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Straight to hell
Lucien, Samuel & Yaris ✓✓
Szenen-Informationen
Charaktere Gast
Datum 14 März 1822
Ort Auf der Morgenwind
Tageszeit Abends
Samuel Zaedyn
Crewmitglied der Sphinx
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#11
Beinahe hätte Samuel bei den Worten des jungen Mannes laut aufgelacht. Wahrscheinlich hatte der keine Ahnung, wie nahe er mit seiner offensichtlich rhetorischen Frage an der Wahrheit lag. Es waren in der Tat Geschichten, die ihn seit dem Beginn seiner Gefangenschaft auszeichneten - oder vielmehr Märchen, denn schließlich hatten sie mit der Realität wenig zu tun. Der Bärtige spürte den Blick des Fragestellers auf ihm ruhen, doch gerade, als er sich eine möglichst zynische Antwort zurechtlegen wollte, wandte dieser sich stattdessen an den Neuankömmling. Es stimmte, die anderen Insassen hatten ihn leidenschaftlich über die angeblichen Taten Samuels in Kenntnis gesetzt, was ihn zurück zu der Frage brachte, ob der Junge schlichtweg vollkommen furchtlos war oder seine Geschichte überhaupt nicht erst geglaubt hatte.

Der Angesprochene hielt es offenbar nicht für nötig, zum Besten zu geben, wie er auf dieses Schiff gelangt war. Stattdessen richtete er seinen Blick erneut auf den Fragesteller, wobei diesmal nicht einmal mehr eine unausgesprochene Herausforderung darin lag, sondern pure Gleichgültigkeit. Einer der anderen Gefangenen ließ sich stattdessen dazu hinreißen, mit einem Bericht über den Attentäter zu beginnen. Es klag in der Tat abenteuerlich - Verbindungen bis zum Königshaus, angeblicher Vatermord und wahrscheinlich eine unbekannte Zahl ausgelöschter Menschenleben. Wäre Samuel in einer anderen Situation gewesen und hätte die letzten Jahre nicht auf seinen Tod wartend in einem Gefängnis verbracht, hätte er sich wahrscheinlich vor diesem Mann gefürchtet. Die anderen Insassen schienen beinahe damit zu rechnen, dass Samuel ihnen trotz der Fesseln und Gitter jederzeit gefährlich werden könnte, auch wenn das kaum im Bereich des Möglichen war, doch wenn das soeben Gehörte über den Neuling stimmte, gab es nun jemanden in der Brig, der eine solche Gelegenheit im Gegensatz zu ihm selbst wohl sogar wahrgenommen hätte. Mit der Aussicht auf den Strick im Hinterkopf jedoch blieb nichts außer ein vages Interesse an der Vorgeschichte des Mannes, der eine Tat vollbracht hatte, über die er selbst im Gefängnis Netaras ausführlich nachgedacht hatte. Sein Vater hätte den Tod verdient gehabt - wie war es mit dem des Neuankömmlings gewesen? Und waren die Gerüchte über ihn überhaupt wahr oder verhielt es sich ähnlich wie bei ihm, waren es Übertreibungen oder gar dreiste Lügen? Von dem mutmaßlichen Attentäter zumindest würde darauf niemand so schnell eine Antwort erhalten, denn der hüllte sich weiter in Schweigen und schien den Trubel um seine Person gelassen und desinteressiert hinzunehmen.

Als der Junge auf der anderen Seite der Zelle schließlich wieder das Wort ergriff und seine Heimat erwähnte, meinte Samuel, eine leichte Gefühlsregung im Antlitz des Attentäters bemerkt zu haben, ein leichtes Zucken. Er hatte im Laufe seines Lebens zwar gelernt, die Mimik und Gestik anderer Menschen recht genau zu deuten, weil das in Verhandlungen von enormem Vorteil sein konnte, doch diese minimale Regung der Muskeln war zu wenig, um sie eindeutig einordnen zu können. Nichtsdestotrotz schien sie zu dem Interesse zu passen, das der Junge vor wenigen Minuten noch an ihm gezeigt hatte. Vielleicht stammten sie beide von Kelekuna, oder der Attentäter hatte dort bereits Aufträge erledigt? Letztendlich waren auch das Fragen, die Samuel sich nicht allein würde beantworten können, weshalb er sich wieder dem jungen Mann zuwendete, um nun doch auf seine bissige Frage zu reagieren.

