis Antwort mit einem fröhlichen Lächeln hin und nickte, ehe sein Blick wieder auf Liam lag. Dem Lockenkopf war nicht einmal bewusst aufgefallen, wie er sich wieder von Skadi gelöst hatte und nun direkt vor dem Tresen stand, auf dem die Geige lag, die fortan ihm gehören sollte. Skadi galt ein glückliches Grinsen bei ihren Worten und auch, wenn die Tatsachen nicht ganz stimmten, nahm er ihre Worte als Kompliment. Er hatte sein Versprechen nicht vergessen und jetzt, wo er das Instrument in Händen hielt, würde er sie tatsächlich mit mehr als nur Gesang von den sägenden Männern ablenken können. (Wenn er wüsste, womit das noch ginge ûu) Das Funkeln in seinen Augen hatte tatsächlich etwas von einem Kind, dem man gerade das großzügigste Geschenk überhaupt machte. Liam freute sich ehrlich und man sah ihm an, dass er dieses Geschenk durchaus zu schätzen wusste. Als Skadi wieder zu sprechen begann, lächelte der ältere Herr ihr fröhlich entgegen. „Ach, ich will das ja immerhin nicht alles mit ins Grab nehmen.“, beteuerte er und schien ganz verzückt, als sie fortfuhr. „Als junger Mann bin ich viel herumgekommen. Stets da, wohin es mich trieb. Aber irgendwann kommen eben die Verpflichtungen hinzu.“ Er zwinkerte den beiden zu. „Deshalb genießt die Welten, solange ihr noch die Gelegenheit dazu habt.“ „Ich weiß wirklich nicht, wie ich dir das jemals danken soll.“, begann Liam abermals und fuhr mit den Fingern über das behandelte Holz der Violine. „Hab einfach Spaß an der Musik. Und lasst euch mal wieder blicken, wenn ihr in der Gegend seid.“ Liam nickte dankbar und sah wieder auf. Der Ernst seines und Skadis Gespräches von eben war gänzlich verschwunden. „Danke. Das tun wir.“
Irgendwie haftete die Sehnsucht nach den Abenteuern und Geschichten der Welt wohl allen Musikern an. So wie Egbert von seiner Jugend sprach, malte sich Skadi die Bilder in ihrem Kopf aus. Schmunzelte angesichts der Freude, die in seiner Stimme durch den Raum zu ihr hinüber hallte. Zu gern hätte sie gewusst, wo der Alte in seiner Blütezeit gewesen war. Welche Länder er kannte, wo er am liebsten gewesen war und welche Weisheiten er ihnen für die zukünftige Reise noch mitgeben konnte. Doch Liam zerschlug die Idee wie in Trance, als er das Instrument in die Hände nahm und seiner Freude kaum Ausdruck verleihen konnte. Schweigend verweilte Skadi hinter ihm, trat einen Schritt zurück, um ihnen den nötigen Raum für eine Verabschiedung zu geben und ließ stattdessen den Blick wieder einmal durch den Raum gleiten. Ehe ihr Blick auf eine kleine Okarina fiel, deren Verzierungen sie wie im Buchladen zuvor magisch an sich zog. Nur langsam näherte sie sich, beugte sich ein Stück weit nach vorn, ehe sie sich in die Hocke begab und mit zusammengekniffenen Augen die Runen auf der Oberfläche musterte. Sie selbst trug ähnliche Zeichnungen auf ihrem Körper - und es versetzte ihr einen kurzen Schauer, als ihr die Tragweite dieser Erkenntnis bewusst wurde. "Waren sie schon einmal auf den südwestlichen Inseln?"
Ein letzter Blick galt den übrigen Instrumenten, doch trotz all der Auswahl war der Lockenkopf für den Augenblick tatsächlich wunschlos glücklich. Und auch Egbert schien mit seiner Entscheidung mehr als zufrieden. Als sein Blick zurück zu Skadi schweifte wie eine stumme Frage, ob sie aufbrechen sollten, stellte er allerdings fest, dass sie ein wenig nachdenklich wirkte. Liam runzelte die Stirn, als sie schließlich recht zielsicher auf eines der Instrumente zuschritt und es genauer betrachtete. Liam wartete einen Augenblick, doch als ihre Aufmerksamkeit wie gefesselt wirkte, folgte er ihr, um über ihre Schulter hinweg einen Blick auf das zu erhaschen, was sie so gebannt betrachtete. Eine Ocarina. Auf den ersten Blick nichts Besonderes. Auf den zweiten Blick erkannte er die Bemalung, die für ihn der auf Skadis Brust recht ähnlich sah. Von der Art und Weise jedenfalls, wie sie gezeichnet worden war. Skadis folgende Frage sprach indirekt Bände. „Meinst du Rûn?“, fragte er sich dessen bewusst, das hinter ihren Worten wohl mehr als bloße Neugier steckte, ehe er den Kopf abwartend in Egberts Richtung drehte.
Sie bemerkte nur beiläufig wie die Stille im Laden Einzug hielt und sich Liams Körper näherte. Spürte die Hitze, die er ausstrahlte und war doch vollkommen von dem kleinen Stück Holz eingenommen, das sie hier niemals erwartet hätte. Woher hatte dieser Mann etwas so Wertvolles, dass gerade jegliche Luft aus ihren Lungen absaugte? Die Frage in ihrem Rücken blieb von ihr unbeantwortet, während Egbert langsam von seinem Tresen hervor kam und leise seufzte. "Es ist Jahrzehnte her, dass ich einmal dort gewesen bin. Und es war nicht Rûn, sondern Trithên. Eine wirklich wundervolle Insel. " Der Klang dieses Namens ließ Skadi kaum merklich zusammenfahren. Sie musste gerade jegliche Kraft aufbringen ihr Herz zu beruhigen, das unangenehm gegen ihren Kehlkopf donnerte. "Das ist sogar eines der wenigen Stücke, die ich zur Restauration von einem der dortigen Händler mitgenommen habe. Aber abgeholt hat es all die Jahre niemand." Weil es niemanden mehr gab, der es tun konnte. Doch Egbert wusste davon nichts. Niemand außer Skadi selbst, dem toten Harper, Enrique und einem kleinen Teil der Marine sowie der Herzogin wussten das. "Wie viel kostet sie?" Es brachte nichts sich selbst davon abzuhalten und die Frage kam ohnehin wie ein Pistolenschuss zwischen ihren Lippen hervor. Mit ernsthaft interessierter Miene blickte Skadi über ihre Schulter an Liam vorbei zu dem älteren Mann, der nur noch wenige Armlängen von ihnen entfernt war. Sie würde alles dafür hergeben, wenn es sein musste. Sogar ihr letztes Hemd.
Skadi schwieg und Liam nahm ihr Schweigen als Zeichen dafür, dass sie gerade nichts anderes interessierte als Egberts Antwort, der langsam zu ihnen herüber kam. Eher unbewusst legte der Lockenkopf seine freie Hand auf Skadis Schulter. Nicht, weil er versuchen wollte, ihr Schauspiel aufrecht zu erhalten – das hatte er eigentlich bereits vergessen – sondern weil ihm auffiel, wie aufgewühlt sie unter ihrer schweigenden Erscheinung war. Seine eigentliche Aufmerksamkeit lag ebenso wie ihre allerdings auf Egbert, selbst wenn sich Skadis Blick kaum von der Ocarina vor ihr löste. Liam versuchte indes all die Bruchstücke, die er vorgeworfen bekam, irgendwie zu einem sinnigen Bild zusammenzufügen. Trithên, die Ocarina, die niemand abgeholt hatte und die nun hier förmlich darauf gewartet zu haben schien, dass Skadi sie fand. Doch er kam nicht wirklich dahinter. Irgendetwas schien sie damit in Verbindung zu bringen. Irgendetwas, was ihr ziemlich viel wert war, wie es klang. Ebenso aufmerksam wie sie musterte er nun Egbert, um den Preis zu hören und war bereit, ihr hierfür unter die Arme zu greifen. Im Zweifel wusste er ja, woher er noch ein bisschen Gold beschaffen konnte – vorausgesetzt die kleinen Diebe hatten ihr Geheimversteck nicht verlagert.
Egbert musterte die beiden. Schien etwas konfus angesichts der Frage und der Ernsthaftigkeit, die sich in Skadis Miene abzeichnete. Die Sekunden verstrichen zäh und langsam, wie es der Nordskov schien. Jeder ihrer Atemzüge hallte die dumpfes Donnergrollen in ihren Ohren, während sie auf eine Antwort wartete. "Sag Mädchen... kommst du etwa von dort?" Es drang wie ein unangekündigter Schuss durch ihren Kopf. Ließ sie innehalten und abwägen, ob sie der Frage ausweichen, sie beantworten oder etwas anderen entgegen sollte. Sie wusste nichts über diesen Mann. Mochte sein erster Eindruck sanft, gutmütig und von der alten Schule sein - doch er konnte sich schnell als Freund der Marine entpuppen, der mehr wusste, als er zugab. Doch sie nickte. Langsam. Sah kurz aus den Augenwinkeln zu Liam, dessen Hand sie kurz mit ihrer eigenen berührte. Sie spürte seine Sorge durch seine Kuppen in ihren Körper strömen. Wusste, dass ihr Unterbewusstsein dieses Mitgefühl tief in ihren Erinnerungen abspeicherte. Und doch konnte sie ihm nicht beruhigend zulächeln. Stattdessen wandte sie sich wieder Egbert zu. Musterte ihn eine Weile aufmerksam. "Ich würde mich wirklich sehr über ein so schönes Erinnerungsstück an meine Heimat freuen." Und auch wenn die Miene auf ihren Zügen nicht annähernd so viel Wärme trug, wie der Klang ihrer Stimme, meinte sie jedes einzelne Wort, wie es sagte. Mehr noch. Es würde ihr die Welt bedeuten, wenn der man ihr das Musikinstrument überließ. Und fast erleichtert hörte sie seine Worte, die unter einem warmen Lächeln hervor drangen. "Ich seh schon... du verbindest wohl weitaus mehr damit, als ich es je tun werde. Nun gut... für 20 Goldmünzen gehört sie dir."
Ein fairer Preis angesichts der Tatsache, dass er sie wohl nur ungern hergab. Tief atmete Skadi ein und aus. Zählte die Achter und Goldstücke in ihrem Geldbeutel, den sie zwischen Brust und Lederwams bei sich trug. "Tja...", entgegnete die Nordskov mit einem tiefen Seufzen und erhob sich langsam. "Das ist wohl nicht mein Tag..." In einer fließenden Bewegung zog sie das klimpernde Stoffstück hervor und ließ die letzten 8 Goldmünzen auf die Handfläche gleiten.
Da lag mehr dahinter. Liam war nicht gut darin, genau zu benennen, woher sein Gefühl rührte, doch da lag mehr dahinter. Er warf einen flüchtigen Blick zu ihr hinunter, als er ihre Hand auf seiner spürte, erhaschte aber nur den Anblick ihres Hinterkopfes, während sie sich weiterhin auf Egbert konzentrierte. Liam verfestigte den Griff um ihre Schulter unter der Berührung ein wenig. Nicht fest, aber deutlich, während auch er gespannt auf Egberts Angebot wartete. Auch, wenn Skadi den Anschein erweckte, sich lediglich über ein Andenken aus ihrer Heimat zu freuen – Liam kam es eher so vor, als hätte sie das Instrument an sich wiedererkannt, als wäre es ein altes Familienerbstück oder der Gleichen. Liam schluckte, als der Ältere den Preis nannte. Nicht, weil es übermäßig teuer gewesen wäre – ein Instrument verdiente seinen Preis – und trotzdem war es für jemanden wie sie ein kleines Vermögen, welches sie nicht leichtfertig über die Kante werfen konnten. Skadi hingegen zögerte keinen Augenblick, ihren Geldbeutel herauszukramen und enttäuscht festzustellen, dass es nicht reichte. Liam dachte wohl keine Sekunde darüber nach, was er als nächstes tat. „Nimm sie. Wir Männer klären das schon.“, meinte er leichtfertig und wies mit dem Kopf in die Richtung der Ocarina, ehe er ihr die Geige und den Bogen, die er noch in der Hand hielt, entgegenstreckte. „Kannst du kurz halten?“ Mit freien Händen wandte er sich wieder Egbert zu und holte auf dem Weg zurück zum Tresen seinen eigenen kleinen Lederbeutel hervor. Zum Glück hatte er seit ihrem kleinen Ausflug nicht daran gedacht, das, womit er seinen Geldbeutel gefüllt hatte, ebenso an die Sphinx zu übergeben. Damit reichte das kleine Vermögen gerade so für das Instrument. Er bedankte sich abermals mit einem Lächeln und verabschiedete sich, ehe er sich zu Skadi umwandte und ihr seine Geige aus der Hand nahm, um ihr kurz darauf abermals die Tür des Ladens offenzuhalten und sie nach draußen zu führen.
 Er wich keine Sekunde von ihrer Seite. Verstärkte sogar den Druck auf ihre Schulter. Und doch war das in jenem Moment für die Nordskov absolut zweitrangig. All die Anspannung die sie in jenem Moment teilten, war für spätere Zeiten vergraben und würde erst dann wieder hervor kommen, wenn der Schock vergessen war, der sich beim Anblick der wenigen Münzen einstellte. Die Bitterkeit die bis zu ihrem Kehlkopf hinauf stieg und ihre Stimmbänder verätzte. Kein Wort kam mehr heraus - doch das brauchte es auch nicht. Ihre Enttäuschung war in jeder Faser ihrer Miene wahrzunehmen.
Und dann tat Liam etwas, das Skadi verwirrt zurückließ. Wie ein Windstoß durch ihren Körper fegte und seiner Anweisung in einem antrainierten Automatismus folge leistete. Eine Träne rollte lautlos aus einem ihrer Augenwinkel, als die Geste endgültig ihr Bewusstsein erreichte und sie sich schlagartig zu der Ocarina herum wandte.  Sie vorsichtig mit der nun freien Hand aufnahm - das Buch hatte sie auf der anderen Seite zwischen Oberarm und Oberkörper geklemmt - und wie ein geliebtes Erinnerungsstück vors Gesicht hob.
Schweigend überreichte sie dem Lockenkopf seine Violine und Bogen als er zurückkehrte, nickte Egbert fast schon abwesend zum Abschied. Sie wusste nicht so Recht was sie sagen sollte. Trat schwer schluckend über die Türschwelle des Ladens, ehe sie stehen blieb und sich zu Liam wandte. Ein warmes Lächeln zierte ihre Lippen, strahlte tief von Innen heraus und wirkte so fremd auf ihren Zügen, dass sie sich selbst kaum wiedererkannt hätte. "Danke." Wie von selbst umfasste ihre Hand seinen Nacken. Zog den schmalen Körper in einer einzigen Bewegung näher zu ihm heran und hinterließ einen sanften Kuss auf seinen Lippen. Vielleicht würde Liam irgendwann verstehen, wie viel ihr diese "kleine" und vielleicht für andere unbedeutende Geste wert war.
Fest presste Skadi die Lippen aufeinander, als sie sich von dem hochgewachsenen Musiker löste und die Ocarina zwischen ihren Fingern beäugte. Wie einen Schatz, den sie als kleines Mädchen mit 6 Jahren in einer gefährlichen Ruine gefunden hatte.
Für ihn war es keine Geste, um sie zu beeindrucken oder gar für sich zu gewinnen. Er tat es, weil ihr weitaus mehr an dieser Ocarina zu liegen schien als ihm an dem winzigen Reichtum, den er vor wenigen Tagen erlangt hatte. Liam war alles andere als materialistisch. Und er erinnerte sich auch erst im Nachhinein daran, was Skadi ihm bezüglich der Bemalung auf ihrem Oberkörper gesagt hatte. Eine Erinnerung. Ein Andenken. Die Möglichkeit, sie immer bei sich tragen zu können. Liam wusste, wie schwer der Gedanke war, ein Andenken verloren zu haben – wie aber musste es sein, wenn man vorher gar nicht gewusst hatte, dass es existierte? Wie hätte er reagiert, hätte ihm irgendein Wildfremder plötzlich ein altes Foto aus seiner Kindheit vor die Nase gehalten? Für ihn war das Strahlen auf ihren Zügen schließlich Dank genug. So, wie das kurze Lächeln des kleinen Mädchens, als er ihm das Buch geschenkt hatte, um sie ein wenig von dem Verlust ihres Vaters ablenken zu können. Das, was er dabei erfahren hatte, ging ihm allerdings immer noch durch den Kopf. Er wollte fragen, doch er ahnte, dass es der Freude über dieses kleine Andenken einen Dämpfer verpassen würde. Also schwieg er und wollte das Thema, kaum dass sie den Laden verlassen hatten, in eine andere Richtung lenken, als Skadi sich umwandte. Er sah auf, doch noch bevor sich ein Lächeln ob ihres Dankes auf seine Züge schleichen konnte, spürte er bereits ihre Lippen auf seinen. Eine eigenartige Weise, sich zu bedanken, doch Liam hätte sich gewiss daran gewöhnen können. Trotzdem hatte sie es abermals geschafft, ihn zu überrumpeln. Er blinzelte, als er die Augen wieder öffnete und spürte, dass das Schlagen hinter seiner Brust ein wenig deutlicher geworden war. Skadi hingegen freute sich bereits wieder über ihren kleinen Schatz, als wäre nie etwas gewesen. Liam fuhr sich kurzerhand schweigend durch die Haare und erfreute sich noch einen kurzen Moment an ihrem fröhlichen Anblick. „Dafür muss das Essen wohl oder übel wieder auf dich gehen.“, eröffnete er ihr mit einem Schulterzucken und schritt an ihr vorbei zurück auf die Straße, ohne ein wirkliches Ziel vor Augen zu haben. Aber völlig mit der Welt zufrieden.
Crewmitglied der Sphinx
für 250 Gold gesucht
dabei seit Apr 2016
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#2
Immer wieder glitten ihre Fingerkuppen über das glatte Holz. Malten die Kurven und Zeichen nach, die ihr so vertraut vorkamen. Sie konnte von Glück reden auf den Musiker getroffen zu sein. Wenn sie sich ausmalte, dass dieser Schatz auf Ewig von ihr unentdeckt geblieben wäre, würde sich ihr Magen schlagartig verkrampfen. Ganz gleich wie gelassen sie äußerlich darauf reagieren würde, weil „so ein kleines Ding ihre Familie auch nicht lebendiger machte“. Dennoch konnte die Nordskov nicht dagegen ankämpfen was gerade mit ihr geschah. Verlor zum ersten Mal seit Jahren die Kontrolle über ihre Schutzwälle und erlaubte es einem Fremden tief in den dunklen Morast ihres Verlustes zu sehen. Offensichtlich hatte Liam verstanden, dass das hier absolut keine alltägliche Sache war und hielt sich bedeckt. Skadi war so sehr mit sich selbst beschäftigt, dass sie seine Reaktion auf ihren physischen Dank nicht einmal wahrnahm. So musste es sich also für Enrique anfühlen, wenn er diese kleine Puppe in den Händen hielt. Der kleine Rest seines vergangenen Lebens, das er nicht mehr so schnell wiederbekommen konnte. Es war erst diese dumpfe Leere die darauf hin in ihren Magen zurückkehrte und einen kurzweiligen Schatten über ihre Züge legte. Stellte sie sich und ihre Art gerade in Frage? Als wollte sie diese Gedanken abschütteln, wandte die Dunkelhaarige ihren Schopf herum, sog tief die warme Luft der Insel ein und hörte noch im rechten Moment die Stimme Liams zu ihrer Rechten.
Augenblicklich zog sich ein Lächeln auf ihre Züge und spiegelte sich just in den braunen Augenpaaren wieder.
“Du hast auf Ewig etwas gut bei mir... da komme ich gern für den Rest deines Lebens für dein Essen auf.“ Und das war keine daher geredete Floskel. Skadi meinte es genau so, wie sie es sagte. Langsam folgt sie ihm auf die Straße zurück und verstaute das Musikinstrument am Hüftholster, den sei seit geraumer Zeit mit sich führte. Für den Fall der Fälle würde sie den Dolch brauchen, der dort in einer Lederscheide ruhte und vollkommen harmlos daher kam.
“Vielleicht sollten wir deine Violine erst einmal aufs Schiff bringen. Es sei denn, du möchtest sie gern die nächsten Stunden mit dir herum tragen.“ Mit einem weiten Ausfallschritt holte die Jägerin die letzten Meter auf und wirkte beinahe wie ausgewechselt. Der Nebel in ihrem Kopf war verflogen. Fast als hätte Liams Anwesenheit alles in pures Sonnenlicht verwandelt. Er musste ein verdammter Hexer sein!

Für eine Sekunde hatte er gedacht, sie hätte ihn gar nicht wahrgenommen. Zu sehr vereinnahmte sie die kleine verzierte Ocarina und zauberte ihr ein gar kindliches Lächeln auf die Züge. Den Schatten dahinter ignorierte der Lockenschopf gekonnt. Stattdessen erfreute er sich daran, dass sie zumindest nicht mehr so abwesend daher geisterte wie die letzten Tage – oder ‚anders abwesend‘ zumindest. Auf eine gute Art und Weise. Vermutlich hatte er ähnlich gestrahlt, als man seinem vierjährigen Ich die erste Zwille in die Hand gedrückt hatte.
Doch Skadi hatte ihn gehört und ihre Entgegnung klang ernster als ihm lieb war. Er hatte wirklich nicht beabsichtigt, eine große Sache daraus zu machen. Besonders nicht, sie zu ewigem Dank zu verpflichten. Liam schüttelte mit einem Lächeln den Kopf, ehe er ihr, als sie zu ihm aufgeschlossen war, die freie Hand freundschaftlich auf die Schulter legte. „Lass gut sein, Skadi. Dir bedeutet diese Ocarina offensichtlich weitaus mehr, als mir es diese ollen Goldmünzen es je würden. Außerdem war es so gesehen unser Geld, wenn man’s genau nimmt.“
Er zwinkerte kurz, ehe er von ihr abließ und nachdenklich dreinschaute. „Und glaub mir – für meine Verpflegung aufzukommen wäre ein schlechter Tausch für dich.“ Sein Lächeln war ehrlich. Für ihn war nichts weiter dabei. Ein bisschen hatte er sogar das Gefühl, Egbert so zumindest einen geringen Teil für die Geige entgegenbringen zu können. Wenn man es also genau nahm, hatten sie beide davon profitiert. Überrascht hob sich eine seiner Augenbrauen, als er zu Skadi hinübersah, die mit einem Mal wie ausgewechselt schien. „‘Die nächsten Stunden‘?“, wiederholte er neugierig. „Das klingt jetzt aber gar nicht mehr danach, als hättest du nichts vor.“ Er klang dennoch nicht abgeneigt. Die letzten Male hatten immerhin auch einiges an Spaß mit sich gebracht. „Aber du hast Recht. Mir wär’s lieb, wenn sie aus der Schussbahn wäre. Wer weiß, auf was für Ideen du ‚die nächsten Stunden‘ noch kommst.“

Zu gern hätte sie ihm gerade scharf am Ohrläppchen gezogen und deutlich gemacht, dass er noch so viel protestieren könnte wie er wollte - sie würde bei ihrem Versprechen bleiben. Und er hatte das gefälligst nicht in Frage zu stellen. Stattdessen rollte die Nordskov nur mit den Augen und ließ die angestaute Luft durch ihre Lippen pfeifen. “Ist mir egal. Ich weiß, dass nicht jeder so gehandelt hätte - ganz gleich wie viel so ein Klumpen Erz nun wert ist oder nicht. Außerdem...“ Ein verhaltenes Grinsen huschte über ihre Züge. “Ist eh nie schlecht, von mir einen Gefallen einfordern zu können... egal wann und wo.“ Oder was. Diese Option überließ Skadi seiner Fantasie und lachte auf, als Liam ihr einen Plan unterstellte, den sie nicht wirklich hatte, zugebener Maßen.
“Ich mir einfallen lasse?“ Protestierend kniff sie ihm in die Seite. “Also ich habe ja nicht vorgeschlagen ein paar Kindern die Leviten zu lesen.“ Auch wenn sie mit Freuden bei der Sache gewesen war.
Was sie nun allerdings tun sollten, verschwamm zu einem dunklen Brei, kaum dass sich die Nordskov darauf zu fokussieren versuchte.
“Lass uns abwarten. Ich habe das Gefühl, dass uns das Schicksal eh einen Strich durch die Rechnung macht.“ Sicherlich glaubte die Dunkelhaarige nicht an solcherlei Humbug, doch in den letzten Tagen waren ihr die Götter zum Großteil Hold gewesen. Es würde sie also nicht verwundern, wenn sich alsbald von allein ein Weg auftat, der zwischen der Stadt und der Sphinx lag.

