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Schwarze Gedanken
Enrique & Rayon ✓✓
Szenen-Informationen
Charaktere Gast
Datum 20 März 1822
Ort Auf der Sphinx
Tageszeit Mittags
Crewmitglied der Sphinx
für 250 Gold gesucht
dabei seit Nov 2016
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#1
Schwarze Gedanken

Mittag des 20. März 1822
Direkt nach "Twist that frown upside down"
Enrique & Rayon

Für einen Moment starrte er noch auf Rayons Ordnung. An ihr geändert hatte sich nichts. Lediglich Enriques Becher stand an einer anderen Stelle.
Dann glitt seine Hand in eine Tasche seiner Kleidung und zog ein Holzperlenpüppchen heraus und spielte es zwischen den Finger. Die Augen blieben blicklos daran hängen. Sein Gesicht zeigte wieder die typische neutrale Maske. Erschöpft wie er war, war sowohl das Amüsement, als auch die die Wut verschwunden. In seinem Kopf jagten sich stattdessen die Gedanken.
Wann würde Lucien sich endlich zeigen? Er musste wissen, was der über diese Sache dachte. Und irgendwann müsste er auch mit Talin reden. Ob er wollte oder nicht. Aber dazu fühlte er sich noch nicht in der Lage. Auch stellte sich die Frage, was er jetzt wollte: Auf diesem Schiff bleiben? Das brachte ihn zu den beiden Capitanes zurück. Nun da Kaladar in Sicherheit war, zurück zur Marine? Für was? Wenn jemand überlebt hatte, der gesehen hatte, wie er die Nummer Eins angegriffen hatte, dann würde man ihn vor das Marinegericht zitieren, falls nicht, könnte er behaupten entführt worden zu sein. So oder so ließe sich damit Geld machen. Aber warum sollte er den Leuten hier noch weiter helfen? Und wieso fiel ihm in diesem Zusammenhang sowas ein? Auch Kaladar verhielt sich seltsam. Was war mit ihm los? Mehr als die Tatsache, dass er die Last seiner Tat jetzt erst begriff? Irgendwann würde er auch mit ihm reden müssen.
Und er musste sich entscheiden.
Andererseits... Hatte er überhaupt eine Wahl? Meist räumte er doch nur seinen Impulsen hinterher, auch wenn er das nach außen anders verkaufte. Gab es eigentlich irgendeine Entscheidung, die er bewusst getroffen hatte? Die, zur Marine zu gehen? Sich auf der Morgenwind mit Harper anzulegen? Lucien zu folgen? No. Wohl eher nicht.
Diese Erkenntnis zog ihn noch weiter runter und er hatte nicht die Kraft die düsteren Gedanken abzuschütteln. Nur sein Wille und die Wand hielt ihn auf den Füßen, als der Smutje die Kombüse betrat um das Mittagessen vorzubereiten.
Die schweigsame Gestalt, die auf Anweisungen wartete kannte Rayon schon aus den letzten Tagen. Der Leutnant mochte die Besatzung meiden, aber helfen tat er. Meistens jedoch straffte er sich militärisch, und nickte dem Hereinkommenden zu, sowie er nicht mehr alleine war. Dieses Mal blieb das aus. Auch war für die meisten Menschen die Erschöpfung nicht zu übersehen. Das es keine angenehmen Gedanken waren, die ihn gefangen hielten auch nicht. Insgesamt also ein ungewöhnlicher Anblick von jemandem, der sonst keine Schwäche zeigte und sich Mühe gab nicht zu lesen zu sein...
Crewmitglied der Sphinx
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#2
Es war nicht das erste Mal, dass Enrique in der Kombüse auf ihn wartete, seitdem sie das brennende Wrack der Morgenwind hinter sich gelassen hatten. Der ehemalige Leutnant gab sich nicht nur beste Mühe, der Crew nicht im Weg zu stehen, sondern half an allen Ecken und Enden mit. Nicht bei all ihren Neuzugängen hatte er das Gefühl, dass sie mit vollem Engagement bei der Sachen waren - auch bei Enrique wusste er nicht, ob seine Motivation daher rührte, dass er sich mit der Crew gut stellen wollte, von ehrlicher Bereitschaft zur Mitarbeit oder schlichtweg von der Disziplin, die ihm in der Marine zweifelsohne antrainiert worden war. Zumindest konnte man mit ihm gut zusammenarbeiten, und Rayon schätzte das, gerade weil es in ihrer aktuellen Situation schon schwer genug war, jemanden zur Mithilfe in der Kombüse zu bewegen. Schließlich musste da Schiff instandgehalten und die Verletzten gepflegt werden. Entsprechend dankbar war der Schiffskoch für die Anwesenheit des ehemaligen Marinesoldaten, der alle anfallenden Aufgaben ohne jegliches Murren zuverlässig erledigte.

Heute jedoch schien etwas anders zu sein als in den letzten Tagen. Rayon hatte beinahe schon damit gerechnet, Enrique hier vorzufinden, denn das Mittagessen stand bevor und zu dieser Zeit war in der Kombüse naturgemäß am meisten zu tun. Der Schwarzhaarige schien ihn jedoch kaum zu bemerken, als er an ihm vorbei zum Herd ging und grüßte ihn nicht auf seine höflich-distanzierte Art, wie er es sonst tat. Rayon warf ihm einen musternden Seitenblick zu und erkannte einen Ausdruck im Gesicht des ehemaligen Leutnants, der ihm dort bisher nicht aufgefallen war - düster starrte er vor sich hin, hatte seine übliche Maske anscheinend in einem unbeobachteten Moment abgelegt oder war schlichtweg nicht in der Stimmung, sie aufrechtzuerhalten. Wortlos schnappte der Dunkelhäutige sich den Becher, der vor Enrique auf dem Tisch stand, nahm sich einen zweiten, schritt zum Rumfass, öffnete es und füllte die leeren Gefäße, ehe er sich dem Schwarzhaarigen gegenübersetzte und die Becher auf die Holzplatte stellte.

"Wir können reden oder einfach nur trinken. Ganz wie du willst", sagte er mit einem sanften Lächeln, prostete seinem Gegenüber wie zur Bestätigung seiner Worte zu und nahm einen Schluck aus dem Becher. Der Rum brannte angenehm in seiner Kehle und Rayon schloss kurz die Augen, um den Geschmack intensiver wahrnehmen zu können.

Als er sie wieder öffnete, richtete er seinen Blick bewusst nicht auf Enrique, sondern eine der leich ramponierten Planken hinter ihm. Er wollte ihm keinesfalls das Gefühl geben, in die Enge getrieben zu werden. Aber wenn der ehemalige Leutnant reden wollte, war er gerne dazu bereit.