"Du irrst dich. Geschichten sagen alles über einen Mann aus, denn sie definieren, wer und was er ist." Er warf Eddy und Steve einen abschätzigen Blick zu. "Nimm die beiden da drüben. Sie haben wahrscheinlich ihr ganzes Leben in der Gosse verbracht, sich mit kleineren Diebstählen über Wasser gehalten, irgendwann vielleicht sogar ein paar Raubüberfälle begangen. Keine Familie, keine Geld, keine Bildung... Man sieht ihnen ihre Geschichte förmlich an." Als nächstes streifte sein Blick den gleichgültigen Attentäter. "Er scheint eine deutlich spannendere Vergangenheit zu haben, die er jedoch leider nicht mit uns teilen will." Schließlich blieben seine Augen an dem jungen Mann hängen. Mit leicht hochgezogener Augenbraue musterte er ihn und beschloss dann, den Spieß umzudrehen. "Du kennst unsere Geschichten, aber wir nicht deine."

Er beließ es bei dieser Aussage. Explizit fragen würde er nicht, denn auch wenn er durchaus Interesse an der Vergangenheit des jungen Mannes hatte, war es sicherlich nicht ratsam, dies so unverhohlen zu zeigen.
Crewmitglied der Sphinx
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#12
Keine Reaktion? Kein Sterbenswörtchen von besagtem Attentäter? Nein?
Ganz, wie Lucien erwartet hatte. Nur der Blick des Mannes legte sich wieder auf ihn und der Jüngere erwiderte ihn ohne eine Spur von Furcht. Warum? Ganz bestimmt nicht, weil er glaubte, unantastbar zu sein. Er starb, wie jeder andere, und befand sich gerade nicht in der Situation, sich wirklich lange behaupten zu können. Aber was kümmerte das, wenn man nichts zu verlieren hatte? Er vertrieb sich hier ja gerade ohnehin nur die Zeit und wenn er sich dafür noch ein paar Geschichten anhören musste, dann hörte er eben hin: Verbindungen ins Adelshaus, gar zur Königsfamilie. Der Dunkelhaarige hob flüchtig eine Augenbraue und in den grünen Augen, die gelassen auf dem Attentäter ruhten, erschien ein Funken spöttischen Respekts, von dem man nun raten durfte, ob er ernst gemeint war, oder nicht.

Dann jedoch kam etwas ans Licht, womit Lucien nicht gerechnet hatte. Der Vatermord von Kelekuna? Unwillkürlich wandte er den Kopf zu dem zweiten Sprecher und das eben noch spöttische Funkeln in seinen Augen wich zunächst reiner Verblüffung, bevor Verstehen sie ablöste. Ein Aha-Moment, wie er im Buche stand. Ein Bild tauchte in seinem Unterbewusstsein auf. Eine Erinnerung. Eine schäbige Taverne, ein riesiger Tresen – höher als er selbst – und dahinter an der Wand: Ein Fahndungsplakat. Er war damals nicht älter als fünf gewesen, als es passierte. Das ganze, verdammte Dorf sprach darüber. 'So schrecklich'. Doch ob der vielleicht 16 Jahre alte Junge auf dem Plakat wirklich der gleiche war, wie der Mann, den Lucien nun vor sich hatte? Er hätte es nicht sagen können. Bart, Schmutz und beinahe zwei Jahrzehnte lagen zwischen jetzt und damals. Doch das Interesse von vorhin loderte von Neuem auf, als die grünen Augen zu dem Attentäter und potenziellem Vatermörder zurück kehrten und er ihn, gründlicher als zuvor, ein weiteres Mal musterte. Denn wenn es stimmte, wenn er den Jungen von damals hier vor sich hatte, dann saß er einem der Gründe gegenüber, weshalb er die Hoffnung nie aufgegeben hatte, von dieser verfluchten Insel herunter zu kommen. Dem Dunkelhaarigen hatten die Schauergeschichten nie Angst eingejagt – ganz im Gegenteil. Er hatte sie aufgesogen, wie ein Schwamm.