Ihm fiel es oft schwer, hinzunehmen, dass Dinge, die für ihn selbstverständlich waren, eben dies bei anderen nicht waren. Aber er hatte auch ganz bestimmt nicht vor, sich darüber nun mit Skadi zu streiten. Wenn sie ihm gern einen Gefallen schuldig war, bitteschön. Blieb nur zu hoffen, dass er sich auch im rechten Moment daran erinnern würde. Liam wog den Kopf in einer Bewegung, die Skadi verdeutlichte, dass es ihm recht war und er keine weiteren Wiederworte leisten würde. Stattdessen wendete er das Thema und tatsächlich – da war die Skadi, mit der er die letzten Tage erstaunlich viel Zeit verbracht hatte. Mit einem Schritt zur Seite versuchte er, ihrem Angriff auszuweichen, ließ es sich aber nicht nehmen, noch einmal nachdenklich die Stirn zu runzeln und schließlich ziemlich überzeugt zu nicken. „Hast du nicht? Mir war so gewesen… Ich meine – sieh mich an. Als ob ich jemals auf solche Ideen kommen würde.“ Die Unschuld in Person, eindeutig! Doch es war klar, dass er sie lediglich aufziehen wollte – jetzt, wo er sich nicht mehr ganz so unempathisch dabei vorkam und sie zu ihrem Lächeln zurückgefunden hatte. „Du hast Egbert doch gehört. Die Landschaft soll auch ganz ansehnlich sein.“ Eine Möglichkeit, der sie nachgehen konnten, sobald sie ihr Hab und Gut in Sicherheit gebracht hatten.
Der Weg zurück zur Sphinx lief sich erstaunlich schnell für sein Gefühl. Und kaum hatte er die Violine vorsichtig neben seiner Truhe verstaut, befanden sie sich auch schon auf dem Weg zurück zum Festland. Ein bisschen trauerte er der Möglichkeit nach, sich seinem neuen Instrument zu widmen, aber spätestens, wenn sie wieder auf See waren, würde er wohl genug Zeit dafür finden. Die Möglichkeit, die Insel zu erkunden hingegen war begrenzt. Kurzentschlossen und ohne wirkliches Ziel vor Augen schlug er dieses Mal einen anderen Weg vor als den, den sie mittlerweile wohl alle auswendig kannten. Irgendetwas würde sich schon finden lassen. „Kannst du angeln?“, fragte er schließlich aus dem Nichts. „Hier wimmelt es doch nur so von Flüssen. Und gegen einen frisch gefangenen, gegrillen Fisch hätte ich nichts einzuwenden.“

Skadi musste angesichts der Unschuldsmiene schmunzeln. Als ob Liam nicht danach aussah, den Schalk im Nacken sitzen zu haben! Bitte. Nach den wenigen Tagen, die sie bereits mit ihm verbracht hatte, wusste sie, wie viel Kind noch in ihm steckte. Und irgendwie wurde sie das Gefühl nicht los, dass er die schelmische Skadi aus ihr heraus holte, die sie in den ersten Jahren ihrer Kindheit gewesen war. Die sich liebend gern mit ihren Cousins raufte und mit unbändiger Neugierde ihrer Umgebung widmete.
“Ja ja... Straßenköter und so.“

Enrique hatte sie kurz nach ihrer Ankunft auf dem Schiff nirgends gesehen. Womöglich versteckte er sich im Bauch der Sphinx oder streifte als einsamer Wolf durch die Wälder. Irgendwie war ihr nicht wirklich wohl dabei, dass er allein durch die Gegend geisterte und womöglich ebenso durch den Wind war, wie sie selbst. Schließlich bezweifelte die Nordskov, dass er ebenso einen braunen Lockenkopf bei sich hatte, der das Schlimmste zu verhindern wusste. Doch wohl oder übel musste sie sich eingestehen, dass der Ältere gut auf sich selbst aufpassen konnte. Dass hatte er schon Jahre vor ihr getan und würde es auch noch weit nach ihr tun.
Mit einem grübelnden Blick über die Wasseroberfläche näherten sich die zwei Kindsköpfe wieder dem Festland in ihrer kleinen Jolle. Mit braun gebrannten Gesichtern und der schieren Abenteuerlust in den Augen.
“ Ich würde es nicht unbedingt angeln nennen.“, warf die Dunkelhaarige über ihre Schulter dem Musiker als Antwort zu und sprang bereits ins Knie hohe Wasser, um das hölzerne Gefährt an Land zu ziehen und in einem Dickicht zu verstecken.
“Ich kann dir Fische mit Netzen und Holzspeeren fischen. Oder bringe dir gleich bei, wie es geht.“ Ihr gefiel der Gedanke und nicht etwa, weil die sich ihm auf diese Weise ebenbürtig fühlte, sondern weil damit allmählich das Gefühl von Heimat in ihre Glieder zurückkehrte. Sie hatte mit Freuden den anderen Kindern gezeigt, was ihr Vater oder ihre Großmutter sie gelehrt hatten. Wissen war ein kostbares Gut, das man in der Familie und unter Freunden stets teilte.
“Also... ich wäre bereit für ein bisschen Wassersport.“
Langsam folgten sie den ausgetrampelten Wegen, die Skadi in den letzten Tagen gekreuzt oder beschritten hatte. Erklommen einige Minuten einen steilen Hügel ehe sie unvorhergesehen einen Flusslauf erreichten, der unter den wenigen Sonnenstrahlen, die durch das dichte Blattwerk drangen, wie Edelsteine zu funkeln begann.
“Da wären wir.“ Drang es breit lächelnd aus der Jägerin heraus. Wirbelte den dicken Stock in ihrer Linken durch die Luft und steuert auf eine kleine Steingruppe zu. Der Kies knirschte unter ihren Füßen und entlockte ihr ein wohliges Summen, kaum dass sie sich niedergelassen hatte und mit dem Dolch aus ihrem Hüftholster das Ende des Stabs bearbeitete.

„Gern.“, stimmte er ihrem Vorschlag zu und freute sich bereits jetzt darauf, am Ende des Tages einen selbst gefangenen Fisch in den Händen zu halten. Selbst gefangen oder gepflückt schmeckte es einfach besser – auch, wenn sie sich definitiv nicht über Rayons Kochkünste beschweren konnten. Er hatte oft abends auf der Sphinx gesessen und versucht, den ein oder anderen Fisch an ‚Land‘ zu ziehen, um die knappen Ressourcen ein wenig auszugleichen. Ganz zum Leidwesens Shanayas, die bei jeder weiteren Fischsuppe nur die Nase gerümpft hatte. Aber das war gewesen, bevor Rayon zu ihnen gestoßen war. Nicht mal ganz ein Monat war seitdem vergangen. Und trotzdem fühlte es sich bereits jetzt an wie eine kleine Ewigkeit. Er folgte Skadi schweigend. So tief war er in die wilden Wälder der Insel vertieft, von denen Egbert geschwärmt hatte. Die junge Frau schien ein genaues Ziel vor Augen zu haben, während Liam vermutlich einfach blind losgelaufen wäre, um zu sehen, wo er ankam. „Du hast hier viel Zeit verbracht die letzten Tage, hm?“ Und damit meinte er nicht die Zeit, während der sie herumgegeistert war, sondern die Tage, an denen sie mit Wild im Gepäck zur Sphinx zurückgekehrt war. Und tatsächlich hatte sie ein recht schönes Plätzchen herausgesucht, welches nicht im Entferntesten vermuten ließ, dass sie noch nah an der Stadt dran waren. Skadi widmete sich bereits einem geeigneten Werkzeug, während Liam das Flussufer entlangschritt.
. Der Fluss rauschte leise und bahnte sich seinen Weg zwischen kleineren, strömungsbrechenden Felsen hindurch über den Kies des Flussbetts. Nichts verriet, dass er sich wohl nur wenige hundert Meter entfernt eine der Klippen hinunter in die Tiefe stürzte. Schließlich war er in einem größeren Halbkreis um sie herumgelaufen, hatte sich ebenfalls einen Ast aus einem Baum herausgebrochen und setzte sich flussaufwärts auf einen kleinen Felsen, der in den Fluss hineinragte, um Skadi von dort bei ihrer Arbeit zuzusehen und beiläufig seinen eigenen Stock etwas anzuspitzen. „Habt ihr immer mit Speeren nach Fischen gejagt?“

Für einen kurzen Moment wandte sich der dunkle Haarschopf zur Seite. Senkte sich zu einem bestätigenden Nicken und fuhr zurück zu dem Weg, den sie eingeschlagen hatten. “Ist das so offensichtlich?“ Natürlich war es das. Ihr Tonfall ließ auch keinen Zweifel daran, dass ihr das mehr als bewusst war. “Ich liebe die Wälder. Bist du schon einmal bis ganz hinauf in die Kronen geklettert und hast dir dort oben den Sonnenaufgang angesehen? Es ist beeindrucken.“
Kaum zu glauben, dass ihr letzter Besuch in den Wipfeln ewig her war.

In langsamen Bewegungen schlich Liam um sie herum und setzte sich einige Meter entfernt auf einen der Felsen, dessen Fuß das Wasser in kleinen Kreisen aufwirbelte.
Auf seine Frage hin hob Skadi den dunklen Schopf und drückte die Klinge des Dolches tief in den Scheitel des Stocks. Spaltete ihn in drei gleichmäßige Teile und steckte zwei kleine Ästelchen in die Spalten.
“Es war das erste, das ich als Kind gelernt habe...“
In ihrem Dorf galt das Fischen mit Speer schließlich als erster Teil ihres Überlebenstrainings. Man übte sich in Geduld, Schnelligkeit und Disziplin - wichtige Eckpfeiler für den steinigen Weg zum Erwachsensein.
“Netze zu verwenden ist aber weitaus bequemer.“, gestand die junge Nordskov lächelnd, “du hast sowas in deiner Kindheit nie machen müssen, oder?“ Höchst wahrscheinlich zählte der Lockenkopf zu jenem Teil der Gesellschaft, der sich den Fisch frisch vom Markt holte und nie dafür eigenständig losziehen musste. Doch sie würde ihn dafür ebenso wenig verurteilen, wie jeden anderen. Im Gegensatz zu ihr beherrschte er die feinsten Instrumente und konnte lesen wie ein junger Gott. Das war ebenso viel wert wie ihr scharfes Auge und die tödlichen Spitzen ihres Speers. Allerdings war sie gespannt darauf, wie gut er darin war eines der schimmernde Schuppentiere zu erbeuten und auszunehmen. Ihre Schwestern und kleinen Brüder hatten sich nicht selten davor geekelt und hinter dem Haus erbrochen.

Auf seinen Zügen zeichnete sich ein blasses Lächeln ab, als er den Kopf zu den Kronen hob und sich die Szenerie vorstellte, die Skadi gerade beschrieb. „Nein, bislang noch nicht.“, gestand er und malte sich derweil aus, wie die Morgenröte den Wald am Horizont in Flammen tauchte, die fast bis zu einem selbst reichten. Er hatte sich bislang damit begnügt, dieses Naturschauspiel entweder auf freien Flächen zu verfolgen oder eben zwischen den Stämmen eines Waldes hindurch, wenn es sich ergab. Selbst über dem Fluss hielten die Baumkronen den Himmel im Zaum. Er war nicht breit gebaut, um eine deutliche Schneise Hineinzuziehen, aber dadurch auch nicht zu wild, als dass Fische ihn als Heimat nutzen konnten.
Er hatte die Beine im Schneidersitz verschränkt und widerstand dem Drang, die nackten Füße ins Wasser zu halten. Er wollte ihre Beute nicht verschrecken, bevor die Jagd überhaupt begonnen hatte. So saß er dort, spitze seinen Stock an und beobachtete Skadi, die dabei weitaus professioneller wirkte als er. Die Erklärung folgte aber auf dem Fuß. Liams Versuch war es nicht, mehr über ihre Herkunft herauszufinden, wie man vielleicht vermuten konnte. Es war reine Neugier an ihr, an ihren Fähigkeiten, die in einer komplett anderen Richtung lagen wie die seinen. „Ich war ein paar Mal mit meinem Vater angeln. Aber nicht, weil wir mussten. Und danach hat es mir vielleicht den ein oder anderen Abend gerettet. Manchmal aber auch nicht.“, lachte er. Dann war man eben hungrig geblieben und hatte am nächsten Tag sein Glück versucht.
Allerdings hatte er es nie mit Speeren versucht, sondern mit Routen. Er hatte die Geduld, um am Ufer zu warten, hätte sich aber nie die nötige Konzentration zugesprochen, eines der Tiere gezielt herauszupicken. Aber er war bereit, es zu versuchen. Entweder es klappte oder eben nicht. Er hatte nicht mehr zu verlieren als ein leckeres Abendessen - aber dafür wollte ja ohnehin Skadi für den Rest seines Lebens aufkommen. Schließlich begutachtete er seine einfache Spitze, die zwar nicht an die der jungen Frau herankam, aber ihren Zweck sicher erfüllen würde. „Ich musste dafür andere Dinge tun. Weniger... direkt Praktische. In einer wirklichen Notlage bringt es mir nämlich nur wenig, ein Klavier spielen zu können oder derart.“

Eine Weile beobachtete Skadi den Lockenkopf schweigend, während er sprach und den Stock behände mit seinem Messer anspitzte. Fast zeichnete sich ein amüsiertes Lächeln ab, ob seiner missglückten Angelversuche. Doch sie senkte lieber den Kopf und legte Speer und Dolch zur Seite, um eine Schnurkordel von ihrem Hüftholster zu lösen. Wieder einmal zahlte es sich aus auf allerlei Dinge vorbereitet zu sein. Auf anderen Inseln galt das sicherlich als absolut Vorbild für die Pfadfindergemeinschaft. Mit einem kurzen Ruck trennte sie mit der Klinge des Dolches einen Teil der Naturschnur ab und verstaute den Rest an seinem angestammten Platz.
“Kommt ganz auf die Situation an.“ Entgegnete die Dunkelhaarige mit gespitzten Lippen, währen sie die Schnur kräftig zwischen den Speerspitzen und dem Schaft verwob. “Deine Talente machen es dir einfacher dich in gehobenen Kreisen zu bewegen.“ Unausgesprochen blieb, dass er in diesem Punkt sogar einen großen Vorteil im Vergleich zu ihr und anderen Mitgliedern der Sphinx besaß. Fest verschnürte sie die zwei Enden der Schnur und erhob sich langsam. Steckte den Dolch zurück in seine Halterung und steuerte auf Liam zu. “Wenn du wolltest fändest du mich Leichtigkeit eine Gönnerin, die dich für ein Ständchen oder eine Lesestunde verköstigen würde.“
Ein Grinsen husche jäh über ihre Lippen. Breitete sich über die kantigen Züge aus, während sich Skadi die Schuhe von den Füßen streifte und neben Liam in die Hocke ging. Den Blick erst auf das Wasser gerichtet, als wollte sie abschätzen wie reich der Fluss mit Fischen gesegnet war, sah sie dann über die Schulter auf den braunen Lockenkopf. “Und wenn nicht, gibt’s da noch so einfache Frauen wie mich, die so einen Straßenköter wie dich nie verhungern lassen könnten.“ So langsam entwickelte sich diese Bezeichnung zu einem richtigen Kosenamen, der durchaus liebevoll denn abwertend gemeint war.
“Wie schaut’s aus... bist du bereit?“ Die dunklen Augenpaare huschten über die langen Arme hinab zu seinen Händen. Musterten die grobe Speerspitze, mit der es eine Kunst werden würde, den Fisch halbwegs mittig zu erwischen. Vielleicht hätte sie ihm einfach zeigen sollen, wie er sich ein einfacheres Hilfsmittel zusammenstelle. Aber hey... man lernte sein ganzes Leben. Und zur Not konnte sie ihm immer noch ihren Speer überlassen, so er denn wollte.

Auch, wenn er nicht nachfragte, beobachtete er neugierig aus dem Augenwinkel heraus, wie Skadi ihre Speerspitze noch weiter verfeinerte. Im Vergleich dazu sah sein provisorischer Stock wirklich fast schon primitiv aus. Ob er aber trotzdem Wirkung zeigte, würde sich noch herausstellen. Er selbst glaubte ja nicht wirklich daran, dass sich an seinen Fähigkeiten etwas geändert hatte. Vermutlich würde er den Fisch verjagen, bevor er ihn überhaupt gesehen hatte. Dass es aber funktionieren konnte, hatte er schon öfter gesehen. Es gab tatsächlich Fischer, die sich voll und ganz auf diese Weise spezialisiert hatten. Allerdings eher, weil Netze an diesen Stellen unpraktisch waren und eine Angel nie ausgereicht hätte, ihren Bedarf zu decken. Skadi sah nicht auf, als sie ihm antworte. Dementsprechend entging ihr vermutlich auch sein unschlüssiges Wiegen mit dem Kopf. „Die Frage ist, ob ich das will.“ Trotzdem hatte sie recht. Er kannte viele Lebensweisen, fühlte sich in dieser hier aber weitaus wohler als in feinem Zwirn und gesellschaftlichen Grenzen. Das sah man seinem zufriedenen Grinsen allerdings auch an. Liam fühlte sich alles andere als unwohl mit seinen bisherigen Entscheidungen. Als sie fortfuhr, verkniff er sich hörbar ein Lachen, unterbrach sie allerdings nicht, sondern folgte ihrer Bewegung mit aufmerksamem Blick, bis sie sich neben ihm niederlies.
„Richtig, die Gönnerin kann ich mir ja jetzt sparen, nachdem du dich dieser Sache so großzügig annehmen wolltest.“ Mit einem zufriedenen Ausdruck auf den Zügen spähte er ins Wasser hinab. „Als einfache Frau, die sich jahrelang verdeckt in die Marine geschlichen hat und dort vermutlich mehr geleistet hat, als ein Großteil der starken, kräftigen Männer.“ Sie untertrieb definitiv, als sie sich als ‚einfache Frau‘ bezeichnete. Skadi war vieles, aber mit Sicherheit nicht einfach. „So bereit wie nur möglich.“, bestätigte er schließlich und hob demonstrativ seinen primitiven Speer in die Höhe. „Wir warten auf Anweisung.“

Liam konnte es von seiner Position aus nicht sehen, wie sich Skadis Miene nachdenklich verzog und dann recht zufrieden aufhellte. Der Lockenkopf hatte ihr eine entscheidende Information geliefert, die irgendwann von Bedeutung sein konnte. Wenn es um eine Entscheidung gehen würde, die Skadi nicht von ihm brauchte, weil sie ungefähr erahnen konnte, was der Lockenkopf wollte, der nun neben ihr hockte und bereit für seine erste Lektion war. Sagen würde sie es ihm jedoch nie - die Genugtuung behielt sie ganz für sich allein, dass der Musiker eine Gesellschaft mit „Ihresgleichen“ dem von Aristokraten und Hochwürden vorzog. Es gliederte ihn immer tiefer in eine „Familie“ ein, die die Crew der Sphinx für sie werden konnte. Und die Vorstellung dessen würde ihr gefallen - irgendwann, wenn sie es sich erlaubte alte Gefühle zuzulassen und die Gefahr eines erneuten Verlust geliebter Menschen in Kauf zu nehmen.
“Dann wird aber auch alles gegessen was auf den Tisch kommt. Extrawürste gibt’s bei mir nicht.“, fügte die Nordskov schmunzelnd ein und fühlte sich als spräche sie just mit ihrem kleinen Bruder, der bockig vom Tisch aufgestanden war.
“Du klingst schon fast wie Shanaya, wenn du es so sagst.“ Die Worte der kleinen Navigatorin hallten wie ein Echo in ihrem Kopf. Skadi befand, dass „mehr Mann sein als jeder Kerl auf dem Schiff“ durchaus ein positives Kompliment gewesen war. Noch hatte sie sich selbst nicht wirklich davon überzeugen können. In ihrem Universum gab es keine Schubladen für dieses und jenes. Frauen konnten genauso gut Machtpositionen besetzten wie jeder Mann - was keine Selbstverständlichkeit in der ersten Welt war, wie die Jägerin nach dem Tod Ihrer Familie auf harte Weise lernen musste.
“Na dann wollen wir mal...“ Behutsam glitt der schmale Körper über den Rand des Felsens in kühle Nass. Genoss für einen Moment das Wasser an Zehen und Knöcheln, bis sie den kiesigen Untergrund erreichten und sie mit vorsichtigen Schritten tiefer hinein watete. Der Boden war uneben und glitschig. Skadi musste bei jedem Schritt darauf Acht geben nicht abzurutschen oder sich die Fußsohlen an einem spitzen Stein aufzureißen.
“Pass auf wenn du läufst, die Kiesel sind zum Teil noch recht spitz.“, gab die Liam zur Warnung und machte sich dann bereit. Hielt inne und musterte die Wasseroberfläche stromaufwärts aufmerksam. “Das wichtigste ist, ein bisschen tiefer zu zielen, sonst schlägst du weit über dem Fisch ins Wasser und verscheuchst ihn.“ Sie hätte ihm auch etwas von Lichtbrechung erzählen können, doch gerade in jenem Moment bemerkte sie eine Bewegung aus dem Augenwinkel. Einen dicken Körper der noch weit entfernt durchs Wasser schwamm und nur gemächlich näher kam.

Wenn man etwas sagen konnte, dann dass Liam seinen Eltern in vielerlei Dingen eigentlich recht ähnlich war. Ein Freigeist, der nur ungern Wert darauf legte, wie er in der Öffentlichkeit auftrat. Nachdem seine Mutter erkrankt war, war sie ohnehin nur noch an guten Tagen gerne vor die Tür gegangen. Sein Vater hatte sich bei Feierlichkeiten dann meist alleine zeigen müssen. Trotzdem hatte seine Mutter ihm beigebracht, dass es manchmal wichtig war, sich zu verstellen. Mal zu lachen, obwohl es nicht witzig gewesen war oder mit einer kleinen, feinen Lüge nirgends anzuecken. Nachdem sie verstorben war, hatten Liam und sein Vater das allerdings nicht weiter beherzigt. Wer Noah unfreundlich gekommen war, hatte sich damit abfinden können, dass kein Handel zustande kam. Nicht unbedingt wirtschaftlich, aber menschlich ein Aspekt, auf den er immer wert gelegt hatte. Liam tat es ihm gleich.
Ihre Drohung nahm er recht gelassen hin. Es gab kaum etwas, was er nicht aß. Und so, wie Skadi redete, war sie im Bereich Zubereitung vermutlich ähnlich bewandert wie bei der Beschaffung. Noch ging er davon aus, diesen Deal nur gewinnen zu können. Vorausgesetzt, sie ließ ihn nicht absichtlich ins Messer laufen. „Ich werde es nicht wagen, mich zu beschweren.“, versicherte er ihr mit einem gespielt ehrfürchtigen Ton.
Als sich Skadi von ihrem kleinen Felsen ins Wasser gleiten ließ, streifte sich der Ältere noch schnell die Sandalen von den Füßen, krempelte die Stoffhose bis knapp unters Knie und folgte ihr in den kühlen Strom des Flusses. Das Wasser umsülte seine Beine bei diesen Temperaturen angenehm und für einen Moment blendete er aus, dass sie eigentlich Fische fangen wollten. Er hätte sich jetzt auch damit begnügen können, einfach die Natur zu genießen – hätte ihn sein Magen nicht früher oder später daran erinnert, dass das Leben mit Essen angenehmer war. Er nickte auf ihre Erklärung hin und besah sich das Bild eines prägnanten Steines im Flussbett, welches unter der Wasseroberfläche auf- und abzuhüpfen schien. Schließlich fielen ihm auch kleine, filigrane Wesen auf, die unscheinbar durch das Flusswasser flitzten. Aber davon würde sie keiner auch nur annähernd satt machen. Er folgte Skadi, achtete allerdings eher auf die kleinen Fische als auf den Untergrund, wodurch er auch prompt kurz ins Rutschen geriet und sich an der Gestalt der Jüngeren festhielt, um nicht ganz ins Wasser zu stürzen. Liam verzog das Gesicht – nicht etwa, weil er wirklich Furcht gehabt hatte zu fallen, sondern weil er fürchtete, ihre Beute damit verscheucht zu haben. Eine stumme Entschuldigung lag auf seinen Lippen, während er sich fast nicht traute, sich noch einmal zu bewegen und daher nur langsam die Hand von ihrem Schulterplatt löste, um so wenig Aufmerksamkeit wie möglich zu erzielen.

Sie hörte das leise Platschen hinter sich und wusste, dass Liam ihr mit bedachten Schritten folgte. Klebte mit den braunen Augenpaaren förmlich an der Wasseroberfläche, bis sie stehen blieb und wartet, bis der große Fisch zu ihr hinab geschwommen kam.
Allmählich blendete Skadi die Welt um sich herum aus. Das Zwitschern der Vögel. Das Rauschen hoch oben in den Baumkronen. Das leise Surren von Bienen und Käfern im Unterholz. Ihr Körper und Geist wurden eins mit dem Fluss. Bis zu jenem Moment als Liam strauchelte und sich gegen ihr Schulterblatt drückte. Wie aus einem Reflex breitete Skadi die Arme aus, verlagerte ihren Schwerpunkt nach unten, um mit breitem Stand nicht direkt vorn über zu kippen. Mit einem schweren Atemzug wandte sich der dunkle Schopf herum, als Liam sich mit entschuldigender Miene in Zeitlupe ausbalancierte und zurück auf seinen Platz glitt. Mit einem leichten Kopfschütteln widmete sich die Nordskov wieder ihrem Ziel... das just nicht mehr an seinem Platz war. Der Lockenkopf hatte die Fische erfolgreich aufgescheucht. Oh man. Dabei hatte sie ihn noch vor dem glatten Untergrund gewarnt.

Eine Weile standen sie regungslos im Wasser, das mal ruhig, mal wild um ihre Beine glitt und leichte Wirbel in der Oberfläche hinterließ. Und gerade als Skadi die Hoffnung aufgegeben hatte, erkannte sie einen dunklen Schatten weniger Meter voraus. Hob nur langsam die Arme, um sich für einen Angriff bereit zu machen und warf den Speer unvorhergesehen mit voller Kraft ins Wasser. Kleine Spritzer erhoben sich in die Luft. Funkelten eine Weile vor ihren Augen, bis Skadi die Stille mit einem siegessicheren “Ha!“ durchstieß und langsam voraus watete. Der erste Schuss hatte gesessen. Wenn auch nicht ganz wie er sollte. Doch wenig später ragte der aufgespießte Fisch noch zappelnd in der Luft, als Skadi sich, mit dem Speer in der Hand, zu Liam herum wandte. “Du musst heute definitiv nicht hungern.“

Er hätte zu gerne behauptet, dass er nichts dafür konnte, doch ihm war leider sehr bewusst, dass er nicht unbedingt zu den aufmerksamsten Menschen gehörte. Den Fisch, den Skadi im Blick gehabt hatte, hatte er auch danach nicht bemerkt gehabt, als er sich rasch aus dem Staub gemacht hatte. Ihm war also gänzlich unbewusst, dass er sie gerade um die erste Chance auf ein Abendessen gebracht hatte. Nichtsdestotrotz mahnte er sich nun, besser aufzupassen; atmete sogar flacher, bevor die Jüngere ihn gänzlich von ihrer Unternehmung ausschloss, um irgendwie Erfolg zu haben. Jedenfalls mahnte er sich so lange, bis ihm der Fluss inmitten des unberührten Waldes wieder andere Gedanken bescherte. Die Zeit verging, während sie schweigend im Wasser standen und auf ihre Gelegenheit warteten. Liam folgte dem Flusslauf flussaufwärts, bis sich sein Blick wieder am Ufer verlor, an den Sträuchern und Bäumen, die sanft im Wind wogen. Und dann erinnerte er sich plötzlich wieder daran, weshalb sie das hier taten und konzentrierte sich wieder auf das, was direkt vor ihm lag – leider kein Fisch in ausreichender Größe. Plötzlich durchstieß etwas hörbar die Wasseroberfläche. Liam sah auf und stellte überrascht fest, dass Skadi wohl mehr Erfolg gehabt hatte als er – jedenfalls was die Sichtung betraf. Doch als sie sich dran machte, ihren Stock wieder aus dem Wasser zu fischen, zappelte an dessen Spitze tatsächlich ein Fisch. „Wow, nicht schlecht!“, bemerkte er anerkennend und musterte das Tier mit einem erfreuten Lächeln auf den Zügen. „Unfassbar, dass du den aus der Entferung getroffen hast.“ Er hätte ihn vermutlich nicht einmal gesehen. Fakt war aber auch, dass sich die restlichen Fische erst einmal vom Acker gemacht hatten.