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#3
Die ganze Zeit, während der Smutje sich durch die Kombüse bewegte, starrte der ehemalige Leutnant weiter vor sich hin, tanzte das Püppchen langsam und beiläufig in seiner Hand. Erst bei Rayons Worten schreckte er hoch, sog dabei scharf die Luft ein und blinzelte irritiert. Seine Finger kamen aus dem Rhythmus, verloren fast das Kinderspielzeug und verbargen es schließlich in der Faust. Automatisch schnellte sein Körper in Hab-acht-Stellung und sein Gesicht verschloss sich zu einer emotionslosen Maske.

"¿Was—?"

Er hielt einen Augenblick lang die Luft an, erwartete Harpers Wutausbruch oder den gleichgültig-scharfen Ton der Nummer 1. Doch nichts kam, dann die Erkenntnis, wo er war und, mit ihr, auch die Wahrnehmung des Raumes und der Anwesenheit des dunkeln Mannes. Erschöpft sanken seine Schultern wieder ein wenig nach vorn, sein Blick zur Seite und nach unten. Dennoch blieb seine Haltung angespannt, wie als erwarte er jederzeit einen Angriff.  
¿Qué—? ¡Maldita sea!
Warum hatte er nichts mitbekommen? Wie hatte er so weit wegdriften können? Enrique wusste, dass Rayon etwas gesagt hatte, bekam aber im ersten Moment nicht zusammen was. Die Geste des Zuprosten war allerdings eindeutig genug, genau wie der zweite volle Becher.
Sollte er sich darauf einlassen? Sich setzen?
Oder sollte er ablehnen? Bis jetzt hatte er solche Situationen gemieden, nicht nur wegen der jüngsten Ereignisse. Vorsichtig spähte er zu dem Schwarzen, doch der hatte die Augen geschlossen und genoss den Alkohol auf seiner Zunge. Wieder war er versucht, der Gewohnheit der letzten Jahre folgend, sich dem Gespräch unter einem beliebigen Vorwand zu entziehen, doch er fühlte sich zum einen so zerschlagen, dass er das Gefühl hatte nicht einen Schritt weit zu kommen sollte er dem Drang nachgeben.
Zum anderen: Wollte er weiterhin dem Smutje aus dem Weg gehen? Er hatte sich dem schwarzhaarigen kleinen Monster gestellt. Wenn er vor ihr nicht wegliefe, warum dann vor diesem Mann?

Abermals musterte er sein Gegenüber, der inzwischen die Wand schräg hinter Enrique studierte und es immer noch ihm überließ zu entscheiden. Mit einem Aufseufzen und kurzen Augenschließen ließ er den Widerstand fahren und setzte sich. Wie von selbst fanden seine Finger den Becher und ehe er sich versah hatte er die Hälfte des Inhaltes hinuntergestürtzt — augenblicklich fing er heftig an zu Husten.
¡Jodder!
Warum machte er nur immer solchen Blödsinn?!? Der scharfe Alkohol ätzte sich so schmerzhaft in Richtung seines Magens, dass er die Faust auf die Brust preste und die Maske von ihm selbst unbemerkt fallen ließ. Es dauerte etwas, bis er sich wieder gefangen hatte, und sein Gesicht statt Schmerz einfach nur Müdigkeit und Resignation zeigte. So schnell so viel hatte er ewig nicht mehr in sich hineingekippt. Aus gutem Grund. Auch hatte Enrique, seit dem er sich an Bord der Sphinx befand, so gut es ging geschwiegen, vielleicht hier oder dort ein wirklich notwendiges Wort fallen lassen, aber Geselligkeit und Gespräche waren nicht vorgekommen. Deswegen mochte allein das Setzen Rayon schon überrascht haben, dass er etwas und was er dann mit belegter Stimme krächzte war vermutlich noch weniger zu erwarten:

"Reden... Reden klingt gut."

Worüber wollte ihm zunächst allerdings partout nicht einfallen. Sicher, da war die Sache mit Shanaya. Damit anzufangen schien ihm jedoch nicht richtig. Seine anderen Probleme vor ihm auszubreiten widerstrebte ihm auch. Was blieb denn dann noch?
Schließlich viel ihm etwas ein:

"Hahom", sagte er leise, "Danke fürs Retten, bevor s— du überhaupt wusstest, dass das so geplant war. Ich... Ich weiß nicht mehr ob ich mich dafür schon richtig bedankt hatte. Auch im Namen meines Begleiters. Ich habe keine Ahnung wie viel er in seinem Zustand davon mitbekommen hat..."

Zum Koch hochgesehen hatte er nach dem Setzen bis jetzt nicht, sondern eingehend seinen Becher studiert, und auch jetzt spähte er nur flüchtig und aus dem Augenwinkel zu ihm hinüber. Enriques Hand mit der Puppe lag inzwischen von ihm unbeachtet und von der Tischkante verborgen halb geöffnet in seinem Schoß. Eigentlich hatte er sich nur bedankt, um wenigstens irgendetwas zu sagen, doch tief in ihm war tatsächlich ein kleiner Teil, der für diese unerwartete Akzeptanz sehr, sehr dankbar war.
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#4
Anscheinend war Enrique tatsächlich nicht hier gewesen - zumindest geistig. Seine Reaktion auf die Worte Rayons sprach zumindest Bände. Es war, als hätte er den ehemaligen Marinesoldaten aus dem Tiefschlaf gerissen oder sich von hinten an ihn herangeschlichen und ihm den Schrecken seines Lebens eingejagt. Zumindest zuckte der Schwarzhaarige zusammen, und es blieb Rayon nicht verborgen, dass sein Gesicht wie von selbst wieder diesen emotionslosen, befehlserwartenden Ausdruck annahm, den er bereits von ihm gewohnt war. Diesmal hielt er jedoch nur für einige Augenblicke an, ehe die Spannung wieder etwas nachließ und die Maske zumindest in Teilen fiel. Dass dies der Fall war, obwohl Enrique mittlerweile mitbekommen haben musste, wen er vor sich hatte, war ein deutliches Zeichen dafür, dass irgendetwas mit dem früheren Leutnant nicht in Ordnung war.