Nicht doch. Der Held meiner Kindheit, etwa?

Ein amüsiertes Lächeln lag in seiner Stimme. Kein Hinweis darauf, ob er die Geschichten glaubte, oder nicht. Ob er Furcht empfand, oder die Bewunderung, auf die seine Worte hindeuteten. Vielleicht, kam es dem Dunkelhaarigen spontan in den Sinn, hatte der Bärtige mit seinen Worten doch nicht so unrecht, wie Lucien im ersten Moment gedacht hatte.
Nach kurzem Zögern löste er den Blick von seinem schweigsamen Gegenüber und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf den alten Mann in der dunklen Ecke.

Vielleicht hast du Recht und ich irre mich, wer weiß. Wenn es stimmt, was sie sagen, macht zumindest seine Geschichte ihn zu einem interessanten Mann.“, kurz nickte er in die Richtung des Attentäters, um zu verdeutlichen, wen er meinte, ehe er beiläufig mit den Schultern zuckte. „Ich gebe dennoch nicht viel auf die Vergangenheit eines Mannes. Nimm mich zum Beispiel, wo du gerade fragst... Ich bin auf Kelekuna groß geworden, als Fischerjunge, ohne Geld, ohne Bildung. Ich habe nichts verbrochen, außer zu tun, was mein Vater mir befohlen hat. Ich habe niemanden umgebracht, wie ihr beide. Was sagt das über mich aus? Nicht das Geringste. Was zählt, ist nicht, was ein Mann getan hat, sondern was er tun w...

Lucien unterbrach sich, als ihm ein spontaner Gedanke kam. Gleich darauf stahl sich ein Lächeln bitterer Selbstironie auf seine Lippen. Natürlich. Ausgerechnet von ihm. Er war schließlich nicht viel besser, als die, die er gerade so großspurig verurteilte. Er hatte noch weit mehr, als ein Leben, das ihm kaum genug bedeutete, um etwas daraus zu machen. Er hatte immer schon mehr gehabt, als das. Und was tat er? Gar nichts. Er resignierte.
Lucien stieß ein Seufzen aus und schüttelte leicht den Kopf.