“Timing ist alles.“, stellte Skadi nüchtern fest und watete langsam zum Ufer zurück. Sie glaubte kaum, dass sie noch einen Fisch aus dem Wasser zaubern konnte, ehe Liam vollkommen die Konzentration verlor. Vielleicht war es besser, sie überließ ihm den Fisch der nun leblos auf der Sperrspitze thronte. Das Magengrummeln seinerseits hatte sie auf ihrem Weg zum Ufer mit einem amüsierten Gesichtsausdruck wahrgenommen. “Ich glaube mehr bekommen wir heute nicht, ehe wir aufs Schiff zurück müssen.“ Geräuschvoll perlte das Wasser von ihren nackten Waden, kaum dass sie mit einem Ausfallschritt aus dem Wasser zurück auf den Felsen kletterte. “Könntest du den Fisch ausnehmen, während ich nach Feuerholz und Beeren suche?“ Mit einem kurzen Blick über die Schulter musterte Skadi den Lockenkopf und war bereit ihm im nächsten Moment den Speer samt Fisch in die Hand zu drücken. “Dann sollte es bis heute Abend zumindest etwas den Hunger stillen.“

Timing, Treffsicherheit und vermutlich noch einige andere Aspekte, die Liam nicht weiter ausführen wollte. Er war beeindruckt. Und tatsächlich auch gewillt, sich das Ganze vielleicht doch nochmal etwas näher zu bringen, wenn er nicht Gefahr lief, Skadi die Jagd zu versauen. Fürs erste sollte dieser Fisch tatsächlich reichen. Vielleicht würden sie später noch einmal Erfolg haben. Jetzt aber schien der Fluss wie leergefegt. Jedenfalls konnte Liam keinen Fisch entdecken, der den Jäger oberhalb der Wasseroberfläche noch nicht bemerkt hatte. Skadi schien es ähnlich zu gehen, denn während er noch immer im Fluss stand, watete sie bereits zum Ufer und verkündete das Ende der Jagd. Kurz lag ihm die Frage auf den Lippen, wer ihnen denn vorschrieb, dass sie auf die Sphinx zurück mussten, doch er schwieg und ließ sich überraschen, was der Abend noch bringen würde. „Ja, klar, kein Problem.“, bestätigte er und fragte gar nicht, ob er sich nicht lieber ums Brennholz kümmern sollte. Einen Fisch ausnehmen konnte er, das tat er öfters. Bei einem Wildtier hätte es wohl anders ausgesehen. „Ich hab Feuerstahl dabei. Am Lagerfeuer sollte es also nicht scheitern.“ Er hatte ihn kurzerhand eingesteckt, als sie ihren Zwischenstopp auf der Sphinx gemacht hatten. Fehlte nur noch etwas Zunder und möglichst trockenes Holz. Inzwischen war er auch umgekehrt und folgte Skadi zurück auf den Felsen, von dem aus sie ihre Jagd begonnen hatten. Seinen eigenen Speer lehnte er an den Stein und nahm schließlich bereitwillig den Fisch entgegen, um ihn herzurichten. Danach würde er noch ein paar geeignete Steine zusammensuchen, um ihr kleines Feuer zu begrenzen. Davon gab es hier immerhin genug.

Kein einziges Wesen tummelte sich mehr im klaren Flusslauf. Es war also die beste Entscheidung gewesen die Jagd vorerst zu beenden und sich dem aufkommenden Hunger zu widmen. Ohne Umschweife legte Skadi den langen Speer behutsam in Liams Hände und bezweifelte keine Sekunde lang, dass er wusste was er tat. Wenn er bereits mit seinem Vater geangelt hatte, sollte er wissen, wie er den Fisch ausnahm ohne all zu großen Schaden anzurichten. Allerdings horchte sie auf, kaum dass der Lockenkopf den Feuerstahl erwähnte. “Im Ernst... du bist doch ein Hexer oder?“ Für einen kurzen Augenblick hielt Skadi den skeptischen Blick aufrecht, den sie Liam zuwandte. Wirkte sogar als glaubte sie diese Vermutung aus vollstem Herzen. Bis zu jenem Punkt an dem sie sich lachend erhob und Richtung Unterholz verschwand. “Dass du mir ja keinen Scheiterhaufen für mich anzündest.“

Eine halbe Stunde später erreichte Skadi den kleinen Platz am Ufer, bepackt mit trockenen Ästen und einem Leinenbeutel, den sie sich wohl provisorisch aus ihrer Hose geknotet hatte, voller Blätter, einzelner Kräuter, Beeren und Pilzen.
“Tschuldige, ich musste etwas tiefer im Unterholz wühlen, um was zu finden.“ Geräuschvoll ließ sie ihr Hab und Gut neben Liam auf den Boden fallen und wischte sich mit dem Handrücken etwas Erde aus dem Gesicht. “Aber damit lässt sich bestimmt was gutes zaubern.“ In einer fließenden Bewegung glitt der schmale Körper auf die Knie und machte es sich dann in einem Schneidersitz neben Liam bequem. Entknotete die Enden ihrer Leinenhose und erlaubte dem Lockenkopf einen ausführlich Blick auf ihre gemeinsame Ausbeute.

Liam runzelte die Stirn, als sie ihm vorwarf, ein Hexer zu sein. Er kannte ihre Gedanken nicht und Feuerstahl war etwas, was sich bislang eigentlich immer als nützlich erwiesen hatte, sofern er denn daran dachte, ihn einzustecken. Ein Scheiterhaufen war allerdings nicht sein Ziel - es sei denn, man sah es als Scheiterhaufen für den Fisch, der Ihnen in die Fänge gegangen war. „Keine Sorge. Wenn ich mich recht erinnere, kommt man mit Feuer nicht gegen Wendigos an.“, konterte er, streckte ihr kurz die Zunge raus und machte sich an die Arbeit.
Während sich Skadi auf den Weg machte, löste den Fisch von ihrem Speer. Er blieb im Wasser stehen und genoss noch ein wenig die angenehme Abkühlung um seine Beine herum, während er seinen Dolch zückte und den Fisch behutsam ausnahm und entschuppte, so gut es ging. Danach spülte er den leblosen Körper im Flusslauf aus und legte ihn beiseite.
Danach begann er, passende Steine zu sammeln und nicht allzu weit vom Flussufer entfernt daraus einen kleinen Kreis zu legen, dessen Inneres er ein wenig aushob. Und schließlich war es Skadi, die ihn mit ihrer Rückkehr davon abhielt, doch nochmal sein Glück in der Fischerei zu versuchen. Allein der Gedanke daran verpuffte, als er feststellte, dass sie offensichtlich ohne Hose zurückkehrte. Sein Blick blieb unweigerlich kurz auf der Bemalung auf ihren Oberschenkeln hängen, doch sie schien auf den ersten Blick nicht ganz so bedeutsam wie die, die er im unterirdischen Tunnel zu Gesicht bekommen hatte. Somit blickte er wieder auf, grinste vielsagend, als sie sich Erde aus dem Gesicht wischte und ging neben ihr in die Hocke, um ihren Fund zu begutachten. „Ich seh‘s.“ Es war immerhin kaum zu übersehen, dass sie sich Tief in die Arbeit gekniet hatte. Ohne große Berührungsängste wischte er ihr schließlich noch ein unscheinbares Stück Rinde von der Schläfe, ehe er sich dem Hosen- eh, Beutelinhalt widmete. „Aber das scheint sich offensichtlich gelohnt zu haben. Was ist das alles?“ Kurzerhand stützte er sich leicht auf ihrer Schulter ab, um in der Hocke nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Liam breites Grinsen ging beinahe in ihrer Entschuldigung und Bewegung unter. Blieb aber letzten Endes nicht gänzlich unbemerkt. Doch sie würde später darauf zurückkommen, wenn die Mägen gefüllt und die Zeit angebrochen war, sich vom Schmutz zu befreien. Für einen kurzen Moment huschten die braunen Augenpaare in die Winkel, kaum dass der Lockenkopf sich näherte und ein Stück Rinde von ihrem Gesicht klaubte. Wie immer unterdrückte sie den ersten Impuls einer Abwehrhaltung und konzentrierte sich darauf, tief in den Bauch hinein zu atmen. Sicherlich gewöhnte sie sich langsam an die Normalität dieser Berührungen. Und es war wohl Liams Verdienst über die letzten Tage, dass sie sich dazu durchrang ihm selbiges zu erlauben wie Enrique. Somit beobachtete sie schweigend seine langen, eleganten Finger und widmete sich wenig später dem kleinen Haufen an Beeren und Pilzen, die Liam in Augenschein nahm.
“Das hier..“, begann sie und nahm einen üppigen Zweig mit dunkelblauen Beeren in die Hand,“ist Holunder. Schmeckt etwas... säuerlich, aber sehr lecker.“ Mit einem Lächeln erhob sich der dunkle Haarschopf und hielt dem jungen Musiker den Zweig vor die Nase. “Allerdings sollte man aufpassen, dass man nicht seinen kleinen Bruder erwischt. Der sieht dem hier zum Verwechseln ähnlich und ist hochgradig giftig.“ Sie hatte einmal gesehen was die Beeren einem der Dorfkinder angetan hatten und sich seitdem mer als freiwillig in die Lehre ihrer Großmutter „der Kräuterhexe“ begeben. “Dann haben wir noch Eichhasen und Birkenpilze.“, bedeutete der dunkle Schopf mit einem Nicken auf den Rest der Beute.

Ihm entging die Anspannung, die er mit seiner flüchtigen Berührung durch Skadis Körper jagte. Für ihn war es etwas völlig Normales, solange es eben nicht die guten Sitten überschritt. Seit ihrem Zögern bei seiner Tanzaufforderung hatte sie auf ihn auch nicht mehr so scheu gewirkt, sodass er den Gedanken gefasst hatte, dass er es sich einfach nur eingebildet hatte. Es war ja auch eigentlich nichts wildes dabei, ihr ein wenig Schmutz aus dem Gesicht zu angeln. Sein Blick folgte dem Zweig, den Skadi schließlich in die Luft hob. Er lauschte angestrengt und motiviert, sich diese Information und den Habitus zu merken, doch er ahnte bereits jetzt, dass das nicht wirklich einfach werden würde. Als sie ihm den Zweig deutlich vor die Nase hielt, zog er den Kopf etwas zurück und nahm ihn ihr schließlich aus der Hand, um sich die Pflanze etwas genauer anzusehen. Sein Lächeln brach etwas, als sie fortfuhr und sein Blick glitt prüfend zu ihrem Gesicht hinüber. „Sehr gut. Das heißt also für mich, dass du auch ganz genau weißt, wie du mich aus dem Weg räumen kannst, wenn dir meine Verköstigung zu lästig wird, ja?“ Er hatte keinen Grund, ihr zu misstrauen – ganz im Gegenteil. Wenn sie sagte, dass es Holunder war, würde es schon stimmen. Und wenn nicht, würde er sich danach auch keine Gedanken mehr darum machen müssen. Ein letztes Mal musterte er den Zweig in seinen Händen mit den auffällig roten Stengeln bis hin zu den dunklen Beeren am Ende, ehe er wieder einen Blick in Skadis Hose warf und die beiden Pilzarten erkennen konnte, die sie ebenfalls mitgebracht hatte. „Dann würde ich sagen, kümmerst du dich ums Essen und ich mich ums Feuer?“ Machte jedenfalls Sinn, denn sie hatte bestimmt schon eine Vorstellung davon, was sie mit all den Zutaten anfangen wollte.

Skadi musste sich ein Grinsen verkneifen. Doch selbst das Schmunzeln auf ihren Zügen hatte etwas latent bedrohliches. Wohl als einer der ersten hatte der Musiker erkannt, dass sie nicht nur ein hervorragender Wendigo war, sondern sich ebenso auf die Kunst des Giftmischens verstand. Für Skadi war es durchaus von Vorteil, dass niemand sonst davon wusste. Nicht etwa weil sie den anderen damit im Vorteil sein, sondern sich eher ihres Vertrauens sicher sein konnte, als anders herum. Auch wenn bislang keiner Anstalten machte, sie als Abschaum der Marine zu behandeln, wusste die Nordskov, dass das instinktive Misstrauen durch ihre Arbeit auf der Morgenwind tiefer wurzelte, als bei anderen Neulingen. Das lag in der Natur der Sache - niemandem würde sie es sonderlich übel nehmen.
“Ja. Zu deinem Pech könnte ich das tatsächlich... wenn ich überhaupt wollte.“, entgegnete der dunkle Haarschopf mit einer Spur tiefer Ernsthaftigkeit und griff nach einem der mitgebrachten Zweige, um die Pilze mitsamt Fisch und Kräutern aufzuspießen. “Aber vielleicht würde ich dir auch einfach ein paar Nettigkeiten abverlangen, um meine Motivation zu steigern.“ Sie sagte es so beiläufig, als wäre ihr plötzlicher Gedanke absolut belanglos, wenngleich der schelmische Ausdruck auf ihren Zügen eine ganz andere Geschichte erzählte. Während Liam das Feuer schürte, steckte Skadi den frischen Fischspieß in den Boden und verschwand mitsamt Hose und Beeren and Flussufer. Wusch die blauen Früchte gründlich, ehe -sie mittlerweile wieder barfuß- zurückkehrte und sich abermals im Schneidersitz an der Feuerstelle niederließ.
“Wie ist jemand wie du eigentlich auf der Sphinx gelandet?“ Diese Frage hatte sie die letzten Tage häufiger begleitet und einen wirklichen Reim konnte sich die junge Fau immer noch nicht so recht darauf machen. Liam war in ihren Augen alles andere als ein typischer Pirat, ebenso wie der Großteil der Crew, wenn sie so darüber nachdachte.

Er wusste nicht, ob ihm eine andere Antwort lieber gewesen wäre, denn genaugenommen war die Giftmischerei im Grunde bloß ein Umstand, der ihnen von Vorteil sein konnte. Liam war nicht berechnend genug, um sich nun oder in naher Zukunft in Gefahr zu sehen. Er hatte weder einen Grund, noch das Bedürfnis, Skadi irgendeine Grundlage zu bieten, ihm gegenüber einen Groll zu entwickeln. Außerdem wirkte sie nicht wie eine Frau, die, kaum dass einmal etwas nicht so lief, wie ihr lieb war, zu derartigen Mitteln griff. Liam schätzte es mehr als eine Art beiläufiges Wissen ein. Wenn man lernte, was nützlich war, musste man auch automatisch lernen, mit welchen Kräutern und Pflanzen man es besser nicht verwechselte. Ganz ohne das Gift im Vordergrund zu sehen. Trotzdem machte sie sehr deutlich klar, dass sie sich ihrer Fähigkeiten sehr gut bewusst war. Die Ernsthaftigkeit schwand recht schnell und stattdessen ließ sie ihn mit einem schelmischen Blick zurück, der ziemlich viel Interpretationsfreiraum ließ. „‚Ein paar Nettigkeiten‘.“, wiederholte er mit unschuldigem Unterton. „So so.“ Während Skadi sich erhob, um die Beeren und Pilze zu waschen, blieb er noch einen Herzschlag länger sitzen und folgte ihr mit dem Blick. Jetzt, wo sie ihm den Rücken zukehrte, wurde auch ersichtlich, dass die unscheinbare Bemalung auf ihren Oberschenkeln nicht das vollständige Bild gewesen war.
Oberhalb der Kniekehlen zeichneten sich zwei Tatzen in derselben Art und Weise wie ihre andere Körperbemalung ab. Doch Liam schwieg vorerst und wandte sich stattdessen lieber der Aufgabe zu, ein Feuer zu machen. Holz war schnell gefunden und auch den Zunder hatte er sich mithilfe seines Dolches schnell zurechtgehobelt, um den Feuerstahl in Mitte der Kuhle anzusetzen und den Dolch daran entlangzuziehen. Nach ein paar Versuchen glomm in den Holzspänen bereits eine kleine Glut, über die er schließlich ein paar schmalere Äste legte. Mittlerweile war Skadi zurückgekehrt und hatte sich wieder am Rande der Feuerstelle niedergelassen. Bei ihrer Frage musste er unweigerlich schmunzeln. ‚Jemand wie er‘ war nett umschrieben. Aber über seine Fähigkeiten als Pirat hatten sie ja bereits diskutiert. Eigentlich hatte er ihr eine bereitwillige Antwort geben wollen, doch gerade, als er ansetzte, kam ihm ein anderer Gedanke, der ihn kurz die Stirn runzeln ließ. Er hatte den Kopf zum Feuer gerichtet, warf der Jüngeren aber einen kurzen Seitenblick zu. „Zählt das als Geheimnis?“, war die erste Frage, die er an sie richtete, würde sich aber damit zufrieden geben, egal wie Skadis Entscheidung diesbezüglich ausfiel. „Wie jede gute Geschichte beginnt sie in einer Taverne.“, begann er verheißungsvoller als es eigentlich war. Er entfernte sich ein paar Schritte vom Feuer und setzte sich neben sie auf den Boden. „… Und mit einer Schlägerei, wenn ich mich recht entsinne. An der… Sineca eventuell maßgeblich beteiligt war.“ Er räusperte sich kurz und erinnerte sich zurück an die Trinkernase, die ihn die Tage zuvor einiges an Wettgewinn eingebracht hatte. „Sineca hat sich an einen Tisch geflüchtet, an dem Talin, Shanaya und Aspen saßen. Und was soll ich sagen? Man kommt ins Gespräch. Talin suchte Leute, die bereit waren, bei der Rettung ihres Bruders zu helfen. Und ich hatte rein zufällig nichts besseres vor.“

Für einen Moment sah sie den gewohnten hellen Ausdruck auf seinen Zügen, ehe Liam wieder die Lippen versiegelt und mit gerunzelter Stirn gen Feuer blickte. Was auch immer ihm gerade in den Sinn gekommen war, wartete Skadi geduldig auf eine Antwort und zupfte sich ein paar Holunderbären vom Geäst. Abrupt verzogen sich ihre Mundwinkel zu einem vielsagenden Schmunzeln ob seiner Frage. Da wollte wohl jemand etwas wissen, wie? Doch angesichts seiner Heldentat hätte sie ihm bereitwillig eine sehr persönliche Frage erlaubt. Vorausgesetzt sie musste nicht über die Ereignisse berichten, wegen derer sie nun nickend bei ihm saß, statt auf der kleinen Insel nahe Trithên.
Aufmerksam beobachtete sie Liam bei seinen Ausführungen, dachte einen Moment an das kleine Katzenwesen, dem sie bisher weitestgehend aus dem Weg gegangen war. Manchmal glich das einer absoluten Meisterleistung, denn all zu oft erwischte sie die Sanftpfote bei dem Versuch es sich in ihrer Hängematte gemütlich zu machen oder zu schauen, was sie gerade auf Deck trieb.
“Nichts besseres vor...“, wiederholte sie seine Worte trocken und schob sich ein paar Beeren zwischen die Lippen. Entweder war Liam wagemutig oder recht naiv an die Sache heran gegangen. Über den Ausgang der Geschichte konnte sie sich allerdings herzlich wenig beschweren. “Es ist schon erstaunlich wie viele Zufälle mit einem Mal auf diesem Schiff versammelt sind. Manchmal frag ich mich ob das gut oder schlecht ist.“ Tatsächlich hatte Skadi kurzweilig nach ihrer letzten Unterhaltung mit Shanaya darüber nachgedacht. Auch wenn sie sich letztlich eingestand, dass sie nichts daran ändern konnte, wenn das blanke Chaos ausbrach. Zu gehen war nämlich dank Enrique keine Option mehr.

Ihm entging nicht, dass sie in sich hineinschmunzelte, doch so vielsagend es auch war – es war keine richtige Antwort. Aber er war nicht so sehr darauf angewiesen, als dass er ihr nicht so oder so beantwortet hätte, was sie hören wollte. Das Nicken folgte aber auf dem Fuße. Jetzt, wo er sich daran zurückerinnerte, kam es ihm noch weniger so vor, als wäre es gerade mal einen Monat her, dass er in Tokara über Talin und die anderen gestolpert war. Inzwischen war so vieles passiert. Ein nichtssagendes Achselzucken war Reaktion auf ihre Wiederholung, doch das Lächeln auf seinen Zügen definitiv nicht unzufrieden. „Ich war eh auf der Suche nach einer Mitfahrgelegenheit. Warum also in den Wind schlagen, wenn sie sich bietet?“ So einfach es auch klang, das war tatsächlich seine Intention gewesen. Und früher oder später würde ihn wieder irgendetwas dazu treiben, sich eine andere Mitfahrgelegenheit zu suchen. So war es bislang immer gewesen. „Tja. Das kommt wohl ganz darauf an, was wir daraus machen, hm?“ Zuversicht sprach aus seinen Worten. Er wusste zwar nicht mehr darüber, wohin sie die nächste Reise führen würde, aber er hatte auch kein Problem damit, sich überraschen zu lassen. „Und im Zweifel trennen sich die Wege eben. Die Sphinx ist nicht die Morgenwind.“ Es war wohl klar, wie er seine letzte Aussage meinte, ehe er sich wieder nach vorne lehnte, um der Glut ein wenig mehr Luft zu geben und ein paar der kleineren Äste nachzulegen.

Liam erweckte immer mehr den Eindruck eines Fähnchens im Wind. Es blieb also abzuwarten, wann er wieder verschwinden würde. Wobei die Nordskov viel mehr daran interessiert war zu wissen, was ihn in seinen Entscheidungen lenkte. Es konnten weder Familie noch materialistische Gründe sein, dafür hatte er all zu oft gegenteilige Aussagen getroffen. Vor allem in Punkto Familie vermutete Skadi, dass er ebenso einsam sein konnte wie sie. Er erzählte meist nur von seinem Vater - das war ihr durchaus in den letzten Gesprächen aufgefallen, selbst wenn sie es nicht weiter kommentiert hatte. Und wenn Skadi ehrlich zu sich war, erkannte sie in dem Älteren jene Rastlosigkeit wieder, die zuweilen auch in ihr aufkeimte. “So wie eh und je also.“, entgegnete Skadi schmunzelnd und nahm sich zwei dickere Astgabeln, die sie auf gleiche Länge zu brechen begann. “Ich bin auch sehr froh drum, dass keiner oder sehr viele von euch nicht so sind, wie einige dieser Lackaffen und Arschkriecher.“ Beim letzten Ruck mit beiden Hände gegen das Holz hätte sie sich fast beide Enden in die Oberschenkel gerammt. Das Thema „Männer auf der Morgenwind“ schien wohl immer noch ein kleines rotes Tüchlein zu sein. “Das macht es mir um einiges leichter zu bleiben.“ Ganz davon abgesehen, dass sie ganz bestimmte Gesellschaften mehr als nur genoss.
Geduldig wartete Skadi bis der Lockenkopf wieder auf den Boden zurückgeglitten war und beugte sich dann selbst in Richtung Feuer. Drehte die zwei Astgabeln tief in den weichen Boden, damit sie alsbald den Fisch über die heiße Glut legen konnten. Doch bis dahin ließ sich der dunkle Schopf entspannt auf den Rücken gleiten und streckte sich genüsslich.

„Die Crew ist schon… außergewöhnlich.“, betitelte er es. Doch er war recht glücklich darüber. Vielleicht zogen sie gerade deshalb Leute an, die eben nicht so waren wie alle anderen. Wer sonst hielt es mit einer Gruppe Menschen aus, die chaotisch schien, aber doch erstaunlich gut zusammenarbeiten konnte, wenn es nötig war. Skadi schien umso glücklicher darum, nicht mehr bloß von rangbesessenen Primaten umgeben zu sein. Ihr Glück vermutlich, dass die Crew der Sphinx nicht nur Streuner mit offenen Armen aufnahm, sondern auch durchaus Frauen nicht abgeneigt war. Hätte ein anderes Schiff voller Piraten die Morgenwind überfallen, hätte sie vermutlich zwischen Tod und Menschenhandel wählen können und Liam war sich überraschend sicher, dass er wusste, wie es ausgegangen wäre. Vermutlich aber nicht, ohne einige der Angreifer mit in den Abgrund zu ziehen. Das Feuer war indes auf einem guten Weg, brauchte aber noch ein bisschen Zeit, um an Hitze zu gewinnen. Die Jüngere bereitete inzwischen den Spieß vor, der den Fisch über der Flamme halten würde. Liam begutachtete abwesend abermals die beiden Pfoten auf ihrer Haut, ehe sich sein Blick im wachsenden Lodern des Feuers verlor. „Bleibt halt abzuwarten, wie die Sache mit der Zusammenarbeit die nächsten Wochen funktionieren wird.“, meinte er schließlich und lehnte sich mit einem zufriedenen Gähnen zurück, wo er sich mit beiden Armen am Boden abstützte. „Wenn der Ausnahmezustand dem Alltag weicht.“

Da war etwas dran. Der Alltag konnte er wirklich unter Beweis stellen, wie gut sich die Charaktere auf See verstanden. Hier hatten sie allerlei Möglichkeiten sich gepflogen aus dem Weg zu gehen. Skadi sah für sich selbst allerdings keine Probleme, solange ihr niemand weiß zu machen versuchte, dass sie als Frau an den Herd gehörte. “Wir zwei funktionieren auf jeden Fall ganz gut, meinst du nicht?“ Ein zufriedener Ausdruck spann sich über ihre Züge während sie die Hände hinter den Kopf bettete und mit funkelnden Augenpaaren zu Liam hinauf blickte. Sie würde niemandem etwas vormachen müssen, dass sie sich gut riechen konnten. In den letzten Tagen waren ihre Wege oft über Kreuz gelaufen und hatten sie fast schon mutwillig aufeinander los gelassen. Bisher hatte es immer in reichlich Spaß und erstaunlich tiefsinnigen Gesprächen geendet. Etwas das Skadi innerhalb der letzten Jahre selten erlebt hatte. “Ich kann mich auf jeden Fall nicht beschweren.“ Und da war es wieder, das breite Grinsen, das sie seit dem Tod Ihrer Familie eigentlich als ausgestorben geglaubt hatte.

Hätte er ihre Sorgen gekannt, hätte er sie ihr vermutlich nehmen können. Gerade unter Talin wagte es wohl kaum jemand, die Nützlichkeit von Frauen in Frage zu stellen. Und Liam meinte gewiss nicht das, was sich nun wohl ein Großteil der Seemänner darunter vorstellte. Wem das nicht passte, dem stand es nach wie vor offen, die Crew zu verlassen. Der Lockenkopf bezweifelte keine Sekunde, dass die Blonde bestrebt war, derartige Unstimmigkeiten an Board im Keim zu ersticken. Sie alle wussten, dass sie unter einer Frau segelten. Sich dann zu beschweren, dass sie zwei weitere Frauen an Board hatten, wäre in seinen Augen eine eigenartige Doppelmoral gewesen. Besonders dann, wenn sie sich nützlicher erwiesen als Träumer wie er. Noch bevor sich Liams Blick von den Flammen gelöst hatte, hatte sich ein ehrliches Lächeln auf seinen Zügen ausgebreitet, welches bis zu seinen Augen reichte. „Wenn es darum geht, Kindern ihre Schätze abzujagen, zweifellos.“, stimmte er ihr zufrieden zu. „Oder darum, einen Abend gekonnt zu genießen.“ Liam schien ebenfalls recht zufrieden mit dem, was ihnen die letzten Tage beschert hatten. Er erwiderte Skadis Blick mit gedrehtem Kopf und musste beim Funkeln in ihren Augen unweigerlich zurück an den Moment im unterirdischen Geheimversteck denken. Sein Blick wanderte unwillkürlich über ihre feinen Züge, die rundliche Nase und das verhaltene Kinn. Jetzt, wo er sie so sah, kam es ihm fast undenkbar vor, dass sie es all die Zeit bei der Marine geschafft hatte, als Mann durchzugehen. „Du bist schon was Besonderes.“, sprach er seinen gedanklichen Exkurs schließlich als ehrlich gemeintes Kompliment aus und wendete den Blick hinauf zu den Baumkronen. Das Feuer knisterte mittlerweile leise neben ihnen.