Geduldig wartete Rayon, bis sein Gegenüber sich schließlich zu einer Entscheidung durchringen würde. Es dauerte einige Momente, in denen Enrique wohl überlegte, ob er sich auf ein Gespräch - oder auch nur auf seine Anwesenheit einlassen wollte, doch schließlich ließ er sich mit einem leichten Seufzer nieder, griff zum Alkohol und stürzte einen nicht unwesentlichen Teil des Getränks in einem Zug hinunter. Rayons Stirn legte sich in Falten, und die erwartete Reaktion blieb nicht aus - selbst eine gut trainierte Kehle hatte mit einer solchen Menge starken Alkohols zu kämpfen. Anscheinend hatte der Mann noch immer nicht alle Sinne beisammen.

Ob es ihn deshalb mehr oder weniger überraschte, dass Enrique kurz darauf tatsächlich auf seine zuvor gestellte Frage antwortete und nicht weiter stumm blieb, konnte Rayon nicht sicher sagen. Er hatte zumindest nicht damit gerechnet, aber anscheinend hatte er den Schwarzhaarigen in einem Moment erwischt, in dem er seinen üblichen Verhaltensweisen an Bord der Sphinx nicht vollkommen treu blieb. Einen Augenblick lang überlegte er, ob er das Gespräch von sich aus abbrechen sollte, bevor es überhaupt richtig begonnen hatte, denn er wollte die Situation keinesfalls ausnutzen. Dass der ehemalige Leutnant bisher nicht sonderlich viel Bedarf an Konversation gezeigt hatte, musste schließlich einen Grund haben. Doch andererseits war es vielleicht auch genau das, was Enrique fehlte, auch wenn er das vielleicht weder ihm noch sich selbst gegenüber zugeben würde - jemanden, mit dem er möglichst ungezwungen ein paar Worte wechseln konnte, ob sie nun persönlicher Natur waren oder einfach nur dazu dienten, den Kopf ein wenig freizubekommen.

Ein warmes, sanftes Lächeln schlich sich auf sein Gesicht, als Enrique etwas holprig begann, sich für seine Rettung zu bedanken. Aufrichtigkeit lag in seiner Stimme und Rayon nickte leicht, auch wenn Enrique das wahrscheinlich nicht mitbekam - selbst jetzt wich er seinem Blick so gut wie möglich aus und musterte eher den Becher vor sich. Der Schiffskoch akzeptierte das stillschweigend. Enriques Leben hatte in den letzten Tagen eine Wendung genommen, die einen gestandenen Mann mühelos aus der Bahn werfen konnte. Als die Morgenwind Segel gesetzt hatte, war er noch Soldat der Marine gewesen und hatte sogar eine Autoritätsposition innegehabt. Nun, kurze Zeit später, befand er sich auf einem völlig anderen Schiff - und das auch noch gemeinsam mit Piraten, jenem Abschaum der Gesellschaft, den er zuvor sicherlich nicht nur einmal seiner gerechten Strafe zugeführt hatte. Er hatte alles hinter sich gelassen, was er kannte, mit Ausnahme von Kaladar, und war ihnen dennoch eine helfende Hand gewesen, hatte sich mit keinem Wort beschwert und seine neue Situation zumindest nach außen hin bereitwillig angenommen. Rayon wusste nicht, wie es in ihm aussah, doch er konnte sich vorstellen, dass dort ein Sturm tobte, der nicht ansatzweise mit dem kontrollierten und funktionierenden Eindruck in Einklang zu bringen war, den der Schwarzhaarige üblicherweise machte.

"Ich lasse keine hilflosen Männer im Meer verrecken, wenn es in meiner Macht steht, sie vor diesem Schicksal zu bewahren", sagte er schließlich und nahm einen weiteren kleinen Schluck aus seinem Becher. "Was mich angeht, standest du nie in unserer Schuld, aber selbst wenn es so wäre, hättest du sie durch deine Hilfe in den letzten Tagen bereits mehr als beglichen. Auch ich habe dir zu danken."

Er zögerte einen Moment und fragte sich, ob er Enrique gegenüber offen sein konnte, was seine Bedenken bezüglich des Verlaufs der Befreiungsaktion anging. Es war gut möglich, dass er sie falsch auffassen, vielleicht sogar wütend werden würde. Vielleicht hatte er aber auch gar kein Problem mit der Sprengung der Morgenwind gehabt - Rayon wusste schließlich nicht genau, aus welchen Gründen er sich ihnen angeschlossen hatte. Ohne Probleme war sein Leben in der Marine zumindest sehr wahrscheinlich nicht verlaufen.

"Es tut mir aufrichtig leid, was mit deinen Kameraden geschehen ist", überwand er sich schließlich doch, das prekäre Thema anzuschneiden. "Wenn ich gewusst hätte, mit welchen Mitteln Talin ihren Bruder befreien würde..."

Der Schiffskoch führte den Satz nicht zu Ende, denn er wusste selbst nicht, was er dann getan hätte. Hätte er sich niemals freiwillig gemeldet, um sie zu unterstützen? Andererseits war ihm klar, dass die Sprengung nicht der ursprüngliche Plan gewesen, sondern aus der Not heraus entstanden war. Schnell verdrängte Rayon diese Gedanken wieder und blickte Enrique stattdessen mit aufrichtigem Bedauern in den Augen an, in der Hoffnung, dass seine Worte ihr Gespräch nicht im Keim erstickt hatten.
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#5
Warum sind wir dann die einzigen hier?, schoß es ihm vorwurfsvoll bei Rayons Worten durch den Kopf. Doch dafür gab es mehr als genug Gründe. Die Muskeln in seinen Fingern spannten sich an, drückten gegen den Becher und gegen die Puppe. Und eventuell war dieser kleine Gauner genau so hier gestrandet, fiel ihm ein. Auch hielt ihn das erspähte Lächeln und der sanfte Ton davon ab die Frage sarkastisch und laut zu stellen.

Schuld?, dachte er verwundert. Hatte er in diesem Zusammenhang über das Thema Schuld überhaupt schon nachgedacht? Schuldete er hier irgendjemandem was? Kaladar? Nein. Zwischen ihnen gab es keine Schuld, sie standen füreinander ein. Da gab es nichts, keine Fragen, keine Schulden, kein Zögern. Rayon? Jetzt, nachdem er sich bedankt hatte eigentlich nichts mehr. Gregory? Kaladar mochte vielleicht glauben ihm etwas zu Schulden. Enrique respektierte was der Mann für seinen Begleiter tat, sah sich aber nicht in dessen Schuld. Lucien? Nein. Sie waren quit. Talin? Ja. Ihr schuldete er noch seine Meinung. Genau wie die Schwarzhaarige noch was zu hören bekommen würde! Aber er glaubte nicht, das sein Gegenüber das damit gemeint hatte. Dem Rest? Nein. Dem Einzigen, dem er wirklich noch etwas schuldete war Samuel.

"De nada."