Was soll's. Für euch beide spielt das wahrscheinlich eh keine Rolle mehr, denn so wie ich das sehe, bin ich von uns dreien hier der einzige, der Esmacil lebend verlassen wird – mit etwas Glück, jedenfalls.
Crewmitglied der Sphinx
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#13
Für sein Alter war der Kleine da drüben ganz schön furchtlos und eindeutig zu mutig. Yaris hatte im Moment nur Augen für ihn. Keine Regung ob des offen gezeigten Spotts. Ob er die Geschichte nun glaubte oder nicht, sei dahin gestellt. Vielleicht glaubte er es, vielleicht auch nicht. Konnte ihm egal sein, solange er ihn in Ruhe ließ.
Als das Licht jedoch auf den Vatermord von Kelekuna viel, kam tatsächlich Bewegung in die Sache. Der junge Kerl wandte sich dem Sprecher zu. Wie der Typ von Trithên bereits sagte, hatte das ziemlich weite Kreise gezogen. Zweifelsohne hatte man einen wunderbaren Steckbrief mit seinem Gesicht am Markt, im Hafen und in der Taverne aufgehängt. Der Kleine musste damals fünf, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt gewesen sein. Unmöglich, dass er sich an sein Gesicht von früher entsinnen konnte, falls sie sich flüchtig auf dem Marktplatz gesehen hatten. Und Yaris hatte sich in den Jahren dazwischen sehr verändert. War erwachsen geworden, kräftiger in der Statur. Die Konturen seines Gesichtes waren härter geworden. Ob er vom Fahndungsplakat würde Rückschlüsse ziehen können? Zumindest musterte er ihn jetzt eingehender und mit anderen Augen. Nicht mehr spöttisch. War es eher ein Anflug von Respekt?
Yaris konnte es nicht genau deuten. Er war gut darin, in den Gesichtern anderer zu lesen, doch dieser junge Mann konnte seine Gedanken hervorragend hinter Mimik und Gestik verbergen. Eine Fähigkeit, die nur wenige wirklich gut beherrschten. „Nicht doch. Der Held meiner Kindheit, etwa?“ Nun hob sich doch tatsächlich eine Augenbraue. Die erste wirkliche Reaktion, seit er in dieser Zelle saß. Damit war es das aber auch schon wieder. Noch immer kein Wort. Noch immer ließ sich der Attentäter zu keiner Äußerung hinreißen. Stattdessen ließ er den Kopf erneut nach hinten sinken, wobei er die Augen verdrehte. Ach Gottchen. Ein Held. Beinahe ließ er sich zu einem amüsierten Auflachen verleiten. Ein Held. Der Junge hatte keine Ahnung. Oh, er war alles andere, aber gewiss kein Held. Nur ein verängstigter, verstörter Junge, der sich nach Jahren der offensichtlichen Misshandlung gegen seinen Vater gewehrt hatte. Denn niemand sonst im Dorf hatte es. Niemand hatte sich schützend vor den Jungen gestellt. Alle hatten sie weggesehen. Er war kein Held. Viel wahrscheinlicher war, dass er eines Tages nach Kelekuna zurückkehren würde und alle Bewohner der Insel, die damals weggeschaut hatten, umbringen würde. Selbstjustiz vom feinsten. Das war wenig heldenhaft.

Anstatt ihm weitere bohrende Fragen zu stellen, die Yaris ohnehin nicht beantworten würde, ging das Gespräch in einer anderen Richtung weiter und neuerlich verdrehte er innerlich die Augen. Eben noch so großspurig und furchtlos, hörte Yaris jetzt eher Selbstmitleid heraus. Oder zumindest Resignation. Nichts mehr da von dem Kleinen, der ihm vor ein paar Minuten noch eine stumme Kampfansage geliefert hatte. Wie erbärmlich.
„Lässt sich leicht ändern und du erreichst Emacil nicht mal … ihr redet einfach zu viel …“ Eine völlig ruhige, noch immer teilnahmslose Stimme. Beinahe sanft, dass man nicht glauben mochte, dass sie von einem Attentäter stammte, der mit kaltem Kalkül Leben auslöschte. Ein raues Timbre. Ein wenig dunkel und voller Geheimnisse. Wahrscheinlich fielen eine Menge Frauen ihm zu Füße … oder würden es, wenn Yaris es zulassen würde. Es war die stoische Ruhe, die Yaris sein eigen nannte. Die Ruhe vor dem Sturm.
Der Gefangene, der als erster seine Identität gelüftet hatte, rutschte panisch rückwärts, bis er an die Gitter der nächsten Zelle stieß und nicht weiter fliehen konnte. Ihm würde Yaris ganz sicher vorerst nichts antun können. Doch diese beiden hier hatten nicht den Luxus von Gittern, die ihn von ihm trennten. Genau diese Furcht stand jetzt in den Augen des Gefangenen … wobei, so sicher konnte man sich da niemals sein bei einem Attentäter, einem Künstler des Tötens.
Samuel Zaedyn
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#14
Der kurze Exkurs in die Vergangenheit des jüngeren seiner beiden Zellengenossen brachte mehr Fragen als Antworten mit sich. Samuel hatte angesichts seiner deutlich zur Schau gestellten Furchtlosigkeit - nicht nur vor seiner Geschichte, sondern auch der des Neuankömmlings - mindestens mit Mord, vielleicht sogar Schlimmerem gerechnet, doch seine Vergehen schienen weitaus weniger schwer zu wiegen als die des Bärtigen. Dies galt inbesondere, weil er offensichtlich nicht zum Tode verurteilt wurde, sondern wie die meisten der anwesenden Insassen eine mildere Strafe zu verbüßen hatte. Zum Auftreten des Mannes schien dessen Vergangenheit zumindest nicht zu passen, doch letztendlich traf das auch auf Samuel selbst zu und es gab keinen Grund, warum es sich bei dem Jungen nicht ähnlich verhalten sollte wie bei ihm. Ein paar schwere Jahre, Konfrontation mit Schicksalsschlägen, vielleicht ebenfalls ein längerer Aufenthalt in einem Gefängnis... All das hatte seinen eigenen Charakter schließlich fast bis zur Unkenntlichkeit verändert.