Sein Lächeln bahnte sich nur einen schwachen Weg zu ihr hinab. Wurde erst von seinen Schultern verdeckt, während er sprach und zeigte sich dann in voller Blüte, als er sich herum wandte und ihn das schmunzelnde Antlitz der Nordskov blickte. Sie würde ihm in keinem Punkt widersprechen. Hatte einen hervorragenden Wendigo abgeben, den er spielend leicht zu kontrollieren wusste. Hatte mit ihm betrunken auf dem Fest getanzt und sich seit vielen Jahren wieder frei und ungebunden gefühlt. Womöglich verbrachte sie deshalb so gern Zeit mit ihm, sobald sich die Möglichkeit dazu bot. Liam ließ sie sein, wie sie war - und förderte etwas an ihr zu Tage, mit dem sie ausnahmsweise nicht an sich selbst zweifelte. Es war schön nicht pausenlos über alles nachdenken oder hinterfragen zu müssen.
Ein warmer Hauch umspielte die braun gebrannten Züge, als der Lockenkopf fortfuhr und damit eine brennende Wärme in ihren Bauch pflanzte. Sie spürte wie ehrlich er es meinte und seltsamer Weise glaubte sie sogar, dass ihre Wangen zu glühen begannen. Die Dunkelhaarige hätte sich selbst womöglich nie so bezeichnet. Ganz sicher auch so einige andere nicht, mit denen sie bisher zu tun gehabt hatte. Doch irgendwie gefiel es ihr, dass der Musiker so über sie dachte. Viel zu sehr.
"Muss wohl an deinem guten Einfluss liegen." Für einen Moment hafteten die braunen Augen noch auf seinem Hinterkopf, ehe sie die Lider schloss und sich langsam aufrichtete. Dabei die Beine an den Oberkörper zog und ihren Kopf auf die Knie bettete. "Auf die Gefahr hin ziemlich kitschig zu klingen... ich hoffe dass wir noch viele solcher Momente zusammen erleben." Und nun war es an ihr das warme, ehrliche Lächeln auf ihren Lippen zu spüren, das sich bis zu den brauen Augenpaaren stahl. "Ich habe mich schon lange nicht mehr so sehr wie... ich selbst gefühlt." Es war leise ausgesprochen. Über die Knie hinweg, die ihre Lippen bei den Worten berührten und direkt auf das Feuer gerichtet waren, das langsam zurückging und eine schillernde Glut hinterließ. Immer noch haftete die leichte Röte auf ihren Wangen, verschmolz mit dem zufriedenen Lächeln auf ihren Zügen.

Wann hatte er sich das letzte Mal so leicht gefühlt? Und zwar nicht die Leichtigkeit, weil er sich keine Sorgen darum machte, wie er auf andere wirkte – sondern die Leichtigkeit, wirklich er selbst sein zu können. Mit all den Träumen und kindlichen Gedanken, die nun einmal zu seiner Welt gehörten. Mit all der Abenteuerlust, dem Optimismus und der wohlgewählten Naivität, die ihn dazu veranlasste, sämtliche Situationen mit einer ‚wird schon werden‘-Einstellung zu nehmen. Mit all der Einfachheit, die ihn ausmachte und der Stille, die sich manchmal zufrieden über sein Gemüt legte. Liam musste unweigerlich zurück an die Zeit denken, die er mit Alex und Lubaya über wilde Inseln gezogen war, um Freibeutern den Schatz abzujagen. Es war eine Freiheit gewesen, die man eigentlich nur als Kind spürte. Eine Unbekümmertheit, die die Freiheit fast schon perfekt machte. Er kannte Skadi bislang nicht gut genug, um sie mit den alten Zeiten vergleichen zu können, aber sie war auf einem guten Weg dahin. Eine Bekanntschaft, die man nicht allzu oft machte. Eine Chemie, die von Anfang an stimmte und selbst kurze Zeit wie eine Ewigkeit erscheinen ließ.
Obwohl er in Gedanken versunken zum Kronendach hinaufsah, schaffte es Skadis Stimme, ihn wieder ins Hier und Jetzt zu holen. Er gluckste belustigt, stützte den Oberkörper wieder etwas auf und spähte abermals in ihre Richtung. „Guter Einfluss. Kommt ganz drauf an, aus welcher Perspektive.“ Im Vergleich zu schmierigen Seemännern und blutrünstigen Piraten zweifellos. Aus Blick der höheren Gesellschaft war er wohl eher ein Nichtsnutz, der seine Bildung in den Dreck befördert hatte. „Das klingt in der Tat ziemlich kitschig.“, gab er zu, lächelte aber. „Aber ich wüsste auch nicht, wie ich es anders sagen sollte. Jedenfalls nicht ohne eine Flasche Bier oder Rum, um einfach darauf anzustoßen.“ Da waren sie tatsächlich etwas unvorbereitet gewesen. Aber fürs nächste Mal wussten sie es jetzt ja besser. Als sie fortfuhr, erhellten sich seine Züge erfreut, doch ein großes Wunder war es nicht. „Wie lange war Kaladar bei der Marine?“, weckte es die Frage in ihm und er unterschied absichtlich in Kaladar und Skadi. Nach einer kurzen Pause erhob er sich und legte nun die größeren Holzstücke auf das Feuer. Allmählich konnten sie den Fisch anbringen. „Wo hattest du den Fisch? Das sollte jetzt genug Hitze sein.“ Genug Hitze, dass sie vermutlich auch bei Sonnenuntergang noch ausreichend davon haben würden.