Seine Antwort auf den Dank war leise und klang leicht verwundert und angespannt. Sicher, es gab viel zu tun und er nahm dem Schwarzen einiges unaufgefordert ab. Seiner Meinung nach gab es da trotzdem nichts, wofür der sich bedanken hätte müssen. Er atmete tief durch und versuchte sich zu entspannen. Der Koch hatte es nicht verdient, dass er ihn anknurrte. Doch der wechselte ausgerechnet zu diesem Thema.

"¡Teh! Kameraden."

Es war heraus, bevor er darüber nachdenken konnte. Wut explodierte in ihm, mischte sich in seine Erschöpfung und ließ ihn die Finger noch mehr verkrampfen. Und dennoch, hielt ihm seine Verstand vor, es waren seine Kameraden gewesen, die meisten ganz normale Leute, die ihm zwar nicht persönlich nahe standen aber er kannte sie alle und war für sie verantwortlich gewesen! Namen und Gesichter huschten vor seinem geistigen Auge vorbei und ließen ein längeres, möglicherweise unangenehmes Schweigen entstehen.

"Kaum einer von ihnen würde mir nachtrauern wenn es mich erwischt hätte, aber die meisten waren deswegen trotzdem keine schlechten Menschen, sondern nur einfache Leute mit ihren eigenen Problemen und Vorurteilen", meinte er schließlich gepresst, seine Stimme so neutral wie möglich haltend. Das letzte Wort war trotzdem leicht geknurrt, was aber eher daran lag, dass er an die Vorurteile der Offiziere und Oberen dachte und daran, dass man ihn weder gelassen noch andere die Verantwortung getragen hatten obwohl es ihre Aufgabe gewesen war.
Er hob die Linke vom Schoß, ließ den Inhalt auf den Tisch gleiten, packte den Becher mit beiden Händen, als wolle er ihn zerquetschen. Falls der Smutje darauf achtete konnte er an den Kanten der Muscheln des kleinen Holzperlenpüppchens etwas Rotes schimmern sehen.

"Dummerweise reichen ein paar—" Hass drängte sich in ihm zur Wut und legte sich lauernd in seine Stimme. "Dummerweise reicht ein arrogantes Schwein an der richtigen Stelle aus um aus einem Schiff die Hölle zu machen. Und wo eines ist..."

Zorn ließ ihn den Satz unbeendet lassen. Er schloss die Augen. Für einen Moment kehrte die Erschöpfung zurück und ließ ihn müde anfügen:

"Möglich das Talin ihnen einen großen Gefallen getan hat. Aber es tut mir um die Familien leid, die jetzt ohne sie auskommen müssen."

Überrascht stellte er fest, dass das der Wahrheit entsprach. Er, der sich für nichts und niemanden wirklich interessierte, bedauerte die Angehörigen der Verstorbenen. Die Familien der einfachen Soldaten taten ihm wirklich leid. Hawkings Frau, Pedros kranke Mutter, Stans Kinder, die Liste schien endlos. Und er war schuld. Hätte er sie nicht verraten, Talins Plan unterstützt, hätte sie das Schiff—
NEIN!
Er riss die Augen auf, die schwarz vor Wut blitzten. Seine Knöchel färbten sich abermals weiß und sein Blick bohrte sich in den Becher.  
Er war nicht schuld.
Schuld war Talin, weil sie die sich ihr bietende Gelegenheit nutzte, anstelle dass sie auf ihn hörte, und vor allem Harper, weil er sie ihr bot!
Langsam hob er, bei den folgenden Worten, den Blick und sah Rayon an.

"Wenn dich der Tod dieser Menschen also so sehr stört, dann bedanke dich bei diesem überheblichen Drecksack von möchtegern Capitán namens Louis Harper! Hätte der seine Aufgabe vernünftig erledigt, hättest du dich wohl von deinem Goldlöckchen verabschieden müssen, denn dann hätte mein eingreifen keinen Unterschied gemacht!"

Er war fürchterlich wütend, hasste Harper immer noch und auch allein dafür, dass der bereits jetzt schon tot auf dem Meeresgrund lag und er ihn nicht noch einmal töten konnte. Doch dieser Hass galt nicht dem Smutje und bis jetzt hatte er es so gut es ging vermieden seine Wut über jemanden an jemand anderem auszulassen. Also Zwang er seinen Blick beiseite und knurrte:

"Ich hasse diesen infantilen Hornochsen, nicht dich. Versteh das nicht falsch!"
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#6
Enriques Reaktion fiel heftiger aus, als Rayon sie erwartet hatte. Deutlich heftiger. Sie führte ihm vor Augen, dass er hier, in dieser Situation, anscheinend den echten de Guzmán zu Gesicht bekam und nicht die Person, die er normalerweise zu sein vorgab. Der Wut, der Hass, der in seiner Stimme lag, als er erst über seine verstorbenen Kameraden und dann schließlich über seinen ehemaligen Kapitän sprach, musste ihn von innen auffressen, so stark schien er in ihm zu lodern. Trotz seiner Souveränität und obwohl er sich sicher, war dass ihm durch Enrique keine Gefahr drohte, musste der Schiffskoch sich zusammenreißen, um nicht zusammenzuzucken und ein wenig mehr Distanz zwischen sich und den früheren Leutnant zu bringen. Was auch immer zwischen ihm und Harper vorgefallen war, es musste ein einschneidendes Erlebnis gewesen sein - oder sogar mehrere. Rayon wusste aus eigener Erfahrung, zu was selbst Menschen, die offiziell für die Sicherheit der Bevölkerung und ihrer Untergebenen zuständig waren, imstande waren. Zu welchen Grausamkeiten sie bereit waren und wie selbstverständlich sie sich dabei über jegliches Recht hinwegsetzten, das sie eigentlich stärker als irgendjemand sonst vertreten sollten. Er hatte seinen Vater durch solche Männer verloren, und vielleicht war Harper einer von ihnen gewesen.