"Und du hast natürlich Großes vor, nicht wahr?" Spöttisch stieß er ein kurzes Schnauben durch die Nasenflügel aus. "Ich weiß nicht, was du getan hast, um hier zu landen, aber auch wenn du am Ende nicht am Galgen baumelst, ist dein restliches Leben damit schon vorherbestimmt. Vielleicht dauert es ein paar Monate, sogar Jahre... oder nur eine Woche, bis du wieder hier landest. Immer und immer wieder. Nur wegen der Fehler, die du in der Vergangenheit gemacht hast."

Er hatte natürlich keinen triftigen Grund zu der Annahme. Sicherlich verhielt es sich mit den meisten hier so - wenn er in ihre angsterfüllten Gesichter blickte, sah er den Abschaum der Gesellschaft, der sein ganzes Leben auf der Straße verbracht und sich das Überleben mit kleinen Verbrechen gesichert hatte. Wer sich einmal für eine solche Existenz entschied, ob freiwillig oder nicht, bekam selten die Möglichkeit, ihr zu entfliehen. Der Junge jedoch schien sich grundsätzlich von den Mithäftlingen zu unterscheiden, weshalb die Worte Samuels letztendlich nichts weiter als eine Provokation waren, um noch ein wenig mehr über ihn zu erfahren. Ein Vorhaben, das zunächst überraschenderweise vom Attentäter unterbrochen wurde, dessen erste Worte nur allzu gut zu den Geschichten über ihn zu passen schienen. Entsprechend fiel auch die Reaktion des Mannes aus, der sie vor wenigen Augenblicken noch zum Besten gegeben hatte und die er in ähnlicher Form bereits zur Genüge aus eigener Erfahrung kannte. Es war durchaus interessant, einmal in der Position zu sein, einem gefürchteten Mörder gegenüberzustehen, denn in den Jahren im Gefängnis auf Netara war ihm dies nie vergönnt gewesen. Er musste davon ausgehen, dass es sich bei dem Attentäter nicht auch um einen zu unrecht Verurteilten und zugleich einen Hochstapler handelte, wobei er bisher weder durch Worte noch Taten versucht hatte, die Gerüchte über ihn zu bestätigen oder zu widerlegen. Seine Drohung war dafür auch nicht geeignet - angesichts ihrer aktuellen Situation war sie nur begrenzt ernstzunehmen. Er entschloss sich dennoch, darauf zu reagieren.

"Tu dir keinen Zwang an", sagte er und zuckte betont teilnahmslos mit den Schultern. "Das wäre für uns beide eine Abkürzung. Ich muss nicht auf den Galgen warten und du wirst an Ort und Stelle von der Mannschaft aufgeknüpft, damit du nicht am Ende all ihre Gefangenen meuchelst."