"Aus meiner eigenen natürlich.", entgegnete sie postwendend und schnaubte. Er konnte sich selbst vielleicht als Engel bezeichnen, doch Skadi würde ihn nie als Teufel in Gestalt eines hübschen Musikers sehen. Und wenn musste Liam wohl einiges mehr an Unfug anstellen, damit sie ihn wie eine große Schwester zurechtweisen wollte.
Kurz zuckte es in ihrem Mundwinkel, als der Lockenkopf ihre halb ausgesprochene Befürchtung zementierte und kurz darauf wie eine Seifenblase aufsteigen ließ. Mochte sein, dass ihre ehrlichen Worte etwas sentimental waren und es durchaus erstaunlich war, wie leicht sie ihr vor dem Lockenkopf aber nicht vor Enrique über die Lippen glitten. Ändern konnte und wollte die Nordskov aber nichts daran. Geschweige denn tiefgreifender darüber nachdenken.
"Merken wir uns für morgen.", gab sie mit einem Lächeln zu Protokoll und richtete sich wieder auf. Bewegte ihre Schultern in kreisenden Bewegungen und streckte sich erneut. Wann immer sie in einer Position verweilte, spürte sie diesen unbändigen Drang in ihren Muskeln. Liams Frage holte sie just in die Gegenwart zurück und hinterließ eine Grübelfalte zwischen den dichten Augenbrauen. Früher hatte sie es bis auf den Tag genau gewusst. Doch seit einigen Wochen verschwammen die Grenzen allmählich.
"4 oder 5 Jahre.", schätzte die Dunkelhaarige und verzog nachdenklich die Lippen. Doch ob es nun ein Jahr mehr oder weniger war, blieb letztlich irrelevant. Das Ergebnis zählte. Und da der Lockenkopf ohnehin das Thema wechselte, begnügte sich Skadi damit, ihm den Fisch zu reichen und wieder geräuschvoll auf den Rücken fallen zu lassen. Streckte dabei alle Viere von sich wie ein Seestern und starrte auf das dichte Blätterdach. Nur stellenweise erkannte sie den Himmel, der allmählich an Helligkeit verlor und rötlich färbte. Es musste wohl auf den späten Nachmittag zugehen. Ein Rumoren durchfuhr ihren Bauch und ließ Skadi blinzeln. Wenig später sogar zurück auf ihre Beine rollen, ehe sie sich aufsetzte und spürte, wie die Hummeln in ihrem Hintern surrten. Sie konnte nicht mehr sitzen. Musste sich mit irgendetwas beschäftigen, bevor sie dazu überging den Musiker stumm bei seiner Arbeit zu beobachten.
Mit einem Seufzen richtete sie sich also vom Schneidersitz zur vollen Größe auf und ließ den Blick planlos über die umliegenden Büsche und Baumstümpfe gleiten. Wischte sich dann mit beiden Händen durch die kurzen, offenen Haare, ehe sie sich zu Liam herum wandte und mit einem "Ich geh mich kurz waschen." um die eigene Achse drehte. Wie von selbst glitt das lederne Wams von ihren Schultern, kaum dass Skadi die Schnallen an der Forderseite gelöst hatte und das enge Oberteil von ihrem Körper zog. Es dann auf dem Felsen ablegte, an dessen Fuß sie ins Wasser stieg und wenig später gänzlich im Fluss untertauchte.
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#3
Liam schwieg, doch sein Gesicht zeigte eindeutig das Erstaunen, welches ihn durchfuhr. Skadi hatte sich damit vermutlich selbst eine Antwort gegeben und 4 oder 5 Jahre waren eine beachtliche Zeit – besonders, wenn man sie nicht als man selbst verbrachte. Er schaffte sowas vielleicht einen Tag lang, vielleicht noch zwei, aber über Jahre hinweg jemanden mimen, der man nicht war und Gefahr laufen, nicht minder bestraft zu werden, wenn man aufflog? Allein dafür gebührte Skadi definitiv Respekt und Bewunderung. Ganz gleich, was ihre Gründe dafür gewesen waren. Es fühlte sich noch nicht nach dem richtigen Zeitpunkt an, sie zu erfragen. Eine Rolle spielte es nicht. Wenn, wäre es reine Neugier gewesen. Liam nahm den Fisch entgegen und drapierte ihn an der Vorrichtung, die die Jüngere bereits aufgestellt hatte. Er sah jetzt bereits verführerisch aus und beim Anblick wurde ihm auch wieder bewusst, wie hungrig er mittlerweile eigentlich war. Die Zeit war so schnell verflogen, dass er nicht einmal sagen konnte, wie lange sie jetzt schon hier waren. Aber wenn es nach ihm ging, konnte es ewig so weitergehen. Er nickte, als Skadi beschloss, sich kurz waschen zu gehen, kümmerte sich aber erst noch darum den Fisch richtig zu befestigen, damit er nicht in die heiße Asche fiel. Als er sich umdrehte, hatte sie ihr Oberteil bereits bei seinen Schuhen fallengelassen. Der Lockenkopf erhaschte nur einen flüchtigen Blick auf das ganze Bild, welches ihren Rücken zierte, ehe die elegante Gestalt auch schon im Wasser verschwand. Ein unwillkürliches Lächeln zuckte über seine Lippen, während er einfach den Anblick genoss, der sich ihm bot. Er hatte keinen Grund, heimlich hinzusehen, immerhin war der Umstand, dass sie sich hier und jetzt dazu entschloss, baden zu gehen, eine förmliche Einladung, die er gerne annahm. Nicht auf die gierende und sabbernde Art, sondern auf die Art, die schöne Dinge einfach zu schätzen wusste und deren Interesse fast einem Kompliment gleichkam. „Wie viele Geheimnisse bräuchte ich eigentlich, um die Bedeutung hinter jeder Bemalung zu erfahren?“, fragte er schließlich neugierig, als Skadi wieder aufgetaucht war. Sie konnte ruhig wissen, dass er hinsah, falls sie es noch nicht bemerkt hatte.
Es war ihm anzusehen, wie viel Bewunderung er für sie übrig hatte, angesichts ihres langen Atems und der Tatsache, so viele Jahre unentdeckt auf der Morgenwind als Mann gelebt zu haben. Doch sie verschwieg ihm, dass es ohne Enrique wohl nicht dazu gekommen wäre. Dass es ihn gebraucht hatte, um sich die lästigen Kerle vom Hals zu halten, die Nachfragen stellten. Denen vielleicht das 1 Mal 1 etwas spät in den Sinn kam, an dessen Gesicht man dennoch deutlich die Skepsis erkennen konnte. So sehr sie auch die Tatsache hasste, nichts davon bemerkt zu haben, so sehr schätzte sie den ehemaligen Offizier für seine anfängliche Neugierde, die Monate später zu einer unangefochtenen Loyalität wurde. Womöglich konnte sie ihn deshalb nicht von sich stoßen, wenn ihr die Emotionen zu nah vorkamen. Wenn sie sich angreifbar fühlte, weil da etwas war, was sich verdächtig in Richtung "Familie" entwickelte.
Skadi wischte all diese Gedanken vom Körper, buchstäblich. Tauchte in das kühle Nass ein, das ihren Körper eisig umspielte und tauchte tief einatmend wieder auf. Gott tat das gut! Wie sehr würde sie diese Möglichkeit vermissen, sobald sie in See stachen und es nur noch Regen oder Salzwasser zur Körperpflege gab. Erst als Liams Stimme die Stille und das Knistern des Feuers durchbrach wandte sich Skadi herum. Wirbelte die schillernde Wasseroberfläche auf und musterte Liam eine Weile, ehe sie sich grinsend von den Knien erhob und bis zur Hüfte im Wasser stand. "Einige... ", raunte sie dem Lockenkopf entgegen und zog vereinzelte Tropfen von ihrem dunklen Schopf. Fuhr sich mit kreisenden Bewegungen beider Hände über die Haut, um den letzten Rest Erde zu entfernen, der von ihrer Suche im Unterholz übrig geblieben war. "Aber wenn du keine mehr hast, bin ich offen für andere Vorschläge." Es erklang so beiläufig aus ihrem Mund, während sie bis zu den Schulter in den Fluss zurück tauchte und den Kopf in den Nacken legte. Die Spitzen ihrer Haare mit den Fingern knete und darauf wartete, was Liam aus diesem Angebot heraus schlug. Wenn er sich clever anstellte, konnte er nahezu alles verlangen.
Als sich Skadi herumdrehte, verdeckte sie ihm die Sicht auf die Malerei auf ihrem Rücken, eröffnete ihm aber gleichzeitig einen Anblick, der kein bisschen schlechter war. Sein Blick wanderte über das Zeichen ihrer Heimat über ihren Oberkörper zurück zu ihrem Gesicht. Auf seinen Zügen zeichnete sich ein Ausdruck ab, der nicht wirklich abgeneigt wirkte – ob nun des Anblicks oder des Ausblicks wegen, dass es anscheinend noch einiges zu entdecken gab, blieb offen. Liam biss sich unwillkürlich auf die Lippen und erhob sich, um abermals nach dem Fisch zu sehen, der im heißen Rauch vor sich hin garte. Eine Handlung, die er nicht tat, weil sie nötig war, sondern weil er etwas hatte tun müssen, was nicht nur daraus bestand, dazusitzen und sie dabei anzusehen, wie sie sich wusch. Mit einem Mal erinnerte ihn die Stimmung mehr an die letzten Minuten, bevor sie mit ihrer Beute aufgebrochen waren. Nicht mehr die beiden Kinder, die sich an der gemeinsamen Zeit erfreuten, die sie hatten. Hier standen zwei erwachsene Menschen, die noch immer etwas unkoordiniert austesteten, wie weit sie gehen konnten. Wie weit sie gehen mussten. Auch, als Skadi in fast beiläufigem Ton fortfuhr, machte es das nicht wirklich besser. Doch er blieb ihr eine Antwort schuldig – vorerst – schlenderte stattdessen zurück zum Felsen, auf dem ihr Oberteil gemeinsam mit seinen Schuhen lag und ging dort, wo sie vorhin bei der Jagd ins Wasser gestiegen waren, in die Hocke. „Ein paar Nettigkeiten?“, wiederholte er ihre Wortwahl von eben und lächelte. Nicht das typische optimistische Liam-Lächeln, sondern ein erwachseneres, charmanteres Lächeln. Von hier hatte er nicht nur bessere Sicht, sondern befand sich auch knapp auf Augenhöhe mit ihr, wenn sie stand. Ihm mangelte es gerade nicht an Geheimnissen – eines hatte er ja ohnehin noch gut! – aber für den Moment waren die Bedeutungen beiläufig geworden.
Jeder Blick aus diesen braunen Augen hinterließ ein angenehmes Kribbeln auf ihrer Haut. Breitete sich einem Lauffeuer gleich über die Nervenbahnen ihres Körpers aus und sammelte sich in ihrer Mitte. Wie lange war sie so schon nicht mehr gemustert worden. Vom Scheitel bis zu jenem Punkt, den Liam von seinem Platz am Feuer aus noch erkennen konnte. Skadi machte sich nicht die Mühe die Monate und Jahre zu zählen. Erlaubte es lieber dem süffisanten Ausdruck auf ihren Zügen eine angetane Note zu verleihen, die unweigerlich ihre geschwungenen Brauen tanzen ließ. Das Lächeln auf ihren Lippen hatte kaum mehr etwas mit dem gemein, dass sie noch wenigen Minuten voller Zufriedenheit mit sich und der Welt getragen hatte. Und ganz offensichtlich spiegelte es eben jenen Anblick, den sie mit wachsamen Augen verfolgte. Seine Bewegungen flossen wie in Zeitlupe dahin, als sich der hoch gewachsene Körper endgültig vom Feuer entfernte und auf den Felsen zusteuerte. Als wäre ihr Kopf in Watte gehüllt und nur noch zu wenigen, sehr eindeutigen Gedanken fähig. Unweigerlich wurde das Lächeln auf ihren vollen Lippen breiter, kaum dass der lockige Schopf wenige Armlängen von ihr entfernt zum Stehen kam und in die Hocke ging. Wie von selbst sogen seine warmen Augenpaare Skadis ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ketteten sie mit Leib und Seele an sich, ohne dass sie sich zur Wehr setzte. Sie nahm alles was kam - ganz gleich wie intensiv oder spürbar diese Situation werden konnte, die ein feuriges Knistern zwischen Ihnen freisetzte. Liams Worte nahm Skadi nur beiläufig war. Konzentrierte sich zu sehr auf die Bewegungen seines Mundes und grinste verstohlen, als die Zweideutigkeit seiner Wortwahl ihr Bewusstsein und ihre Libido erreichte.
Biss sich daraufhin ihrerseits auf die Lippen, ehe sich der schmale Körper mit langsamen Schritten in Bewegung setzte. Leise plätscherte das Wasser um ihre Hüfte. Wurde stetig von den langen Fingern der Nordskov unterbrochen, die sich nach wenigen Herzschlägen auf dem angenehm kühlen Felsrand niederließen. Langsam lehnte sich der dunkle Haarschopf voraus. Überbrückte die kleine Distanz, die noch geblieben war und hielt nur knapp einen Wimpernschlag vor seinen weichen Zügen inne. Hielt die braunen Augenpaare fest auf die seine gerichtet und genoss die Wärme seines Atems auf ihren Wangen. “Was schwebt dir denn so vor mein Hübscher?“, flüsterte sie gegen seine Lippen und lächelte verwegen. Abwartend und ziemlich hungrig.
Die freizügig bekleideten Damen, die sich rund um die Bordelle aufhielten, hatten ihn noch nie reizen können. Wenn er ehrlich war, fand er derart günstige und leidenschaftslose Angebote sogar ziemlich unangenehm. Schauen war erlaubt, aber er hatte mittlerweile für sich festgestellt, dass ihm der Gedanke, eine Frau dafür zu bezahlen, mit ihm ins Bett zu gehen, sehr abstoßend fand. Liam war insgesamt kein Mann, der sich jede Chance zu nutzen machte, die sich ihm bot. Er sah in einer solchen Zusammenkunft nicht bloß die simple Befriedigung der Triebe, die sie nun einmal alle erfüllten, sondern gleichzeitig eine gemeinsame Beschäftigung, die es so schön zu gestalten galt wie möglich. Chemie spielte eine große Rolle, ganz abgesehen von einer gewissen Vertrautheit, die nicht unbedingt alt sein musste. Mit einer Fremden ins Bett zu steigen, kam ihm genauso wenig in den Sinn wie mit jemandem, der ihm nicht sympathisch war. Er wusste, dass er diesbezüglich vielleicht ein bisschen zu ‚romantisch‘ statt praktisch veranlagt war, doch er konnte sich ganz und gar nicht beschweren. Er mochte keine Frauen, die einfach zu haben waren. Ihn reizte Sympathie und in Skadis Fall ganz bestimmt auch das Geheimnis, welches sie umgab. Sonst hätte er sich vermutlich weiterhin voll und ganz mit Schauen zufriedengegeben, während sie im Flusswasser verdurstet wäre.
Jetzt aber spürte er die Unruhe, die Skadi in ihm geweckt hatte. Spürte die Hitze und das dumpfe, warme Gefühl in seinem Kopf, welches jegliche Gedanken ins Belanglose überwandern ließ, die nicht direkt mit der jungen Frau vor ihm zu tun hatten. Sein Körper war erfüllt von Kribbeln, sodass er ihn viel bewusster wahrnahm als sonst. Bewusster und empfindlicher gegenüber jeglicher Berührung. Er wartete geduldig auf seiner erhobenen Position, bis sich die elegante Gestalt der Jüngeren ganz so, wie er es erwartet hatte, zu ihm hinüberbewegt hatte. Kaum eine Hand breit von ihm entfernt kam sie zum Stehen, erwiderte seinen Blick erwartungsvoll und mit der gleichen Vorfreude gespickt, die auch ihn erfüllte. Und das hier war vermutlich der intensivste Moment, der ihnen bevorstand. Während die Triebe ihre Körper von innen aufheizten und die Spannung förmlich greifbar in der Luft lag. Liam genoss den Augenblick und schenkte Skadi nicht mehr als ein vielsagendes Zucken seiner Mundwinkel. Er hätte sich nur noch ein Blatt breit nach vorne lehnen müssen, um seine Lippen auf ihre zu legen, doch für einen Sekundenbruchteil musste sich Skadi noch gedulden. So lange, bis er sich kurzerhand neben ihr hinunter ins Wasser hatte gleiten lassen, ihre Hüften sanft mit seinen Händen umfasst und sie zu sich gezogen hatte, um seine Lippen auf ihre zu legen.
Die Luft flimmerte spürbar um sie herum. Trug ein kaum hörbares Knacken und Knistern in sich, das sich wie ein Funkenflug auf Skadis Körper nieder ließ. Auch wenn Liam ihr eine Antwort schuldig blieb, während er schweigend zu ihr hinab sah, konnte niemand mehr leugnen, dass der Schalk der aus ihren Augen strahlte nicht nur ein Spiel war, dessen sie sich seit Tagen angenommen hatten. Das was sich hier innerhalb der letzten Distanz offenbarte, war glühend heiß und hochgradig entflammbar. Für Skadi gab es kein Zurück mehr, sofern Liam selbst nicht die Reißleine zog. Denn das hier durchquerte ihren Körper wie ein Funkenregen, der immer wieder entbrannte, kaum dass sich die braunen Augenpaare des Lockenkopfes auf sie richteten. Was auch immer sie so sehr an ihm in Versuchung brachte, interessierte sie in jenem Moment nicht mehr. Es war unwichtig geworden als sich Liam mit einem Zucken in den Mundwinkeln vom Felsen gleiten ließ und mitsamt Kleidung ins Wasser tauchte. Es war unwichtig geworden, als er mit den Füßen voran die Oberfläche durchbrach und kleine Wellen fast schon eisig gegen ihre nackten Beine schwappten. Für einen kurzen Moment verließ jegliche Luft ihre Lungen und kehrte mit einem kräftigen Herzschlag zurück, als die warmen Hände des Musikers ihre Hüften umfassten und sie leicht und spielend wie eine Puppe zu sich heran zogen. Ganz von selbst umschlagen die langen Arme der Nordskov seinen Nacken. Zogen sie jene Zentimeter weiter hinauf und an ihn heran, die sie mit ihren Zehenspitzen nicht mehr erreichte.
Lehnte sich genüsslich in den sinnlichen Kuss hinein, den Liam ihr von den Lippen stahl und überließ nun mehr ihrem Körper jegliche Kontrolle. Minuten vergingen, in denen sie ihre Hände über seinen Nacken, seine Haare und seinen Oberkörper gleiten ließ. Ihn allmählich von seiner Kleidung befreite, die mit einem lautstarken Aufprall auf dem Felsen landete, gegen den sie nun dicht gelehnt stand. Genoss die intensiven Berührungen auf ihrer Haut, das Kribbeln, das der Musiker immer wieder durch ihre Nervenbahnen jagte, wenn er sie küsste und mit diesem anzüglichen Blick bedachte, der zu einem ganz neuen und aufregenden Liam gehörte. Liebte den Geschmack seiner Lippen und seiner Haut auf ihrer Zunge, wann immer sie seinen Körper mit Küssen bedeckte. Schlang ihre Beine sanft aber bestimmt um seine Hüfte, während sie sich abermals an seinem Nacken hinauf zog und tief die kühle Abendluft in ihre zitternden Lungen sog. ---- Binnen weniger Minuten war der einst strahlend blaue Himmel in tiefes Rot getaucht. Ließ sein warmes Licht nur noch diffus durch die dichten Baumkronen, unter denen das kleine Lagerfeuer weiter vor sich hin knisterte.
Nur langsam ließ sich Skadi an Liams Seite gleiten. Spürte wie ihre Lungen nach Sauerstoff lechzten und ihr Herz spürbar gegen ihren Kehlkopf und ihre Brust trommelte. Sanft umschlang sie seinen Oberkörper mit einem Arm und hinterließ einen fast schon liebevollen Kuss auf seiner Brust. Musterte aus funkelnden Augenpaaren das rot gefärbte Gesicht und grinste ein wenig verwegen. Nie hatte sie geglaubt, dass es so zügellos und befreit werden würde. Doch offensichtlich hatte sie den Liebhaber in ihm unterschätzt. Wenn sie irgendwann einmal darüber nachdenken würde, hätte ihr klar sein müssen, dass Liams Einfühlsamkeit und Hingabe in vielerlei Hinsicht von Vorteil waren. Für sie stand jedoch jetzt bereits ganz klar fest: das hier würde sie auf jeden Fall noch einmal wiederholen wollen. "Alles okay?", glitt es etwas außer Atem über ihre Lippen, während sie die langen Finger auf seine Brust bettete und ihn aufmerksam musterte.
Der Moment, in dem ihm die Entscheidung oblegen hatte, wie diese Begegnung ausgehen würde, gehörte schon lange der Vergangenheit an. Er wäre ein Idiot gewesen, hätte er angenommen, er hätte seine Schritte noch beeinflussen können, als sie ihn langsam schlendernd in ihre Richtung getrieben hatten. Seine Gedanken hatten bereits da nur noch um eine Sache gekreist. Liam hatte sich der Verführung hingegeben und spätestens, als seine Hände sanft ihre Hüfte umfassten, schien der Ausgang dieser Situation besiegelt. Die Hitze ihres Körpers brannte angenehm unter seinen Händen während er ihrem Griff nachgab und seine Lippen immer wieder die ihren suchten. Langsam erkundete er ihren Körper – jetzt nicht mehr mit den Augen sondern physisch. Gierig sog er ihren Duft ein, der sich spielend mit dem herben Duft des Feuers mischte, welches leise knackend in den Hintergrund gerückt war. Er spürte ihre Hände auf seiner Haut, die ihm nach und nach die Kleidung vom Körper streiften, liebkoste ihren Hals und ließ sie die Lust in seinen Lenden spüren, bevor sie sich gänzlich einander hingaben.
Sein Herz klopfe aufgeregt aber zufrieden gegen seine Brust, als er sich rücklings an den Felsen lehnte und die Luft einsog, als wäre ihm die letzten Minuten ganz entgangen, wie wichtig atmen eigentlich war. Er hatte sich von Skadi gelöst, spürte aber noch immer ihre Nähe auf seiner Haut und hörte das aufgeregte Kopfen ihres Herzens hinter ihrer Brust. Das dumpfe Gefühl in seinem Kopf ließ allmählich nach, je mehr Blut wieder die Teile seines Körpers durchflutete, die in den vergangenen Minuten guten Gewissens vernachlässigt worden waren. Eine seiner Hände ruhte noch immer auf ihrer schweißnassen Haut und genoss das Zittern, das unscheinbar darunter pulsierte. Als ihre Stimme noch ein wenig atemlos an seine Ohren drang, holte er noch einmal tief Luft und genoss den Augenblick. Langsam flog sein Blick erst zu ihrer Hand hinab, die auf seiner Brust ruhte, ehe sich seine Augen wieder auf ihre erschöpften, aber glücklichen Züge legten. Auf seinen Lippen erschien unwillkürlich ein glückliches Lächeln, alles andere wäre auch eine Lüge gewesen. „Könnte kaum besser sein.“, versicherte er ihr und hauchte ihr abermals einen kleinen Kuss auf die Stirn.
Erst jetzt hatte er die Gelegenheit dazu, sich darüber bewusst zu werden, dass er damit nicht gerechnet hatte. Zufrieden flogen seine Augen kurz zum feurigen Horizont, der verstohlen zwischen den Lücken im Blätterwerk zu ihnen hinunterspähte. Das Feuer knisterte noch immer melodisch in der einsetzenden Dämmerung und wurde von Grillen und Zikaden begleitet, die unsichtbar im Geäst hockten. Ein kurzes, angenehmes Schaudern durchfuhr ihn bei Skadis Berührung, ehe er wieder zu ihr hinuntersah. „Stimmt schon. Miluis Natur hat einiges zu bieten.“, bemerkte er schließlich mit einem vielsagenden Grinsen und wischte sich mit der freien Hand eine Locke aus dem Gesicht.
Ihre Lungen brannten, wann immer sie tief einatmete und ihr Herz ermahnte, leise zu sein. Sich nicht gegen ihre Rippen aufzubäumen, die unter dem Druck zogen und ziepten. Doch Skadis Gedanken kreisten keine Sekunden lang um den angenehmen Schmerz. Sie waren vollkommen auf den hoch gewachsenen Körper fixiert, den sie noch einmal genüsslich grinsend in Augenschein nahm. Daraus war wohl der Stoff ihrer nächsten Träume gemacht, schätzte sie. Zumindest würde sie diesen Anblick für lange Zeit in ihrer Erinnerung abspeichern, sofern das hier eine einmalige Sache bleiben sollte. Letztlich konnte sie nicht in den Kopf des schönen Musikers hinein blicken - was an und für sich eine Schande war. Sie hätte so viel mehr schöne Dinge gesehen, als das, was er ohnehin auf seinen offenen Zügen trug, die Skadi, kaum dass seine Lippen ihre Stirn berührten, mit einem warmen Schimmern in den braunen Seelenspiegeln musterte. Es war schon ziemlich verrückt, wie nah sie sich mit einem Schlag waren, obwohl ihre erste Begegnung alles andere als "herzlich" gewesen war. Selbst die Jägerin hätte nie damit gerechnet auf dem Schiff auf jemanden zu treffen wie ihn, geschweige denn nach so kurzer Zeit an sich heran zu lassen - wenn auch nur auf körperlicher Ebene.
"Ich hätte nicht gedacht, dass sie so wild sein kann.", fügte sie grinsend hinzu und lehnte sich mit der Hüfte gegen den Felsen. "Solche Ausflüge sollten wir häufiger machen." Dabei war es vollkommen egal, ob in die Natur, eine Abstellkammer oder eine dunkle Seitengasse, Skadi war da absolut von Scham befreit. Vielleicht würde sie den Anblick des Musikers in seinem schönsten Kostüm nicht mit der allgemeinen Öffentlichkeit teilen. Doch der Nervenkitzel der schummrigen Schatten hatte definitiv etwas für sich. Mit einer Leichtigkeit fuhren die langen Finger ihrer freien Hand durch seine dichten Locken. Fühlten noch einmal dem Empfinden nach, das allmählich zwischen ihren Lenden zu einem angenehm Surren abflaute, ehe sie sich ein letztes Mal über ihn beugte und einen Kuss von seinen Lippen raubte. "Ich schau mal was der Fisch macht." Es fiel ihr schwer sich von der Wärme zu entfernen, die Liam ausstrahlte und ihren ganzen Körper damit füllte. Doch das hier war rein körperlich - sie musste oder sollte nicht bei ihm bleiben, bis sie in seinen Armen einschlief. Sowas hatte sie vielleicht früher einmal getan, als es Menschen gab, die sie über alles liebte. Doch nun konzentrierte sie sich auf die wesentlichen Dinge. Ließ den jungen Mann im Wasser zurück, während sie langsam auf die knisternde Glut zulief und mit einer Armlänge Abstand davor in die Hocke ging. “Wow… er ist nicht angebrannt!“
Ihm fiel es nicht schwer, sich ganz dem Moment hinzugeben, ohne über irgendetwas nachzudenken als das Hier und Jetzt. Die Vergangenheit war ebenso unwichtig wie die Zeit, die sie erwartete. Vielleicht wäre es an der Zeit gewesen, sich zu fragen, was diese Eskapade nun für die anfängliche Freundschaft bedeutete, die zwischen ihnen aufgeblüht war, doch Liam war eher die Art Mensch, die es auf sich zukommen ließ, statt sich vorher den Kopf darüber zu zerbrechen. Die Nähe zwischen ihnen war zweifellos ein angenehmes Gefühl, für den Augenblick jedenfalls, denn dass es sich bald schon wieder ändern würde, stand zumindest für Liam keine Sekunde in Frage. Umso intensiver nahm er die Distanzlosigkeit in sich auf und genoss sie, bevor der Augenblick verflogen war. Als Skadi seiner Bemerkung etwas anfügte, zog sich sein Grinsen nur zustimmend noch etwas weiter. „Ich hätte nichts dagegen einzuwenden.“ Für ihn hörte sich das ganz danach an, dass sie die ähnliche Vorstellung hatten, selbst wenn sie das nicht explizit geklärt hatten. Er erwiderte ihren Kuss, ehe seine Finger ein letztes Mal über ihre Haut glitten, als sie sich von ihm löste. Den Fisch hatte er völlig vergessen gehabt und jetzt, wo Skadi ihn erwähnte, schrieb er ihn im Grunde bereits ab.
Wie viel Zeit auch vergangen war – er hatte keine Ahnung – dass ihre eigentliche Mahlzeit so lange überlebt hatte, bezweifelte er. Erst, als die Jüngere das Ufer bereits erreicht hatte und zum Feuer hinüberschritt, stieß er sich vom Felsen ab und klaubte seine Klamotten wieder zusammen, um mit ihnen im Arm zurück ans Ufer zu treten. „Wirklich?“, fragte er ungläubig, machte aber keine Anstalten, selbst nachzusehen. „Dann haben wir noch ein bisschen Zeit?“ Mit einer Hand wies er über seine Schulter zurück zum Felsen, der Schelm hatte sich aber längst wieder auf seinen Zügen eingenistet. Letztlich zog er sich die teils nasse Hose wieder über, ehe er sich in einem angenehmen Abstand zur Glut auf dem Boden niederließ und Skadi erwartungsvoll anblickte. „Ich bin gespannt, was du da gezaubert hast. Und ob ich es überlebe.“
Es amüsierte sie, mit welcher Leichtigkeit ihm die Worte über die Lippen glitten. Ohne mit der Wimper zu zucken, erklärte er sich damit einverstanden diese Einmaligkeit zu einer zwanglosen Regelmäßigkeit werden zu lassen. Und Skadi spürte bereits, wie ihr Körper vor Freude jubelte und nur im letzten Moment eine Gänsehaut verhindern konnte. Nun war es also - wenn auch nicht im Detail besprochen - beschlossene Sache. Nichts worüber sie sich in Zukunft noch einmal Gedanken machen musste. Liam und sie standen auf Augenhöhe in dieser Angelegenheit. Keiner musste in geraumer Zeit damit rechnen, den anderen zu verletzten, weil sie sich wortlos im Klaren darüber waren, was das hier werden sollte. Und eben jener Ausdruck auf seinen Zügen spiegelte sich immer mehr auf dem ihrigen ab. Selbst als sie sich abwandte und zum Feuer zurück lief. "Wirklich.",entgegnete die Dunkelhaarige, während sie den Fisch kurz auf die andere Seite wandte und bereits den angenehmen Duft wahrnahm, ehe Liam sie mit seinen Worten zum Lachen brachte. "Du solltest deinen Nachtisch genießen mein Lieber." Nicht, dass sie jetzt sein Angebot abgelehnt hätte, doch sie konnte sich noch recht daran erinnern, wie hungrig er gewesen war, bevor sie sich dazu entschlossen hatte ein Bad im Fluss zu nehmen. "Solange du keine Gräten verschluckst, sollte es gehen.", erwiderte Skadi mit einem Grinsen und erhob sich zur vollen Größe. "Ich hol eben meine Sachen, du kannst schonmal anfangen." Damit wandte sich vom Feuer ab und sammelte ihr Lederwams, Schuhe, Leinenhose und Unterhose vom Boden auf. Zog sich Kleidungsstück für Kleidungsstück auf ihrem Weg zurück zum Feuer über und ließ sich dann an Liams Seite nieder.
Na, wenn er nichts zu befürchten hatte, würde es doch gleich umso besser schmecken. Tatsächlich wäre Liam recht einfach zu vergiften gewesen, so ganz ohne Skepsis und Misstrauen. Aber welchen Grund hätte sie auch haben sollen. Und wenn sie jetzt nicht ähnlich fröhlich gestimmt war wie er, wusste er auch nicht. Liam für seinen Teil jedenfalls hielt es für sehr unwahrscheinlich, dass ihm heute noch einmal irgendetwas die Laune verderben würde. Als Skadi sich umwandte, um sich ebenfalls wieder anzuziehen, erhaschte der Lockenkopf einen weiteren Blick auf die Zeichnung auf ihrem Rücken, wandte den Blick dann allerdings ab, um ihre Mahlzeit vorzubereiten. Er legte sein Leinenhemd neben sich, erhob sich auf die Knie und zog vorsichtig einen flacheren Stein aus dem Steinkreis heraus, um kurz darauf das eine Ende des Spießes, an dem der Fisch nun wohl duftend hing, daraufzustützen. Als er fertig war, war Skadi auch bereits zurück. Liam freute sich ungemein über ihren Fang. Besser konnte der Abend doch wirklich nicht mehr werden. Wie erwartet war der Fisch im Zusammenspiel mit den gesammelten Kräutern und Pilzen eine Wohltat. Einfach zwar, doch wenn es nach Liam ging, brauchte Gegrilltes gar keinen allzu großen Aufwand, um gut zu schmecken. Auch sein Magen freute sich über die Speise, nachdem er eben noch von seinen Trieben völlig mundtot gemacht worden war. „Echt gut.“, bedankte er sich ziemlich zufrieden, ehe er sich einen weiteren Bissen in den Mund schob. „Du könntest Rayon sicherlich gut in der Kombüse unterstützen.“