Enriques Wut war so überwältigend, dass er gar nicht mitzubekommen schien, wie das Blut - Rayon war sich ziemlich sicher, dass es Blut war - langsam aus kleinen Wunden an seiner linken Hand rann, die er sich bei seinem Griff um den Becher selbst zufügte. Kurz fiel sein Blick auf den Gegenstand darin, der jedoch zum Großteil von den Fingern des Schwarzhaarigen verdeckt wurde, ehe er seinen Blick wieder auf den ehemaligen Leutnant richtete. Das Lächeln war aus seinem Gesicht verschwunden und einem ernsten Ausdruck gewichen. Er runzelte leicht die Stirn, als Enrique nach einer kurzen Pause seinem Kapitän die Hauptschuld am Tod der Soldaten gab. Sicherlich war der Verantwortliche eines Schiffes auch immer mit für das verantwortlich, was auf diesem geschah, und vielleicht hätte Harper die Sprengung tatsächlich verhindern können. Der Smutje hatte viel zu wenig Kenntnis über die Abläufe auf einem Marineschiff, über den genauen Hergang der Rettung und die Situation an Bord der Morgenwind, um das in irgendeiner Art und Weise beurteilen zu können. Ihm war jedoch klar, dass der Hauptschuldige an einer Situation immer derjenige war, der sich dazu entschieden hatte, sie herbeizuführen - in diesem Falle war das Talin, die die Sprengung der Morgenwind beschlossen und damit den Tod unzähliger Menschen in Kauf genommen hatte.

Selbstverständlich behielt Rayon diesen Gedanken für sich.

Als Enrique seine Schimpftirade beendet hatte und ihm versicherte, dass nicht Rayon der Gegenstand seines Hasses war, stellte sich zunächst Stille ein. Der ehemalige Leutnant hatte seinen Gefühlsausbruch anscheinend unter Kontrolle bekommen und Rayon musste sich zunächst ein wenig sammeln, schließlich hatte er mit allem gerechnet, aber nicht damit. Schließlich nickte er langsam und atmete tief durch.

"Das tue ich nicht", sagte er und kniff die Augen kurz zusammen. Enrique hatte die letzten Worte eher durch seine Lippen gepresst und war erneut dazu übergegangen, seinem Blick auszuweichen.

"Ich weiß nicht, wie lange du diesen Zorn schon mit dir herumträgst, aber es ist vermutlich nicht schlecht, wenn du dir mal ein wenig Luft verschaffst."

Rayon hoffte, damit nicht zu väterlich und belehrend zu klingen - Enrique war schließlich schon etwas älter und erfahrener als viele seiner Kameraden und gewiss nicht empfänglich für gut gemeinte Ratschläge. Das waren auch die übrigen Crewmitglieder ohnehin nicht. Kurz zögerte der Schiffskoch, entschied sich dann aber dazu, die Frage, die in seinem Kopf umherschwirrte, zu stellen. Enrique hatte sich in den letzten Minuten deutlich mehr geöffnet, als er es für möglich gehalten hätte, und das Thema an dieser Stelle abzubrechen, kam ihm irgendwie falsch vor.

"War Harper der Grund, warum du uns geholfen hast?"

Er würde gewiss nicht danach fragen, was genau Harper getan hatte, um sich den Hass Enriques zu verdienen - das war sicherlich zu persönlich. Über die Motivation für seinen Verrat hatte er jedoch wahrscheinlich ohnehin schon mit Talin reden müssen - oder würde dies bald tun.
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#7
In das Schweigen mischten sich die Geräusche des Schiffes. Einst hatten sie einen kleinen Jungen mit großen Träumen versehen. Heute brachten diese vertrauten Klänge eher die Müdigkeit in dem inzwischen erwachsenen Mann hervor. Gedankenversunken löste er die Hände vom Becher, öffnete und schloss sie ein paar Mal um die Verkrampftheit der Finger zu lockern. Weiteres Blut tropfte dabei unbeachtet aus den Schnitten der Muschelkanten auf den Tisch und die Puppe. Dann legte er die Hände wieder um den Becher.
¡Dioses! Ich mache schon wieder keinen Sinn. Entweder müsste der Koch sich wirklich bei Harper bedanken, weil dieser durch seine Unterlassungen so dramatisch zum Gelingen beigetragen hatte oder ihn deshalb verfluchen, weil es deswegen so viele Tote gegeben hatte. Dank oder Fluch für Beides zusammen ist Schwachsinn.

Rayon äußerte seinen Ratschlag und bitteres Auflachen brach sich kurz bahn.
Was sollte er denn noch tun? Die erste Welt damit überziehen? Alle sieben? Es gab nicht genug Raum für all seine Wut, den über die Jahre angesammelten Frust oder den Hass auf jene die ihn wiederholt verraten hatten.
Auch hatte er einiges davon auf der Morgenwind herausgelassen. War es dadurch weniger geworden? Vielleicht... Vielleicht, wenn er wie damals..?
Er hielt sein Schweigen aufrecht, sogar eine kleine Weile bis nach der anschließenden Frage. Die "Maske" hingegen lag zerbrochen auf dem Tisch. Verwirrung war deutlich auf seinem Gesicht zu lesen. Harper? Der Grund? Für die Hilfe? Trotz all der Grübelei hatte er Harper nie damit in Verbindung gebracht.

"Nein", meinte er schließlich. "Auch wenn er indirekt mit dafür verantwortlich war."

Enrique seufzte schwer. Er hätte das jetzt so stehen lassen können, war sich aber sicher, dass er wusste, welche Frage kommen würde, wenn er das Gespräch nicht augenblicklich abbrach. Da er das nicht wollte konnte er auch gleich antworten.

"Ich wollte damit etwas erreichen. Ich...
"Irgendwann hat ein Mann mir gesagt, dass die Marine dafür da wäre Gerechtigkeit in der ersten Welt sicherzustellen. Das sie für Sicherheit und Freiheit zu sorgen hat."


Trotz seiner Erschöpfung hob er den Kopf und sah den Smutje an. Der rote Hund in seiner Brust schlummerte vorübergehend und überließ anderen Gefühlen seinen Platz. Respekt für den Mann, über den er jetzt sprach, Trauer und Dankbarkeit für den über den er gleich sprechen würde. Nur bei der Erwähnung Harpers herrschte Leere in ihm.

"Dieser Mann hat das gelebt. Er war es, der mich eine Weile auch daran glauben ließ."

Ein unangenehmes Brennen stahl sich in die Augenwinkel des Offiziers. Was nützte ein Mann oder auch zwei oder drei, wenn tausendmal mehr gegen ihn standen?

"Dann kamen andere und bewiesen immer wieder das Gegenteil. Harper ist — war einer der Schlimmsten von ihnen."

Wieder sah er weg, sprach langsam und mit Pausen weiter.

"Ein anderer ließ eine Frau töten und brachte ihren rechtschaffenden Mann hinter Gitter, nahm einer Tochter damit ihren Eltern, indem er alle Welt davon überzeugte, dass der Vater die Mutter grausam abgeschlachtet habe und drohte ihm zum Abschied damit, sie ab jetzt an seiner Stelle leiden zu lassen. Dieser Unschuldigen tat mir leid.
"Als sich dann mit euch eine Gelegenheit ergab wollte ich ihn retten..."