An den Worten und dem Tonfall Samuels war klar zu erkennen, dass er die Drohung nicht für voll nahm. Natürlich konnte er sich diesen Luxus angesichts seines feststehenden Todes leisten - bei dem Jungen sah es vielleicht anders aus, doch dessen bisheriges Verhalten deutete nicht darauf hin, dass er sich so einfach würde einschüchtern lassen.
Crewmitglied der Sphinx
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#15
Lucien unterdrückte unwillkürlich den spontanen Impuls, laut aufzulachen, als der finstere Bärtige ihm mit vor Spott triefender Stimme antwortete. Doch statt, wie bisher, mit einer entsprechend spitzen Bemerkung zu kontern, neigte der Dunkelhaarige ergeben den Kopf. Mit aller Selbstironie musste er zugeben, dass er ihm diesen kleinen Sieg gönnte. Vor zwei Jahren noch hätte der 21-Jährige ihm in all seiner jugendlichen Selbstüberschätzung vehement widersprochen, aber vor dem Hintergrund seiner jetzigen Situation blieb ihm diese Reaktion förmlich im Halse stecken. Nicht, weil er nicht glaubte, hier raus zu kommen. Sondern schlicht, weil er nicht wusste, was er danach mit dem Leben anfangen sollte, das ihm blieb. Jedenfalls nicht mehr.
Unerwartet schweigsam, nur mit einem kleinen, unergründlichen Lächeln auf den Mundwinkeln, lehnte er den Hinterkopf wieder gegen die Schiffswand und dachte über die Worte des Alten nach. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da hatte er tatsächlich 'Großes' vorgehabt. Doch der einzige Mensch, für den er dieses Leben hätte führen wollen, saß noch immer irgendwo auf Kelekuna fest und fragte sich, ob Lucien inzwischen tot oder mit irgendeiner Frau durchgebrannt war und sie vergessen hatte. Und er selbst fragte sich, ob er am Ende noch den Mut aufbrachte, ihr gegenüber zu stehen. Nach allem, was hinter ihm lag.

Weit kam Lucien mit seinen Gedanken jedoch nicht. Leise, fast sanft durchbrach die bisher ungehörte Stimme des Attentäters das kurz einkehrende Schweigen zwischen ihm und dem Bärtigen, das kaum ein paar Sekunden gedauert haben konnte. Ohne Vorwarnung trieb sein Herz einen Stoß Adrenalin durch seinen Körper, der seinen Puls beschleunigte. Langsam öffnete der Dunkelhaarige die grünen Augen und richtete den Blick fast überrascht auf den Mann, der ihm unmittelbar gegenüber saß. Im Gegensatz zu dem Bärtigen, der geradezu gelangweilt antwortete (angesichts dessen, weshalb er verurteilt worden war, auch nicht wirklich verwunderlich), nahm der 21-Jährige diese Drohung durchaus für voll. Egal, wie ausnehmend neutral seine Stimme klang – einfach aus Spaß hatte man diesem Attentäter die Hände sicherlich nicht auf den Rücken gefesselt. Lucien beging also nicht den Fehler, den Mann zu unterschätzen. Und auch den Bärtigen zu seiner Rechten nicht.
Es war jedoch keine Angst, die sich jetzt in seinen Augen spiegelte, obwohl er wahrscheinlich am ehesten Grund dafür gehabt hätte. Viel zu überrascht war er darüber, dass ihm diese Drohung tatsächlich etwas ausmachte. Offenbar irrte er sich einmal mehr über sich selbst. Egal, was er sich einzureden versuchte; selbst wenn ihn sein Leben einen feuchten Dreck scherte – er hatte immer noch vor, sein Versprechen einzulösen. Er hatte also jeden Grund, den er brauchte, um am Leben zu bleiben.
Das kühne Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück.

So verlockend dein Angebot auch klingt, ich glaube, ich verzichte. Es gibt da noch etwas, das ich jemandem schuldig bin und das würde ich gerne einlösen, bevor ich das Zeitliche segne. Danach, meinetwegen.

Die letzten zwei Worte warf Lucien ihm fast lapidar vor die Füße und zuckte flüchtig mit den Schultern, ehe die grünen Augen mit einem wachen Ausdruck zu dem Bärtigen zurück kehrten.