Klimpernd rutschte der letzte Verschluss ihres Bustiers in die Lasche, während sich die Nordskov im Schneidersitze auf den Waldboden niederließ. Sichtlich zufrieden mit sich und der Welt und einem glücklichen Lächeln auf den Zügen. Kurz blickte sie auf, als sich Liam das erste Stück zwischen die Lippen schob und ihr ein ernst gemeintes Kompliment aussprach. Es beruhigte Skadi zumindest in dem Lockenkopf einen unkomplizierten Esser gefunden zu haben. Wenn sie so an ihre Brüder zurück dachte, hatte sie regelmäßig einem von ihnen die Ohren lang gezogen, sobald er aufmüpfig wurde und ihr Essen verschmähte. "Wer glaubst du war an deinem letzten Eintopf beteiligt?" Grinsend zupfte Skadi etwas Fleisch von ihrem Fisch und genoss den sanften Geschmack auf ihrer Zunge. Die Kräuter harmonierten perfekt mit dem sehr eigensinnigen Geschmack des Tieres. "Ich bin froh, dass er mich mehr machen lässt, als nur die Tiere auszunehmen, die ich schieße." Sie wollte nicht den Eindruck erwecken, dass ihr diese Form der Arbeit zu eintönig wäre. Doch sie konnte einfach nicht abstreiten, dass er ihr damit einiges an Vertrauen zusprach, das angesichts ihrer Stellung innerhalb der Crew eher ungewöhnlich war. "Mir wäre aber auch jede andere Arbeit auf dem Schiff recht.", fügte sie Schulter zuckend hinzu und starrte eine Weile in das flackernde Feuer vor sich.
Wenn es um Essen ging, war er wirklich einfach gestrickt. Im Grunde hatte er sich gemeinsam mit seinem Vater beigebracht, irgendeine Mahlzeit auf den Tisch zu bringen, nachdem seine Mutter in die Anstalt gebracht worden war. Und im Vergleich zu manch einem missglückten Versuch der beiden Männer war wohl alles, was nicht verbrant oder verkocht war, ein wahrer Gaumenschmaus. Skadis Kochkünste hingegen wirkten dagegen fast wie die einer erfahrenen Küchendame, die damit ihren Unterhalt verdiente. Trotzdem überraschte es ihn, als sie erwähnte, dass sie Rayon bereits unterstützte. Nicht, weil ihn der Umstand wunderte, sondern einfach, weil die Information neu für ihn war. Aber im Grunde war die gesamte Situation neu für sie alle. Die Handgriffe würden sich erst noch einmal neu einspielen müssen, bis alles seinen gewohnten Gang gehen würde. Liam lächelte zuversichtlich und kein bisschen besorgt, obwohl Skadi ein wenig nachdenklich wirkte. „Was denkst du, wie lange wir schon gemeinsam segeln?“, fragte er schließlich, als wäre es eine direkte Gegenfrage auf ihre Aussage und widmete sich einen weiteren Bissen lang erneut dem Fisch vor seiner Nase. Ein Monat war im Anbetracht dessen, was sie bereits gemeinsam erlebt hatten, keine wirklich lange Zeit. Sie mussten sich alle an die Situation gewöhnen, nicht nur die, die seit dem Überfall auf die Morgenwind unter ihnen weilten. Eine eingespielte Mannschaft benötigte auch die Zeit, sich aufeinander abzustimmen und zu lernen, sich aufeinander zu verlassen
Einen Moment verzog Skadi nachdenklich die Lippen. Zupfte geistesabwesend mit den Fingerspitzen Fisch vom Stab und richtete dann ihren Blick über die Schulter auf Liam. Die markanten Züge wirkten im flackernden Licht des Feuers noch verführerischer als zuvor. "Ich habe etwas das Zeitgefühl verloren wenn ich ehrlich bin." Sonderlich wohl fühlte sie sich ob dieser Tatsache nicht. Ein Mensch wie sie brauchte eine gewissen Kontrolle über ihr Leben. Doch seit dem Fall der Morgenwind und der Erfüllung ihrer Blutrache, schwamm alles wie eine kleine Jolle zwischen stürmischen Wogen. Sie konnte jeden Moment kentern und unter gehen, wenn sie nicht aufpasste. "Aber es ist auch ziemlich viel passiert in den letzten Wochen.", fügte sie mit einem etwas breiteten Lächeln hinzu und zwinkerte dem Lockenkopf vielsagend zu.
Auf seinen Zügen zeichnete sich Verständnis ab. Für sie hatte sich die letzten Tage weitaus mehr geändert als für beispielsweise Liam, der lediglich mit einem anderen Schiff übers Meer segelte statt zuvor. Sie hatte ein Leben aufgegeben. Ein Leben zwar, was ihr nicht sonderlich viel wert gewesen war, sie aber immerhin etwa 5 Jahre begleitet hatte. Dass da der Boden unter den Füßen zu wanken begann, war mehr als nur verständlich. „Du hast einiges zurückgelassen, ja.“, stimmte er ihr zu, ohne auf etwas bestimmtes anzuspielen. „Es ist jetzt… einen Monat her, dass ich Talin begegnet bin. Ein Monat, in dem die Sphinx mit ihrer Mission unterwegs war. Da traut keiner dem anderen und wenn, dann lieber dem, den er schon länger beobachten konnte.“ Er zuckte mit den Schultern, denn er selbst hatte damit nur recht wenig ab Hut. „Das wird sich alles schon noch einspielen.“
Wie tief Liam gerade in eine vernarbte Wunde bohrte, wusste er gar nicht. Und Skadi gab ihm auch kein Anzeichen dafür, während sie den Blick wieder auf das Feuer richtete und schwieg. Sie hatte etwas zurückgelassen... weil ihr nicht einmal eine andere Wahl geblieben war. Vielleicht würde sie es ihm irgendwann erzählen, wenn der rechte Moment kam. Vielmehr erstaunte es sie jedoch, dass der Lockenkopf selbst erst seit einem Monat auf dem Schiff reiste - sie hätte es auf mindestens ein halbes Jahr geschätzt. "Auf einem klassischen Piratenschiff wäre es auch reichlich dumm...", gab die Dunkelhaarige zu bedenken und hob skeptisch die dunklen Brauen. Der ein oder andere konnte froh sein, dass diese Crew aus allem bestand, aber definitiv nicht aus blutrünstigen Meuchelmördern und Söldnerverschnitten. "... solange sich jeder nicht so ernst nimmt, lässt sich definitiv etwas machen." Sie spielte auf niemanden im Speziellen an. Letztlich kannte sie nur wenige von den Gestalten. Und der einzige, der für sie kein fremdes, unbeschriebenes Blatt war, gehörte leider zu denen, die sich irgendwie immer noch wie ein Fremdkörper aus der Masse hervor taten. Vor allem jetzt. "Es gäbe größere Probleme, wenn jeder so wäre wie einige Männer bei der Marine... "
Liam sprach unbekümmert und frei heraus, so wie er es meistens tat. Vielleicht wäre ihm bewusst gewesen, dass seine Worte weiter zurück gingen als nur die letzten Wochen, wenn ihm der Moment bei Egbert noch in den Gedanken gewesen war. Dafür jedoch hatte sich der Nachmittag ganz anders entwickelt als erwartet. Skadis Einwand jedenfalls war berechtigt. Aber wäre die Sphinx eine typische Piratencrew, hätte er sich wohl wirklich bloß auf der nächsten Insel absetzen lassen. Er machte keinen großen Unterschied darin, mit wem er segelte, solange er sein nächstes, unbestimmtes Ziel damit erreichte. „Ich glaube, da musst du dir bei den wenigsten Sorgen machen. Aspen kommt nicht so gut klar mit Witzen auf seine Kosten. Aber das interessiert eigentlich niemanden.“ Ein gut gemeinter Rat, aber er war sich sicher, dass Skadi wusste, wie sie mit den störrischen Männern umzugehen hatte, um ihren Platz auf der Sphinx zu finden, wenn sie denn wollte. „Vermutlich ja. Wenn alle das Kommando wollen und niemand weiß, was überhaupt vor sich geht…“ Das konnte nur schief gehen. Umso glücklicher war der Lockenkopf darüber, dass er keinen Grund hatte, daran zu zweifeln, dass Talin schon wusste, was sie tat. Er hatte kein großes Interesse daran, oben mitzumischen.
Sie hatte mit dem hochgewachsenen Schönling bislang nicht sonderlich viel zu tun gehabt. Mit Ausnahme ihrer sehr bescheiden ausgefallen ersten Begegnung auf der Morgenwind, versuchte sie ihn nicht in eine unpassende Schublade zu stecken. Vielleicht war er nicht der hochnäsige Vollidiot, der vor ihr gestanden und sich ob ihrer sehr deutlichen Meinung über sie hinwegsetzen wollte. Er hatte eine Rolle gespielt. Genau wie sie selbst. Doch wenn er ernsthaft nicht über sich selbst lachen konnte, tat ihr der schwach ausgeprägte Humor des Montrose schon reichlich leid. “Manche Menschen müssen eben auf die harte Tour lernen, dass sie nicht der Nabel der Welt sind.“, entgegnete die Nordskov amüsiert und lehnte sich entspannt zurück. Verschränkte die Beine in einem üblichen Schneidersitz und muster Liam eine Weile schweigend. “Zur Not verkrümeln wir uns unter Deck, wenn sie sich die Köpfe einschlagen.“ Denn sonderlich erpicht darauf irgendwelche Machtrangeleien auszubaden hatte sie weiß Gott nicht.
Er schmunzelte unscheinbar über Skadis Bemerkung. In Aspens Fall war es wohl eher, dass er lernen musste, dass seine Meinung nicht immer die einzige und beste war. Manchmal hätte ihm ein bisschen weniger Selbstbewusstsein und ein bisschen mehr Umsicht gut getan, aber der Lockenkopf war nicht derjenige, der zuständig war, ihm die Augen zu öffnen. Liam kam mit ihm klar, konnte mit ihm arbeiten und ansonsten gingen sie sich eben aus dem Weg. Man musste ja nicht mit jedem gutfreund sein, solange man sich nicht dazu herabließ, den anderen anzufeinden. Liam machte gerne seine Späße, meinte seine Worte dabei aber eigentlich nie wirklich böse. Er konnte Menschen Mensch sein lassen, setzte nur einfach ein wenig Selbstironie voraus, womit er bei dem ein oder anderen eben aneckte. Als Skadi sich zurücklehnte, begnügte sich der Ältere noch damit, die restlichen Fleischfetzen von den Gräten zu ziehen. Jedenfalls so lange, bis Skadi ihm unbeabsichtigt wieder ein vielsagendes Schmunzeln entlockte. Im Normalfall hatte er sich immer damit zufrieden gegeben, die Rangeleien an Deck als Unbeteiligter zu verfolgen. Unter den nun gegeneben Umständen allerdings gefiel ihm die Alternative, die sie vorschlug, weitaus besser. Nicht, dass er jetzt jedes Mal darauf aus war, sobald man sie nur alleine im Raum ließ – doch die Endorphine tanzten noch so fröhlich durch seinen Kreislauf, dass es schwer war, nicht daran zu denken. „Manchmal ist es aber auch ganz lustig.“ Dann, wenn wieder irgendjemand auf die Idee kam, sich mit Shanaya anzulegen zum Beispiel. „Und jetzt haben wir ja noch ein paar Protagonisten mehr in diesem ewigen Rangkampf.“ Funkelte da sogar ein wenig Vorfreude in seinen Augen auf? Liam genoss es tatsächlich, in solche Angelegenheiten nicht mit hineingezogen zu werden. Verantwortung, die ihn selbst überstieg, lag ihm ohnehin nicht so sehr. Und im Zweifel hatte er auch kein Problem damit, einem der Captains gegenüberzutreten, wenn ihn etwas störte.
Sein breites Schmunzeln war kaum im Licht des Feuers zu übersehen, gleich wenn es zunehmend dunkler um sie herum wurde. Die Nacht brach langsam herein und erweckte die Kinder der Nacht zum Leben. Wie selbstverständlich nahm Skadi somit seine Zusage hin und schnaubte angesichts seiner Behauptung, dass ein ausgedehnter Zwist äußerst amüsant werden konnte. “Aber nur, wenn eine Frau mit ihm Spiel ist.“, und es demnach wesentlich verbaler als handgreiflicher zuging. Eine gepflegte Diskussion zwischen zwei engstirnigen Parteien, die sich ob ihres Geschlechts vor dem anderen behaupten mussten, war etwas über das die Nordskov aus vollem Halse lachen konnte. Und bei willensstarken Frauen wie Talin und Shanaya war das womöglich ein Punkt der Tagesordnung. Ausreichend Streitpartner gab es auf der Sphinx. Selbst Liam bestätigte es ihr wenige Herzschläge später und entlockte dem kurzen geschnittenen dunklen Haarschopf ein knappes Nicken. “Ich bin gespannt wer als erstes den Schwanz einkneift.“
Bei der Menge Testosteron und Selbstüberschätzung war es schwer einen der Köpfe heraus zu picken. Skadi würde sich auf jeden Fall aus den Angelegenheiten heraushalten, sofern man ihr nicht hochgradig an den Kragen ging. In ihrem Stamm gab es keine Machtrangeleien, sofern man nicht bis auf die Zähne bewaffnet und bereit zum Sterben war. Diskussionen waren womöglich durchaus an der Tagesordnung, doch die Position eines Oberhaupts stellte man nicht ohne triftigen Grund in Frage. “… oder sich eine Kugel von Lucien einfängt.“ Denn DAS war die Quintessence dessen, was passierte, sobald man Talin zu nahe kam. Zumindest schätzte sie den Hitzkopf genau so ein. Und weshalb? Weil sie damals nicht anders gewesen war, sobald es um ihre Familie ging. Langsam beugte sie sich zur Seite, um einen kleinen Teil der Äste vom Haufen zu nehmen und ins Feuer zu geben. Die Dunkelheit nahm mit jeder Minute mehr Licht und alsbald würden sie vielleicht nicht einmal mehr die Hand vor Augen sehen können. Denn das dichte Blattwerk ließ das Licht der Sterne nur schwach zu ihnen hinab.
Das machte es zumindest spannender. Er bezweifelte, dass es auf der Sphinx noch einen Mann gab, der nicht an Shanaya gescheitert war. Mit Ausnahme von Greo vielleicht, der sich ähnlich wie er selbst aus diesem Gerangel heraushielt und auf die spielerischen Provokationen der Schwarzhaarigen einfach nicht einging. Dann nämlich konnte man recht gut die vernünftigere Seite an der jungen Frau herauslocken. Auch Enrique schien ihm einiges an Potential zu haben, Shanayas Position in Frage zu stellen, doch Liam schwieg ob dieses Gedankens. Dass sich Skadi und er recht nahestanden, war ihm nicht entgangen. Auf ihre möglichen Szenarien schnaufte er belustigt. „Oder ‚rein zufällig‘ über Board geht.“ Wobei dieses Ende wohl voll und ganz für Aspen reserviert war, wenn er Shanaya wieder zu sehr auf den Zeiger ging. Liams Blick lag im Feuer, als Skadi ein paar Zweige nachlegte und die Glut fütterte. Die untergehende Sonne hatte dem Wald längst einige der Farben geraubt und durch die Lücken im Blätterdach erinnerte nur noch ein blasser Schleier an die Dämmerung. Doch Liam ließ sich von der hereinbrechenden Dunkelheit nicht stören. Kurzerhand griff er nach seinem Hemd und zog es sich ebenfalls wieder über, selbst wenn die Temperaturen nicht wirklich sanken. Für einen Moment verlor sich sein Blick einfach schweigend im Feuer. „Wie läuft das so bei der Marine? Bestehen die wirklich darauf, dass man zu allem einfach ‚ja‘ und ‚amen‘ sagt?“
Rein zufällig klang nicht nach einer diffusen Vorstellung, die mit jedem Geschichte gefüttert werden konnte. Wenn Skadi sich in dem Blick des Älteren nicht irrte, ahnte er ganz genau wen es in diesem Punkt treffen sollte. Noch wichtiger sogar, wer derjenige war, der den Säbel hob und den anderen von den Planken ins Wasser schickte. Doch sie hakte nicht nach. Solange sie selbst nicht auf Messers Schneide stand, interessierte es sie herzlich wenig, wer sich gerade kaum riechen konnte. Und gerade als sie gegen sein Hemd protestieren wollte, das schlagartig wieder seinen Oberkörper bedeckte – sie hatte sich schließlich immer noch nicht daran satt sehen können! – entlockte ihr der Musiker einen irritierten Ausdruck. Wieso er DAS wissen wollte, war ihr schleierhaft. Doch sie schätzte Liam als neugierige Persönlichkeit ein, die es selten böse meinte. Sein Tonfall und der Ausdruck auf seinen stoppligen Zügen ließen zudem keinen Anlass zur Beunruhigung. “Sagen wir so… es gibt Regeln, an die du dich zu halten hast. Wenn dir etwas nicht passt, kannst du entweder an der richtigen oder der falschen Stelle deine Klappe aufreißen. Wenn du clever bist, musst du nicht einmal ja und amen sagen, um zu bekommen was du willst. Aber dafür musst du auch bereit sein über Leichen zu gehen.“ Speichellecker gab es dennoch zu Hauf. “Aber du kannst dir sicherlich denken, wie oft ich dazu gezwungen war zu tun, was meine Aufgabe war. Ob es mir gepasst hat oder nicht. Wenn es kein Schlupfloch gab, das ich wählen konnte… “, ließ die Nordskov den Satz unvollendet und seufzte, während sie sich zurück lehnte und die Hände auf dem Waldboden abstützte.
Seine Frage war tatsächlich der reinen Neugier geschuldet. Der Blick ins Feuer und Skadis Anwesenheit ließ Platz, die Gedanken einfach kreisen zu lassen. Liam hatte zwar bereits vieles über die Marine gehört, vieles gesehen, aber Berichte aus erster Hand hatte es bislang nicht gegeben. Dazu hielt er sich vermutlich einfach zu sehr in den falschen Kreisen auf und zählte für die hohen Tiere der Marine eher zu den Nichtsnutzen ihrer Gesellschaft. Fernab der Realität und ständig auf der Suche nach neuen Abenteuern. Der Lockenkopf allerdings fühlte sich eigentlich weder der einen Richtung zugehörig, noch der anderen. Er war kein Gesetzesloser, aber mit Sicherheit auch nicht die Frommheit in Person. Er war ein Lückengänger, der die Regeln nach seinem Belieben auslegte und nicht davor zurückscheute, auch mal über die Grenze zu treten – solange es nicht seine persönliche Grenze betraf. Die Vorstellung, blind auf Anweisung zu handeln allerdings, war ihm zuwider. Und auch die Marine legte die Gesetze nicht selten zu ihrem eigenen Vorteil aus, wie er wusste. Und Skadis Bericht bestätigte seine Annahme. Die Marine war niemand, mit dem er groß zu tun haben wollte – weniger noch auf gleicher als auf gegnerischer Seite. „Also im Grunde Piraten, die unter falscher Flagge segeln.“, philosophierte er leise und schüttelte verständnislos den Kopf, ehe er zu Skadi aufsah. An Skrupellosigkeit kamen sie ihnen jedenfalls gleich. „… ist das eigene Leben immer noch mehr wert als Prinzipien.“ Das hatte Liam bislang auch schon oft am eigenen Leibe spüren müssen. Aber bevor er sich ohne Gegenwehr niederstrecken ließ, griff er doch lieber zu seinem eigenen Dolch. Ein zweischneidiges Schwert, doch ohne Überleben konnte man auch seine Prinzipien vergessen. Mit ein Grund, weshalb die Morgenwind trotz Protest in Flammen aufgegangen war. „Ich glaube, der Unterschied liegt darin, blinden Gehorsam zu leisten oder zumindest nach einem Schlupfloch Ausschau zu halten. Manchmal muss man Prinzipien einfach über Board werfen. Aus welchen Gründen auch immer.“
Skadi nickte auf seine Worte hin und ließ den Kopf den Nacken gleiten. Nie hätte sie ihre Mission gefährdet, nur weil ihr die Art und Weise ihrer Behandlung gegen den Strich ging. Ganz davon abgesehen war sie hart gesotten und hatte auf körperlicher Ebene schlimmeres erlebt als das, was ihr irgendein Frackträger androhte. “Gib einem Menschen Macht und du weißt, wie er wirklich ist.“ Wer die Regeln bog wie er sie brauchte war nicht besser, als jeder andere Gesetzeslose auf dieser Welt. Wenigstens war man bei einem rabiaten Seemann darauf gefasst was kommen musste – schließlich sagte er es stets frei heraus. Bei der Marine schlummerte die Meinung jedoch bis zuletzt hinter verschlossenen Türen und konnte einen hinterrücks erdolchen, sobald man nicht mehr zum Erreichen des Plans gebraucht wurde. Sie vermisst also nichts mehr davon. Hatte es noch nie. “Prinzipien werden von Menschen unter bestimmten Umständen aufgestellt. Liegt es also nicht in der Natur der Sache, dass sich auch Umstände verändern können, wenn es die Menschen tun?“ Kurz huschten die dunklen Bernsteine in ihre Winkel. Umrissen die Silhouette ihres Gegenübers, ehe sie sich seufzend abwandte und den Kopf mit geschlossenen Lidern gen Baumkronen richtete. “Mit Prinzipien ist es wie mit Regeln… manche sind durchaus erhaltenswert… andere… nun ja. Sollte man von Zeit zu Zeit überdenken.“
Ihm wäre es lieb gewesen, hätte an ihren Worten nicht so viel Wahrheit gehangen. Leider aber veränderte wohl kaum etwas Menschen so sehr wie Macht oder Geld. Und das war im Bereich der Marine vermutlich spürbarer als als einfacher Mensch, der von Insel zu Insel pendelte. Aber sämtliche Mühe, daran etwas ändern zu wollen, war vergeblich. Man war für sein eigenes Glück verantwortlich, nicht für das anderer. Skadis und seine Ansicht von dieser Sache ähnelten sich. Wie es in der Realität aussah, würde die Zeit vermutlich zeigen. „Naja, vor allem, wenn man die Verantwortung für seine Handlung auf einen Vorgesetzten abwälzen kann.“, spannte er den Bogen zurück zu der Marine und konnte eine derartige Lebenseinstellung nur belächeln. Es war kaum zu übersehen, dass er mit seinem Leben nicht wirklich unzufrieden war. Er tat es Skadi gleich und lehnte sich nun gesättigt zurück, den Blick noch immer ins Feuer gerichtet, welches in der einsetzenden Dunkelheit tanzte. „Hast du die Ocarina eigentlich noch dabei?“
Oh ja. Diese Diskussion hatte sie mehr als einmal geführt. Es war lästig gewesen ständig die Entscheidung für andere treffen zu müssen, die ihr gehörig am Arsch vorbei gingen. Und das nur, weil sie zu feige waren, es selbst zu tun. Da standen sie allesamt lieber hämisch lachend im Hintergrund, wenn sie für ihren Einsatz einen auf den Deckel bekam. So viel also dazu „seinen Mann zu stehen“. “…oder überhaupt auf jemanden.“, fügte die Nordskov mit einem bitteren Tonfall hinzu und schloss für ihren Teil dieses Kapitel für den Abend. Sie wollte nicht noch mehr über diese Vergangenheit sprechen, die sie nur notgedrungen geführt und durchlebt hatte. Ihr war also durchaus daran gelegen, dass Thema zu wechseln. Was Liam dann allerdings tat, ließ sie innehalten. Schlagartig öffneten sich die braunen Augen und starrten erst aus dem Augenwinkel auf den Lockenkopf, bis sich der kurzgeschnittene Schopf zur Seite wandte. Wie in Zeitlupe setzte sich die Nordskov auf und löste ihre Beine aus dem Schneidersitz. Spürte das kleine Erinnerungsstück an ihrer Seite, das immer noch in einer Tasche ihres Hüftholster steckte. “Ja. Wieso?“
Jedenfalls hatte sich nichts an seiner Einstellung geändert, dass es gut war, dass er nicht ein einziges Mal darüber nachgedacht hatte, zur Marine zu gehen. Mochte sein, dass man dort zumindest genug Geld verdiente, um seine Familie ganz gut über die Runden zu bringen, doch er hatte weder Familie noch die Absicht, etwas Reichtum anzuhorten, ohne damit etwas anzufangen. Er war dafür reich an Erlebnissen und Begegnungen. Etwas, was ihm viel wertvoller erschien als Gold. Die Ruhe, die folgte, war seinen Gedankengängen geschuldet und auch Skadi schien den Moment einfach zu genießen. Es war keine unangenehme Stille. Mehr eine, die Zufriedenheit ausstrahlte. Doch während der Fluss hinter ihnen leise durch die Nacht rauschte und das Feuer beruhigend knisterte, kam ihm, was ihm fehlte – Musik. Skadis Reaktion nahm er nur aus den Augenwinkeln wahr, sah darin aber keine Notwendigkeit, sie zu deuten. „Darf ich sie sehen?“ Er war vorhin zu sehr von Egbert abgelenkt gewesen, als dass er wirklich auf das kleine Instrument geachtet hatte. Aber ein paar Töne würde die Nachtluft mit Sicherheit erhellen können.
Sie zögerte. Nicht weil es unangebracht war danach zu fragen. Auch nicht, weil sie ihm mutwillig etwas vorenthalten wollte. Es lag womöglich einfach in der Natur der Sache, dass Skadi mit allem vorsichtig war, das mit ihrer „wahren“ Vergangenheit zu tun hatte. Jedoch gab es keinen Grund dem Lockenkopf nicht zu vertrauen – er besaß mehr Feingefühl für den Wert einer Sache als andere auf der Sphinx, abgesehen von Enrique. Nur langsam zog sie das liebevoll gefertigte Instrument aus der Seitentasche und reichte es ihm, ohne es aus den Augen zu lassen. Hob nur kurz den Blick, um jede Regung seiner Miene wahrzunehmen, sollte er irgendwelche Schlüsse ziehen wollen. Ein unangenehmes Kribbeln durchzog ihren Körper und schnürte just ihre Kehle zu.
Abermals trat Stille ein, dieses Mal allerdings eine erwartungsvolle Stille. Etwas irritiert sah Liam auf, setzte sich wieder aufrechter hin und sah Skadi entgegen. Sie zögerte und wirkte nicht unbedingt begeistert von dem Gedanken, ihr gerade erst erstandenes Erinnerungsstück noch einmal aus den Händen geben zu müssen. Ganz so, als befürchtete sie, er würde es just in dem Moment, in dem er es in den Händen hielt, fallen lassen oder auf andere Art und Weise zerstören. Gerade, als Liam überlegte, seine Frage zu revidieren, hielt sie ihm langsam das hübsch bemalte Instrument entgegen. Er streckte die Hände aus, um es behutsam aus ihrem Griff zu nehmen und besah sich die Malereien, fuhr sie mitunter mit dem Daumen nach. Vielleicht ahnte er, welche Frage sie befürchtete, doch in diesem Moment hatte Liam keinerlei Interesse daran, sein übriges Geheimnis einzutauschen. Stattdessen glaubte er, dass es ihr vielleicht eine Freude machte, zu hören, dass sie auch noch funktionierte. Er war nie auf Trithên gewesen. Dementsprechend kannte er auch keine Melodien, die von dort stammten. Ganz davon abgesehen, dass er seit einer gewatigen Ewigkeit nichts mehr in der Hand gehabt hatte, was einer Flöte gleichkam. Aber er konnte es ohnehin nicht lassen, ein Instrument auszuprobieren, wenn er es in Händen hielt. Besonders nicht an einem Lagerfeuer. Langsam hob er Skadis Erinnerungsstück zu den Lippen, testete die Töne, die sie bei den verschiedenen Griffen erzeugte, bis er glaubte, das Schema grob zu kennen und eine kurze Melodie zustande brachte.
Jeder ihrer Muskeln zuckte unter der Haut und zerriss förmlich vor Anspannung. Ihr Atem ging schlagartig flacher, als Liam seine Hände um das kleine Holzstück schloss und die Ornamente bedächtig mit den Fingern nachzeichnete. Sie rechnete mit einer Frage, während sie ihn dabei beobachtete. Doch was er stattdessen tat, verdunkelte ihre Miene für einen Moment. Er legte die Öffnung an seine Lippen und spielte. Hinterließ mit dem bloßen Klang des Instruments eine unübersehbare Gänsehaut auf ihrem Körper, die Skadi schlagartig dazu bewegte sich auf die Knie zu setzen. Doch sie hielt dem Impuls stand ihm die Ocarina aus der Hand zu reißen und dorthin zurück zu stecken, wo sie keine Wunden mehr aufreißen konnte. “Bitte lass das…“, drang es dumpf über ihre Lippen, die sich augenblicklich zusammen pressten, um die flatternden Züge ihres Gesicht unter Kontrolle zu halten. So schön die Melodie auch war… sie vertrug gerade keine Gefühle mehr. War schon überfordert genug mit dem, was Enrique ihr ungefragt überhalf. Irgendwann gäbe es sicherlich den Moment, indem sie ihn freiwillig darauf spielen ließ. Doch aktuell war ihr Nervenkostüm dafür zu sehr angerissen. “Bitte..“, fügte sie leiser hinzu.
Für ihn war es ein einfaches Untergangen gewesen, die kleine Ocarina zu seinem Mund zu heben, und ihr Töne zu entlocken. Hätte er sich nicht so auf das Instrument konzentriert, wäre ihm vielleicht die Schatten aufgefallen, die nicht des Feuers wegen über Skadis Gesicht huschte. Er wusste nicht viel über sie, über ihre Vergangenheit und das, was gut verborgen hinter ihrer Fassade ruhte. Der Moment bei Egbert hatte ihm erstmals nähergebracht, dass da mehr war, was sie antrieb. Etwas, was tiefer wurzelte, als es oberflächlich den Anschein machte. Er hatte sie in keinem Augenblick für eine einfache, oberflächliche Frau gehalten, doch die Schwere ihrer Vergangenheit hatte er unterschätzt. Etwas überrascht senkte er die Ocarina also, wagte nur einen kurzen Blick in Skadis Richtung, ehe er das Stück ein weiteres Mal musterte und sie schließlich wieder bereitwillig ihrer Besitzerin hinhielt. „Sie hat einen schönen Klang.“, fügte er leise hinzu, denn es gab nichts anderes, was er in dieser Situation hätte sagen können. Es gab keinen Grund, ihre Reaktion zu verurteilen. Es war ihr gutes Recht und doch nahm sie ihm gleichzeitig die Möglichkeit, die Situation wieder aufzuhellen.
Schwer schluckend verkeilte Skadi die langen Finger in dem Stoff ihrer Leinenhose, die sich allmählich um ihre Oberschenkel spannte. Starrte auf das Holzstück zwischen seinen Händen, als wäre es ihr aufgebracht schlagendes Herz. Mit zitternden Nasenflügeln nahm sie ihm das Instrument ab, als er die Situation begriff und den lieblichen Klang schlagartig verklingen ließ. Auf seine Worte nickte sie kaum wahrnehmbar. Umschloss mit beiden Händen die Ocarina, die sich unfassbar warm zwischen ihren Fingern anfühlte. “Es liegt nicht an dir.“, flüsterte sie leise und sah unter den langen dunklen Wimpern zu dem Lockenkopf hinüber. Er sollte nicht glauben, dass sie ihm böse war. Ebenso wenig meinte sie es als Entschuldigung auf ihre Reaktion. Sie musste sich nicht dafür rechtfertigen, dass ihr Eigentum unberührt bleiben sollte. Und so wie Liam kurz zu ihr hinüber sah, wusste er das mit jeder Faser seines Körpers. Eine Weile saßen sie nun schweigend da. Um sie herum die tiefe Dunkelheit der Nacht, das flackernde Feuer und das stetige Zierpen und Surren kleiner Insekten und Tiere. Erst nach einer gefühlten Ewigkeit ließ sich Skadi tief ein- und ausatmend nach vorn gleiten. Krabbelte dem Musiker auf allen Vieren entgegen, auf dessen Schoß sie nun ungefragt ihren Hinterkopf bettete. “Erzähl mir eine Geschichte… irgendeine die dir einfällt.“