Für einen Moment presste er die Lippen aufeinander und rang mit sich. Den dass das nicht alles war, war sogar für ihn schon überdeutlich daran zu hören gewesen, wie er den Satz beendet hatte. Wenn der Smutje nicht blind und taub wäre, musste er es auch mitbekommen haben. Diese Frage stand demzufolge ebenfalls unausgesprochen im Raum. Es kostete ihn zwar einiges an Überwindung aber auch hier entschied er sich für kurzen Prozess machen und ergänzte:

"Und ich wollte seine und meine Tochter schützen, hegt dieser arrogante schwanzlose Hund doch mindestens genauso viel Groll gegen mich wie gegen ihn. Etwas dass ich längst geklärt gehabt hätte, hätte Harper mir das nicht immer wieder verwehrt. So lange dieser Zwist nur zwischen mir und dem Bastard stand war es mir relativ egal, aber als mir klar wurde, dass meine Tochter in Gefahr ist, da wusste ich, dass ich handeln musste."

Sein Blick wanderte zur Puppe, die zerschnittene Hand folgte und berührte sie kurz, zog sich aber wieder zurück. Sie zitterte leicht.
Zu erschlagen für Wut brachte der Gedanke an Lowell und den obersten Richter lediglich Verzweiflung mit. Dass er damit wahrscheinlich gerade von zwei Männern gesprochen hatte, war ihm klar, wusste er doch nicht, ob der Richter Lowell auch für den Tod Zaedyns Frau eingesetzt hatte aber das könnte er noch klarstellen, sollte der Schwarze nachfragen. Lowell hing allerdings definitiv in Beidem mit drin.

"Eure Befreiungsaktion war eine Gelegenheit dafür, beides zu erreichen, ohne gleich jegliche Chancen in der Marine zu verspielen. Zumindest die Wenigen, die Harper mir noch ließ.
"Den Mann zu retten ist mir nicht gelungen. Stattdessen schulde ich ihm mein Leben und ich weiß nicht, ob ich unter diesen Umständen meine Tochter wiedersehen werde oder mein Wort halten kann, mich auch um seine zu kümmern. Ich— Ich—"


Über all das hatte Enrique eigentlich nicht nachdenken wollen, die Angst seine Tochter, genau wie Samuel, nicht schützen zu können, sie irgendwann zu verlieren, trotz all dem was er getan hatte und noch tun würde, stürzte über ihm zusammen, schnürte ihm die Kehle zu und ließ ihn die Augen schließen. Eisern klammerte er sich an seine Selbstbeherrschung und die Tasse, doch es fehlte nicht viel und er würde zusammenbrechen. Bereits jetzt stützte er sich schwer auf die Tischkante, spürte wie sich sein Innerstes verkrampfte und wie eine heiße Träne für seinen Geschmack viel zu offensichtlich über seine Wangen lief, so dass er den Kopf weiter senkte. Was sollte er tun, wenn er wirklich nicht mehr dorthin zurückkehren konnte, weder nach Linara, noch nach Estero? Was, wenn all seine Anstrengungen trotz allem umsonst gewesen waren?
Tief holte er Luft, schob das diese Gedanken und die Angst mühsam bei Seite, richtete sich dabei auf und starrte Blicklos nach rechts.

"Ich muss mich also so oder so in die Höhle des Löwen zurückwagen und kann nur hoffen, dass ich nicht zu spät sein werde."

Ein weiteres Mal atmete er tief ein. Seine Selbstbeherrschung war brüchig wie sehr dünnes Eis, sie schaffte es kaum Schmerz und Verzweiflung zurückzuhalten. Dann sah er, mit leicht gerösteten Augen und einem Anflug von Grinsen auf den Lippen, Rayon wieder an und meinte:

"Und was deinen Ratschlag betrifft: Auf diesem Schiff ist einfach nicht genug Platz zum Tanzen."
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#8
Verblüffung war das erste Gefühl, das Rayon überkam, als Enrique ihm seine Geschichte darlegte. Mit derartiger Offenheit hatte er nicht gerechnet, eher mit ein oder zwei nicht weiter ausgeführten Andeutungen. Dass es sich anders verhielt, verdeutlichte, wie sehr diese Dinge dem ehemaligen Leutnant auf der Seele lasteten und wie sehr sich etwas in ihm danach sehnte, alles davon jemandem anzuvertrauen, auch wenn sein Bewusstsein dem vielleicht widersprechen würde. Und es ergab Sinn, viel zu viel Sinn - die Wut auf einen abscheulichen Mann, der gleich mehrere Familien zu zerstören drohte und auf denjenigen, der ihn daran gehindert hatte, etwas dagegen zu unternehmen. Zudem warfen die Ausführungen ein gänzlich anderes Licht auf die Entscheidung, sich den Piraten anzuschließen und ihnen bei der Rettung ihres Captains zu helfen. Nicht Rache oder die Flucht vor Harper waren sein Motiv gewesen, sondern Liebe und Ehrgefühl. In diesem Moment empfand Rayon vor allem Mitleid mit dem Mann, der hier vor ihm saß und damit zu kämpfen hatte, die Tränen zurückzuhalten. Mit einem Mann, der noch Schrecklicheres durchlebt haben musste als er selbst, denn der Koch konnte sich nicht vorstellen, wie es war, Angst um das Leben des eigenen Kindes haben zu müssen. Für ihn war schon der Verlust seiner Eltern beinahe unterträglich gewesen.

Er wartete einen Moment, bis Enrique sich gesammelt hatte. Einige Fragen wüteten in seinem Kopf umher und drängten darauf, gestellt zu werden, doch die mussten warten. Zunächst schuldete er dem Schwarzhaarigen einen Teil seiner eigenen Geschichte.

"Als ich siebzehn war, wurde meine Schwester von Soldaten der Marine vergewaltigt. Sie war zwölf. Ein Jahr später ermordeten sie meinen Vater, weil er die Plünderungen, die wir durch sie erdulden mussten, nicht mehr hinnehmen wollte."

Er schluckte und atmete tief durch. Glücklicherweise hatte er diese Erlebnisse recht gut verarbeitet, hatte sich die Lebensfreude nicht endgültig dadurch zerstören lassen und mehr oder weniger seinen Frieden damit geschlossen, doch wenn er darüber redete oder sich lebhaft daran erinnerte, kehrten die Gefühle der unendlichen Trauer und der Wut zurück. Nicht so stark wie damals, aber immer noch stark genug, um ihn in einem unachtsamen Augenblick zu übermannen. Nach einigen Sekunden hob er wieder den Blick und sah Enrique in die Augen, ein tiefes Verständnis und Anteilnahme in seinem Blick.