Ich habe in meinem Leben nur einen einzigen Fehler gemacht. Eine einzige, verpasste Gelegenheit, die mich bis hier her gebracht hat. Aber noch mal wird mir das nicht passieren. Eher verreck ich, als wieder auf so einem Schiff zu landen.
Crewmitglied der Sphinx
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#16
Ach Gottchen. Yaris hatte ja schon viel erlebt, aber dieser Bärtige hier war ein Exemplar, dem man nur sehr selten begegnete. Sicher, pessimistische Zeitgenossen gab es zu Hauf. Doch dieser Typ war ja ein Schwarzmaler sondergleichen. Wer auch einmal gewesen war und was auch immer passiert war, es musste etwas unvorstellbare Schreckliches gewesen sein. In diesem Mann erkannte er keinerlei Optimismus. Von Hoffnung wollte er gar nicht erst anfangen. Irgendetwas hatte jeder zu verlieren. Und wenn es nur noch das bloße Leben war. Dieser Mann aber war der Inbegriff einer gebrochenen Seele. Nicht wie Yaris, dessen Seele bereits in jungen Jahren gebrochen worden war. Doch die Zeit hatte seine Bruchstücke wieder zusammengefügt. Auch wenn dabei ein vollkommen neues Bild hervorgebracht. Sein Gegenüber aber war zerborsten in kleinste, völlig zur Unkenntnis deformierte Fragmente, dass er allem nur noch mit Sarkasmus – in Form von Spott – begegnete. Sollte der Attentäter Mitleid mit ihm haben oder war es selbst dafür bereits zu spät?
Zu welcher Seite Yaris sich auch hinreißen lassen mochte, er ließ es nach außen nicht erkennen. Er begegnete noch nicht einmal dem Blick des Mannes. Wozu auch. Seine Ausstrahlung traf ihn selbst hier noch ungefiltert. Seine Ohren und sein Instinkt waren für Yaris völlig ausreichend.

Dass sich Yaris nun doch ins Gespräch seiner beiden Zellengenossen einmischte, lag nur daran, dass ihm dieses Geplänkel auf den Geist ging. Der eine mit seinem Sarkasmus und der andere mit seinem jugendlichen Leichtsinn – Letzteres war nur allzu leicht mit Kühnheit zu verwechseln.
Und endlich tat er, was er bis zu diesem Moment unterlassen hatte. Langsam – wie in Zeitlupe – sankt sein dunkler Schopf nach vorn und unergründlich tief-grüne Augen legten sich auf den Älteren, den er zunächst schweigend musterte, bevor sich sein Kopf weiter senkte, der Blickkontakt abriss. Doch er gab gewiss nicht klein bei. Das leise Lächeln auf seinen Lippen verriet es. Eine Spur Hohn und Arroganz und Amüsement darin. Andächtig atmete der Attentäter durch bevor er kaum merklich den Kopf schüttelte.
„Es gibt einen kleinen, aber feinen Unterschied zwischen einem Attentäter und einem Killer.“, belehrte er den bärtigen Griesgram. Doch er unterließ es, diesen Unterschied explizit herauszustellen. Immerhin hatte er es nicht nötig sich für sein Metier zu rechtfertigen. Die meisten begriffen es ja doch nicht. Aber es bestand durchaus eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass diese beiden Männer den benannten Unterschied erkannten. Schließlich kamen sie ebenfalls von einem Weg, der sie in die Schatten der Gesellschaft geführt hatte.