Die Stille, die einsetzte, war bedrückender als die Stille zuvor. Liam begnügte sich damit, ins Feuer zu sehen und geduldig zu warten, bis Skadi sich wieder gefangen hatte. Er wusste, wie schwer Erinnerungen manchmal wiegen konnten und wie wichtig einem die Zeit war, sich ihnen hinzugeben. Er wollte nicht, dass sie das Gefühl hatte, dass er irgendetwas erwartete. Ihr Schweigen war in Ordnung und er hatte die Zeit, sie damit allein zu lassen und derweil seinen eigenen Gedanken nachzuhängen. Er war die Art Mensch, die auch in einer Gruppe mit sich alleine sein konnte – und es manchmal auch sein wollte. Nicht umsonst traf man ihn so oft alleine an Deck der Sphinx – vertieft in seine Bücher oder Zeichnungen und mit sich selbst im Reinen. Überrascht hob er die Arme, als plötzlich Skadis Gesicht vor seinem Oberschenkel auftauchte. Er war so in Gedanken versunken gewesen, dass er sie nicht hatte kommen hören. Wie selbstverständlich legte sie den Kopf auf seinem Schoß ab und bat um eine Geschichte. Liam blinzelte verdutzt, allerdings eher, weil er einen Moment brauchte, bis ihm eine Geschichte einfallen wollte, die ihr gefallen könnte. Dann aber legte sich ein unscheinbares Lächeln auf seine Züge, auf denen der Schein des Feuers tanzte. Die Nachdenklichkeit legte sich, als sich sein Blick wieder von den Flammen löste und die feinen Züge der Jüngeren musterten, bevor er zu erzählen begann.
„Es gibt Inseln, die wilder sind, gefährlicher. Inseln im Norden mit zwei mannshohen Hirschen oder Inseln im Süden mit Schlangen, fast so lang wie ein Schiff. Doch auch dort leben Menschen, die sich der tödlichen Natur bewusst sind und gelernt haben, mit ihr zu leben. Es gab einen kleinen Jungen, der gerne zeichnen wollte. Und wie er so durch die Natur streifte, sah er eine riesige Schlange, die gerade kurz davor war, ihre Beute am Stück zu verschlingen. Von den Älteren aus dem Dorf wusste er, dass Schlangen nach einer Mahlzeit mehrere Monate brauchten, um ihre Beute zu verdauen. Und so lief er nach Hause und zeichnete, was er gesehen hatte.“ Liam streckte die Hand aus, um sich einen kleine Zweig zu nehmen und in den Staub zu malen. Ein Gebilde, welches einem Hut gleich kam. „Er zeigte seine Zeichnung den Älteren im Dorf voller Stolz und stellte verdutzt fest, dass sie sich gar nicht davor fürchteten. ‚Warum sollen wir denn Angst vor einem Hut haben?‘, fragten sie, doch die Zeichnung stellte gar keinen Hut dar. Es war die Riesenschlange, die gerade dabei war, ein großes Tier zu verdauen. Also zückte er die Feder erneut und füllte das Innere der Boa aus, damit die Älteren erkennen konnten, was es war. Doch sie rieten ihm bloß ab von Bildern von Riesenschlagen und betonten stattdessen die Wichtigkeit von den Wissenschaften, von Karten und Kompanten. Entmutigt gab der Junge seine Zeichnerei auf, denn er wollte den Älteren nicht immer und immer wieder etwas erklären. Stattdessen wuchs er heran und entschied sich für ein Leben als Seemann. Immer, wenn er das Gefühl hatte, an fähigere Leute geraten zu sein, zeichnete er die Schlange, doch die Antwort war immer die gleiche. ‚Ein Hut.‘ Also ließ er es bleiben und sprach lieber von den Dingen, die die Erwachsenen hören wollten. Von Wissenschaft, Kartenspielen, den großen Familien, selbst wenn es nicht das war, was ihn wirklich bewegte. Er lebte allein und unverstanden.
Eines Tages dann passierte es, dass er auf einer einsamen Insel Schiffbruch erlitt. Den ersten Tag suchte er unentwegt nach jemandem, der ihm helfen konnte, bis er erschöpft im Sand einschließ. Umso überraschter war er, als ihn am Morgen eine leise Stimme weckte. ‚Bitte, zeichne mir ein Schaf.‘ Er brauchte einen Moment, bis er hell wach war und den Jungen vor seiner Nase erkannte. ‚Zeichne mir ein Schaf.‘ Er war klein und obwohl weit und breit keine Menschenseele hauste, schien er weder durstig, noch hungrig oder müde von einer langen Reise. Auch wirkte er nicht ängstlich oder so, als wäre er einsam und fernab jeglicher Zivilisation auf einer Insel gestrandet. ‚… Was machst du hier?‘, fragte er den Jungen, doch dieser wiederholte bloß langsam seine Bitte. ‚Bitte. Zeichne mir ein Schaf.‘ Verdutzt zückte der Mann schließlich ein Stück Pergament aus seiner Tasche und nahm die Feder, die man ihm reichte, beichtete dem Jungen dann aber, dass er nicht zeichnen konnte. ‚Kein Problem. Zeichne mir ein Schaf.‘ Da er in seinem Leben aber noch nie ein Schaf gezeichnet hatte, zeichnete er stattdessen das Bild der Schlange auf sein Pergament. ‚Nein, nein! Ich will kein Tier in einer Riesenschlange! Schlangen sind sehr gefährlich und ein Tier wie dieses braucht viel Platz. Bei mir zu Hause ist es viel zu klein. Ich brauche ein Schaf. Zeichne mir ein Schaf.‘ Er war sehr erstaunt, dass der fremde Junge seine Zeichnung erkannte und zeichnete schließlich so, wie er wollte, ein Schaf. ‚Nein! Das hier ist sehr krank. Zeichne ein anderes!‘ Also zeichnete er ein neues. ‚Das ist kein Schaf. Schau nur, das ist ein Widder. Es hat Hörner…‘ Also zeichnete er ein drittes Schaf. ‚Das ist zu alt! Ich brauche ein Schaf, das noch lange leben wird!‘ Allmählich ging ihm die Geduld aus und so malte er eine Kiste aus das Papier. ‚Das ist eine Kiste. Das Schaf, das du willst, ist hier drin.‘ Überrascht stellte er fest, dass sich die Miene des Jungen aufhellte. ‚Das ist ganz so, wie ich es wollte! Glaubst du, es benötigt viel Gras?‘ ‚Warum?‘ ‚Dort, wo ich herkomme, ist alles sehr klein.‘ ‚Es wird sicher genug haben. Es ist ein kleines Schaf.‘ Der Junge beugte sich über die Zeichnung. ‚Nicht so klein wie… Schau nur, es ist eingeschlafen!‘ Und so schlossen sie Freundschaft und der Mann lernte immer mehr über den kleinen Jungen, der so unpassend auf dieser einsamen Insel wirkte. ‚Was ist das für ein Ding?‘, fragte er, als er zum ersten Mal ein Schiff sah, welches am Horizont erschien. ‚Das ist ein Schiff. Mit so einem war ich auch zwischen den Welten unterwegs.‘ ‚Wie? Du kommst auch aus einer anderen Welt? Das ist lustig.‘ Als er anfing zu lachen, war der Mann etwas verärgert, denn er war ja noch immer ein Schiffbrüchiger. ‚Aber mit dem Ding kann man nicht von sehr weit her gekommen sein.‘ Denn der Junge meinte keine der sieben Welten, wie der Mann, dessen Neugier er unweigerlich geweckt hatte. Er wollte also mehr erfahren und fragte ihn, wohin er sein Schaf mitnehmen wollte und erfuhr – die Heimat-Welt des jungen Mannes war kaum größer als ein Haus und lag fern der Welten, die die Menschen kannten.“
Jeder andere hätte Skadi entweder mit Abwesenheit oder unerträglicher Nähe bestraft, angesichts ihrer sehr deutlichen Zurückweisung und dem Schmerz auf ihren Zügen. Vielleicht mit einem Nasenrümpfen die Situation bewertete oder sie ungefragt fest in die Arme genommen und damit alles nur noch schlimmer gemacht. Auf andere mochte Liams Verhalten rücksichtslos und distanziert wirken, doch für Skadi war es das was sie brauchte. Ganz gleich wie unangenehm ihr Herz gegen ihren Kehlkopf klopfte und die Stille gegen ihren Körper drückte, die sich ungewohnt zwischen ihnen aufspannte, führte die ruhige und abwartende Haltung des Musikers dazu, dass sich ihre Muskeln nach etlichen Minuten ganz von selbst entspannten. Er stellte keine Erwartungen an sie, überließ sie im rechten Moment sich selbst und schenkte ihr sogar eine Geschichte, als sie sich wie eine Katze an seine Seite schlich und ihren Kopf auf seinen Schoß bettete. Die Verwirrung stand ihm in jedem Zug und jeder Falte geschrieben, doch kaum öffneten sich seine Lippen, schloss Skadi die schweren Augenlider. Lauschte seinen Worten aufmerksam und versuchte sich das Bild, das er mit seinen Worten malte, vor Augen zu führen. Erst als er endete zog sich ihre Stirn in Falten. Mit fragendem Blick drehte Skadi ihren Kopf weiter in den Nacken, um dem Lockenkopf direkt ins Gesicht zu sehen. “Und von wo kam er her?“ Fast schon kindlich klang die Frage aus ihrem Mund, spiegelte sich die abrupte Neugierde auf ihren Zügen.
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#4
Er hatte nicht die Absicht, es ihr unnötig schwer zu machen. Es war ihr gutes Recht, ihre Erinnerungen für sich zu behalten – Liam fragte absichtlich nicht. Die Vergangenheit war etwas, was einen Menschen zwar formte, ihn aber nicht ausmachte. So geheimnisvoll Skadi auch war und so wenig sie auch über ihre Vergangenheit durchblicken ließ – es war nichts, worauf er Wert legte. Sie hätte ähnlich wie Yaris etliche Leben auf dem Gewissen haben können. Für Liam spielte es keine Rolle, denn ihm oblag es nicht, über ihre Handlungen zu urteilen. Genauso wenig, wie es anderen oblag, über seine Entscheidungen zu urteilen. Er musste nichts wissen, wenn sie nichts erzählen wollte. Was sie zeigte, erzählte ihm im Grunde genug: Dass sie sich nicht gerne daran erinnerte, obwohl es ein wichtiger Teil von ihr war. Die Geschichte, die sie verlangte, war eine willkommene Abwechslung. Warum er ausgerechnet diese Geschichte wählte, wusste er nicht. Vielleicht, weil sie die erste war, die ihm in den Sinn kam. Weil es die Geschichte war, an die er sich gerne erinnerte. Zumindest schien sie die Schatten auf ihren Zügen ein wenig vertreiben zu können. „Er kam von aus einer Welt fernab unserer Welten. So klein, dass es dort nur ihn gab. Und er war aufgebrochen auf der Suche nach einem Freund. Aber seine Reise ist eine lange Geschichte. Für viele Abende.“ Die Geschichte war wirklich lang. Aber mit der Zeit würde Skadi besser verstehen, wo er her kam, was ihn bewegte und was er bei seiner Reise gelernt hatte. Liam erwiderte den neugierigen Blick aus ihren Augen, doch er hatte nicht vor, ihr alles an diesem Abend zu erzählen. So, wie der Mann die Geschichte des Jungen jeden Tag ein bisschen mehr verstand, würde es auch der Nordskov gehen.
Eine Weile dachte sie schweigend über seine Worte nach, hob dann die Hand gen Blätterdach, um durch die gespreizten Finger die wenigen Sterne zu erhaschen, die durch die Dunkelheit schimmerten. Irgendwie erinnerte sie diese Geschichte ein wenig an Liam selbst, ganz gleich wie wenig sie eigentlich von ihm wusste. Doch es gab Parallelen, die in ihren Augen gut auf den Lockenkopf zutrafen. Das verträumte Lächeln auf ihren Zügen wurde breiter, als sie abermals ihren Blick auf seine Züge richtete. Sog tief die angenehme Abendluft in ihre Lungen. “Ich bin sehr gespannt darauf wie die Geschichte weitergeht… der Zeichner erinnert mich sogar ein wenig an dich.“ Augenblicklich malte ihr Bewusstsein ein Bild in ihren Kopf. Liam mit gesenkter Lockenpracht auf dem Deck, die Nase tief in sein Skizzenbuch versunken, während der Rest der Crew tüchtig um ihn herum wuselte. Skadi konnte sich vorstellen, wie der Liam in vielen Situationen seines Lebens missverstanden wurde. Wie er irgendwie stetig auf der Suche nach jemandem war, der seine Leidenschaft für die kleinen Dinge teilte. Aber letztlich traf das irgendwie auf jeden Menschen zu – ganz gleich wie grauenvoll er auch war. “Hat dir dein Vater als Kind viele Geschichten erzählt?“ Ihr war nicht bewusst wie persönlich diese Frage sein konnte. War mehr damit beschäftigt in Erfahrung zu bringen, woher der Lockenkopf all seine Fantasie und Inspiration nahm.
Er runzelte die Stirn. „Findest du?“ Er hatte die Sache so tatsächlich noch nie betrachtet. Als Kind vielleicht, aber das war viel zu lange her, als dass er sich noch daran erinnern könnte. Das Bild, welches Skadi im Kopf hatte, konnte Liam selbstverständlich nicht sehen – hätte er es getan, hätte er zugeben müssen, dass es mehr von der Realität hatte, als ihm lieb war. Wie auch immer es war, der Zeichner hatte in dieser Geschichte nur die Nebenrolle. Worum es eigentlich ging, würde sie merken, wenn er den nächsten Abschnitt erzählte. Und er ahnte, dass sie tiefgründig genug war, um zu verstehen. „Er oder meine Mutter. Aber es verging kaum ein Abend ohne.“, bestätigte er ihre Annahme und spähte für einen Augenblick wieder ins Feuer, welches allmählich an Kraft verlor, wenn sie nicht bald etwas nachlegen würden. Kurzerhand warf er den Zweig in die Glut, den er eben noch benutzt hatte, um seine gefräßige Riesenschlange in den Waldboden zu zeichnen. „Jedenfalls so lange, bis ich sie vorlesen sollte.“ Er hatte nichts zu verbergen und ging offen mit dem um, was ihn ausmachte. Vermutlich hätte er ihr jede Frage beantwortet ohne zu zögern.
Ihr gefiel die Vorstellung eines kleinen Liams, dessen funkelnde Augen gespannt aufblickten, während er den Erzählungen seiner Eltern lauschte und nur schwer ins Bett zu kriegen war. Durstig nach Abenteuern und Sagen. Gefesselt von den Figuren und Legenden. Ein amüsierter Ausdruck zierte schlagartig ihre Lippen, versiegte jedoch zu einem sanften Hauch, als sie an ihren eigenen Sohn dachte. Er wäre heute ungefähr in Scortias Alter – was wohl einer der Gründe war, wieso sie sich des kleinen Jungen ohne Umschweife angenommen hatte. “Was für Geschichten habt ihr denn gemeinsam gelesen?“ Kurz erhob sich Skadi von ihrem Platz, löste damit den Druck auf seinem Oberschenkel, um seinem Beispiel zu folgen und neues Feuerholz in die zischelnden Flammen zu geben. Erst als das erste Knacken ertönte und der letzte Ast in die helle Feuerflut getaucht war, setzte sie sich wieder neben ihn. Wartete jedoch, ob er ihre Nähe überhaupt wollte, bevor sie sich wieder ungefragt auf ihm breit machte, wie eine Katze.
„Unterschiedlich. Anfangs natürlich Kindergeschichten, dann über Sagen und Mythen hin zu Abenteuergesichten. Aber ich habe mich im Grunde mit allem zufriedengegeben.“ Er grinste kurz, als er daran zurückdachte, wie er die Bücher über Schmuck und Steine von seiner Mutter stibitzt hatte, um einfach etwas zum Lesen zu haben. Irgendwann hatte sich das dann gewandelt, als sein Vater und er in See gestochen waren und sie ihre eigenen Abenteuer erlebt hatten. Gerade für einen Jungen von acht Jahren war das Leben auf See so aufregend, dass man abends bloß noch in die Hängematte gefallen war. Und auf jeder Insel hatte es so vieles zu erkunden gegeben, dass Bücher zweitrangig geworden waren. Viel lieber hatte er dann angefangen, seine Erlebnisse aufzuschreiben, zu beschönigen und schließlich zu eigenen Geschichten zu verfeinern. Als Skadi aufstand, um das Feuer erneut zu füttern, folgte Liam ihr mit dem Blick, ehe er einladend den Arm zur Seite hob, um ihr abermals auf seinem Schoß Platz zu machen. Er genoss ihre Nähe und gerade jetzt zeigte sie ihm, dass der Zwischenfall um ihre Ocarina keine große Bedeutung hatte. Im Gegensatz zu andere Frauen hatte er bei Skadi nicht das Gefühl, dass unter der Oberfläche etwas kochte, was sie nicht zeigen wollte. „Und irgendwann bin ich dann vom Lesen weggekommen und habe selbst angefangen, zu schreiben.“, wiederholte er seine Gedanken laut, um sie daran teilhaben zu lassen. Er hatte kein Problem damit, keine Gegenfragen zu stellen. Skadi fühlte sich wohler so und dieser Umstand überwog seiner Neugier. Als sie den Kopf wieder auf seinen Schoß gelegt hatte, legte er den Arm wieder ab. Seine Hand ruhte dabei auf ihrer Schulter, über die er langsam mit dem Daumen strich. „Allerdings waren wir viel unterwegs. Da blieb kaum Zeit dazu.“
Ein Kind, das mit allem zu begeistern war. Skadi lächelte bei dem Bild, das sie just vor Augen hatte, während sie den Ast ins Feuer steckte und sich dann wieder unschlüssig neben ihn hockte. Die braunen Augenpaare aufmerksam musternd, die unter einem Grinsen zu ihr hinüber sahen, ehe sich der von Stoff umhüllte Arm einladend zur Seite hob. Es brauchte kaum zwei Herzschläge, bis sich der schmale Körper der Nordskov erneut neben ihm niederließ und ihren dunklen Schopf mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen auf seinen Schoß bettete. Ganz offensichtlich machte sie keinen Hehl daraus, dass ihr das kleine Plätzchen ganz gut gefielt. Ließ ihre Wange kurz auf seinem Oberschenkel liegen, um die Wärme zu genießen, die durch den Stoff seiner Hose zu ihr hinauf wanderte. Genoss die Berührung seiner Finger auf ihrer Schulter und sog den Duft tief ein, der ihr Gesicht umspielte. “Ich würde gern mal etwas davon lesen.“, murmelte sie leise und öffnete langsam die Augen. Blickte aus den Winkeln verstohlen zu Liam hinauf und lächelte. “Es klingt fast so, als wärt ihr auf den verrücktesten Inseln dieser Welt gewesen.“ Sie selbst hatte außer Trithên und einigen kleineren Inseln in unmittelbarer Nähe nichts gesehen. Selbst in der Zeit auf dem Marineschiff war sie nicht viel herum gekommen. “Es gibt so vieles, was ich noch nicht kenne oder nie gesehen habe. Manchmal komme ich mir vor wie ein erwachter Einsiedlerkrebs.“, gab sie unter einem halben Auflachen zu.
Es war offensichtlich, dass sie im Grunde nur auf diese Einladung gewartet hatte. Liam musste unweigerlich schmunzeln, als sie die Wange wieder auf seinen Oberschenkel bettete. Für ihn hatte das hier nichts mehr mit dem Vergnügen von vorhin zu tun. Ein Mensch war nicht dazu da, alleine durch die Gegend zu wandern und trotzdem waren so viele einsam. Einfach, weil es als gesellschaftliche Etikette galt, den Leuten körperlich fern zu bleiben, bis einen ein größerer Bund vereinte. Liam hielt davon nicht viel, wie unweigerlich zu erkennen war. Für ihn waren Berührungen nichts, was man sich von der Gesellschaft verbieten lassen konnte – man stillte lediglich einen Drang, den jeder verspürte, wenn er nur ehrlich zu sich selbst war. Und auch, wenn es einvernehmlich geschah, musste es nicht zwangsweise etwas mit Erotik zu tun haben. Es zeigte, dass man sich vertraute und man sich geborgen fühlte. In welchem Maße – das blieb jedem selbst überlassen. „Ich habe leider alles auf dem Fest verkauft.“, gestand er ihr und und überlegte kurz, ob nicht doch noch irgendwo etwas herumflog. Die Zeit auf der Sphinx hatte er hauptsächlich damit verbracht, Dinge fertigzustellen, die er noch mit sich herumgetragen hatte. „Aber wenn ich wieder etwas vorzuweisen habe, darfst du es gerne probelesen.“ Auf ihre Vermutung hin allerdings schnaubte Liam bloß belustigt und schüttelte den Kopf. Sein Finger fuhr noch immer in einer langsamen, automatischen Bewegung über ihre Haut. „Das liegt bestimmt daran, dass ich damals noch ein Kind war und aus jeder Mücke einen Drachen machen konnte.“
Oder aus einer einfachen Begegnung einen geheimnisvollen Austausch an Informationen. Skadis Vergleich war amüsant. Sie kam ihm fast vor wie ein kleines Mädchen aus dem Dorf, welches noch nie gesehen hatte, was vor diesen Mauern lag, dafür aber jeden noch so kleinen Winkel ihrer Heimat kannte. Liam hingegen war meist rastlos von A nach B gereist, ohne die wirklich interessanten Ecken erkunden zu können. „Wart’s mal ab. Dein neues Leben beginnt doch erst.“, erinnerte er sie mit einem zuversichtlichen Lächeln und zuckte daraufhin beiläufig mit der Schulter. „Vielleicht bist du bald schon all die Reisen und Abenteuer leid.“ Möglich war alles, wobei Liam bezweifelte, dass es einen Ort gab, an den Skadi wirklich wollte, um dem Reisen zu entkommen. Irgendetwas hielt sie von dem Gedanken ab, nach Hause zurückkehren zu wollen, obwohl sie ihm so verbunden war.
Blinzelnd wandte Skadi den dunklen Schopf herum. Ihr dämmerte, dass sie diese Information tief unterhalb der Stadt im Versteck der Kinder schon einmal gehört hatte. Doch mit all den neu gewonnenen Informationen, machte sie diese Aussagen irgendwie … traurig? Leicht verzogen sich die geschwungenen Brauen und hinterließen einen matten Schatten auf ihren Zügen. “Um Geld für das Schiff zu sammeln oder weil du sie wirklich verkaufen wolltest?“ Entweder hing er nicht sonderlich an seinen Geschichten, weil sie überzogene Darstellungen seiner tatsächlichen Erinnerungen waren, oder aber er hatte nicht mehr länger mit ihnen leben können. Skadi wusste nicht, was davon zutraf. Schnaubte dann jedoch halbwegs zufrieden gestellt, als er ihr eine erste Kostprobe seines neuen Werkes anbot, sobald es denn geschrieben worden war. “Ich bitte darum… vielleicht kannst du etwas über diesen.. Wendigo schreiben, von dem du neulich gesprochen hast.“ Und von dem sie immer noch nicht so recht wusste, was er damit meinte. Doch die Nordskov bezweifelte nicht, dass es auf die damalige Situation mehr als zutreffen gewesen war. “Das wäre doch sicherlich auch eine gute Geschichte für Trevor.“, fügte sie breit grinsend hinzu und lachte kurz auf. Streckte sich dann genüsslich in voller Länge, ohne sich von Liam zu rollen. Sie würde so lange auf ihm liegen bleiben, bis sie entschlossen zum Schiff zurück zu gehen, oder er sie mit einer Handbewegung verscheuchte. Doch selbst dazu dürfte er kaum mehr in der Lage sein. Wie von selbst umschlossen ihre Finger, die ziellos in der Luft schwebende Hand des Lockenkopfes, die noch eben auf ihrer Schulter ruhte. Umspielten die langen Linien auf seiner Handfläche, während sie unbeirrt fortfuhr. “Mh… vielleicht. Aber gerade gefällt es mir ganz gut unterwegs zu sein. Das ist eine ungewohnte aber interessante Art von Freiheit… Dorthin zu gehen, wo einen der Wind und die See… oder auch Shanaya hintragen.“ Ein Schmunzeln zierte ihre Lippen. “Vielleicht wird es mir auch viel zu gut gefallen. Wer weiß das schon.“
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#5
Vielleicht war es das, was er so an ihrer Gesellschaft schätze. Dass sie nicht die offensichtlichen Fragen stellte, sondern die, mit denen Liam sich auch erst beschäftigen musste, ehe er sie beantworten konnte. Er glaubte, das Bedauern im Licht des Feuers auf ihren Zügen schimmern zu sehen, war aber zu bescheiden, um es berechtigt zu finden. Seine Geschichten unterschieden sich kaum von denen anderer und trotzdem war es ein für ihn sehr gnädiger Weg, hier und da an Gold zu kommen. „Um anderen damit eine Freude zu machen.“, lautete seine Auswahl allerdings in erster Linie. Dass man Gold brauchte, war leider dem Leben an sich geschuldet. Aber Liam war nicht sonderlich gut darin, wirklich zu wirtschaften. Dafür verkaufte er sich viel zu sehr unter Wert. „Was bringen mir meine Geschichten, wenn sie niemand liest?“ Aber immerhin konnte er ihr in der Zukunft vielleicht eines seiner Werke vorlegen, wenn die Abenteuer der Sphinx die Zeit ließen, sich damit zu beschäftigen. Er lächelte erheitert bei ihrem Vorschlag. Tatsächlich war ihm der Gedanke auch bereits gekommen. „Du meinst den, der im Dunkeln kleine Kinder verschreckt, aber eigentlich ganz niedlich ist?“
Fragend zogen sich seine Augenbrauen zusammen, während er ihr ein neckendes Schmunzeln zuwarf. Ein Rachegeist, der Menschen verspeiste, aber gegen ein paar Streicheleinheiten nichts einzuwenden hatte. Vielleicht ließ sich daraus wirklich etwas machen. Als Skadi sich herumwandte, hob er die Hand, um sie nicht zu behindern. Doch noch bevor er sie woanders hinlegen konnte, hatte die junge Frau danach gegriffen und malte die Linien nach. „Die Zeit wird es zeigen.“, stimmte er ihr zu, doch zu hören, dass sie die Zeit fernab der Marine bislang genoss, freute ihn irgendwie. „Und? Was siehst du? Ein langes Leben und viele Schätze?“ Seine Stimme verriet leise, dass er von solchem Quatsch nicht allzu viel hielt. Vielleicht wäre es ihm einfach bloß gleichgültig gewesen, hätte man dem kleinen Liam damals nicht vorhergesagt, dass alles gut werden würde, kurz bevor seine Hoffnung zerschellt war. Eigentlich war er nicht nachtragend oder beeinflussbar. Aber was man als Kind erlebte, saß eben doch tiefer als man wahrhaben wollte.
Immer noch zogen sich die Augenbrauen nachdenklich zusammen. Selbst als Liam ihr eine sehr noble Antwort auf ihre Frage gab, wusste Skadi nicht so recht, was sie wirklich davon halten sollte. Gut und schön – es ehrte ihn, dass das Glück und die Freude anderer höher stand als seine Eigene. Doch lag da nicht irgendwie ein Funken von Bedauern in seinem Blick. Vielleicht bildete sie es sich nur ein. Schlussendlich behielt der Lockenkopf Recht. Seine Geschichten würde nur mit ihm zusammen verstauben und vergessen werden, wenn er sie nicht mit der Welt teilte. Mit einem kurzen grüblerischen “Hm.“ wandten sich die braunen Augenpaare ab und verschwanden hinter schweren Augenlidern. Taten sich dann jedoch schlagartig wieder hervor, als die Lippen des Musikers Worte in die Luft frei setzte, die sie vollkommen irritierten. Sie und niedlich? Bei allen Göttern, ihr Vater wäre in schallendes Lachen ausgebrochen angesichts dieses stark hinkenden Vergleichs. Er hätte eher Begriffe wie „unnachgiebig“ und „brutal“ gewählt – doch niedlich war nur die Kleinste der Familie, die mit ihren kleinen Zöpfen durch das Dorf rannte und ihrer großen Schwester ganz stolz die frisch gefangenen Frösche zeigen wollte. “Niedlich, hm?“ Man konnte ihrer Miene ansehen, dass sie seine Meinung definitiv nicht teilte und sich just fragte, wie zur Hölle er darauf kam. Doch sie bohrte nicht weiter nach, zwickte ihn dafür lieber mit Zeigefinger und Daumen in den Oberschenkel und schüttelte leicht schnaubend den Kopf.
Immer wieder huschten die braunen Augenpaare über die breite Handfläche zu den langen Fingern hinauf, während sie die Konturen mit ihren Fingerkuppen umriss. Wiege den Kopf leicht zur Seite, als Liam sie eher selbstironisch nach seiner Zukunft fragte. “Mh… ich sehe ein paar ziemlich unruhige Nächte.“, begann die Nordskov in einem ernsten Tonfall und zog seine Hand näher zu ihrem Gesicht heran. Ganz als müsse sie prüfen, was sie gerade dort sah. “Und.. oh warte… das ist ja verrückt… ich sehe einen niedlichen Wendigo, der dir oft Kopfschmerzen bereiten wird.“, meinte sie mit einem verschmitzten Grinsen und lugte aus dem Augenwinkel zu ihm hinüber. Parierte damit seine zuvor getroffene Einschätzung ihrer Person und fuhr dann mit den Fingern zwischen seine. “Hach… wie gut, dass das alles nur Humbug ist. Hab gehört solche Wendigos sind ziemlich anstrengend.“ Und damit umschloss sie seine Hand fest mit ihrer eigenen und bettete sie auf ihrer Brust. Starrte dabei zufrieden gegen das Blätterdach, das im Licht des kleinen Feuers seltsame Gestalten zeichnete.
Ihr war anzusehen, dass sich ihr Selbstbild nicht mit dem deckte, welches Liam ansprach. Amüsiert nahm er ihre ungläubige Reaktion wahr und seinem Grinsen war anzusehen, dass er nicht vorhatte, seine Meinung diesbezüglich zu ändern. Sie mochte vielleicht noch die Skadi vor Augen haben, die als Kaladar die schmutzigen Machenschaften der Marine vorantrieb, doch er sah sie, wie sie ihr bei ihm lag. Wie sie nur zögerlich sein Angebot zum Tanz annahm oder vergnügt an der Scharade teilnahm die Egbert in den Raum geworfen hatte. Er sah jemanden, der sich wie ein kleines Kind über eine Kleinigkeit freuen konnte, an dem andere Menschen einfach vorübergezogen wären. Als sie ihm ins Bein kniff, als wolle sie ihm um alles in der Welt das Gegenteil beweisen, zuckte er unvorbereitet, doch sie hatte sich längst seiner Hand gewidmet, um seiner Frage nachzukommen und den Spieß ganz offensichtlich umzudrehen. Die Belustigung zuckte in seinen Mundwinkeln, doch er bemühte sich um eine ebenso ernste Miene wie sie. Jedenfalls so lange, bis sich eine seiner Brauen mit einem amüsierten Ausdruck von ‚Dein Ernst?‘ zu seiner Stirn hinauf wanderte. Er hatte verstanden, dass ‚niedlich‘ nicht zu den Attributen gehörte, mit denen sie sich beschreiben würde. Vielleicht würde er sie in den passenden Situationen daran erinnern, dass es dennoch auf sie zutraf. „Mal abwarten, wie gut deine Wahrsagekünste wirklich sind.“, meinte er ungläubig mit einem Schmunzeln. „Sie sollen ihre Opfer in den Wahnsinn treiben.“, bemerkte er, während Skadi den Griff um seine Hand schloss und und sie mit ihrer auf ihre Brust zog. „Folgen ihnen, bis die Dunkelheit herein bricht und überfallen sie wie wilde Tiere, ohne auch nur ein Haar übrig zu lassen. Oder verzaubert sie.“ Das hatte jetzt schon mehr von einer Lagerfeuergeschichte. Aber seine Absicht war es nicht, ihr Angst einzujagen. Viel eher faszinierten ihn derlei Geschichten.