"Schlussendlich waren es Freibeuter im Dienste der Tarlenns, die uns halfen und die Soldaten zur Strecke brachten. Aus diesem Grund wurde ich Pirat. Meine Familie, oder das, was noch von ihr übrig ist, schuldet ihnen ihr Leben. Nicht den offiziellen Vertretern des Rechts dieser Inseln, sondern denen, die dem Anschein nach dagegen kämpfen."

Er schüttelte den Kopf.

"Ich weiß also, wie es ist, von einem Ideal enttäuscht zu werden. Und ich weiß, wie es ist, um das Leben von Familienmitgliedern zu bangen. Aber Angst um die eigene Tochter haben zu müssen, weil irgendjemand ihres aus reiner Boshaftigkeit auslöschen könnte, das muss wahrlich grauenhaft sein. Ich glaube nicht, dass sich irgendjemand das Gefühl vorstellen kann, ohne es selbst erlebt zu haben."

Der Schiffskoch zögerte. Enrique hatte ihm schon viel von sich offenbart und er wollte seine Gesprächigkeit nicht überstrapazieren. Vor allem wollte er ihn nicht noch tiefer in Gedanken stürzen, die seinen emotionalen Zustand weiter verschlechtern würden, aber auf einige der Dinge, die er erzählt hatte, konnte er sich ohne weitere Details keinen rechten Reim machen. Warum genau hegte dieser Mann, der einem Unschuldigen einen Mord angehängt hatte, einen Groll gegen den ehemaligen Leutnant? Was war mit dem Mann passiert, den er hatte retten wollen?

Er beschloss, das Risiko einzugehen, aber Enrique zu verdeutlichen, dass er die Wahl hatte, das Gespräch sofort zu beenden.

"Vergib mir, dass ich danach frage. Du musst mir nicht antworten, wenn du willst, fang ich sofort an, mich um das Essen zu kümmern und lass dich in Ruhe. Aber ich würde gern erfahren, warum dieser... Mann eine Gefahr für deine Tochter ist, wieso er einem Unschuldigen einen Mord angehängt hat... und was mit ihm passiert ist, als du versucht hast, ihn zu retten."

In Rayons Augen lag aufrichtiges Interesse an dem Schicksal seines Gegenüber - und Respekt, von dem er nun, da er einiges über dessen Beweggründe erfahren hatte, deutlich mehr verspürte.
Crewmitglied der Sphinx
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#9
Erst verwundert, dann sichtlich bestürzt lauschte Enrique Rayons Ausführungen.
¿Por qué? ¿Warum erzählst du mir davon?
Der ehemalige Offizier zog die Augenbrauen zusammen, schaute aber nicht weg.
Der Dunkelhäutige hätte das nicht tun müssen. Enrique hatte ihn nicht gefragt, war sich nicht einmal sicher, ob er das überhaupt wissen wollte. Doch er schwieg. Denn sein Gegenüber wollte bestimmt auf etwas hinaus, oder er mochte glauben, ihm etwas für seine Offenheit zu Schulden.
Aber er schwieg auch, weil das Gesagte Erinnerungen aufrüttelte und unbequeme Fragen aufbrachte:
Was, wenn seiner Schwester so etwas passiert wäre? Schlimmer noch, jemand das seiner Tochter antun würde? Was wenn man seinen Vater erschlagen würde?
Er wusste, er würde ausrasten, täte alles was in seiner Macht stünde, um Isabella zu beschützen, tat es ja jetzt schon. Er würde sogar für sie sterben.
Dann aber kam das Schmerzende:
Für seinen Vater würde er keinen Finger krümmen, ja er würde sich sogar zwischen die Angreifer und ihn drängen, nicht etwa um ihn zu verteidigen, nein! Er würde selbst die Waffe führen, ihn selber für all das, was der ihm angetan hatte, leiden lassen wollen.
Ob dieser Gedankengänge brauchte es etwas, bis der Sinn hinter den Worten des Smutjes ihn erreichte.
Von einem Ideal entäuscht zu werden...
Hatte er je so über die Marine gedacht? An ihre Unschuld wirklich geglaubt?
Er schnaubte verächtlich.
No.
Dazu war er zu sehr das, was er war, außerdem war er aus anderen Gründen Offizier geworden und zu früh mit den falschen Leuten in Berührung gekommen. Er hatte immer gewusst, wie es hinter dem Schein aussah.
Woran er wegen Leighton geglaubt hatte war, dass er etwas darin und durch sie bewegen könnte, dass es einen Unterschied machte, wie man sich verhielt, und das korrektes Verhalten belohnt würde, hatte gehofft, dass ihn die Meisten tolerieren, wenn schon nicht akzeptieren würden, dass sie an seinem Äußeren, genau wie dieser Capitán, vorbei schauen könnten, dass es anders werden würde.
Doch er sagte nichts dazu, sondern lauschte weiter und hielt den Blick die meiste Zeit auf seinem Gesprächspartner, bis der seine Fragen geäußert hatte.
Dann schüttelte er erschöpft den Kopf.

"Frag einfach. Wenn ich nicht drüber reden will, tue ich es nicht. Und du verletzt mich damit auch nicht, dass haben Jene getan, um die es bei den Fragen geht."

Trotzdem schwieg er eine kleine Weile.
Warum hatte er das gerade gesagt? Warum war er so offen zu diesem Fremden? Musste das alles raus? Hoffte er allen Ernstes auf dessen Verständnis, ja Akzeptanz? War er tatsächlich so ausgehungert danach, dass ihm die wenigen Gemeinsamkeiten hoffen ließen, dass er unter diesen Leuten tatsächlich so etwas wie einen Freund finden könnte?
Innerlich schüttelte er über sich den Kopf, den die Antwort lautete eindeutig ja.
Weitere Überlegungen diesbezüglich stellte er hinten an und besann sich auf Rayons Worte.

"Es ist das gleiche Gefühl, wie bei jedem, den man beschützen und glücklich machen will. Zumindest wenn man die Person kennt, während sie wehrlos ist oder war. Ich glaube nicht, dass es da..."

Pero.
Und ob.
Enrique senkte den Blick.
Diese Verbindung aus völliger Hilflosigkeit und absolutem Vertrauen war etwas ganz Besonderes.
Erneut schüttelte er den Kopf und krächzte:

"No. Das stimmt nicht. Selbst wenn... Ich... — Du hast recht."