„Und du …“, Yaris neigte leicht den Kopf, während seine Kettenglieder leise rasselten, als er sich eine etwas angenehmere Position suchte. „… hast immerhin noch Ideale, was man von deinem Freund da nicht behaupten kann. Vielleicht sind es diese Ideale, die dich vor dem scheinbar unweigerlichen Weg retten werden.“ Wenn es die richtigen Ideale waren, dann waren sie in der Lage Berge zu versetzen. Daran festhalten, ein gegebenes Versprechen einzulösen war definitiv ein guter Anwärter. Sicherlich weit mehr, als viele der armen Hunde hier hatten.
Samuel Zaedyn
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#17
Die Reaktion des Jüngeren überraschte ihn. Er schien ihm beinahe zuzustimmen, auch wenn er das natürlich nicht laut aussprach. Stattdessen neigte er den Kopf und verzichtete auf einen Widerspruch, was letztendlich auf ein und dasselbe hinauslief. Trotzdem schien ihn diese zweifelsohne düstere Aussicht nicht weiter zu bekümmern, dem leichten Lächeln auf seinen Lippen nach zu urteilen, das dort unverändert ruhte und ihm eine, in seiner Situation sicherlich nicht unbedingt angebrachte, sorglose Ausstrahlung verlieh. Dementsprechend war es kein Wunder, dass eine Antwort auf seine Provokation ausblieb - und umso erfreulicher, dass er sie dennoch erhielt, wenn auch als Reaktion auf die Worte des Attentäters. Der Junge schien entweder tatsächlich für einen unbedeutenden Delikt festgenommen worden oder restlos davon überzeugt zu sein, der Gefangenschaft in absehbarer Zeit zu entfliehen. Zumindest besaß er Ziele, die er verfolgen wollte und denen ein längerer Aufenthalt auf Esmacil mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Weg stehen würde. Er hatte es hier also mit einem Kleinkriminellen zu tun - was seine Gelassenheit angesichts seiner Zellengenossen noch beeindruckender erscheinen ließ - oder mit einem hoffnungslosen Optimisten. Der bisherige Gesprächsverlauf ließ vermuten, dass es eine Mischung aus beidem war, denn schließlich hatte der Junge zumindest durchblicken lassen, dass er für seine Verbrechen, welcher Art diese auch immer gewesen waren, nicht zum Tode verurteilt worden war.

Bei dem Attentäter sah es sicherlich gänzlich anders aus - und dieser schien ihn nun auch zum ersten Mal überhaupt bewusst zur Kenntnis zu nehmen oder ließ sich zumindest dazu herab, mit ihm zu interagieren. Der Blick des Attentäters war kalt, durchdringend und verriet doch rein gar nichts über seinen Besitzer. Für einen Moment fröstelte Samuel, denn auch wenn er in seiner Situation nichts mehr zu verlieren und sein Leben verwirkt hatte - so abgebrüht, wie er sich seinen Mitgefangenen gegenüber gab, war er nicht und der Blick des Mannes machte mehr als deutlich, dass dieser ihn ohne mit der Wimper zu zucken töten würde, wenn es einen Anlass dafür gegeben hätte und er in der Lage dazu gewesen wäre. Nichtsdestotrotz erwiderte er den Blick und versuchte, ihm souverän standzuhalten, was sich als nicht sehr einfach herausstellte. Umso dankbarer war er, als der Mann den Blickkontakt selbst abbrach, ein unergründliches Lächeln aufsetzte und erneut das Wort ergriff.

Samuel beschloss, in die Offensive zu gehen. Er hatte das Gefühl, hier jemandem gegenüberzusitzen, der seine Fassade mit äußerst geringem Aufwand in sich zusammenfallen lassen konnte, wenn er damit begann, auch nur den leisesten Zweifel an der Authentizität seiner Geschichte und seines Wesens zu hegen. Zu dieser Situation wollte er es auf keinen Fall kommen lassen. Ob Angriff in diesem Fall allerdings tatsächlich die beste Verteidigung war?

"Sagst du dir das abends, um dich nicht vor lauter Gram in den Schlaf weinen zu müssen?", fragte er erneut mit spöttischem Unterton und fügte dann wesentlich ernster hinzu: "Ein Mord ist ein Mord, vollkommen gleich, aus welchem Motiv er vollzogen wird. Ein Attentäter ist dementsprechend kein Stück besser als ein gewöhnlicher Mörder."

Kurz zögerte er und ihm fiel auf, dass er diese Worte ein wenig zu abfällig gesprochen und sich dadurch beinahe davon ausgeschlossen hatte. Sofort korrigierte er diesen Umstand, indem er ein schiefes Grinsen aufsetzte und den Attentäter herausfordernd anblickte.

"Auch nicht als einer, der seiner eigenen Frau das Fell von der Haut gezogen hat."

Innerlich krümmte er sich vor Schmerz bei diesen Worten, die ihn selbst mehr verletzten als irgendjemanden sonst. Wie er es hasste, diese Rolle spielen zu müssen...


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