Tja, es blieb abzuwarten, ob sie nicht einfach aus Prinzip jede Nacht an seine Hängematte schlich und ihm in die Seite pikste oder gleich ganz über ihn herfiel. Sollte dem so sein, hatte er sich das selbst zuzuschreiben. War ja schließlich nicht so, als hätte er damit nicht zuerst angefangen. Und dennoch erwiderte Skadi das breite Schmunzeln, das er ihr schenkte. Lauschte seinen Worten und spürte, wie sich ein seltsamer Ausdruck auf ihre Züge schlich. Sie hatte definitiv etwas im Schilde. Das schrie jeder ihrer Blick und jedes Zucken, das durch ihre Mundwinkel fuhr. Nur langsam löste sie die Umklammerung seiner Hände, setzte sich langsam auf und rollte sich geschickt herum, um letztlich neben ihm in die Hocke zu gehen. Legte den dunklen, kurz geschnitten Kopf zur Seite und musterte den Lockenkopf. “Meinst du… ungefähr so?“
Mit lautem Gebrüll sprang sie auf ihn zu und riss dabei den hoch gewachsenen Körper des Musikers zu Boden. Vergrub ihren Kopf in seiner Halsbeuge, um knurrend an der weichen Haut zu knabbern und ihn mit lockerem Griff um seine Handgelenke am Fliehen zu hindern. Jetzt konnte er ja sehen, wie gefährlich sie war. Der Wendigo, der sich einen Spaß daraus gemacht hatte, die Kinder in Angst und Schrecken zu versetzen. Mit einem herzhaften Lachen, erhob sie sich langsam. Saß rittlings auf seiner Hüfte und stützte sich mit beiden Händen vorn über gebeugt neben seinem Kopf ab. Musterte aus funkelnden Augen das braun gebrannte Gesicht und konnte sich das breite Grinsen kaum mehr verkneifen. Wie dunkle Wellen glitten ihre kurzen Haare über die Schulter hinab zu ihrem Kinn. Verdeckten kurzweiligen ihr Gesicht, ehe Skadi sie sie zur Seite pustete.
Welche Geister er da gerade heraufbeschwor, ahnte er nicht einmal im Geringsten. Hier ging es nicht um Trevor, der aufgeregt zwischen den Hängematten hindurchlief und ausversehen den ein oder anderen dabei fast auf den Boden beförderte. Es ging auch nicht um Shanaya, die ihn mit einem gezielten Stich in die Seite aus dem Schlaf holte, um noch eine Runde ‚Ich sehe was, was du nicht siehst‘ zu spielen. Dieser Geist hier war rachsüchtiger und bemüht, ihm den Gedanken auszutreiben, ihn als ‚niedlich‘ zu bezeichnen. Dass sie etwas im Schilde führte, sah man dem Ausdruck auf ihrem Gesicht an, doch Liam ahnte nichts. Nichts bestimmtes jedenfalls. Stattdessen sah er sie abwartend an, als sie den Anschein machte, eine mögliche Jagdtechnik eines Wendigo zu thematisieren. Eine Sekunde später fand er sich schon als Opfer ihres brüllenden Überfalls, der ihn zur Seite auf den Waldboden riss. Unvorbereitet ging er unter mit der Wucht ihres Körpers, hörte noch das Knurren und Fauchen wie vor vier Tagen, ehe er ihren Ton an seinem Hals vibrieren spürte. Instinktiv hatten sich seine Glieder angespannt, drückten dem Gewicht entgegen, mit dem sie seine Hände an den Boden fesselte, wenn auch nicht mit dem Elan, den er aufgebracht hätte, hätte er sich ernsthaft in Gefahr gefühlt. Stattdessen ließ seine Gegenwehr mit jeder Sekunde mehr nach, die er ihre Lippen an seinem Hals spürte. Die anfängliche Überraschung wich, hinterließen abermals Faszination für ihre Wildheit und die Hingabe, die sie in ihre Rollen steckte. Hatte sie ihm Angst machen wollen, hatte sie viel mehr das Gegenteil erreicht.
Er musste sogar überrascht gestehen, dass es ihn ein bisschen erregte, wie sie auf ihm saß und vorgab, ihn am Fliehen zu hindern. Langsam ließ sie lachend von seinem Hals ab, hob den Blick zu seinen Augen und hatte wieder diesen einfachen und glücklichen Zug auf den Lippen, den Liam allmählich an ihr zu schätzen lernte. Wie ein Kind eben, welches sorglos die Freude genießen konnte, die es an solchen Situationen fand. Und er war nicht gewillt, ihr diese Freude zu nehmen. Stattdessen wich nun auch die letzte Spur der Überraschung aus seinem Gesicht, als er lachend den Kopf schüttelte und keine Worte für ihre Darbietung hatte. Trotzdem hatte sie es geschafft, seinen Herzschlag zu beschleunigen, welches nun adrenalingetrieben gegen seine Brust schlug. Ein paar Sekunden erwiderte er ihren Blick, überflog all die Sorglosigkeit auf ihrem Gesicht und musste unweigerlich daran denken, dass er ihr das letzte Mal eine heftige Kopfnuss verpasst hatte, als sie sich in solch einer Situation befunden hatten. Das allerdings war das letzte, was ihm nun in den Sinn kam. Stattdessen drückte er abermals seine Handgelenke gegen ihren Griff, richtete den Oberkörper auf schob Skadi so langsam über seine Knie hinunter auf den Waldboden, während er sich nun seinerseits über sie beugte, sein Blick von ihren Augen über ihre rundliche Nase hin zu ihren Lippen wanderte, er sich mit den Händen über ihren Schultern stützte und schließlich den Kopf senkte, um ihr abermals einen Kuss von den Lippen zu stehlen.
Schlagartig wandelte sich die verspielte Situation und ließ Skadi mit einem kurzen Blinzeln zu Liam hinab sehen, dessen Gegenwehr mit einem Mal anstieg. Kraftvoll schob er sie mit seinen Händen hinauf. Trug wieder diesen Ausdruck auf den Zügen, der sich erst wie ein fester Kloß in ihrem Hals niederließ und dann mit voller Kraft in ihre Magengegend verabschiedete. Aufgeregt kribbelten ihre Nervenenden, als der Musiker sie bestimmt und sanft auf den Boden schob. Sie nun selbst mit seinen breiten Schultern überragte und wortlos zu ihr hinab starrte. Wie von selbst biss sich Skadi auf die Unterlippe, hörte wie ihr Atem schlagartig flacher wurde, während ihr Blut wummernd durch ihre Lenden rauschte. Die Luft zwischen ihnen knisterte aufgeladen. Entlud sich schlagartig, als sich Liam hinab beugte und ihre Lippen mit einem zärtlichen Kuss versiegelte. Einem Hammer gleich schlug ihr Herz gegen ihre Brust, quetschte sich förmlich durch ihre Rippenbögen, die sich unter dem Feuer, das ihren Körper erhitzte, zitternd auf und ab bewegten. Fast schon gierig zogen die langen Arme der Nordskov den Körper des Musikers an seinem Nacken hinab. Wenig später schlangen sich bereits ihre Beine um seine schmale Hüfte und ließen keinen Zweifel mehr daran, dass sie gewillt war ihr kleines Stell dich ein von vorhin zu wiederholen. Wilder und ungezügelter. Immer wieder kostete sie den Geschmack seiner Lippen, ließ von seinen dichten Locken ab, dessen Spitzen sie immer wieder um ihre Finger wickelte. Wanderte mit den Fingerspitzen in kreisenden Bewegungen über seinen Oberkörper, ehe sie die Hand ungefragt unter den Bund seiner Hose gleiten ließ. Nur kurz löste sie sich aus dem leidenschaftlichen Kuss, sah mit funkelnden Augen zu Liam hinauf und konnte das verschmitzte Grinsen auf ihren Zügen kaum mehr zurück halten. Sie würde sich keine Sekunde mehr zurückhalten können.
Es waren die Dinge, die einfach passierten. Dinge, über die sich zumindest Liam keine Gedanken machte, sondern einfach handelte. Weil es sich richtig anfühlte und weil es das war, was er wollte. Er war selbst überrascht davon, wie angetan er von ihrem kleinen Überfall gewesen war, der mit Sicherheit nicht das zum Ziel gehabt hatte, was folgte. Und doch war es ein Ausgang, mit dem beide mehr als zufrieden zu sein schienen. Liam wusste nicht, wie lange es her war, dass er sich das letzte Mal so frei gefühlt hatte. So frei und gleichzeitig so angetan von einer Person, dass er den Dingen einfach seinen Lauf lies. Dass er die Nähe zuließ, die mehr sein konnte als bloße Geborgenheit für einen Augenblick und sich gleichzeitig keine Sorgen darum machte, dass es missverstanden wurde oder mehr hineininterpretiert wurde, als dort eigentlich war. Er konnte die Nordskov gut leiden, keinen Zweifel und davon war er selbst mehr als überrascht. Nicht von der Tatsache an sich, sondern von der Schnelligkeit, wie er sie zu kennen glaubte, um dementsprechend mit ihr umzugehen. Und selbst, wenn seine Deutung der Umstände schief gehen würde – das war gewiss nicht sein Problem. Damit konnte sich der Zukunfts-Liam herumschlagen, während er sich frei vergnügte und den Durst stillte, den sie beide offensichtlich vorzuweisen hatten. Und warum nicht nutzen, wenn sich die Gelegenheit bot? Sie waren beide frei, sie waren beide erwachsen und sie wussten beide ganz genau, was sie wollten.
Das Feuerwerk begann von vorn, durchströmte seinen Körper und implodierte überall dort unter seiner Haut, wo kurz zuvor die Finger der Jüngeren darüber hergeglitten waren. Er spürte die Intensität, die eine einzige Berührung ausmachen konnte, spürte ihre Hände unter seinen Leinen, ehe er sie mit einer Hand über den Kopf stülpte und sich kurz darauf an die Laschen begab, die den Wams um ihren Oberkörper hielten. Kurz beobachtete er seine Finger dabei wie sie ganz automatisch einen Teil ihrer Heimat nachfuhren, bevor er sich wieder nach vorne lehnte, ihren Hals liebkoste und mit der freien Hand weiter ihren Körper erkundete, während sie längst das Zentrum seiner Lenden erreicht hatte. ------ Mit schnellem Atem rollte er sich von ihr herunter und ließ sich auf den Waldboden gleiten, ein zufriedenes, wenn auch erschöpftes Lächeln auf den Lippen. Seine Stirn berührte für einen Augenblick ihre nackte Schulter, während er Luft holte und gleichzeitig ihren schweißnassen Geruch einsog. Er schwieg für den Augenblick, strich mit der Rechten in einer langsamen Bewegung über ihren Bauch, ehe sie dort zum Erliegen kam. Allmählich hatte die Situation etwas Irreales an sich, sodass der Künstler fast schon damit rechnete, jeden Moment einfach aufzuwachen und sich allein in der Hängematte auf der Sphinx wiederzufinden. Dann allerdings hatte er allen Grund, fasziniert zu sein über den Realismus und die Intensität der Empfindungen, die er diese Nacht durchgemacht hatte. Langsam hob er den Kopf, um in das dunkle Braun ihrer Augen zu sehen, in dem sich das Flackern des Feuers spiegelte. Auf seinen Zügen war ein stummes Lachen, fast schon ungläubig, dass es schon wieder passiert war. „Ich glaube, mit dem Wendigo komme ich klar.“, flüsterte er belustigt und schloss die Augen, bevor er die Stirn wieder an ihre Schulter lehnte.
Crewmitglied der Sphinx
für 250 Gold gesucht
dabei seit Apr 2016
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#6
Seine Berührungen raubten ihr jeden noch so klaren Gedanken. Skadi versuchte nicht einmal genau zu verstehen, was den Lockenkopf dazu bewogen hatte, nun selbst über sie herzufallen. Denn es gefiel ihr auf eine Gewisse Art und Weise. Wenn sie sich sonst dagegen sträubte dominiert zu werden, hatte es bei Liam einen ungewöhnlich erregenden Charakter an sich. Es machte ihn für sie schier unwiderstehlich und ließ die Nordskov immer wieder gierig nach seinen Lippen suchen. Fixierte ihre Finger an seinem warmen Körper, den sie unablässig berührte, neckte und unter heftigen Atemstößen vibrieren ließ. Hatte ihr erstes Mal seicht und leidenschaftlich angefangen, waren sie nun mehr dazu übergangen, ungestümer und forscher zu sein. Ließen dem jeweils anderen kaum Raum für andere Gedanken, keine einzige Atempause, in der das aufgebrachte Herz nach Luft schnappen konnte. Wie ein einem Rausch verschmolzen ihre Leiber miteinander, wurden eins unter der dunklen Nacht, die hereingebrochen war.
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Schwer atmend lag Skadi auf dem kühlen Waldboden. Sah aus halb geöffneten Augen zu Liam hinauf, dessen Gesicht ebenso schimmerte wie ihres. Sichtlich erschöpft, aber glücklich. Nur halb bemerkte sie, wie der aufgeheizte Körper an ihre Seite glitt. Mit der flachen Hand über ihren Brauch strich, der sich unter den schweren Atemzügen hob und senkte. Unwirsch strich sich die Dunkelhaarige einzelne Strähnen aus dem Gesicht, während sie ihre Augen schloss und versuchte ihr Herz in einen sanfteren Takt zurück zu führen. Konzentrierte sich auf die Fingerspitzen des Älteren, die eine leichte Gänsehaut auf ihrem Körper freisetzten. “Du bist jetzt offizieller Wendigo Experte.“, brachte sie unter einem tiefen Atemzug hervor und spürte bereits das warme Lächeln auf ihren Zügen. Fuhr sich mit der Handfläche über die roten Züge und ließ dann mit geöffneten Augenpaaren den dunklen Schopf zur Seite gleiten. “Du schaffst mich Liam… du schaffst mich wirklich.“ Unweigerlich musste sie auflachen angesichts der Tatsache, dass sie weder mit diesem, noch dem vorherigen Mal gerechnet hatte. Schon gar nicht mit der feurigen Intensität, die er an den Tag legte und ihren Körper fast bewegungsunfähig zurück ließ. Ein Zittern durchfuhr ihre Glieder. Warnte sie davor, dass es bald zu spät sein würde, rechtzeitig am Schiff anzukommen, bevor sie müde am Feuer zusammen sank. “Ich glaube wir sollten langsam zurück… ich weiß nicht, ob ich eine dritte Runde schaffe, ohne direkt auf dir einzuschlafen.“, gestand sie mit deutlicher Belustigung in der Stimme. Rollte sich langsam auf und hielt bereits Ausschau nach den Wild in der Gegend verstreuten Kleidungsstücken, die Liam achtlos zur Seite geworfen hatte. Ihr kleines Lager erzählte wirklich Bände von dem, was gerade passiert war.
Er spürte, wie sich ihr Körper allmählich neben ihm beruhigte, ihre Atmung flacher wurde und auch sein Herz allmählich wieder in einen ruhigeren Rhythmus verfiel. Für den Augenblick war es ein unbeschreibliches Gefühl, einfach nur da zu liegen, während das Leben noch immer zwischen Kopf und Lenden kreiste. Als Skadis Stimme erklang – ähnlich erschöpft und genauso zufrieden, wie er sich fühlte – konnte er nicht anders, als kurz belustigt zu glucksen. „Gibt’s dafür auch einen Orden?“ Das war auch kein alltägliches Kompliment, doch er nahm es, wie es kam und konnte nicht bestreiten, dass es die Zufriedenheit in ihm noch ein wenig anfeuerte. Allmählich aber war er tatsächlich geschafft. Der Abend hatte sich gänzlich anders entwickelt, als er es sich vorgestellt hatte. Aber auf eine gute Art und Weise. Ein zustimmender Ton verließ seine Kehle. Auch das hatten sie vermutlich gemeinsam, zurecht allerdings, denn niemand konnte ihnen unterstellen, sie hätten sich heute zu wenig bewegt. Doch man hörte seiner Stimme das glückliche Grinsen an, welches trotz der geschlossenen Augen auf seinen Lippen lag. Seine Stirn war noch immer an ihre Schulter gelehnt, bis er das Beben ihrer Haut unter seiner Hand spürte und zufrieden aufsah ob der Tatsache, wie lange sie von ihrer Vereinigung zehren konnte.
„Das ist… eine sehr gute Idee.“, gab er ihr Recht und drehte sich von ihr weg auf den Rücken, ohne weitere Anstalten zu machen, direkt aufstehen zu wollen. Für den Augenblick war er rundum zufrieden, erschöpft und ausgelaugt. Gegen ein wenig Flüssigkeit hätte er auch nichts einzuwenden gehabt. „Ich glaube, ich werde heute Nacht sehr gut schlafen. Da können die anderen schnarchen wie sie wollen.“ Müde wischte er sich über das Gesicht und schmunzelte Skadi schließlich entgegen, die bereits ihre Klamotten zusammensuchte. Ein paar Herzschläge später hievte auch er seinen Oberkörper vom Boden, streckte den Arm und hatte damit zumindest schon mal sein Leinenhemd eingesammelt.
Liam verdiente allein dafür schon einen Orden, dass er die Nordskov aus ihrer Austernschale hervor gelockt hatte. Wäre er sich auch nur im Geringsten darüber im Klaren, wie ungewöhnlich diese Leichtigkeit war, mit der sie um ihn herum schlich, hätte er sich augenblicklich einen Orden an die nackte Brust pinnen können, die Skadi mit einem leichten Schmunzeln musterte. Es tat ihr sichtlich gut gedanklich gerade einmal zwischen Tapete und Wand zu stecken und sich in keine weitreichenden Theorien zu verwickeln. Der Casey Spross war vielleicht nicht der arbeitswütigste Mensch – allzu oft hatte sie die Stimme Enriques im Ohr, der sich zu Marinezeiten über die Faulheit einiger Soldaten beschwerte – doch Liam… der war irgendwie eine Klasse für sich.
Mit einem tiefen Seufzen wandte sich der hoch gewachsene Körper ab und verschloss klimpernd die letzten Verschlüsse ihres Bustiers. Steuerte dabei bereits direkt auf das kleine Lagerfeuer zu, dessen Flammen beachtlich hinab gebrannt waren und kaum mehr als einen kleinen warmen Schimmer entsandten. Vorsichtig schaufelte Skadi erst mit ihrer Schuhspitze etwas Erde auf die glimmenden Äste, ehe sie sich in die Hocke gleiten ließ und mit die letzten leuchtenden Funken mit dunklem Sand bedeckte.
“Bei der ganzen Bewegung und frischen Luft hätte mich alles andere auch gewundert.“, warf sie dem Lockenkopf als ungefragte Antwort auf seine Theorie entgegen und schenkte ihm ein verschmitztes Grinsen, das nur im Ansatz ihre Schulter überragte. Skadi selbst würde sich wohl in ziemlich wüste Träume flüchten, die ihr am darauffolgenden Morgen bittersüß in den Mundwinkeln hängen würden. Ganz davon abgesehen, dass sie weit vor Sonnenaufgang bereits wieder auf den Beinen wäre. Darauf vorbereitet sich dem schlimmsten Ereignis zu stellen, das seit dem Tod ihrer Familie und der seltsamen Nacht von vor 4 Tagen auf sie zukam. Skadi wusste nicht, ob es alte Wunden aufriss, erlaubte es sich aber nicht auch nur einen weiteren Gedanken daran zu verschwenden, als sie sich aufrichtete und zu Liam zurück lief. Ihn fast schon wehmütig beobachtete, weil ihr schlagartig bewusst wurde, wie flüchtig dieser sorglose Moment zwischen ihnen gewesen war. Im Gehen trat sie kraftvoll auf das eine Ende ihres Speers, nahm die nach oben schnellende Spitze mit ausgestreckten Fingern entgegen und lief dann an dem Lockenkopf vorbei.
“Meinst du Greo hat uns noch etwas vom Abendessen übrig gelassen?“
Er gönnte sich noch einen Augenblick, in dem er einfach da saß, sein Hemd in der Hand und Skadi im Zwielicht der Glut mit einem sachten Schmunzeln beobachtete. Abermals blieben seine Augen an den Mustern auf ihrer Haut hängen und der junge Künstler beschloss, sich dieser Geheimnisse das nächste Mal wieder anzunehmen. Seine Neugier war definitiv nicht gestillt, eher vertagt durch die unerwartete Wendung, die ihr Ausflug genommen hatte. Nun blieb es abzuwarten, was die nächsten Tage bringen würden. Liam hatte bislang stets positive Erfahrungen mit derartigen ‚Beziehungen‘ gemacht, solange beide Seiten wussten, wo sie standen. Im Fall Skadi war nicht einmal entschieden, ob es eine einmalige (… zweimalige) Sache gewesen war, oder tatsächlich etwas Anhaltenderes daraus werden würde. Liam war nicht der Typ, der sich im Vorfeld darüber den Kopf zerbrach – es würde kommen, wie es kam. Der Unterschied, dass er dieses Mal allerdings das Schiff mit seiner Begleiterin teilen würde, war ihm durchaus bewusst. Doch bislang schrieb er diesem Umstand keine große Bedeutung zu. Vielleicht, weil er wirklich nicht glaubte, dass es ein Unterschied machte, ob man sich ständig sah oder sich die Wege relativ schnell wieder trennten. Vielleicht aber auch, weil er nicht darüber nachdenken wollte, dass es eben doch einen Unterschied machte. Skadi jedenfalls machte es ihm einfach, sich nicht damit zu beschäftigen.
Stattdessen war er mittlerweile ebenfalls wieder in seine Hosen geschlüpft und hatte seine Schuhe vom Stein gesammelt, während sich die Jüngere darum gekümmert hatte, die restliche Glut zu ersticken. Im letzten Licht glaubte Liam, abermals einen Schatten auf ihren Zügen zu erkennen, den er sich nicht erklären konnte. Doch er schwieg, schob es gedanklich abermals dem Zustand ihres Freundes Enriques zu und begnügte sich mit dem positiven Ergebnis im Vergleich zu ihrem abwesenden Zustand am Mittag. „Was denn, Luft und Liebe reicht dir nicht?“ Und natürlich der Fisch, der für zwei Personen allerdings einfach zu wenig hergegeben hatte. „Das nächste Mal gebe ich mir mehr Mühe beim Angeln.“ Man hörte ihm an, dass er es ernst meinte. Er bezweifelte, dass ihnen irgendjemand etwas aufgehoben hatte. Aber sie wussten immer noch, wo das Lager war und wo sie zumindest eine Kleinigkeit zu Essen herbekamen, mit dem sie sich bis Morgen über Wasser halten konnten. Liams Hand streifte kurz Skadis Schulter, als sie mitsamt des Speeres aufgeschlossen hatte, doch wenige Meter weiter schon war der Pfad ohnehin nicht mehr breit genug, um nebeneinander zu laufen. „Hast du alles?“, fragte er, als er ihr den Vortritt lassen wollte und wandte sich noch einmal kurz herum.
Sie hatte fast auflachen müssen bei seinen Worten, die lieblich über ihre Schultern krochen und kribbelnd an ihrem Nacken zwickten. Sofern sie wollte, konnte sie davon leben. Doch anders als zu den glorreichen Zeiten auf der Insel nahe Trithên, gab es immerhin ein Schiff, das nicht darauf wartete, bis sie aus ihrem triebgesteuerten Rausch erwachte und sich zurück an Deck bequemte. Ganz davon abgesehen, dass das hier wohl wenig mit Liebe gemein hatte. Vormachen brauchten sie sich beide wohl kaum etwas – geschweige denn dass sie sich überhaupt weitreichende Gedanken über jegliche Konsequenzen dessen machen würden.
“Ich bin eine sehr genügsame Frau.“, entgegnete die Dunkelhaarige daher mit einem Achselzucken und blickte mehr als selbstgefällig drein. Niemand konnte ihr bislang gegenteiliges behaupten und da Liam mit seinem ironischen Unterton die Kerbe, in die sie einschlug, mit einem leuchtend roten X markierte, kümmerte es sie nicht, ob er insgeheim vielleicht doch anderer Meinung war.
Seine darauf folgende Aussage ließ sie jedoch geistig innehalten. Fast schon ein bisschen abwesend den Kopf in seine Richtung heben, solange sie nicht vollständig zu ihm aufgeschlossen hatte. Beim nächsten Mal. Nachdenklich kippte der dunkle Haarschopf zur Seite, die dunklen Augenpaare im plötzlichen Dunkel auf den Schemen gerichtet, den sie als ihre Begleitung ausmachte und dessen Züge sie erst im fahlen Mondlicht erkannte, als sie gut eine Armelänge von ihm entfernt war. Skadi hatte sich bis jetzt keine Gedanken darum gemacht, dass dieses Beisammensein vielleicht eine einmalige Sache sein konnte. Nicht etwa, weil sowohl sie als auch der Lockenkopf es so wollte, sondern weil die Umstände es einfach nicht mehr zuließen. Niemand konnte so Recht sagen, was in den nächsten Tagen, Wochen oder gar Monaten auf sie wartete. Was sowohl aufregend, als auch beängstigend sein konnte. Würde ihr diese Leichtigkeit fehlen, die der Fremde in ihr wachrüttelte, ohne dass sie sich sonderlich dagegen wehrte? Oh ja. Und irgendwann würde ihr klar werden, wie sehr es in ihren Knochen deshalb zu kribbeln begann. Mochte es noch so leichtsinnig sein, ihm bereitwillig ihren verletzlichen Körper zu überlassen – Liam hatte nie den Anschein erweckt, als wollte er sie in eine Falle locken. Als wäre ihm je etwas daran gelegen, ihren Hintern ins nächste Gefängnis zu verfrachten oder den Haien zum Fraß vorzuwerfen. All das, was sie für gewöhnlich misstrauisch werden ließ, fehlte ihm gänzlich. Und sie verstand zur Hölle nicht wieso. Wieso, wieso, wieso, wieso, wieso…
Auf seine Frage blieb sie neben ihm stehend. Wandte sich auf den Zehenspitzen halb zur Seite und musterte ihn. Immer noch mit zur Seite gelegtem Kopf und einem undurchdringlichen Blick in den braunen Augenpaaren, der so viel und doch nichts bedeuteten konnte.
„Nein… “, flüsterte sie leise und sog tief die angenehm kühle Nachtluft ein. Bettete dann fast wie selbstverständlich die langen Finger ihrer Hand auf seiner Brust und lehnte sich voraus. Dem letzten Kuss entgegen, den sie ihm für diesen Tag und womöglich für die darauf folgenden von den Lippen stehlen würde. Entfernte sich nur widerwillig von der Wärme, die unter der weichen Haut seiner Lippen pulsierte. Lehnte ihre Stirn gegen seine, während sie immer noch auf den Zehenspitzen stand und die Augen geschlossen hielt. Den Moment, seinen Duft und die Geräusche um sich herum einsog, als wollte sie diese Erinnerung für immer in ihrem Gedächtnis konservieren. Für schlechte Tage. Für Träume, die ihr keiner nehmen konnte.
Erst nach einer gefühlten Ewigkeit ließ sie von Liam ab. Schenkte ihm ein fast schon verträumtes Lächeln, ehe sie sich abwandte und voraus auf den kleinen Trampelpfad trat. Wortlos. Weil es keiner zerstörerischen Kraft bedurfte, die diesen Augenblick durchtrennte wie eine Klinge. Es machte es am Ende weniger real… wenn sie anfing, darüber nachzudenken. Einen Sinn darin suchte, was sie tat oder eben nicht. Wenn dieses Chaos in ihr zunahm und eine Flucht kaum mehr Möglich sein würde.
Als Liam von einem ‚nächsten Mal‘ gesprochen hatte, hatte er nicht einmal explizit darauf angespielt, dass dieses ‚nächstes Mal‘ so verlaufen musste wie heute. Die letzten Tage hatten ihm gereicht, um für sich selbst zu entscheiden, dass er sie gut leiden konnte und das belief sich nicht bloß auf eine körperliche Ebene, obwohl sie auch darin erstaunlich gut harmonierten. Doch hätte man ihn gefragt, was er im Leben wichtiger fand – Liebe oder Freundschaft – hätte er sich für letzteres entschieden. Und als ‚Liebe‘ definierte er hierbei tatsächlich die pure Lust und Leidenschaft. Das, was eben passierte, wenn man den Dingen seinen Lauf ließ und doch nicht mehr war als ein flüchtiger Augenblick ohne Verbindlichkeit. Das, was einem in Erinnerung blieb und mit der Zeit verblasste, während Freundschaft über die Meere hinweg allgegenwärtig war. Skadis leises Flüstern ließen ihn im Zwielicht leicht die Stirn runzeln, denn er hatte nichts mehr entdecken können, was sie leichtfertig liegengelassen hatten. Der Lockenschopf wandte sich zu ihr herum, erwartete, dass sie an ihm vorbei zurück zu ihrer kleinen, verlassenen Feuerstelle treten würde, doch stattdessen überwand sie lediglich die kurze Entfernung, die zwischen ihnen gelegen hatte.
Und das, was folgte, fühlte sich stark wie ein Abschied an. Liam spürte ihre Finger auf den Leinen seines einfachen Hemdes, spürte, wie sich sein Herz dagegenstemmte, so lebendig, wie sie es nach ihrer letzten Zusammenkunft hinterlassen hatte. Die Berührung ihrer Lippen dauerte einen ewigen Sekundenbruchteil, ehe er das warme Gefühl ihrer Nähe an seiner Stirn spürte und den Moment an sich genoss, ohne sich über das ‚war‘ oder ‚werden‘ Gedanken zu machen. Er kannte diese Art von Abschieden, er hatte sie oft erlebt und war froh um jeden einzelnen. Es war der Moment, bevor jeder wieder seiner Wege zog und der gemeinsame Moment greifbar und gleichzeitig so unwirklich zurückblieb. Der Moment, in dem man wusste, dass man sich nichts schuldig war und es am nächsten Morgen nicht mehr mehr sein würde als eine verblassende Erinnerung, die man mit irgendjemandem auf der Welt teilte. Eine Erinnerung, von der man zehren konnte, zu der man sich an manchen Zeiten vielleicht sogar zurücksehnte, aber vor allem eines machte sie aus: Man bereute sie nicht. Und ihm fiel verdammt noch mal auch kein Grund ein, warum er das hier bereuen sollte.
Seine Finger hatten sich ganz automatisch um ihre Hüfte gelegt, verschmolz die beiden Körper zu einer lockeren, aber vertrauten Umarmung. Er würde diesen Moment wie jeden anderen in seinem Gedächtnis behalten, würde daran zurückdenken, wenn ihm danach war, an die Sinnlichkeit, die Vertrautheit, die sich zwischen ihnen eingestellt hatte. Er lebte zu sehr im Moment, als dass er ihm hinterher trauern würde. Für ihn war es selbstverständlich, dass kaum, dass sie sich trennten, wieder Normalität einkehren würde und niemand außer diesem Ort und ihrer beider Erinnerung Zeuge dafür sein würden, was geschehen war. Wie viel Zeit verging, bis es soweit war, konnte er nicht sagen. Nur langsam zog Skadi den Kopf zurück und ließ sich wieder auf ihre Füße gleiten, während Liam die Augen öffnete und zu den Schatten hinab sah, die ihre sanfte Kontur in die Dunkelheit zeichneten. Liam schwieg, während er das Gefühl nicht los wurde, dass da mehr hinter ihrem Blick war. Fast so, als wüsste sie mehr als er. Als wüsste sie doch bereits, dass sie die Sphinx nicht lange begleiten würde. Doch ausnahmsweise interessiere ihn dieses Geheimnis nicht. Die nächsten Tage und Wochen würden ihm ohnehin eine Antwort bescheren – nicht bloß in Skadis Fall. Und er hatte keinen Grund, an irgendeiner Entscheidung etwas ändern zu wollen. Denn er wusste, wie das Leben funktionierte. Es führte zusammen und es trennte. Und er kannte viele Arten von Abschieden. Das hier war einer der Schöneren, beschloss er für sich und folgte der hübschen Gestalt der Jüngeren auf den Pfad, der sie zurückführen würde. Zurück in den Alltag und raus aus dieser kleinen, heilen Welt, die sie zumindest für diesen Abend hatten genießen können.


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