Er war bestürzt, zu erkennen, dass er zwar viel für seine Schwester getan hätte, aber sich wohl nie so bedingungslos für sie geopfert hätte. Ob sein Vater..? Bestimmt nicht. Wut mischte sich dazu, doch er schob die Gefühle bei Seite. Das hatte hiermit nichts zu tun.

"Zu mindest was mich betrifft.
"Das heißt aber nicht, dass nicht jeder Verlust einem das Herz in der Brust zerreißt. Denn was macht es für einen Unterschied, ob ein einfacher Sturm oder ein ausgewachsener Huracan ein Schiff entmastet? Ich—
"Ich glaube, was ich damit sagen will ist, dass es mir leid tut zu hören, was dir widerfahren ist.


Hatte er bis eben mit recht fester Stimme gesprochen, so versagte sie ihm jetzt soweit den Dienst, dass der nächste Satz nur ein flüstern war:

"Auch wenn ich derzeit nicht wirklich den Kopf dafür habe..."

Entschieden wechselte er das Thema:

"Was diesen Mann angeht:
Die Sache ist etwas komplizierter. Er ist nicht allein verantwortlich. Lowell ist nur ein widerlicher, unbedeutender, aber überheblicher Tyrann, der nicht genug Arsch in der Hose hat um Kritik und Widerworte zu ertragen und der zufälligerweise Macht geerbt und die richtigen Verbündeten gefunden hat."


Die schwarzen Augen blitzten finster, als sie sich hoben und  Rayons suchten.

"Allerdings ist er nachtragend, grausam und sein Selbstwertgefühl definiert sich über die Leute, die er gebrochen hat. Und bei wem geht das leichter, als bei jenen, die sich nicht wehren können?
"Was mich betrifft, habe ich, ein dreckiger, kleiner Wurm, der es seiner Meinung nach nicht einmal wert ist, dass er mich zur Kenntnis nimmt, es gewagt, mich gegen ihn aufzulehnen und ihn bloßzustellen. Und egal was er versucht hat, ich habe ihm immer wieder die Stirn geboten und mich ihm entzogen.
"Da er mich nicht kriegen konnte, hat und wird er alles tun, um es doch noch irgendwann hinzubekommen oder mir das auf andere Weise heimzuzahlen. Und er hat bedauerlicher Weise genug Einfluß um mir nicht nur auf die Nerven zu gehen.
"Daran wird auch das hier"
, er machte eine das Schiff umfassende Handbewegung, "nichts ändern.
"Bis jetzt weiß er zum Glück nichts davon, dass ich noch lebe und sehr wahrscheinlich nichts von meiner Tochter, aber wenn sich das ändert und er nachforscht, wird er schnell über ihren Namen stolpern. Und dann wird er wie ein Schweißhund an ihrer Fährte kleben, bis er sie zur Strecke gebracht hat."


Enrique seufzte schwer.

"Samuel Zaedyn hat es ebenfalls gewagt, einfach nicht gänzlich unter seinen Machenschaften zu zerbrechen, wie es wohl, in Lowells Augen, seine Pflicht gewesen wäre, immerhin war das die Aufgabe des adeligen Gefängnisvorstehers in diesem Komplott. Der hat aus 'Spaß an der Freude' mitgemacht, hatte den passenden Ort zur Verfügung und wollte sich anbiedern.
"Es ist viel wert einen Obersten Richter zum 'Freund' zu haben.
"Der, Zaedyns Vater, steckte hinter dem Mord und hat diesen Möchtegerntyrannen benutzt um sich an seinem Sohn zu rächen ohne sich selbst die Hände zu beschmutzen. Wer was wann wie tat, dass weiß ich nicht genau, das konnte mir auch Samuel nicht genau sagen. Aber ich habe da so meine Vermutungen.
"Was die Motivation seines Vaters betrifft, so wie ich das verstanden habe gab er Samuel Schuld am Tod dessen Bruders und wahrscheinlich hat ihm dessen Integrität Angst gemacht.
"In wie weit der allerdings damit einverstanden wäre, dass sein Schoßhund sich an seiner Enkelin vergreifen will, weiß ich nicht, Lowell wird ihn aber wohl im Zweifelsfall schlicht nicht einweihen.
"Sollten diese Beiden je erfahren, dass Samuel mir das alles erzählt hat, stehe ich ebenfalls auf der Abschussliste des Richters und Lowell wird sich nicht nur aus eigenem Interesse weiter mit mir beschäftigen."


Abermals brauchte er einen Moment, dachte an den Brief, in dem das alles wahrscheinlich wesentlich ausführlicher stand, von Samuel persönlich geschrieben, an diese Zeugenaussagen, die ausser ihm wohl kaum einer glauben würde, und die Lowell trotzdem in Angst versetzen würde.

"Und was mit Samuel passiert ist? Der hat, genauso wenig wie Talin oder die Anderen auf mich gehört, als ich ihnen sagte, wie sie am Schnellsten und Sichersten vom Schiff kämen, sondern ist mir, trotz seines desolaten Zustandes, nach Jahren im Gefängnis, gefolgt. Ich nehme an aus Dankbarkeit und in der Hoffnung mir helfen zu können, sollte es notwendig werden."

Enrique rieb sich über die Augen, versuchte erstickt durchzuatmen und starrte dann wieder auf den Becher. Kurzentschlossen stürzte er die zweite Hälfte des Rums die Kehle hinunter und konzentrierte sich einen Moment lang auf Husten und Brennen.

"Leider ist es notwendig geworden. Er— Er hat sich in einen Schlag geworfen, der mir galt. Hätte ich vorher vielleicht noch Zweifel an seiner Aufrichtigkeit gehabt, danach nicht mehr.
Ich weiß nicht wo der Sträfling herkam, aber nicht alle freigekommenen Gefangenen an Bord des Schiffes waren mir so wohlgesonnen wie er oder der Bruder eurer Capitana, der mich nur mit der Schusswaffe bedrohte..."


Trauer und Wut ließen ihn die Augen schließen, schwer atmen und den Kopf wieder zwischen die Schultern ziehen. Dann flüsterte er:

"Ganz zu schweigen von der Verachtung und Aggression der höheren Offiziere, die sofort davon ausgingen, dass ich für das ganze Chaos verantwortlich war. Das wären sie allerdings auch, wenn ich euch nicht geholfen hätte."

Seine Fingerknöchel färbten sich weiß, als die Wut seinen Griff um den Becher wieder verstärkte.

"Dieser Angriff auf mich und Samuels Opfer hat mir Zeit und Spielraum verschafft. Ohne sein Eingreifen hätte ich Kaladar nicht retten können. Allerdings hätte es dann wohl auch keinen Unterschied mehr gemacht..."


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